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1 „Zu dick, zu dünn oder normal?“ Essstörungen im Kindes- und Jugendalter Dr. med. Dunja Wiegand, Oberärztin Jugendmedizin, Ostschweizer Kinderspital KLINFOR 10. November 2011

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„Zu dick, zu dünn oder normal?“ Essstörungen im Kindes- und

Jugendalter

Dr. med. Dunja Wiegand,

Oberärztin Jugendmedizin,

Ostschweizer Kinderspital

KLINFOR 10. November 2011

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WAS HEISST NORMAL? Was heisst zu dick und zu dünn?

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NORMAL?

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NORMAL?

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NORMAL?

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NORMAL?

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NORMAL?

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NORMAL?

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Schönheitsideale im Wandel...

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Idealfigur?

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Idealfiguren?

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Spieglein Spieglein an der Wand, wer ist die DÜNNSTE im ganzen Land

Das Streben nach SIZE ZERO (= Kleidergrösse 32!)

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Hungern bis zum Verschwinden...

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„Essen ist mehr als nur sättigen“

Essen kann Gefühle auslösen

Gefühle können Essen auslösen und es beeinflussen

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Zu einem gesunden Lebensstil gehört eine ausgeglichene Energiebilanz :

Energieverbrauch = Energiezufuhr

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Definition: BMI Erwachsene

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BMI P 90 – 97 Übergewicht

BMI > P 97 Adipositas

BMI > P 99.5

Extreme Adipositas

Definition: BMI im Kindesalter

BMI P 10 – 90

Normalgewicht

Kromeyer-Hauschild

BMI P 3-10

Untergewicht

BMI < P 3

Schweres

Untergewicht

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Ausgeglichene Energiebilanz:

Zugeführte Energie = verbrauchte

Energie

Positive Energiebilanz:

Körper bekommt mehr Energie als er

verbraucht

Negative Energiebilanz:

Körper bekommt weniger Energie als

er verbraucht

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Beide sind aus dem Gleichgewicht

Positive Energiebilanz

Negative Energiebilanz

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Evolution zur Moderne

Homo sapiens (Jäger und Sammler) Ackerbau

Homo immobilis

Genetisch sind wir noch immer Jäger und Sammler.

Es braucht rund 1000 Generationen für eine nachhaltige

Anpassung an neue Ernährungsweisen.

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Die Realität des 21. Jahrhunderts

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Verhältnisse prägen unser Verhalten

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Unsere Umwelt hat sich verändert

Wir kannten den Samichlaus

mit Schmutzli und Esel

Heute kommt der Santa-Claus

als Werbeträger mit BMI > 30

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Supersize me! Immer grösser!

Esst mehr!?

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Beziehungen zwischen den einzelnen Essstörungen

Anorexia nervosa

Bulimia nervosa

Binge Eating Disorder

Adipositas

Intermittierendes oder dauerndes

Diäthalten

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Einteilung Essstörungen

• Wiederholtes oder chronisches Diäthalten

• Magersucht (Anorexia nervosa)

• Fress-Brech-Sucht (Bulimia nervosa)

• Übergewicht/Fettsucht (Adipositas)

• Binge Eating Disorder

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Adipositas

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Ausgangslage „Adipositas ist die

weltweit grösste

Epidemie (WHO 1997)

Jedes fünfte Kind in

Deutschland,

Österreich und der

Schweiz ist

übergewichtig resp.

adipös

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Ursachen der

Übergewichtigkeit/Adipositas

• Bewegungsmangel (z.B. sitzende Tätigkeit, kein

Sport)

• Häufige unkontrollierte Zwischenmahlzeiten

• Vorliebe für Nahrungsmittel, welche zu süss und

zu fetthaltig sind

• Übergewicht in der Familie (erbliche

Veranlagung)

• Unphysiologisches Essverhalten (z.B. Auslassen

der Morgenmahlzeit, Hauptmahlzeit am Abend)

• Starke psychosoziale Belastung (Frust-Stress-

Esser)

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Folgen der Adipositas

• Störungen im Glucosestoffwechsel

• bis hin zum Diabetes (Zuckerkrankheit)

• Störungen im Fettstoffwechsel

•Risiko für Herzinfarkt und Hirnschlag

• Hypertonie (Bluthochdruck)

• Belastung des Bewegungsapperates

• Risiko für Krebs

• Psychiche Störungen

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Psychische Störungen bei Adipositas

• Depression

• Körperwahrnehmungsstörung

• Beziehungsstörung

• Integrationsschwierigkeiten

• Vermindertes Selbstwertgefühl

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Anorexie/Bulimie Aetiologie und Pathogenese

1. Biologische Faktoren

2. Temperaments- und Persönlichkeitsfaktoren

3. Psychobiologische Faktoren

4. Soziokulturelle Faktoren

5. Familiäre Faktoren

6. Sexuell, körperlich und emotionale Misshandlung

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Vom Symptom zur Krankheit :

MAGERSÜCHTIGES VERHALTEN

• Änderung der Lebenshaltung und Philosophie um den Körper „in den Griff“ zu bekommen

• Einschränkung der Nahrungsmenge

• Bedürfnisse des Körpers werden als triebhaft und schlecht erlebt

• Asketisches Verhalten wird idealisiert

• Exzessiver Bewegungsdrang

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MAGERSÜCHTIGES VERHALTEN

• Verlust Gefühl für Hunger und Sattsein

• Verlust Gefühl für körperliche Leistungsfähigkeit

• verzerrte Körperwahrnehmung

• ständige Beschäftigung mit Essen

MAGERSUCHT ALS KRANKHEIT

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Rebi-Vollstopf-Programm

FiEs(s)protokoll

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Diagnostische Kriterien der Anorexia nervosa

1. Ausgeprägte Ängste vor Gewichtszunahme

trotz bestehendem Untergewicht, Angst dick zu werden

2. Weigerung, das Minimum des für Alter und Körpergrösse normalen Körpergewichts zu halten

3. Störung in der Wahrnehmung der eigenen Figur und des Körpergewichts

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Diagnostische Kriterien der Anorexia nervosa

4. Übertriebener Einfluss der Figur oder des

Körpergewichts auf Selbstwertgefühl

5. Leugnen des Schweregrades des gegenwärtigen geringen Körpergewichts

6. Bei postmenarchalen Frauen das Vorliegen einer Amenorrhoe

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Somatische Folgen der Anorexie

Die Anorexie involviert praktisch alle Organsysteme

Führt zu erheblichen endokrinologischen Störungen

Diese sind Folge der Nahrungsrestriktion oder/und von Erbrechen, Laxanzien- oder Diuretika-Abusus

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Langzeit-“outcome“ über 21 Jahre bei Anorexie

• 51% geheilt

• 21% partiell geheilt

• 12% klinisches Vollbild

• 16% verstorben

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Bulimia nervosa

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1. Wiederkehrende Anfälle von Heisshunger

Eine „Fressattacke“ ist gekennzeichnet durch:

• In bestimmten Zeitraum (z.B. innerhalb von 2 h) verzehrte Nahrungsmenge = deutlich grösser als diejenige, die normalerweise in einem ähnlichen Zeitraum und unter ähnlichen Bedingungen verzehrt wird

• Gefühl von Kontrollverlust über die Nahrungsaufnahme (z.B. das Gefühl, nicht mit dem Essen aufhören zu können)

Diagnostische Kriterien der Bulimia nervosa

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2. Wiederkehrende, unangemessene kompensatorische Verhaltensweisen zur Vermeidung von Gewichtszunahme, wie z.B.:

• selbst induziertes Erbrechen

• Missbrauch von Laxanzien oder Diuretika

• exzessive sportliche Betätigung

Diagnostische Kriterien der Bulimia nervosa

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3. Sowohl die „Fressattacken“ als auch das unangemessene kompensatorische Verhalten treten seit drei Monaten durchschnittlich mindestens zwei Mal pro Woche auf

4. Das Selbstwertgefühl wird von der Figur und Körpergewicht beeinflusst

Diagnostische Kriterien der Bulimia nervosa

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Diagnostische Kriterien Binge-Eating-Disorder

(engl. Binge Eating = Esssucht)

1. Regelmässige Essanfälle. Ein Essanfall ist durch folgende 2 Merkmale gekennzeichnet:

- In einem abgegrenzten Zeitraum wird eine Nahrungsmenge gegessen, die deutlich grösser ist als die Menge, die die meisten anderen Leute im selben Zeitraum unter gleichen Umständen essen würden.

- Kontrollverlust über das Essen (z.B. das Gefühl, nicht mit dem Essen aufhören zu können, oder nicht im Griff zu haben, welche Mengen verspeist werden).

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Diagnostische Kriterien Binge-Eating-Disorder

2. Die Essanfälle sind mit drei oder mehr der folgenden Merkmale assoziiert:

- Es wird wesentlich schneller gegessen als normal.

- Es wird gegessen, bis man sich unangenehm voll fühlt.

- Es werden grosse Mengen gegessen, obwohl man sich nicht körperlich hungrig fühlt.

- Es wird allein gegessen, weil einem peinlich ist, wie viel man isst.

- Man fühlt sich von sich selbst angeekelt, niedergeschlagen oder sehr schuldig nach dem Überessen.

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Diagnostische Kriterien Binge-Eating-Disorder

3. Es besteht hinsichtlich der Essanfälle merkliche Verzweiflung.

4. Die Essanfälle treten im Durchschnitt an mindestens 2 Tagen pro Woche über 6 Monate auf (im Unterschied zur Bulimie).

5. Die Essanfälle sind nicht mit der regelmässigen Anwendung unangemessenen Kompensationsverhaltens verbunden und treten nicht im Zusammenhang mit Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa auf.

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Essstörungen und Sport

- gestörtes Essverhalten überproportional im Spitzensport, aber auch auf hohem Niveau betriebenem Fitness- und Gesundheitssport

- Spezifische Persönlichkeitseigenschaften •Hoher Leistungsanspruch •Hang zur Perfektion •Hoher Ehrgeiz •Tendenz zum sozialen Vergleich

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Essstörungen und Sport

„Risiko“-Sportarten:

• Sportarten mit Gewichtsklassen: Boxen, Ringen, Judo, Gewichtheben, Rudern, Jockeys

• Ausdauer-Sportarten: v.a. Langstreckenlauf, Ski-Langlauf

• Ästhetische Sportarten: Turnen, Rhythmische Sportgymnastik,

Tanz, Einskunstlauf

• Niedriges Gewicht entscheidend: Hochsprung, Skispringen, Rudern

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Fallbeispiel: Paula 16-jährig

- gute Mittelschülerin, Hang zur Perfektion

- aus sehr geordneten Familienverhältnissen

- körperlich und sportlich sehr aktiv

- ist im Kontakt zur Peer-Gruppe zunehmend isoliert

- hat offensichtlich viel an Körpergewicht verloren

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Fallbeispiel: Paula 16-jährig

- Turnlehrerin ist Gewichtsproblematik aufgefallen

- versucht Gespräch aufzunehmen

- Paula blockiert

- Wie weiter?

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Fallbeispiel: Paula 16-jährig

- Turnlehrerin sucht Gespräch im Team: z.B.

Klassenlehrerin

Kollegin

Schulleitung

Schularzt

- Auch andere Kollegen und Kolleginnen haben gleiche

Beobachtungen gemacht

- Wie weiter?

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Fallbeispiel: Paula 16-jährig

- Klassenlehrerin trägt alle Fakten zusammen

- klärt Interventionsmöglichkeiten ab

- vereinbart 1. Gesprächstermin mit Paula

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Fallbeispiel: Paula 16-jährig

- 1. Gespräch ist schwierig, Paula blockiert

- 2. Gespräch wird fixiert

- Paula wirkt offener, fasst Vertrauen

- Paula ist bereit Hilfe anzunehmen

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Fallbeispiel: Paula 16-jährig

- Eltern spüren, dass etwas in Bewegung gekommen ist

- Eltern nehmen Rücksprache mit der Schule

- Eltern sind erleichtert, dass Intervention erfolgen kann

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Fallbeispiel: Paula 16-jährig

- Paula hat 1. Termin beim Hausarzt, welcher sie an eine Fachstelle verweist

- Fachstelle evaluiert, legt Procedere und Verantwortlichkeit fest

- Rückmeldung an Schule - via Eltern - durch Fachstelle direkt

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Forderungen für die Behandlung von Essstörungen :

• Früherfassung

• Klar strukturiertes Abklärungs- und interdisziplinäres Behandlungskonzept

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Ablaufschema Früherfassung von Sucht- und anderen psychosozialen Problemen

1. Erkennen von Symptomen: Mitschüler

Lehrer Hausarzt Schularzt

2. Registrieren und Festhalten von Tatsachen:

Bezugslehrer Schularzt ....

3. Behandeln und Regelung Verantwortlichkeit: Schularzt

Hausarzt Schule Eltern

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Warnzeichen für Anorexie (Magersucht)

• ständige Beschäftigung mit Nahrung und Kalorien

• Schnelle Gewichtsreduktion

• Konzentrationsstörungen

• Depressive Verstimmungen

• Klagen über Völlegefühl und Blähungen

• Verwendung von Abführmitteln

• Kopfschmerzen

• Schlafstörungen

• Kälteempfindlichkeit

• Aussetzen der Monatsblutung

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Warnzeichen für Anorexie (Magersucht)

• Zwanghaftes Diäthalten

• Essen verweigern

• Häufiges Gewichtwägen

• Tragen weiter verhüllender Kleider

• Übermässige sportliche Aktivitäten

• Kochen für andere ohne selbst zu essen

• Isolation von Freunden und Familie

• Verleugnung von Hunger und Müdigkeit

• Sich zu dick fühlen (trotz Untergewicht)

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Warnzeichen für Bulimie (Fress-Brech-Sucht)

• Zwanghaftes Diäthalten

• Heimliches Essen

• Tendenz zum Überessen in Stresssituationen

• Auffällige Gewichtsschwankungen

• Häufiges Gewichtwägen

• Nach dem Essen auf die Toilette gehen

• Zeichen von Erbrochenem in der Toilette

• Übermässige sportliche Aktivitäten

• Verstecken und/oder Stehlen von Nahrungsmitteln

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Klinische Befunde bei Anorexie / Bulimie

1. Haut/Haare (Lanugobehaarung, trockene Haut, Haarausfall etc.)

2. Mund/Rachen/Zähne (Hypertrophie der Speicheldrüsen, Zahnschmelzdefekte etc.)

3. Kardiovaskuläres System (Bradykardie)

4. Gastrointestinaltrakt (Obstipation, Blähungen etc.)

5. Muskuloskelettales System

6. Renales System (prärenales Nierenversagen etc.)

7. ZNS (kognitive Verlangsamung, Krämpfe (E-lyt-Störungen)

8. Gynäkologische Probleme

9. Endokrinologische Probleme (Hypogonadismus, SD)

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Laborbefunde bei Anorexie / Bulimie

1. Hämatologie

2. Blutchemie

3. Spezielle Laboruntersuchungen: - Hormone - C13 -/H2- Atemtest

4. Weitere Abklärungen: - Bildgebung (US, Rx Handplatte/Thorax, CT, MRI)

- Osteodensitometrie

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Therapie Essstörungen

•Psychische Ebene

•Somatische Ebene Ganzheitlichkeit

•Soziale Ebene

Erste Anlaufstelle und „Drehscheibenfunktion“ :

• Kinder – und Jugendarzt / Hausarzt

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1. Erstversorgung / Triage

2. Langzeitbetreuung

Aufgaben des Grundversorgers

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Aufgaben des Grundversorgers Erstversorgung/Triage

1. Umfassende Anamnese (FA / PA /JL)

2. Vollständige körperliche Untersuchung - anthropometrische Daten: Gewicht/Länge, BMI, ev. BIA, Hautfaltendicke - Ganzkörper-Status v.a.: Kardiopumonal, BD/Puls Haut, ORL-Status Neurostatus inkl. Augenfundus

3. Grobeinschätzung psychischer Status

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Aufgaben des Grundversorgers Erstversorgung/Triage

4. Basislaboruntersuchungen:

- Hämatogramm

- Elektrolyte, inkl. Chlorid,

- Leber-/Nierenparameter - Geschlechts- und Schilddrüsenhormone (fT3)

Weiterführende Abklärungen: u.a. - Osteodensitometrie und osteologisches Labor - bildgebende Verfahren: US / CT / MRI - Zoeliakiescreening - C-13-Atemtest (Helicobacter pylori) - Spurenelemente / Vitamine

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Aufgaben des Grundversorgers: Erstversorgung / Triage

5. Ausführliche Besprechung der erhobenen Befunde in einem Gesamtgespräch (wenn immer möglich zusammen mit Angehörigen oder Vertrauensperson)

6. Besprechung weiterer therapeutischer Möglichkeiten / Optionen

7. Wenn Primärbehandlung beim HA

- vertragliche Regelung (z.B. Gewichtsfahrplan) - Festlegung Psychotherapie (ja/nein) - Festlegung Bedingungen für Überweisung

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Aufgaben des Grundversorgers Langzeitbetreuung

8. Absprache mit spezialisiertem Zentrum

9. Systembetreuung : - Familie/Angehörige - Schule/Lehrstelle - Arbeitsplatz

10. Somatische/ psychosoziale Kontrollen v.a. :

- Zyklus/Osteodensitometrie - Elektrolyte /Spurenelemente

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Was können Eltern tun

1. Eltern müssen akzeptieren, dass sie keine Möglichkeit haben eine Einsicht zu erzwingen

2. Problem klar und umfassend mit Kind besprechen! Sorge und Angst verbalisieren.

3. Externe Hilfe anbieten

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Was können Eltern tun

4. Verantwortung Kind übergeben

5. Forderung durchsetzen, dass mit Fachstelle Termin vereinbart wird

6. Für sich Hilfe suchen (z.B. Selbsthilfegruppe für Angehörige)

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Wichtige Internetadressen

www.netzwerk-essstoerungen.ch

www.pepsuisse.ch

www.aes.ch

www.sge-ssn.ch www.suissebalance.ch

www.ess-stoerungen.net

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