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496 Ernährungs-Umschau 51 (2004) Heft 12 Stellungnahme Allgemeines Hirse und Sorghum (Poaceae) gehören zur Familie der Gräser (Gramineen) [1, 2]. Die Vielfalt der Arten macht eine Einteilung erforderlich, die hier ver- einfacht dargestellt wird: Teff oder Zwerghirse (Eragrostis tef. Trotter), Rispenhirse (Panicum miliaceum L.), engl. Proso Millet, Perlhirse (Pennisetum glaucum L.), engl. Pearl Millet, Kolbenhirse (Setaria italica L.), engl. Foxtail Millet, Fingerhirse (Eleusine coracana L.), engl. Finger Millet, Mohrenhirse (Sorghum bicolor L., syn. S. vulgare PERS). Hirse- und Sorghumkörner sind durch Vor- und Deckspelzen geschützt, die häufig fest mit der Karyopse (dem Korn) verwachsenen sind [3]. Fest an- haftende Spelzen werden nach dem Dreschvorgang durch Schälen freilegt. Die Körner von Hirse und Sorghum bestehen wie die anderen Getreidear- ten aus den äußeren Fruchtschalen (Pericarp), der Samenschale (Testa), dem Mehlkörper (Endosperm) und dem Keimling. Die Schalen sind reich an Mineralstoffen und kieselsäurehal- tigen Substanzen. Die Kornfarbe ergibt sich aus den Pigmentierungen des Perikarps, der darunter liegenden Samenschale und Aleuronschicht sowie des Endosperms [3]. Gelb gefärbte Körner haben ihre Pigmentierungen vorwiegend im Peri- karp und im Endosperm des Korns, im Unterschied zu braunen Körnern, die ihre Pigmente überwiegend in den pe- ripheren Bereichen haben. Eine schie- fergraue Farbe tritt häufig mit Endo- spermpigmentierungen in Erschei- nung, die pH-abhängig sind [3]. Braune Hirse- und Sorghumkörner enthalten besonders hohe Anteile an Flavonoiden, aber auch Gerbstoffe wie Tannine und andere antioxidativ wir- kende Substanzen [4]. Da diese Ver- bindungen zum Teil als antinutritiv und damit als gesundheitsbeeinträch- tigend gelten, muss vor einem sorglo- sen oder übermäßigem Verzehr der braunpigmentierten Schalen (der Pe- rikarp-Bestandteile) gewarnt werden, wenn nicht spezielle Auf- und Zube- reitungsverfahren (z. B. hydrothermi- sche Behandlungen) zur Riskomini- mierung angewandt werden. Hirse Die im Anbau bedeutendsten Hirsen (Millet) sind die Perlhirse, die Finger- hirse, die Rispenhirse und die Kolben- hirse [5]. Typisch sind die sehr kleinen Zu Risiken und Nebenwirkungen bei „Braunhirse“ 1 Klaus Münzing, Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel, Detmold Es wird neuerdings eine sog. „Braunhirse“ als Urform der Hirse an- geboten, die besondere gesundheitliche Vorzüge haben soll. Die „Braunhirse“ soll basenbildend wirken, die Nährstoffe in „homöopa- thischer Form“ enthalten und bei zahlreichen Erkrankungen (Asth- ma, Parkinson, Tinnitus, offenes Bein, Karies usw.) helfen. Da sie schwer zu schälen und zu zerkleinern ist, wird sie ungeschält mittels Spezialmühlen zu feinem Vollkornmehl verarbeitet. Laut Hersteller- angaben soll auch der Rohverzehr der schalenhaltige „Braunhirse“ möglich sein. Die folgende Stellungnahme fasst den wissenschaftlichen Kenntnis- stand zu dieser Thematik zusammen. 1 Veröffentlichungs-Nr. 7597 der Bundesforschungs- anstalt für Ernährung und Lebensmittel in Detmold Abb. 1: Farb- und Form-Variationen von ungeschälten Hirsen [Quelle: BFEL, Detmold] Hirse Japanhirse grün gefärbt rote ungarische Hirse rote Hirse Gelbe „La Plata“ Hirse Senegalhirse

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496 Ernährungs-Umschau 51 (2004) Heft 12

Stellungnahme

Allgemeines

Hirse und Sorghum (Poaceae) gehörenzur Familie der Gräser (Gramineen) [1,2]. Die Vielfalt der Arten macht eineEinteilung erforderlich, die hier ver-einfacht dargestellt wird:� Teff oder Zwerghirse (Eragrostis tef.

Trotter),� Rispenhirse (Panicum miliaceum

L.), engl. Proso Millet,� Perlhirse (Pennisetum glaucum L.),

engl. Pearl Millet,� Kolbenhirse (Setaria italica L.),

engl. Foxtail Millet,� Fingerhirse (Eleusine coracana L.),

engl. Finger Millet,� Mohrenhirse (Sorghum bicolor L.,

syn. S. vulgare PERS).

Hirse- und Sorghumkörner sind durchVor- und Deckspelzen geschützt, diehäufig fest mit der Karyopse (demKorn) verwachsenen sind [3]. Fest an-haftende Spelzen werden nach demDreschvorgang durch Schälen freilegt.Die Körner von Hirse und Sorghumbestehen wie die anderen Getreidear-ten aus den äußeren Fruchtschalen(Pericarp), der Samenschale (Testa),dem Mehlkörper (Endosperm) unddem Keimling. Die Schalen sind reichan Mineralstoffen und kieselsäurehal-tigen Substanzen.

Die Kornfarbe ergibt sich aus denPigmentierungen des Perikarps, derdarunter liegenden Samenschale und

Aleuronschicht sowie des Endosperms[3]. Gelb gefärbte Körner haben ihrePigmentierungen vorwiegend im Peri-karp und im Endosperm des Korns, imUnterschied zu braunen Körnern, dieihre Pigmente überwiegend in den pe-ripheren Bereichen haben. Eine schie-fergraue Farbe tritt häufig mit Endo-spermpigmentierungen in Erschei-nung, die pH-abhängig sind [3].

Braune Hirse- und Sorghumkörnerenthalten besonders hohe Anteile anFlavonoiden, aber auch Gerbstoffe wieTannine und andere antioxidativ wir-kende Substanzen [4]. Da diese Ver-bindungen zum Teil als antinutritiv

und damit als gesundheitsbeeinträch-tigend gelten, muss vor einem sorglo-sen oder übermäßigem Verzehr derbraunpigmentierten Schalen (der Pe-rikarp-Bestandteile) gewarnt werden,wenn nicht spezielle Auf- und Zube-reitungsverfahren (z. B. hydrothermi-sche Behandlungen) zur Riskomini-mierung angewandt werden.

HirseDie im Anbau bedeutendsten Hirsen(Millet) sind die Perlhirse, die Finger-hirse, die Rispenhirse und die Kolben-hirse [5]. Typisch sind die sehr kleinen

Zu Risiken und Nebenwirkungen bei „Braunhirse“1

Klaus Münzing, Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel, Detmold

Es wird neuerdings eine sog. „Braunhirse“ als Urform der Hirse an-geboten, die besondere gesundheitliche Vorzüge haben soll. Die„Braunhirse“ soll basenbildend wirken, die Nährstoffe in „homöopa-thischer Form“ enthalten und bei zahlreichen Erkrankungen (Asth-ma, Parkinson, Tinnitus, offenes Bein, Karies usw.) helfen. Da sieschwer zu schälen und zu zerkleinern ist, wird sie ungeschält mittelsSpezialmühlen zu feinem Vollkornmehl verarbeitet. Laut Hersteller-angaben soll auch der Rohverzehr der schalenhaltige „Braunhirse“möglich sein.Die folgende Stellungnahme fasst den wissenschaftlichen Kenntnis-stand zu dieser Thematik zusammen.

1Veröffentlichungs-Nr. 7597 der Bundesforschungs-anstalt für Ernährung und Lebensmittel in Detmold Abb. 1: Farb- und Form-Variationen von ungeschälten Hirsen [Quelle: BFEL, Detmold]

Hirse

Japanhirse grün gefärbt rote ungarische Hirse rote Hirse

Gelbe „La Plata“ Hirse Senegalhirse

Page 2: Zu Risiken und Nebenwirkungen bei „Braunhirse“ · PDF fileDiskussionen hinsichtlich gesund-heitsbeeinträchtigender Stoffe oder Verbindungen [8, 9]. Solche Hirsen, die durch einen

Körner, die an schlanken Halmenwachsen. Eine Ausnahme ist Perlhirse,deren fester Stängel dem des Sorg-hums gleicht. Darüber hinaus gibt esin weiten Teilen Afrikas und Asienszahlreiche tropische und subtropischeHirsearten, die nur regionale, dann je-doch große Bedeutung für die Ernäh-rung der Bevölkerung haben [5]. Einespezielle „Braunhirse“ als Hirseart istweder botanisch bekannt noch wa-renkundlich in Begriffsbestimmungenbeschrieben.

Hirsen wachsen auf relativ trocke-nen, oft nährstoffarmen Böden, aufdenen keine anderen Getreideartengedeihen. Rispen- und Kolbenhirsefindet man jedoch auch in Mitteleuro-pa, wo bis im Mittelalter die Rispen-hirse eine wichtige Feldfrucht war. Sieist weniger wärmebedürftig als andereHirsearten, besitzt eine ansprechendegoldgelbe Farbe (sog. Gelb- oder Gold-hirse) und ist zudem besondersschmackhaft (Abb. 1). Mit dem Vor-dringen der Kartoffel ging der Anbauvon Hirse zurück. In wärmeren Län-dern sind Kolbenhirse und Sorghumweit verbreitet [5].

Der hohe Gehalt an phenolischenVerbindungen (s. u.) wird weltweitentweder durch Entfernen der Spelzenoder durch die traditionellen Zuberei-tungsprozesse vermindert oder elimi-niert. Die Hirsespelzen und Schalen-fraktionen werden für die Tierernäh-rung verwendet.

Die sogenannte „Braunhirse“ warbisher in Deutschland weder her-kunfts- noch verwendungsseitig be-kannt.

SorghumSorghum (Mohrenhirse) ist ein mitden echten Hirsen verwandtes Gras.Es stammt aus semiariden Zonen dertropischen und subtropischen Gebie-te Afrikas [2]. Im Verlauf der letzten100 Jahre wurde in den USA aus demursprünglichen Primitivgetreide Sor-ghum eine der weltweit wichtigstenFutterpflanzen gezüchtet. Sorghumbicolor zeigt eine weite Variabilität inder Pigmentausbildung der Körner: Esexistieren Sorten mit weißlichem undgelblichem bis hin zum braunen, ro-ten und manchmal schwarzen Korn[2]. Die neuen Hybridsorten sind nied-rig wachsend, großkörnig im Vergleichzu Hirse, ertragreich, gleichmäßig ab-reifend und eine energiereiche Kom-ponente für Mischfutter.

Der Gehalt an Lysin liegt jedoch un-ter dem der anderen Getreidearten.

Die Verfütterung größerer Mengen istallerdings nur bei neuen tanninarmenSorghum-Sorten zu empfehlen. Dieselassen sich problemlos anstelle vonMais verwenden. In Portugal und Spa-nien werden ausgewählte tanninarmeSorten, die vor der Verarbeitung ge-schält werden, zu Lebensmitteln undSäuglingsanfangsnahrung verarbeitet.Die Sorghum-Schalen gelangen dannins Tierfutter.

Antinutritive Substanzenund deren WirkungenHirse und Sorghum können je nachSorte wesentlich mehr antinutritiveVerbindungen enthalten als andereGetreidearten. Die tanninhaltigenphenolischen Pigmente der braunenSchale von Hirse und Sorghum – Phe-nolsäuren, Flavonoide und Tannine(Gerbstoffe) – haben die Eigenschaft,Proteine zu binden. Darauf beruhtihre antinutritive Wirkung [4–6].Durch die insbesondere in braunscha-ligen Hirsen und Sorghum in hohenKonzentrationen vorkommenden Po-lyphenole und kondensierten Tannineist das Korn gegen Schadorganismenund vor einem vorzeitigen Auskeimenauf dem Feld geschützt [3, 4]. Ob sichdiese sekundären Pflanzenstoffe ausden braunpigmentierten Schalen vonHirse und Sorghum positiv auf diemenschliche Gesundheit auswirkenkönnen – wie die Inverkehrbringer der„Braunhirse“ teilweise postulieren –ist ernährungswissenschaftlich nichtgesichert.

Wie bei anderen Getreidearten ent-halten die Randschichten der Hirsenaußerdem Phytinsäure, die neben an-deren Mineralstoffen Eisen, Zink undKalzium bindet, so dass diese für denOrganismus nicht mehr zur Verfügungstehen. Weiterhin kommt Oxalsäurevor, die überwiegend Kalzium bindetund bei entsprechender Dispositionzu Nierensteinen führen kann.

Geschälte Hirse ist in gekeimter, ge-weichter, gekochter oder flockierterForm hochwertiger als ungeschälteRohhirse, da durch diese Verarbei-tungsschritte die beeinträchtigendenWirkungen der Phytinsäure und Oxal-säure minimiert werden. Wichtig istbei hohen Verzehrsmengen wegen derenthaltenen unverdaulichen Ballast-stoffe eine hohe Flüssigkeitsaufnah-me.

Daraus folgt, dass braune Rohhirseals Vollkornprodukt ein gesundheitli-ches Risiko darstellen kann. Ob einMitverzehr der tanninhaltigen poly-

phenolischen Spelz- und Schälkleiebei Produkten aus „Braunhirse“ oderbraunschaliger Rohhirse gesundheits-schädlich sein kann, ist allerdingsnicht erwiesen. Evidenzbasierte er-nährungsmedizinische oder wissen-schaftliche Stellungnahmen zu dieserProblematik sind weder vorhandennoch in Vorbereitung. Wegen dieserungeklärten Fragen ist der Verzehrproblematisch, insbesondere wenndurch eine neuartige Feinzerkleine-rung die kritischen Stoffe leichter auf-genommen werden können.

Verarbeitung von Hirse zu LebensmittelnHirsebrei als ein bekömmliches undnahrhaftes Gericht aus Schälgetreidehat eine jahrhundertlange Tradition inMitteleuropa. Hirse ist wegen der har-ten, kieselsäurehaltigen Schale nur ingeschälter Form genießbar [7]. Dieharte Spelz- und Schälkleie wird we-gen ihres unangenehmen Kauein-drucks, des herb-bitteren Geschmacksund ihrer schlechten Verdaubarkeitseit Jahrhunderten stets entfernt;nähere Informationen über ihre Zu-sammensetzung liegen daher nichtvor. Je nach Schälgrad werden etwa10 % bis zu 35 % des ursprünglichenKorngewichts als Schälkleie abge-trennt. Durch das Schälen der Korn-randzonen handelt es sich dann nichtmehr um ein Vollkornprodukt. Zwarwerden ernährungsphysiologisch rele-vante Substanzen eliminiert, aber

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Stellungnahme

Abb. 2: Zentrofan-Vermahlungssystem[Quelle: BFEL, Detmold]

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gleichzeitig werden die Lebensmit-telsicherheit, Nährstoffverdaulichkeitund der Genuss- sowie Geschmacks-wert gesteigert [3].

Die Mehrzahl der hellen oder gel-ben echten Hirsen (Millet) haben imUnterschied zu braunschaligem Sorg-hum (z. B. Andropogon Sorghum) undzur Kolbenhirse den Vorteil, dass siesich ohne Probleme schälen lassen.Außerdem weisen sie deutlich gerin-gere Tannin- und Phenolgehalte auf.Demzufolge gibt es bei Produkten ausgeschälter gelber Speisehirse keineDiskussionen hinsichtlich gesund-heitsbeeinträchtigender Stoffe oderVerbindungen [8, 9]. Solche Hirsen,die durch einen milden, fein-würzi-gen, ansprechenden Geschmack ge-kennzeichnet sind, werden heute zuMehlen, Grießen, Grützen, Flocken,aber auch zu Hirse-Popcorn und an-deren modernen Frühstückszerealienverarbeitet [7].

Die Idee, Hirse als Vollkornproduktzu Mehl oder Pulver aufzureiben,ohne die Schalen zu separieren, ist ei-nerseits innovativ, andererseits un-ter gesundheitlichen Gesichtspunktenproblematisch. Allerdings können aufdiese Weise Sorten verarbeitet werden,die wegen der schlechten Schälbarkeitbislang nicht verwendet wurden. Hir-sen mit fest verwachsenen Vor- undDeckspelzen liefern nach diesem Ver-fahren spelzenhaltige Vollkornproduk-te. Für die Feinzerkleinerung sindMahlverfahren geeignet, die wie dieSchälverfahren nach dem Attritions-,Abrasions- oder Schleifprinzip arbei-ten [10]. Dazu zählt das Zentrofan-Verfahren.

Die Zentrofanmühle (Abb. 2) be-steht aus einem feststehenden Mahl-stein aus Basaltlava. Durch einen spi-ralförmigen Luftstrom werden die Hir-sekörner immer wieder an die Stein-oberfläche geführt und dort mecha-nisch bearbeitet, bis sie zu Mehl auf-gelöst sind [11]. Durch den hohenLuftaustausch kommt es nur zu einergeringen Mahlguterwärmung. DieZentrofanmühle arbeitet nach Her-stellerangaben geräusch- und staub-arm, ist wartungsfrei und leicht be-dienbar. Für Weizen wird die Vermah-lungsleistung mit 12–20 kg/h angege-ben. Allerdings wird dieses mit inten-siver Luftzufuhr arbeitende Verfahrenvon den Herstellern nicht für hoch li-pidhaltige Körner oder Samen emp-fohlen. Die vollständige Auflösungund Verteilung der lipidhaltigen Keim-lingsfraktion und Schalen über dieMahlgutoberfläche fördert in Verbin-

dung mit der intensiven Luftbeauf-schlagung nämlich oxidative Lipid-umsetzungen.

Ungeachtet dieser Einschränkunggibt es Lebensmittelunternehmen, dieHirse in Zentrofanmühlen zerklei-nern. Das komplette Hirsekorn (Ganz-korn) wird unter hohen Feuchtigkeits-verlusten vollständig zu feinem Mehlzerrieben. Die mehrfach ungesättig-ten freien Fettsäuren und die emp-findlichen ß-Carotinoide werden hier-durch geschädigt, zumal die natürli-che Schutzwirkung des Wassers ge-genüber der Sauerstoffwirkung durchdie hohen Feuchtigkeitsverluste verlo-ren geht. Demzufolge dürften auch ge-schmackliche Beeinträchtigungen beizentrofanvermahlenen Hirseerzeug-nissen zu erwarten sein. Eine gezielteFrischvermahlung oder eine thermi-sche Stabilisierung kann diesen senso-rischen Nachteilen entgegenwirken.

Konsequenzen für Verarbeiter von HirseDie Verkehrsbezeichnung auf Fertig-packungen für Lebensmittel ist diefachliche Orientierung für die Ver-braucher. Sie muss gut lesbar und un-missverständlich auf der Packung angegeben sein. Die Verkehrbezeich-nung „Braunhirse“ wird Verbrau-cher ansprechen, die mit „braun“ denBegriff „Vollkorn“ verbinden (z. B.„Braunreis“ gleich Vollkornreis). Voll-kornhirse wäre nach deutschen Be-griffsbestimmungen eine von Spelzenbefreite Speisehirse, die analog zuVollkornreis oder Vollkorn-Dinkel nurgeringe Teile der Frucht- und Samens-schalen (höchstens 1–2 %) verlorenhat.

Sollte „Braunhirse“ jedoch ein Sam-melbegriff für ungeschälte Hirse sein,wäre auch die Verkehrbezeichnung„ungeschälte Speisehirse“ akzeptabel.Verbraucher wählen beim EinkaufSpeisehirse, da diese im Gegensatz zuFutter- oder Vogelhirse die besonde-ren hygienerechtlichen und gesund-heitlichen Anforderungen eines Le-bensmittels erfüllt. Der Begriff „Spei-sehirse“ ist bei ungeschälter Hirse al-lerdings nur dann zulässig, wenn eineintensive Oberflächenreinigung derungeschälten Hirsekörner erfolgt istund sämtliche Maßnahmen zur Mini-mierung von Gesundheitsrisikendurchführt worden sind.

Die Entfernung von unerwünschtenStoffen in den Spelzen und Schalenkann durch die übliche Reinigung desRohgetreides erreicht werden [7]. Da-

bei werden neben Verunreinigungenmechanisch und sensorisch beein-trächtigte Hirsekörner ausgelesen.Darüber hinaus ist vor der Vermah-lung eine sog. Weißreinigung erforder-lich, um die auf der Kornoberflächeanhaftenden unerwünschten Stoffeder Umwelt, Mikroorganismen undMykotoxine (z. B. Schimmelpilzgifte)abzutrennen.

Der hohe mechanische Aufschlussder Hirse und der Hirseschalen bis aufMehlfeinheit (<200 µm) senkt bei der„Braunhirse“ nicht den Anteil der kri-tischen Inhaltsstoffe, sondern erhöhtderen Verfügbarkeit. Vor diesem Hin-tergrund sind bei der Zentrofan-Ver-mahlung besondere Anpassungen zurRisikominimierung erforderlich. Soließen sich die gesundheitlich kriti-schen hoch tanninhaltigen Spelz- undSchalenfraktionen durchaus selektivabtrennen und eliminieren, bevor dieZerkleinerung zu Mehl erfolgt. Bei denim Handel befindlichen Produkten ge-schieht dies jedoch nicht. Wichtig istauch die Frage der sensorischen Sta-bilität, da mittels Zentrofan-Verfah-ren gewonnenes Hirsemehl für ei-nen oxidativen Lipidaubau geradezuprädestiniert ist. Ein einfacher Ge-schmackstest zeigt den beginnendenLipidverderb durch einen anhalten-den unangenehm kratzenden Bitter-geschmack an. Etliche im Handel be-findliche Braunhirsemehle sind ge-schmacklich nicht einwandfrei. Mög-licherweise wäre eine frische Verwen-dung der Hirsemahlprodukte vorzu-ziehen.

Solange unklar ist, ob und welchegesundheitlichen Risiken mit demRohverzehr der feinzerkleinertenSpelz- und Schälfraktion verbundensind, sollten die antinutritiven Stoffedurch zusätzliche Verfahrensschritteweiter reduziert werden. Hier bietensich vor der Vermahlung Weich- undKeimungsprozesse oder nach der Ver-mahlung Fermentations-, Koch- undBackprozesse an. Da dies teilweiseauch im Haushalt möglich ist, sindverbrauchergerechte Zubereitungs-hinweise wichtig. Wird „Braunhirse“als Nahrungsergänzungsmittel ver-wendet, so sind auf der Packung Hin-weise des Herstellers erforderlich zuden empfohlenen täglichen Verzehrs-mengen sowie möglichen Risiken undNebenwirkungen. Nach der neuenVerordnung über Nahrungsergän-zungsmittel ist Mehl oder Pulver zumSelbstdosieren nicht mehr erlaubt. ImRahmen der Sorgfaltspflicht muss derHersteller auch darauf hinweisen,

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Stellungnahme

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dass Nahrungsergänzungen keineausgewogene Ernährung ersetzen.

SchlussfolgerungenDa im Unterschied zu den gelben Hir-sen die braunpigmentierten Artennach Literaturangaben hohe Anteilean tanninhaltigen polyphenolischenVerbindungen aufweisen, ist der Mit-verzehr der rohen und feinzerkleiner-ten Spelzen und Schalen mit einemgesundheitlichen Risiko verbunden.Verarbeiter von „Braunhirse“ müssenaus hygiene- und produkthaftungs-rechtlichen Gründen die Konzentra-tionen der tanninhaltigen polypheno-lischen Verbindungen in ihren Pro-dukten kennen und auf dieser Basiseinen Handlungsrahmen für die Qua-litätssicherung erstellen. Da nach der-zeitiger Einschätzung die kieselsäure-haltigen harten Bestandteile der Hirsedie Magen- und Darmschleimhäutereizen, müssen magen- und darm-empfindliche Personen sowie Zölia-kiekranke vor solchen Erzeugnissengewarnt werden.

Hirsemehl, das für Müslis, zumBacken, Kochen usw. angeboten wird,muss wegen der hohen Verzehrsmen-gen der Grundsatz der gesundheitli-chen Unbedenklichkeit strikt erfüllen.Die Qualitätssicherung muss daherdie Sortenwahl (polyphenol- und tan-ninarme Sorten) und die produktge-rechte müllerische Bearbeitungeinschließen. Hirse ist ernährungs-physiologisch besonders wertvoll,wenn sie sachgerecht verarbeitet wird.Sie reagiert im Vergleich zu anderenGetreidearten sehr empfindlich aufSauerstoff. Dies muss bei der Verarbei-tung beachtet werden.

Vom Mitverzehr der braunpigmen-tierten, feinzerkleinerten Spelz- undSchälkleie ist abzuraten, bis eineernährungswissenschaftliche Bewer-tung der Gesundheitsrisiken möglichist. Daten aus Ernährungsstudien lie-gen in der internationalen Fachlitera-tur dazu bisher nicht vor. Geschältegelbpigmentierte Speisehirse aus Pa-nicum miliaceum L. (Gelbhirse, Gold-hirse) und daraus hergestellte handel-sübliche Getreidenährmittel oder Zu-bereitungen bieten hingegen nebender Lebensmittelsicherheit einen ho-hen Nährwert und einen uneinge-schränkten Genusswert [8, 9].

Literatur:1. Meyer, D.: Anbau und Züchtung. In: Seibel,

W.; Steller, W. (Hrsg.): Spelz- und Schälgetrei-de. Hamburg: Behr's, S. 19–56 (1993)

2. House, L.R.: Sorghum and Millets: History,Taxonomy, and Distribution. In: Dendy D.V.(Hrsg.): Sorghum and Millets – Chemistryand Technolology. S. 1ff., AACC St. Paul(1995)

3. Serna-Saldivar, S.; Rooney, L.W.: Structuresand chemistry of sorghum and millets. In:Dendy D.V. (Hrsg.): Sorghum and Millets –Chemistry and Technolology. S. 69ff., AACCSt. Paul (1995)

4. Klopfenstein, C.F; Hoseney, R.C.: NutritionalProperties of Sorghum and Millets. In: DendyD.V. (Hrsg.): Sorghum and Millets – Chemi-stry and Technolology. S. 125ff., AACC St.Paul (1995)

5. Dendy D.V.: Sorghum and the millets, pro-duction and importants. In: Dendy D.V.(Hrsg.): Sorghum and Millets – Chemistryand Technology., S. 11ff., AACC St. Paul(1995)

6. King-Thom Chung, Cheng-I Wei und M. G.Johnson: Are tannins double-edged sword inbiology and health? - Trends in Food Scienceand Technology 9, S. 168–175 (1998)

7. Zwingelberg, H.: Müllerische Bearbeitung. In:Seibel, W.; W. Steller (Hrsg.): Spelz- und Schäl-getreide. Hamburg: Behr’s, S. 83–113 (1993)

8. Rabe, E.: Nährwert. In: Seibel, W.; W. Steller(Hrsg.): Spelz- und Schälgetreide. Hamburg:Behr’s, S. 228–291 (1993)

9. Pries, P.: Hirse, ein Getreide, an dem die Ent-wicklung vorbeiging. Gordian 89, S. 91 (1989)

10. Munk, L.: New milling technologies and pro-ducts: whole plant utilisation by milling andseperation of the botanical and chemicalcomponents. In: Dendy D.V. (Hrsg.): Sorghumand Millets – Chemistry and Technolology. S. 223–281, AACC St. Paul (1995)

11. Henning, H.: Vollkornmehl vom Feinsten. –Bioland 05/2004 S. 35

Anschrift des Verfassers:Dr.-Ing. Klaus MünzingBundesforschungsanstalt für Ernährung und LebensmittelSchützenberg 1232756 Detmold

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