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29 Was sind miRNAs? miRNAs bestehen aus etwa 22 Nukleotiden, die im Genom codiert sind. Sie wurden erst- mals 1993 bei einem Fadenwurm beschrie- ben. 2 miRNAs können an jeder Stelle des Genoms – innerhalb von Exons oder Introns proteincodierender Gene oder in nichtco- dierenden Regionen – lokalisiert sein. Nur wenige miRNAs werden gleichzeitig als Cluster transkribiert. miRNAs kontrollieren funktionell schät- zungsweise bis zu 60 % der menschlichen Gene. Sie regulieren die Genaktivität, indem sie sich an spezifische Bereiche gerade transkribierter mRNA anlagern. Die teilweise Übereinstimmung der miRNA- Basensequenz mit der Ziel-mRNA hemmt deren Translation zum Protein. Bei hoher Komplementarität wird die Ziel-mRNA komplett abgebaut. 3 Dieser Mechanismus ist mit der medizinisch und experimentell bereits genutzten RNA-Interferenz nahe verwandt. miRNAs zeigen sehr unterschiedliche Expressionsmuster und werden in der Ent- wicklung des Organismus und in physiolo- gischen Prozessen unterschiedlich reguliert. 4 Die Expression ist zum Teil gewebespe- MicroRNAs (miRNAs) 1 spielen eine bedeu- tende Rolle bei der posttranskriptionellen Genregulation. Sie beeinflussen die Regula- tion von ~60 % aller menschlichen Gene, bei- spielsweise solche, die für Zellfunktionen der Organe oder die Feinabstimmung des Stoff- wechsels verantwortlich sind. Bei Zellunter- gang, Entzündungsprozessen, degenerativen Erkrankungen, Stoffwechselstörungen und Tumoren gelangen miRNAs in die Blutzir- kulation. Es gibt Hinweise darauf, dass zir- kulierende miRNAs funktionell aktiv sind und möglicherweise auch aus der Nahrung resorbiert werden. Noch steht der eindeutige Nachweis eines Zusammenhangs zwischen miRNAs und definierten Krankheitsphäno- typen aus. Experimentelle Studien jedoch bestärken die Vermutung, dass sich die Detektion von miRNAs bzw. die Dysregula- tion ihrer Expression für prognostische und diagnostische Aussagen nutzen lässt. Zirku- lierende miRNAs als potenzielle Biomarker für verschiedene Organfunktionen haben per se sehr gute Voraussetzungen für eine prak- tikable Analytik und könnten zukunftswei- send für die Labordiagnostik sein. Darüber hinaus sind miRNAs auch Zielmoleküle für neuartige Therapieansätze. Erste Wirkstoffe befinden sich in der klinischen Phase der Prüfung. fotolia/Thaut Images Zirkulierende MicroRNAs Neuartige Biomarker am Horizont? Prof. Dr. med. Joachim Thiery, Prof. Dr. Ralph Burkhardt und Madlen Häntzsch, Universitätsklinikum Leipzig zifisch und eng mit benachbarten Genen organisiert. miRNAs finden sich auch im Blut, wo sie via Mikropartikel oder Exosomen 5,6 bzw. an HDL gebunden 7 zirkulieren. Über den Prozess der zellulären Freisetzung ist wenig bekannt. Möglicherweise werden miRNAs als Beiprodukte apoptotischer Vorgänge pas- siv in die Zirkulation entlassen. Es könnte sich aber auch um einen aktiven Prozess handeln, bei dem miRNAs mit anderen Proteinen/Rezeptoren etc. interagieren. 8 Der Exosom- bzw. Lipoprotein-gebundene Transport sichert den miRNAs eine sehr hohe Stabilität und schützt sie effektiv vor dem Angriff endogener RNAsen. Im Gegen- satz zum Proteom verändern sich miRNAs in humanen Plasmaproben weder tempera- turabhängig noch bei mehrmaligen Einfrier- Auftau-Zyklen. 9,10 miRNAs haben mitunter eine hohe Verweildauer im Blut und könnten in Zielorganen funktionell aktiv werden. Für einen potenziellen Einsatz als Biomarker bringen miRNAs wichtige Vorteile mit: O hohe Stabilität O relativ einfache, schnelle Nachweisbar- keit mit etablierten Methoden (s.u.) O Vorkommen in verschiedenen Biomate- Zirkulierende miRNAs könnten für die Dia- gnose und Prognose verschiedener Erkran- kungen sowie als Ziel- moleküle für neuartige Therapieansätze hilf- reich sein. Diagnostik im Dialog • Ausgabe 46 • 04/2015 | Zirkulierende MicroRNAs | Medizin von Morgen

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Was sind miRNAs? miRNAs bestehen aus etwa 22 Nukleotiden, die im Genom codiert sind. Sie wurden erst-mals 1993 bei einem Fadenwurm beschrie-ben.2 miRNAs können an jeder Stelle des Genoms – innerhalb von Exons oder Introns proteincodierender Gene oder in nichtco-dierenden Regionen – lokalisiert sein. Nur wenige miRNAs werden gleichzeitig als Cluster transkribiert.

miRNAs kontrollieren funktionell schät-zungsweise bis zu 60 % der menschlichen Gene. Sie regulieren die Genaktivität, indem sie sich an spezifische Bereiche gerade transkribierter mRNA anlagern. Die teilweise Übereinstimmung der miRNA-Basensequenz mit der Ziel-mRNA hemmt deren Translation zum Protein. Bei hoher Komplementarität wird die Ziel-mRNA komplett abgebaut.3 Dieser Mechanismus ist mit der medizinisch und experimentell bereits genutzten RNA-Interferenz nahe verwandt.

miRNAs zeigen sehr unterschiedliche Expressionsmuster und werden in der Ent-wicklung des Organismus und in physiolo-gischen Prozessen unterschiedlich reguliert.4 Die Expression ist zum Teil gewebespe-

MicroRNAs (miRNAs)1 spielen eine bedeu-tende Rolle bei der posttranskriptionellen Genregulation. Sie beeinflussen die Regula-tion von ~60 % aller menschlichen Gene, bei-spielsweise solche, die für Zellfunktionen der Organe oder die Feinabstimmung des Stoff-wechsels verantwortlich sind. Bei Zellunter-gang, Entzündungsprozessen, degenerativen Erkrankungen, Stoffwechselstörungen und Tumoren gelangen miRNAs in die Blutzir-kulation. Es gibt Hinweise darauf, dass zir-kulierende miRNAs funktionell aktiv sind und möglicherweise auch aus der Nahrung resorbiert werden. Noch steht der eindeutige Nachweis eines Zusammenhangs zwischen miRNAs und definierten Krankheitsphäno-typen aus. Experimentelle Studien jedoch bestärken die Vermutung, dass sich die Detektion von miRNAs bzw. die Dysregula-tion ihrer Expression für prognostische und diagnostische Aussagen nutzen lässt. Zirku-lierende miRNAs als potenzielle Biomarker für verschiedene Organfunktionen haben per se sehr gute Voraussetzungen für eine prak-tikable Analytik und könnten zukunftswei-send für die Labordiagnostik sein. Darüber hinaus sind miRNAs auch Zielmoleküle für neuartige Therapieansätze. Erste Wirkstoffe befinden sich in der klinischen Phase der Prüfung.

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Zirkulierende MicroRNAsNeuartige Biomarker am Horizont?Prof. Dr. med. Joachim Thiery, Prof. Dr. Ralph Burkhardt und Madlen Häntzsch, Universitätsklinikum Leipzig

zifisch und eng mit benachbarten Genen organisiert.

miRNAs finden sich auch im Blut, wo sie via Mikropartikel oder Exosomen5,6 bzw. an HDL gebunden7 zirkulieren. Über den Prozess der zellulären Freisetzung ist wenig bekannt. Möglicherweise werden miRNAs als Beiprodukte apoptotischer Vorgänge pas-siv in die Zirkulation entlassen. Es könnte sich aber auch um einen aktiven Prozess handeln, bei dem miRNAs mit anderen Proteinen/Rezeptoren etc. interagieren.8 Der Exosom- bzw. Lipoprotein-gebundene Transport sichert den miRNAs eine sehr hohe Stabilität und schützt sie effektiv vor dem Angriff endogener RNAsen. Im Gegen-satz zum Proteom verändern sich miRNAs in humanen Plasmaproben weder tempera-turabhängig noch bei mehrmaligen Einfrier-Auftau-Zyklen.9,10 miRNAs haben mitunter eine hohe Verweildauer im Blut und könnten in Zielorganen funktionell aktiv werden.

Für einen potenziellen Einsatz als Biomarker bringen miRNAs wichtige Vorteile mit:O hohe Stabilität O relativ einfache, schnelle Nachweisbar-

keit mit etablierten Methoden (s.u.)O Vorkommen in verschiedenen Biomate-

Zirkulierende miRNAs könnten für die Dia-gnose und Prognose verschiedener Erkran-kungen sowie als Ziel-moleküle für neuartige Therapieansätze hilf-reich sein.

Diagnostik im Dialog • Ausgabe 46 • 04/2015 | Zirkulierende MicroRNAs | Medizin von Morgen

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Experimentelle Studien an Zellen, Geweben oder Maus- modellen belegen einen Einfluss von miRNAs auf die Zellfunktion und die Pathogenese verschie- dener Erkrankungen.

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rialien, wie Plasma, Serum, Urin, Liquor, Speichel, Tränenflüssigkeit11

O hohe Gewebespezifität einzelner miRNA-Spezies.

Wie lassen sich miRNAs nachweisen?Folgende Methoden eignen sich zum Nach-weis zirkulierender miRNA: O Quantitative Real-time-PCR (qRT-PCR):

Bekannte miRNA-Spezies lassen sich über etablierte qRT-PCR-Ansätze schnell nachweisen. Hochspezifische Assays mit spezifischen Primern stehen zur Verfü-gung. Das ermöglicht es, Proben schnell und mit geringem bioinformatischen Aufwand zu analysieren. Allerdings ist die Anzahl der gleichzeitig detektierbaren miRNA-Spezies in einem Ansatz limitiert.

O MicroRNA Microarray: Ein Microarray dient der gleichzeitigen Bestimmung hunderter von miRNAs und eignet sich für einen größeren Probendurchsatz. Die Sequenz der zu detektierenden miRNAs muss bekannt sein, neue miRNA-Spezies werden nicht detektiert.

O miRNA Sequencing: Die Sequenzierung aller miRNAs in einer Probe mittels Hochdurchsatz-Sequenzierung (Next-Generation Sequencing) erfasst bekannte und bisher unbekannte, neue Spezies. Bei ausreichender Sequenziertiefe gelingt auch die Detektion sehr schwach expri-mierter Spezies. Allerdings ist für die Auswertung umfangreichere bioinforma-tische Expertise erforderlich.

Heute sind bereits über 1800 miRNAs beim Menschen nachgewiesen. Allein im Plasma

konnten 450–600 miRNA-Spezies detektiert werden.12 Mit der zunehmenden Verfügbar-keit kostengünstiger Sequenzierstrategien richtet sich das Interesse auf die Detektion weiterer miRNAs.

Klinische Relevanz?Die entscheidende Frage für die labormedi-zinische Diagnostik lautet: Ist der Nachweis von miRNA-Spezies von klinischer Rele-vanz? Die klinische Bedeutung zirkulie-render miRNAs beim Menschen ist gegen-wärtig nur unzureichend erforscht. Es gibt experimentelle Untersuchungen an Gewebe und Zellen, etwa zur Rolle von miRNAs bei der Tumorentstehung, der embryonalen Organogenese und der Stammzellbiologie. Andere Untersuchungen zur Funktion zir-kulierender miRNAs stammen vorwiegend aus Mausmodellen. Studien beim Menschen befinden sich noch in der Anfangsphase.13

Die Ergebnisse zahlreicher experimenteller Studien belegen einen Einfluss von miRNAs auf die Zellfunktion und die Pathogenese verschiedener Erkrankungen (Tab.  1). Ihr Nachweis bzw. die Dysregulation der Expres-sion könnte sich vielleicht für prognostische und diagnostische Aussagen nutzen lassen, beispielsweise bei Tumoren14–16 oder kardio-vaskulären Erkrankungen.17–21

Von großem Vorteil hierbei ist die Gewe-bespezifität bestimmter miRNA-Spezies. Es handelt sich quasi um eine „zirkulierende Signatur“, die zur Krankheitsdiagnose ein-setzbar wäre, z.  B. zur Tumordetektion in frühen Stadien, wenn herkömmliche Mar-

ker noch unter der Nachweisgrenze liegen.22

Weitere denkbare Anwendungsgebiete in der Onkologie sind: O Hinweis auf einen unbekannten Primär-

tumor bei MetastasenO individuelle Prognose eines Krankheits-

verlaufes und Therapieerfolges O Anpassung von Behandlungsstrategien

und längerfristiges Therapiemonitoring.

miRNAs besitzen auch wesentliche Effekte im Lipidstoffwechsel und sind an der Ent-stehung und Progression atheroskleroti-scher Läsionen beteiligt. Mehrere Arbeits-gruppen haben beispielsweise gezeigt, dass die miRNA-33a und miRNA-33b in Schlüsselgenen des Cholesterinstoffwech-sels (SREBF1 und SREBF2) eingebettet sind.23,24 SREBF1 und SREBF2 codieren für Transkriptionsfaktoren, welche die Expres-sion einer Reihe von Zielgenen steuern, die mit der Cholesterinbiosynthese, dem Cholesterintransport und der Oxidation von Fettsäuren in Zusammenhang ste-hen. Bei einer initialen Transkription der SREBPs werden miR-33a/b ko-exprimiert. Sie wiederum regulieren reziprok Gene, die in den reversen Cholesterintransport, die HDL (high-density-lipoprotein)-Pro-duktion, die Fettsäureoxidation und den VLDL (very low density lipoprotein)-Triglyzeridstoffwechsel involviert sind. Erst dieses Zusammenspiel ergibt eine ausgeglichene Balance der Cholesterin- und Triglyzeridkonzentration in der Zelle. Eine gestörte Genregulation kann zur Entstehung und Progression der Athero- sklerose beitragen.

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MiR-33a/b könnten auch eine funktionelle Rolle bei diabetischer Stoffwechsellage und Metabolischem Syndrom einnehmen. Die erhöhte SREBF1-Transkription bei Hyper-insulinämie ist mit einem dramatischen Anstieg der miR-33b-Expression assoziiert. Das lässt einen ursächlichen Zusammenhang der miR-33-Wirkung mit dem Phänotyp des Metabolischen Syndroms (Hyperinsulinä-mie, niedrige HDL, hohe Triglyzeridkon-zentrationen) vermuten.25

In ersten Untersuchungen an Plasmaproben einer Teilkohorte der Leipzig LIFE-Herz-

kohorte (n=7000 koronarangiographierte Patienten) fanden wir nach Sequenzierung zirkulierender miRNAs wesentliche Unter-schiede in den Profilen von herzgesunden und herzkranken Patienten mit interventi-onsbedürftiger Koronarstenose. Im nächsten Schritt haben wir die Kandidaten mit den stärksten Expressionsunterschieden identi-fiziert (Abb.  1). Diese könnten besonders vielversprechend sein – sie werden jetzt in der Gesamtkohorte der LIFE-Leipzig-Herzstudie validiert. Möglicherweise helfen diese miRNAs, das individuelle Risiko eines Patienten für einen Herzinfarkt noch bes-

ser abzuschätzen oder auch eine drohende Plaque-Ruptur zu erkennen und gezielte Intervention einzuleiten.

Zirkulierende miRNAs aus der Nahrung?Die Resorption von miRNAs mit der Nah-rung und ihre funktionelle Aktivität in der Zirkulation sind umstritten. Eine chinesi-sche Arbeitsgruppe hat kürzlich im Maus-model und an humanen Zellkulturen den Nachweis geführt, dass sich miRNAs aus der Nahrung auch im Blut finden und den Lipid-stoffwechsel beeinflussen könnten.26 Kon-kret handelt es sich um Pflanzen-miR168a aus dem Reis, die nicht endogen gebildet wird und ausschließlich über die Nahrung (auch bei gekochtem Reis) aufgenommen wird. Resorbierte miR168a inhibiert in der Leber die Synthese des LDLRAP1-Proteins, das für den Lipidstoffwechsel und die Tri-glyzeridsynthese von Bedeutung ist. Die funktionelle Verifizierung dieser Beobach-tung am Menschen steht noch aus. Es ist aber durchaus nicht auszuschließen, dass mit der Nahrung aufgenommene miRNAs einen größeren Einfluss auf physiologische und pathophysiologische Vorgänge besitzen als bisher gedacht.

Therapieoptionen?Therapeutische Strategien im Hinblick auf miRNAs verfolgen zwei Wege:O miRNA-Inhibitoren: Einzelsträngige

Antisense-Oligonukleotide (sog. anti-miR oder antagomiR) binden kom-plementär an endogene miRNAs. Das entstehende miRNA-Duplex kann nicht mehr an mRNA-Targets binden und deren Translation beeinflussen. Die Pro-teinsynthese wird gehemmt.

O miRNA Mimics: Diese RNA-Duplex-

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Tab. 1: Krankheiten und assoziierte miRNAs (aus 27)

miRNAs bei verschiedenen Erkrankungen

Erkrankungen miRNA

Krebserkrankungen Brustkrebs miR-125b, miR-145, miR-21, miR-155, miR-210

Lungenkrebs miR-155, let-7a

Leberkrebs miR-29b

B-CLL miR-15, miR-16

Magenkrebs miR-45

Virale Erkrankungen HCV miR-122, miR-155

HIV-1 miR-28, miR-125b, miR-150, miR-223, miR-382

Influenza miR-21, miR-223

Immunologische Erkrankungen

Multiple Sklerose miR-145, miR-34a, miR-155, miR-326

Systemischer Lupus erythematodes

miR-146a

Diabetes Typ II miR-144, miR-146a, miR-150, miR-182, miR-103, miR-107

Neurodegenerative Erkrankungen

Parkinson miR-30, miR-30c, miR-26a, miR-133b, let-7

Alzheimer miR-29b-1, miR-29, miR-9

Herzerkrankungen Atherosklerose miR-33

Herzinfarkt miR-208

Es ist nicht auszuschließen, dass mit der Nahrung aufge- nommene miRNAs auch physiologische und patho- physiologische Vorgänge in vivo beeinflussen.

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Moleküle ersetzen miRNA, die von kranken Zellen kaum oder nicht mehr exprimieren werden („Replacement-Therapie“). Letztlich übernehmen die

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Abb. 1: Genexpressionsprofil basierend auf RNA Sequencing. Jedes Feld markiert die Expression eines Gens, wobei die Farben für die Expressionsstärke codieren (rot=stark expri-miert, blau=schwach exprimiert). F=Fall (mani-feste koronare Herzerkrankung) und K=Kontrolle (koronarangiografisch unauffälliger Befund).

synthetischen miRNAs die Eigenschaften der endogenen miRNAs und hemmen gezielt die Proteinbiosynthese.

Beispiel einer konkreten therapeutischen Anwendung (derzeit in Phase  II) ist ein AntagomiR gegen miR122, die spezifisch in der Leber vorkommt und eine wichtige Rolle im Lebenszyklus des Hepatitis-C-Virus spielt. Nach den bisherigen Ergebnis-sen nimmt durch die Hemmung von miR122 die Viruslast bei HCV-infizierten Patienten deutlich ab.

In Phase I befindet sich die Anwendungs-untersuchung von miR-34 (MRX34) als RNA-Mimic zur Behandlung inoperabler primärer Lebertumore bzw. Lebermeta-stasen. Präklinische Untersuchungen an Mausmodellen zeigten, dass die Expres-sion von Onkogenen gehemmt und damit die Tumorregression induziert wird. Die ersten humanen Daten an Patienten sollen 2015 veröffentlicht werden.

FazitZirkulierende miRNAs lassen sich über verschiedene etablierte Methoden einfach nachweisen. Es handelt sind um funktionell wirkende Biomarker, die zum Verständnis der Pathogenese und Pathophysiologie vie-ler Krankheiten beitragen werden. Darüber hinaus könnten sie für die Diagnose und Prognose sowie als Zielmoleküle für neu-artige Therapieansätze hilfreich sein. Expe-rimentelle Ergebnisse beflügeln die Hoff-nung auf ein großes Potenzial zirkulierender miRNAs. Jetzt sind groß angelegte klinische Studien mit tiefgehender Phänotypisierung notwendig, um den medizinischen Nut-zen einer gezielten Analytik zirkulierender

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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Joachim Thiery Direktor des Instituts für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik Universitätsklinikum Leipzig AöR Paul-List-Str. 13–15 04109 Leipzig [email protected]

Die Gewebespezifität von miRNA-Spezies gleicht einer

„zirkulierenden Signatur“, die sich zur Krankheits- diagnose eignen könnte.

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miRNAs für die Prävention, Diagnostik und Therapiekontrolle zu belegen.