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1 Leo Pammer Die Protokolle der Weisen von Zion QUANTUM MORTALIA PECTORA CAECAE NOCTIS HABENT! (Wie viel finstere Nacht ist in den Herzen der Menschen!) Ovid als Serie im ANTIFA-INFO im Jahre 2000 verÄffentlicht

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  • 1Leo Pammer

    Die Protokolle derWeisen von Zion

    QUANTUM MORTALIA PECTORA CAECAE NOCTIS HABENT!(Wie viel finstere Nacht ist in den Herzen der Menschen!) Ovid

    als Serie im ANTIFA-INFO im Jahre 2000 verffentlicht

  • 21. EinleitungDer Holocaust an den Juden stellt ein Problem besonderer Art dar. Zwar stimmt es, dass nur ein Drittel der von den Nazis in Europa getteten Zivilbevlkerung Juden waren, und dass einige der gegen Nazi-deutschland Krieg fhrenden Nationen - z.B. Polen, Jugoslawien, Sowjetunion - zum Teil mehr Opfer zu beklagen hatten als die jdische Nation. Doch es gibt einen Unterschied:Mit einem fanatischen, ausschlielich den Juden vorbehaltenen Hass machten die Nazis Jagd auf die Ju-den in ganz Europa. Zirka zwei Drittel der europischen Juden wurden ermordet, obwohl sie keine Krieg fhrende Nation waren, ja nicht einmal eine klar definierte ethnische Gruppe bildeten. Zwischen rmelka-nal und Ural verstreut lebend bildeten sie eine Volksgruppe, die auer der Abstammung von Angehrigen der jdischen Religion sehr wenig Gemeinsamkeiten hatte. Wie ist dieses auerordentliches Phnomen zu erklren? Generationen von Historikern haben sich seit 1945 damit beschftigt und die verschiedens-ten Antworten darauf gefunden. Heute herrscht in der historischen Forschung weitgehend Einigkeit dar-ber, dass die tdlichste Form des Antisemitismus kaum etwas mit realen Interessenskonflikten zwischen lebenden Menschen oder mit Rassenvorurteilen allein zu tun hatte. Das wichtigste Motiv war vielmehr die berzeugung, dass alle Juden auf der Welt eine konspirative Gruppe bilden, die sich zum Ziel gesetzt hat, die brige Menschheit zu Grunde zu richten, um sie dann zu beherrschen.

    Der prgnanteste Ausdruck dieser Wahnidee ist ein Buch, das vor 100 Jahren zum erstem Mal erschie-nen ist: "Die Protokolle der Weisen von ZION" Heutzutage ist es schwer verstndlich, dass eine solch ab-surde Phantasie, verfasst von obskuren Schreiberlingen, eine derartig starke Wirkung gehabt haben soll. Es wre jedoch ein schwerer Fehler anzunehmen, nur Bcher von gebildeten und vernnftigen Autoren knnten ernst genommen werden. Es existiert eine unterirdische Welt (auch heute noch!), in der patholo-gische Phantasien von Gaunern und Fanatikern naiven und aberglubischen Menschen als grandiose I-deen verkauft werden. Zu manchen Zeiten taucht die Unterwelt auf und fasziniert und beherrscht die Mas-se der normal vernnftigen Menschen, und dann kann es geschehen, dass die Unterwelt die politische Macht erlangt und den Lauf der Geschichte verndert. Es ist leider eine fixe Tatsache, dass ein Haufen fanatischer Exzentriker vor 100 Jahren einen Mythos schuf, mit dem Jahrzehnte spter die Herren einer groen europischen Nation einen Vlkermord rechtfertigen konnten.

    Natrlich wirken Mythen nicht im luftleeren Raum. Ohne den Ersten Weltkrieg und die Russische Revolu-tion wren die "Protokolle" das Monopol einiger reaktionrer Spinner geblieben. Ohne die Weltwirtschafts-krise und den damit verbundenen Orientierungsverlust htte die jdische Weltverschwrung niemals das Glaubensbekenntnis einer mchtigen Regierung und einer internationale Bewegung werden knnen. An-dererseits htten alle diese Katastrophen zusammen nie ein Auschwitz produzieren knnen, wre da nicht ein Mythos prsent gewesen, der das paranoide und destruktive Potential der Menschen anzusprechen vermochte.

    Um es noch einmal zu verdeutlichen: Wir haben im Jahre 1999 keine Vorstellung mehr davon, welche Verbreitung und Glaubhaftigkeit das ominse Machwerk der "Protokolle'' in der ersten Hlfte des 20. Jahrhunderts erlangt hatte. Whrend eine Untersuchung aus den Achtzigerjahren (1980) belegt, dass we-niger als 5% der Unter-Vierzigjhrigen die "Protokolle" dem Namen nach kannten, schtzte der franzsi-sche Historiker Henri Rollin, dass die "Protokolle" in den Dreiigerjahren nach der Bibel das am weitesten verbreitete Buch der Welt war!

    Um zu illustrieren, wie weit und bis in welche Kreise der Mythos verbreitet war, noch eine bezeichnende Episode: Nachdem am 18.Juli 1918 die Zarenfamilie in Jekaterinenburg ermordet worden war, wurde ihr Besitz inventarisiert: Die Zarin hatte nur drei Bcher ins Exil mitgenommen: "Krieg und Frieden", die Bibel und "Die Protokolle der Weisen von Zion". Nun war Zarin Alexandra Fjodorowna, eine gebrtige Deut-sche, keineswegs eine Antisemitin, im Gegensatz zu ihrem Mann, dem Zaren Nikolaj II. Trotzdem hatte offenbar auch sie kritiklos an die Lge der Weltverschwrung geglaubt!

    Im Lauf der Untersuchung der Exekution kam ein weiteres bizarres Detail an die ffentlichkeit. Die Zarinhatte in ihrem Schlafzimmer ein groes Hakenkreuz an die Wand gemalt. Es war bekannt, dass sie eine Vorliebe fr dieses Symbol hatte (sie trug als Schmuck am liebsten juwelenbesetzte Hakenkreuze), weil sie es als hochgradig aberglubischer Mensch fr ein Schutz- und Segenszeichen hielt (als das es ja heu-te noch in Indien gilt).

    Fr die monarchistischen und reaktionren Kreise Russlands wirkte aber dieses Hakenkreuz zusammen mit der Auffindung der "Protokolle" quasi als Testament der toten Kaiserin, das besagte: Das Reich des Antichrist ist angebrochen, die satanischen Krfte in Form der Bolschewiken haben die kaiserliche Familie vernichtet, weil sie Gottes Willen auf Erden reprsentierte - und die Krfte der Finsternis sind Fleisch ge-worden in den Juden.

  • 32. Geistige Wurzeln und VorluferDie Geschichte der Entstehung des Weltverschwrungsmythos ist lang, kompliziert und auf Grund der un-sicheren Quellenlage oft recht rtselhaft. Sie lsst sich jedoch relativ leicht auf einige wenige berliefe-rungsstrnge zurckfhren, die zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Lndern verschieden stark re-levant geworden sind. Natrlich bedeutet dies eine historische Simplifizierung, die man aber des leichte-ren Verstndnisses wegen in Kauf nehmen muss.

    Immer wieder die gleichen antisemitischen Karikaturen: Juden als Krake, als alles verursachend, alles umschlingend

    A. Christlicher AntisemitismusDie lteste und zweifellos strkste Wurzel liegt - vielfach bestritten und verharmlost - im christlichen Anti-semitismus der katholischen Kirche. Die Vorstellung von den Juden als geheimnisvolle, mit unheimlichen Krften ausgestattete Wesen geht auf das zweite bis vierte Jahrhundert zurck, als Christen und Juden um die Bekehrung der hellenistischen Welt rivalisierten. Der hl. Johannes Chrysostomos nennt die Juden Mrder, Besessene und Dmonen. Die einstigen Lieblingsshne Jahwes htten sich in Shne des Satans verwandelt, aus ihnen werde der Antichrist hervorgehen, jene schreckliche Gestalt, die vor der Wieder-kunft Jesu die Weltherrschaft antreten werde. In der Zeit der Kreuzzge kamen die Vorwrfe der Hostien-schndung, des Ritualmordes und der Brunnenvergiftung hinzu. Erstmals tauchte auch die Legende einer geheimen jdischen Regierung mit Sitz im (damals islamischen) Spanien auf, die von dort aus einen ge-heimen Krieg gegen die Christen fhre. Der Mythos der jdischen Weltverschwrung ist eine moderne Fassung dieser alten dmonologischen Tradition. Er besagt: Es gibt eine geheime jdische Regierung, die ein weltweites Netz getarnter 0rganisationen unterhlt, mit deren Hilfe sie Parteien und Regierungen, Presse, Banken und Wirtschaft lenkt. Das Ziel ist nach uraltem Plan die jdische Herrschaft ber die gan-ze Welt, und dieses Ziel ist schon sehr nahe.

    Die Behauptung moderner kirchlicher Apologeten, dass die Kirche in der Neuzeit den Antisemitismus ab-gelegt habe, ist nicht stichhaltig: Um 1885 nahm Papst Leo XIII. den Kampf wieder auf. Er bediente sich dazu der Jesuitenzeitschrift "La civilt cattolica"("Die katholische Zivilisation"). Darin fhrten die beiden Patres R. Ballerini und F. S. Rondina eine Kampagne, die die schlimmsten Vorkommnisse der modernen Welt als Frucht der jdischen Weltverschwrung hinstellte Die Zeitschrift beschrieb das Judentum mit den gleichen Ausdrcken wie spter Hitler: ein Riesenpolyp, der die Welt in seinen Fangarmen hlt. Das Neue am "modernen" christlichen Antisemitismus war seine Vermengung mit dem Kampf gegen die Freimaure-rei, d. h. die unzulssige und unhistorische Gleichsetzumg von Freimaurern mit Juden. Denn, so schrieb 1893 Erzbischof Meurin von Port-Louis in seinem Buch "La Franc-Maconnerie, synagogue de Satan" (Die Freimaurerei, Synagoge des Satans): "Alles in der Freimaurerei ist von Grund auf jdisch, leidenschaftlich jdisch, von Anfang bis Ende." Kein Wunder, dass nach dem Ersten Weltkrieg der franzsische Prlat Monsignore Jouin von zwei Ppsten nacheinander fr seinen lebenslangen Kampf gegen die jdisch-freimaurerische Verschwrung ausgezeichnet wurde. Er war der erste Herausgeber der "Protokolle" auf Franzsisch!

  • 4B. Der Kampf gegen die FreimaurereiWie bereits erwhnt, vermischte sich nach der Franzsischen Revolution der christliche Antisemitismus mit dem Kampf gegen die Freimaurer. 1797 behauptete der franzsische Abb Barruel (rein zufllig wie-der ein Priester!), die Franzsische Revolution sei der Gipfelpunkt der jahrhundertealten Verschwrung der geheimsten aller Geheimgesellschaften gewesen. Er zog eine Linie von den Tempelrittern ber die Aufklrer zu den Freimaurern und deren Elite, den Jakobinern. Allerdings berichtet der Abb noch nichts von einer Verbindung zwischen Freimaurern und Juden. Dies holte umso krftiger ein anderer Franzose nach: Gougenot des Mousseaux in seinem Buch "Le Juif, le judaisme et la judaisation des peup-les chre-tiens"(=Der Jude, der Judaismus und die Verjudung der christlichen Vlker). Sein Schlsselbegriff heit "Kabbala". Darunter versteht er freilich nicht die Lehren der Ziffernbedeutung und der hebrischen Mystik, sondern eine geheime Dmonenreligion, einen Kult des Bsen, zu Anbeginn der Welt vom Teufel gestif-tet. Die ersten Anhnger waren die Shne Kains, dann nach der Sintflut die Shne Harms, d.h. die Chal-der, danach die Juden. Spter praktizierten den Kult auch die Templer, die Assassinen und die Freimau-rer. Aber der Gromeister ist immer ein Jude. Im Zentrum steht die Anbetung des Satans unter den Sym-bolen von Schlange und Phallus. Das Ritual besteht aus wilden sexuellen Orgien, bei denen Christenkin-der gettet werden, um magische Krfte zu erwerben. Das Erstaunlichste daran ist, dass dieser verschro-bene, mrderische Unsinn allgemein geglaubt wurde.

    C. Der Mythos als Waffe im Kampf gegen neue IdeenSeit 1850 benutzte die extreme Rechte in Deutschland die Weltverschwrungstheorie als Waffe im Kampf gegen die wachsenden Krfte des Liberalismus, Skularismus und der Demokratie. Um 1860 schrieb ein gewisser Hermann Goedsche unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe den Sensationsroman "Biarritz". Goedsche war wegen Betrugs aus dem Postdienst geflogen und hatte sich danach als Redakteur der ult-rakonservativen "Kreuzzeitung" verdingt. Daneben schrieb er Kolportageromane. "Biarritz" enthlt ein Ka-pitel "Auf dem Judenfriedhof in Prag." Dieses Stck krasser Schauerromantik gilt als eines der wichtigsten Vorbilder der "Protokolle". Geschildert wird eine geheime nchtliche Versammlung zum Laubhttenfest auf dem Prager Judenfriedhof beim Grab des Rabbi Simeon ben Jehuda. Die Vertreter der zwlf Stmme Israels plus ein Vertreter der "Verstoenen und Wandernden" legen einen Rechenschaftsbericht ber ihre Aktivitten zum Schaden der Nichtjuden ab und machen Vorschlge, wie man dem ersehnten Ziel der Weltbeherrschung nher kommen knnte: durch Brsenspekulation, Erringung von Monopolen, Okkupati-on von hohen Staatsmtern, Kirchenkampf. Pressediktatur, Hurerei mit Christinnen etc. Die Schlussszene bilden ein Geheimhaltungsschwur und der Tanz um das Goldene Kalb, das pltzlich gespenstisch ber dem Grabstein erschienen ist. Zum Glck haben zwei aufrechte deutsche Mnner die Szene belauscht und schwren einander, das teuflische Komplott zu bekmpfen.

    Bald verwandelte sich die Romanepisode in ein angebliches Dokument. 1887 nahm Theodor Fritsch, der "Nestor des deutschen Antisemitismus", den Text in seinen "Antisemitisten-Catechismus" auf.

    Hier waren alle einschlgigen Phantastereien aus Deutschland, Russland und Frankreich versammelt. Das Buch wurde sehr populr. Es wurde erweitert, zum "Handbuch der Judenfrage" befrdert und erreich-te 1933 eine Auflage von 100.000 Stck. In den folgenden Jahren wurden noch weit mehr Exemplare ver-kauft, denn im 3. Reich gehrten das Handbuch und die "Protokolle" zum obligatorischen Lehrmaterial fr den Schulunterricht.

    D. Der Antisemitismus im autokratischen RusslandEnde des 19. Jahrhunderts war der Antisemitismus in Russland weitaus radikaler und schrfer als im b-rigen Europa und zwar aus mehreren Grnden.

    Wegen seiner feudalen Gesellschaftsordnung war der Judenhass hier noch vergleichbar religis motiviert wie in Mitteleuropa zur Kreuzzugszeit. Russland war ferner die letzte absolute Monarchie und als solche das strkste Bollwerk gegen liberale und demokratische Tendenzen. Schlielich hatte Russland absolut und relativ die strkste jdische Bevlkerung: ca. 5 Millionen, etwa zwei Drittel aller Juden der Welt, das waren 5% der Gesamtbevlkerung. Weil sie zum Groteil von im Mittelalter aus Deutschland und Frank-reich vertriebenen Juden abstammten, bildeten sie eine sehr geschlossene, isolierte, unassimilierte Min-derheit mit eigener Kleidung, Sprache (Jiddisch), Schrift und Religion. Obwohl sie in der Mehrheit bettel-arm waren, gab es unter ihnen doch genug Hndler und Geldverleiher (Wucherer), die das Ressentiment der russischen Konkurrenz und den Hass der unterdrckten Bauern auf die ganze Judenheit lenkten. Die Juden waren harten Beschrnkungen bezglich Beruf, Wohnsitz und Bildung unterworfen. Die Zaren Ale-xander III. und nach ihm Nikolaus II, waren beide fanatische Antisemiten. Einerseits wurde ihnen von der

  • 5Geheimpolizei permanent suggeriert, dass die Hupter ihrer schrfsten Gegner, der Anarchisten und So-zialisten, durchwegs Juden seien, andererseits waren sie beherrscht von einem panslawistischen Natio-nalismus bzw. einer fanatischen und intoleranten orthodoxen Frmmigkeit. Da beide ziemlich einfacheund unkritische Gemter waren, drften sie von der Gefhrlichkeit der jdischen Rasse ehrlich berzeugt gewesen sein. Jedenfalls verschrften sie nicht nur die diskriminierenden Gesetze, sondern frderten so-gar offen und offiziell die Pogrome, um die Juden zur Auswanderung zu zwingen. Das war brigens durchaus sehr effektiv: bis 1900 waren schon mehr als eine halbe Million Juden ausgewandert, haupt-schlich in die USA. In Russland wurde auch die Gruelpropaganda ber die jdische Weltverschwrung staatlich gefrdert und finanziell untersttzt.

    Dies rief jede Menge obskurer, halb verrckter und krimineller Elemente auf den Plan, die durch Fabrikati-on antisemitischer Pamphlete ihr Glck zu machen hofften. Einer von ihnen war der polnische Expriester Hippolytus Lutostanski. Wegen Notzucht und Diebstahl aus der katholischen Kirche ausgeschlossen wur-de er orthodoxer Pope und "Judentumsforscher". Sein wichtigstes Werk war "Der Talmud und die Juden", 3 Bnde,1879. Seine Forscherttigkeit beschrnkte sich darauf, alle Lgen und Verleumdungen ber den Talmud zu sammeln, um damit die russischen Rechtsextremisten zu Pogromen anzustiften. Seine Angrif-fe richtete er hauptschlich gegen die Alliance Israelite Universelle, in der er die geheime jdische Weltre-gierung sah, die aber in Wirklichkeit ein privater Untersttzungsverein fr bedrftige Juden in Frankreich war.

    Dies ist deshalb wichtig, weil noch ber 50 Jahre spter die deutschen Nationalsozialisten (Rosenberg, Streicher etc.) diese unsinnige Behauptung nachplapperten. brigens eine verblffende Parallele zur Ge-genwart! Bekanntlich wird seit Waldheims "Kmpn"-Zeiten der relativ bedeutungslos Jdische Weltkon-gress in gewissen sterreichischen Medien zur selben dmonischen Macht emporstilisiert. Zur Untermau-erung seiner Behauptungen druckte Lutostanski brigens nur ein einziges Dokument ab: die "Rede des Rabbiners" aus dem sattsam bekannten Roman "Biarritz"!

    Die abenteuerlichste Gestalt unter diesen "Privatgelehrten" und "Literaten" war ein Hochstapler serbischer Abstammung, der sich abwechselnd von Millinger, Kibridli-Zade und am hufigsten Osman-Bey nannte. Er betrieb den Antisemitismus als Beruf. Neben Ritualmordgeschichten schrieb er auch ein Buch: "Die Er-oberung der Welt durch die Juden", eine wirre Ansammlung von haarstrubenden Lgen, Hetzereien und Angebereien ber seine Heldentaten im Kampf gegen "Juda". Er entwickelte darin bereits das komplette wahnwitzige Gedankensystem, das 60 Jahre spter zum grten Massenmord der Geschichte fhren sollte: In einer Welt ohne Juden wrde der Menschheit das Goldene Zeitalter bevorstehen, es wre das Ideal des Fortschritts schlechthin. Vorher allerdings ist die groe Suberung von Nten: Vertreibung der Juden nach Afrika (siehe Madagaskarplan der Nazis!),oder noch besser: "Die allgemeine israelische Alli-anz kann nur durch die vollstndige Ausrottung der jdischen Rasse zerstrt werden."

    Erwhnen muss man auch noch die militanten Antisemiten Butmy und Chruschtschewan, die einerseits als Grnder der "Schwarzhunderter" hervortraten, d.s. kriminelle Banden zur Durchfhrung von Pogro-men, andererseits als Herausgeber der ersten unvollstndigen Fassung der Protokolle in Form billiger Heftchen unter dem Titel: "Die Feinde der menschlichen Rasse".

    E. Die "Vter" der "Protokolle": Joly, Nilus, RatschkowskyWie bereits vorhin erwhnt, waren Chruschtschewan und Butmy nur Vorlufer, die zwar zeitlich frher (etwa um 1903), aber inhaltlich noch unvollstndig eine Art Gesamtdarstellung der Weltverschwrungs-theorie publizierten. Lautete doch der Untertitel ihrer Broschre bereits "Protokolle aus den geheimen Ar-chiven der zentralen Kanzlei von Zion". Da aber ihre Quellen vllig im Dunklen liegen und ihre Sudelschrift auch nur geringe Verbreitung fand, blieben sie nur eine Funote in der Genese der "Protokolle". Als ei-gentliche Urheber gelten heute der Franzose Joly sowie die beiden Russen Nilus und Ratschkowsky, der erstgenannte unfreiwillig und ungefragt, die letzteren sehr wohl bewusst und aus bsem Willen. Maurice Joly htte sich wahrscheinlich sehr dagegen verwahrt, mit den beiden Kreaturen in einem Atemzug ge-nannt zu werden, da sich aber die im folgenden geschilderten Ereignisse lang nach seinem Tode abspiel-ten, konnte er sich gegen den Diebstahl seines geistigen Eigentums nicht mehr wehren.

    Die Genese der "Protokolle" hat sich nach heutigem Wissensstand in groben Zgen folgendermaen ab-gespielt: Maurice Joly (1829-1878) war von Beruf Rechtsanwalt in Paris, Als Demokrat war er ein Gegner der despotischen Herrschaft Napoleon III., dessen Regierungsstil man aber ffentlich nicht kritisieren durf-te. So verfiel Joly auf die Idee, einen Dialog zwischen Montesquieu und Macchiavelli zu schreiben. Mon-tesquieu sollte den Liberalismus vertreten, Macchiavelli einen zynischen Despotismus. So sollte es mg-lich sein, die Motive und Methoden Napoleon III. unverbrmt darzustellen, indem man sie Macchiavelli in den Mund legte. Das Buch erschien 1864 unter dem Titel "Dialogue entre Montesquieu et Macchiavel aux Enfers"(=Dialog zwischen Montesquieu und Macchiavelli in der Hlle) in Brssel und sollte nach Frank-reich geschmuggelt werden.

  • 6Allerdings hatte Joly seine Gegner unterschtzt: Das Buch wurde beschlagnahmt, der Autor ausgeforscht, verhaftet und zu 15 Monaten Gefngnis verurteilt. Jolys spteres Leben verlief glcklos und 1878 beging er verbittert Selbstmord. Jolys Streitschrift ist ein bewundernswrdiges Werk, schneidend, von erbar-mungsloser Logik und glnzendem Stil. Es enthlt Einsichten, die noch heute fr autoritre Regimes un-serer Zeit zutreffen. Eine grausame Ironie der Geschichte hat es so gefgt, dass diese glnzende Ver-teidigung des Liberalismus die Grundlage abgeben musste fr eine reaktionre Hetzschrift, die dann den Siegeszug um die Welt antrat.

    Maurice Joly, eine seiner - in einem ganz anderen Zusammenhang entstandenen - Schriften wurde nach seinem Tod in die "Protokolle" eingebaut

    Aus diesem Buch nmlich hat der Verfasser der "Protokolle" seine hauptschliche Inspiration bezogen, besser gesagt, er plagiierte es schamlos, weil er wusste, dass sich der Autor dagegen nicht mehr wehren konnte.

    Wie genau Jolys Buch in die Hnde der Ochrana, der zaristischen Geheimpolizei, gelangte und wer es fr ihre Zwecke umarbeitete, ist eine Frage, die bis heute nicht gengend aufgeklrt wurde.

    Am wahrscheinlichsten ist folgende Version: Pjotr Iwanowitsch Ratschkowsky, glatt, schmeichlerisch, in-telligent und verschlagen, wird 1879 von der Ochrana verhaftet, weil er Terroristen Unterschlupf gegeben haben soll.

    P.I. Ratschkowsky

    Er luft ber, wird Geheimpolizist und Mitglied der Schwarzhunderter. Er macht rasch Karriere und steht von 1884 bis 1902 an der Spitze der Auslandssektion der Ochrana. In dieser Zeit ist er in Paris stationiert und perfektioniert dort seine Spezialitt: die Flschung von Dokumenten. Bei einem Einbruch in das Haus eines franzsischen Journalisten in der Schweiz erbeuten seine Agenten unter anderem das Buch Jolys, und Ratschkowsky beschliet, es fr seine Zwecke umschreiben zu lassen.

  • 7Sergej A. Nilus

    Zu dieser Arbeit bediente er sich der Dienste von Sergej Alexandrowitsch Nilus (1862-1930). Umberto Eco beschreibt ihn folgendermaen: "Nilus war ein wandernder Mnch, der in talarhnlichen Gewndern durch die Wlder zog, ausgerstet mit einem langen Prophetenbart, zwei Frauen, einer kleinen Tochter und mindestens einer Geliebten, die alle an seinen Lippen hingen. Halb Guru, einer von denen, die dann mit der Kasse durchbrennen, halb Eremit, trotz ausschweifenden Lebenswandels, einer von denen, die an-dauernd schreien, das Ende sei nah. Und tatschlich war seine fixe Idee die Verschwrung des Anti-Christ." Dieser Rasputin-Verschnitt war aber sehr gebildet, sprach flieend Franzsisch, Deutsch und Englisch und hatte Jura studiert. Trotzdem hat er ziemlich sicher nicht selber die bersetzung und Umar-beitung besorgt, obwohl dies immer wieder behauptet wird. Wer aber wirklich sein Ghostwriter war, ist bis heute unbekannt. Man wei nur, dass er mit mindestens fnfjhriger Verzgerung nach der bersetzung 1905 ein Buch herausgab mit dem Titel "Das Groe im Kleinen: Nahe ist der herandrngende Antichrist und das Reich des Teufels auf Erden", Erscheinungsort Zarskoje Selo, das im Anhang den kompletten Text der "Protokolle" bringt. Diese Fassung erlangt schlielich weltweite Verbreitung.

    Ratschkowsky und Nilus verfolgten mit ihrer Flschung ein doppeltes Ziel: die progressive Bewegung in den Augen des russischen Brgertums zu diskreditieren und gleichzeitig die Missstimmung, die das zaris-tische Regime in der Bevlkerung erzeugt hatte, gegen die Juden zu lenken.

    Wie bereits erwhnt, hatte Nilus bedenkenlos abschreiben lassen: Rund zwei Fnftel des Textes fuen eindeutig auf Stellen in Jolys Buch. Kapitel VII der "Protokolle" ist vollstndig aus dem "Dialogue" abge-kupfert, in neun Kapiteln machen die Entlehnungen mehr als die Hlfte aus. Sogar die Kapiteleinteilung ist praktisch identisch (statt 24 Kapiteln bei Joly hat Nilus' Machwerk 25). Dazu kommen noch die bereits an-gedeuteten geistigen Diebsthle bei Retcliffes "Biarritz" ("Rede des Rabbiners"), sowie bei Butmy und Chruschtschewan und diversen anderen. Was Joly seinem Macchiavelli in den Mund legte, lie Nilus' Un-terlufel einfach dem Sprecher der "Weisen von Zion" sagen. Natrlich wurde auch der Stil stark vergr-bert, und manchmal unterbricht "Nilus" den logischen Zusammenhang der Argumentation durch Einf-gung von Absurditten eigener Erfindung, zum Beispiel lsst er die "Weisen" drohen, widerspenstige Grostdte durch gewaltige Explosionen aus ihren Untergrundbahnen heraus in die Luft zu sprengen, und hnliches mehr.

    Dies ist jedoch zugleich ein wichtiges Indiz fr die Entstehungszeit der "Protokolle". Die Pariser Metro wurde von 1897 bis 1900 gebaut, d. h. der Text kann praktisch nicht frher entstanden sein. Weiters be-zieht sich der Titel auf die Zionisten - sonst wre zu erwarten, dass die Protagonisten die "Weisen Israels" oder die "Weisen Judas" genannt werden wrden. Der erste Zionistenkongress auf Anregung Theodor Herzls fand 1897 in Basel statt. Weiters gibt es im Text Anspielungen auf die berchtigte "Dreyfus-Affre" in Frankreich. Hauptmann Richard Dreyfus wurde 1894 verhaftet und nach jahrelangen heftigen Ausei-nandersetzungen im Jahr 1899 begnadigt. Daraus kann man mit ziemlicher Sicherheit zweierlei schlieen: Erstens dass der Herstellungsort der Flschung Paris war, und zweitens dass die Entstehungszeit der "Protokolle" zwischen 1897 und 1900 liegt. Warum Ratschkowsky und Nilus mit der Verffentlichung noch fnf Jahre zuwarteten, wissen wir nicht. Man kann nur spekulieren, dass die Ochrana-Fhrung auf einen geeigneten Anlassfall wartete, um ihr Machwerk zum genau passenden Zeitpunkt einzusetzen. Was aber dieser Anlass gewesen sein knnte, wei man genauso wenig und wird es wahrscheinlich auch nie erfah-ren.

  • 83. Die Protokolle in Deutschland.Zur Enttuschung Ratschkowskys, Nilus' und der Ochrana war der Erfolg der Protokolle in der Vorkriegs-zeit nur begrenzt. Erst Ende 1919 begann jene Zeit, in der die Protokolle Weltruhm erlangten. Dies ver-dankten sie zwei russischen Fanatikern, die sich in Berlin niedergelassen hatten: Pjotr Nikolajewitsch Schabelski-Bork und Fjodor Viktorowitsch Winberg. Die beiden hatten Russland zu Beginn des Brger-krieges verlassen und nahmen in Berlin gleich Verbindung auf mit dem Mann, der die erste deutsche Ausgabe der Protokolle liefern sollte. Ludwig Mller alias Mller von Hausen alias Gottfried zur Beek, Hauptmann a. D, und Herausgeber der antisemitischen Zeitschrift "Auf Vorposten".

    Die Verbindung zwischen diesen obskuren, halb verrckten, halb kriminellen Gestalten sollte schwerwie-gende Folgen haben. Durch die Ttigkeit dieser beiden Russen in Verbindung mit dem abgehalfterten deutschen Hauptmann gewann die antisemitische Agitation eine mrderische Intensitt, die fr Westeuro-pa neu war. In seinem Buch "Krestny Put" (= Der Kreuzweg) gibt Winberg einen Abriss seiner politischen Thesen: Es sei unbedingt ntig, sich der Juden auf irgendeine Weise zu entledigen. Da dies in einer De-mokratie naturgem unmglich ist, fordert Winberg die "natrlichen Fhrer der Vlker" auf, die Macht zu ergreifen und den "Herden von Menschenaffen" die Diktatur aufzuzwingen. Dann sei die Zeit reif, die Na-tionen zu einer gemeinsamen Front gegen die jdische Weltverschwrung zusammenzuschlieen.

    Deutschlands Feinde England und Frankreich seien seit jeher die Hochburgen der Weisen von Zion. Schon im 18. Jahrhundert bezahlten die Weisen Mnner wie Rousseau, Voltaire, Diderot und D'Alembert, um Frankreich zu unterminieren. In jngerer Zeit bezahlten sie Tolstoj und Gorkij, um Russland zu schw-chen. Die Franzsische Revolution sei ebenso von den Weisen geplant worden wie die Russische von 1917. Auch der 1. Weltkrieg war das Werk der Weisen, die die britische und die franzsische Auenpolitik lenkten. Die letzte Rettung wre ein Bndnis zwischen dem wahren Russland und dem wahren Deutsch-land, das heit einem Russland und einem Deutschland unter reaktionren Rechtsdiktaturen. Die neue Losung msse lauten: "Deutschland und Russland ber alles, ber alles in der Welt!"

    Als politisches Programm waren Winbergs uerungen nicht ernst zu nehmen: Weder waren die russi-schen Rechtsradikalen bereit, deutsche Hilfe zur Restauration des Zarentums zu erbitten, noch waren die deutschen Rechtsextremisten - auer Ludendorff - so unrealistisch, die Wiedereinsetzung der Hohenzol-lern ins Auge zu fassen. In einem Punkt hatte Winberg jedoch vollkommen recht: Seine Annahme, dass die Protokolle in Deutschland greren Anklang finden wrden als in anderen europischen Lndern, er-wies sich als exakt richtig. Die Juden wurden nmlich von genau den Kreisen, die Deutschland in die Ka-tastrophe gefhrt hatten, fr die Niederlage der Mittelmchte verantwortlich gemacht.

    Der berchtigte "Vorposten" lieferte die perfekte Zusammenfassung: "Die blauweie Fahne des jdischen Volkes und das blutrote Banner der Schottischen Hochgrad-Freimaurerei haben einstweilen gesiegt! Die Throne der Romanows, der Habsburger und der Hohenzollern stehen verlassen da, und Deutschland seufzt unter der Gewaltherrschaft der Arbeiter- und Soldatenrte!" Schon 1919 schrieb ein gewisser Pro-fessor Dr. F. Wichtl zwei umfangreiche pseudohistorische Schwarten, die die deutsche Niederlage durch eine gemeinsame Verschwrung von Freimaurern und Juden erklrten. Weilers erfhrt der staunende Le-ser, dass Russland und England fest in den Hnden der judo-freimaurerischen Verschwrung seien. Trotzkij sei zugleich ein Agent der jdischen Hochfinanz und Abgesandter des Rabbinats. Der knftige Weltherrscher von Judas Gnaden sollte Knig Georg V. von England sein!

    Ein Land, in dem solch blhender Unsinn begeistert gelesen und geglaubt wurde, war in der Tat reif fr die Protokolle. Mitte Januar 1920 war es so weit: "Die Geheimnisse der Weisen von Zion" erschienen in deutscher Sprache in dem gleichen Verlag, der auch die Zeitschrift "Auf Vorposten" herausgab. Heraus-geber war der bereits erwhnte Ludwig Mller (Mller von Hausen bzw. G. zur Beek). Die Finanzierung besorgte Frst Otto zu Salm-Horstmar. Er bekam Gelder von Mitgliedern des ehemaligen preuischen Herrenhauses und von den entthronten Hohenzollern!

    Diese hatten aber auch allen Grund, ber das Buch erfreut zu sein: Es war den "Frsten Europas" ge-widmet und zeigte ein Portrt des Groen Kurfrsten mit dem lateinischen Motto:" EXORIARE ALIQUIS NOSTRIS EX OSSIBUS ULTOR! (= Mge einst ein Rcher aus unseren Gebeinen entstehen!) Prinz Joa-chim Albrecht von Preuen pflegte das Buch an das Hotelpersonal und andere bedienstete Geister zu verschenken. Exkaiser Wilhelm II., war sowieso felsenfest berzeugt, dass sein Sturz ein Werk der Wei-sen von Zion gewesen sei. In einem Interview im Jahre 192l sinnierte er, dass er leider die Macht des in-ternationalen Judentums unterschtzt habe, und dass seine einzige Rettung gewesen wre, wenn er be-reits vor dem Krieg "die deutschen Juden unter Giftgas gesetzt" htte. - Hitler brauchte wahrhaftig nichts selber zu erfinden!

    Auch dem groen Kriegshelden Ludendorff kamen die Protokolle sehr zupass, brauchte er doch einen Sndenbock fr den uneingeschrnkten U-Boot-Krieg, den er in verantwortungsloser Weise angezettelt hatte. Sogar als die Protokolle lngst als Flschung entlarvt waren, schrieb Ludendorff noch: "Mit Frank-

  • 9reich und England Hand in Hand arbeitete die Oberleitung des jdischen Volkes. Wahrscheinlich fhrte sie sogar beide!"

    Der "Verband gegen berhebung des Judentums" lie folgende Lobeshymne von Stapel: "Seit der Erfin-dung der Buchdruckskunst, ja seit der Einfhrung der Schriftzeichen ist kein Buch erschienen, das solche Umwlzungen in der Weltanschauung hervorgerufen hat. Aus allen Kreisen der deutschen Bevlkerung, von den Frstenhfen bis zu den Arbeiterhtten, erhalten wir jubelnde Zustimmung dazu, dass endlich ein mutiger Mann die Schicksalsfrage des deutschen Volkes gelst hat." Der Erfolg des Buches war tatsch-lich enorm: innerhalb weniger Monate kletterte die Gesamtauflage auf 120.000 Exemplare.

    Ein jdischer Zeitzeuge urteilte hellsichtig: "Die deutsche Wissenschaft aber lie es geschehen, dass der Glaube an die Echtheit der Protokolle und an das Bestehen einer jdischen Weltverschwrung sich immer tiefer in alle gebildeten Schichten des deutschen Volkes hineinfra, sodass er heute schier unausrottbar ist. Keiner der groen deutschen Gelehrten hat sich erhoben, um die Flschung zu entlarven und deren Urheber aus dem Tempel zu jagen!" Das Interesse des brgerlichen Publikums blieb nicht immer gleich stark, erlosch aber nie ganz. Bei Hitlers Machtbernahme 1933 waren von Beeks bersetzung 33 Aufla-gen erschienen. Auerdem hatte inzwischen Theodor Fritsch eine "Volksausgabe" herausgebracht, dieeine Gesamtauflage von 100.000 Stck erreichte. Neben diesen Ausgaben erschien eine umfangreiche kommentierende Literatur, unter anderem auch vom Nazi-Chefideologen Alfred Rosenberg.

    Die Protokolle hatten gewichtigen Anteil an der geistigen Urheberschaft zweier politischer Morde, die 1922 in Berlin begangen wurden. Schabelski-Bork hatte gleich nach seiner Ankunft in Berlin eine terroristische Organisation nach Art der zaristischen Schwarzhunderter gegrndet. Damit fhrte er am 28.3.1922 einen Anschlag auf einen der wichtigsten Fhrer der russischen Emigranten, Pawel Nikolajewitsch Miljukow, aus. Miljukow war der Chef der "Kadettenpartei" und hatte ebenso wie Winberg und Schabelski-Bork vor den Bolschewiken fliehen mssen. Trotzdem wollten ihn diese Fanatiker ermorden, weil er ihnen politisch zu wenig radikal war. Das Mordkommando verfehlte Miljukow, ttete aber Wladimir Nabokow, den Vater des gleichnamigen, spter weltberhmten Schriftstellers (Autor von "Lolita"). Schabelski-Bork bekam fr dieses Verbrechen 14 Jahre Zuchthaus, wurde aber lange vor der Frist begnadigt. Winberg wurde wegen der Verwicklung in diese Affre aus Deutschland ausgewiesen.

    Walther Rathenau, 1867 - 1922, Industrieller und Politiker, schloss den Rapallo-Vertrag

    Walther Rathenau war zweifellos ein Mann von auergewhnlichen Fhigkeiten. Er war einer der grten Unternehmer Deutschlands, ein glnzender Organisator, ein hervorragender Staatsmann und ein hoch-gebildeter Grobrger. Wie alle deutschen Grobrger seiner Zeit war er auch ein glhender Deutschna-tionalist, ein berzeugter Ideologe des deutschen Imperialismus - und er war bekennender Jude! Wahr-haftig eine selbstmrderische Mischung!

    Trotz all seiner Intelligenz ignorierte er vollstndig den antisemitischen Grundton der deutschen Gesell-schaft: Er verfiel dem verhngnisvollen Fehler vieler brgerlicher deutscher Juden: dem Glauben, in Deutschland zugleich Nationalist und Jude sein zu knnen. Bereits seit 1915 organisierte er die deutsche Kriegswirtschaft und sicherte die deutsche Rohstoffversorgung whrend des Krieges. Anders gesagt, die Lebensmittelkarten, die Ersatznahrungsmittel, die schrecklichen Hungerkatastrophen des Ersten Welt-

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    krieges waren sein Werk - ohne Rathenaus Manahmen wre Deutschland bereits nach zwei Kriegsjah-ren wirtschaftlich am Ende gewesen. Rathenau war also logischerweise als eingefleischter Liberaler auch ein gnadenloser Kapitalist ohne "sentimentale" Gefhle fr das gewhnliche Volk.

    Sei es wie auch immer, fest steht, dass die rechts stehenden brgerlichen Schichten Deutschlands weit davon entfernt waren, ihm seine Brendienste fr die herrschende Klasse zu vergelten. Zwar wurde er 1922 zum Reichsauenminister ernannt, aber die rechtsradikalen Kreise verunglimpften ihn wegen seiner jdischen Abstammung und seiner Ttigkeit whrend des Krieges als einen der Weisen von Zion. Diesel-be Verleumdung hatten auch zahlreich andere jdische Politiker Europas erdulden mssen: angefangen von Benjamin Disraeli (E), Luigi Luzzati(l), Leon Blum und Adolphe Cremieux (F) bis Kurt Eisner (Bayern):

    Luigi Luzzati (1841 - 1927), Benjamin Disraeli (1804 - 1881), Leon Blum (1872 - 1950)

    Ludwig Bamberger (1823 - 1899), Adolphe Crmieux (1796 - 1880), Kurt Eisner (1867 - 1919)

    Allerorts riefen Agitatoren ffentlich dazu auf, Rathenau zu ermorden. Und in den Straen sang man: "Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverfluchte Judensau!"

    In vorderster Linie standen bei dieser Hetze klarerweise die Protokolle. Mller von Hausen nahm in seine Ausgabe der Protokolle folgende bizarre Geschichte auf: Emil Rathenau, Walthers Vater, hatte in Berlin ein Haus umbauen und im Stil der Zeit mit einem umlaufenden Fries zwischen l. und 2. Stock schmcken lassen. Das Fries zeigte 66 Masken, von Rankenwerk umgeben. Mller von Hausen behauptete nun, dies seien die abgeschnittenenen Hupter von 66 Knigen, die auf Opferschalen lagen! War nicht Emil Rathe-nau auch einer der engsten Ratgeber des Kaisers gewesen? "Wie oft mag unser ahnungsloser Kaiser die Schwelle dieses Hauses berschritten haben, ohne zu wissen, welche Wnsche dieser falsche Freund wirklich fr die Zukunft des Hauses Hohenzollern hegte?", lamentierte Mller. Wie der Vater, so der Sohn!

    Walther Rathenau hatte 1909 folgenden Ausspruch getan: "300 Mnner, von denen jeder jeden kennt, lei-ten die wirtschaftlichen Geschicke des Kontinents und suchen sich Nachfolger aus ihrer Umgebung!" Von Juden war dabei berhaupt keine Rede, sondern Rathenau wollte lediglich feststellen, dass die fhrenden Positionen im Bankwesen und in der Wirtschaft grtenteils das Reservat einer erblichen Oligarchie wa-ren. Als erster kam Ludendorff auf die Idee, dass diese 300 Mnner in Wirklichkeit die jdische Geheim-regierung bildeten Und, so lautete der messerscharfe Schluss, wenn Rathenau die Zahl der Weisen kann-te, konnte dies nur bedeuten, dass er selbst einer von ihnen war.

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    Es kam, wie es kommen musste: Am Vormittag des 24. Juni 1922 wurde Rathenau auf der Fahrt von sei-nem Haus ins Auenministerium erschossen. Die Mrder waren ganz junge Mnner aus verschiedenen Gruppen der extremen vlkischen Rechten. Sie gehrten dem "Vlkischen Schutz- und Trutzbund" oder der geheimen Organisation "Consul" an, die mit terroristischen Mitteln die Republik und ihre tragenden Krfte bekmpften. Beim Prozess beriefen sich die Angeklagten immer wieder auf die Protokolle und er-klrten, sie seien sich sicher gewesen, dass Rathenau einer der Weisen von Zion gewesen sei.

    Bei der Urteilsverkndung sprach der Gerichtsprsident folgende prophetischen Worte: "Hinter den Mr-dern und Mordgehilfen aber erhebt als der Hauptschuldige der verantwortungslose fanatische Antisemi-tismus sein hassverzerrtes Gesicht, der mit allen Mitteln der Hetze und Verleumdung, von dem die hier zur Sprache gekommene gemeine Schmhschrift 'Die Geheimnisse der Weisen von Zion' ein Beispiel ist, den Juden als solchen ohne Rcksicht auf die Person schmht und so Mordinstinkte in unklare und unrei-fe Kpfe st!" Der Mord an Rathenau wirkte in Deutschland kurze Zeit wie ein heilsamer Schock: Der "Schutz- und Trutzbund" wurde verboten, sowohl Ludendorff wie Mller von Hausen distanzierten sich kurzzeitig von ihren Lgengeschichten, ein Gesetz zum Schutz der Republik wurde erlassen.

    Auerdem besserte sich ab 1924 die wirtschaftliche Lage Deutschlands und die Welle des Rechtsextre-mismus ebbte vorerst einmal ab.

    *

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    4. Die Verbreitung der Protokolle ber die ganze WeltA) ENGLANDIm Februar 1920 wurden die Protokolle erstmals auf Englisch in einer anonymen bersetzung unter dem Titel "The Jewish Peril" herausgegeben. Das Buch wurde von der Firma Eyre & Spottiswoode Lfd. ge-druckt, die den Titel "His (Her) Majesty's Printers" fhrte, was den Antisemiten auf dem Kontinent ermg-lichte, flschlicherweise zu behaupten, die britische Ausgabe der Protokolle sei mit Genehmigung Seiner Majestt verffentlicht worden.

    Die "Times" und der "Spectator", zwei der angesehensten und serisesten Zeitungen Englands, widmeten den Protokollen lange Artikel, obwohl sie vorsichtigerweise die Frage der Echtheit ausklammerten. Die "Morning Post" brachte im Sommer 1920 eine Serie von 18 Artikeln, in denen sie den ganzen Mythos der jdisch-freimaurerischen Weltverschwrung ausbreitete. Natrlich setzten die britischen Nationalisten die Akzente ihrer Antisemitismustheorie anders als die deutschen. Fr sie waren die Weisen von Zion die An-stifter der Unabhngigkeitsbestrebungen der Kolonialvlker des Empires: "...wir haben durch die Protokol-le konkrete Beweise erhalten, wie eng die Rebellion in Irland, die Unruhen in gypten, die Aufstnde in Indien, die Revolution in Russland zusammenhngen.(..) Hinter den Kulissen ist eine furchtbare Sekte am Werk, die Deutschland fr ihre eigenen Zwecke benutzte, und als Deutschland fiel, ging die Verschwrung ungehindert weiter. Der fundamentale Gedanke der furchtbaren Sekte ist die Vernichtung des Christen-tums und aller Religionen auer der jdischen." Derart haarstrubender Nonsens wurde nicht nur ge-glaubt, sondern auch eifrig weiterverbreitet. Der "Spectator" und "Blackwood's Magazine" forderten eine Kommission zur berprfung der Juden und die Aberkennung der Staatsbrgerschaft fr alle Englnder jdischen Glaubens. Fr kurze Zeit sah es aus, als knnte der Antisemitismus von deutschem Typus ein politischer Faktor in Grobritannien werden. Aber im August 1921 verffentlichte die "Times" den Nach-weis, dass die Protokolle eine Flschung und ein Plagiat von Jolys "Dialogue" waren. Der Leitartikel hie klipp und klar: "Das Ende der Protokolle". Fr Grobritannien war es wirklich das Ende. Die Protokolle wa-ren seither in England derartig diskreditiert, dass sogar die "British Union of Fascists", in den Dreiigerjah-ren faktisch das Gegenstck zur NSDAP, auf ihre Benutzung in der Propaganda gnzlich verzichtete.

    B) DIE VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKAAnders lagen die Dinge in den USA. Hier erfreuten sich die Protokolle eines zwar begrenzten, aber anhal-tenden Erfolgs. Merkwrdigerweise war der Hauptexponent der Propagierung des Judenhasses in Ameri-ka der Multimillionr und Superindustrielle Henry Ford, der Besitzer der Ford-Autowerke und legendre Erfinder der Fliebandmontage. Ford war bekannterweise beraus deutschfreundlich, ein frher Frderer Hitlers, aber nach Zeugnissen seiner Biographen nicht rassistisch eingestellt. Angeblich soll sein zumin-dest zeitweiliger Antisemitismus auf den Einfluss einiger seiner Berater und PR-Manager zurckzufhren sein.

    Henry Ford, 1863 - 1947, amerikanischer Industrieller, Herausgeber der "Protokolle" in den USA

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    Die erste amerikanische Ausgabe fhrte den pompsen lateinischen Titel :"PRAEMONITUS PRAEMUNI-TUS" (= Gewarnt ist gewappnet) und erschien in New York. Richtig populr wurden die Protokolle aber erst als Artikelserie in Fords Zeitung "The Dearborn Independent" von Mai bis Oktober 1920. Die Firma Ford lie die Serie als Buch unter dem Namen "The International Jew: The World's Foremost Problem" drucken. Durch eine groe Werbekampagne und das Prestige des Namens Ford erlangte das Buch eine ungeheure Verbreitung, besonders unter der Landbevlkerung.

    Der Mythos von der Jdischen Weltverschwrung wirkte genauso wie in Europa besonders stark auf Menschen, die an den traditionellen Lebensformen und Werten des flachen Landes hingen und durch die moderne Zivilisation aus dem Geleise geworfen wurden. Eine halbe Million Exemplare wurden in den USA verkauft, es wurde ins Deutsche, Russische und Spanische bersetzt, und die gekrzte deutsche ber-tragung gehrte spter zu den Standardwerken der Nazipropaganda. Insgesamt trug "The International Jew" sicherlich am meisten dazu bei, die Protokolle weltberhmt zu machen. Wie bereits mehrfach ge-zeigt, lieen sich die Protokolle wahrhaftig in alle Richtungen verdrehen und interpretieren.

    So erscheint der Antisemitismus in Fords Buch wieder in einer neuen Variante: Die Weltverschwrung ist das Werk der Juden und Bolschewiken, aber nicht der Freimaurer; aber das Schrecklichste an ihr ist, dass sie die ehrwrdige puritanische Moral untergrbt. Wodurch bringt sie das zustande? Durch "schamlose Sportbekleidung", durch "staatlich gelenkte sozialistische Kindererziehung", durch "moralzersetzende Auf-klrung und Sexualerziehung" in den Schulen etc ...

    Das Merkwrdige daran ist, dass Ford sich stark an die deutsche Auffassung der Protokolle annhert, obwohl die USA noch kurz zuvor Krieg mit Deutschland gefhrt hat. Dies wird folgendermaen erklrt: "Alljuda (= die Weisen von Zion) ist in Wirklichkeit mit England verbndet, denn der 1. Weltkrieg war ein Krieg Alljudas gegen Deutschland.

    Die erste Hauptstadt Alljudas war London, dann erst folgte Paris. Das nchste Ziel ist die Herrschaft ber die USA, und es gibt darin schon erstaunlich rasche Fortschritte auf Grund der missverstandenen Ideen von Liberalismus und der verschwommenen Vorstellungen von allgemeiner Toleranz. Amerika muss sich endlich zum Kampf aufraffen, denn die Unterjochung der USA wrde das Endziel Alljudas ermglichen: Die Einsetzung des Weltherrschers aus dem Hause David!"

    Glaubte Henry Ford selbst wirklich diesen ganzen wirren Bldsinn? Auf den ersten Blick scheint es un-mglich, dass ein Mann, der aus dem Nichts ein so ungeheures Industrieimperium schuf, so naiv sein konnte. Es gibt aber gengend Anhaltspunkte (unter anderem in seiner Autobiographie), dass Ford, abge-sehen von seinem wirtschaftlichen Genie, ein auerordentlich schlichtes Gemt (um nicht zu sagen, be-schrnkt) war. In punkto Antisemitismus drfte Ford zumindest in den Zwanzigerjahren kein Zyniker, son-dern ein wahrhaft Glubiger gewesen sein.

    Dieser Mann, der so viel dazu beigetragen hatte, dass die moderne Welt des Massenverkehrs und der Massenproduktion berhaupt erst entstand, hasste nmlich paradoxerweise die Modernitt. Er verab-scheute die Grostdte, besonders New York, und er war berzeugt, die echten Amerikaner seien nur auf den Farmen und in den Kleinstdten des Mittelwestens zu Hause. Er hegte ein sentimentales Heimweh nach der vorindustriellen Vergangenheit.

    Wir haben bereits gesehen, wie leicht eine solche Haltung in die virulenteste Form des politischen Anti-semitismus umschlagen kann. Zudem hatte Ford keinerlei Verstndnis fr die Kompliziertheit gesellschaft-licher und geschichtlicher Zusammenhnge. "Alles, was die Welt fr die Fhrung ihres Lebens braucht, liee sich auf zwei Seiten eines Schulheftes niederschreiben!", ist eines seiner bekanntesten Zitate. Wer so etwas glaubt, der kann auch glauben, dass alle Wirren und Wandlungen der modernen Welt durch die paar Dutzend Seiten der Protokolle erklrt werden knnen.

    Mit der Herausgabe des "International Jew" hatte Ford aber den Bogen der ffentlichen Meinung in den USA berspannt. Heftige Proteste der amerikanischen Judenschaft, der katholischen Kirche und Prsi-dent Wilsons waren die Folge. Schlielich handelte sich Ford eine Verleumdungsklage ein und trat den Rckzug an: Im Juni 1927 schrieb er einen Brief an den Prsidenten des American Jewish Committee, in dem er erklrte, er sei von seinen Mitarbeitern getuscht und hintergangen worden. Er nehme alle gegen die Juden erhobenen Vorwrfe feierlich zurck und werde das Buch aus dem Handel ziehen. So weit, so gut - aber natrlich konnte Ford das Buch nicht ungeschrieben machen.

    Besonders in Deutschland war der Einfluss des Machwerks gro und andauernd. Hitler hatte Fords Foto-grafie auf seinem Schreibtisch stehen und erklrte: "Wir betrachten Heinrich(!) Ford als den Fhrer der wachsenden faschistischen Bewegung in Amerika. (..) Wir haben seine antijdischen Artikel bersetzen und verffentlichen lassen. Das Buch wird in Millionen Exemplaren in ganz Deutschland verbreitet."

    Logischerweise lehnten es die deutschen Antisemiten auch ab, das Buch aus dem Verkehr zu ziehen. Es wurde in Deutschland noch bis zum Ausbruch des Krieges gegen die USA verkauft.

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    C) ANDERE LNDER Den wrmsten Empfang nach Deutschland, bereitete den Protokollen Polen und zwar (wen wundert's?) mit tatkrftiger Hilfe der rmisch-katholischen Geistlichkeit. Polen umschloss groe Teile des jdischen "Ansiedlungsrayons" des Zarenreiches, wo der Antisemitismus eine feste Tradition hatte. Die l. Auflage der Protokolle von 1920 war innerhalb weniger Monate vergriffen, und als im Sommer 1920 Polen von der Roten Armee berrannt zu werden drohte, erlie der polnische Episkopat einen "Hilferuf" an die katholi-schen Bischfe der Welt im Stil der Protokolle: "Der Bolschewismus geht in Wirklichkeit auf die Eroberung der Welt aus.

    Die Rasse, die seine Fhrung in der Hand hlt, hatte sich schon vorher die ganze Welt unterworfen mittels des Goldes und der Banken, und nun, angetrieben von der ewigen imperialistischen Gier, welche in ihren Adern fliet, zielt sie schon hin auf die endgltige Unterwerfung der Nationen unter das Joch ihrer Herr-schaft. Der Bolschewismus ist in Wahrheit die Verkrperung und Fleischwerdung des Geistes des Antich-rists auf Erden." Dieses Dokument ist besonders abwegig, weil die erdrckende Mehrheit der polnischen Juden entschiedene Gegner des Bolschewismus waren. Der Aufruf bracht zwar Polen keine Hilfe, da er aber in allen katholischen Kirchen der Welt verlesen wurde, veranlasste er sicherlich viele Katholiken, an den Mythos der Weltverschwrung zu glauben. In Polen selbst gehen auf das Konto dieses perfiden "Hir-tenbriefes" zweifellos die vielen Judenmorde, die whrend der russischen Invasion begangen wurden.

    Auch in Frankreich genossen die Protokolle weit verbreitete und dauerhafte Gunst. Auch hier hatte wieder der katholische Klerus seine Finger im Spiel, und zwar in der Gestalt des bereits erwhnten Monsignore Jouin, Pfarrer von St. Augustin in Paris. Er war ein altbewhrter antisemitischer Kmpfer, hattet er doch schon 1909 eine Zeitschrift gegen die jdisch-freimaurerische Verschwrung gegrndet. Im Herbst 1920 begann er sein Lebenswerk, das fnfbndige Machwerk "Le Peril judeomaonnique" (= Das jdisch-freimaurerische Verderben). Im 1. Band brachte Jouin die komplette franzsische bersetzung der Proto-kolle. Zur Belohnung seiner Ttigkeit als antisemitischer Propagandist erhob ihn Papst PIUS XI. zum A-postolischen Protonotar, was das Prestige seiner Publikationen gewaltig steigerte.

    Die franzsischen Adepten der Protokolle bevorzugten wieder eine neue Variante des Antisemitismus: Sowohl die britische Regierung unter Lloyd George als auch die amerikanische unter Prsident Wilson sind den Weisen von Zion vllig untertan, diese sorgten aber auch fr Deutschland, indem sie die deut-schen Staaten bei den Pariser Friedensverhandlungen als demokratische und sozialistische Lnder tarn-ten. So blieb Frankreich der einzige Leidtragende "dieses seltsamen Friedens, der fr die Besiegten gns-tiger ist als fr die Sieger!" Dazu ist jeder ernsthafte Kommentar wohl berflssig!

    Dass die Protokolle 1921 in England als Flschung entlarvt wurden, machte auer in England nirgends groen Eindruck. Einige Herausgeber und Kommentatoren behaupteten einfach, Maurice Joly sei in Wirk-lichkeit ein jdischer Revolutionr namens Moses Joel gewesen, die meisten aber umgingen das Prob-lem, indem sie erklrten, die Protokolle mssten echt sein, da die in ihnen vorausgesagten Ereignisse tat-schlich eingetreten seien. Und wer htte leugnen knnen, dass sich die Welt wirklich in einem Zeitalter der Kriege und Revolutionen, der Wirtschaftskrisen und Inflationen befand? So setzte sich der Triumph-zug der Protokolle ungehindert fort.

    Es bildete sich ein internationales Netzwerk von Propagandisten und Exegeten der Protokolle. Zeitungen und Zeitschriften in der ganzen Welt propagierten sie und tauschten "Informationen" und "Dokumente" aus: in den USA "The Dearborn Independent", in England "The Patriot" und "The British Guardian", in Frankreich "La Vieille France" und "La Libre Parole", in Norwegen "National Tidsskrift", in Polen "Dwa Grosze" und "Pro Patria" und natrlich eine unbersehbare Flle von Gazetten und Broschren in Deutschland und sterreich.

    So gab es bald zustzlich zu den deutschen, englischen und franzsischen bersetzungen auch solche ins Schwedische, Dnische, Norwegische. Finnische, Griechische, Rumnische, Ungarische, Litauische, Polnische, Bulgarische, Italienische, Japanische und Chinesische. Deutschland aber blieb es vorbehalten, die Protokolle zum festen Bestandteil der Ideologie einer Partei zu machen, die immer mehr Zulauf fand und zu allem entschlossen war.

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    5. Der Mythos in der NazipropagandaDie Protokolle waren Werkzeug der NS-Propaganda, solange es eine gab, von den Anfngen der Partei um 1920 bis zum Zusammenbruch des 3. Reiches 1945. Sie dienten nacheinander dazu, der Partei an die Macht zu verhelfen, den Terror zu rechtfertigen, den Vlkermord und den Krieg zu legitimieren und die Kapitulation hinauszuzgern. Verantwortlich dafr waren in erster Linie die fhrenden Nazis: Hitler, Goeb-bels, Gring, Rosenberg, Streicher, Himmler, Heydrich, Kaltenbrunner, Ley, Ribbentrop, um nur einige der wichtigsten zu nennen, die als die fanatischsten Antisemiten und Hasspropagandisten gelten.

    Exemplarisch fr alle sollen zwei davon genauer behandelt werden: Julius Streicher und Alfred Rosen-berg. Julius Streicher war zweifellos der rabiateste Hetzer und Verfechter des Judenhasses aller Zeiten. Streicher wurde am 12. 2. 1885 in der Nhe von Augsburg als Sohn eines Volksschullehrers geboren und ergriff selber gleichfalls diesen Beruf. Nach seinem Kriegsdienst grndete er 1919 die nationalistisch-antisemitische Deutsch-Soziale Partei, trat jedoch zwei Jahre spter mit allen Anhngern geschlossen der NSDAP bei. 1923 nahm er an Hitlers "Marsch auf die Feldherrnhalle" teil. Beides hat ihm Hitler nie ver-gessen. Fr die Teilnahme am Hitlerputsch wurde Streicher aus dem Schuldienst entlassen, doch 1925 ernannte ihn Hitler zum Gauleiter von Franken mit Sitz in Nrnberg.

    Bereits 1923 begann Streicher das, was er sein grtes "Verdienst fr die Bewegung" und sein "Lebens-werk" nannte: Die Grndung und Herausgabe des antisemitischen Hetzblattes "Der Strmer", das er bis 1945 leitete. Im "Strmer" propagierte und popularisierte er im derbsten Stil und mit pornographischen E-lementen in primitivsten Karikaturen alle antisemitischen Klischees, von der Weltverschwrung ber die Ritualmordlge bis zur "Blutschande" durch die angebliche unersttliche Sexualitt der Juden. Streicher scheute vor nichts zurck: Da gab es laufend Aufforderungen zur Denunziation judenfreundlicher Mitbr-ger, Namens- und Adressenlisten angeblicher "Rassenschnder", Verleumdungen, Pogromhetzerei etc.

    Julius Streicher und sein Blatt

    Das Motto des "Strmers" war: "Die Juden sind unser Unglck" (es stammt bekanntlich vom renommier-ten wilhelminischen Historiker Heinrich von Treitschke) und der Mythos der Weisen von Zion war eines der zentralen Themen des Schmierblattes.

    Die Auflage stieg von 3.000 Stck im Jahr 1923 ber 65.000 im Jahr 1934 bis auf 500.000 Exemplare im Jahr 1938. Streicher wurde durch sein Wochenblatt privat zum Millionr, stieg in immer grerem Umfang in das Zeitungsgeschft ein und besa schlielich 10 Zeitungen.

    All diese Bltter schrieben selbstverstndlich in seinem, also antisemitischen Sinn. Daneben bereicherten er und seine Clique sich schamlos durch "Arisierungen" und Enteignungen jdischen Besitzes in Nrnberg und ganz Franken.

    Obwohl sein Ruf auf Grund seiner zweifelhaften Geschfte, seines exzessiven Privatlebens und seiner sexuellen Eskapaden (u.a. Kinderschndung!) sogar in der Partei uerst schlecht war, hielt Hitler bis zum Schluss seine schtzende Hand ber ihn. Als Streicher 1940 wegen diverser Unterschlagungen von Parteigeldern und wegen seines skandalsen Privatlebens als Gauleiter zurcktreten musste, durfte er

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    trotzdem auf nachdrcklichen Wunsch Hitlers weiterhin als Herausgeber des "Strmers" fungieren. Hitler erklrte nmlich, der "Strmer" sei die einzige Zeitung, die er begierig von der ersten bis zur letzten Seite verschlinge, die primitiven Methoden seines alten Freundes seien uerst wirkungsvoll auf den "kleinen Mann von der Strae", und da der Antisemitismus die wichtigste Waffe im Arsenal der NSDAP sei, gebe er Streicher freie Hand.

    Allerdings versuchte Streicher gar nicht, seine Hasstiraden philosophisch oder pseudowissenschaftlich zu verbrmen. Er arbeitete auf dem niedrigsten Niveau, das heit an der Verfestigung der Gleichung JUDE = TEUFEL (Antichrist)! Diese aber war, wie erinnerlich, eine Erfindung von Nilus und der zaristischen Anti-semiten. Besonders verbrecherisch erscheint uns heute Streichers Bestreben, auf unzhligen Vortragsrei-sen und durch spezielle Printmedien den Judenhass bereits den Kindern einzupflanzen. In seinem Verlag erschienen Bilderbcher fr Volksschler wie "Der Giftpilz" oder "Trau keinem Fuchs auf grner Heid und keinem Jud bei seinem Eid"

    Der jdische Giftpilz als "Kindavazahra"

    Mit fassungsloser Erschtterung lesen wir ber eine Weihnachtsansprache Streichers vor zehnjhrigen Nrnberger Kindern im Jahre 1936: Er (Streicher) fragte seine atemlos lauschenden Zuhrer: 'Wisst Ihr, wer der Teufel ist?' - 'Der Jud, der Jud!' schallte es ihm aus tausend Kinderkehlen entgegen."

    Der liebe Streicher beschtzt die braven deutschen Kinder vor den jdischen Giftpilzen

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    Die bsen Juden mssen fort!

    Dieser skrupellose Kinderverderber und pathologische Verbrecher erwies sich letzten Endes als typischer Schreibtischtter. Im Verhr beim Nrnberger Prozess erklrte er zur grten Verblffung des Gerichtes, er sei niemals ein Antisemit gewesen, und er versuchte verzweifelt seinen Hals aus der Schlinge zu zie-hen, indem er unablssig beteuerte, er habe persnlich niemals einen Juden gettet.

    Das Gericht lie sich davon nicht beeindrucken, stufte Streichers Ttigkeit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein und verurteilte ihn zum Tod durch den Strang. Seine letzten Worte unter dem Galgen waren: "Dies ist mein Purimfest 1946! Heil Hitler!"

    Alfred Rosenberg dnkte sich himmelhoch berlegen ber Streichers primitiven Antisemitismus, umgab er sich doch mit einer wissenschaftlichen Aura als "Parteiphilosoph" und "Chefideologe der NSDAP".

    Rosenberg stammte aus Lettland, er war am 12.1.1893 in Riga geboren. Wie viele Baltendeutsche emig-rierte er nach der Russischen Revolution, zuerst nach Paris, dann nach Mnchen. Mit seiner germani-schen Abstammung war es nicht allzu weit her: Sein Grovater war Lette, und er selber soll noch in Mn-chen besser russisch als deutsch gesprochen haben. Natrlich war er mit den "wei"-russischen Gaunern Schabelski-Bork und Winberg bestens bekannt und ebenso wie diese Mitglied in mehreren dubiosen rechtsextremen Geheimbnden. Obwohl Rosenberg von Hitler nie ganz ernst genommen wurde, gelang es ihm dennoch, der Naziideologie fr immer seinen Stempel aufzudrcken. Bereits 1919 trat er der NSDAP bei und stellte die Verbindung zwischen den russischen Schwarzhunderter-Antisemiten und den deutschen Rassisten her, das heit, er bernahm Winbergs Auffassung vom Bolschewismus als jdische Verschwrung und interpretierte sie im Sinne der vlkisch-rassistischen deutschen Ideologie. Rosenberg galt als der gebildetste der Nazi-Fhrer, was freilich nicht viel heit. Er trat als Kenner des Bolschewismus auf, ohne eine Zeile von Marx oder Lenin gelesen zu haben. Es gengte ihm zu wissen, dass Kerenskij angeblich ein Jude Namens Kirbis und Lenin ein minderrassiger "Kalmcko-Tatar" war.

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    Rosenbergs "opus magnum" war der unlesbare Wlzer "Der Mythus des XX. Jahrhunderts", mit dem er quasi Houston Chamberlains "Grundlagen des XIX. Jahrhunderts" fortsetzen wollte.

    Houston Stewart Chamberlain, 1855-1927, ein Wegbereiter der Nazis

    Konsequenterweise schrieb er krftig aus diesem Buch ab, ebenso wie er ungeniert ganze Kapitel aus Winbergs Schriften abkupferte. Hitler spottete einmal ber dieses Elaborat, er sei sicher, dass es niemand zu Ende gelesen, geschweige denn verstanden habe, wahrscheinlich nicht einmal der Autor selbst! Aber zwischen 1919 und 1923 verffentlichte Rosenberg auch fnf Broschren ber die zionistische Weltver-schwrung, auerdem bersetzungen diverser franzsischer Antisemiten und einen ganzen Band Kom-mentare zu den Protokollen. Diese frhen Werke fanden zweifellos weite Verbreitung und wurden auch eifrig gelesen.

    Laut Rosenberg verleiteten die Weisen von Zion das russische Volk dazu, ihre nationale Elite auszurotten. Das gab den jdischen Bolschewiken die Gelegenheit, die russische Industrie zu verstaatlichen, das heit Besitz von ihr zu ergreifen und sich und ihre Volksgenossen im Ausland damit zu bereichern. Aus einer Kerntruppe von Letten und chinesischen Seidenhndlern (!) organisierte der Jude Trotzkij-Bronstein die Rote Armee und das russische Volk konnte endlich mit asiatischer Brutalitt und jdischem Terror dem Kapitalismus unterworfen werden. Eine besondere Rolle spielte dabei Walther Rathenau. Mit ihm teilten die jdischen Bolschewiken ihre Reichtmer aus der russischen Industrie und im Gegenzug verschaffte er ihnen durch den Vertrag von Rapallo die Mglichkeit, das deutsche Volk auszubeuten. Liee man ihn wei-ter gewhren, wrden bald Letten und Chinesen unter jdischem Kommando aufrechte Deutsche nieder-schieen!

    Bald darauf wurde Rathenau ermordet - der bezeichnende Beginn einer Karriere, die 24 Jahre spter am Nrnberger Galgen enden sollte! Auffallend ist psychologisch die extreme Antipathie Rosenbergs gegen die Letten, die in seinem verquasten Weltbild als die engsten Komplicen der Juden figurieren. Da Rosen-berg selber zu einem Viertel Lette war, ist dies ein weiteres typisches Beispiel fr den verdeckten Selbst-hass vieler Nazifhrer mit unsicherer "arischer" Abstammung. Hitler etwa konnte einen Grovater nicht mit Sicherheit ermitteln und sah sich mit dem - wahrscheinlich grundlosen - Gercht konfrontiert, es knnte ein jdischer Kaufmann gewesen sein, Heydrich wurde nachgesagt, Vierteljude zu sein, was - wie inzwi-schen bekannt ist - dadurch verursacht wurde, dass sein gar nicht mit ihm verwandter Stiefgrovater "Sss" hie (aber ohnehin "arischer Abstammung" war), auch Bormann und Schirach wurden Probleme mit dem "Ariernachweis" nachgesagt.

    Rosenbergs zunehmend pathologischer Geisteszustand war der eines apokalyptischen Propheten: Per-manent sah er am Horizont den druenden Weltuntergang durch den Sieg der jdischen Weltverschw-rung, permanent sah er sich und Deutschland von den bermchtigen internationalen Organisationen des Zionismus, des Bolschewismus, der Freimaurerei, des Wallstreetkapitalismus, des Jesuitenordens und des Vatikans eingekreist und bedroht. 1930 verffentlichte er den bereits erwhnten "Mythus des XX. Jahrhunderts", und obwohl kaum jemand mit seinen wirren Ideen und seinem abstrusen Stil etwas anfan-gen konnte, wurde das Buch zur "2. Bibel" der Bewegung neben "Mein Kampf" erklrt. Bis 1942 wurden davon ber eine Million Exemplare verkauft.

    Rosenbergs Ideengeber war neben Winberg und Chamberlain hauptschlich Arthur Graf Gobineau. Aus dessen Buch "Versuch ber die Ungleichheit der Rassen" bernahm er die Geschichtsauffassung vom

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    permanenten Rassenkampf zwischen "Ariern" und Juden. Sein eigenstndiger Beitrag bestand darin, dass er neben dem Judentum und der Freimaurerei das Christentum als tdlichsten Feind der germani-schen Seele und ihres Ehrbegriffes ansah. Konsequenterweise propagierte Rosenberg die totale Ausrot-tung des Christentums beider Konfessionen und frderte als Ersatz die Wotansverehrung, den Haken-kreuzkult, Sonnwend- und Julfeiern und die Wiedereinfhrung von nordischen Gttern und der Runen-schrift.

    Da er sich zeitlebens mehr als Religionsstifter und Weisheitslehrer denn als Tagespolitiker sah, hielt er dieses "Neuheidentum" fr seine bedeutendste geistige Schpfung, es sollte nach dem Endsieg in Europa die Stelle des Christentums einnehmen. Die neue Religion zielte auf Ausschaltung des Alten und des Neuen Testaments, sowie die Substitution der christlichen Ideale von Nchstenliebe, Erbarmen und De-mut durch Rassebewusstsein, gnadenlose Hrte, tollkhnen Kampfesmut und "Arierstolz". Vor allem str-te ihn der Internationalismus der katholischen Kirche, der seinem rassistischen Menschenschema vllig zuwider lief, - ebenso wie brigens das internationale Freimaurertum, das er genau so heftig bekmpfte.

    Rosenbergs Kirchenfeindlichkeit rief energische Proteste der katholischen Hierarchie in Deutschland und im Vatikan hervor, und dies bewog Hitler, Rosenberg mehr oder minder fallen zu lassen. Hitler hielt nm-lich einerseits persnlich absolut nichts vom Neuheidentum - er war der Meinung, es sei zu geknstelt und intellektuell, um beim Volk Anklang zu finden (was durchaus richtig war!), andererseits war er zwar prinzi-piell mit der Ausschaltung der Kirchen einverstanden, hatte sich aber aus taktischen Grnden entschlos-sen, sie bis nach dem Krieg aufzuschieben. Daher war ihm Rosenbergs starrer Dogmatismus samt sei-nem verschrobenen "Neopaganismus" unbequem.

    Rosenberg wurde daher bei der ersehnten Ernennung zum Reichsauenminister sowohl 1933 als auch 1938 bergangen. Der einzige Nazibonze, bei dem seine Mischung aus Mystik, Pseudowissenschaft und religiser Ideologie auf offene Ohren traf, war SS-Chef Heinrich Himmler. In Himmlers SS konnte Rosen-berg zumindest teilweise sein Neuheidentum in die Praxis umsetzen. Zu diesem Zweck wurde er zum "Beauftragten des Fhrers fr die berwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP" ernannt. Diesen Posten bte er mit beflissener Pedanterie und ohne nen-nenswerten Erfolge - auer in der Ausbildung der SS - bis zum Ende des 3. Reiches aus.

    1939 etablierte Rosenberg in Frankfurt ein Institut zur Erforschung der Judenfrage und erklrte, dessen Aufgabe sei erst gelst, wenn der letzte Jude aus Europa verschwunden sei. Die Hauptaufgabe des Insti-tuts war die Plnderung jdischer Bibliotheken, Archive und Galerien. Im Oktober 1940 bekam er einen eigenen "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg", der die Kunstschtze der besetzten Lnder raubte und nach Deutschland brachte (nach seinen eigenen Angaben im Wert von mehr als einer Milliarde Reichs-mark!). Whrend Rosenberg bei diesen Plnderungen eine beispiellose Rcksichtslosigkeit an den Tag legte, erwies er sich als "Minister fr die besetzten Ostgebiete" (seit 17.7.1941) als totale Fehlbesetzung. Seine zaghaften Appelle zur besseren Behandlung der besiegten Slawenvlker verhallten wirkungslos, seine Position und sein Einfluss waren viel zu schwach, um die mrderische Politik in den Ostgebieten zu beeinflussen. Gegen die Vernichtung der Juden in der besetzten Sowjetunion lie Rosenberg brigens kein Wort verlauten, sie war ja ganz in seinem Sinne.

    Zusammenfassend kann man sagen, dass Rosenbergs "Mythus" der einzige nennenswerte Versuch, ei-ner systematische Darstellung der offiziellen NS-Philosophie aus nationalsozialistischer Sicht war. Dass Rosenberg persnlich ein derart schlichtes Gemt war, dass er den ganzen Unsinn der Protokolle und des "Mythus" ernsthaft glaubte, ist zwar ziemlich sicher, kann ihn aber nicht exkulpieren. Im Nrnberger Prozess beschuldigte er seine erfolgreicheren Konkurrenten pathetisch und weinerlich, die echte national-sozialistische Idee vollkommen verflscht zu haben. Er verteidigte weiterhin unbeirrt seine mythische NS-Religion, die in leicht vernderter Form heute mit der "Neuen Rechten" wieder aufersteht. Das Internatio-nale Gericht jedoch konnte ihm nachweisen, dass er zahlreiche Kriegsverbrechen begangen hatte und hngte ihn am 16.10.1946 in Nrnberg.

    Was wurde mit der ganzen Propaganda wirklich erreicht? Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Soviel ist richtig, dass zu Hitlers Machtantritt groe Teile des deutschen Volkes dem Antisemitismus in ei-ner Form anhingen, die weit ber die vagen Vorurteile hinausgingen, die in den westlichen Demokratien gngig waren. Der typische deutsche Antisemit wollte, dass die Juden keine ffentlichen mter bekleiden drften, dass sie in ihrer Ausbildung und im beruflichen Fortkommen Beschrnkungen unterworfen wr-den, dass sie den Status einer benachteiligten Minderheit erhielten. Weiter gingen seine Forderungen je-doch nicht. In den ersten Jahren des Naziregimes wurden diese Forderungen alle erfllt. Nun war die Fra-ge: Was weiter? Es galt, den begrenzten Antisemitismus so aufzupeitschen, dass er sich in mrderischen Fanatismus verwandelte. Mit Hilfe der Protokolle, also dem Mythos von der jdischen Weltverschwrung versuchte die Nazifhrung dies zu realisieren.

    Michael Mller-Claudius gelang es 1938 und 1942 in beilufigen vorsichtigen Gesprchen mit geschickten Fragestellungen an Parteimitglieder aus allen Schichten die Haltung des "kleinen Mannes" zum Antisemi-

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    tismus zu erforschen. 1938 waren 63% der Befragten ber die Gewalttaten gegen die Juden emprt, 32% waren indifferent, 5% billigten die Vorgnge - und zwar ausdrcklich, weil sie an die jdische Weltver-schwrung glaubten.

    1942 waren die Ergebnisse schon wesentlich anders: Nur mehr 26% waren projdisch eingestellt, der An-teil der Gleichgltigen war auf 69% gestiegen, die Zahl der Fanatiker blieb mit 5% gleich. Die Befunde von Mller-Claudius werden von anderen Beobachtern im Groen und Ganzen besttigt und gestatten ein ei-nigermaen objektives Urteil darber, was Hitler, Streicher, Rosenberg und Co. erreichten und was nicht. Einerseits wurde das Volk in seiner Masse niemals wirklich gegen die Juden fanatisiert, es war nicht vom Mythos der jdischen Weltverschwrung besessen, andererseits rckte es im Lauf der Jahre immer weiter von den Juden ab. 1942 ahnten oder wussten die meisten Leute zumindest, dass mit den deportierten Ju-den etwas Schreckliches geschah, doch kaum jemand kmmerte sich darum. Der Vergleich zwischen 1938 und 1942 zeigt, worauf die Bevlkerung ausgerichtet worden war: auf uerste Gleichgltigkeit. Na-trlich muss man den traditionellen deutschen Obrigkeitsgehorsam und den wachsenden Terror der Ges-tapo gegen die Bevlkerung in Rechnung stellen: Bevor man sich oder seine Familie in Gefahr brachte, identifizierte man sich lieber mit der offiziellen Einstellung: Man brauchte nicht an die Weisen von Zion glauben, es gengte anzuerkennen, dass die Juden irgendwie unheimlich waren und nicht verdienten, dass man sich um sie Sorgen machte.

    Fr die meisten Deutschen hrten die deutschen Juden vllig auf, Landsleute zu sein, die letzten Reste von Solidaritt verschwanden, geschweige denn verschwendete man einen Gedanken an die auslndi-schen Juden. Die Fanatiker gewannen an Gewicht. Zivilbevlkerung und Wehrmacht waren durchsetzt von Hunderttausenden, die bereit waren, jeden zu denunzieren, der nicht an den mrderischen Verschw-rungsmythos glaubte. Nachdem der ohnehin schwache Widerstand der Masse der Bevlkerung ausge-schaltet war, brauchte man fr die Leute, die die Vernichtung der Juden ausfhrten, also die "Fachleute" von SS und SD, eine Rechtfertigung, die ihnen zu tten erlaubte, und zwar zu tten mit gutem Gewissen. Und diese Rechtfertigung fand sich in Gestalt des Mythos von der jdischen Weltverschwrung. Dieser wurde daher zentraler Bestandteil der Ideologie des skrupellosesten und leistungsfhigsten Korps profes-sioneller Mrder der ganzen Menschheitsgeschichte.

    Rudolf H, der Kommandant vom KZ Auschwitz, war bis zu seiner Hinrichtung berzeugt, die Ausrottung der Juden, die er privat(!) bedauerte, sei notwendig gewesen, um Deutschland von seinem zhesten Feind zu befreien. Der sterreichische SS-General Odilo Globocnik war der Meinung, man sollte in ganz Deutschland Bronzetafeln aufstellen zum Gedenken an die Leute, die den Mut hatten, das jdische Volk zu vernichten, wozu ihm Hitler und Himmler persnlich eifrigst beipflichteten. Der SS-Arzt Dr. Pfannenstiel erklrte beim Besuch des Vernichtungslagers Treblinka in einer Ansprache an die SS-Truppe: "Wenn man die toten Krper der Juden hier liegen sieht, versteht man erst die Gre Ihrer guten Arbeit!"

    Solche auergewhnlichen Worte markieren ein auergewhnliches Phnomen: Mitten im 20. Jahrhun-dert hatte sich mitten im zivilisierten Europa eine Truppe gebildet, die keinerlei Spuren von Gewissen und Humanitt mehr aufwies. Die Techniker des Vlkermordes taten ihr Werk freudig und zeigten keinerlei Reue. Um das zu tun, was sie taten, brauchten diese Menschen eine unmenschliche Ideologie, und diese lieferten ihnen die Protokolle der Weisen von Zion. brigens blieb die Wirkung des Propagandatrommel-feuers nicht auf Deutschland beschrnkt.

    Ein trauriges Musterbeispiel dafr sind zwei der besten und bedeutendsten franzsischen Literaten des 20. Jahrhunderts: Jean Giraudoux und Ferdinand Celine. In Frankreich wird heute noch gern diskret und verschmt verschwiegen, dass die beiden Dichter fanatische Antisemiten und felsenfeste Weltverschw-rungsglubige waren. Der friedfertige Giraudoux, Autor des strikt pazifistischen Dramas "Der Trojanische Krieg findet nicht statt", schrieb als Propagandachef der franzsischen Regierung recht merkwrdige St-ze: "...sie (die Juden) bringen die Erpressung, die Korruption, den Mangel an jeder Moral mit sich und sind eine stndige Bedrohung... Wir sind ganz mit Hitler einverstanden, wenn er sagt, dass die Politik auf der Rasse beruht, denn das war auch die Ansicht Colberts und Richelieus!" Ferdinand Celine, dem im Roman "Die lange Reise durch die Nacht" eine erschtternde Anprangerung des Wahnsinns des Krieges gelang, schreibt in "Batagelles pour un massacre": "Wisst ihr, dass die Exekutivmacht des Weltjudentums 'Kahal' heit. ..Versammlung der Weisen von Israel, ..unser Schicksal hngt gnzlich vom guten Willen der gro-en Juden ab. ..Franzosen, ihr werdet zu der Stunde in den Krieg ziehen, die der Baron von Rothschild mit seinen Vettern in London, New York und Moskau festsetzt, ..sie haben Hunger nach Weltbrand!" Celi-ne, der neben seiner knstlerischen Genialitt deutliche Charakterzge eines Paranoikers aufwies, sah vllig klar, was geschehen wrde, wenn Adepten des Vlkermordes an die Macht kmen. In seinen Augen waren die Protokolle eine Vollmacht zum Vlkermord!

    Fazit: Die verderbliche Wirkung der Mythospropaganda braucht einen nicht mehr zu verwundern, wenn man akzeptieren muss, dass sogar solche hochintelligenten und sensiblen Menschen darauf hereinfielen.

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    6. Die Protokolle von 1945 bis heute A) Die muslimische WeltNach dem 2. Weltkrieg erlebten die Protokolle eine weite Verbreitung in den arabischen Staaten - von Kuwait ber Saudi-Arabien, dem Irak, Syrien, Jordanien, dem Libanon, gypten, Libyen bis nach Algerien. Sie wurden von arabischen Wissenschaftlern neu bersetzt und die "dritte Sule" des jdischen Glaubens neben der Bibel und dem Talmud genannt. Dafr waren zum Groteil die in zunehmender Zahl in den Fnfzigerjahren nach gypten strmenden Altnazis verantwortlich, die dort mit offenen Armen empfangen wurden. Der Prominenteste unter ihnen war der eingefleischte Antisemit Johannes von Leers. Der ehema-lige Hauptschriftleiter der nationalsozialistischen Zeitschrift "Wille und Weg" war nach dem Krieg zunchst nach Argentinien geflchtet. Auf wiederholte Aufforderung des berchtigten Gromuftis von Jerusalem, El Husseini, der whrend des Krieges hufig mit Hitler konferiert und fr ihn sogar eine freiwillige arabische Waffen-SS-Einheit aufgestellt hatte, kam Leers 1956 nach Kairo und wurde politischer Berater im Informa-tionsministerium, wo er betrchtlichen Einfluss auf die antijdischen Manahmen gyptens nahm. Er trat zum Islam ber und blieb unter seinem moslemischen Namen Omar Amin bis zu seinem Tod 1965 als an-tisemitischer Propagandist in Kairo aktiv. Ein anderer prominenter NS-berlufer zum Islam war der Ex-SS-Fhrer Leopold Gleim, der durch das bsartige antisemitische Pamphlet "Verschwrung gegen die Kirche" die Beschlsse des II. Vatikanums (1963) zur Zurckdrngung des katholischen Antisemitismus konterkarieren wollte. Die Araber begrten diese Neuauflage der NS-Verschwrungstheorien enthusias-tisch. Ein weiterer Ex-Nazi, Louis Heiden (El Hadsch), besorgte eine neue bersetzung von "Mein Kampf" ins Arabische. Dieses Buch gehrte zum Marschgepck der gyptischen Offiziere im Sinaikrieg. Nicht zu vergessen ist der sterreichische SS-Verbrecher und Eichmann-Mitarbeiter Alois Brunner, der ab und zu gehssige antisemitische Interviews gab und mglicherweise noch heute unbehelligt in Damaskus lebt.

    Alois Brunner

    Praktisch alle bekannten muslimische Fhrer, von Nasser und Sadat, Knig Faisal von Saudiarabien, Ara-fat, Ghaddafi, Sadam Hussain, Assad, bis zu Ayatollah Khomeini waren und sind berzeugte und radikale Antisemiten. Sie alle sahen und sehen die Protokolle als das wichtigste aller zionistischen Geheimdoku-mente.

    Gamal Abdel Nasser, 1918 - 1970 - Anwar-el Sadat, 1918 - 1981 -Ruholla Mussawi Khomeini, 1902 - 1989 - Jasir Arafat, 1929 - 2004

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    Sie schienen den Schlssel zum wahren Verstndnis der Natur Israels zu liefern und den weiteren Weg des zionistischen Expansionsdranges vorzuzeichnen. Nasser und Faisal waren darber hinaus der An-sicht, Zionismus und Kommunismus seien zwei Seiten derselben Medaille, ein beliebtes Motiv der Neona-zis im heutigen Deutschland. Wie konnte es passieren, dass die arabische Seite so kollektiv das Erbe des europischen Antisemitismus antrat und die unsinnigen Theorien der Protokolle fr bare Mnze nahm? Die Antwort liegt wie immer in der Historie.

    Da die islamischen Gesellschaften niemals eine Aufklrung mit darauffolgender Skularisierung und Libe-ralisierung wie die europischen durchgemacht haben, blieb ihnen die Idee von der Gleichheit aller Men-schen stets fremd. Der Status des Menschen im Islam blieb bis ins 20. Jahrhundert einzig und allein durch die Religionszugehrigkeit bestimmt. "Vollbrger" mit allen Rechten konnten nur Mohammedaner sein. Andersglubige (Christen und Juden) hatten nur den Status von "Dhimmis" (Geschtzten), das heit sie waren geduldet, solange sie ihre Steuern bezahlten, aber weder beliebt noch geachtet, bestenfalls Men-schen 2.Klasse, den Rechtglubigen abgrundtief unterlegen. Von da bis zum "Untermenschen" nazisti-scher Prgung war kein weiter Weg.

    Die nationale Wiedergeburt der Juden in Palstina, gefrdert von den christlichen Gromchten nach dem 2. Weltkrieg, war fr die Moslems eine niederschmetternde und traumatische Erfahrung. Wie konnte es nur geschehen, dass es einem verachteten und minderwertigen Dhimmi-Volk gelang, mitten im Herzen der arabisch-muslimischen Welt einen souvernen Staat von Unglubigen zu errichten? Das war eine un-ertrgliche Krnkung des Glaubens- und Nationalstolzes. Der Schock vertiefte sich noch, als der deswe-gen entfesselte 1. Heilige Krieg 1948 schmhlich verloren ging, und die folgenden vier Kriege alle nur zur territorialen Vergrerung des verhassten jdischen Staates fhrten. Die einfachste Erklrung war der Rckgriff auf die alte Weltverschwrungstheorie.

    Die "jdische Verschwrung" als Schlange: ausgehend von Palstina ist die Verschwrung mit der Grndung Israels wieder nach Palstina zurckgekehrt

    Hatten nicht die russischen und franzsischen Antisemiten schon Anfang des 20. Jahrhunderts den Weg der "symbolischen Schlange" prophezeit? Die Schlange Juda windet sich von Palstina aus im Lauf der Jahrhunderte durch alle europischen Lnder und kehrt mit der zionistischen Immigration wieder an ihren Ausgangspunkt zurck. Die Protokolle verliehen dem Konflikt zwischen Arabern und Juden eine manich-ische, eschatologische Dimension und schienen den Kampf damit von der Ebene eines zwischenstaatli-chen Konflikts auf das Niveau eines welthistorischen religisen Ringens zu heben. Wie wir bereits gese-hen haben, ist es diese religise Dimension, die dem Mythos erst seine volle verderbliche Dynamik entfal-ten lsst.

    Ein typischer Vertreter dieser Richtung war der iranische Revolutionsfhrer Ayatollah Khomeini. Nach sei-ner Lehre sind die Juden "Feinde Gottes", die mit Untersttzung des "Groen Satans" (=USA) versuchen, dem Iran ihre verwerflichen Werte aufzuzwingen und aus moslemischen Arabern in Palstina elende Va-gabunden zu machen. Ergo: "Der Zionismus ist daher der grte Feind der ganzen Menschheit!"

    Dementsprechend druckte die iranische Zeitschrift "Imam", die in London herausgegeben wird, im Jahre 1984 ausfhrliche Auszge aus den Protokollen ab. In der Einleitung heit es: "Die Ergebnisse der Politik Israels und der USA beweisen, dass die Protokolle der Weisen von Zion von den jdisch beeinflussten westlichen Regierungen Wort fr Wort befolgt werden. Die Israelis sind die wahren Nachkommen der Weisen von Zion und nicht nur eine Gefahr fr die islamischen, sondern fr alle menschlichen Gesell-schaften!" Getreu den Empfehlungen der Weisen von Zion htten die herrschenden Zionisten die westli-chen Staaten die Trivialisierung der Kultur, den verderblichen Luxus, den Atheismus, die Prostitution, die Homosexualitt und die Pornographie gefrdert und legalisiert, um die "geistige Persnlichkeit" der islami-

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    schen Nationen dem Untergang zu weihen. Folgerichtig erklrte der UNO-Vertreter des islamischen Got-tesstaates Iran ffentlich: "Das Problem Israel wird sich bald erledigen, wenn die islamischen Lnder die Endlsung realisieren und den Zionismus wie einen Krebstumor entfernen werden!"

    Die Beseitigung Israels gilt den fanatischsten Fundamentalisten jedoch lediglich als eine Etappe auf dem Weg zum eigentlichen Ziel: der Wiedereroberung der moslemisch-arabischen Welt im Namen des wahren Glaubens und dem entscheidenden "Dschi-had" gegen den gottlosen und verdorbenen Westen. Man sieht: "NIHIL NOVI EX ARABIA!" Die Fanatiker jedweder Schattierung gleichen einander, und nirgends auf der Welt scheut man zur Erreichung verbrecherischer Ziele vor der Benutzung verbrecherischer Mittel zurck!

    B) Der Ostblock1.UdSSRDer zweite geopolitische Groraum, in dem auch nach 1945 noch der antisemitische Weizen krftig blh-te, war das kommunistisch gewordene Osteuropa mit seiner Vormacht, der sptstalinistischen Sowjetuni-on.

    Nach der Oktoberrevolution hatten die Juden in Ruland die staatsbrgerliche Gleichberechtigung erhal-ten und waren vielfach sehr schnell aus ihrem bisherigen Ghettodasein ausgestiegen, hatten sich assimi-liert, die neuen Bildungschancen gentzt, die eigenen religisen Traditionen abgeworfen und waren auch innerhalb der kommunistischen Bewegung aktiv geworden.

    Auch in der politischen Linken Mittel- und Westeuropas waren Menschen jdischer Herkunft berproporti-onal und fhrend aktiv ("jdischer Bolschewismus"). Luxemburg, Liebknecht, Bernstein, Kautsky, Eisler, in sterreich Viktor Adler, Otto Bauer bis zu Josef Hindels und Bruno Kreisky decken diese Zuordnung ab, die Ursachen dafr lagen aber in den Emanzipationsmglichkeiten in der politischen Linken (und durch sie) und nicht in irgendwelchen rassischen Eigenschaften oder geheimen Verschwrungen.

    In der Sowjetunion hatten in den Zwanziger- und Dreiigerjahren staatliche Maregelungen gegen jdi-sche Einrichtungen nicht aus antisemitischen Grnden, sondern aus skularen, antireligisen Motiven Platz gegriffen, die auch alle anderen Glaubensgemeinschaften trafen. Erwnscht war und gefrdert wur-de die Assimilation, wenn auch mit einem gewissen russisch-nationalen Hintergrund, aber das betraf gleichfalls alle nationalen Minderheiten und nicht die jdische Minderheit alleine.

    Stalins politischer Terror der Dreiigerjahre traf auch zahlreiche jdische Persnlichkeiten. Allerdings hat-te dies machtpolitische und keine rassistischen Hintergrnde. Bekannte sowjetische Politiker jdischer Herkunft, die diesem Terror zum Opfer fielen, waren beispielsweise Kamenew, Sinowjew und Radek.

    L.B. Kamenew (1883-1936) - G.J. Sinowjew (1883-1936) - Karl Radek (1885-1939)

    Die Ablse des jdischen Auenministers Litwinow durch Molotow im Mai 1939 war (noch) keine antise-mitische Manahme, sondern ein taktischer Winkelzug gewesen (im Vorfeld des Hitler-Stalin-Paktes vom August 1939 - auch whrend des trotzdem folgenden "Ostfeldzuges" blieb vorerst das nazistische Propa-gandabild vom "jdischen Bolschewismus" erfolgreich, Juden galten grundstzlich als bolschewistische Aktivisten, Funktionre oder Partisanen, erst nach der deutschen Niederlage in Stalingrad verschwand die Bezeichnung "jdisch" vorm "Bolschewismus", weil eine militrische Niederlage gegen Jdisches, das ging dann doch nicht!).

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    Die Bildung des Staates Israel hatte die UdSSR untersttzt (sogar durch Waffenlieferungen via CSR fr den Kampf gegen die englischen Palstina-Mandatstrger) Systematische "antizionistische" Manahmen gab es erst als sich der neue Staat Israel entschieden den USA zuneigte. Stalins antisemitische Grund-einstellung fand nun ein reges Bettigungsfeld. Die historische Forschung ist sich inzwischen ziemlich si-cher geworden, dass auch Stalin an die Protokolle glaubte, nur dauerte es zwanzig Jahre lnger, bis er sich die Vorstellung der Nazis von der jdischen Weltverschwrung ganz zu eigen machte.

    Nichts Anderes verbarg sich nmlich hinter den stalinistischen Euphemismen wie "bourgeoiser Zionismus" oder "wurzelloser Kosmopolitismus" etc. Nach Kriegsende fhrte Stalin eine scharfe Kampagne gegen "nationalistische Abweichler", das betraf - neben den nationalistischen Strmungen aus denen whrend des Krieges die NS-Kollaborateure hervorgegangen waren (die Bandera-Banden in der Ukraine z.B.) - in der Folge auch die Juden, unter denen durch die Grndung des Staates Israel assimilationshemmende Stimmungen aufkommen konnten. Das Ergebnis der Kampagne war die Vernichtung der letzten Reste j-discher Kultur und jiddischer Sprache in der Sowjetunion. Diese Offensive begann Ende 1948 und gipfelte in der groen "Anti-Kosmopolitismus-Kampagne" (1949-1953).

    Josef Stalin

    Beginnend mit der Ermordung des groen jdischen Schauspielers Shlomo Michoels (dem Vorsitzenden des JDISCHEN ANTIFASCHISTISCHEN KOMITEES) durch Stalins Geheimpolizei im Januar 1948 wur-den in den "Fnf schwarzen Jahren des sowjetischen Judentums" die letzten Relikte der jdischen Kultur ausgetilgt. Am 12.8.1952 wurde auf Befehl Stalins die Elite der jiddischen sowjetischen Schriftsteller, dar-unter die weltberhmten Dichter Perez Markisch, ltzik Fejfer und David Bergelson, hingerichtet. Den H-hepunkt des schmutzigen Hassfeldzuges bildete das sogenannte "rztekomplott" von Anfang 1953. Die angeklagten rzte, unter ihnen auch Stalins Leibrzte, waren fast alle Juden und wurden bezichtigt, Mordplne gegen Stalin und andere Sowjetfhrer geschmiedet zu haben und mit zionistischen Spionen und amerikanischen und britischen Agenten im Bunde zu sein. Nur der Tod Stalins am 5.3.1953 verhin-derte ein landesweites Pogrom und die geplante Massendeportation der russischen Juden nach Sibirien.

    In die Zeit der frhen Fnfzigerjahre fiel auch der erste Versuch Stalins, seinen hausgemachten Antisemi-tismus in die sowjetischen Satellitenstaaten zu exportieren. Dahinter stand das Kalkl, auf diese Weise die ideologische Einheit der sozialistischen Brudervlker zu zementieren. Als Experimentierfeld fr diesen Versuch whlte Stalin berraschenderweise die Tschechoslowakei, die seit 1948 unter dem Regime des Stalinisten Klement Gottwald stand.

    Klement Gottwald, der Statthalter Stalins in Prag

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    2. CSSRDie Tschechoslowakei hatte als einziger Satellitenstaat, eine lngere demokratische Tradition, die tsche-chische Kommunistische Partei war seit jeher stolz auf ihren Internationalismus, und der Antisemitismus war in den bhmischen Lndern nie so stark gewesen wie im brigen Osteuropa. Noch dazu hatte die CSSR auf russischen Wunsch Israel im ersten Nahostkrieg 1948 reichlich mit Waffen und Munition belie-fert. Aber genau an diesem Punkt hakte Stalin ein und beschuldigte nur drei Jahre spter unter anderem wegen dieser Waffengeschfte (die auf seinen eigenen Befehl gettigt worden waren!) einen Teil der tschechoslowakischen KP-Fhrung der prozionistischen und antisowjetischen Agententtigkeit. Angeklagt wurden der Generalsekretr der KPC, Rudolf Slansk, sowie 13 weitere fhrende Staats- und Parteifunk-tionre.

    Rudolf Slansk

    Die moskauhrige tschechische Presse wurde nicht mde, zu betonen, dass Slansky eigentlich Rudolf Salzmann hie, und dass er und zehn der restlichen Angeklagten jdischer Abstammung waren. Whrend Auenminister Clementis und zwei andere Angeklagte als "Slowaken", respektive "Tschechen" bezeichnet wurden, waren den Namen der anderen elf in den Akten die Worte "jdischer Abstammung" beigefgt. In den Fllen, wo deren Namen nicht jdisch klangen, wurden in den Akten und im Urteil (!) die ursprngli-chen Namen angefhrt, also "Slansk, alias Salzmann", "Ludvik Frejka, alias Ludwig Freund", "Andre Si-mone, alias Otto Katz"..

    Der antisemitische Charakter des Prozesses erschpfte sich nicht in der Beschreibung der Mnner auf der Anklagebank, sondern zahlreiche andere Juden wurden als Mitverschwrer genannt, lebende wie to-te: Angefangen mit Georges Mandel, ehemaliger franzsischer Kolonialminister, ber den Obersten Rich-ter Israels, S. Frankfurter und Henry Morgenthau jr., Finanzminister unter Roosevelt, bis zu Moshe Pijade, jugoslawischer Chefideologe und enger Freund des Erzfeindes Tito. Getreu der Vorlage in den Protokol-len wurde eine zionistische Geheimkonferenz in Washington zusammenfabuliert mit Truman, Acheson, Morgenthau, Ben Gurion, Moshe Scharett und Slansk als Teilnehmern, wobei es keine Rolle spielte, dass Slansk niemals in Amerika gewesen war! Bei diesem konspirativen Treffen versprach angeblich Slansk, "von Natur aus Zionist und Agent der Grobourgeoisie", als Gegenleistung fr die militrische Untersttzung Israels durch die USA die Unterwanderung smtlicher Volksdemokratien durch seinen jdi-schen Spionagering.

    Die Anklage lautete auf "Bildung einer trotzkistisch-titoistisch-zionistischen Verschwrung", die den Um-sturz der sozialistischen Gesellschaftsordnung der CSSR plante. Zweifellos wurden die Angeklagten auf Wunsch Stalins ganz im Sinne des alten Verschwrungsmythos beschuldigt, zu diesem Zweck mit den Is-raelis und den Juden in aller Welt zusammenzuarbeiten. Es sollte deutlich werden, dass dieser "Suprana-tionalismus der Juden" im ganzen Ostblock weiterlebte! Der Chefanklger gegen Slansk und Genossen war Major Smola, ein berchtigter Antisemit und Bewunderer Hitlers.

    Arthur London, stellvertretender tschechoslowakischer Auenminister, Mitangeklagter und selber Jude, der sein berleben wahrscheinlich nur der Tatsache verdankte, dass sein Schwager Mitglied des Politb-ros der franzsischen KP war, schreibt in seinem Buch: "Ich gestehe" ber die Methoden des Staatsan-walts Smol: "Er packte mich an der Gurgel und brllte