Zu Besuch in Georg Reitmaiers Terrarium der Superlative · 2016-02-10 · Firma Bugs International...

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REPTILIA Titelthema 29 V iele Terrarianer werden vom Traum nach dem Stück Natur im Wohnzimmer geleitet. Georg Reitmaier hat ihn bei sich zu Hause verwirklicht – mit einer Riesenan- lage, die Regenwaldhalle, Meer- und Süßwasseraquarium in einem ist. Die perfekte Heimstatt für Anolis, Geckos und Pfeilgiftfrösche. Text und Fotos von Heiko Werning „Aber vergiss nicht, die Badehose und ein Fernglas einzupacken“, mahnte Georg Reitmaier mich am Telefon, als wir den Termin zur Besichtigung seines Terrariums ausmachten. Und ich müsse auf jeden Fall übernachten, um morgens rechtzeitig nach Sonnenaufgang, also dem Einschalten der Be- leuchtung, vor Ort zu sein, da hätte ich die besten Chancen, die Tiere zu sehen. Normalerweise würde ich bei derartigen Ankündigungen eher ein beruhigendes „ja, ja“ murmeln; ich habe in den letzten 17 Jahren, die ich jetzt für REPTILIA ar- beite, schon ziemlich viel gesehen und halte den Ball daher routinemäßig flach. Im Fall Reitmaier aber packte ich Badehose und Teleobjektiv sicherheitshalber dann doch lieber ein. Fünf Jahre zuvor hatte ich für eine Reportage über eine kommerzielle Futter- tierzucht erstmals mit der Firma Bugs International zu tun (WERNING 2008), die mit ihren unverkenn- baren Werbeanzeigen in REPTILIA und TERRARIA/ elaphe wohl inzwischen je- dem in der Szene ein Begriff ist. Sie war (und ist bis heute) der einzige Futter- zuchtbetrieb in Deutschland, der auf unsere Anfrage, mal hinter die Kulissen der Insektenproduktion blicken zu dürfen, positiv reagiert hatte. Es war eindrucksvoll. Allein die Größe der Firma und die im- posante Zahl an Mitarbeitern (ca. 120) und Insekten (wahrscheinlich 120 Milli- arden, grob geschätzt) ist schier erschla- gend, dazu kommt die penible Hygiene, mit der dort gearbeitet wird, inklusive einer Industrie-Waschstraße für die Zucht- behälter, Riesen-Waschmaschinen für die Tränk-Schwämme und einer Ehrfurcht gebietenden Haustechnik, die trotz der wimmelnden Heerscharen für eine fast irritierend gute Luft sorgt – wer je selbst versuchte, Insekten zu züch- ten, weiß das zu schätzen und zieht seinen Hut. Dass die so gezüchteten Wirbel- losen nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ überzeugen, kann ich in- zwischen aus eigener Anschauung guten Gewissens behaupten, seit ich meine hei- mischen Leguane mit den Bugs aus dem Allgäu versorge. So besonders, wie auch die Werbung ist, so sind auch Betrieb 28 REPTILIA Titelthema P a c k d i e B a d e h o s e e i n Zu Besuch in Georg Reitmaiers Terrarium der Superlative Titelthema Penible Hygiene inklu- sive einer Industrie- Waschanlage und Ehr- furcht gebietender Haustechnik Blick von der „Aussichtsplattform“ der Tempelruine zum Eingangsbereich Links: Blick vom Eingangsbereich in das Terrarium Rechts oben: Anolis distichus Rechts unten: Ein imposanter Gabelbart

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REPTILIA Titelthema29

Viele Terrarianer werden vom

Traum nach dem Stück Natur

im Wohnzimmer geleitet. Georg

Reitmaier hat ihn bei sich zu Hause

verwirklicht – mit einer Riesenan-

lage, die Regenwaldhalle, Meer-

und Süßwasseraquarium in einem

ist. Die perfekte Heimstatt für Anolis,

Geckos und Pfeilgiftfrösche.

Text und Fotos von

Heiko Werning

„Aber vergiss nicht, die Badehose undein Fernglas einzupacken“, mahnte GeorgReitmaier mich am Telefon, als wir denTermin zur Besichtigung seines Terrariumsausmachten. Und ich müsse auf jedenFall übernachten, um morgens rechtzeitignach Sonnenaufgang, also dem Einschalten

derBe-

leuchtung, vor Ort zu sein, da hätte ichdie besten Chancen, die Tiere zu sehen. Normalerweise würde ich bei derartigenAnkündigungen eher ein beruhigendes„ja, ja“ murmeln; ich habe in den letzten17 Jahren, die ich jetzt für REPTILIA ar-beite, schon ziemlich viel gesehen undhalte den Ball daher routinemäßig flach.Im Fall Reitmaier aber packte ich Badehoseund Teleobjektiv sicherheitshalber danndoch lieber ein.Fünf Jahre zuvor hatte ichfür eine Reportage übereine kommerzielle Futter-tierzucht erstmals mit derFirma Bugs Internationalzu tun (WERNING 2008),die mit ihren unverkenn-baren Werbeanzeigen inREPTILIA und TERRARIA/ela phe wohl inzwischen je-dem in der Szene ein Begriff ist. Sie war(und ist bis heute) der einzige Futter-zuchtbetrieb in Deutschland, der aufunsere Anfrage, mal hinter die Kulissender Insektenproduktion blicken zu dürfen,

positiv reagiert hatte. Es war eindrucksvoll.Allein die Größe der Firma und die im-posante Zahl an Mitarbeitern (ca. 120)und Insekten (wahrscheinlich 120 Milli-arden, grob geschätzt) ist schier erschla-gend, dazu kommt die penible Hygiene,mit der dort gearbeitet wird, inklusiveeiner Industrie-Waschstraße für die Zucht-behälter, Riesen-Waschmaschinen für dieTränk-Schwämme und einer Ehrfurchtgebietenden Haustechnik, die trotz der

wimmelnden Heerscharenfür eine fast irritierend guteLuft sorgt – wer je selbstversuchte, Insekten zu züch-ten, weiß das zu schätzenund zieht seinen Hut. Dassdie so gezüchteten Wirbel-losen nicht nur quantitativ,sondern auch qualitativüberzeugen, kann ich in-

zwischen aus eigener Anschauung gutenGewissens behaupten, seit ich meine hei-mischen Leguane mit den Bugs aus demAllgäu versorge. So besonders, wie auchdie Werbung ist, so sind auch Betrieb

28 REPTILIA Titelthema

Packdie Badehose einZu Besuch in Georg Reitmaiers

Terrarium der Superlative

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ma

Penible Hygiene inklu-

sive einer Industrie-

Waschanlage und Ehr-

furcht gebietender

Haustechnik

Blick von der „Aussichtsplattform“ derTempelruine zum Eingangsbereich

Links: Blick vom Eingangsbereich in das Terrarium

Rechts oben: Anolis distichus

Rechts unten: Ein imposanter Gabelbart

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etwa 8 m lange und geschätzt 2,70 mhohe Glasfront. Da steht einem erst malder Mund offen.Man kann dieses Terrarium wie ein nor-males Terrarium von außen betrachten.Es ist halt nur etwas größer. Man schauthinein in das berühmte „Stückchen Naturim Zimmer“, das hier ehernicht in einem Zimmersteht, sondern selbst einZimmer, ach was: eine Halleist. Und blickt in einen lie-bevoll gestalteten Regen-waldausschnitt. ÜppigesDschungelgrün sprießtüberall, überwuchert Felsenund die Ruinen eines ge-heimnisvollen Tempels, ein Hauch vonIndiana Jones liegt in der Luft. Und das,wo der Hausherr selbst manchen eher anRambo erinnern könnte …Geschlagene 700 m³ umfasst die Anlage.Die Grundfläche beträgt 114 m², an denhöchsten Punkten erreicht sie 8 m. Na-türlich kann man in ein solches Beckennicht nur hineingucken, man kann undmuss hineingehen. Eine Tür in der Glas-front lässt mich eintauchen in die Dschun-gelwelt, sofort umfängt mich typischeTropenluft: 28 °C, hohe Luftfeuchtigkeit,der Duft von Orchideenblüten, gesättigterLuft, Pflanzen. Ein Wasserfall rauscht, und

das charakteristische Trällern von Pfeil-giftfröschen erklingt. Kleine Steinplatten-pfade führen durch das Grün, aus demeinzelne große Bäume herausragen, unterderen Luftwurzeln ich mich ducke. Einumgestürzter Baumstamm ragt über einekleine Meeresbucht, in der Dutzende schil-

lernd bunte Meerwasserfi-sche schwimmen – wherethe jungle meets the sea.Vier fast ausgewachseneBambushaie, die in demriesigen Becken nicht ein-mal groß auffallen, ziehenmajestätisch ihre Bahnendazwischen. Gebannt stützeich mich auf den Baum-

stamm und schaue von oben in die Wun-derwelt, ein kleines Riff, an dem nichtnur Korallen wachsen, sondern auf demauch poppig bunte Seeigel und Langustensitzen. Eine solche Anlage verschlägt einemdann doch erst mal eine Weile die Sprache.Was ja nichts macht, weil man in dieserZeit gut den Fischen zuschauen und dieSzenerie auf sich wirken lassen kann. Anschließend kann ich beginnen, mir einenÜberblick über zu verschaffen. Ich richtemich wieder auf – autsch! Schon habe ichmir das erste Mal den Kopf an einem Astgestoßen. Es ist also alles wie im richtigenRegenwald, nur dass die Bäume hier härter

sind. Sie sind perfekt gestaltete Replikenaus Beton. Na ja, dafür muss ich zumindestnicht befürchten, von irgendwelchen gif-tigen Tieren oder Dornen malträtiert zuwerden. Obwohl, wer weiß ...Jedenfalls geht es jetzt Richtung Tempel-ruine. Ein paar Schritte stapfe ich durchden Dschungel, schon stehe ich vor demnächsten Gewässer. Ein eindrucksvollerWasserfall rauscht aus rund 7 m Höhe ineinen Regenwaldpool, dessen kristallklaresWasser von einer Gruppe mächtiger Ga-belbärte (Osteoglossum bicirrhosum) dominiertwird, rund 90 cm lange, urtümlich wir-kende Knochenzüngler. Dazwischenschwimmen verschiedene, kräftige Bunt-barsche umher. Ich spüre die Gischt vomWasserfall auf der Haut, während ich ge-bannt in das Wasser schaute. Prächtigblühende Orchideen und Bromelien sitzenauf (perfekt aus Beton modellierten) Bäu-

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und Besitzer – dass er mit Bugs Interna-tional etwas ganz Besonderes aufgebauthat, wird niemand bestreiten können. Angesichts des Strebens nach Perfektionund Suche nach neuen Wegen, den ichalso schon kennen gelernt hatte, war ichnun in der Tat sehr gespannt, wie es dennnun geworden ist, sein Bugs-Terrarium,das in sein Haus integriert ist. Reitmaier:„Ich lebe nun einmal in meinem Beruf.“In zweijähriger Bauzeit von Anfang 2010bis Ende 2011 hat er es errichtet. Die an-stehende Nr. 100 der REPTILIA mit ihremTitelthema bot den perfekten Anlass füreinen zweiten Besuch. Zu Beginn fahre ich wieder zu Bugs In-ternational in einem Stadtteil von Türk-heim. Der Bürgermeister des Ortes, Se-bastian Seemüller, ist ebenfalls anwesend,um sich den ungewöhnlichen Betriebanzuschauen – er war zuvor noch nichtda und würde im weiterem Verlauf desNachmittags ziemlich staunen, womit inseiner Gemeinde so alles Geld verdientwird. Die multikulturelle Mitarbeiterschaftdes Betriebs bringt uns aber erst einmalin den Genuss eines vorzüglichen asiati-schen Dreigänge-Menüs, als kleinen Snack

für nebenbei gibt es, natürlich, köstlichefrittierte Heuschrecken. Für den Bürger-meister sicher mal eine Abwechslung zuden Häppchen oder Spanferkeln, die ersonst kredenzt bekommt. Er nahm es ge-fasst und griff beherzt zu. Zu Recht, denndie krossen und gut gewürzten Wirbellosenschmeckten ganz ausgezeichnet. Tatsächlichmöchte Bugs International mit den Krab-beltieren zukünftig auch den Lebensmit-telmarkt für Menschen bereichern – nochstehen dem allerdings bürokratische Hin-dernisse im Weg, obwohl Reitmaier bereitsalle Auflagen erfüllt hat. Aber dennochgeht er davon aus, dass wir die Heu-schrecken in Bälde im Supermarkt-Regalfinden werden. Anschließend besichtigen wir die Firma.Ich kann mich nicht nur davon überzeu-gen, dass die unüberschaubaren Mengenan Zuchtbehältern, die in dem Labyrinthan Hallen in endlosen Reihen stehen,abermals in einem tophygienischen Zu-stand sind (und nicht nur für den Besuch,sondern das sei Standard, versichert Reit-maier). Es ist auch immer wieder einfaszinierendes Bild, die Eierkartons malaufzuklappen und auf die Hunderttau-

senden Heimchen, Steppengrillen, Mit-telmeergrillen, Argentinischen- und Scho-koschaben zu schauen oder in die gutbesetzten Behälter der beiden Heuschre-cken-Arten zu blicken. Das große Krabbeln!Der Bürgermeister ist sichtlich beeindruckt. Insgesamt macht alles immer noch einenso guten Eindruck wie vor fünf Jahren,nur noch ein bisschen größer ist es ge-worden. Ein, zwei Hallen, die damalsnoch leer oder halbvoll waren, laufennun ebenfalls auf Volllast. Was treibt jemanden an, sich mit Leibund Seele der, nun ja, Ungezieferzuchtzu verschreiben? Sicher, ganz offensichtlichkann man damit Geld verdienen. Aber dagäbe es wohl andere Wirtschaftszweige,die auf den ersten Blick geeigneter er-scheinen und definitiv einfacher sind,wenn man schon über die entsprechendenInvestitionsmittel verfügt. „Ich bin immernoch in erster Linie leidenschaftlicherTerrarianer und Aquarianer“, sagt Reit-maier, „mir geht es um die Tiere!“ Klingtwie eine Phrase, aber Reitmaier meint esernst: Er beschäftigt sich mit der Vivaristiknicht nur geschäftlich, sondern auch inseiner Freizeit. Genau deshalb bin ich jagekommen: die Besichtigung von Reit-maiers Terrarium. Ja, keine Terrarienanlage.Ein einziges Terrarium. Aber was für ei-nes!Schon wenn man durch die Haustür imHeim der Reitmaiers anderthalb Orteweiter tritt, fällt der Blick auf eine riesige,

Oben links: Georg Reitmaier beim Fütternder Bambushaie

Oben rechts: Rotkehlanolis, ganz ent-spannt

Unten: Das oberste Stockwerk des Terrari-ums ist das Hoheitsgebiet der Amadinen

Links: Wie im echten Dschungel: Färber-frosch auf (künstlichem) Baumstamm

Mitte: Zweimal täglich wird das gesamteTerrarium beregnet

Rechts: Blick über die Meerwasserlagune,die Bambushaien und Korallenfischen alsHeimat dient. Der künstliche, über dasWasser ragende Baumstamm enthält LED-Leuchtbalken, um auch unter Wasser fürdie nötige Helligkeit zu sorgen.

Eine solche Anlage

verschlägt einem

dann doch erst

mal eine Weile die

Sprache.

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toffeln schon aufdem Tisch. Es wirdein geselliger Abend.Die anderen Besucher ausdem Freundes- und Bekann-tenkreis von Reitmaier wollen inder Nacht noch zur Terraristika nachHamm aufbrechen. Allerdings sindsie letztlich dann doch erst einigeStunden später losgekommen. Siesind nicht überrascht davon, dieGastfreundschaft im Hause Reit-maier sorgt regelmäßig dafür, dassman länger bleibt als geplant. Am nächsten Morgen heißt esallerdings auch für mich: frühaufstehen. Um sieben Uhr gehtdie Beleuchtung im Terrarium an,und die frühen Morgenstunden,das weiß man ja aus dem na-türlichen Lebensraum, sindbei vielen Arten die beste Be-obachtungszeit. Schließlichmöchte ich auch noch die repti-lischen Bewohner der Anlage zu Ge-sicht bekommen. Als ich das Terra-rium betrete, begegnen mir erstwieder jede Menge Färberfrösche.Sie scheinen die frühen Morgen-stunden mit einem echten Akti-vitäts-Peak zu begehen. Ich er-klettere erst einmal die Plattformder Tempelruine. Von hier aussind laut Reitmaier die Chancenam besten, Anolis und Geckoszu sehen. Und tatsächlich: Untereinem der insgesamt acht mäch-tigen HQI-Strahler (2 x 1.000 W, 6 x600 W), die zusätzlich zum durch dasisoverglaste Dach fallende Tageslicht fürSonneninseln sorgen, sonnt sich auf deranderen Seite ein Rotkehlanolis (Anoliscarolinensis). Für das Teleobjektiv eine He-rausforderung, aber dass es sich um einprächtiges Männchen handelt, ist unver-kennbar. Nun beginne ich, mit dem AugePflanze für Pflanze abzusuchen. Und sieheda: ein zweiter Rotkehlanolis sitzt nochverträumt im Blattwerk eines Bromelien-astes auf halber Strecke. Ich schaue halbvon unten auf ihn, sodass seine Silhouettesich durch das Blatt als Schatten abzeichnet.Das hätte man nicht hübscher arrangieren

können .Schließlich

stoße ich aufeinen perfektgetarnten Anolisdistichus. Als ichmich zu sehr an-nähere, hüpft erüber die Felswand

davon, während aufeinem Farn gegen-

über ein Rotkehlano-lis-Weibchen herum-

springt. Apropos Felsen:die geben optisch täuschendecht eine verwitternde Sand-stein-Abbruchkante wider,sind aber von einer nieder-

ländischen Spezialfirma für Zoo-Gestaltung detailverliebt geformte

Repliken.Die Geckos verhalten sich weit weniger

kooperativ als ihre Leguanverwandten.Sie kann ich nur mittels des von Reitmaiereingangs angemahnten Fernglases bzw. Te-leobjektiv ausmachen. Die erste Phelsumeerspähe ich, als sie über einen der weißenStege zwischen den Glas-Dachplatten huscht.Gut, auf dem weißen Untergrund ist sienatürlich nicht besonders gelungen getarnt.Der Blick durch das Fernglas allerdingszeigt mir, dass die Artgenossen es geschickteranstellen. Wirklich nah komme ich ankeinen heran, nur eine Phelsuma lineata zeigtsich mal an einem Felsen in Kopfhöhe, dieanderen bevorzugen die unerreichbarerenluftigen Höhen des Terrariums, wo auchdie Amadinen umherflattern. Allmählich naht die Mittagessenszeit, zu-mindest für die Fische. Die Gabelbärteund Buntbarsche bekommen, natürlich,lebende Insekten. Selbst große Heuschre-cken werden mit Begeisterung verschlun-gen. Überhaupt, die Ernährung: Das istin so einer großen Anlage bei so kleinenBewohnern natürlich ein Problem. Be-ziehungsweise wäre es. Da Reitmaier jaaber praktischerweise über so etwas wieeine eigene Futtertierzucht verfügt, ist esfür ihn natürlich völlig unproblematisch,überall entsprechende Dosen mit Droso-

Ranitomeyaimitator

REPTILIA Titelthema3332 REPTILIA Titelthema

men, Felsen und Gemäuern, ein paarschillernd bunte Amadinen, also Pracht-buntfinke, toben durch das Geäst. Dasüppige grün der zahllosen, allesamt le-benden und kräftig wachsenden Pflanzenumschmeichelt das Auge.Plötzlich stehe ich im Nebel, die Feuch-tigkeit dringt durch die ganze Halle,überall dampft es, Feuchtigkeitsschwadenziehen durch das Geäst – ich wische mirdas Wasser aus dem Gesicht und verschließedie wetterfeste Kamerata-sche; gut, dass ich meineExpeditionsausrüstung dabeihabe. Reitmaier hat zur Be-grüßung des Gastes die Be-regnungsanlage angestellt,die Frösche reagieren be-geistert, das Trällern nimmtschlagartig zu. Ich kraxeledie Stufen des überwucher-ten Tempels hinauf. Die sind recht steil,eine dicke Liane hilft beim Festhalten –auch sie eine verblüffend echt wirkendeReplik aus Beton. Oben eröffnet sich einwunderbarer Blick über die gesamte Anlage.Die Beregnung setzt nun wieder aus, nunist es höchste Zeit, in diesem etwas anderenPfeilgiftfroschterrarium auf die Suche nachden eigentlichen Bewohnern zu gehen.Und tatsächlich, jetzt kommen sie raus:Über den Weg hüpft ein prächtiger, wohl-genährter Färberfrosch (Dendrobates tinctorius)der Variante Pic Matecho, in kräftigemGelb mit schwarzen Flecken, es sind wun-derschöne, ins Auge stechende Tiere, diesich erfreulicherweise völlig furchtlos zei-gen. Im Unterholz trällern zwei Artgenossen.Ein anderer erklimmt eine Felswand, undnoch zwei sitzen auf einer Baumwurzel.Nachdem ich mich erst einmal eingeguckthabe, entdecke ich sie überall.Etwas genauer hinschauen muss ich, umFroschart Nummer zwei aufzuspüren. Diehübschen Dreistreifen-Baumsteiger (Epi-pedobates tricolor) verhalten sich schüchternerals ihre größeren Verwandten und fallenmit ihrer Färbung auch weniger deutlichins Auge. Bei einigen Exemplaren sinddie arttypischen hellen Streifen schillerndgrün. Reitmaier zeigt mir noch einigebevorzugte Aufenthaltsorte seiner Terra-rienbewohner, dann lässt er mich alleinzurück in seinem Wald. Er erwartet nochweitere Terrarianer zum abendlichen Grillen(die Black-Angus-Steaks seien an dieser

Stelle nochmals ausdrücklich gelobt!) undfrisch gezapften Bier, da will alles vorbe-reitet sein. Mir ist das sehr recht, so kannich mich in Ruhe umschauen. Zu sehengibt es genug, wenn man auch etwas ge-nauer hinschauen und Geduld mitbringenmuss – wie in der Natur eben. Mit den Färberfröschen habe ich meinehelle Freude, ich finde immer neue Exem-plare, und zahlreiche Kaulquappen inden zur Eiablage bereitstehenden kleinen

Wassergefäßen zeugen da-von, dass sie sich hier pu-delwohl fühlen. Meineabendliche Dschungel-Ex-pedition wird gekrönt, alsich plötzlich ein Exemplarder dritten hier gepflegtenPfeilgiftfrosch-Art finde,die sich eigentlich lieberim Verborgenen hält und

zudem ganz schön winzig ist. Völlig offenaber hüpft er jetzt auf einem riesigenPflanzenblatt herum, das sieht wirklichaus wie im Bilderbuch: ein prächtig schil-lernder Ranitomeya imitator – ein wirklichesJuwel. Völlig furchtlos klettert der Winzlingauf der Pflanze herum und gibt mir dieMöglichkeit, ihn in aller Ruhe zu foto-grafieren. Toll! Es fällt mir ein wenig schwer, mich los-zureißen, aber inzwischen habe ich durch-aus Hunger, und der Gedanke an einkühles Bier ist nach dem nunmehr stun-denlangen Fotografieren im schwülen

Dschungel sehr verlockend – auch dasist so wie bei einer echten Regenwaldtour.Man muss übrigens auch ähnlich genauaufpassen, wo man hintritt. Mit Gift-schlangen ist hier zwar nicht zu rechnen,aber Georg Reitmaier hat mir zuvor hin-reichend klargemacht, was er davon hielte,wenn ich auf die Blätter seiner Pflanzenoder gar auf die sich überall darunterverbergenden Tiere träte, die natürlichauch über die eigentlich als Gehweg ge-dachten Steinplatten wuchern. Und dabin ich nicht mal sicher, ob ein Busch-meister im Zweifel nicht sogar die harm-losere Variante wäre ... Sehr vorsichtigstapfe ich also zurück zur, nun ja, Terra-rientür und zurück in den Wohnbereich.Der neben der Glasfront im Flur nocheine weitere Verbindung zur Tropenwelthat, wie ich jetzt sehe, und auch die lässtmir den Mund offen stehen. Das Meer-wasserbecken nämlich verläuft unterirdischbis ins Wohnzimmer, wo es eine weiterevon Felsen umstandene Lagune bildet,über der ein riesiger, lebender Baumthront. So können die Reitmaiers abendsdas interessante Erlebnis teilen, gleichzeitigvor dem lodernden Kamin und am Tro-penstrand zu sitzen. Wo sie entspannt aufdie Meerwasserfische schauen, währendsie gleichzeitig von zwei imposanten Ele-fantenohrchamäleons (Chamaeleo melleri)beobachtet werden. Schließlich aber dampfen die Folienkar-

Über den Weghüpft ein prächtiger,

wohlgenährterFärberfrosch

Wohnzimmer mit Meeresblick

Oben: Ein Maskenleguan sonnt sich am Ufer

Unten: An der „Wohnzimmerlagune“ lebenzwei Elefantenohrchamäleons

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das natürlich nicht, bekanntlich verlangenlebende Korallen wie auch Korallenfischenach intensiver Beleuchtung. Die Technikhierfür ist in den über dem Wasser lie-genden „umgestürzten Baumstämmen“enthalten: Insgesamt elf LED-Leuchtbalkenmit je 180 W sorgen für die nötige Hel-ligkeit unter Wasser und ermöglichenKorallenwachstum. Zweimal täglich schaltet die Beregnungs-anlage sich automatisch ein, einmal nachtsund einmal mittags; zum heutigen Mit-tagsschauer begebe ich mich noch einmalins Terrarium. Die Badehose muss ja nunschließlich auch noch zum Einsatz kommen.Die Gabelbärte tragen es mit Fassung, alsich ihnen Gesellschaft leiste, um meineReptiliensuche auf der anderen Seite desDschungelpools fortzusetzen, und siehe,der Ganzkörpereinsatz wird mit Erfolgbelohnt: Ein Maskenleguan (Leiocephalus per-sonatus) hat es sich dort auf einem Felsengemütlich gemacht. Trockene Bereiche fin-den sich in der Riesen-Anlage für diesewärmeliebenden Kleinleguane genug, undzum Aufwärmen machen sie gerne vonder Abwärme der Leuchtbalken Gebrauch,

sodass sie sich malerisch auf den „Baum-stämmen“ über dem Wasser räkeln. Dieseriguanophile Fund lässt mich verschmerzen,dass ich einige der anderen Echsen nuraus sehr großer Distanz oder gar nicht zuGesicht bekomme: Es leben noch Phelsumaborbonica, P. quadriocellata, P. laticauda, Anolis roquet

summus sowie Lygodactylus williamsi im Reit-maier`schen Regenwald. Nach welchen Kriterien er die Arten denneigentlich ausgesucht hat, will ich vonReitmaier noch wissen. Die Antwort istebenso einfach wie entwaffnend: „Sie ge-fallen mir!“ Und ja auch völlig zu Recht!Es müssen eben nicht immer selteneWarane sein.Es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Ein letztesMal blicke ich von der Aussichtsplattformüber das eindrucksvollste Rotkehlanolis-Terrarium meiner Laufbahn, achte sorgsamdarauf, weder auf Frösche noch auf Pflanzenzu treten, und verabschiede mich voneinem Terrarianer, der nicht nur sein Hobbyzum Beruf gemacht hat, sondern es auchweiterhin mit maximaler Leidenschaft be-treibt. Ein Traumterrarium, fürwahr.

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phila-, Terfly- und Soldatenfliegen aufzu-stellen. Die Pfeilgiftfrösche kennen diePunkte und lauern den aus den Dosenkrabbelnden Fruchtfliegen gezielt auf, dieanderen Fliegen wuseln in der Landschaftherum, sodass selbst in dieser riesigenAnlage die Geckos und Anolis keine Schwie-rigkeiten haben, die passenden Happenzu erjagen. Etwas anstrengen müssen siesich aber schon dafür. Ein paarmal kannich beobachten, wie ein Anolis einer Fliegehinterhersprintet und sie erbeutet. Für dieHaie gibt es Fisch. Die aufgetauten Filetserfreuen sich aber auch bei den anderenBuchtbewohnern großer Beliebtheit, esgeht in der Salzwasserlagune zu wie, nunja, wie in einem Haifischbecken eben.Sogar die Langusten werden richtiggehendhektisch, um sich gute Bissen zu sichern. Viel Eiweiß also, und damit viel Arbeitfür die Abschäumer und Filteranlagen.Der Gang in den Keller des Hauses offenbartden technischen Teil der Anlage. Der istebenso eindrucksvoll wie das Großterra-rium selbst. Man fühlt sich eher wie aufeiner „Hinter den Kulissen“-Tour in einemZoo als im Keller eines Einfamilienhauses.In insgesamt drei Räumen ist die Technikuntergebracht, die die riesige Anlage amLaufen hält und für das kristallklare Wasserebenso sorgt wie für die Tropenschauer.Dabei hat Reitmaier schon in der Pla-nungsphase Wert auf Nachhaltigkeit gelegt.Die Klimatisierung des Terrariums (und

des ganzen Wohnhauses) erfolgt über eineWärmetauschanlage, die mit Grundwasseraus dem eigenen Brunnen arbeitet. Diesagenhaft energieeffiziente Technik sorgtfür eine Minimierung der Betriebskostentrotz des je nach Jahreszeit enormen Heiz-bzw. Kühlaufwands. Denn ganzjährig liegendie Lufttemperaturen im Riesenterrariumbei 27–29 °C am Tag und bei 22 °C in derNacht. Die 42.000 Liter Wasser in der La-gune werden konstant auf 25 °C gehalten,die 35.000 Liter Süßwasser auf 27 °C.Eine Pumpe bewegt die 45.000 Liter Wasserpro Stunde auf 7 m Höhe, die dann alsWasserfall nach unten rauschen. Die Be-regnungsanlage wird von einer weiterenPumpe betrieben, die bis zu 16 bar Druckaufbauen kann. So viel ist allerdings nichterforderlich, um den gewünschten Regendurch die Düsen aus dem E.N.T.-Bereg-nungssystem sprühen zu lassen. Eine Um-kehr-Osmose-Anlage sorgt für ideales Was-ser. Die feucht-heiße Luft und die dauerndenNiederschläge stellen besondere Anforde-rungen an die Belüftung; schließlich istStickluft unbedingt zu vermeiden. Die Be-

lüftungsanlage pumpt dementsprechendgeschlagene 2.000 m³ Frischluft in dasTerrarium, die dort von Zirkulationsven-tilatoren in genau zuvor berechnete Bahnengeblasen wird. So bleiben die Frontscheibentrotz des großen Temperatur- und Feuch-tigkeitsgefälles zwischen Wohnbereich undTerrarium immer klar und beschlagennicht. Eine ausgefeilte Steuerungstechniksorgt dafür, dass alles jederzeit wunschge-mäß funktioniert und überprüfbar ist. DiePlanung für diese komplexe Anlage stammtübrigens von Reitmaier selbst wie auchdie gesamte Planung seiner Firma, obTechnik oder Bau. Selbst jedes Möbelstückhat Reitmaier selbst entworfen und fürdie Umsetzung gesorgt! Und zweifelloseinmalig wirken die Stücke auch.Durch das Dach des Großterrariums fälltreichlich natürliches Tageslicht ein, dieHQI-Strahler sorgen für Sonnenplätzeund zusätzliches Licht. Das üppige Pflan-zenwachstum und die zahlreichen blü-henden Tropengewächse beweisen, dassdie Lichtmenge ausgezeichnet ist. Aberspeziell für die Meerwasser-Lagune reicht

Oben links: Blick auf die Filteranlagen undAbschäumer für den Meerwasserteil

Oben rechts: Komplexe Terrarientechnik,hier ein Blick auf die Belüftungsanlage

Unten: Zirkelventilatoren sorgen für die Be-lüftung und Klimatisierung (man achte aufdas Gecko-Jungtier auf dem Dach-Steg)

Ein „Pic Matecho“ auf Klettertour an einerFelswand

LiteraturWERNING, H. (2008): Lord of the Bugs. ZuBesuch bei Europas größtem Zuchtbe-trieb für Futterinsekten. – REPTILIA Nr.

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