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1 Klausurensammlung zum kleinen Schein im Zivilrecht 22 Originalklausuren Stand: vor dem Sommersemester 2017 Gesamtausgabe

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Klausurensammlung

zum

kleinen Schein

im Zivilrecht

22 Originalklausuren

Stand: vor dem Sommersemester 2017

Gesamtausgabe

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Vorwort

Die Klausurensammlung der Fachschaft erscheint in diesem Jahr in zehnter Auflage. Zu

der Neuauflage nach nur einem Jahr haben wir uns entschlossen, um die Klausuren aus

den Anfängerübungen der letzten Semester aufnehmen zu können und die Klausuren-

sammlung damit auf einem möglichst aktuellen Stand zu halten. Wir hoffen, dass auch

diese Ausgabe der Klausurensammlung euch bei der Vorbereitung auf die Anfängerklau-

suren hilft.

Zu beachten ist, dass es sich bei den abgedruckten Klausuren um von Studierenden ge-

schriebene Originalklausuren handelt, also nicht um Musterlösungen! Es sind also unter

Umständen durchaus andere als die gezeigten Lösungswege möglich. Die Randbemer-

kungen der Korrigierenden weisen zum Teil auf solche Möglichkeiten hin.

Für die Richtigkeit der Klausuren übernehmen wir keine Gewähr!

Wir danken allen, die uns ihre Klausuren zum Abdruck zur Verfügung gestellt haben.

Für Anregungen und Hinweise sind wir natürlich immer dankbar.

Wenn Ihr selbst gute Klausuren schreibt, bringt sie uns, damit auch

nächstes Jahr wieder eine aktualisierte Neuauflage erscheint!

Eure Fachschaft Jura

Anmerkung: Alle §§ in dieser Klausurensammlung ohne Gesetzesangaben sind solche

des BGB!

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Inhalt

1. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2002 (05.06.2002) .................................................................................... 5

Prof. Dr. Peter Bülow ............................................................................................................................................ 5

2. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2002 (26.06.2002) .................................................................................. 11

Prof. Dr. Peter Bülow .......................................................................................................................................... 11

1. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2003 ........................................................................................................ 15

Prof. Dr. Hans Wieling ........................................................................................................................................ 15

1. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2004 ........................................................................................................ 19

Prof. Dr. Peter Reiff ............................................................................................................................................. 19

2. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2004 (11.06.2004) .................................................................................. 25

Prof. Dr. Peter Reiff ............................................................................................................................................. 25

2. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2005 ........................................................................................................ 32

Prof. Dr. Franz Dorn ............................................................................................................................................ 32

1. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2006 ........................................................................................................ 38

Prof. Dr. Gregor Bachmann ................................................................................................................................. 38

2. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2006 ........................................................................................................ 44

Prof. Dr. Gregor Bachmann ................................................................................................................................. 44

1. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2007 ........................................................................................................ 48

Prof. Dr. Diederich Eckardt ................................................................................................................................. 48

2. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2007 ........................................................................................................ 55

Prof. Dr. Diederich Eckardt ................................................................................................................................. 55

1. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2008 ........................................................................................................ 62

Prof. Dr. Thomas Rüfner ..................................................................................................................................... 62

2. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2008 ........................................................................................................ 68

Prof. Dr. Thomas Rüfner ..................................................................................................................................... 68

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2. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2010 ........................................................................................................ 73

Prof. Dr. Oliver Fehrenbacher ............................................................................................................................. 73

1. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2011 ........................................................................................................ 79

Prof. Dr. Thomas Raab ........................................................................................................................................ 79

1. Klausur für Anfänger im Zivilrecht (04.05.2012) ........................................................................................... 86

Prof. Dr. Peter Reiff ............................................................................................................................................. 86

2. Klausur für Anfänger im Zivilrecht (15.06.2012) ........................................................................................... 90

Prof. Dr. Peter Reiff ............................................................................................................................................. 90

1. Klausur für Anfänger im Zivilrecht 2013 ........................................................................................................ 96

Prof. Dr. Hans-Friedrich Müller .......................................................................................................................... 96

2. Klausur für Anfänger im Zivilrecht (21.06.2013) ......................................................................................... 101

Prof. Dr. Hans-Friedrich Müller ........................................................................................................................ 101

1. Klausur für Anfänger im Zivilrecht (24.04.2015) ......................................................................................... 107

Prof. Dr. Franz Dorn .......................................................................................................................................... 107

2. Klausur für Anfänger im Zivilrecht (12.06.2015) ......................................................................................... 112

Prof. Dr. Franz Dorn .......................................................................................................................................... 112

1. Klausur für Anfänger im Zivilrecht 2016 (29.04.2016) ................................................................................ 118

Prof. Dr. Jens Kleinschmidt ............................................................................................................................... 118

2. Klausur im Zivilrecht für Anfänger (10.6.2016) ........................................................................................... 125

Prof. Dr. Jens Kleinschmidt ............................................................................................................................... 125

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1. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2002 (05.06.2002)

Prof. Dr. Peter Bülow

Jurastudent J und Architekturstudentin A bilden eine Wohngemeinschaft. J sitzt gerade an seiner ersten Hausar-

beit im Bürgerlichen Recht. Der Abgabetermin rückt näher und J benötigt dringend Literatur. Daher bittet J die

A, für ihn bei Buchhändler B das Lehrbuch zum neuen Schuldrecht von Lorenz/Riehm zu kaufen. Weiterhin

möge sie ihm ein gängiges Lehrbuch zum Staatsorganisationsrecht besorgen. B werde ihr sicher ein Werk emp-

fehlen können, das sich für die bevorstehende Übung im Öffentlichen Recht eignet. Schließlich bittet J die A,

eine passende Tintenpatrone für seinen Drucker zu kaufen.

Im Buchladen des B erkundigt sich A im Namen des J nach den beiden Büchern. Da der Lorenz/Riehm gerade

vergriffen ist, bietet B der A die kürzlich erschienene Einführung in das neue Schuldrecht von Schwab/Witt zum

Preis von 19 Euro an. A nimmt an, dass J auch mit diesem Werk einverstanden sein werde. Zum Staatsorganisa-

tionsrecht übergibt B der A das Lehrbuch von Christoph Degenhart zum Preis von 20,50 Euro. Vereinbarungs-

gemäß teilt A dem B mit, J werde die Bücher nach Fertigstellung seiner Hausarbeit bezahlen, womit B einver-

standen ist.

Auf dem Heimweg trifft A ihren 16-jährigen Bruder M, der gerade auf dem Weg zum Computerladen C ist. A

bittet den M, eine Druckpatronen für den J zu besorgen. Im Geschäft des C wählt M ein zum Sonderpreis von 30

Euro angebotenes Produkt aus und teilt dem C mit dass J in den nächsten Tagen bezahlen werde. C übergibt die

Patrone dem M, der sie wiederum an A weitergibt.

Als A mit beiden Büchern und der Druckerpatrone nach Hause kommt, hält sich die Begeisterung des J in Gren-

zen. Das Buch von Schwab/Witt hatte J bereits am Tag seines Erscheinens erworben und schon in seiner Haus-

arbeit berücksichtigt. Es fällt ihm nun auf, dass er sich versprochen hat und zum Öffentlichen Recht eigentlich

ein Buch zu den Grundrechten hätte kaufen wollen. Daher erklärt er gegenüber A, er könne mit den Büchern

nichts anfangen und wolle sie auch nicht haben.

A ist der Auffassung, dass müsse J mit B regeln. J teilt dem B daraufhin mit, dass er die beiden Bücher nicht

gebrauchen könne und nicht behalten wolle. Mit der Druckerpatrone ist J indes zufrieden. Einige Wochen später

erinnert C den J an die offene Rechnung bezüglich der Druckerpatrone, die M für ihn gekauft habe. J entgegnet,

er habe M niemals beauftragt.

B verlangt von J Zahlung von 19 Euro für das Buch von Schwab/Witt und 20,50 Euro für das Werk von Degen-

hart. Für den Fall, dass J nicht zahlen muss, fragt er, ob er Zahlung von A verlangen kann. C verlangt von J

Zahlung der 30 Euro für die Druckpatrone. Sollte J nicht zahlen müssen, fragt er, ob er sich an A oder M halten

kann.

Zu Recht?

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Gutachten

Es ist günstiger die Ansprüche

sofort zu trennen

Sehr gut

Welchem Vertreter?

A.) Anspruch auf Zahlung der Bücher von B

I.) Anspruch aus § 433 I

B könnte einen Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Kaufpreises

gemäß § 433 II gegen den J haben. Dazu müssten zwei übereinstim-

mende Willenserklärungen vorliegen, die in Bezug aufeinander ab-

gegeben werden sind und inhaltlich übereinstimmen, Angebot und

Annahme gemäß §§ 145 ff.

1.) Angebot

Es müsste ein Angebot vorliegen. Dieses müsste inhaltlich so be-

stimmt sein, dass es lediglich einer Zustimmung bedarf, um es an-

zunehmen. Und es müsste mit rechtlichen Bindungswillen erklärt

werden. Demnach liegt in der bloßen Erkundigung der A nach den

Büchern keinesfalls ein Angebot [vor]. Der B erklärt die bestimm-

ten Bücher Lorenz/Riehm und Schwab/Witt zu einen jeweils be-

stimmten Preis als verkäuflich. Alle essentialia negotii, Kaufsache

und Kaufpreis, sind somit eindeutig mit rechtlichen Bindungswil-

len erklärt. Somit liegen die Angebote bzgl. der Bücher

Schwab/Witt (S/W) und Lorenz/Riehm (L/R) vor.

2.) Annahme

a) Annahme bzgl. S/W

Der J müsste das Angebot auch angenommen haben. Der J war hier

jedoch gar nicht zugegen. Die A äußerte sich lediglich. Die A

müsste also den J wirksam vertreten haben, so dass ihre Äußerung

dem J zuzurechnen ist. Eine wirksame Stellvertretung liegt gemäß

§ 164 I dann vor, wenn der Vertreter eine eigene Willenserklärung

im Namen des Vertretenen mit Vertretungsmacht abgibt. Die A

müsste also eine eigene Willenserklärung abgegeben haben. Hier

ergibt sich die Abgrenzung von Botenmacht und Stellvertretung.

Während der Bote lediglich Überbringer einer fremden Erklärung

ist, gibt der Stellvertreter eine eigene Willenserklärung ab. Der

Stellvertreter entscheidet im Gegensatz zum Boten über das “ob”

und “wie” des Geschäfts. Die A hatte hier von dem J den genauen

Auftrag bekommen den L/R zu kaufen. Diese Willenserklärung des

J sollte die A lediglich überbringen. Es oblag ihr nicht zu entschei-

den, ob sie das wolle oder wie sie es wolle. Ein Bestimmungsspiel-

raum ist bei Büchern mit Listenpreisen nicht gegeben, wenn der

genaue Titel genannt ist. Dies war hier der Fall. Somit war die A

bzgl. des Kaufs des L/R lediglich Botin des J.

Nun kann es dem Vertretenen egal sein, wie sein Rechtsgeschäft

zustande kommt, also ob der Vertreter als Bote oder der Bote als

Vertreter auftritt, solange er innerhalb seiner Vertretungs- oder Bo-

tenmacht handelt. Die A wählte hier jedoch ein anderes Buch als

den L/R aus. Somit überschritt die A ihre Botenmacht. Entschei-

dend ist nun, ob sie dies bewusst oder unbewusst tat. Bei einer un-

bewussten Übertretung der Botenmacht würde die Willenserklä-

rung dem Vertreter gemäß § 120 analog zugerechnet werden. Der J

hätte dann lediglich ein Recht zur Anfechtung gemäß § 120.

Hier war die A sich aber bewusst ein anderes Buch zu kaufen. So-

mit wird die Erklärung dem J nicht zugerechnet und es gelten die

§§ 177 ff. analog.

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Eigentlich wird in solchen Fäl-

len erwartet, dass Sie begrün-

den, warum Sie die §§ 177 ff.

analog anwenden.

Stellen Sie klar, welche Wil-

lenserklärung (angefochten

werden immer nur Willener-

klärungen und keine rechtsge-

schäfte) hier angefochten wer-

den

Sehr gut

Der J könnte also gemäß § 177 analog den Kauf genehmigen. Dies

hat er jedoch nicht getan, wie seinen Worten, er könne mit den Bü-

chern nichts [anfangen] zu entnehmen ist.

Somit liegt keine Annahme des Angebots von J bzgl. des S/W vor.

Ergebnis: Es besteht kein Anspruch auf Zahlung der 19 Euro für

den S/W gegen den J.

b) Annahme bzgl. des Buchs von Degenhart (D)

J müsste das Angebot des B “D für 20,50 Euro” angenommen ha-

ben. Hier schloss jedoch nicht der J ein Geschäft mit dem B ab,

sondern die A. Dieses könnte dem J jedoch zuzurechnen sein, wenn

ihm die A wirksam vertreten hätte.

Für eine wirksame Stellvertretung ist es gemäß § 164 I erforderlich,

dass der Stellvertreter eine eigene Willenserklärung im Namen des

Vertretenen abgibt und innerhalb der Vertretungsmacht handelt.

aa) Die A müsste also eine eigene Willenserklärung abgegeben ha-

ben. Der J hatte der A nur aufgetragen “ein gängiges Lehrbuch zum

Staatsorganisationsrecht” zu kaufen. Somit blieb der A Auswahl-

möglichkeit und eigener Handlungsspielraum. Folglich hat sie eine

eigene Willenserklärung abgegeben.

bb) Weiter müsste die A im Namen des J gehandelt haben. Dem

Offenkundigkeitsprinzip ist damit genüge getan, dass die A sagt,

dass der “J nach Fertigstellung seiner Hausarbeit zahlen werde”. cc)

Weiter müsste die A innerhalb ihre Vertretungsmacht gehandelt ha-

ben. Der J hatte ihr durch Rechtsgeschäft Vertretungsmacht einge-

räumt (Vollmacht, § 166 II). Diese Vollmacht hatte J gemäß § 167

I gegenüber der A erklärt, indem er sie bat ein Buch zum Staatsor-

ganisationsrecht zu kaufen. Somit hatte A auch die erforderliche

Vertretungsmacht zum Kauf.

Folglich liegt eine wirksame Stellvertretung vor und der Kaufver-

trag wirkt für und gegen den J. Demnach wäre der Anspruch auf

Zahlung begründet.

3.) Jedoch konnte der Anspruch auf Zahlung untergegangen sein,

indem J wirksam das Rechtsgeschäft angefochten hatte und der An-

spruch durch die Wirkung ex tunc gemäß § 142 I untergeht. Gemäß

§ 166 I kommt es für einen erheblichen Irrtum darauf an, ob sich

die Person des Vertreters irrt. J irrte sich jedoch nicht. Eine Anfech-

tung des Rechtsgeschäfts ist somit nicht möglich.

4.) Jedoch könnte der J die Vollmacht wegen Irrtums anfechten und

diese ex tunc gemäß § 142 I vernichten.

a) Zulässigkeit

Eine Anfechtung einer Vollmacht muss grundsätzlich wie jede An-

fechtung einer Willenserklärung zugelassen sein. Fraglich ist je-

doch, ob es zulässig ist eine bereits gebrauchte Vollmacht anzu-

fechten.

Dieses ist streitig, da gemäß § 166 I der Vertretene eben genau so

gestellt werden soll als hätte er das Rechtsgeschäft (RG) selbst ab-

geschlossen. So würde er gestellt werden, da er ein bereits abge-

schlossenes vom Erklärenden nicht mit einem Irrtum behaupteten

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Sehr schöne Argumentation

Wieder sehr gut argumentiert

müsste der Dritte auf dem Rechtsschein einer wirksamen Voll-

macht vertrauen dürfen. Hier bietet sich der Vergleich zur An-

scheinsvollmacht an, wobei diese sogar im Gegensatz zu einer an-

gefochtenen Vollmacht ja nicht einmal wirklich besteht.

Andererseits kommt es gemäß § 166 II auf die Person des Vertre-

tenen an, wenn der Vertreter auf Weisungen des Vertretenen han-

delt und der Vertretene dem Vertreter lediglich bestellt um seine

Bösgläubigkeit zu vertuschen. Hier also die Weisung vorgenom-

men, dass es auf die Interessenlage desjenigen ankommt, der den

Abschluss des Geschäfts ausschlaggebend beeinflusst. Demnach

erscheint es auch gerechtfertigt, wenn ein Vertretergeschäft ange-

fochten wird, bei dem der Vertreter auf Weisung des Vertretenen

gehandelt hat und der Irrtum des Vertreters sich auf das Vertreter-

geschäft durchschlägt. Hätte er diesen nämlich selbst abgeschlos-

sen, könnte er selbst anfechten. Somit erscheint die Anfechtung der

benutzten Vollmacht gerechtfertigt.

b) Anfechtungsgrund

Es müsste also ein Anfechtungsgrund vorliegen. J könnte sich in

einem Irrtum gemäß § 119 I befunden haben. Er erklärte etwas, was

er gar nicht erklären wollte. Somit befand er sich gemäß § 119 I 2.

Alt. in einem Erklärungsirrtum.

c) Anfechtungserklärung

Es ist weiterhin umstritten, wem gegenüber die Erklärung ange-

fochten werden muss. Wird die Erklärung gegenüber dem Vertreter

angefochten, würde dieser rückwirkend seine Vertretungsmacht

verlieren und das Vertreter ohne Vertretungsmacht gemäß § 179 II

dem Dritten gegenüber zu Ersatz des Vertrauensschadens ver-

pflichtet sein. Der Vertreter könnte den Ersatz wiederum von dem

Vertretenen gemäß § 122 I verlangen. Wenn der Vertreter jetzt aber

Insolvent oder beschränkt geschäftsfähig ist, trifft den Dritten die-

ses Risiko und der Vertreter trägt das Insolvenzrisiko des Vertrete-

nen. Dies erscheint jedoch nicht interessengemäß, da sich der Ver-

tretene ja irrte.

Somit muss hier gegenüber dem Dritten angefochten werden, so-

dass der Vertreter dem Dritten gegenüber aus § 122 I schadenser-

satzpflichtig wird, die Vertretungsmacht zwar auch rückwirkend

ungültig wird, sich dieses aber erübrigt, da der Vertrauensschaden

bereits durch die Haftung des Vertretenen gemäß § 122 I abgegol-

ten ist. Der J müsste also gegenüber dem B angefochten haben. Dies

hat er getan, indem er erklärte, er könne mit den Büchern nichts

anfangen.

d) Anfechtungsfrist

Der J müsste gemäß § 121 I unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes

Zögern angefochten haben. Dies hat er laut Sachverhalt direkt nach

Kenntnis des Anfechtungsgrundes getan. Somit ist die Frist erfüllt.

Folglich wurde wirksam angefochten.

Ergebnis: Ein Anspruch auf Zahlung der 20,50 Euro für den D be-

steht nicht.

II.) Anspruch auf Zahlung der 19 Euro für den S/W aus § 179 I

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Wieder sehr gut

Der B könnte einen Anspruch auf Zahlung gemäß § 179 I gegen die

A haben. Dann müsste die A als Vertreter ohne Vertretungsmacht

gehandelt haben. Dies hat sie (siehe oben).

Weiter dürfte der J das Geschäft nicht genehmigt haben. J versucht

von dem Geschäft loszukommen, hat es also nicht genehmigt.

Demnach haftet die A dem B auf Erfüllung oder auf Ersatz des Er-

füllungsschadens. Aus der Fallfrage ergibt sich, dass der B Erfül-

lung verlangt.

Ergebnis: B kann Erfüllung des Kaufvertrages gemäß § 179 II von

A verlangen, also Zahlung von 19 Euro für den S/W.

III.) Anspruch aus § 433 II

Der C könnte einen Anspruch gegen J aus § 433 II auf Zahlung der

30 Euro für die Druckpatronen haben. Dafür müsste ein wirksamer

Kaufvertrag, d.h. Angebot und Annahme vorliegen.

1.) Angebot

a) Es könnte ein Angebot des C in dem Ausstellen und Kenntnis-

machung des Kaufpreises der Patrone liegen. Hier liegen zwar die

essentialia negotii vor, jedoch ist es fraglich, ob ein Rechtsbin-

dungswille des C besteht. Es ist zwar nicht nötig an eine bestimmte

Person das Angebot zu richten (offerte ad incertas personas), je-

doch läge ein rechtlicher Bindungswillen vor, könnten mehrere die-

ses Angebot annehmen und der C nur einen Vertrag erfüllen, so

dass er sich schadenersatzpflichtig machen würde gegenüber denen

er nicht erfüllen kann.

Somit liege hier kein Angebot vor, sondern lediglich eine Auffor-

derung ein Angebot zu machen, eine invitatio ad offerendum.

b) Weiter könnte der J ein Angebot gemacht haben. Hier hat jedoch

nicht J gehandelt, sondern der M. Dann müsste dem J das Verhalten

des M zuzurechnen gewesen sein. Dies wäre der Fall, wenn der M

Stellvertreter des J gewesen wäre. Stellvertreter ist gemäß § 164 I

wer im fremden Namen eine eigene Willenserklärung abgibt, die

innerhalb der Vertretungsmacht liegt.

aa) Der M gab hier eine eigene Willenserklärung ab. Es ist hier auch

nicht entscheidend, dass der M minderjährig ist, vgl. § 165.

bb) Weiter müsste der M im Namen des J gehandelt haben. Der M

hat die Vertretung offen gelegt, indem er versprach, dass der J in

den nächsten Tagen bezahlen werde.

cc) Weiter müsste der M Vertretungsmacht gehabt haben. Der J

hatte lediglich der A Vertretungsmacht erteilt, nicht dem M. Somit

müsste die A den J bei der Bestellung des Vertreters vertreten ha-

ben. Sie müsste also gemäß § 164 I eine eigene Willenserklärung

abgegeben haben, offenkundig gehandelt haben und die entspre-

chende Vertretungsmacht haben.

(a) Sie müsste eine eigene Willenserklärung abgegeben haben.

Diese suchte sich hier den Untervertreter aus. Sie gab also eine ei-

gene Willenserklärung ab.

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(b) Sie müsste auch im Namen des J gehandelt haben. Sie hat den

M gebeten eine Patrone für den J zu kaufen. Somit hat sie auch ihre

Person als Vertreterin offengelegt.

(c) Sie müsste auch die entsprechende Vertretungsmacht gehabt ha-

ben dem M die Vollmacht zu erteilen. Es wird dem J nicht darauf

ankommen, wer ihm seine Druckpatrone besorgt. Die Bestehung

einer Untervollmacht scheint lediglich ausgeschlossen und nicht

konkludent in der Vollmacht miterteilt, wenn es dem Vertretenen

wichtig ist, wer sein Geschäft besorgt. Dies war hier aber nicht der

Fall. Somit hatte die A die Vertretungsmacht dem M als Unterbe-

vollmächtigten zu bestellen.

c) Die Erteilung der Untervollmacht müsste dem M auch zugegan-

gen sein. Gemäß § 131 II werden lediglich rechtliche vorteilhafte

Willenserklärungen dem Minderjährigen gegenüber sogar wirk-

sam, andere Willenserklärungen müssen erste dem gesetzlichen

Vertreter zugehen. Die Regelungen aus § 107 I und § 131 II, die

den beschränkt Geschäftsfähigen schützen, sollen jedoch auch be-

zwecken, dass diese in den Rechtsverkehr […] werden. Weiterhin

wird der beschränkt Geschäftsfähige durch § 179 III 2 geschützt

und die Erklärung wirkt nur für und gegen den Vertretenen. Somit

ist die Vollmachtserklärung gemäß § 131 II zugegangen. Der M

handelte auch innerhalb der Vertretungsmacht. Somit liegt eine

wirksame Stellvertretung gemäß § 164 I vor und der J muss das

Geschäft für und gegen sich gelten lassen. Das Angebot ist also von

J abgegeben.

2.) Annahme

Das Angebot wurde duch den Verkauf seitens des C konkludent

angenommen. Somit ist ein Kaufvertrag gemäß § 433 zwischen J

und K zustandegekommen.

Ergebnis: Ein Anspruch seitens des C auf Zahlung der 30 Euro

von J für die Patrone ist begründet.

Eine Arbeit, an der es fast nichts anzusetzen gibt. Durchdachter Aufbau, Gutachtenstil sicher beherrscht, alle

Probleme gesehen und die verschiedenen Ansichten sehr ordentlich diskutiert.

Einzige Kritikpunkte:

1. Schwerpunktsetzung, hin und wieder schreiben Sie sehr viel zu Prüfungspunkten, auf denen erkennbar kein

Schwerpunkt hat (Angebot + Annahme, invitatio ad offerendum, etc.). Versuchen Sie, den Sachverhalt zu inter-

pretieren: Worauf will der Klausurenersteller hinaus, was interessiert ihn weniger...

2. Schrift: gegen Ende wird’s wirklich unleserlich!

Dennoch

16 Punkte (Sehr gut)

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2. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2002 (26.06.2002)

Prof. Dr. Peter Bülow

Die 17-jährige A möchte ihren Sommerurlaub mit einer Jugendgruppe in der Eifel verbringen. In Begleitung

ihrer Eltern kauft A bei V einen Rucksack zum Preis von 300 €, den sie erst nach ihrem Urlaub bezahlen muss.

Am folgenden Tag holt A den Rucksack bei V ab und vereinbart mit ihm, dass er die Kaufpreisforderung nicht

an einen Dritten abtreten darf, wovon die Eltern der A nichts wissen.

In der Eifel geht A das Geld aus. Daraufhin bietet sie dem bereits volljährigen Mitreisenden B einen Fotoapparat,

den ihr C, der 20-jährige Freund ihrer Schwester, für die Dauer des Urlaubs geliehen hatte, zum Kaufpreis von

100 € an. A erzählt B, sie habe den Fotoapparat von C geschenkt bekommen. A und B werden einig, die Kamera

wechselt den Besitzer und A erhält sofort einen 100 €-Schein.

Während des Urlaubs der A tritt V die Kaufpreisforderung an seinen Lieferanten D ab, der von A nach ihrer

Rückkehr Zahlung von 300 € verlangt.

1. Wer ist Eigentümer der Kamera und des 100 €-Scheins?

2. Muss A an D zahlen?

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Gutachten

Gut

1. Frage

I. Eigentum an der Kamera

1. Ursprünglich war laut Sachverhalt C Eigentümer der Kamera.

2. C hatte den Fotoapparat an A verliehen gemäß § 5982. C hatte

folglich den Besitz an A übergeben (für die Dauer des Urlaubs).

Jedoch fand keine Einigung über den Eigentumsübergang statt. Das

Eigentum ist also nicht gem. § 929 S. 1 an A übergegangen. C ist

weiterhin Eigentümer.

3. C könnte allerdings das Eigentum verloren haben durch Übereig-

nung nach § 929 von A an B. Dazu müssten Einigung und Übergabe

stattgefunden haben.

a. Die Einigung ist ein Vertrag, bestehend aus mindestens zwei

Willenserklärungen (WE), Angebot und Annahme, von denen die

erst die das Angebot darstellt. Das Angebot ist im Verhalten der A

zu sehen. Laut SV bot sie B die Kamera zum Preis von 100 € zum

Kauf an. Fraglich ist, wie sich die Minderjährigkeit der A auf die

Wirksamkeit ihrer WE auswirkt.

aa.) Nach §§ 2, 106 ist A minderjährig. Gem. § 107 bedarf die WE

einer Minderjährigen (Mj) der Einwilligung eines gesetzlichen Ver-

treters für den Fall, dass das Geschäft nicht lediglich rechtlich vor-

teilhaft ist. Rechtlich nachteilige Geschäfte sind also einwilligungs-

bedürftig. Fraglich ist, um was für ein Geschäft es sich hierbei han-

delt. Es ist offensichtlich, dass A keinen rechtlichen Vorteil durch

einen Eigentumsübergang der Kamera an B erhält. Sie erleidet aber

auch keinen rechtlichen Nachteil – schließlich gehört die Kamera

C. Es stellt sich die Frage, wie ein rechtlich neutrales Geschäft zu

beurteilen ist.

bb.) Der Wortlaut des § 107 bezeichnet nur die lediglich rechtlich

vorteilhaften Geschäfte als nicht einwilligungsbedürftig. Daher

müsste ein rechtlich neutrales Geschäft der Einwilligung bedürfen.

Es ist der Sinn des § 107 (wie der gesamten Regelungen des Min-

derjährigenrechts), den Minderjährigen zu schützen. Ein Mj. bedarf

aber nicht des gesonderten Schutzes in dem Falle, dass er gar kei-

nen rechtlichen Nachteil erleitet. Dies lässt sich dem § 165 entneh-

men. Die Stellvertretung stellt für den Vertreter den klassischen

Fall eines rechtl. neutralen Geschäfts dar. Nach § 165 ist Stellver-

tretung durch einen Mj. möglich auch ohne Einwilligung des ge-

setzl. Vertreters. Folglich darf § 107 dahin ausgelegt werden, dass

auch rechtl. Neutrale Geschäfte ohne Einwilligung – der Eltern in

diesem Fall (§§ 1626 I, 1629 I) – vorgenommen werden können.

Der Eigentumsübergang der Kamera ist für A rechtlich neutral. Sie

kann die Einigung also ohne elterliche Zustimmung vornehmen. B

hat das Angebot angenommen. Sie waren sich einig, dass das Ei-

gentum übergehen soll.

b. Auch die Übergabe hat laut SV stattgefunden.

c. A müsste ferner berechtigt gewesen sein. Sie war nicht Eigentü-

mer, auch deutet nichts darauf hin, dass sie die Zustimmung des C

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Das ist für die Frage der Wirk-

samkeit des Kaufpreisan-

spruchs unerheblich

hatte; sie also Nichtberechtigte (NB). Daher scheitert der Eigen-

tumsübergang nach § 929 S. 1.

4. B könnte aber gutgläubig das Eigentum erworben haben gem. §§

929 S. 1, 932 I S. 1.

a. Einigung und Übergabe sind gegeben (s.o.).

b. Ferner müsste B in gutem Glauben gewesen sein. Nach § 932 II

ist nicht in gutem Glauben, wer weiß oder fahrlässig (s. § 122 II)

nicht weiß, dass der Verkäufer nicht Eigentümer der Sache ist. A

hatte B erzählt, der Fotoapparat wäre ein Geschenk des C gewesen.

Folglich musste B davon ausgehen, der Apparat sei im Eigentum

der A. B war also gutgläubig.

Ergebnis: B hat das Eigentum an der Kamera gutgläubig nach

§§ 929 S. 1, 932 I S. 1 erworben und ist damit Eigentümer.

II. Eigentum am 100 €-Schein

1. Ursprünglich war D Eigentümer des 100 €-Scheins.

2. Er könnte das Eigentum jedoch an A gemäß § 929 S. 1 durch

Einigung und Übergabe verloren haben. In Erfüllung des Kaufver-

trages zwischen A und B wollte B der A den Schein übereignen. A

wollte diesen auch annehmen. Folglich waren sie sich einig über

den Eigentumsübergang. Laut SV hat die Übergabe sofort stattge-

funden. Damit lag das Einigsein zum Zeitpunkt der Übergabe vor.

Als Eigentümer war B auch berechtigt, über den Schein zu verfü-

gen. Fraglich ist, ob sich die Minderjährigkeit der A auswirkt. Bei

diesem dinglichen Geschäft erwirbt A lediglich das Eigentum an

dem 100 €-Schein und geht keinerlei Verpflichtungen ein. Das

Rechtsgeschäft ist damit lediglich rechtlich vorteilhaft für A. Folg-

lich bedarf es nicht der Einwilligung der Eltern.

Ergebnis: A hat gem. § 929 S. 1 das Eigentum an dem 100 €-Schein

erworben. Damit ist sie Eigentümerin.

2. Frage

A. Anspruch des D gegen A auf Kaufpreiszahlung

I. A hat mit V einen Kaufvertrag abgeschlossen (§ 433). Der Ver-

tragsschluss erfolgte im Beisein der Eltern (§§ 1626 I, 1629 I), so-

dass von deren Zustimmung (§ 182) auszugehen ist. Der Kaufver-

trag ist also wirksam zustande gekommen.

II. Am folgenden Tag finden gleichzeitig Übergabe und Einigung

über den Eigentumsübergang statt. V ist auch berechtigt, über das

Eigentum am Rucksack zu verfügen. Nach § 929 S. 1 ist A also

Eigentümerin des Rucksacks geworden.

III. Ohne Kenntnis der Eltern vereinbart sie mit V, dass der Kauf-

preiszahlungsanspruch nicht abgetreten werden darf. Trotzdem tritt

V die Forderung an D am gemäß § 398.

1. Fraglich ist, ob V den Anspruch wirksam an D abtreten konnte.

Eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung über ein Verfügungsverbot

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14

Gut erkannt

Die Abtretung vollzieht sich

nach § 398

eines veräußerlichen Rechts hindert eine Veräußerung des Rechts

nach § 137 in Anwendung des Abstraktionsprinzips nicht.

2. Fraglich ist, ob dieser Grundsatz auf die Abtretung von Forde-

rungen anwendbar ist. Nach § 399 ist die Abtretung einer Forde-

rung nicht möglich, sofern Gläubiger und Schuldner einen Aus-

schluss der Abtretungsbefugnis vereinbart haben (2. Alt.). Im Un-

terschied zu § 137, der rein schuldrechtliche Wirkung hat, erstreckt

sich die Wirkung des § 399 gerade auch auf die dingliche Ebene,

sodass eine Abtretung gemäß § 931 oder §§ 931, 934 im Falle einer

solchen Vereinbarung nicht möglich ist. A und V haben vereinbart,

dass die Forderung nicht abgetreten werden dürfe.

3. Fraglich ist aber, ob die Minderjährigkeit der A von Bedeutung

ist. Die Vereinbarung ist als Rechtsgeschäft anzusehen. Nach § 107

wäre dies zustimmungsbedürftig durch die Eltern, wenn es einen

rechtlichen Nachteil für den Mj. hervorrufen würde. Durch die Ver-

einbarung entsteht für A weder ein rechtlicher Vorteil noch ein

Nachteil. (Behandlung des rechtl. neutralen Geschäfts s.o.). Folg-

lich konnte die Vereinbarung wirksam vorgenommen werden und

ist gem. § 399 2. Alt. wirksam. Daher konnte V die Forderung nicht

wirksam an D abtreten. V bleibt also weiterhin Inhaber der Kauf-

preisforderung.

Ergebnis: D ist nicht Inhaber der Forderung geworden. Also muss

A nicht an D leisten. (Ihre Zahlungspflicht besteht vielmehr weiter-

hin gegenüber V.)

Eine gute Leistung!

Sie haben nahezu alle wesentlichen Gesichtspunkte der Arbeit erkannt!

Schön haben Sie erörtert, weshalb auch rechtlich neutrale Geschäfte nach § 107 zustimmungsfrei sind. Ebenfalls

gut dargestellt haben Sie die Bedeutung des § 137 bei einem vereinbarten Abtretungsverbot.

Lediglich nicht bearbeitet haben Sie die (von der h.M. abweichende) Meinung von Medicus im Rahmen des

gutgläubigen Erwerbs. Medicus lehnt die Möglichkeit in solchen Fallgestaltungen mit folgender Begründung ab.

Die Gutglaubensvorschriften sollen den Erwerber nur so stellen, wie er bei Richtigkeit seiner Vorstellung stehen

würde. Wäre die Annahme des B richtig und A wäre tatsächlich Eigentümerin, so könnte er wegen § 107 kein

Eigentum erwerben. Daher ist ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen.

15 Punkte (Gut)

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15

1. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2003

Prof. Dr. Hans Wieling

M erhält zwei Monate vor ihrem 18. Geburtstag einen Golf-Jahreswagen geschenkt. Diesen möchte sie jedoch

insgeheim loswerden und von dem Erlös ein Klavier kaufen. Sie geht daher alsbald, ohne mit ihren Eltern zu

sprechen zum Gebrauchtwagenhändler G und bietet ihm einen Wagen an. Zufällig ist F, ein Freund des G, auf

dessen Betriebsgelände. F hofft, günstig an einen neuen Golf zu gelangen, und gibt sich daher als Sachverstän-

diger für gebrauchte Autos aus. Er erklärt der unwissenden M, der Golf sei allenfalls noch 7000€ wert; wenn M

so viel von G erhalte, sei sie gut bedient. Bevor G mit M redet, klärt F den G noch über seinen Trick auf. G und

M werden sodann über 7000 € einig, G holt das Kfz am nächsten Tag bei M ab; die Eltern der M sind nicht

anwesend. Nun verlangt F, dem G seit langem 7500e schuldet, Übereignung des Autos, dann sei man quitt. Wi-

derwillig gibt G dem F die Schlüssel sowie die Fahrzeugpapiere. Kurze Zeit später gerät F selbst in Geldnöte,

inseriert den Wagen und veräußert ihn an A. In den Fahrzeugpapieren ist immer noch M eingetragen.

M sieht erst nach ihrem 19. Geburtstag in der Zeitung Angebote über Golf-Jahreswagen, die viel höher liegen,

und ärgert sich über das schlechte Geschäft. Sie geht zu G und erklärt ihm, sie betrachte das Geschäft als hinfällig.

M verlangt von A Herausgabe des Wagens. Abwandlung: A schickt auf das Inserat des F hin seinen volljährigen

Sohn S u F, mit dem Auftrag, den Wagen für höchstens 10.000 € zu kaufen. S einigt sich mit F jedoch auf einen

Preis von 11.000€. Zudem vergisst S, den A überhaupt zu erwähnen. Als F tags darauf von S Zahlung verlangt,

meint dieser, er wolle mit dem Geschäft nichts zu tun haben, F solle sich doch an A halten.

Hat F einen Zahlungsanspruch gegen A oder S?

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16

Gutachten

Ihnen fehlt hier die Überle-

gung V gegen M.

§ 108 III

Gibt es nicht (§ 929 S. 1)

Einigung

Übergabe?

Gut gesehen!

Definition?

Gut!

§ 142 II!

M gegen A

I § 985 BGB

M könnte gegen A einen Anspruch auf Herausgabe des PKW ge-

mäß § 985 haben.

Dann müsste M Eigentümerin des Golfs sein. M war Eigentümerin

des Wagens. Sie könnte jedoch ihr Eigentum durch Übereignung

des PKWs gemäß § 929 an G verloren haben.

a) Einigung

Dann müssten M und G sich über Eigentumsübergang einig gewe-

sen sein. Unter einer Einigung versteht man zwei übereinstim-

mende Willenserklärungen darüber, dass das Eigentum übergehen

soll. G holt den PKW bei M ab. Durch die Übergabe des PKW hat

M konkludent eine Einigungserklärung abgegeben. Fraglich ist je-

doch, ob diese Willenserklärung auch wirksam ist.

Gemäß § 107 bedarf der Minderjährige zu einer Willenserklärung,

durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der

Einwilligung seiner gesetzlichen Vertreter.

M ist 17 Jahre alt also, nach Maßgabe der §§ 2, 106 minderjährig.

M würde sich nach der Einigungserklärung verpflichten, dem Ei-

gentum an dem PKW zu übertragen.

Hinsichtlich dieses Eigentumsverlustes ist die Einigung nicht ledig-

lich rechtlich vorteilhaft für M. M bedarf also für ihre Einigungser-

klärung der Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreter (in casu der

Eltern gem. § 1626) Als G den Golf bei M abholt sind die Eltern

der M nicht anwesend, auch für eine evt. Vorher erteilte Einwilli-

gung bietet der Sachverhalt keine Anhaltspunkte Es fehlt an einer

Einwilligung.

Gemäß § 108 hängt die Wirksamkeit der Einigung von der Geneh-

migung des Vertreters ab.

b) Die Einigung ist schwebend unwirksam. Durch die schwebend

unwirksame Einigung ist auch die Übereignung bis zur Genehmi-

gung schwebend unwirksam. Es liegt (noch) keine Übereignung

gem. § 929 I 1 vor.

M hat ihr Eigentum nicht an G verloren.

Dennoch könnte M ihr Eigentum an dem Golf durch Übereignung

gem. §§ 929 I, 932 von G an F verloren haben. Dann dürfte nach §

935I der Wagen nicht abhandengekommen sein. M hat den Wagen

freiwillig aus der Hand gegeben, der PKW ist nicht abhandenge-

kommen.

Weiter dürfte F zum Zeitpunkt des Erwerbs nicht im bösen Glauben

gewesen sein, d.h. es dürfte ihm nicht bekannt oder in Folge grober

Fahrlässigkeit unbekannt gewesen sein, dass die Sache nicht G ge-

hört (§ 932 II). In Betracht kommt die Kenntnis des F eines Wil-

lensmangels wegen arglistiger Täuschung gem. § 123II.

F hatte der unwissenden M wider seines Wissens erklärt, der Golf

sei allenfalls noch 7000 € wert. E hat M also durch arglistige Täu-

schung zur Abgabe der Einigung mit G bestimmt. Zusätzlich hat er

G von seiner Täuschung benachrichtigt, so dass eine Anfechtung

der Einigung zwischen M und G gemäß §123 II 1 möglich ist. F

wusste um den Einigungsmangel zwischen M und G und war dem-

nach nicht in gutem Glauben an das Eigentum des G als G ihm den

Schlüssel sowie die Fahrzeugpapiere übergab.

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17

Schön!

F hat nicht gemäß §§929 I, 932 Eigentum vom Unberechtigten er-

worben. Trotzdem könnte M Eigentum an dem PKW durch Über-

eignung gem. §§ 929 I, 932 von F an A verloren haben.

Der Golf ist nicht abhanden gekommen (s.o.). Fraglich ist jedoch,

ob A zum Zeitpunkt des Erwerbs wusste, bzw. in Folge grober

Fahrlässigkeit nicht wusste, dass F nicht Eigentümerin des PKW ist

(§ 932). In den Fahrzeugpapieren ist immer noch M eingetragen.

Nach der h.M. ist beim Erwerb eines gebrauchten PKWs als grob

fahrlässig anzusehen, sich nicht den Fahrzeugbrief zeigen zu lassen

und sich so zu vergewissern, dass der Veräußernde auch gleichzei-

tig der Eigentümer des PKW ist.

A hat sich nicht die Fahrzeugpapiere zeigen lassen, sonst hätte er

erkennen können, dass M immer noch dort eingetragen ist und nicht

F. Die Unkenntnis des A vom Eigentumsmangel des F ist grob fahr-

lässig. A war im bösen Glauben. Er hat gem. § 932 I 1 kein Eigen-

tum am PKW erworben.

M ist immer noch Eigentümerin des Wagens.

Demnach kann sie gem. § 985 vom Besitzer Herausgabe des PKWs

verlangen.

Dann müsste A Besitzer des Wagens sein.

A ist unmittelbarer Besitzer des Golfes.

Zudem dürfte A kein Recht zum Besitz gem. § 986 I 1 haben. A hat

weder unmittelbares, noch abgeleitetes Besitzrecht, demnach be-

sitzt er unrechtsmäßig.

M kann gem. § 985 von A Herausgabe des Wagens verlangen.

Abwandlung

F gegen A

I § 433 II

F könnte gegen A einen Anspruch aus § 433 II auf Zahlung des

Kaufpreises haben. Dann müsste ein wirksamer Kaufvertrag zu-

stande gekommen sein. Ein Vertrag besteht aus zwei übereinstim-

menden, aufeinander bezogenen Willenserklärungen, die die essen-

tialia negotii beinhalten. In der Einigung auf einen Preis von 11.000

€ ist die Annahme des F zu sehen. Fraglich ist jedoch, ob A ein

Angebot abgegeben hat. Nicht A sondern S hat sich mit F geeinigt.

Demnach könnte S Angebot für und gegen A wirken, wenn S der

Stellvertreter von A ist.

Dann müsste A gem. § 167 eine Vollmacht für das Rechtsgeschäft

erteilt haben. A schickt den S zu F um den Wagen zu kaufen. Die

Abgrenzung zum bloßen Boten erübrigt sich, da S Ermessensspiel-

raum im Preis bis 10.000 € hat. Es liegt eine interne Vollmacht i.S.d

§167 I 1 vor.

Fraglich ist jedoch, ob S auch als Stellvertreterin des A handelte.

Dann müsste er zunächst eine eigene Willenserklärung abgegeben

haben und zwar im fremden Namen (gem. § 164 I 1). S hat als er

sich mit F auf 11.000 € einigte, eine eigene Willenserklärung abge-

geben; er hat jedoch vergessen, den A überhaupt zu erwähnen. So-

mit hat S nicht im fremden Namen gehandelt. Die Voraussetzungen

des § 164 I sind nicht erfüllt. Die Vertretung des A ist unwirksam

und wirkt somit nicht für oder gegen ihn. Es ist kein Kaufvertrag

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18

Ja!

gem. § 433 zwischen A und F zustande gekommen. F hat keinen

Zahlungsanspruch gegen A.

F gegen S

I §433 II

F könnte gegen S einen Anspruch auf Zahlung der 11.000€ haben.

Dann müsste zunächst ein wirksamer Kaufvertrag zwischen F und

S vorliegen. Ein Vertrag besteht aus zwei übereinstimmenden, auf-

einander bezogenen Willenserklärungen, Angebot und Annahme.

Durch Einigung auf den Preis von 11.000€ nimmt F das Angebot

konkludent an. Fraglich ist jedoch ob S selbst ein Angebot abgege-

ben hat. S könnte in Vertretung für A gehandelt haben, sodass sein

Angebot unmittelbar für und gegen A wirkt (§164 I).

S hat nicht ersichtlich im fremden Namen gehandelt (s.o.).

Er handelte also im eigenen Namen. Ein Vertrag ist zustande ge-

kommen.

Fraglich ist, ob der Anspruch des F auf Kaufpreiszahlung durch

Anfechtung des S nichtig wird. Gem. § 164 II kommt der Mangel

des Willens in fremden Namen zu handeln nicht in Betracht, wenn

der Wille in fremden Namen zu handeln nicht erkennbar hervortritt

(§ 164 II) S kann nicht nach § 142 anfechten. Der Vertrag bleibt

wirksam. F hat gegen S einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung gem.

§ 433 II.

Ihnen gelingt eine hervorragende Klausur!

Sowohl im Ausgangsfall als auch in der Abwandlung werden alle Probleme erkannt und sauber gelöst.

Lediglich die Kollision zw. §§ 138, 134 u. §123 II im Verhältnis G-F hätte noch kurz angesprochen werden

müssen.

Mit Bedenken!

13 Punkte (Gut)

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19

1. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2004

Prof. Dr. Peter Reiff

Der 16-Jährige K befindet sich mit einer Jugendgruppe auf einer Ferienreise in den Allgäuer Alpen. Am zweiten

Tag bricht sich sein volljähriger Freund F bei einer Klettertour das rechte Fußgelenk und wird in eine Klinik

gefahren. F, der angesichts seines Gipsbeines nie wieder etwas von Kletterurlaub wissen will, bietet dem K seinen

neuen Rucksack zu einem „echten Freundschaftspreis“ von 75 € an. Er selber hatte ihn vor Antritt der Reise für

150 € gekauft.

K ist sowohl von dem Rucksack, als auch von dem Angebot begeistert und stimmt sofort zu. Da er nur 25 €

Taschengeld bei sich hat, gibt er diese als Anzahlung und verspricht F den Rest, sobald sie wieder zuhause sind

und er seine Eltern um Geld bitten kann. Die Eltern sind aber beim abendlichen Telefonat keineswegs vom

„Schnäppchen“ des K begeistert und befehlen ihm, den Rucksack sofort wieder zurückzugeben. K legt trotzig

auf und erzählt niemandem von diesem Gespräch.

Nach der Rückkehr aus dem Ferienlager wird F unsicher, ob die Eltern des K auch mit dem Kauf des Rucksacks

einverstanden waren und er den Rest des Geldes erhalten wird. Auf seinen Anruf hin erklären die Eltern des K,

die sich inzwischen entschieden haben, den Rucksack als Geburtstagsgeschenk zu verwenden, es sei alles in

Ordnung.

Als F einige Tage später von K die restlichen 50 € verlangt, erklärt dieser, der Rucksack gefalle ihm nun doch

nicht mehr und außerdem hätten seine Eltern schon während des Urlaubs ihre Einwilligung verweigert. Zudem

erkläre er die Anfechtung des Kaufvertrages, weil der Rucksack am Rücken drücke. Er sein dem F daher zu

nichts mehr verpflichtet, vielmehr fordere die bereits von ihm gezahlten 25 € zurück.

Wie ist die Rechtslage?

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20

Gutachten

Sehr schön!

Gut!

A. Der F könnte einen Anspruch aus § 433 II gegen K auf Zahlung

des Restpreises von 50 € haben.

I. Dann müsste zunächst ein Anspruch entstanden sein.

1. dazu müsste ein wirksamer Kaufvertrag bestehen. Ein solcher

setzt zwei wirksame inhaltlich übereinstimmende Willenserklärun-

gen voraus, welche in Bezug aufeinander abgegeben wurden, An-

gebot und Annahme (§§ 145 ff.).

a) Ein solches Angebot könnte in der Äußerung des F liegen, er

biete dem K den Rucksack für 75 € an. Ein Angebot ist ein ernstli-

cher und endgültiger Wille, gerichtet auf einen Vertragsschluss.

Der F möchte dem K seinen Rucksack für 75 € verkaufen. Somit

liegt ein Angebot vor.

Fraglich ist jedoch, ob dieses Angebot denn K auch zugegangen ist

und somit wirksam ist. Eine Willenserklärung unter Anwesenden

wird gemäß § 130 I S. 1 analog in dem Moment wirksam, in wel-

chem sie zugeht. Die herrschende Meinung geht bzgl. des Zugangs

von der Vernehmungstheorie aus. Danach wird eine Willenserklä-

rung wirksam, wenn der Empfänger sie verstanden hat.

Der K war von dem Angebot begeistert, somit hat er das Angebot

verstanden. Die Willenserklärung des F ist also grundsätzlich zu-

gegangen.

Ein Problem könnte allerdings in dem Alter des K liegen. K ist 16

Jahre alt und somit gemäß §§ 2, 106 minderjährig und beschränkt

geschäftsfähig. Nach § 131 II i.V.m. I geht eine Willenserklärung

dem Minderjährigen erst mit Zugang beim gesetzlichen Vertreter

zu (hier die Eltern des K gemäß §§ 1626, 1629).

Eine Ausnahme stellt jedoch § 131 II S. 2 dar, wonach eine ledig-

lich rechtlich vorteilhafte Willenserklärung wirksam in dem Zeit-

punkt wird, in welchem sie dem Minderjährigen zugeht.

Durch das Angebot des F über den Rucksackkauf wurden die

Rechtspositionen des K erweitert. Es war somit lediglich rechtlich

vorteilhaft. Auch ist es dem K zugegangen (s.o.). Also ist das An-

gebot des F wirksam.

b) Der K könnte das Angebot des F auch angenommen haben. Er

hat dem Antrag des F vorbehaltlos zugestimmt, Darin ist eine An-

nahme zu sehen.

Fraglich ist jedoch, wie sich die Minderjährigkeit des K auf die

Wirksamkeit der Annahme auswirkt. Gemäß § 107 bedarf eine Wil-

lenserklärung eines Minderjährigen sofern sie nicht lediglich recht-

lich vorteilhaft ist der Einwilligung der Eltern.

Ein Kaufvertrag ist ein Verpflichtungsgeschäft. Ein Verpflich-

tungsgeschäft begründet Verpflichtungen und daraus resultierende

Ansprüche gegen die Vertragsparteien. Durch die Annahme des

Kaufvertrages würde sich der K verpflichten gemäß § 433 II dem

F den Kaufpreis zu entrichten. Sie wäre somit nicht lediglich recht-

lich vorteilhaft.

Eine Einwilligung ist eine vorherige Zustimmung (§ 183). Die El-

tern wussten nichts von dem Rucksackkauf und konnten deshalb

keine Einwilligung erteilen. Aus dem abendlichen Telefonat geht

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21

Genau

Sehr gut

IST!

Sehr schöne Prüfung

zudem der entgegenstehende Wille der Eltern voraus. Eine Einwil-

ligung liegt somit nicht vor.

Dennoch könnte die Annahme des K gemäß § 110 wirksam sein.

Dazu müsste der Minderjährige die Leistung bewirkt haben. Be-

wirkt bedeutet vollständig erfüllt. Der K hat 25 € von den insgesamt

75 € aus seinem Taschengeld angezahlt. Die Leistung ist also noch

nicht vollständig erfüllt und somit noch nicht bewirkt. Der Kauf-

vertrag zwischen K und F ist also nicht gemäß § 110 wirksam.

Schließt ein Minderjähriger einen Vertrag, so könnte dieser auch

durch nachträgliche Genehmigung (§ 184) gemäß § 108 wirksam

werden. Bis zur Genehmigung ist der Vertrag schwebend unwirk-

sam. Der Kaufvertrag zwischen K und F könnte also durch die El-

tern des K genehmigt sein und somit endgültig wirksam sein. Die

Genehmigung kann sowohl dem Minderjährigen als auch dem Ver-

tragspartner gegenüber erklärt werden (§ 182).

Die Eltern des K haben dem K gegenüber am Telefon die Geneh-

migung verweigert. Der Kaufvertrag könnte somit endgültig un-

wirksam sein.

Nach § 108 II jedoch wird eine dem Minderjährigen zuvor erteilte

Genehmigung/Verweigerung unwirksam, wenn der andere Teil die

gesetzlichen Vertreter zur Genehmigung auffordert. Dann kann die

Erklärung ihm gegenüber abgegeben werden. Der F hat, der von

der Verweigerung der Genehmigung dem K gegenüber nichts

wusste, die Eltern zur Genehmigung aufgefordert. Ihm gegenüber

haben sie die Genehmigung des Kaufvertrages erteilt.

c) Der Kaufvertrag ist somit wirksam.

d) Der K könnte jedoch seine Willenserklärung wirksam angefoch-

ten haben, sodass seine Annahme und somit der Kaufvertrag als ex

tunc nichtig anzusehen wären gemäß § 142 I.

aa) Dazu müsste ein Anfechtungsgrund bestehen.

aaa) In Frage kommt der Willensmangel, dass der Rucksack dem K

nicht mehr gefalle. Hierbei handelt es sich jedoch um einen Moti-

virrtum der grundsätzlich unbeachtlich ist und nicht zur Anfech-

tung berechtigt.

bbb) der K könnte jedoch einem Eigenschaftsirrtum gemäß § 119

II unterlegen haben. Eine Eigenschaft sind alle rechtlichen und tat-

sächlichen Verhältnisse, die aufgrund ihrer Beschaffenheit und

Dauer auf den Wert der Sache Einfluss haben. Eine Sache ist gemäß

§ 119 jeder Gegenstand, also auch körperliche. Ein Rucksack ist ein

körperlicher Gegenstand und somit eine Sache.

Ob ein Rucksack am Rücken drückt oder nicht hat zweifelsfrei auf

den Wert einer Sache Einfluss und ist somit eine Eigenschaft. Zu-

dem müsste die Eigenschaft verkehrswesentlich sein. Verkehrswe-

sentlich ist, was nach dem typischen wirtschaftlichen Zweck des

Rechtsgeschäfts wesentlich, insbesondere ausschlaggebend für den

Abschluss ist. Zudem muss die Eigenschaft noch gewöhnlicher-

weise mit der Erklärung verbunden werden können.

Ein Kaufangebot über einen fast neuen Rucksack (Der F hatte ihn

erst vor Antritt der Reise gekauft) ist normalerweise verbunden mit

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Vertretbar

Ob eine Einwilligung erforder-

lich ist richtet sich nach § 107

einem Rucksack, der frei von Mängeln ist. Auch ist es für den Ab-

schluss eines Vertrages ausschlaggebend, ob ein Rucksack drückt

oder nicht. Der Eigenschaftsirrtum war somit verkehrswesentlich.

Der K hätte einen drückenden Rucksack bei Kenntnis der Sachlage

und verständiger Würdigung auch sonst nicht gekauft.

bb) Der K müsste die Anfechtung zudem nach § 143 dem F erklärt

haben. Der K hat diesem gegenüber laut Sachverhalt die Anfech-

tung erklärt.

Fraglich ist, wie sich die Minderjährigkeit des K auf die Wirksam-

keit einer Anfechtungserklärung auswirkt. Die Anfechtungserklä-

rung ist ein einseitiges empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft. Ge-

mäß § 111 ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, welches der Minder-

jährige ohne die Einwilligung der Eltern vornimmt unwirksam.

Eine Einwilligung der Eltern lag nicht vor, sie wollten den Kauf-

vertrag ja. Die Anfechtungserklärung ist somit unwirksam

Eine wirksame Anfechtung liegt nicht vor.

e) Somit ist ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen.

2. Der Anspruch ist entstanden.

II. Der Anspruch ist nicht untergegangen.

III. Der Anspruch ist auch durchsetzbar.

IV. F kann gemäß § 433 II die Restzahlung von 50 € von K verlan-

gen.

B. K könnte einen Anspruch aus § 985 auf Herausgabe der 25 €

gegen F haben.

I. Dazu müsste ein Anspruch entstanden sein.

1. Dann müsste K Eigentümer sein.

a) K war Eigentümer des Geldes.

b) Er könnte es aber durch Übereignung an F gemäß § 929 S. 1

verloren haben.

aa) Eine Übereignung setzt eine wirksame Einigung voraus. Diese

besteht aus zwei inhaltlich korrespondierenden Willenserklärun-

gen.

aaa) Der F wollte das Geld an sich nehmen. Somit hat er eine wirk-

same Willenserklärung abgegeben.

bbb) Fraglich ist, wie sich die Minderjährigkeit des K auf die Eini-

gungserklärung des K auswirkt. Gemäß § 107 bedarf ein Minder-

jähriger für ein Geschäft, das nicht lediglich rechtlich vorteilhaft

ist, die Einwilligung der Eltern. Eine Übereignung bedeutet den

Verlust des Eigentums und ist somit nie lediglich rechtlich vorteil-

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Schön

Und Eigentum

haft. Auch lag bei Vornahme des Rechtsgeschäfts keine Einwilli-

gung zur Übereignung des Geldes vor. Somit ist der Einigungsver-

trag schwebend unwirksam.

Die Eltern könnten jedoch nach § 108 genehmigt haben. Sie haben

K gegenüber am Telefon die Genehmigung des Kaufvertrags und

somit konkludent auch der Einigungserklärung verweigert. Folg-

lich könnte der Einigungsvertrag endgültig unwirksam sein. Der F

kann aber gemäß § 108 II zur Genehmigung auffordern. Eine vor-

her erteilte Verweigerung wird unwirksam. Zwar sind nach dem

Abstraktionsprinzip Verpflichtung und Verfügung getrennt zu be-

trachten, doch könnte in der Genehmigung des Kaufvertrages dem

F gegenüber auch eine Genehmigung des Einigungsvertrages bzgl.

der Übereignung des Geldes liegen. Die Eltern wollten, dass der

Kaufvertrag zustande kommt, also wollen sie auch die daraus re-

sultierenden Verfügungen über den Rucksack und das Geld.

Somit haben sie die Einigungserklärung des K konkludent gemäß §

108 II genehmigt. Die Willenserklärung des Minderjährigen ist also

wirksam.

Die Einigung zwischen K und F ist zustande gekommen.

bb) Der K hat dem F das Geld auch übergeben.

cc) der K war Eigentümer des Geldes, es war sein Taschengeld. Er

war also auch zur Übergabe berechtigt.

dd) K hat das Geld an F übereignet. Er hat gemäß § 929 S. 1 das

Eigentum an den 25 € verloren.

2. Ein Anspruch ist nicht entstanden.

II. K kann aus § 985 nicht die Herausgabe des Geldes von F verlan-

gen.

C. K könnte einen Anspruch aus § 812 I S. 1 1. Alt. gegen F auf

Herausgabe des Geldes haben.

I. Dazu müsste ein Anspruch entstanden sein.

1. Dann müsste der F etwas erlangt haben. Der F hat die tatsächli-

che Gewalt über das Geld (§ 854). Er hat dessen Besitz erlangt.

2. der F müsste diesen Besitz durch Leistung des K erlangt haben.

Leistung beschreibt bewusste zielgerichtete Vermehrung fremden

Vermögens. Der K hat dem F das Geld willentlich gegeben, um die

Pflichten aus dem Kaufvertrag zu erfüllen.

3. Der F müsste den Besitz ohne Rechtsgrund erlangt haben. Es be-

steht ein Kaufvertrag zwischen F und K. F hat das Geld also nicht

ohne Rechtsgrund erlangt.

4. Ein Anspruch ist also nicht entstanden.

II. Der K kann auch nicht aus § 812 I S. 1 1. Alt. die 25 € zurück-

verlangen.

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D. Endergebnis

K kann seine Anzahlung nicht zurückverlangen. F hingegen hat aus

§ 433 II den Anspruch gegen K auf Zahlung des Restpreises von

50 €.

Eine wirklich schöne Klausur. Tolle Prüfung der Ansprüche und sehr schöne Gliederung.

Lediglich die Erfüllungswirkung der Anzahlung nach § 362 I hätte noch problematisiert werden können, wenn

auf einen Zahlungsanspruch i.H.v. 75 € abgestellt worden wäre.

15 Punkte (Gut)

Gratuliere!

Sie haben die zweitbeste von fast 500 Klausuren vorgelegt.

(P. Reiff)

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2. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2004 (11.06.2004)

Prof. Dr. Peter Reiff

K aus Trier bestellt bei der Firma „Action Film“ des V in Wittlich telefonisch 20 Videos von Arnold Schwar-

zenegger („Terminator I – 20“) zum Gesamtpreis von 250 €. Da K ein alter Stammkunde ist, wird vereinbart,

dass V die Filme bei ihm in Trier anliefern wird. Auch soll K keine Kosten für diesen Transport tragen müssen.

Am 24.09.2003 verpackt V in Wittlich die 20 Videokassetten in einen Karton und sagt sich telefonisch bei K für

den späten Nachmittag an („zwischen 17:00 und 18:00 Uhr“). Als er um 17:15 Uhr bei K eintrifft, ist dieser

aufgrund einer Vollsperrung der Luxemburger Autobahn nach Verkehrsunfall nicht zu Hause und erscheint auch

in der nächsten Stunde nicht. Entnervt gibt V das Warten auf.

Damit der Weg nach Trier nicht völlig sinnlos war, beschließt V, den Kunden B in Konz aufzusuchen. Dieser

hatte auch die Schwarzenegger-Videos bestellt, sollte allerdings erst in der nächsten Woche beliefert werden. V

ist sicher, dass B ihm die Filme auch jetzt schon abnehmen wird. Auf der Konzer Dorfstraße springt dem kurz-

zeitig unaufmerksamen V plötzlich eine ausgewachsene Dogge vor den Wagen. Sein Kompaktwagen schwäbi-

scher Herkunft kippt beim nachfolgenden Ausweichmanöver um und brennt vollständig aus.

Kann K den Kaufpreis für die verbrannten Videofilme in Höhe von 250 € verlangen?

Abwandlung:

V und K haben vereinbart, dass K die Videofilme in Wittlich abholt. Am 29.04.2003 ruft V bei K an, um ihm

mitzuteilen, dass die 20 Filme verpackt, an K adressiert und zur Abholung bereit im Regal stünden. D a K wieder

im Stau steht und der Babysitter aufgrund des in voller Lautstärke dröhnenden Fernsehers nichts hört, geht der

3-jährige Sohn des K ans Telefon. Auf die Mitteilung „Papa is nis da!“ erklärt V dem Filius, der Papa solle

morgen Nachmittag nach Wittlich kommen und seine Filme abholen. Wie nicht anders zu erwarten, vergisst S,

diese Information an seinen Erzeuger weiterzugeben. Am 26.09.2003 wird bei V eingebrochen und es werden

unter anderem auch die für K bestimmten Videos gestohlen.

K verlangt Lieferung der 20 Filme. V dagegen will den Kaufpreis von 250 €, ohne nochmals leisten zu

müssen. Welche Ansprüche hat V gegen K, welche K gegen V?

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Gutachten

A. V könnte gegen K einen Anspruch aus § 433 II auf Zahlung des

Kaufpreises in Höhe von 250 € haben.

I. Dazu müsste zunächst ein Anspruch entstanden sein.

1. Dies setzt einen wirksamen Kaufvertrag gemäß § 433 zwischen

den Parteien voraus. Dies setzt zwei kongruente wirksame Willens-

erklärungen voraus. Ein Angebot ist in der Bestellung des K zu se-

hen. Auch hat V dieses Angebot angenommen, was spätestens aus

der Vereinbarung der beiden ersichtlich ist, dass V die Filme nach

Trier bringen wolle. Zwischen K und V liegt also ein Kaufvertrag

vor.

2. Demnach ist ein Anspruch entstanden.

II. Der Anspruch des V könnte jedoch untergegangen sein.

1. Er könnte gemäß § 362 I entfallen sein. Er entfällt, wenn zwi-

schen den Parteien ein gegenseitiger Vertrag besteht und der

Schuldner gemäß § 273 I-III nicht zu leisten braucht.

a. Zwischen K und V müsste also ein gegenseitiger Vertrag vorlie-

gen. Sie haben einen Kaufvertrag nach § 433 (s.o.) also einen ge-

genseitigen Vertrag geschlossen.

b. Weiterhin müsste die Leistung des Schuldners gemäß § 275 I-III

ausgeschlossen sein. Möglicherweise braucht V gemäß § 275 I

nicht zu leisten. Dann müsste die aus dem Vertrag resultierende

Leistung unmöglich geworden sein.

aa. Der Kaufvertrag beinhaltet als Leistung die Übereignung der 20

Videos gemäß § 929 S. 1.

bb. Unmöglichkeit liegt vor, wenn der vereinbarte Leistungserfolg

(Hier: Übereignung gemäß § 929 S. 1) endgültig von niemandem

(objektive Unmöglichkeit) oder nur vom Schuldner nicht mehr

(subjektive Unmöglichkeit) erbracht werden kann. Dies wiederum

ist insbesondere dann denkbar, wenn es sich bei dem geschuldeten

Leistungsgegenstand um eine Stückschuld oder eine konkretisierte

Gattungsschuld gemäß § 243 II handelt.

aaa. Vorliegend könnte es sich bei den geschuldeten Videos um

eine Stückschuld handeln. Eine Stückschuld liegt vor, wenn der

vereinbarte Gegenstand bei Vertragsschluss individuell bestimmt

ist. Vorliegend hatte K jedoch nicht ganz bestimmte wohlmöglich

gebrauchte Einzelstücke bestellt, sondern lediglich 20 Videos aus

dem Repertoire des V. Der Vertragsgegenstand war also nicht indi-

viduell bestimmt. Somit liegt keine Stückschuld vor.

bbb. Die Videos waren nur nach allgemeinen Kriterien bestimmt.

Es handelte sich um bewegliche Sachen, die im Verkehr nach Zahl,

Maß oder Gewicht bestimmt zu werden pflegen, also vertretbare

Sachen gemäß § 91. Somit lag eine Gattungsschuld vor.

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Schön!

Das ist wohl unrichtig, aber

ein kluger Gedanke!

Vertretbar!

ccc. Das Schuldverhältnis könnte sich jedoch nach § 243 II auf eine

bestimmte Sache beschränken. Notwendig ist die Konkretisierung,

d.h. der Schuldner muss zur Erbringung der Leistung das seinerseits

erforderliche getan haben. Was erforderlich ist, bestimmt sich nach

der Art der Schuld (Hol-, Bring- oder Schickschuld).

Vorliegend hatten K und V vereinbart, dass V die Videos bei K in

Trier ausliefern sollte. Also war eine Bringschuld vereinbart.

Zur Konkretisierung benötigt die Bringschuld, dass der Schuldner

die vereinbarte Kaufsache ausgesondert und zum Wohnort des

Gläubigers bringt. V hat die Videos verpackt und ist lauf Sachver-

halt mit ihnen um 17:15 Uhr bei K erschienen. Die Konkretisierung

der ursprünglich bestehenden Gattungsschuld zur Stückschuld ist

also zu bejahen. Das Schuldverhältnis beschränkt sich laut Sach-

verhalt auf die verpackten 20 Videos.

Fraglich ist jedoch, wie es sich auf die Konkretisierung auswirkt,

dass V die Videos mit zu einem anderen Kunden bringen will. Es

könnte die zur Stückschuld konkretisierte Gattungsschuld wieder

zur Gattungsschuld entkonkretisiert haben. Dann würde V wieder

das uneingeschränkte Beschaffungsrisiko tragen, sofern nicht alle

existierenden Terminatorvideos vernichtet wären.

Ob die Entkonkretisierung einer einmal konkretisierten Sache mög-

lich ist, ist jedoch umstritten.

Die h.M. lehnt dies grundsätzlich ab. Das Schuldverhältnis zwi-

schen K und V würde sich demnach weiterhin auf die 20 verpackten

Videos beschränken. Die gegenteilige Auffassung hingegen nimmt

die Möglichkeit einer Entkonkretisierung an, da es sich bei der

Konkretisierung lediglich um eine Schutzregelung für den Schuld-

ner handelt, in dem das Beschaffungsrisiko entfällt. Wenn sich der

Schuldner jedoch freiwillig dieses Schutzes entledigt, fehlt es an

der Schutzwürdigkeit.

Entkonkretisierung kann jedoch nur eintreten, wenn der Schuldner

die Sache neu konkretisiert. Zwischen B und V ist auch eine Bring-

schuld vereinbart. V hat die Videos noch nicht zur Wohnung des B

gebracht. Eine Konkretisierung liegt also nicht vor. Damit sind

auch die für K konkretisierten Videos noch nicht entkonkretisiert.

Somit beschränkt sich auch nach dieser Ansicht das Schuldverhält-

nis zwischen K und V auf die verpackten Videos.

Beide Ansichten kommen vorliegend zu demselben Ergebnis. Eine

Entscheidung kann somit dahinstehen.

ddd. § 929 S. 1 verlangt zur Übereignung die Einigung zur Eigen-

tumsübertragung sowie die Übergabe. Die Videos sind zerstört.

Weder V noch jemand anderes kann sie übergeben. Der vereinbarte

Leistungserfolg kann endgültig nicht mehr erbracht werden.

cc. Die aus dem Vertrag resultierende Leistung ist also unmöglich

geworden.

c. Die Voraussetzungen des § 326 I liegen demnach vor.

d. Es könnte jedoch eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 326 II

vorliegen. Hiernach kann der Schuldner dennoch die Gegenleistung

verlangen, wenn er die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat und

die Unmöglichkeit zur Zeit des Annahmeverzugs eingetreten ist.

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Schön!

aa. Fraglich ist, ob die Voraussetzungen des Annahmeverzugs ge-

mäß §§ 293 ff. vorliegen. Annahmeverzug ist die Nichtannahme

trotz Erfüllbarkeit des möglichen Leistung und ordnungsgemäßen

Angebots.

aaa. Die Leistung müsste möglich gewesen sein. Die Unmöglich-

keit gemäß § 275 I ist erst nach dem vereinbarten Termin eingetre-

ten. Also war die Leistung möglich.

bbb. Zudem müsste der Schuldner zur Leistung bereit gewesen sein

(§ 297). V hat mit den Videos eine Stunde bei K gewartet. Er war

demnach zur Leistung bereit.

ccc. Es müsste ein ordnungsgemäßes Angebot des Schuldners i.S.d.

§ 293 vorliegen. Vorliegend könnte ein tatsächliches Angebot ge-

geben sein gemäß § 294. Dazu müsste der Schuldner zur rechten

Zeit am rechten Ort gewesen sein und die geschuldete Sache auf

die rechte Art angeboten haben. V war zur vereinbarten Zeit zwi-

schen 17:00 und 18:00 Uhr am Wohnort des K. Er hat die Ware wie

vereinbarte gebracht. Ein tatsächliches Angebot ist also zu bejahen.

ddd. Weiterhin müsste der Gläubiger die Leistung nicht angenom-

men haben bzw. die erforderliche Mitwirkungshandlung nicht vor-

genommen haben. K war nicht zu Hause. Er konnte also die Ware

nicht entgegennehmen. Somit hat er die Leistung nicht angenom-

men.

eee. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs liegen somit vor.

fff. Eine Ausnahme könnte sich aus § 299 ergeben. Dies setzt je-

doch voraus, dass eine Leistungszeit nicht bestimmt oder der

Schuldner keine angemessene Frist gesetzt hat, in dem Falle, dass

er berechtigt war, vor der bestimmten Zeit zu leisten. Zwar war die

Leistungszeit noch nicht von Anfang an bestimmt. Doch kann da-

von ausgegangen werden, dass aufgrund des regelmäßigen ge-

schäftlichen Kontakts und der kurzen Entfernung Trier-Wittlich

eine Fristvereinbarung für den späten Nachmittag durchaus ange-

messen ist. Sonst hätte K am Telefon Einwände aufbringen können.

ggg. Der Annahmeverzug erfordert im Gegensatz zum Schuldner-

verzug kein Verschulden auf Seiten des Gläubigers.

hhh. K befand sich also im Annahmeverzug.

bb. Zudem dürfte V die Unmöglichkeit nicht zu vertreten haben.

Vertretenmüssen des Schuldners richtet sich nach § 276. Hiernach

hat er Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Fahrlässig handelt

nach § 276 II, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht

lässt. Laut Sachverhalt war V auf der Konzer Dorfstraße kurzzeitig

unaufmerksam. Dies vernachlässigt die im Verkehr erforderliche

Sorgfalt. V handelte somit leicht fahrlässig. Demnach hätte er die

Unmöglichkeit auch grundsätzlich zu vertreten Eine Ausnahme

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§ 362

könnte sich aus § 300 ergeben. Danach haftet der Schuldner wäh-

rend des Annahmeverzugs grundsätzlich nur für Vorsatz und grobe

Fahrlässigkeit. K befand sich im Annahmeverzug (s.o.). V hat die

Unmöglichkeit durch unachtsames Fahren und den daraus resultie-

renden Unfall leicht fahrlässig herbeigeführt. Er hat die Unmög-

lichkeit somit nach § 300 nicht zu vertreten.

cc. Die Voraussetzungen des § 326 II sind somit erfüllt. § 326 I

greift nicht. Nach § 326 II bleibt der Anspruch auf die Gegenleis-

tung bestehen.

2. Der Anspruch des V gemäß § 433 II ist somit nicht untergegan-

gen.

III. Fraglich ist, ob der Anspruch auch durchsetzbar ist. Eine Ein-

rede gemäß § 320 scheidet aus, da K kein eigener Anspruch – weder

aus Vertrag aufgrund Unmöglichkeit noch aus Schadensersatz – zu-

steht. Der Anspruch des K ist somit auch durchsetzbar.

IV. V hat gegen K einen Anspruch auf Zahlung von 250 € gemäß §

433 II

Abwandlung:

A. K könnte einen Anspruch gemäß § 433 I S. 1 auf Übereignung

der Filme gegen V haben.

I. Dazu müsste der Anspruch zunächst entstanden sein. Dies setzt

einen wirksamen Kaufvertrag voraus gemäß § 433 zwischen den

Parteien voraus. K und V haben einen Kaufvertrag geschlossen

(s.o.), demnach ist ein Anspruch entstanden.

II. Der Anspruch des K könnte jedoch untergegangen sein.

1. Er könnte gemäß § 275 I erloschen sein.

a. dazu müsste ein leistungsbegründendes Schuldverhältnis zwi-

schen K und V vorliegen. Zwischen ihnen bestand ein Kaufvertrag

also ein Schuldverhältnis.

b. Zudem müsste die aus dem Vertrag resultierende Leistung un-

möglich geworden sein.

aa. Der Kaufvertrag beinhaltet als Leistung Übereignung der Filme

gemäß § 929 S. 1.

bb. Unmöglichkeit liegt vor, wenn der vereinbarte Leistungserfolg

endgültig von niemanden oder vom Schuldner nicht mehr erbracht

werden kann. Vorliegend lag keine Stückschuld (s.o.), sondern eine

Gattungsschuld (s.o.) vor. Das Schuldverhältnis könnte sich aber

nach § 243 II auf eine bestimmte Sache beschränkt haben. Notwen-

dig ist die Konkretisierung. Der Schuldner muss das zur Erbringung

der Leistung seinerseits Erforderliche getan haben. Was erforder-

lich ist, bestimmt sich nach der Art der Schuld.

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Ihre Ausführungen sind hier

letztlich zutreffend! Sie hätten

allenfalls etwas genauer zwi-

schen Empfangs- und Erklä-

rungsboten unterscheiden sol-

len!

Vereinbart war, dass K die Videos abholt, also eine Holschuld. Zur

Konkretisierung der Holschuld ist erforderlich, dass der Schuldner

die geschuldete Sache aussondert, bereitstellt und den Schuldner

benachrichtigt.

V hat die Videos laut Sachverhalt verpackt und an K adressiert zur

Abholung bereitgestellt. Fraglich ist jedoch, wie es sich auswirkt,

dass V lediglich den 3-jährigen Sohn des K benachrichtigt hat.

Zwar handelt es sich bei der Benachrichtigung nicht um eine Wil-

lenserklärung, doch muss auch hier der Benachrichtigende die

Nachricht in Richtung des Empfängers auf den Weg bringen, so-

dass mit einem Zugang gerechnet werden kann. Ansonsten hätte

der Gläubiger keine Möglichkeit der Kenntnisnahme. Vorliegend

hat V zwar nicht wissen können, dass der Sohn erst drei Jahre alt

ist und somit die Nachricht nicht unbedingt weitergeben könnte. Er

hätte es aber an der kindlichen Stimme und Sprache vermuten müs-

sen und zur Sicherheit noch einmal anrufen müssen. Denn es ist

eher wahrscheinlich, dass ein kleines Kind eine Mitteilung vergisst,

als dass es sie an den Vater weitergibt. V hat K also nicht benach-

richtigt. Es fehlt an der Konkretisierung. Die Leistung des V ist

nicht unmöglich nach § 278 I.

2. Der Anspruch des K ist nicht untergegangen.

III. Er ist auch durchsetzbar.

IV. K hat einen Anspruch gegen V auf Übereignung der Videos

gemäß § 433 I S. 1.

B. V könnte gegen K einen Anspruch aus § 433 II auf Zahlung der

250 € haben.

I. Dazu müsste der Anspruch entstanden sein. Zwischen K und V

liegt ein Kaufvertrag vor (s.o.). Der Anspruch ist demnach entstan-

den.

II. Fraglich ist, ob der Anspruch des K untergegangen sein könnte.

Er könnte gemäß § 326 I untergegangen sein. Dies setzt jedoch Un-

möglichkeit gemäß § 275 I-III voraus. Diese lag nicht vor (s.o.).

Der Anspruch des V ist somit nicht untergegangen.

III. Fraglich ist, ob der Anspruch durchsetzbar ist. In Betracht

kommt eine Einrede des nicht erfüllten Vertrags.

(1) Dazu müsste ein gegenseitiger Vertrag vorliegen. Dieser liegt

in Form eines Kaufvertrages vor.

(2) K müsste aus diesem Vertrag einen Anspruch gegen V haben.

Dieser liegt vor (s.o.).

(3) K muss nicht vorleisten.

(4) Zudem müsste er die Einrede erheben. Dann wäre der Anspruch

des V zwar weiter durchsetzbar, jedoch nur Zug um Uug gegen

Übereignung der Videos.

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IV. V hat einen Anspruch gemäß § 433 II auf Zahlung des Kauf-

preises Zug um Zug.

Im Rahmen des ersten Teils der Klausur erkennen Sie, dass das Schwerpunktproblem in der möglichen Entkon-

kretisierung seitens des V liegt. Ebenso erkennen Sie, dass es umstritten ist, ob eine solche Entkonkretisierung

überhaupt möglich ist. Auch die Darstellung der hierzu vertretenen Ansichten gelingt Ihnen durchaus gut. Ihre

Entscheidung erfolgt in vertretbarer Weise. Auch dir Prüfung der Ausnahmevorschrift des § 326 II S. 1 erfolgt

zutreffend. Eine insgesamt erfreuliche hervorragende, ganz ausgezeichnete Bearbeitung dieses Teils der Klausur.

Im Rahmen des zweiten Teils erkennen Sie das Schwerpunktproblem und lösen dieses auch im Ergebnis zutref-

fend und nachvollziehbar. Lediglich stellenweise hätten Sie noch etwas genauer arbeiten können und beispiels-

weise eine explizite Unterscheidung zwischen Empfangs- und Erklärungsbote vornehmen können. (Es fehlten

letztlich die Begriffe Empfangs- und Erklärungsbote. Insgesamt jedoch eine erfreuliche gute Bearbeitung des

zweiten Teils.

Insgesamt handelt es sich bei Ihrer Klausur um eine überdurchschnittliche Leistung, die lediglich an kleineren

Ungenauigkeiten leidet.

Daher

14 Punkte (Gut)

Eine hervorragende Klausur, deren zweiter Teil jedoch nicht so überzeugt wie die erste.

Gleichwohl

14 Punkte (Gut)

Gratuliere! Die beste Klausur von 215 Arbeiten! Der erste Teil der Klausur ist nahezu nicht besser zu machen

und der zweite ist „gut“. Daher insgesamt die Ausnahmenote:

16 Punkte (Sehr gut)

(P. Reiff)

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2. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2005

Prof. Dr. Franz Dorn

M ist Mieterin einer Wohnung des V. Durch einen Defekt der Stromleitung in der Küche kam es bei M immer

wieder zu Stromausfällen.

Der Vermieter (V), dem M die Mängel sofort nach dem ersten Auftreten angezeigt hatte, betraute den Elektroun-

ternehmer E mit der Reparatur der beschädigten Leitung. V war bekannt, dass E in seinem Betrieb zehn Mitar-

beiter beschäftigt. E entsandte daraufhin den bei ihm angestellten und bisher stets zuverlässigen Elektrogesellen

G in die Wohnung der M.

Infolge einer Unaufmerksamkeit des G kam es bei dem Versuch die reparierte Leitung auf Funktionsfähigkeit zu

testen, zu einem Spannungsüberschlag, wodurch der Einbauherd der M (Wert: 500,- €) irreparabel beschädigt

wurde.

G, der aufgrund dieses Vorfalls völlig verunsichert war, genehmigte sich daraufhin erst einmal einen kräftigen

Schluck Cognac aus einer in der Küche stehenden edlen Glaskaraffe (Wert: 200,- €). Diese entglitt allerdings

seinen zittrigen Händen und ging auf den Bodenfliesen zu Bruch.

Anschließend führt der G die Reparatur ordnungsgemäß zu Ende.

M fragt, ob ihr gegen V, E und G Ansprüche wegen des Herdes und der Glaskaraffe zustehen. V fragt, ob

er gegebenenfalls Schadensersatzansprüche gegen E und G hat.

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Gutachten

und damit keine

Hauptpflicht aus dem

Mietvertrag sondern

Nebenpflicht.

Pflichtenkreis!

muss nicht § 823 I sein,

Vermögensschaden reicht

hier aus!

A: Ansprüche der M gegen V

A1: bezüglich des Herdes

I. aus § 280 I

M könnte gegen V einen Anspruch auf Schadensersatz für den zer-

störten Herd aus § 280 I 1 haben.

1. Schuldverhältnis

Dazu müsste zunächst ein Schuldverhältnis zwischen M und V be-

stehen. Laut Sachverhalt ist V der Vermieter der M; es besteht also

ein Mietvertrag gem. § 535. Somit liegt ein Schuldverhältnis vor.

2. Pflichtverletzung

V müsste nunmehr eine Pflicht aus diesem Schuldverhältnis ver-

letzt haben. Gemäß § 535 I 2 muss der Vermieter die Wohnung in

geeignetem Zustand bewahren. Folglich könnte eine Pflicht aus

dem Mietvertrag selbst betroffen sein. Auf alle Fälle liegt aber eine

Schutzpflicht gemäß § 241 II vor: V hat auf die Rechtsgüter der M

– hier ihr Eigentum am Herd – Rücksicht zu nehmen. Diese Pflicht

müsste ferner verletzt worden sein. Durch V selbst geschah dies

nicht. Allerdings könnte ihm das Handeln des G nach § 278 zuge-

rechnet werden.

Dazu müsste G Erfüllungsgehilfe des V sein. Dazu müsste er mit

Wissen und Wollen des Schuldners in dessen Tätigkeitskreis ein-

gesetzt worden sein. V wusste, dass Elektromeister E Mitarbeiter

beschäftigt. Bei Tätigkeiten wie dem Reparieren einer defekten

Leitung ist nicht von einer persönlichen Ausführung durch den

Meister auszugehen; V hat also zumindest konkludent den Einsatz

des G in seinem Tätigkeitskreis „Instandhalten der Wohnung“ ge-

wollt. G war somit Erfüllungsgehilfe des V.

Dieser (G) müsste M ferner einen Schaden i.S.d. § 823 I zugefügt

haben. G verletzte ein absolutes Rechtsgut der M, namentlich ihr

Eigentum am Herd, in kausaler Weise. Dabei handelte er auch

rechtswidrig. Somit wurde M ein solcher Schaden beigebracht.

Zudem verlangt die h.M. dass dies bei Erfüllung der Pflicht gesche-

hen sei. Die Gegenmeinung lässt die Schadenszufügung bei Gele-

genheit der Erfüllung genügen (Medicus). Hier ist die strengere

Meinung erfüllt: G zerstörte den Herd beim Reparaturversuch.

Somit kann ein Streitentscheid hier dahinstehen, die Bedingung ist

erfüllt.

Der Schaden müsste nunmehr von G verschuldet worden sein. Wie

der Schuldner selbst hat er hier Vorsatz und Fahrlässigkeit zu ver-

treten, § 276 analog. G handelte hier nicht mit Vorsatz. Jedoch

könnte er fahrlässig gehandelt haben. Dies tut, wer die im Verkehr

erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, § 276 II. Laut SV handelte

G unaufmerksam, mithin also gegen die erforderliche Sorgfalt.

Fahrlässigkeit liegt als Verschuldensform vor.

Letztlich müsste ein Schaden entstanden sein. Der Herd der M ist

nicht mehr funktionsfähig. Mithin liegt ein Schaden ebenfalls vor.

Somit hat der V die Pflichtverletzung des G zu tragen.

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s.o.

das würde Reparatur

bedeuten

Naturalrestitution;

Formulierung beachten

auch an E als möglichen

Verrichtungsgehilfen

denken!

Offensichtlich

3. Vertretenmüssen

Gemäß § 280 I 2 muss V die Pflichtverletzung ferner zu vertreten

haben. Der Schuldner haftet gem. § 276 I für Vorsatz und Fahrläs-

sigkeit; in casu ist ihm das Handeln des G wie eigenes zuzurechnen

(§ 276 I i.V.m. § 278, s.o.).

4. Schaden

Letztlich müsste der M ein Schaden entstanden sein. Ihr Herd ist

funktionsunfähig. Gem. § 249 I hat der Schuldner den Zustand her-

zustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestehen würde.

5. Ergebnis

Somit besteht der Anspruch der M gegen V aus § 280 I 1 i.H.v.

500 €.

II. aus § 831

M könnet ferner einen Anspruch auf Schadensersatz gegen V aus

§ 831 haben. Dazu müsste G Verrichtungsgehilfe des V gewesen

sein. Ein solcher ist, wer mit Wissen und Wollen des Schuldners in

dessen Tätigkeitskreis weisungsgebunden eingesetzt wird. Zwar

wusste und wollte V, dass G eingesetzt wird (s.o.), G war ihm je-

doch nicht weisungsgebunden. Somit war G nicht ein Verrichtungs-

gehilfe des V. M hat also keinen Anspruch aus § 831.

III. aus § 823 I

M könnte gegen V noch einen Anspruch aus § 823 I haben. V selbst

handelte jedoch nicht; er hatte seine Reparaturpflicht an E delegiert.

Somit besteht kein Anspruch gegen ihn aus § 823 I.

A2: bezüglich der Karaffe

I. aus § 280 I

M könnte gem. § 280 I einen Anspruch gegen V haben.

1. Schuldverhältnis (s.o.)

2. Pflichtverletzung (s.o.)

Jedoch ist fraglich, ob G die Karaffe in Erfüllung seiner Pflicht fal-

len ließ. Das Cognactrinken gehört sicherlich nicht zu den Hand-

lungen, die ein Handwerker zum Verrichten der Arbeit braucht.

Nach der h.M. würde der Anspruch hier also scheitern. Die Gegen-

meinung käme hier zum gegenteiligen Ergebnis: G handelte bei Ge-

legenheit der Verrichtung. Diese Meinung ist jedoch abzulehnen,

da die den Zurechnungsbereich für den Schuldner unübersehbar er-

weitern würde. Folglich besteht kein Anspruch aus § 280 I hinsicht-

lich der Karaffe.

II. aus § 831 (s.o.)

III. aus § 823 (s.o.)

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Vertrag mit Schutzwirkung

zugunsten Dritter?

i.E. (-), aber prüfen!

Offnesichtlich

VSD?

B: Ansprüche der M gegen E

B1: bezüglich des Herdes

I. aus § 280 I

Zwischen M und E bestand kein vertragliches Schuldverhältnis. Al-

lerdings könnte ein vorvertragliches Schuldverhältnis gemäß § 311

II vorliegen. Jedoch wurden weder Vertragsverhandlungen aufge-

nommen, noch bahnte sich ein Vertrag an, noch liegen ähnliche ge-

schäftliche Kontakte, die auf einen Vertragsschluss hinführen kön-

nen, vor. Somit scheidet der Anspruch aus § 280 I aus.

II. aus § 831

M könnte gegen E einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 831

haben. Dazu müsste G Verrichtungsgehilfe des E gewesen sein.

Dies ist, wer mit Wissen und Wollen des Schuldners in dessen Be-

trieb weisungsgebunden eingesetzt wird. E wusste vom Einsatz des

G und wollte diesen. G war bei ihm angestellt und wurde zur M

entsandt. Somit ist er dem V weisungsgebunden, mithin Verrich-

tungsgehilfe.

Zudem müsste eine widerrechtliche und kausale Rechtsgutsverlet-

zung vorliegen. Das Eigentum der M wurde verletzt. Hierfür war

die Handlung des G nach der Ädäquanztheorie auch kausal. Die

Widerrechtlichkeit wird indiziert durch den auch kausal. Die Wi-

derrechtlichkeit wird indiziert durch den verwirklichten Tatbe-

stand. Somit liegt eine rechtswidrige kausale Rechtsgutsverletzung

vor. Diese müsste ferner „in Ausführung“ begangen worden sein.

G zerstörte den Herd, während er versuchte, ihn zu reparieren. Mit-

hin handelte er bei der Ausführung seiner Pflicht.

Der Anspruch könnte jedoch nicht eintreten, wenn E sich exkulpie-

ren könnte. Dazu müsste er nachweisen, dass ihn kein Auswahl-

oder Überwachungsverschulden (culpa in eligendo aut custo-

diendo) trifft. Laut SV war G bisher stets zuverlässig. Folglich be-

steht für E die Exkulpationsmöglichkeit. Ein Anspruch aus § 831

besteht mithin für M gegen E nicht.

III. § 823 I

Auch hier scheitert der Anspruch mangels Handlung des E, der die

Pflicht delegierte, aus.

B2: bezüglich der Karaffe

I. aus § 280

Ein Anspruch aus § 280 scheidet aus mangels Schuldverhältnis, s.o.

II. aus § 831

M könnte gegen E einen Schadensersatzanspruch aus § 831 haben.

G ist Verrichtungsgehilfe des E. Er verletzte ferner in widerrechtli-

cher und kausaler Weise das Rechtsgut Eigentum der M an der Ka-

raffe. Jedoch verlangt § 831, dass G „in Ausführung“ seiner Pflicht

gehandelt haben muss. Wie bereits dargelegt, fällt das Cognactrin-

ken nicht in seinen Pflichtenkreis. Er handelte folglich nur bei Ge-

legenheit der Ausführung. Somit scheidet ein Anspruch aus § 831

aus.

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Formulierung

Offensichtlich

Das hätten Sie auch

zusammen prüfen können,

Herd und Karaffe.

NEIN! V hat nämlich einen

Freistellungsanspruch

gegen E wegen des

Ansprüchs für M, den V ja

zahlen muss!

es scheitert bereits daran,

dass es für V ein reiner

Vermögensschaden ist!

i.E. richtig, aber nur weil

Karaffe nicht in Erfüllung

zerstört wird, andernfalls

(+)

III. aus § 823 I (s.o.)

C: Ansprüche der M gegen G

C1: bezüglich des Herdes

I. § 823 I

M könnte gegen G einen Schadensersatzanspruch aus § 823 I ha-

ben. Dazu müsste er ein Rechtsgut der M in kausaler und wider-

rechtlicher Weise verletzt haben. Dies ist der Fall. Dies müsste er

ferner verschuldet haben, d.h. mit Vorsatz oder fahrlässig gehandelt

haben. Gem. § 276 II handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erfor-

derliche Sorgfalt außer Acht lässt. Durch seine Unachtsamkeit bei

der Reparatur des Herdes tat G dies. Somit handelte er schuldhaft.

Des Weiteren müsste ein Schaden entstanden sein. Gemäß § 249

hat er die M so zu stellen, wie sie bei Nichteintritt der Rechtsguts-

verletzung stünde. Somit hat M gem. § 823 I einen Anspruch auf

Ersatz des Wertes des Herdes gegenüber G i.H.v. 500 €.

II. aus § 823 II i.V.m. § 303 I StGB

§ 303 I StGB verlangt Vorsatz. G handelte nur fahrlässig. Der An-

spruch scheidet somit aus.

C2: bezüglich der Karaffe

I. aus § 823 I

G verletzte schuldhaft, rechtswidrig und kausal das Eigentum der

M an der Karaffe. Mithin hat M gegen G einen Anspruch auf Scha-

densersatz i.H.v. 200 €.

II. aus § 823 II (s.o.)

D: Ansprüche des V gegen E

D1: bezüglich des Herdes

I. aus § 280 I 1

V könnte gegenüber E einen Schadensersatzanspruch aus § 280 I 1

haben. Dazu müsste ein Schuldverhältnis bestehen. V beauftragte

E mit der Reparatur. Mithin liegt ein Schuldverhältnis in Form ei-

nes Werkvertrags (§ 631) vor.

E müsste ferner eine Pflicht verletzt haben. In Betracht kommt nur

die Verletzung einer Schutzpflicht aus § 241 II. Allerdings handelt

es sich beim Eigentum am Herd der M nicht um ein Rechtsgut des

V. Somit scheidet ein Anspruch des V gegen E aus § 280 I 1 aus.

II. aus § 831

Ein Anspruch des V gegen E aus § 831 scheidet aus, da E sich

exkulpieren kann.

III. aus § 823 I

Mangels Handlung des E (Delegierung) entfällt auch dieser An-

spruch.

D2: bezüglich der Karaffe

I. aus § 280 I 1 (s.o.)

Page 37: zum kleinen Schein im Zivilrecht - Uni Trier · 1 Klausurensammlung zum kleinen Schein im Zivilrecht 22 Originalklausuren Stand: vor dem Sommersemester 2017 Gesamtausgabe

37

Genau!

wieso haben Sie das bei V-E

nicht gesehen?

II. aus § 831

G zerstörte die Vase nicht „in Ausführung“ der Tätigkeit. Somit

besteht kein Anspruch aus § 831 gegen E.

III. aus § 823 I (s.o.)

E: Ansprüche des V gegen G

I. aus § 280

Der Anspruch scheidet mangels Schuldverhältnis aus.

II. aus § 823

Dazu müsste ein absolutes Rechtsgut des V verletzt worden sein.

Dazu zählt jedoch nicht das bloße Vermögen. Somit besteht kein

Anspruch aus § 823 I.

Der Verfasser erkennt die entscheidenden Fallfragen in der Prüfung M – V und bejaht § 280 I zutreffend

bezüglich des Herdes und lehnt ebenso zutreffend bzgl. der Karaffe ab.

Bei M – E wird die Möglichkeit des VSD nicht gesehen, jedoch § 831 sehr gut geprüft mit unterschied-

lichen Scheiternsgründen bei Herd und Karaffe.

Auch § 823 I M – G wird richtig gesehen.

Die Prüfung V – E + G ist indes weniger gelungen, was evtl. auch an Zeitmangel liegen könnte.

Aufgrund der guten Struktur und Übersichtlichkeit sind 3 Formpunkte angemessen.

Insgesamt daher 31,5 Rohpunkte

Vollbefriedigend (10 Punkte)

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38

1. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2006

Prof. Dr. Gregor Bachmann

Der 17 jährige Jonas (J) ist Gitarrist in der Schülerband „Pumpkin Park“. Mit seinem Instrument, einem

billigen Stratocaster-Nachbau, ist er allerdings nicht zufrieden. Als er im Internet auf ein Inserat des

Musikers Hendricks (H) stößt, der dort eine gebrauchte Gitarre „Gretsch Rancher“ für € 500 feil bietet,

ist J begeistert. Er schickt H eine E-Mail, dass er als Heavy-Metal- Gitarrist die Gitarre gerne kaufen

wolle.

Nachdem er wochenlang nichts von H hört, denkt J, die Sache habe sich erledigt. Zu seiner Überra-

schung erhält er nach 2 Monaten doch noch eine Antwort. H erklärt darin, J könne die Gitarre zum

vereinbarten Preis haben. J spricht daraufhin mit seinen Eltern, die mit dem Geschäft einverstanden sind.

Er schreibt an H, dass er die Gitarre in den nächsten Tagen abholen werde. Ohne Wissen seiner Eltern

stellt er die alte Gitarre bereits zum Sperrmüll auf die Straße. Dort entdeckt sie der 15 jährige Marvin

(M), der sie mitnimmt, um sie zu behalten. Als J zu H kommt, stellte er enttäuscht fest, dass es sich nicht

um eine elektrische, sondern um eine akustische Gitarre handelt. J erklärt dem H ohne Wissen der Eltern,

dass er unter diesen Umständen von dem Erwerb nichts mehr wissen möchte. H besteht jedoch auf

Erfüllung des Geschäfts. Als J am Abend den Eltern von dem Vorfall berichtet, heißen diese sein Ver-

halten gegenüber H ausdrücklich gut.

Was kann H von J verlangen?

Zusatzfrage: Kann J von M Herausgabe der alten Gitarre verlangen?

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39

Gutachten

Gute Darstellung

A) H könnte gegen J einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung und Ab-

nahme der Kaufsache gemäß § 433 II haben.

I. Der Anspruch müsste entstanden sein.

1. Dazu müsste zwischen H und J ein wirksamer Kaufvertrag ge-

schlossen worden sein. Dieser setzt zwei korrespondierende Wil-

lenserklärungen in Form von Angebot und Annahme voraus.

a) H könnte ein Angebot unterbreitet haben. Das Inserat im Internet

könnte als Angebot zu qualifizieren sein. Dazu müsste der Tatbe-

stand einer Willenserklärung erfüllt sein. Hier könnte es am äußer-

lichen Rechtsbindungswillen fehlen. Rechtsbindungswille ist der

Wille rechtlich relevant zu handeln. Hier könnten mehrere Käufer

gleichzeitig eine Annahme erklären, die zu einem Vertragsschluss

führen könnte. Dann hätte H die Gitarre mehrfach verkauft. Das

dies nicht gewollt sein kann, ist für den objektiven Empfänger of-

fensichtlich. Das Inserat ist also keine rechtlich relevante Erklä-

rung. Mithin fehlt hier der Rechtsbindungswille. Ein Angebot des

H liegt hier also nicht vor. Das Inserat ist lediglich eine Aufforde-

rung zum Vertragsangebot (invitatio ad offerendum).

b) Es könnte ein Angebot des J vorliegen. Dieses Angebot könnte

in der E-Mail des J liegen. Dazu müssten zunächst die wesentlichen

Bestandteile (essentialia negotii) eines Vertragsangebots bestimmt

sein. Dies sind die Leistung, die Gegenleistung und die Vertrags-

parteien. Als Leistung nennt J die Gitarre. Die Gegenleistung (500

€) und die Vertragsparteien (H und J) ergeben sich aus dem Zusam-

menhang. Die essentialia negotii sind also benannt. Weiterhin er-

füllt die E-Mail den Tatbestand einer Willenserklärung. Diese Wil-

lenserklärung müsste auch wirksam geworden sein. Dies setzt An-

nahme und Zugang voraus. Mit dem Absenden der E-Mail durch J

liegt eine Abgabe unproblematisch vor. Die Willenserklärung

müsste dem H auch zugegangen sein. Eine Willenserklärung ist zu-

gegangen, wenn sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt

ist und mit dessen potentieller Kenntnisnahme zu rechnen ist. Auf

die tatsächliche Kenntnisnahme kommt es nicht an. Die E-Mail ist

bei H angekommen. J konnte auch davon ausgehen, dass H von

eingehenden E-Mails Kenntnis nimmt, da er sonst seine E-Mail-

Adresse nicht in dem Inserat angegeben hätte. Die Willenserklä-

rung ist also zugegangen und damit wirksam geworden. Ein Ange-

bot des J liegt also vor.

c) Dieses Angebot könnte durch H angenommen worden sein. In

der E-Mail des H nach 2 Monaten liegt inhaltlich unproblematisch

eine Annahme des Vertragsangebots unproblematisch eine An-

nahme des Vertragsangebots vor. Fraglich ist, ob J zu diesem Zeit-

punkt noch an sein Angebot gebunden war. Gemäß § 146 erlischt

ein Antrag, wenn er dem Antragenden gegenüber nicht rechtzeitig

angenommen wird. Eine E-Mail ist ein Antrag unter Abwesenden.

Die Annahmefrist hierfür bestimmt sich aus § 147 II. Demnach

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40

Schön!

wirksamer Zugang des Ange-

bots bei J gemäß § 131 II (+)

Gelungene Prüfung!

kann ein Antrag (unter Abwesenden) nur bis zu dem Zeitpunkt an-

genommen werden, bis zu dem der Antragende den Eingang der

Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Hier wird

dem Erklärenden nicht nur die Zeit der Übermittlung, sondern auch

eine angemessene Zeit zum Überlegen eingeräumt. Ein Zeitraum

von zwei Monaten ist hierfür allerdings deutlich zu lang. Mithin ist

der Antrag des J zum Zeitpunkt der Erklärung des H erloschen,

§ 146. Es liegt hier also eine verspätete Annahme des H vor.

d) Eine verspätete Annahme ist gemäß § 150 I zu behandeln wie

ein neuer Antrag. hier liegt also ein Angebot des H vor.

e) Dieses Angebot müsste durch J angenommen worden sein. J

schreibt an H, dass er die Gitarre bei ihm abholen werde. Hierin ist

eine konkludent erklärte Annahme zu erblicken.

Fraglich ist, ob diese Willenserklärung des J schwebend unwirksam

ist. Dazu müsste J beschränkt geschäftsfähig sein, das Rechtsge-

schäft müsste zustimmungsbedürftig sein und eine Zustimmung des

gesetzlichen Vertreters des J dürfte nicht vorliegen.

aa) J müsste beschränkt geschäftsfähig sein. Beschränkt geschäfts-

fähig ist, wer minderjährig ist und das siebente Lebensjahr vollen-

det hat, § 106. J ist 17 Jahre alt. Also ist J minderjährig und hat das

siebente Lebensjahr vollendet. Also ist J beschränkt geschäftsfähig

gemäß § 106.

bb) Das fragliche Rechtsgeschäft müsste zustimmungsbedürftig

sein. Gemäß § 107 ist ein Rechtsgeschäft zustimmungsbedürftig,

wenn es für den beschränkt Geschäftsfähigen nicht lediglich recht-

lich vorteilhaft ist. Das fragliche Rechtsgeschäft ist hier ein Kauf-

vertrag. Aus diesem werden beide Vertragsparteien verpflichtet.

Für J als Käufer besteht hier die Verpflichtung zur Kaufpreiszah-

lung und zur Abnahme der Kaufsache, § 433 II. Das Rechtsgeschäft

ist für J also nicht lediglich rechtlich vorteilhaft. Mithin ist es zu-

stimmungsbedürftig.

cc) Es dürfte keine Zustimmung des gesetzlichen Vertreters des J

vorliegen, § 108 I. Gesetzlicher Vertreter des J sind seine Eltern,

§ 1629 I. Gem. § 182 I kann die Zustimmung entweder dem einen

oder dem anderen Vertragspartner gegenüber erklärt werden. Hier

haben die Eltern des J diesem gegenüber ihre Zustimmung vor dem

Rechtsgeschäft erklärt. Es liegt also eine Zustimmung in Form ei-

ner Einwilligung gem. § 183 vor. dd) Die Willenserklärung des J

ist also nicht schwebend unwirksam, sondern wegen der Einwilli-

gung seiner Eltern sofort wirksam geworden.

2. Mithin kam ein Kaufvertrag zwischen J und H zustande.

3. Die zum Vertragsschluss führende Willenserklärung des J könnte

angefochten worden sein. Dann wäre sie gemäß § 142 I als von An-

fang an nichtig anzusehen.

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41

P Wirksamkeit der Erklärung

des J?

Schön!

Gut, aber es fehlt die Erklä-

rung gegenüber dem anderen

Teil, § 143 I!

Daher ist hier von einer erneu-

ten Anfechtung nicht auszuge-

hen!

a) Zunächst müsste ein Anfechtungsgrund vorliegen. In Betracht

kommt hier § 119 II. Dann müsste ein Irrtum des J über eine ver-

kehrswesentliche Eigenschaft vorliegen. Eine Eigenschaft ist ein

Zustand einer Sache, der nicht nur vorübergehend ist und als wert-

bildender Faktor angesehen wird. Der Preis selbst ist jedoch keine

Eigenschaft. Dass es sich bei einer Gitarre um eine akustische Gi-

tarre handelt, ist ein nicht nur vorübergehender Zustand. Auch kann

dieser Zustand als wertbildender Faktor der Gitarre angesehen wer-

den, da E-Gitarren im Allgemeinen einen höheren Wert haben als

akustische Gitarren. Also ist es Eigenschaft einer Sache zu bezeich-

nen, wenn diese akustisch ist. Verkehrswesentlich ist eine Eigen-

schaft, wenn sie erheblichen Einfluss auf das Zustandekommen ei-

nes Rechtsgeschäfts hat, vertragswesentlich ist. J wollte eine E-Gi-

tarre erwerben. Wenn er Kenntnis davon gehabt hätte, dass die feil-

gebotene Gitarre eine akustische war, hätte er den Kaufvertrag gar

nicht schließen wollen, da er die Gitarre für seine Tätigkeit als

„Heavy-Metal-Gitarrist“ erwerben wollte. Mithin ist die Eigen-

schaft der Gitarre akustisch zu sein, verkehrswesentlich. Über diese

verkehrswesentliche Eigenschaft war J im Irrtum. Mithin liegt ein

Anfechtungsgrund gemäß § 119 II vor.

b) Die Anfechtung müsste gemäß § 143 I erklärt worden sein. J hat

dem H gegenüber erklärt, dass er von dem Erwerb nichts mehr wis-

sen wolle. Auch ohne die Benutzung des Wortes „Anfechtung“

liegt hierin eine Anfechtungserklärung gemäß § 143 I.

c) J hat auch die in § 121 I geforderte Frist (unverzüglich nach

Kenntnisnahme des Irrtums) gewahrt.

d) Ein Ausschluss der Anfechtung gemäß § 144 I liegt nicht vor.

e) Problematisch ist jedoch, dass es sich bei der Anfechtung um ein

Gestaltungsrecht handelt. Ein Vertragspartner kann damit einen be-

stehenden Vertrag alleine ändern, bzw. rückwirkend vernichten.

Ein Gestaltungsrecht ist ein einseitiges Rechtsgeschäft. Ein solches

kann gemäß § 111 von einem Minderjährigen nur vorgenommen

werden, wenn die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vor-

liegt. Eine solche Einwilligung (vorherige Zustimmung) der Eltern

des J liegt hier nicht vor. Daraus ergibt sich, dass die Anfechtung

des J unwirksam ist.

f) Fraglich ist, wie es zu behandeln ist, dass die Eltern des J am

Abend das Verhalten ihres Sohnes gutheißen. Eine Genehmigung,

wie sie hier vorliegen könnte ist gemäß § 111 nicht möglich, da

diese Vorschrift ausdrücklich von einer Einwilligung spricht.

Doch könnte die Erklärung der Eltern des J als erneute Anfechtung

zu qualifizieren sein. Für den objektiven Empfänger ergibt sich,

dass genau das damit gewollt sein könnte.

aa) Wie gezeigt liegt hier ein Anfechtungsgrund vor.

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42

Konsequent!

bb) Die Erklärung, die sich auf die unwirksame Anfechtung des J

bezieht, ist so auszulegen, dass sie für den objektiven Empfänger

(§§ 133, 157) als Anfechtungserklärung der Eltern des J als dessen

gesetzlicher Vertreter (§ 1629 I) anzusehen ist.

cc) Auch hier wurde die Anfechtungsfrist gemäß § 121 gewahrt, da

die Eltern des J erst jetzt Kenntnis von den Umständen hatten.

dd) Ein Ausschluss der Anfechtung liegt nicht vor.

ee) Somit liegen alle Voraussetzungen einer Anfechtung vor. Die

zum Vertragsschluss führende Willenserklärung des J ist also als

von Anfang an nichtig anzusehen.

4. Der Kaufvertrag zwischen J und H kam somit nicht zustande.

II. Mithin hat H keinen Anspruch gegen J auf Kaufpreiszahlung ge-

mäß § 433 II.

B) H könnte gegen J gem. § 122 I einen Anspruch auf Vertrauens-

schaden haben.

I. Der Anspruch müsste entstanden sein.

Dazu müsste eine Willenserklärung gemäß §§ 119, 120 angefoch-

ten worden sein. Wie ausgeführt liegt hier eine Anfechtung gemäß

§§ 119 II vor.

II. Es besteht also ein Anspruch des H gegen J auf den Ersatz des

Vertrauensschadens.

Zusatzfrage

J könnte gemäß § 985 einen Herausgabeanspruch gegen M haben.

1. Dazu müsste J Eigentümer der Gitarre sein, M müsste Besitzer

sein und M dürfte kein Recht zum Besitz haben (§ 986 I).

a) J müsste Eigentümer der Gitarre sein. Er könnte sein Eigentum

verloren haben, als er die Gitarre zum Sperrmüll auf die Straße

stellte. Es könnte hier eine Aufgabe des Eigentums (Dereliktion)

gemäß § 959 vorliegen. Dazu müsste der Eigentümer (hier J) mit

der Absicht auf die Sache zu verzichten, den Besitz aufgegeben ha-

ben. J hat die Gitarre auf die Straße gestellt, er hat den Besitz (tat-

sächliche Sachherrschaft) aufgegeben. J hatte auch die Absicht, auf

das Eigentum zu verzichten. Fraglich ist, ob J das ohne Zustim-

mung seiner Eltern tun konnte. Die Aufgabe des Eigentums ist eine

einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Diese ist

gemäß § 111 unwirksam, wenn keine Einwilligung des gesetzlichen

Vertreters vorliegt. Hier hatten die Eltern des J keine Kenntnis da-

von, dass J die Sache zum Sperrmüll stellte. Also lag hier keine

Einwilligung vor. Mithin war die Aufgabe des Eigentums durch J

unwirksam. Somit ist J weiterhin Eigentümer der Gitarre.

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43

§ 812 I 1 2. Alt. (+)

b) B müsste Besitzer der Gitarre sein. Besitz ist die tatsächliche

Sachherrschaft. M hat die Gitarre an sich genommen. Also hat M

die tatsächliche Sachherrschaft, den Besitz erlangt.

c) M dürfte kein Recht zum Besitz an der Gitarre haben. Hier ist

kein dingliches, rechtsgeschäftliches oder sonstiges Recht ersicht-

lich, weshalb M die Gitarre besitzen dürfte.

2. Mithin ist J immer noch Eigentümer der Gitarre, M ist Besitzer

und hat kein Recht zum Besitz.

II. J hat eine Herausgabeanspruch gegen M gemäß § 985.

Eine gelungene Bearbeitung!

Sie arbeiten die Schwerpunkte des Falles gezielt heraus und lösen die Rechtsprobleme zutreffend! Auch

haben sie den Gutachtenstil verstanden und arbeiten sprachlich mängelfrei!

Allein fraglich bleibt, worin Sie die Anfechtung der Eltern sehen! Hierfür fehlt die Anfechtungserklä-

rung, § 143 I!

Zu ergänzen an Ihrer Arbeit sind allein folgende Punkte:

- Wirksamwerden des Angebots des H gegenüber J gemäß § 131 II 2

- Widerruf des Vertrages gemäß §§ 312 b, 355 BGB

- § 812 I 1 2. Alt.

Genannte Punkte ändern jedoch nichts an der insgesamt gelungenen Arbeit.

Daher

13 Punkte (gut)

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44

2. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2006

Prof. Dr. Gregor Bachmann

Winzer Werner (W) ist Eigentümer eines Weinbergs an der Mosel. Weil ihm die Weinlese auf Dauer zu

mühsam ist, beschließt er, diesen gegen ein anderes Grundstück einzutauschen. Im Internet stößt er auf

ein Inserat des Eifelbauern Erwin (E). Dieser ist Eigentümer eines Obstgartens, den er gerne veräußern

möchte. W gelingt es, dem E den Weinberg schmackhaft zu machen, indem er auf den besonders guten

Jahrgang verweist, der dieses Jahr zu erwarten sei. W und E suchen daraufhin einen Notar auf und lassen

den Tausch der beiden Grundstücke am 1. September ordnungsgemäß beurkunden. Gleichzeitig wird

die Übereignung des Obstgartens beurkundet, welche kurz darauf im Grundbuch eingetragen wird. W

erhält auch schon den Schlüssel für den Obstgarten. Weil für die Übereignung des Weinbergs noch

einige Dokumente erforderlich sind, wird dafür ein gesonderter Notartermin am 14. September, 15 Uhr,

vereinbart. Dann soll auch die Übergabe stattfinden.

Zum vereinbarten Termin erscheint W, nicht jedoch E, der unverschuldet in einem Stau steckt. Unver-

richteter Dinge verlässt W um 16 Uhr das Notarbüro und fährt zurück in seinen Weinberg, um dort die

Reben mit einem Schädlingsbekämpfungsmittel zu behandeln. Durch ein leichtes Versehen verwendet

er dabei eine zu hohe Dosierung, wodurch die Rebstöcke samt Trauben eingehen. Als E am nächsten

Tag davon erfährt, ist er enttäuscht, denn er hatte sich schon auf das Keltern des Jahrgangs eingerichtet.

Er ruft W an, erklärt ihm, der Tauschvertrag sei für ihn hinfällig geworden und verlangt seinen Obstgar-

ten zurück. W hingegen besteht auf der Durchführung des Vertrages.

Kann E seinen Obstgarten zurückerhalten?

Abwandlung:

E ist zum Termin erschienen, beide Grundstücke wurden formgerecht übereignet und übergeben. Nach

einem Monat erklärt E den Rücktritt, welchen er sich vertraglich vorbehalten hatte. Nun stellt W fest,

dass E die Weinernte unterlassen hat und sämtliche Trauben von Vögeln und Wanderern verzehrt wor-

den sind. E meint, dass W dadurch keine Einbuße entstanden sei, denn hätte er, E die Trauben geerntet,

wären diese ja auch weg gewesen. Ein weitergehender Schaden sei – was zutrifft – am Weinberg nicht

eingetreten.

Welche Ansprüche hat W gegen E?

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45

Gutachten

§ 311 b

Gut!

§ 434 I S. 2

exakt zitieren

Gut gesehen!

Voraussetzungen des Annah-

meverzugs lückenhaft!

I. E könnte gegenüber W einen Anspruch auf Rückübereignung sei-

nes Obstgartens haben, aus § 346 I i.V.m. § 323 I, IV, § 480, § 437

Nr. 2, § 434 BGB.

Dazu müsste E wirksam von seinem Tauschvertrag mit W zurück-

getreten sein. Der Rücktritt als Gestaltungsrecht setzt einen Rück-

trittsgrund und eine Rücktrittserklärung voraus.

a) Rücktrittsgrund

Zunächst müsste zwischen E und V ein Schuldverhältnis bestehen.

E und W haben hier einen Tauschvertrag geschlossen, welcher ord-

nungsgemäß notariell beurkundet wurde. Ein Schuldverhältnis ist

somit zunächst entstanden.

Weiterhin müsste eine Nicht- oder Schlechtleistung vorliegen. (Das

Verfügungsgeschäft zur Übereignung des Weinbergs wurde hier

noch nicht geschlossen, jedoch wurde das Verpflichtungsgeschäft

– Tauschvertrag – geschlossen). Der noch zu übereignende Wein-

berg könnte hier gem. § 434 einen Mangel aufweisen.

Fraglich ist, ob die Vorschriften des Kaufrechts hier Anwendung

finden. Gem. § 480 gelten die Vorschriften des Kaufrechts auch für

den Tausch. Folglich ist nun zu prüfen, ob der Weinberg gem. §

434 BGB einen Mangel aufweist, was den E gem. § 437 Nr. 2 zum

Rücktritt berechtigen würde. Hier könnte es sich gem. § 434 Nr. 2

BGB um einen objektiven Sachmangel handeln. Die Rebstöcke und

Trauben des Weinbergs sind hier eingegangen. Eine Kelterung der

Trauben ist nicht mehr möglich. Mithin eignet sich der Weinberg

nicht mehr zur gewöhnlichen Verwendung und weist auch nicht die

Beschaffenheit auf, welche andere Weinberge besitzen. Ein Sach-

mangel liegt somit vor. Dieser müsste jedoch gem. § 434 I S. 1 bei

Gefahrübergang vorgelegen haben. Nach § 446 geht die Gefahr mit

der Übergabe einer Sache auf den Gläubiger über. Der Sachmangel

müsste also bei Übergabe bereits vorgelegen haben. Gem. § 446

S. 3 steht es einer Übergabe gleich, wenn der Käufer (hier Gläubi-

ger = E) im Annahmeverzug ist. Der E könnte such hier im Annah-

meverzug befunden haben. Gem. § 293 kommt der Gläubiger in

Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Hier

hatten E und W vereinbart, sich am 14. September um 15 Uhr bei

dem Notar zu treffen, um die Übereignung des Weinbergs („die ihm

angebotene Leistung“) vorzunehmen. Der E kommt gem. § 295

durch ein wörtliches Angebot in Verzug, wenn eine Handlung sei-

nerseits erforderlich gewesen war. Hier war eine Leistung des

Gläubigers (hier E) erforderlich, nämlich das Erscheinen im Büro

des Notars und das Mitwirken bei der Übereignung des Weinbergs.

Folglich genügt gem. § 295 ein wörtliches Angebot, um den E in

Annahmeverzug zu bringen. Hier ist jedoch kein wörtliches Ange-

bot von W gem. § 295 ist jedoch kein wörtliches Angebot von W

gem. § 295 erfolgt. Dieses könnte jedoch gem. § 296 entbehrlich

sein. Der E hat hier die erforderliche Handlung (Erscheinen und

Mitwirkung im Notarbüro) nicht vorgenommen. Damit ist das An-

gebot gem. § 296 entbehrlich, da eine Zeit nach dem Kalender be-

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46

Hier hätten Sie noch kurz da-

rauf eingehen können, warum

nach Ihrer Lösung die §§ 323

I, 326 V (ohne § 437) nicht

mehr anwendbar sind. Stich-

wort: Sperrwirkung des § 437

ab Gefahrübergang

Der Aufbau der Klausurlösung

sollte sich i.d.R selbst erklären

Gut gesehen!

Hier hätten Sie noch kurz

herleiten sollen, dass es sich

bei den Trauben um Nutzun-

gen des Weinbergs handelt.

Gut!

stimmt war. Der Annahmeverzug ist nicht gem. § 299 ausgeschlos-

sen. Folglich hatte der E gem. § 293 die ihm angebotene Leistung

nicht angenommen. Er befand sich mithin im Annahmeverzug.

Die Gefahr ging somit auch auf den E über, § 446 S. 3. Bei Gefahr-

übergang war der Weinberg also frei von Sachmängeln. Eine

Schlechtleistung liegt also nicht vor. Es fehlt für einen wirksamen

Rücktritt bereits an dem Tatbestandsmerkmal der Schlechtleistung.

Folglich ist E nicht wirksam von seinem Tauschvertrag mit W zu-

rückgetreten.

b) Ergebnis:

E hat keinen Anspruch auf Rückübereignung seines Obstgartens

gem. § 346 I i.V.m. § 323 I, IV, § 480, § 437 Nr. 2, § 434.

Anmerkung zum Ausgangsfall:

Ein etwaiges Anfechtungsrecht der auf den Tauschvertrag gerich-

teten Willenserklärung des E gem. § 142 i.V.m. § 119 II scheitert

daran, dass der Anfechtungsgrund vor Gefahrübergang vorliegen

muss. (Die Eigenschaft, über die sich E geirrt haben könnte, trat

hier erst ein, als die Gefahr bereits auf ihn übergegangen war.) Da-

her sah der Verf. von einer Inzidenzprüfung der Anfechtung ab.

Abwandlung:

W könnte gegen E einen Anspruch auf Rückübereignung und Wer-

tersatz der Nutzungen haben aus §§ 346, 323 I i.V.m. § 347 I. Zu-

nächst müsste ein Rückgewährschuldverhältnis vorliegen. E ist hier

auf Grund seines vertraglich vorbehaltenen Rücktrittsrechts zu-

rückgetreten, gem. § 346 I, womit sich der Vertrag in ein Rückge-

währschuldverhältnis verwandelte. W hat also einen Anspruch auf

Rückübereignung des Weinbergs. Fraglich ist, wie sich auswirkt,

dass E die Trauben des Weinbergs nicht geerntet hat.

Gem. § 347 muss der Schuldner dem Gläubiger Wertersatz leisten,

wenn er Nutzungen entgegen den Regeln einer ordnungsgemäßen

Wirtschaft nicht zieht. Die Weinernte entspricht einer solchen Re-

gel einer ordnungsgemäßen Wirtschaft. Da E die Weintrauben nicht

geerntet hat, obwohl dies den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirt-

schaft entspricht, ist er dem W also gem. § 347 I zum Wertersatz

verpflichtet.

Der Ausschluss gem. § 347 I S. 2 scheitert bereits daran, dass die

Parteien ein vertragliches Rücktrittsrecht vereinbart hatten.

Ergebnis:

W hat gegenüber E einen Anspruch auf Rückübereignung des

Weinbergs und Wertersatz hinsichtlich der nicht erfolgten Ernte

aus § 346, § 323 I i.V.m. § 347 I.

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47

Ausgangsfall:

Sie haben gut erkannt, dass die §§ 437 ff BGB Anwendung finden. Deren Prüfung ist nicht zu bean-

standen. Der Gefahrübergang nach § 446 S. 3 BGB wurde ebenfalls gesehen und zu Recht bejaht. Die

Prüfung des Annahmeverzugs des E ist etwas lückenhaft und unstrukturiert. Im Anschluss hätten Sie

noch problematisieren sollen, dass nach Ihrer Lösung der in Annahmeverzug geratene Käufer gegen

vom Verkäufer vor Übergabe grob fahrlässig verursachte Mängel schutzlos ist. Aus diesem Grund hät-

ten Sie im Anschluss an die Ablehnung des Rücktritts nach § 437 Nr. 2 noch auf §§ 323, 326 V BGB

eingehen können (vgl. Bespr.).

Abwandlung:

Die Abwandlung wurde zutreffend gelöst, vgl. Randbemerkungen.

Insgesamt eine weit überdurchschnittliche Klausur.

13 Punkte (gut)

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1. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2007

Prof. Dr. Diederich Eckardt

I. Das norwegische Kühlschiff „Jessica“ hat u.a. 100 Tonnen Haifischfleisch (vom Grönlandhai, auf

Norwegisch håkjerring) in den Hamburger Hafen gebracht. Diese sollen durch den Schiffseigener, den

in Hamburg mit einer Niederlassung vertretenen Norweger V, vertrieben werden. V bietet seinen 25

Hamburger Stammkunden – darunter K, der in seiner kleinen Fabrik feine Fischfilets herstellt – darauf-

hin ein Fax „Håkjerring zur sofortigen Abholung“; hierbei denkt er jedoch, håkjerring sei das norwegi-

sche Wort für Thunfisch. V erwidert per Fax „Einverstanden“. K erscheint alsbald danach bei V und

holt die für ihn bereitgestellten Paletten mit einem Kühllastwagen ab; gleichzeitig übergibt er an V 10

Eintausend-Euro-Scheine, die dieser in einem ansonsten leeren Tresor seines Büro verschließt. Wieder

in der Fabrik angekommen, wird die Ladung in den Kühlraum des K gebracht, um am nächsten Tag

weiterverarbeitet zu werden. Am nächsten Morgen entdeckt K bei der routinemäßigen Qualitätskon-

trolle, dass es sich keineswegs um Thunfischfleisch, sondern um Haifischfleisch handelt. K protestiert

daraufhin bei V gegen die Lieferung. V erklärt, håkjerring, also Haifischfleisch, sei sowohl bestellt als

auch geliefert worden; er müsse deshalb leider auf Vertragsdurchführung bestehen, zumal er Ware, die

sein Kühlschiff einmal verlassen habe, nach Rücknahme nur noch zum halben Preis als Tierfutter ver-

kaufen könne (was zutrifft). Demgegenüber erklärt K, er könne kein Norwegisch, er habe Thunfisch und

nicht Hai kaufen wollen, er wolle das Haifleisch nicht haben, sondern wolle die bereits gezahlten 10.000

Euro zurückhaben.

Hat K einen solchen Anspruch? Welche Ansprüche hat V?

II. (Abwandlung:) K kennt die Bedeutung des Wortes håkjerring und entschließt sich, es auch einmal

mit Haifischfleisch zu versuchen. Er ordert um 12 Uhr per Fax an V „10t Håkjerring zur sofortigen

Abholung“, wobei er um Antwort bis 15 Uhr bittet, da er sich sonst zur Auslastung seiner Produktion

anderweitig mit Rohfisch eindecken müsse. V verschickt um 13 Uhr ein Fax mit der Erklärung: „Ein-

verstanden“ an K; dieses wird jedoch, was sich aus dem durch das Faxgerät des V erstellten Sendebe-

richts nicht erkennen lässt, durch das Faxgerät des K aufgrund Papiermangels nicht ausgedruckt. Um

15:30 Uhr deckt sich K, wie angekündigt, anderweitig mit Rohfisch für die nächsten Produktionstage

ein. Als um 16 Uhr V bei K anruft und fragt, warum K den Fisch nicht abhole, sieht dieser sich mangels

rechtzeitiger Antwort des V zur Abnahme und Bezahlung des Haifischfleischs nicht verpflichtet.

Hat K Recht?

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49

Gutachten

Gut!

Sehr gut!

Teil I

A) K gegen V

I. K hat gegen V einen Anspruch auf Herausgabe der 10.000 Euro

gem. §§ 985, 986*, wenn K Eigentümer der 10.000 Euro und V

nichtberechtigter Besitzer ist.

1) Dazu müsste K Eigentümer der 10.000 Euro sein. Ursprünglich

war er der Eigentümer. Er könnte sein Eigentum daran aber gem.

§929 S. 1 an V übertragen haben. Voraussetzung dazu ist eine Ei-

nigung zur Eigentumsübertragung zwischen V und K, die Übergabe

der 10.000 Euro und die Berechtigung des K.

a) Als K die für ihn bereitgestellten Paletten abholt, übergibt er V

die 10 Eintausend-Euro-Scheine. Dies ist ein konkludentes Ange-

bot zur Eigentumsübertragung, das V auch konkludent angenom-

men hat. Im Zeitpunkt der Übergabe waren sie sich also über den

Eigentumswechsel einig.

b) Diese Einigung könnte aber rückwirkend nach § 142 I nichtig

sein, wenn K diese wirksam angefochten hat. Eine wirksame An-

fechtung setzt einen Anfechtungsgrund, eine Anfechtungserklä-

rung gegenüber dem richtigen Anfechtungsgegner und die Einhal-

tung der Anfechtungsfrist voraus.

Als Anfechtungsgrund kommt zunächst ein Inhaltsirrtum in Be-

tracht. K hat sich aber nicht über die Bedeutung seiner konkluden-

ten Willenserklärung geirrt, als er V anbot, ihm das Eigentum an

den 10.000 Euro zu übertragen. Subjektiv wollte er V die 10.000

Euro übertragen und erklärte dies auch objektiv. Es liegt also kein

Inhaltsirrtum bezüglich der dinglichen Einigung vor. V und K ha-

ben sich somit wirksam über den Eigentumswechsel geeinigt.

2) Zudem müssten eine Übergabe der 10.000 Euro stattgefunden

haben. K hat dem V die 10.000 Euro übergeben, eine Übergabe

liegt also vor.

3) Zuletzt müsste K auch zur Eigentumsübertragung berechtigt ge-

wesen sein. Dies ist er als Eigentümer, so dass eine Berechtigung

des K vorliegt.

4) K hat sein Eigentum an den 10.000 Euro wirksam an V nach §

929 S. 1 übertragen. K ist somit nicht mehr Eigentümer der 10.000

Euro.

5) Ergebnis

K hat keinen Anspruch gem. § 985 auf Herausgabe der 10.000 Euro

gegen V.

II. K könnte gegen V einen Anspruch auf Herausgabe der 10.000

Euro gem. § 861 I haben. Der Besitz an den 10.000 Euro wurde ihm

jedoch nicht durch verbotene Eigenmacht gem. § 858 entzogen,

vielmehr übertrug er ihn freiwillig an V.

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50

Gut differenziert!

Sehr gut!

Gut gesehen!

Problem gut herausgearbeitet!

Ergebnis:

K hat gegen V keinen Anspruch auf Herausgabe der 10.000 Euro

nach § 861.

III. K könnte gegen V einen Anspruch auf Rückübereignung der

10.000 Euro nach § 812 I S. 1 Alt. 1 haben.

Dies setzt voraus, dass V etwas durch Leistung des K ohne rechtli-

chen Grund erlangt hat.

1) V müsste zunächst etwas erlangt haben. Dazu gehört jede ver-

mögenswerte Position. V hat Eigentum und Besitz an den 10.000

Euro, also etwas erlangt.

2) Dies müsste zudem durch Leistung des K geschehen sein. Leis-

tung ist jede bewusste, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermö-

gens. K wollte durch Zahlung der 10.000 Euro seine vermeintliche

Pflicht aus dem Kaufvertrag erfüllen. K’s Handeln war somit ziel-

gerichtet und bewusst.

3) Schließlich müsste K ohne rechtlichen Grund geleistet haben.

Hier kommt ein Kaufvertrag zwischen K und V als Rechtsgrund in

Betracht.

a) Vertragsschluss

Ein wirksamer Kaufvertrag besteht aus zwei übereinstimmenden

Willenserklärungen, Angebot und Annahme, §§ 145 ff.

aa) Vorliegend könnte V das Angebot gemacht haben, indem er

dem K per Fax 1 Tonne Hakjerring zu einem Preis von 1.000 Euro

je Tonne anbot. Allerdings fehlt es dieser Willenserklärung am

Rechtsbindungswillen, denn V kann sich nicht mit dieser Willens-

erklärung darauf einlassen wollen, dass K eine so hohe Menge an

Hakjerring bestellt, die er nicht vorrätig hat. Vielmehr will er K und

seine Stammkunden dazu auffordern ihrerseits ein Angebot zu ma-

chen. Das Fax des V ist somit als invitatio ad offerendum anzuse-

hen.

bb) K könnte aber in seinem Fax „10t Hakjerring zur sofortigen

Abholung“ ein Angebot gemacht haben. Er möchte sich rechtlich

binden. Fraglich ist jedoch vorliegend der Inhalt seiner Willenser-

klärung. Zwar ist sein Angebot bestimmt genug, denn es enthält in

Bezug auf das vorangegangene Fax des V, den Kaufpreis nämlich

1.000 Euro je Tonne, die Vertragsparteien V und K und die Kauf-

sache Hakjerring. Problematisch ist aber, dass K dachte, er bestelle

Thunfischfleisch. V hingegen verstand sein Angebot jedoch so,

dass Haifischfleisch bestellt sei. Die Willenserklärung des K muss

somit ausgelegt werden. Hierbei kommt es weder auf das an, was

der Erklärende wirklich erklären wollte, noch auf das was der Er-

klärungsempfänger tatsächlich verstanden hat. Vielmehr kommt es

auf das an, was ein durch Treu und Glauben objektivierter Dritter

in der Rolle des Erklärungsempfängers verstanden hätte.

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51

Gut!

Gut!

Gut!

Definition für unverzüglich

fehlt!

K benutzt das norwegische Wort Hakjerring, was Haifischfleisch

bedeutet. Ein objektiver Dritter hätte K’s Willenserklärung nur so

auffassen können, dass K Haifischfleisch meine. K hat also ein An-

gebot über Haifischfleisch gemacht. Dieses hat K auch willentlich

entäußert und es ist dem V auch zugegangen, so dass ein wirksames

Angebot von Seiten des K vorliegt.

cc) Dieses müsste der V auch angenommen haben. V erwidert „ein-

verstanden“, was als vorbehaltloses Einverständnis mit dem Ange-

bot, also als Annahme anzusehen ist. Problematisch ist aber auch

hier wieder, dass V an Haifischfleisch dachte, K hingegen an Thun-

fisch. Allerdings hätte ein objektiver Dritter in Bezug auf die vor-

hergehende Faxe Haifischfleisch verstanden. Angebot und An-

nahme stimmen also überein. Die Annahme ist dem K auch zuge-

gangen.

Zwischenergebnis:

Ein wirksamer Kaufvertrag wurde also zwischen V und K über 10t

Haifischfleisch geschlossen, so dass eigentlich ein Rechtsgrund zur

Leistung des K bestünde.

b) Anspruch untergegangen

Fraglich ist aber, ob K diesen nicht wirksam gem. § 142 I rückwir-

kend angefochten hat.

aa) Dazu müsste zunächst ein Anfechtungsgrund vorliegen. Als

Anfechtungsgrund kommt ein Inhaltsirrtum gem. § 119 I Alt. 1 in

Betracht.

Dazu müsste K sich über den Bedeutungsgehalt seiner Erklärung

geirrt haben. Subjektiv wollte er ein Angebot über Thunfisch ma-

chen, objektiv erklärte er aber, er wolle Haifischfleisch. Er irrte

folglich über den Bedeutungsgehalt seiner Willenserklärung, so-

dass ein Inhaltsirrtum vorliegt.

bb) Zudem müsste er die Anfechtung gegenüber dem richtigen An-

fechtungsgegner, hier dem Vertragspartner, unter Darlegung des

Anfechtungsgrundes erklärt haben, § 143 I, II. K erklärt V, dass er

sich nicht an den Vertrag gebunden fühlt, weil er sich geirrt habe,

da er kein Norwegisch könne. Dass er das Wort Anfechtung nicht

benutzt, ist soweit unschädlich, da er hinreichend zu erkennen gibt,

dass er sich vom Vertrag lösen will. Eine Anfechtungserklärung

liegt somit vor.

cc) Zudem müsste K die Anfechtung innerhalb der Anfechtungs-

frist gem. § 121 I erklärt haben. Als K den Irrtum bemerkte, protes-

tiert er sofort bei K und handelt daher unverzüglich. Die Frist wurde

also eingehalten.

Zwischenergebnis:

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52

Sehr ordentliche Prüfung!

Die Einigung wird durch K an-

gefochten

K „will den Fisch nicht haben“

muss geprüft werden

K hat den Kaufvertrag mit V wirksam angefochten, sodass der

Kaufvertrag rückwirkend nichtig ist, §142 I und als Rechtsgrund

zur Leistung im Sinne des § 812 I S. 1 Alt. 1 nicht in Betracht

kommt.

Ergebnis:

K hat also gegen V einen Anspruch auf Rückübereignung der

10.000 Euro gem. § 812 I S. 1 Alt. 1.

B) Ansprüche des V

I. V könnte einen Anspruch gegen K gem. §§ 985, 986 auf Heraus-

gabe der 10t Haifischfleisch haben.

Dazu müsste V der Eigentümer der 10t Haifischfleisch sein. V hat

jedoch sein Eigentum am Haifischfleisch gem. § 929 S. 1 an K

durch wirksame Übertragung verloren, da V und K sich über den

Eigentumswechsel einig waren, das Haifischfleisch übergeben

wurde und V dazu berechtigt war. V war somit nicht mehr Eigen-

tümer der 10t Haifischfleisch.

Ergebnis:

V hat keinen Anspruch gegen K gem. §§ 985, 986 auf Herausgabe

der 10t Haifischfleisch.

II. Ein Anspruch aus § 861 scheidet mangels verbotener Eigen-

macht aus, da V dem K den Besitz am Haifischfleisch willentlich

übertrug.

III. V könnte gegen K einen Anspruch auf Rückübereignung des

Haifischfleisches gem. § 812 I S. 1 Alt. 1 haben.

1) Dazu müsste K etwas erlangt haben. Vorliegend hat er Besitz

und Eigentum am Haifischfleisch, also etwas, erworben.

2) Dies müsste durch Leistung des V geschehen sein. V wollte sei-

ner vermeintlichen Pflicht aus dem Kaufvertrag nachkommen und

mehrte deshalb das Vermögen des K bewusst und zweckgerichtet.

3) Schließlich müsste V ohne rechtlichen Grund geliefert haben.

Der von V angestrebte Leistungszweck wurde verfehlt, da der

Kaufvertrag wegen wirksamer Anfechtung von Anfang an nichtig

war (s. oben). V leistete also ohne rechtlichen Grund.

Ergebnis:

V hat also einen Anspruch gegen K auf Rückübereignung der 10t

Haifischfleisch gem. § 812 I S. 1 Alt. 1.

IV. V könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung von Schadens-

ersatz gem. § 122 I i.H.v. 5.000 Euro haben. Dies setzt eine wirk-

same Anfechtung voraus und dass der entstandene Schaden vom

Anwendungsbereich des § 122 I umfasst wird.

1) Eine wirksame Anfechtung durch K liegt vor (s. oben).

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53

Ausdruck

Das negative Interesse wird in

der Höhe durch das positive

Interesse begrenzt. Darauf hät-

ten Sie noch hinweisen kön-

nen!

Gut!

2) § 122 I ersetzt den Schaden, den der andere erleidet, weil er auf

die Gültigkeit der Erklärung vertraute. Es wird also der Vertrauens-

schaden ersetzt. Dabei ist der Vertragspartner so zu stellen, als hätte

er nie von dem Geschäft gewusst. Hätte V nichts von dem Geschäft

gewusst, hätte die Ware sein Kühlschiff nicht verlassen und er hätte

das Fleisch an einen anderen Kunden zum Preis von 1.000 Euro je

Tonne verkaufen können. Jetzt kann er es nur noch zum halben

Preis, also für 500 Euro je Tonne verkaufen. Er hat also einen Scha-

den in Höhe von 5.000 Euro erlitten.

Ergebnis:

V hat gegen K einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz

i.H.v. 5.000 Euro, § 122 I.

Teil II

V könnte gegen K einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung i.H.v.

10.000 Euro nach § 433 II haben, wenn zwischen den beiden ein

wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist.

Ein wirksamer Kaufvertrag setzt zwei übereinstimmende Willens-

erklärungen, Angebot und Annahme, §§ 145 ff. voraus. Zudem

muss das Angebot innerhalb der Annahmefrist angenommen wor-

den sein.

I. Angebot

K könnte vorliegend das Angebot gemacht haben, indem er 10t

Hakjerring zur sofortigen Abholung per Fax um 12 Uhr bestellt. Er

hat den nötigen Rechtsbindungswillen und sein Angebot enthält

alle essentialia negotii in Bezugnahme auf die vorhergehenden Ver-

handlungen. Eine Willenserklärung des K liegt somit vor. Dieser

entäußert sich auch willentlich und sie geht dem V auch zu. Damit

liegt ein wirksames Angebot des K vor.

II. Annahme

V könnte das Angebot angenommen haben. V verschickt um 13

Uhr ein Fax mit der Erklärung: „Einverstanden“. Eine Annahme ist

das vorbehaltlose Einverständnis mit dem Angebot. Diese müsste

als empfangsbedürftige Willenserklärung auch abgegeben und dem

K zugegangen sein.

1) Indem V sie versendet, entäußert er sich seiner Annahme wil-

lentlich. Die Willenserklärung wurde also abgegeben.

2) Problematisch ist aber der Zugang bei K, weil K dem V eine Frist

bis 15 Uhr setzte und K aufgrund Papiermangels im Fax, von der

Annahme überhaupt keine Kenntnis nahm. Eine verkörperte Wil-

lenserklärung ist aber bereits dann zugegangen, wenn sie so in den

Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er unter gewöhnlichen

Umständen von ihr Kenntnis nehmen kann. Die Willenserklärung

ist also in den Machtbereich des K gelangt, in dem Moment, als es

auf seinem Fax ankam. Dass er davon keine Kenntnis nehmen

konnte, weil sein Faxgerät diese nicht ausdrucken konnte, ist für

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54

Der Zugang als solches oder

die Rechtswidrigkeit?

Problem schön aus dem Sach-

verhalt herausgearbeitet.

i.E. vertretbar, Begründung et-

was knapp

Rechtszeitigkeitsfiktion

den Zugang unschädlich, da jemand, der Geschäftsverhandlungen

per Fax führt, auch dafür zu sorgen hat, dass es stets funktionstüch-

tig ist. Dazu gehört auch für genügend Papier zu sorgen. Unter nor-

malen Umständen hätte er also kurz nach 13 Uhr von der Annahme

Kenntnis nehmen können, so dass ihm zu diesem Zeitpunkt die An-

nahme zugegangen ist. V hat also eine wirksame Annahme abge-

geben.

3) Frist

K hat hier eine Frist bis 15 Uhr bestimmt, § 147 II. Die Annahme

ist ihm kurz nach 13 Uhr zugegangen, sodass die Frist ebenfalls

eingehalten wurde.

Ergebnis:

V hat gegen K einen Anspruch zur Abnahme des Haifischfleisches

und Kaufpreiszahlung gem. § 433 II. K hat also kein Recht.

Eine tolle Arbeit, auf die Sie stolz sein können!

Daher

17 Punkte (Sehr gut)

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55

2. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2007

Prof. Dr. Diederich Eckardt

Der verwitwete V betreibt einen Laden für Spielwaren und Geschenkartikel, sein Sohn, der 17jährige

Gymnasiast G, geht ihm hierbei regelmäßig zur Hand. Bereits zweimal hat G in der jüngeren Vergan-

genheit bei dem Großhändler H, von dem V die Mehrzahl seiner Waren bezieht, angerufen, sich als

Sohn des V vorgestellt und im Namen des V einzelne Posten von Spielwaren bestellt. Dies hatte V dem

G zwar keineswegs gestattet; jedoch wurden die hierüber von H ausgestellten Rechnungen anstandslos

durch V bezahlt, da V, der mit dem Aufbau einer Filiale in der Nachbarstadt beschäftigt ist, gar nicht

aufgefallen war, dass die Bestellungen nicht von ihm selbst stammten. Als jedoch eines Tages 50 bisher

nicht im Sortiment enthaltene Bausätze für Flugzeugmodelle angeliefert werden – die G zum Preis von

je EUR 40,- wiederum telefonisch im Namen des V bestellt hatte -, wird V aufmerksam. Er ruft H an

und erklärt, G sei zu derartigen Bestellungen nicht ermächtigt gewesen, er verweigere deshalb die Be-

zahlung.

Frage 1: Hat H einen Anspruch auf Zahlung von EUR 2.000,- gegen V und/oder G?

Am gleichen Tag kommt die gleichfalls verwitwete Frau M in den Laden des V. Sie erwirbt zunächst

für EUR 50,- eine Blumenvase von V. Diese ist für ihre Mutter O bestimmt, die die Vase am Vorabend

im Schaufenster des V gesehen und ihre Tochter (M) gebeten hatte, diese für sie mitzubringen; dabei

hatte O der M bereits einen 50-Euro-Schein übergeben. Ferner kauft M für EUR 20,- eine Puppe, die

sie ihrer 6jährigen Tochter T schenken will, die auf dem nahen Spielplatz wartet. Am Spielplatz ange-

kommen, übergibt sie die Puppe mit den Worten „hier, die schenke ich Dir, weil Du so liebe warst“, der

T. T sagt artig „danke“ und nimmt die Puppe entgegen. Kurzdanach –T spielt gerade an der Schaukel –

kommen mehrere jungendliche Randalierer, darunter der 18jährige R, auf das Spielplatzgelände und

pöbeln die anwesenden Eltern und Kinder an. R nimmt sich die Puppe und die noch eingepackte Vase,

die mittlerweile neben der verängstigten M auf der Bank liegen, und zerstört diese mit einigen Fußtritten

vollständig.

Frage 2: Welche Ansprüche haben O, T und/oder M wegen der zerstörten Puppe bzw. Vase gegen R?

G beichtet derweil seinem Vater, dass er vor 14 Tagen von seinem Taschengeld (EUR 100,- pro Monat)

ein Los des staatlich konzessionierten Lotterieveranstalters L zum Preis von 5,- EUR erworben und

damit 1.000,- EUR gewonnen habe, die er auch schon bei L abgeholt habe. Mit den hierbei erhaltenen

zwei 500-Euro-Scheinen habe er am heutigen Vormittag von seinem Freund F dessen gebrauchtes Mo-

torrad gekauft; hierbei handelt es sich um ein Motorrad, das mit dem von G kurz vorher (mit Einver-

ständnis des V) erworbenen Führerschein der Klasse AM gefahren werden darf. V erklärt, damit sei er

im Hinblick auf die zunehmenden Eigenmächtigkeiten des G nicht einverstanden. Zusammen mit dem

widerstrebenden G schafft V das Motorrad wieder zu F, fragt diesen, ob das Geld noch da sei (was dieser

bejaht) und verlangt sodann Herausgabe der Geldscheine gegen Rückgabe des Motorrads, was F jedoch

verweigert.

Frage 3: Welche Ansprüche haben G und/oder V gegen F?

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Gutachten

Unschön

Mindestens missverständlich

(Vertretungsmacht nicht erfor-

derlich)

Besser: sich an einem zure-

chenbar gesetzten Rechts-

schein festhalten muss

Frage 1:

H könnte gegen V einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung in Höhe

von 2.000 Euro gem. § 433 II haben, wenn zwischen beiden ein

wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist. Ein wirksamer

Kaufvertrag besteht aus zwei übereinstimmenden Willenserklärun-

gen, Angebot und Annahme, §§ 145 ff.

1) Vorliegend hat V überhaupt keine Willenserklärung, die auf ei-

nen Kaufvertrag gerichtet war, abgegeben. Sein Sohn G hat jedoch

50 Bausätze für Flugzeugmodelle von je 40 Euro bestellt. Dieses

Handeln muss V sich zurechnen lassen, wenn die Voraussetzungen

wirksamer Stellvertretung vorliegen, § 164 I. Dazu müsste G eine

eigene Willenserklärung im Namen des V und für diesen abgege-

ben haben.

a) Eine eigene Willenserklärung grenzt sich zur Botenerklärung

dadurch ab, dass für einen objektiven Erklärungsempfänger deut-

lich wird, dass der Erklärende Entscheidungsspielraum besitzt. G

bestellt hier Bausätze, die zuvor nicht im Sortiment waren, sodass

aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers eine eigene

Willenserklärung vorliegt. Auch steht die Minderjährigkeit des G

der Wirksamkeit seiner Willenserklärung nicht entgegen, wenn

diese im Rahmen wirksamer Stellvertretung abgegeben wurde, §

165. Diese Willenserklärung hat G auch abgegeben, als er sich ihr

am Telefon entäußerte und sie ist H auch zugegangen. Eine eigene

und wirksame Willenserklärung des G liegt also vor.

b) Zudem müsste G die Willenserklärung im Namen des V abgege-

ben haben (Offenkundigkeitsprinzip). G bestellt die Bausätze aus-

drücklich im Namen des V. Das Offenkundigkeitsprinzip wurde so-

mit eingehalten.

2) Schließlich müsste G mit Vertretungsmacht gehandelt haben.

Eine rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht gem. § 167 I kommt hier

nicht in Betracht, da V seinem Sohn nicht gestattet hat, selbst Be-

stellungen auszuführen; er wusste nicht einmal davon, dass G dies

von Zeit zu Zeit tat.

Fraglich ist jedoch, ob er keinen Rechtsschein gesetzt hat, indem er

die Rechnungen, die G’s Bestellungen folgten auch in der Vergan-

genheit bei H anstandslos bezahlte. Vorliegend kommt der Rechts-

schein einer Anscheinsvollmacht in Betracht.

a) Dazu müsste G mehrmals im Namen des V aufgetreten sein. G

hat hier schon mehrmals Bestellungen im Namen des V getätigt,

folglich ist er des Öfteren in V’s Namen aufgetreten.

b) Dies müsste dem V auch zurechenbar sein, das bedeutet, dass er

von dem Auftreten des G Kenntnis hätte haben können, es aber aus

Fahrlässigkeit nicht hatte. V hätte es auffallen können, dass er

Rechnungen bezahlte, die er nicht selber verursacht hatte. Seine

Unkenntnis vom Handeln des V hat er also auch zu vertreten.

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Grob fahrlässige Unkenntnis

würde auch ausreichen

Alles etwas untechnisch

Als Auslegungsfrage behan-

deln (§ 164 I 2)

Gut!

c) Des Weiteren müsste H als Geschäftspartner gerade auf den

Rechtsschein vertraut haben und aufgrund dessen gehandelt haben.

H vertraute auch bei diesem Geschäft darauf, dass G mit Vertre-

tungsmacht handelte, da V auch zuvor alle Rechnungen anstandslos

bezahlt hatte. H vertraute also auf den Rechtsscheintatbestand und

handelte im Vertrauen auf dieses Rechtsscheintatbestand und han-

delte im Vertrauen auf dieses.

d) Schließlich darf H nicht von der fehlenden Vollmacht wissen,

also bösgläubig sein. H weiß nicht positiv, dass G keine Vertre-

tungsmacht hat, er ist also gutgläubig. Somit sind die Vorausset-

zungen der Anscheinsvollmacht erfüllt und V muss sich so behan-

deln lassen, als habe er G Vollmacht erteilt. Der G hat also ein wirk-

sames Angebot abgegeben, das für und gegen V wirkt.

3) Dieses müsste H auch angenommen haben. Mit Lieferung der

bestellten Bausätze erklärt H konkludent seine Annahme. Ein wirk-

samer Kaufvertrag ist somit zwischen V und H zustande gekom-

men.

Ergebnis:

H hat einen Anspruch auf Zahlung von 2.000 Euro gegen V gem. §

433 II.

Frage 2:

I. O könnte einen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 823 I in

Höhe von 50 Euro gegen R haben. Dazu müsste dieser vorsätzlich

oder fahrlässig das Eigentum der O widerrechtlich verletzt haben

und ihr müsste dadurch ein Schaden in Höhe von 50 Euro entstan-

den sein.

1) Zunächst müsste die O Eigentümerin der Vase gewesen sein. Ur-

sprünglich war V Eigentümer der Vase. Er könnte sein Eigentum

daran jedoch gem. § 929 S. 1 an O verloren haben.

a) Dazu müssten O und V sich zunächst über den Eigentumsüber-

gang geeinigt haben. O selbst hat überhaupt keine auf eine Eigen-

tumsübertragung gerichtete Willenserklärung abgegeben. Viel-

mehr hat dies die M getan. O müsste sich aber die Willenserklärung

der M zurechnen lassen, wenn diese sie wirksam gem. § 164 I ver-

treten hat.

aa) Dazu müsste die M zunächst eine eigene Willenserklärung ab-

gegeben haben. Hier wird schon gar nicht deutlich, dass die M für

jemand anders handelt, sodass ein objektiver Dritter von einer ei-

genen Willenserklärung der M ausgehen musste.

bb) Zudem müsste die M im Namen der O gehandelt haben. Dies

ist vorliegend weder ausdrücklich noch konkludent geschehen, so-

dass im Grunde keine wirksame Stellvertretung vorläge. Allerdings

ist fraglich, ob hier nicht eine Ausnahme vom Offenkundigkeits-

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58

Nein, das war gerade nicht ent-

behrlich!

Üben Sie unbedingt Ihre Zeit

zum Schreiben wie vorgege-

ben einzuteilen, denn Stich-

punktartige Ausführungen

werden u.U. nicht berücksich-

tigt!

prinzip greift, wenn es sich nämlich um ein sog. verdecktes Ge-

schäft für den, den es angeht, handelt. Bei diesen muss der Vertreter

ausnahmsweise nicht im Namen des Vertretenen handeln, da es

dem Geschäftspartner egal ist, mit wem er das Geschäft schließt.

Dies ist bei den sog. Bargeschäften des täglichen Lebens der Fall,

bei dem die Geldschuld sofort beglichen wird. Dies ist hier gerade

der Fall, da die M die Vase bereits bezahlt hat. Somit handelte M

auch im Namen der O.

cc) Schließlich müsste M auch mit Vertretungsmacht gehandelt ha-

ben. O gab der M 50 Euro, damit diese ihr die Vase kaufte. M hat

also auch Vertretungsmacht zur Abgabe einer Willenserklärung ge-

richtet auf die Übereignung. O und V haben sich also über die Ei-

gentumsübertragung an der Vase geeinigt.

b) Diese wurde M als Besitzdienerin der O auch übergeben und V

war zur Eigentumsübertragung auch berechtigt. Die O hat also Ei-

gentum an der Vase erlangt.

2) Dieses Eigentum der O hat der R auch vorsätzlich und wider-

rechtlich zerstört und der O ist dadurch ein Schaden in Höhe von

50 Euro entstanden.

Ergebnis:

O hat einen Anspruch auf Schadensersatz i.H.v. 50 Euro gem. § 823

I gegen R.

II. T könnte gegen R einen Anspruch auf Schadensersatz i.H.v. 20

Euro haben gem. § 823 I, wenn dieser ihr Eigentum widerrechtlich,

vorsätzlich oder fahrlässig verletzt hat und ihr dadurch ein Schaden

i.H.v. 20 Euro entstanden ist.

1) Eigentümerin ursprünglich M Übertragung gem. § 929 S. 1

an T

a) Einigung

- Einigung (+)

- fraglich, ob wirksam, weil T als Geschäftsunfähige gem. § 105 I

keine Willenserklärung abgeben kann

- möglicherweise M als gesetzliche Vertreterin

- Problem § 181, da M als Vertreterin der T ihr eigenes Angebot

zur Eigentumsübertragung annehmen würde

- Insichgeschäft grds. nicht wirksam

- Ausnahme lediglich rechtlicher Vorteil für Minderjährigen, da Ei-

gentumserwerb

- Teleologische Reduktion des § 181, weil bei lediglich rechtlichem

Vorteil kein Interessenskollision stattfinden kann

- wirksame Übereignung

- § 929 S. 1 (+)

- R widerrechtlich vorsätzlich Eigentum der T verletzt

- § 823 I (+)

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59

Für die Frage, ob G den An-

spruch „hat“, ist das egal

Hier wäre anzusprechen gewe-

sen, ob nicht durch die Über-

eignung der Erfüllungsan-

spruch aus dem Lotteriege-

winn sein könnte und deswe-

gen auch die Übereignung

rechtlich nachteilig war.

Frage 3:

I. G könnte (vertreten durch seinen Vater V gem. § 1629 I) einen

Anspruch auf Herausgabe der zwei 500-Euro-Scheine gem. §§ 985,

986 gegen F haben. Dazu müsste G der Eigentümer der zwei 500-

Euro-Scheine (1.000 Euro) und F ihr nichtberechtigter Besitzer

sein.

1) Ursprünglich war L der Eigentümer der 1.000 Euro. L könnte

aber das Eigentum hieran nach § 929 S. 1 an G verloren haben,

wenn eine Einigung über den Eigentumsübergang, die Übergabe

der 1.000 Euro und die Berechtigung des L vorliegen.

a) L und G haben sich konkludent über den Eigentumsübergang ge-

eignet als G das Geld bei L abholte. Fraglich ist allerdings, ob die

Wirksamkeit der Einigung die Minderjährigkeit des G entgegen-

steht. G ist gem. § 106 beschränkt geschäftsfähig. Nach § 107 be-

darf eine Willenserklärung eines beschränkt geschäftsfähig. Nach

§ 107 bedarf eine Willenserklärung eines Minderjährigen der Ein-

willigung seines gesetzlichen Vertreters, es sei denn, sie bringt ihm

lediglich einen rechtlichen Vorteil. Hier ist die Einigung auf Über-

tragung der 1.000 Euro an G gerichtet. Er kann also das Eigentum

an 1.000 Euro erlangen, ohne einen rechtlichen Nachteil in Kauf

nehmen zu müssen. Die Einigung ist für ihn lediglich rechtlich vor-

teilhaft und somit wirksam.

b) Des Weiteren hat L das Geld auch an G übergeben und war fer-

ner auch dazu als Eigentümer berechtigt. L hat sein Eigentum an

den 1.000 Euro also wirksam an G übertragen.

2) G könnte das Eigentum an den 1.000 Euro gem. § 929 S. 1 an F

verloren haben.

a) Dann müsste zunächst eine wirksame Einigung gerichtet auf die

Eigentumsübertragung zwischen G und F vorliegen. G und F haben

sich über die Übertragung der 1.000 Euro geeinigt. Fraglich ist al-

lein, ob die Minderjährigkeit des G der Wirksamkeit der Einigung

nicht entgegensteht.

Zur Abgabe einer Willenserklärung, durch die der G als Minderjäh-

riger nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, braucht er

gem. § 107 die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters. Vorlie-

gend wusste V als gesetzlicher Vertreter des G überhaupt nichts von

der Eigentumsübertragung, sodass es auf den rechtlichen Vorteil

ankommt. Hier würde G aber sein Eigentum an den 1.000 Euro an

F verlieren, also einen rechtlichen Nachteil erleiden. Seine Willens-

erklärung ist also nicht gem. § 107 wirksam.

Fraglich ist aber, ob die Willenserklärung nicht gem. § 110 wirk-

sam ist. Dies wäre der Fall, wenn es sich bei den 1.000 Euro um

Taschengeld des G handelte. Zwar hat G das Los mit seinem Ta-

schengeld gekauft, allerdings bleibt fraglich, ob die 1.000 Euro Lot-

teriegewinn deshalb als Taschengeld anzusehen sind, weil ur-

sprünglich Taschengeld für den Loskauf eingesetzt wurde. Dies ist

eher zu verneinen, da es nicht im Sinne des gesetzlichen Vertreters

Page 60: zum kleinen Schein im Zivilrecht - Uni Trier · 1 Klausurensammlung zum kleinen Schein im Zivilrecht 22 Originalklausuren Stand: vor dem Sommersemester 2017 Gesamtausgabe

60

Schön gesehen

Noch besser: Erklärungssatz

dazu, warum auf Kaufvertrag

ein Besitzrecht folgt

sein kann, dass ein Minderjähriger über einen hohen Geldbetrag

frei verfügen kann und unter Umständen einfach weggibt. Die

1.000 Euro sind somit kein Taschengeld, sodass die Willenserklä-

rung des G nicht gem. § 110 wirksam werden konnte.

Seine Willenserklärung gerichtet auf die Eigentumsübertragung ist

somit gem. § 108 schwebend unwirksam, aber durch die Verwei-

gerung des Vaters endgültig unwirksam geworden. Es lag folglich

keine wirksame Einigung vor, sodass G noch Eigentümer der 1.000

Euro ist.

3) Zudem müsste F der Besitzer der 1.000 Euro sein, also die tat-

sächliche Sachherrschaft darüber haben. F hat die tatsächliche

Sachherrschaft über sie und ist insofern Besitzer der 1.000 Euro.

4) Schließlich dürfte F kein Recht zum Besitz haben. Als Rechts-

grund kommt vorliegend ein Kaufvertrag über das Motorrad gem.

§ 433 zwischen G und F in Betracht. Ein Kaufvertrag besteht aus

zwei übereinstimmenden Willenserklärungen, Angebot und An-

nahme.

a) Vorliegend haben sich G und V geeinigt das Motorrad des F zum

Preis von 1.000 Euro an G zu verkaufen.

b) Fraglich ist, ob der Wirksamkeit der Willenserklärung des G

seine Minderjährigkeit entgegensteht. Nach § 107 bedarf er als

Minderjähriger der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters, es

sei denn, seine Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters, es sei

denn, seine Willenserklärung ist lediglich rechtlich vorteilhaft. Eine

Einwilligung des V als gesetzlichen Vertreter liegt nicht vor. Auch

ist die Einwilligung in den Erwerb des Führerscheins noch keine

konkludente Einwilligung in den Erwerb eines Motorrads. Die Wil-

lenserklärung ist nicht lediglich rechtlich vorteilhaft, da er sich ver-

pflichtet dem F das Eigentum an den 1.000 Euro übertragen. Eine

Verpflichtung ist ein rechtlicher Nachteil. Seine Willenserklärung

kann nicht gem. § 107 wirksam werden. Zudem handelt es sich bei

den 1.000 Euro nicht um Taschengeld (s. oben), sodass seine Wil-

lenserklärung auch nicht gem. § 110 wirksam werden kann. Die

schwebende Unwirksamkeit gem. § 108 hat V mit seiner Verwei-

gerung der Genehmigung endgültig beendet. Der Vertrag ist somit

endgültig unwirksam und kommt als Rechtsgrund im Sinne von §

986 nicht in Betracht.

Ergebnis:

G hat einen Anspruch auf Herausgabe der 1.000 Euro gem. §§ 985,

986 gegen F.

II. G könnte des Weiteren einen Anspruch auf Herausgabe der

1.000 Euro gem. § 812 I S. 1 Alt. 1 gegen F haben. Dazu müsste F

etwas durch Leistung des G ohne rechtlichen Grund erlangt haben.

Page 61: zum kleinen Schein im Zivilrecht - Uni Trier · 1 Klausurensammlung zum kleinen Schein im Zivilrecht 22 Originalklausuren Stand: vor dem Sommersemester 2017 Gesamtausgabe

61

1) Zunächst müsste F etwas erlangt haben. Etwas ist jede vermö-

genswerte Rechtsposition. Hier hat F den Besitz an den 1.000 Euro,

also etwas erlangt.

2) Dies müsste durch Leistung des G geschehen sein. Leistung ist

jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens.

Hier wollte G seine vermeintliche Pflicht aus dem Kaufvertrag er-

füllen. Er handelte somit bewusst und zweckgerichtet.

3) Dies müsste schließlich ohne rechtlichen Grund geschehen sein.

Vorliegend wurde der angestrebte Leistungszweck verfehlt, da der

Kaufvertrag aufgrund G’s Minderjährigkeit unwirksam war und so-

mit als Rechtsgrund nicht in Frage kommt.

Ergebnis:

G hat gegen F einen Anspruch auf Herausgabe der 1.000 Euro gem.

§ 812 I S. 1 Alt. 1.

Zu Frage 1: Insgesamt ordentliche und zutreffende Prüfung!

Zu Frage 2: Oberpunkte sind Erkennbar, ordentliche und zutreffende Prüfung. Leider den Schluss nur

Stichpunktartig geprüft. Die Probleme werden aber alle erkannt!

Zu Frage 3: Insgesamt recht ordentliche und zutreffende Prüfung. Die Probleme werden erkannt und

zutreffend geklärt.

Daher

17 Punkte (Sehr gut)

Inklusive 1 Sozialpunkt für Gesamtperformance in Vorlesung und Übung!

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62

1. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2008

Prof. Dr. Thomas Rüfner

V sammelt alte Armbanduhren. Da sie sich von Teilen ihrer Sammlung trennen möchte, aber nicht will,

das die Stücke, die sie sehr liebt, in die falschen Hände geraten, beschließt sie, eine kleine Versteigerung

für geladene Gäste durchzuführen. Sie lädt daher etwa zwanzig Sammler aus ihrem engeren Freundes-

kreis ein, mit denen sie folgende Modalitäten vereinbart:

Die Auktion wird für jedes Stück zeitlich begrenzt. Nach Vorstellung der jeweils zur Versteigerung

anstehenden Uhr wird eine Stoppuhr gestartet. Die Bieter haben fünf Minuten Zeit. ihre Gebote abzu-

geben. Mit demjenigen, der bei Ablauf der Zeit das höchste Gebot abgegeben hat, kommt ein verbind-

licher Vertrag zustande. Gebote werden durch Heben der Hand abgegeben. Dies bedeutet Jeweils eine

Erhöhung des vorherigen Gebots um € 20,-. Die Versteigerung läuft gut, doch bei einigen gibt es Prob-

leme:

Als erste Uhr hat V eine Timeco Timeless von 1950 aufgerufen, die sich in schlechtem Zustand befindet.

V hat einen Anfangspreis von € 100,- vorgegeben. Nachdem ein erster Bieter den Anfangspreis geboten

hat, erhöhte B das Gebot durch Handzeichen auf € 120,-. Im Nachhinein ärgert sich B dass er für das

nicht besonders wohlerhaltene Stück geboten hat. Er weist V (wahrheitsgemäß) daraufhin, dass er sein

Gebot in dem Glauben abgegeben hat, das Handzeichen bedeute eine Erhöhung des Gebots um € 10,-.

Daher könne er das Geschäft nicht gelten lassen. V, die froh ist, für die Uhr überhaupt einen Abnehmer

gefunden zu haben, erklärt dem B, sie sei bereit ihm die Uhr für € 110,- zu überlassen. B will die Uhr

aber auch

zu diesem Preis nicht abnehmen.

Als nächstes bietet V eine Tempofuga 300 von 1930 an. Bei der Benennung des Startpreises unterläuft

V ein Fehler. Statt - wie geplant € 500 nennt V einen Startpreis von € 100,-. Die Gebote kommen nur

schleppend. Nach Ablauf der fünfminütigen Frist liegt das höchste Gebot bei € 250,-. Es wurde von C

abgegeben. V erklärt C, sie könne ihm die Uhr unmöglich für €250,- geben. Sie sei mindestens €900,-

wert. Obgleich V ihren Fehler bei der Nennung des Startpreises gleich nach Ende der Auktion erkennt,

erwähnt sie davon nichts, weil ihr peinlich ist, auf diesen "Aussetzer" hinzuweisen. Zunächst gehen V

und C auseinander, ohne sich zu einigen. Nach zwei Wochen fordert C die V nochmals auf die Uhr

gegen Zahlung von € 250,- an ihn zu liefern.

Schließlich kommt eine Tiempolegero Y200 von 1912 zur Versteigerung. Um sicherzustellen, dass sie

für diese Uhr einen guten Preis erzielen kann, hat V mit ihrer Freundin F ausgemacht, dass diese notfalls

ein Gebot abgibt, um andere zu Geboten anzuregen. V hat F zugesichert, dass sie ihre Freundin keines-

falls an ihren Geboten festhalten will. - Nur wenige Bieter interessieren sich für die Tiempolegero Y200.

Kurz vor Ende der Versteigerung liegt D mit einem Gebot von €600,- in Führung. Da der Marktwert der

Uhr bei mindestens € 800,- liegt, greift F ein und bietet € 620,-. Daraufhin bietet D € 640,-. Bei diesem

Gebot endet die Auktion. Als D kurz darauf noch vor Übergabe der Tiempolegero Y200, von der Ab-

sprache zwischen V und F erfahrt, weigert er sich den Kaufpreis von € 640,- zu bezahlen. Das letzte

Gebot habe er ja nur gemacht, um die F zu überbieten.

Frage 1: Kann V von B die Bezahlung von €120 oder €110 für die Timeco Timeless verlangen?

Frage 2: Kann C von V die Überlassung der Tempofuga 300 für €250 verlangen?

Frage 3: Kann V von D oder F die Zahlung von €640, €620 oder wenigstens € 600 für die Tiempolegero

Y 200 verlangen?

Page 63: zum kleinen Schein im Zivilrecht - Uni Trier · 1 Klausurensammlung zum kleinen Schein im Zivilrecht 22 Originalklausuren Stand: vor dem Sommersemester 2017 Gesamtausgabe

63

Gutachten

Sehr schön hergeleitet

Weil es vorher schon so ver-

einbart wurde, kann die An-

nahme auch nur auf 120 Euro

verstanden werden

Frage 1:

Anspruch der V gegen B

V könnte gemäß § 433 II einen Anspruch auf Zahlung von 120 €

haben, wenn zwischen beiden ein wirksamer Kaufvertrag entstan-

den ist.

1 Anspruch entstanden

Ein Kaufvertrag gemäß § 433 kommt durch zwei übereinstim-

mende Willenserklärungen, Angebot und Annahme, zustande.

1. Angebot der V

V müsste ein Angebot nach § 145 zum Verkauf gemacht haben. Ein

Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die alle

wesentlichen Vertragsinhalte (essentialia negotii) enthalten muss

und durch Abgabe und Zugang wirksam wird. Bei einem Kaufver-

trag gemäß § 433 sind die wesentlichen Vertragsinhalte die Kauf-

sache, der Kaufpreis und die Vertragsparteien. Fraglich ist, ob die

V, indem sie zu Geboten aufgerufen hat, bereits ein verbindliches

Angebot gemacht hat. V hat ihre engsten Freunde zur Versteige-

rung eingeladen und nie darauf hingewiesen, dass nach Ablauf der

Zeit von 5 Minuten ein verbindlicher Vertrag mit dem Höchstbie-

tenden zustande kommt. Ein Angebot könnte also vorliegen, wenn

die V alle wesentlichen Vertragsinhalte ausreichend bestimmt hat.

V hat den beteiligten Personen die Timeco Timeless für 100 € vor-

gestellt. Kaufsache und Kaufpreis sind also bekannt. Die Vertrags-

parteien ergeben sich aus dem Zusammenhang. V hat damit ein

wirksames Angebot gemacht. Mangels gegenteiliger Angaben ist

auch von einer Abgabe und einem Zugang auszugehen.

2. Annahme des B

B müsste das Angebot der V auch angenommen haben. Eine An-

nahme ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die inhaltlich

mit dem Angebot übereinstimmen muss. Fraglich ist, ob B das An-

gebot angenommen hat. B hat durch Handzeichen das Gebot für die

Uhr auf 120 Euro erhöht. Diese Handlung des B muss ausgelegt

werden. Die Auslegung gemäß §§ 133, 157 zielt darauf ab zu er-

mitteln, wie ein objektiver Empfänger die Bewegung aufgefasst ha-

ben könnte. Nach Auslegung gemäß § 133, 157 kann ein objektiver

Empfänger, die Handbewegung nur als Äußerung auffassen, 120

Euro für die Uhr zu bieten. Eine Annahme des B liegt also vor. Von

Abgabe und Zugang ist auszugehen.

3. Ergebnis V hat einen Anspruch auf Zahlung von 120 Euro gemäß

§ 433 II gegen B.

II Anspruch untergegangen

Fraglich ist, wie die Äußerung des B aufzufassen ist, dass dieser

das Geschäft nicht gelten lassen könne. In dieser Aussage könnte

eine Anfechtung zu sehen sein. Eine Anfechtung nach § 142 I ist

ein Gestaltungsrecht, das es einem der Vertragsparteien ermöglicht,

sich einseitig von dem Geschäft zu lösen. Voraussetzungen einer

Page 64: zum kleinen Schein im Zivilrecht - Uni Trier · 1 Klausurensammlung zum kleinen Schein im Zivilrecht 22 Originalklausuren Stand: vor dem Sommersemester 2017 Gesamtausgabe

64

Das ist kein Gutachtenstil, sub-

sumieren Sie bitte.

Schön dargestellt.

Anfechtung nach § 142 I sind das Vorliegen eines Anfechtungs-

grundes, die Anfechtungserklärung nach § 143 I und die Beachtung

der Anfechtungsfrist nach § 121 I.

1. Anfechtungsgrund

B müsste einen Anfechtungsgrund haben. In Betracht kommt eine

Anfechtung nach § 119 11. Alt. Bei diesem sog. „Inhaltsirrtum" irrt

der Anfechtende über die rechtliche Bedeutung seiner Aussage. Der

Irrende erklärt, was er erklären wollte, irrt aber über den Inhalt sei-

ner Erklärung. Fraglich ist, ob B sich in einem Inhaltsirrtum befand.

B hat bei Abgabe eines Gebots für 120 Euro gewusst, dass er rechts-

geschäftlich tätig wird. B hatte allerdings in den Glauben gehandelt,

dass ein Gebot jeweils nur eine Erhöhung von 10 Euro bedeutet.

Er hat also über die rechtliche Bedeutung geirrt und befand sich in

einem Inhaltsirrtum.

2. Anfechtungserklärung

B müsste die Anfechtung auch gemäß § 143 I erklärt haben. Dies

hat er durch die Aussage, dass er das Geschäft nicht gelten lassen

wolle, getan. Die Anfechtungserklärung braucht nämlich nur den

Willen erkennen lassen, nicht mehr an seinen Willen gebunden zu

bleiben.

3. Anfechtungsfrist

B müsste weiterhin die Anfechtungsfrist des § 121 I beachtet haben.

§ 121 I verlangt, dass unverzüglich nach Kenntnis des Irrtums ge-

handelt wird. B erklärt sofort nach Zuschlag die Anfechtung. Die

Frist wurde also gemacht.

4. Ergebnis

Aufgrund der wirksamen Anfechtung ist B nicht verpflichtet 120

Euro an V zu bezahlen. Fraglich ist allerdings, ob B nun gar nichts

mehr bezahlen muss. Gemäß § 242 muss B sich an seinen wahren

Willen festhalten lassen. Dieser bezog sich auf 110 Euro. B ist also

verpflichtet 110 Euro an V zu zahlen. Er kann sich durch die An-

fechtung von seinem Willensmangel, nicht von seinem wahren

Willen lösen.

Frage 2

C könnte von V die Überlassung der Uhr gemäß § 433 I verlangen,

wenn zwischen beiden ein Kaufvertrag geschlossen wurde.

I Anspruch entstanden

Es müsste ein Kaufvertrag entstanden sein. Gemäß § 433 I kommt

ein Kaufvertrag durch 2 übereinstimmende Willenserklärungen zu-

stande.

1. Angebot der V

V müsste ein Angebot (Definition siehe oben) gemacht haben. V

hat die Uhr als Tempofuga 300 zum Preis von 100 Euro angeboten.

Die essentialia negotii sind also bekannt.

Page 65: zum kleinen Schein im Zivilrecht - Uni Trier · 1 Klausurensammlung zum kleinen Schein im Zivilrecht 22 Originalklausuren Stand: vor dem Sommersemester 2017 Gesamtausgabe

65

Der Grund muss auch Tagetre-

ten „Der Irrtum muss offenge-

legt werden“

F

2. Annahme des C

C müsste das Angebot auch angenommen haben. Eine Annahme ist

eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die inhaltlich mit dem

Angebot der V übereinstimmen muss. Fraglich ist, ob C die An-

nahme erklärt hat. C hat nach Ablauf der fünfminütigen Versteige-

rungsfrist das höchste Gebot abgegeben haben. Gemäß den Verstei-

gerungsregeln kommt damit ein verbindlicher Vertrag zustande.

Die Annahme der C liegt also vor.

3. Ergebnis

Gemäß § 433 1 kann C von B die Überlassung der Sache verlangen.

II Anspruch untergegangen

Fraglich ist, wie die Äußerung der V aufzufassen ist, dass diese dem

C die Uhr unmöglich für 250 Euro übergeben kann. In dieser Aus-

sage könnte eine Anfechtung zu sehen sein. Voraussetzungen einer

Anfechtung nach § 142 I sind das Vorliegen eines Anfechtungs-

grundes, die Anfechtungserklärung nach § 143 I und die Beachtung

der Anfechtungsfrist nach § 121 I.

1. Anfechtungsgrund

V müsste einen Anfechtungsgrund haben. In Betracht kommt eine

Anfechtung nach § 119 I 2. Alt. Dieser sog. Erklärungsirrtum setzt

voraus, dass der Anfechtende die Erklärung überhaupt nicht abge-

ben wollte. Besonders umfasst vom Erklärungsirrtum sind die Fälle

des Verschreibens und Versprechens. Fraglich ist, ob dieser An-

fechtungsgrund in Betracht kommt. V hat sich bei der Nennung des

Startpreises versprochen und statt 500 Euro nur 100 Euro gesagt.

Ein Versprechen und damit ein Fall des § 119 I 2. Alt. liegt also

vor.

2. Anfechtungsgrund

V müsste die Anfechtung auch nach § 143 I erklärt haben. Die Er-

klärung braucht nicht das Wort „Anfechtung" zu enthalten. Es ge-

nügt, wenn der Wille zum Ausdruck kommt, nicht mehr an das Ge-

schäft gebunden zu sein. V hat dem C erklärt, dass sie ihm die Uhr

nicht übergeben könne. Eine Anfechtungserklärung des § 143 I

liegt vor.

3. Anfechtungsfrist

Gemäß § 121 I müsste die Anfechtung der V unverzüglich nach

Kenntnis eines Anfechtungsgrundes erfolgen. Fraglich ist, ob V die

Frist des § 121 I gewahrt hat. V hat nach Aufdeckung ihres Ver-

sprechens nicht unverzüglich gehandelt, auch nicht nach Aufforde-

rung. Die Frist des § 121 I wurde missachtet.

4. Ergebnis

Aufgrund der unwirksamen Anfechtung der V kann C die Liefe-

rung der Uhr gemäß § 433 1 verlangen.

Page 66: zum kleinen Schein im Zivilrecht - Uni Trier · 1 Klausurensammlung zum kleinen Schein im Zivilrecht 22 Originalklausuren Stand: vor dem Sommersemester 2017 Gesamtausgabe

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Sie hätten hier die Anfechtung

wegen arglistiger Täuschung

prüfen müssen.

F!

F!

Frage 3:

A. Anspruch der V gegen D

V könnte gegen D einen Anspruch auf Zahlung von 640 Euro für

die Uhr verlangen, wenn zwischen beiden ein wirksamer Kaufver-

trag zustande gekommen ist.

1 Anspruch entstanden

Ein Kaufertrag kommt durch zwei übereinstimmende Willenserklä-

rungen, Angebot und Annahme, zustande.

1. Angebot der V

V müsste ein Angebot mit allen wesentlichen Vertragsinhalten ge-

macht haben. Fraglich ist, ob V ein Angebot gemacht hat. V hat die

Tiempolegro Y200 angeboten.

2. Annahme des D

D müsste das Angebot der V auch angenommen haben. Eine An-

nahme muss inhaltlich mit dem Angebot übereinstimmen. Fraglich

ist, ob D die Annahme erklärt hat. Dies ist durch Auslegung gemäß

§§ 133, 157 zu ermitteln. Fraglich ist wie ein objektiver Empfänger

die Handlung des D aufgefasst hat. D hat die Modalitäten der Ver-

steigerung gekannt und gewusst, dass bei Ablauf der Zeit von fünf

Minuten das höchste Gebot zu einem Vertrag mit der V führt. Ein

objektiver Empfänger kann die Handlung des D nur als Gebot von

640 Euro verstehen. Eine Annahme liegt also vor.

3. Ergebnis

V kann von D gemäß § 433 II die Zahlung von 640 Euro verlangen.

II Anspruch untergegangen

Fraglich ist, ob die Verpflichtung des D durch Anfechtung unterge-

gangen ist. Voraussetzung einer Anfechtung ist das Vorliegen einer

Anfechtung und das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes, die An-

fechtungserklärung nach § 143 I und die Beachtung der Anfech-

tungsfrist nach § 121 I.

1) Anfechtungsgrund

D müsste einen Anfechtungsgrund gehabt haben. Fraglich ist, ob D

anfechten kann, weil er sein letztes Gebot nur gemacht hat, um die

F zu überbieten. D hat über einen Umstand geirrt, der ihn zur Ab-

gabe einer Willenserklärung beeinflusst hat. Es könnte ein Moti-

virrtum vorliegen, der grundsätzlich nicht zur Anfechtung berech-

tigt. D hat das letzte Gebot über 640 Euro nur gemacht, um die F

zu überbieten und ihr damit die Uhr wegzuschnappen. Bei D lag zu

diesem Zeitpunkt, als er das Gebot abgegeben hat, folglich ein un-

beachtlicher Motivirrtum vor. D kann nicht anfechten.

4. Ergebnis

V kann von D die Zahlung von 640 Euro gemäß § 433 II verlangen.

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B. Anspruch der V gegen F

V könnte gemäß § 433 II einen Anspruch auf Zahlung des Kauf-

preises gegen F haben, wenn zwischen beiden ein wirksamer Kauf-

vertrag zustande gekommen ist.

1 Anspruch entstanden

Ein Kaufvertrag kommt durch zwei übereinstimmende Willenser-

klärungen, Angebot und Annahme, zustande.

1. Angebot der V

Wie oben geprüft hat V ein Angebot gemacht.

2. Annahme der F

F müsste das Angebot auch angenommen haben. Eine Annahme ist

eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die inhaltlich mit dem

Angebot übereinstimmen muss. F hat bei Ablauf der Bieterfrist

nicht das höchste Angebot abgegeben. Folglich liegt keine An-

nahme vor.

3. Ergebnis

V hat keinen Anspruch auf Zahlung gemäß § 433 II gegen F.

Herr X,

Frage 1 lösen Sie tadellos. Sie erkennen als einer der Wenigen, dass die V das Angebot abgibt. Sehr

schön. Auch die Anfechtung gelingt gut. § 138 BGB sehen Sie bei Frage 2 leider nicht. Frage 3 vermag

Ihnen nicht mehr so gut zu gelingen. Sie sehen den § 123 BGB nicht mehr.

Trotzdem...

12 Punkte (Vollbefriedigend)

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2. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2008

Prof. Dr. Thomas Rüfner

Frau K möchte ein Grundstück kaufen, das im Eigentum von Herrn V steht, um darauf ein Eigenheim

zu errichten. Allerdings zögert— noch, den Kaufvertrag abzuschließen, weil sie befürchtet, dass der

Boden des Grundstücks, das zu einem stillgelegten Fabrikgelände gehört, mit Schwermetallen belastet

sein könnte. V erklärt sich daher bereit, die Frage möglicher Belastungen abzuklären und gegebenenfalls

für den Austausch belasteten Erdreichs zu sorgen. Im Auftrag von V und K entwirft Notar N einen

Kaufvertrag. Danach übernimmt V die Verpflichtung, durch einen Sachverständigen prüfen zu lassen,

ob das Grundstück mit Schwermetallen belastet ist, für die Beseitigung der Belastung zu sorgen und,

sobald das Grundstück von Schadstoffen frei ist, der K eine schriftliche Bestätigung dieses Sachverhalts

durch den Sachverständigen vorzulegen. Der Kaufpreis soll erst zur Zahlung fällig sein, wenn die Be-

stätigung vorliegt. Nach Zahlung des Kaufpreises soll V das Grundstück an K übergeben und übereig-

nen. - Hinsichtlich des Kaufpreises unterläuft N ein Fehler: Statt des von den Parteien festgesetzten

Kaufpreises von € 54.000,- schreibt N versehentlich „€ 45.000,2 in der Vertragsurkunde.

K und V erscheinen zur Beurkundung des Kaufvertrages im Büro des N. N liest die von ihm entworfene

Vertragsurkunde den Parteien vor. Dabei fällt das Versehen hinsichtlich des Kaufpreises nicht auf, weil

N selbst bei der Verlesung den Schreibfehler übersieht und als Kaufpreis den vereinbarten Betrag von

€ 54.000,- nennt. Nachdem N den Text vorgelesen hat, unterschreiben V und K die Vertragsurkunde,

ohne sie selbst durchzulesen. Der Fehler in der Preisangabe bleibt unbemerkt. Im Übrigen entspricht der

Kaufvertrag den gesetzlichen Vorgaben und den Verabredungen der Parteien. Kurz nach dem Beurkun-

dungstermin untersucht die von V beauftragte Sachverständige 5 das Grundstück und stellt (zutreffend)

fest, dass der Boden nicht mit Schwermetallen belastet ist. 5 teilt V mit, es sei nicht erforderlich, das

Erdreich auszutauschen. Die gewünschte schriftliche Bestätigung werde sie alsbald an V senden, damit

dieser sie an K weiterleiten kann. Wegen anderer beruflicher Verpflichtungen kommt jedoch lange Zeit

nicht dazu, die Bestätigung auszustellen.

K wartet ungeduldig auf die Bestätigung, die V nach dem Kaufvertrag vorlegen soll. Als sie nach einigen

Monaten immer noch nichts von V gehört hat, beschließt K, eine Frist zu setzen. Da K den V dessen

Telefonnummer nickt im Telefonbuch steht und der K nur seine Postadresse mitgeteilt hat, nicht anders

erreichen kann, schreibt Sie Ihm einen Brief, mit dem Sie V auffordert, die geforderte Bestätigung bin-

nen eines Monats vorzulegen. Um die Kosten für ein Einschreiben zu sparen und beweisen zu können,

dass ihr Schreiben dem V zugegangen ist, beschließt K, den Brief in Begleitung ihrer Freundin F als

Zeugin persönlich bei V einzuwerfen, der ganz in der Nähe ihrer Wohnung zu Hause ist. Als K und F

an der Adresse des V ankommen, stoßen sie auf eine unerwartete Schwierigkeit: Die Wohnung des V

gehört zu einer Wohnanlage. Der Zugang zur Anlage ist durch ein schweres Eisentor versperrt. Die

Briefkästen befinden sich hinter dem Tor. So hat keine Möglichkeit, ihren Brief in den Briefkasten des

V einzuwerfen. Sie steckt den Brief daher gut sichtbar zwischen die Stangen des Eisentores. Da der

Brief kurze Zeit später zu Boden fällt und von der Straßenreinigung entsorgt wird, erfährt V nichts vom

Schreiben der K.

Nach Ablauf der gesetzten Frist erklärte dem Y'J in einem eingeschriebenen Brief, sie sei im Hinblick

auf die eingetretene Verzögerung nicht mehr am Erwerb des Grundstücks interessiert und trete vom

Vertrag zurück. Dieses Schreiben wird dem V. ohne Probleme zugestellt. Die Hausverwaltung in der

Wohnanlage sorgt dafür, dass der Briefzusteller der Post täglich vom Hausmeister eingelassen wird und

die Post in die Briefkästen der Bewohner einlegen kann.

V bittet um Auskunft, ob er trotz des erklärten Rücktritts von K die Zahlung des Kaufpreises verlangen

kann - und welcher Betrag ihm gegebenenfalls zusteht.

Aufgabe: Erstellen Sie das gewünschte Gutachten! Alle aufgeworfenen Probleme sind - gegebe-

nenfalls in einem Hilfsgutachten - zu erörtern.

Page 69: zum kleinen Schein im Zivilrecht - Uni Trier · 1 Klausurensammlung zum kleinen Schein im Zivilrecht 22 Originalklausuren Stand: vor dem Sommersemester 2017 Gesamtausgabe

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Gutachten

Schön, dass Sie das hier kurz

halten

Nein, es geht um die Ausle-

gung nach dem Empfängerho-

rizont

Sehr schön

Schön, aber Ihre Anwendung

des § 117 würde hier gerade zu

dem gegenseitigen Ergebnis

führen

Ansprüche des V

Anspruch des V gegen K aus § 433 II

V könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises ha-

ben wenn zwischen V und K ein Kaufvertrag gem. § 433 geschlos-

sen wurde und zwar aus § 433 II.

1. Anspruch entstanden

aa) Kaufvertrag § 433

Dazu müsste ein Kaufvertrag gern. § 433 geschlossen worden sein.

Ein Kaufvertrag kommt durch zwei übereinstimmende aufeinander

bezogene Willenserklärungen, Angebot und Annahme, §§ 145 ff.,

zustande. Hier haben sich V und K über den Verkauf des Grund-

stücks geeinigt, allerdings ist problematisch, zu welchem Preis.

ab) Problem: Irrtum des N

Gemäß § 311 b muss bei Verkauf eines Grundstücks ein Notar den

Vertrag beurkunden. Notar N hat den Vertrag zwischen V und K

aufgesetzt und beurkundet, aber er hat sich beim Preis verschrieben.

Folglich könnte der Vertrag gern. § 142 aufgrund eines Erklärungs-

irrtums nach § 119 1 Alt. 2 anfechtbar sein. Es ist jedoch zu unter-

suchen, ob es dieser Anfechtung überhaupt bedarf. Der Anfechtung

geht nämlich immer die Auslegung des Vertrags gern. §§ 133, 157

vor. Diese Auslegung soll den wirklichen Willen der Parteien er-

forschen. Der wirkliche Wille von V und K war, das Grundstück

für 54000 € und nicht wie vom Notar verschrieben 45000:E zu ver-

kaufen. Aus §§ 133, 157 folgt also, dass ein Vertrag über 54000 €

zustande gekommen ist.

ac) Problem der Form

Nun ist es jedoch problematisch, dass der Vertrag über 54000 €

nicht der Form des § 311 b II entspricht und damit gern. § 125 5 I

nichtig sein könnte. Folgt man dem Wortlaut des § 125 S 1 ist der

Vertrag nichtig, denn in der vom Notar ausgestellten Urkunde ist

ein Preis von 45000 € festgeschrieben worden. Der Notar N hat den

Fehler aber nicht vorgelesen, womit V und L ihn nicht bemerken

konnten. Deshalb sollte dieser Fehler den Vertrag zwischen V und

K nicht belasten. Ähnlich wie bei einem Scheingeschäft ist auch

hier nach den Grundsätzen von Treu und Glauben und der Privat-

autonomie, das Rechtsgeschäft, das gewollt wurde, anzunehmen.

Der Mangel der Form sollte diesem, auch wenn N den Fehler ver-

schuldet hat, nicht entgegenstehen. § 117 II muss also nach seinem

Sinn und Zweck teleologisch reduziert werden.

ad) Zwischenergebnis

Ein Kaufvertrag ist zustande gekommen, der Anspruch entstanden.

2. Anspruch (nicht) untergegangen

Jedoch könnte der Anspruch aus § 433 II durch eine rechtsvernich-

tende Einwendung untergegangen sein. Dies könnte der Rücktritt

gern. §§ 346 1, 323 1 Alt. 2 wegen verspäteter Leistung bewirkt

haben.

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70

Nicht ganz, fort haben Sie ge-

prüft, ob ein Vertrag, nicht ein

gegenseitiger Vertrag, vorliegt

Es geht hier um die Pflicht das

Gutachten zu besorgen

Das wäre zu untersuchen ge-

wesen

Sehr gut

Sehr schön argumentiert (mit

Wortlaut)

Sehr schön, Vorleistungs-

pflicht, § 320 I

a) Rücktrittsvoraussetzungen

Die Voraussetzungen des Rücktrittsgrundes aus § 323 I Alt. 2

i.V.m. § 433 müssten dafür erfüllt sein.

aa) Gegenseitiger Vertrag

Ein Kaufvertrag ist immer ein gegenseitiger Vertrag weil die

Hauptleistungspflichten im Synallagrna, also Austauschverhältnis

stehen. Dieser liegt vor (s.o.).

ab) Ausbleiben der Leistung

Die durchsetzbare und fällige Leistung des V an K müsste nicht

erbracht worden sein. Eine Leistung ist fällig, wenn sie vom

Schuldner erbracht werden kann und der Gläubiger sie annehmen

muss, § 271. Es wurden in den Vereinbarungen zwischen V und K

zwischen K und V besondere Bestimmungen für den Zeitpunkt der

Fälligkeit bestimmt. Durch die Vertragsfreiheit und aus § 271 I

folgt, das dies möglich ist. Laut Sachverhalt soll die Übereignung

und Übergabe, die K gern. § 433 I von V als Leistung verlangen

kann, nach der Zahlung des Kaufpreises der V erfolgen. Diese

nimmt sie vor, sobald das Gutachten über die Bodenbeschaffenheit

der S vorliegt. Das Gutachten lag nicht vor, daher hat K nicht be-

zahlt und V musste noch nicht leisten. Allerdings war die Beschaf-

fung des Gutachtens eine Nebenpflicht des V. Nebenpflichten sind

solche, die zur Erfüllung der Hauptpflicht beitragen. Diese Neben-

pflicht steht aber in keinem Austauschverhältnis Es ist strittig, ob

die nicht erbrachte Leistung des Rücktrittsgegners im Austausch-

verhältnis stehen muss, oder ob auch Nebenpflichten eines synal-

lagmatischen Schuldverhältnisses bzw. deren Nichterbringung zum

Rücktritt berechtigen. Zwar spricht der Wortlaut eindeutig vom Sy-

nallagrna, jedoch nicht davon ob nur Hauptleistungspflichten be-

troffen sind, sondern nur „Leistungen", § 323 1. Auch Nebenleis-

tungspflichten können jedoch, wie hier, für den Vertrag ausschlag-

gebend sein und wenn diese nicht oder zu spät erbracht werden, ist

es im Interesse des Rücktrittsanwärters, von diesem Recht Ge-

brauch machen zu dürfen. Dem entspricht auch, dass es ein Rück-

trittsrecht wegen Pflichtverletzungen aus § 241 II in § 324 gibt, ob-

wohl diese Schutzpflichten auch nicht als Synallagmatisch bezeich-

net werden können. Daraus kann man schließen, dass auch § 323 I

ein Rücktrittsrecht für nicht im Austauschverhältnis stehende

Pflichten beinhaltet. V hat nicht dafür gesorgt, dass der K das Gut-

achten der 5 zugeht. Zwar hat er dies im Zweifel vielleicht gar nicht

zu verantworten, doch auf das Verschulden kommt es bei § 323

nicht an.

Die Fälligkeit des Gutachtens war jedoch nicht festgelegt und ist

deshalb als sofort oder baldmöglichst anzunehmen. Diesem stehen

keine Einreden, insb. Nicht aus § 320 entgegen, da das Gutachten

erbracht werden musste, bevor K zu zahlen hatte.

ac) Zwischenergebnis

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71

Schön, das ist ein Problem der

Zugangsvereitelung von V

aber vertretbar, da es letztend-

lich auf die Abgrenzung von

Risikofaktoren ankommt, ist

Ihr Aufabu ok, vielleicht hät-

ten Sie auch Gegenargumente

aufzeigen können

Folglich war die Leistung fällig und durchsetzbar. K hatte mehrere

Monate gewartet und die Leistung (das Gutachten) war immer noch

nicht erbracht worden, weshalb von einer Nichtleistung ausgegan-

gen wird. Dem steht nicht entgegen, dass sie noch erbracht werden

kann.

ad) Fristsetzung

V müsste eine angemessene Frist gesetzt haben.

Eine Fristsetzung ist eine bestimmte Aufforderung an den Schuld-

ner zu leisten, mit einem angemessenen Zeitraum, in dem er diese

Leistung noch erbringen kann. Eine Fristsetzung ist keine Willens-

erklärung, was aus ihrer Entbehrlichkeit zu schließen ist, jedoch

sind die Vorschriften über Willenserklärungen der § § 130 ff anzu-

wenden. Folglich wird eine Fristsetzung mit Abgabe und Zugang

wirksam. Dies ist auch dem Wortlaut des § 323, „dem Schuldner ...

bestimmt hat", zu entnehmen.

(1) Abgabe

Die Abgabe ist erfolgt, denn die WE hat den Machtbereich der K

mit Willen verlassen. Es ist jedoch fraglich ob sie alles mögliche

getan hat, damit sie dem V ohne ihr weiteres Zutun zugehen konnte.

Das Problem liegt hier darin, dass die K dem V die Fristsetzung

nicht übergeben konnte da sie nicht in das Haus konnte. Außerdem

konnte sie weder telefonischen Kontakt zu V aufnehmen, noch auf

andere Weise in das Haus gelangen. Aus den Anstrengungen der L

ist aber zu entnehmen, dass sie doch alles getan hat, denn schließ-

lich muss V dafür sorgen, dass er mit seinen Vertragspartnern auch

Kontakt halten kann. So ist es K nicht vorzuwerfen, dass sie den

Brief zumal gut sichtbar am Tor anbrachte und dieser dann verloren

ging.

(2) Zugang

Gemäß § 130 1 I wird eine Willenserklärung wirksam, wenn sie

dem Erklärungsempfänger zugeht und dieser nach h.M. nach den

Umständen von ihr Kenntnis nehmen kann oder mit seiner Kennt-

nisnahme nach dem normalen Verlauf der Dinge gerechnet werden

kann. Auf die Fristsetzung ist diese Vorschrift anzuwenden. Der

Zugang ist erfolgt, wenn die WE in den Machtbereich des Empfän-

gers gelangt, bzw. der Erklärende davon ausgehen darf, dass sie

dies tut. In diesem Fall hat K alles dafür getan, damit sie mit dem

Zugang rechnen konnte, aus den oben genannten Gründen. Für den

Zugang kommt es auf die tatsächliche Kenntnisnahme nicht immer

an, wenn diese durch den Empfänger verzögert wird, gilt die WE

schon als zugegangen.

(3) Zwischenergebnis

Deshalb ist die Fristsetzung zugegangen und es ist aufgrund fehlen-

der Anhaltspunkte im Sachverhalt davon auszugehen, dass sie an-

gemessen war.

ae) Ausbleiben der Leistung nach Fristsetzung

Page 72: zum kleinen Schein im Zivilrecht - Uni Trier · 1 Klausurensammlung zum kleinen Schein im Zivilrecht 22 Originalklausuren Stand: vor dem Sommersemester 2017 Gesamtausgabe

72

Nachdem K die Frist gesetzt hat konnte V innerhalb dieser Frist

noch leisten und K durfte dann nicht zurück treten. K hat auf den

Ablauf der Frist gewartet und V hat auch innerhalb dieser Frist

nicht geleistet. Dies ist zwar nur nicht geschehen, weil in Wirklich-

keit dem V die Fristsetzung nicht zugegangen war. Jedoch ist, wie

oben beschrieben von einem Zugang auszugehen. Im Übrigen wäre

es, wenn V gleich geleistet hätte nicht zum Rücktrittsgrund gekom-

men. V hat die Pflicht das Gutachten zu beschaffen nicht erfüllt.

b) Rücktrittserklärung

Schließlich müsste K dem V den Rücktritt gem. § 349 erklärt ha-

ben. Dies hat sie getan.

c) Zwischenergebnis

Somit ist K vom Vertrag mit V wirksam zurückgetreten. Die Aus-

schließungsgründe des § 323 VI liegen nicht vor.

3. Ergebnis

Daraus folgt gern. § 346 I, dass der Vertrag aus § 433 nichtig ist

und der Anspruch des V gegen K auf Bezahlung des Kaufpreises

gern. § 433 II untergegangen ist.

Sehr geehrte Frau X,

ihre Klausur ist sehr gut gelungen.

Erfreulich ist u.a., dass sie sämtliche Probleme des Falles erkennen. Sie gehen darauf ein, dass der ge-

wollte Preis nicht beurkundet ist und kennen den Meinungsstreit, der die Nebenpflichten in § 323 be-

trifft. An diesen Stellen, wie auch bei dem Zugang der Fristsetzung, führen sie viele Argumente an und

begründen ihre Lösung sehr ausführlich. Ebenso positiv hervorzuheben ist, dass sie alle Tatbestands-

merkmale der § 323 ansprechen und sorgfältig subsumieren. Sie definieren viel, so dass ihr Gutachtenstil

grds. Sehr ordentlich ist.

Schwächen zeigen sie im Wesentlichen lediglich bei der Prüfung des Vertragsabschlusses: Sie meinen,

dass für die Auslegung die wirklichen Willen wesentliche sind und gehen deswegen nicht auf die falsa

demonstratio ein. Auch im Aufbau ist ihre Prüfung nicht ganz sauber. Bei § 323 sind in der Fälligkeit

zunächst die maßgebliche Frist nicht richtig identifiziert worden. Gehen sie also immer so sorgfältig

und problemorientiert vor, wie sie das im übrigen Teil der Arbeit erfreulicherweise gemacht haben.

15 Punkte (Gut)

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73

2. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2010

Prof. Dr. Oliver Fehrenbacher

Am 16.11.2009 bestellte Apfel Computer (A) zur Neuausstattung ihrer Büroräume bei Bastian Bürohaus

(B) 30 Lampen vom Typ „Art Nouveau 1905“. Im Rahmen der telefonischen Verhandlungen wurde

zwischen A und B ein Kaufpreis von insgesamt 15.000 Euro vereinbart. Dieser sollte bei Abholung der

Lampen durch A gezahlt werden. B hatte den bestellten Typ nämlich nicht in genügender Anzahl vor-

rätig, was eine entsprechende Bestellung seinerseits bei seinem Lieferanten X notwendig machte. Nach

Eingang von 100 Lampen des bestellten Typs im Lager der B setzte sich L, ein Angestellter der B, am

12. Dezember 2009mit A in Verbindung und teilte mit, dass die Lampen nunmehr eingetroffen seien.

Außer dieser Mitteilung durch den Angestellten unternimmt B indes nichts. In der Nacht vom 12. Auf

den 13. Dezember 2009 stehlen unbekannte Einbrecher große Teile des Bestandes aus dem Warenlager

des B (inklusive aller Lampen des vom A bestellten Typs), ohne dass B insoweit ein Vorwurf gemacht

werden kann. Als der Angestellte T der A am 13. Dezember 2009 bei B erscheint, kann eine Übergabe

der Lampen daher nicht stattfinden. In einem Schreiben vom 8 Januar 2010 forderte B den A auf, den

Kaufpreis zu bezahlen. „ Man habe ja schließlich einen Vertrag geschlossen und er habe die Ware in

seinem Lager gehabt sowie den A davon benachrichtigt“. Die A lässt der B am gleichen Tag noch mit-

teilen, dass sie nicht bereit sei, die 15.000 zu zahlen. Wer nicht liefern könne, dürfe auch keinen Kauf-

preis verlangen. Damit wäre die Sache wohl dann erledigt. Im Übrigen weist A darauf hin, dass B ihr

„aus einer älteren Geschichte“ sowieso noch 2.500 € schulde und sie daher niemals den gesamten ver-

einbarten Betrag gezahlt hätte und zahlen werde.

A und B hatten in früherer Zeit bereits mehrfach miteinander Geschäfte gemacht. Im Sommer 2006 war

es zu einem Zwischenfall gekommen, der ihre Geschäftsbeziehungen schlagartig zum Erliegen brachte:

Anfang Mai 2006 hatte A bei B zum Preis von 5.000 € eine aufwendig gestaltete Halterung für mehrere

Beamer und Scheinwerfer bestellt. Einerseits wollte A damit die firmeneigenen Präsentationen aufwer-

ten, andererseits aber auch etwaige Kunden mit der für die Fußball WM 2006 geplanten Live –Übertra-

gungen der Spiele beeindrucken. Der Kaufpreis sollte nach der Lieferung, welche für den 22. Mai ver-

einbart war, bezahlt werden. Als die Lieferung ausblieb, wurde B von A aufgefordert, innerhalb der

nächsten zehn Tage zu liefern. Nach zehn Tagen ohne Reaktion des B wurden die gleichen Halterungen

bei einem anderen Händler bestellt. Dort betrug der Kaufpreis allerdings 7.500€. A forderte B damals

zwar nur zur Zahlung der Preisdifferenz auf, unternahm aber weiter nichts, als die Zahlung ausblieb.

Sowohl A als auch B hatten seit dieser Zeit bis zur Bestellung der Lampen nichts mehr voneinander

gehört.

B wendet sich bezüglich der Angelegenheit nun nochmals an A und teilt ihm mit, diese alte Geschichte

habe jedenfalls mit der Kaufpreiszahlung in Höhe von 15.000€ wegen der Lampen überhaupt nichts zu

tun. So eine „ alte Kamelle“ könne A nun auch nicht mehr vorbringen.

Hat B einen Anspruch gegen A auf Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 15.000 €?

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74

Gutachten

B könnte gegen A einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises in

Höhe von 15.000 € gemäß § 433 II BGB haben. (die §§ ohne An-

gabe sind solche des BGB)

I) Anspruch entstanden

Zunächst müsste der Anspruch entstanden sein. Ein Kaufvertrag

kommt durch 2 übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot

und Annahme (§§ 145ff.) zustande. Das Angebot muss die essenti-

alia negotii enthalten. Dies sind bei einem Kaufvertrag der Kaufge-

genstand, die Vertragsparteien und der Kaufpreis. Vorliegend hat

A bei B 30 Lampen für 15.000€ bestellt. Folglich hat A den B ein

Angebot gemacht. Am Telefon (§147 I S.2) wurden sich A und B

einig. Folglich hat B das Angebot auch angenommen. Weiterhin

sind auch keine rechtshindernden Einwendungen ersichtlich. Mit-

hin ist der Anspruch des B entstanden.

II) Anspruch untergegangen

Weiterhin dürfte der Anspruch nicht untergegangen sein. Erfüllung

gemäß § 362 I liegt hier nicht vor, da A nicht bereit ist zu zahlen.

Der Anspruch könnte jedoch gemäß § 326 I untergegangen sein.

1) gegenseitiger Vertrag

Zunächst müsste dafür ein gegenseitiger Vertrag zwischen A und B

vorliegen. Bei einem gegenseitigem Vertrag stehen wenigstens ein-

zelne Leistungspflichten in einem synallagmatischen Verhältnis

zueinander (do ut des). Bei einem Kaufvertrag sind die Hauptleis-

tungspflichten – Zahlung des Kaufpreises und Übergabe der Sache

– miteinander verbunden. Folglich lieht ein gegenseitiger Vertrag

vor.

2) § 433 I 1 wegen § 275 ausgeschlossen

Weiterhin müsste der Anspruch des A gegen B auf Lieferung der

Lampen gemäß § 433 I 1 wegen § 275 ausgeschlossen sein.

a) Zunächst müsste der Anspruch entstanden sein. Wie bereits oben

geprüft ist ein wirksamer Kaufvertrag zwischen A und B gegeben.

Das Anspruch ist also entstanden.

b) Weiterhin müsste dieser Anspruch gemäß § 275 I –III unterge-

gangen sein. Dies bedeutet es müsste Unmöglichkeit eingetreten

sein. Unmöglichkeit meinet die dauerhafte Nichterbringung des

Leistungserfolges. Vorliegend handelt es sich bei dem 30 Lampen

um eine Gattungsschuld gemäß § 243 I.

Bei einer Gattungsschuld tritt Unmöglichkeit ein wenn die gesamte

Gattung untergeht, aber wenn die Gattungsschuld gemäß § 243 II

konkretisiert wurde. Vorliegend wurden alle Lampen aus dem Wa-

renlager des B gestohlen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es

woanders noch Lampen dieser Art gibt. Folglich ist nicht die ge-

samte Gattung untergegangen. Es könnte jedoch Konkretisierung

eingetreten sein. Dafür müsste der Schuldner das seinerseits Erfor-

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75

Schön!

§ 300 II

Gut!

derliche getan haben. Bei einer Holschuld (269 I) muss der Schuld-

ner die Ware aussondern und den Gläubiger benachrichtigen, damit

Konkretisierung eintritt. Vorliegend hat L (der Angestellte des B)

den A benachrichtigt, dass die Lampen da sind. Es wurde jedoch

noch keine Lampen für A ausgesondert. Folglich hat der Schuldner

noch nicht das seinerseits Erforderlich getan. Somit liegt keine

Konkretisierung gemäß § 243 II vor.

c) Zwischenergebnis

Folglich ist der Anspruch auf Lieferung gemäß § 433 I 1 nicht we-

gen Unmöglichkeit gemäß § 275 I ausgeschlossen.

Somit besteht der Anspruch auf Zahlung der 15.000€ gemäß § 433

II weiterhin.

d) Aufrechung

Der Anspruch könnte aber gemäß § 389 untergegangen sein, falls

die Vorrausetzungen der Aufrechnung vorliegen.

i) Aufrechnungserklärung

Zunächst müsste A dem B die Aufrechnung erklärt haben. Dies ge-

schieht gemäß § 388 S.1 durch eine einseitig empfangsbedürftige

Willenserklärung. Vorliegend hat A den B darauf hingewiesen,

dass ihm aus einem anderen Geschäft noch Geld zustehe. Durch

Auslegung gemäß § 133, 157 ist dies als Aufrechungserklärung zu

werten.

ii) Aufrechnungslage

Weiterhin müsste eine Aufrechungslage gemäß § 387 vorliegen.

Dafür müsste zunächst Gegenseitigkeit gegeben sein. Der Aufrech-

nende müsste Gläubiger der Gegenforderung und Schuldner der

Hauptforderung sein. Der Aufrechnungsgegner müsste Gläubiger

der Hauptforderung und Schuldner der Gegenforderung sein. Vor-

liegend hat B gegen A einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises

gemäß § 433 II (wie oben geprüft).

Folglich ist jedoch ob A auch einen Anspruch gegen B hat. Dieser

könnte sich aus §§ 280 I, III, 281 ergeben.

Zunächst müsste ein Schuldverhältnis i.S.v. § 311 I vorliegen. Im

Mai 2006 haben B und A einen Kaufvertrag gemäß § 433 über eine

Halterung für den Preis von 3.000€ geschlossen. Folglich liegt ein

Schuldverhältnis vor.

Weiter müsste B eine Pflicht aus diesem Schuldverhältnis verletzt

haben. Eine Pflichtverletzung ist jede objektive Abweichung von

der, durch das Schuldverhältnis begründeten Pflicht.

Vorliegend kommt die Pflichtverletzung in Form der Nichtleistung

trotz Fälligkeit und Durchsetzbarkeit in Betracht. Zunächst müsste

der Anspruch des A fällig sein. Die Fälligkeit bestimmt sich gemäß

§ 275 I zunächst nach der Parteivereinbarung. Vorliegend haben

sich B und A auf Lieferung am 26. Mai 2006 geeinigt. Somit ist der

Anspruch am 22.Mai fällig.

Weiterhin müsste der Anspruch auch durchsetzbar sein. Es dürften

also keine Einreden bestehen. Vorliegend kommt § 320 in Betracht.

Allerdings haben A und B vereinbart, dass A erst nach Lieferung

zahlen muss. Folglich war B zur Vorleistung verpflichtet. Somit

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scheidet § 320 aus und der Anspruch ist auch durchsetzbar. Schließ-

lich müsste B trotz Fälligkeit und Durchsetzbarkeit nicht geliefert

haben. Laut Sachverhalt ist dies der Fall. Folglich liegt keine

Pflichtverletzung vor.

Weiterhin müssten die zusätzlichen Voraussetzungen des § 281 er-

füllt sein.

A müsste dem B eine angemessene Frist gesetzt haben, die erfolg-

los abgelaufen ist. Eine Fristsetzung meint das Auffordern zur Leis-

tung nach Fälligkeit binnen einer hinreichend bestimmten Zeit-

raums. Vorliegens hat A dem B eine Frist von 10 Tagen gesetzt. In

dieser Zeit wäre es problemlos möglich gewesen die Leistung zu

erbringen. Es muss darauf abgestellt werden, dass B genug Zeit hat

eine Leistung zu erbringen, die er eigentlich schon hätte erbringen

müssen. Folglich war die Frist angemessen. Schließlich müsste sie

erfolglos abgelaufen sein. Dabei kommt es auf den Leistungserfolg

an. Vorliegend hat A nach 10 Tagen immer noch nicht Besitz und

Eigentum an der Halterung erlangt. Folglich ist die Frist erfolglos

abgelaufen und die zusätzlichen Voraussetzungen des § 281 liegen

vor. Weiterhin müsste B die Pflichtverletzung gemäß § 280 I 2 auch

zu vertreten haben. Grundsätzlich hat der Schuldner gemäß § 276 I

Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Fahrlässig handelt, wer die

im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, § 276 II. Vor-

liegend steht nichts im Sachverhalt daher kann man zumindest von

Fahrlässigkeit ausgehen.

Aufgrund der Beweislastumkehr in § 280 I 2 wird das Vertreten-

müssen jedoch ohnehin vermutet, falls der Schuldner nicht exkul-

pieren kann. Für eine Exkulpation gibt er keine Anhaltspunkte.

Folglich hat B die Pflichtverletzung auch zu vertreten.

Schließlich müsste dem A ein Schaden entstanden sein, der kausal

auf der Pflichtverletzung beruht.

Ein Schaden ist jedes unfreiwillige Vermögensopfer. Weil B hier

nicht geliefert hat, musste A sich anderweitig eine Halterung besor-

gen. Diese kostete ihn jedoch 2.500€ mehr. Der Schaden wird nach

der Differenzhypothese bestimmt. Es werden zwei Güterlagen ver-

glichen, die tatsächlich entstandene Lage durch das schädigende

Ereignis und die hypothetisch gedachte Lage ohne schädigendes

Ereignis. Jetzt hat A zwar eine Halterung, jedoch 7.500€ dafür aus-

gegeben. Ohne das schädigendes Ereignis hätte A ebenfalls eine

Halterung, aber nur 5.000€ ausgegeben. Die Differenz beträgt

2.500€. Folglich ist dem A ein Schaden in Höhe von 2.500€ ent-

standen.

Folglich steht dem A ein Schadensersatzanspruch gegen B aus §§

280 I, III, 281 zu. Fraglich ist jedoch ob der Anspruch des A nicht

schon verjährt ist. Gemäß § 214 ist der Schuldner dann berechtigt,

die Leistung zu verweigern. Gemäß § 194 können nur Ansprüche

verjähren. Dies ist hier der Fall. Die regelmäßige Verjährungsfrist

beträgt gemäß § 195 3 Jahre und beginnt gemäß § 199 I mit Schluss

des Jahres in dem der Anspruch entstanden ist und wenn der Gläu-

biger von den Zuständen Kenntnis erlangt hat. Vorliegend ist der

Anspruch des A 10 Tage nach dem 22. Mai 2006 entstanden. Auch

hat B Kenntnis davon erlangt. Folglich beginnt die Verjährungsfrist

mit dem Ablauf des Jahres 2006. Gemäß § 195 beträgt die Frist hier

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77

§ 390

§ 215 gut gesehen

3 Jahre. Folglich endet die Frist mit Ablauf des Jahres 2009. Vor-

liegend hat A dem B am 8. Januar 2010 die Aufrechnung erkärt.

Folglich wäre die Frist schon abgelaufen und der Anspruch ver-

jährt. Jedoch regelt § 215 dass die Aufrechnungslage entscheidet ist

und nicht die Aufrechungserklärung. Vorliegend hätte A bereits im

Dezember 2009 aufrechnen können. Folglich ist die Aufrechungs-

lage bereits im Dezember gegeben und die 3 Jahres Frist ist doch

noch nicht abgelaufen. Mithin ist der Anspruch des A gegen B auf

Schadensersatz in Höhe von 2.500€ gemäß §§ 280, I, III, 281 nicht

verjährt und somit durchsetzbar.

Demzufolge ist A Gläubiger der Gegenforderung und zugleich

Schuldner der Hauptforderung und B ist Gläubiger der Hauptforde-

rung und Schuldner der Gegenforderung. Folglich liegt Gegensei-

tigkeit vor. Weiterhin müsste auch Gleichartigkeit vorliegen. Dies

ist bei Gattungsschulden über vertretbare Sachen im Sinne von §

91und bei Geldschulden der Fall. Vorliegend handelt es sich um

Geldschulden. Gleichartigkeit liegt mithin vor. Schließlich müsste

die Gegenforderung durchsetzbar und die Hauptforderung erfüllbar

sein. Wie bereits oben geprüft ist der Anspruch des A (Gegenfor-

derung) sowohl fällig als auch durchsetzbar. Weiterhin müsste die

Hauptforderung erfüllbar sein. Erfüllbarkeit meint ab wann der

Schuldner die Leistung bewirken darf. Diese ist gemäß § 271 so-

fort. Folglich ist Erfüllbarkeit auch gegeben.

iii) Zwischenergebnis

Die Vorraussetzungen der Aufrechungslage liegen mithin alle vor.

Schließlich dürfte die Aufrechnung nicht ausgeschlossen sein. Vor-

liegend ist dafür nichts ersichtlich. Folglich gelten die Forderungen

gemäß § 389 als erloschen, soweit sie sich decken.

Vorliegend kann B von A 15.000€ verlangen und A von B 2.500€.

Somit bleibt dem B eine Forderung gegen A in Höhe von 12.500€.

e) Zwischenergebnis

Der Anspruch des B gegen A ist durch Aufrechnung untergegan-

gen, jedoch nur soweit sich die Forderungen decken.

III) Ergebnis

B hat gegen A einen Anspruch auf Zahlung von 2.500€ gemäß §

433 II.

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Ihre Klausur stellt eine sehr erfreuliche Leistung dar. Sie sehen nahezu alle Probleme der Klausur und

lösen diese zutreffend. Ihre Argumentationsweise überzeugt. Sie übersehen leider das Problem um §

300 II und den möglichen Rücktritt, der jedoch mangels Fristsetzung, nicht wirksam ist.

Des Weiteren verweise ich auf die Randbemerkungen.

Sehr schön! Bestätigung der ersten Klausur auf sehr hohem Niveau! Glückwunsch!

Ihre Leistung ist deshalb mit

15 Punkten (gut)

bewertet.

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1. Klausur für Anfänger im Strafrecht 2011

Prof. Dr. Thomas Raab

Der in Nürnberg ansässige V möchte sich eine neue Musikanlage anschaffen und deshalb seine alten

Lautsprecherboxen der Marke „A & O Typ 620“ verkaufen. Er inseriert daher auf einer Internetplatt-

form, auf der registrierte Nutzer Waren zum Verkauf anbieten können. In dem Inserat heißt es:

„Verkaufe 2 Boxen Marke „A & O Typ 620“. Preis Verhandlungssache. Standort der Ware: Nürnberg.

Bei Abholung Übergabe gegen Barzahlung vor Ort. Versendung innerhalb Deutschlands mit Paket von

Deutscher Paketdienst AG (DPD) möglich. Versandkosten 11,50 €. Versendung erfolgt 3 Tage nach

Zahlungseingang.“

Auf das Inserat meldet sich der Musikliebhaber K aus Köln, der zwar leidenschaftlich gerne Musik hört,

jedoch nur über ein begrenztes Budget verfügt. Er interessiert sich sofort für das Angebot. Beide einigen

sich darauf, dass V dem K die Boxen zum Preis von 450 € verkauft. Da K sich die Fahrt nach Nürnberg

ersparen möchte, bittet er den V, die Ware – wie im Inserat angeboten – an seinen Wohnort nach Köln

zu versenden. V erklärt sich hierzu zu den angegebenen Konditionen bereit. Nachdem K 461,50 € (Preis

für die Boxen zzgl. Versandkosten) auf das Konto des V überwiesen hat, verpackt V die Boxen ord-

nungsgemäß und gibt sie als an K adressiertes Paket bei der Annahmestelle des DPD ab.

Auf dem Transport gerät das Fahrzeug des DPD aufgrund einer leichten Unaufmerksamkeit des Fahrers

X von der Fahrbahn ab und stürzt eine Böschung hinunter. Während X nur leichte Verletzungen erleidet,

werden die Boxen irreparabel beschädigt.

Frage 1: K möchte wissen, ob er von V Erfüllung des Vertrages verlangen kann. Insbesondere möchte

er wissen, ob er einen Anspruch darauf hat, dass V ihm andere Boxen der Marke A & O 620 liefert.

Schließlich wisse er, dass solche Boxen am Markt verfügbar seien. Hat K einen solchen Anspruch?

Frage 2: Falls K von V nicht die Lieferung anderer Boxen verlangen kann, möchte er wenigstens den

Kaufpreis von 450 € erstattet haben. Kann er dies verlangen?

Frage 3: Der DPD leistet an V im Rahmen der Transportbedingungen einen Ersatz für die Beschädigung

der Boxen in Höhe von 500 €. Kann K verlangen, dass V diesen Betrag an ihn auszahlt?

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80

Gutachten

Richtig, aber angesichts des

unproblematischen Vertrags-

schlusses zu ausführlich, eine

knappe Zusammenfassung

hätte genügt (richtige Schwer-

punktsetzung)

Sehr schön!

Prinzipiell ja, aber nicht im-

mer: Denken Sie etwa an die

Vorratsschuld, wo die Be-

schaffungspflicht nicht auto-

matisch der Gattungsschuld

folgt. Die zwei Voraussetzun-

gen (Gattungsschuld und

Übernahme des Beschaffungs-

risikos) müssen also kumulativ

vorliegen. Außerdem hatten V

und K sich laut Sachverhalt

gerade über den Verkauf der

Boxen geeinigt, nicht irgend-

welcher Boxen der Marko

A&O Umkehrschluss aus

§ 311 a I.

Frage 1: Anspruch des K gegen V aus § 433 I 1 BGB auf Übereig-

nung der Boxen.

K könnte gegen V einen Anspruch auf Übereignung der Musikbo-

xen aus § 433 I 1 haben.

Dazu müsste zwischen K und V ein wirksamer Kaufvertrag gemäß

§ 433 zustande gekommen sein.

I. Vertragsschluss

Ein Vertrag kommt durch zwei inhaltlich übereinstimmende und

aufeinander gerichtete Willenserklärungen (WE) zustande, gemäß

§§ 145 ff Angebot und Annahme.

In der Anzeige des V auf der Internetplattform könnte ein Angebot

zu sehen sein. Ein Angebot ist eine einseitige empfangsbedürftige

WE, die die wesentlichen Vertragsbestandteile enthält, indem sie

die Vertragsschließung anbietet. Vorliegend wird angegeben, dass

der Preis Verhandlungssache ist. Der Vertrag ist damit nicht be-

stimmt genug. Indem der V sich durch diese Anzeige i.Ü. auch

nicht jedem Interessenten gegenüber rechtlich binden will, fehlte es

dazu am nötigen Rechtsbindungswillen. Folglich liegt darin keine

Willenserklärung.

Im Weiteren heißt es, dass V dem K die Boxen zu 450 € verkauft.

Eine Einigung, in Form von Angebot und Annahme gemäß §§ 145

ff, liegt damit vor. Folglich ist ein wirksamer Kaufvertrag zustande

gekommen. Der Anspruch des K ist damit zunächst entstanden.

II. Erlöschen des Anspruchs

Der Anspruch könnte aber durch eine rechtsvernichtende Einwen-

dung erloschen sein. In Betracht kommt der Ausschluss der Leis-

tungspflicht gemäß § 275 I. Dazu müsste die Leistungserbringung

dem Schuldner oder jedermann unmöglich sein. Unmöglichkeit ist

die endgültige Nichterbringbarkeit der geschuldeten Leistung. Vor-

liegend wurden die Boxen irreparabel zerstört. Somit kann der V

dem K das Eigentum an der geschuldeten Leistung, nämlich funk-

tionsfähige Boxen, nicht mehr verschaffen. Somit ist die Leistung

grds. nicht möglich. Den V könnte eine Beschaffungspflicht tref-

fen. Dies wäre der Fall, wenn eine Gattungsschuld vorläge. Eine

Gattungsschuld wird erst dann unmöglich, wenn die gesamte Gat-

tung untergeht. Bei der Gattungsschuld ist die Leistung durch all-

gemeine Merkmale bestimmt und eben nicht individuell gekenn-

zeichnet. Vorliegend sind die Boxen einerseits durch das allge-

meine Merkmal des Typs „ A & O Typ 620“ bestimmt. Jedoch sind

es alte Boxen des V. Sie weisen damit individuelle Gebrauchs- und

Abnutzungsspuren auf. Dies stellt eine individuelle Kennzeichnung

dar. Somit liegt keine Gattungsschuld vor, sondern eine Stück-

schuld. Folglich ist das Schuldverhältnis nur auf diese eine (zer-

störte) Box beschränkt. Indem eben diese zerstört sind, ist es jeder-

mann unmöglich, die geschuldete Leistung zu erbringen (obj. Un-

möglichkeit). Da der Zustand der Nichterbringbarkeit der Leistung

erst nach dem Vertragsschluss mit K eingetreten ist, handelt es sich

ferner um nachträgliche Unmöglichkeit. Somit ist die Leistungs-

pflicht des V gemäß § 275 I ausgeschlossen.

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81

Sehr schön

Der Anspruch des K ist folglich gemäß § 275 I erloschen.

III. Ergebnis

K hat gegen V keinen Anspruch auf Übereignung der Boxen aus §

433 I 1.

Frage 2: Anspruch des K gegen V auf Rückzahlung des Kaufpreises

i.H.v. 450 € aus §§ 326 I 1, IV, 346 I.

K könnte gegen V einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufprei-

ses i.H.v. 450 € aus §§ 326 I 1, IV, 346 I haben. Dazu müsste die

Hauptleistungspflicht des Schuldners aus dem gegenseitigen Ver-

trag gemäß § 275 I-III entfallen sein und K seine Leistung schon

bewirkt haben.

I. Gegenseitiger Vertrag

Zunächst müsste es sich bei dem Vertrag um einen gegenseitigen

handeln, wie sich aus der systematischen Stellung des § 326 ergibt

(Titel 2, Buch 2). Ein gegens. Vertrag begründet Pflichten, die im

Synallagma stehen und die nur begründet werden, weil und damit

der andere leistet („do ut des“). Vorliegend haben K und V einen

Kaufvertrag gemäß § 433 geschlossen (s.o.). Diesen schließen sie

nur, damit K den Preis zahlt und V diesem das Eigentum an den

Boxen verschafft. Folglich liegt ein gegenseitiger Vertrag vor.

II. Ausschluss der Leistungspflicht des V gemäߧ 275 I-III

Die Hauptleistungspflicht des V müsste gemäߧ 275 I-III ausge-

schlossen sein, damit die Pflicht zur Kaufpreiszahlung gemäß § 326

I 1 entfiele. Hier ist die Leistung des V gemäß § 275 I unmöglich

geworden und somit ausgeschlossen (s.o.). Indem die Eigentums-

verschaffung gemäß § 433 I 1 eine Hauptleistungspflicht darstellt,

ist die Pflicht des K zur Kaufpreiszahlung grds. entfallen.

III. Bewirken der Leistung

K müsste die Kaufpreiszahlung schon an den V gemäß § 326 IV

bewirkt haben. Dazu müsste K dem V gemäß § 362 I Eigentum an

den Geldzeichen (450 €) verschafft haben. Problematisch ist, dass

K das „Geld“ überweist. Dies könnte eine andere als die geschul-

dete Leistung darstellen. Indem V dem K aber die Leistung nach

Köln versendet, anstatt dass K sie bei V abholt, muss es log. Kon-

sequenz sein, dass K das Geld überweisen wird. Indem V also zu-

stimmt, die Ware zu versenden, stimmt er konkludent auch der

Überweisung des Kaufpreises zu. Somit wurde dem V durch den K

die geschuldete Leistung gemäß § 326 I bewirkt. Somit kann K die-

ses grds. zurückfordern.

IV. Übergang der Preisgefahr an K

Jedoch könnte die Preisgefahr, d.h. dass er die Leistung nicht erhält,

aber dennoch zur Zahlung verpflichtet ist, auf K übergegangen sein.

1. gemäß § 326 II

Die Preisgefahr könnte gemäß § 326 II auf ihn übergegangen sein.

Dazu müsste K die Unmöglichkeit alleine oder weitüberwiegend zu

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82

Ok, war aber in dieser Aus-

führlichkeit nicht erforderlich

Leider zu knapp. Es war kurz

anzuprüfen, ob X’s Verschul-

den dem K nach § 278 analog

zurechenbar ist i.E. aber (-)

Sehr gut!

verantworten haben. Dies ist jedoch nicht ersichtlich. Auch dass K

sich gemäß §§ 293 ff in Verzug befunden hat, ist nicht ersichtlich.

Folglich ist die Preisgefahr nicht gemäß § 326 II auf K übergegan-

gen.

2. gemäß § 447 I

Jedoch könnte er gemäß § 447 I zur Zahlung verpflichtet sein. Dazu

müsste V die Ware an einen anderen Ort als den Erfüllungsort auf

Verlangen des K versendet haben.

a) Versendung der verkauften Sache

V müsste die Boxen versendet haben. Indem er sie an das Trans-

portunternehmen DPD übergeben hat und losgeschickt hat, hat er

die verkaufte Sache versendet.

b) anderen Ort als Erfüllungsort

V müsste die Ware an einen anderen Ort als den Erfüllungsort ver-

sendet haben. Erfüllungsort meint den Ort, an dem die Leistungs-

handlung vollzogen wird (Leistungsort). Dabei ist zu bestimmen,

welche Art der Schuld vorliegt. Gemäß § 369 I liegt im Zweifel

eine Holschuld vor. Vorliegend haben V und K sich geeinigt, dass

die Ware auf Kosten des K zu dessen Wohnort versenden soll. In-

dem damit der Erfolgsort nicht bei V liegt, liegt keine Hohlschuld

gemäß § 269 I vor.

Es könnte darin eine Schickschuld zu sehen sein. Dabei liegt Leis-

tungsort beim Schuldner, Erfolgsort beim Gläubiger. Gemäß § 269

III geht hervor, dass im Zweifel bei Versendung eben eine solche

Schickschuld vorliegt. Besonders, dass K die Transportkosten über-

nimmt, lässt darauf schließen, dass keine Bringschuld (Leistungs-

und Erfolgsort liegen beim Gläubiger) vereinbart wurde. Folglich

liegt eine Schickschuld vor. Bei dieser ist Leistungsort der Wohn-

sitz des Schuldners. Leistungsort ist danach Nürnberg, Wohnort des

V. Indem V die Boxen nach Köln versendet, schickt er sie an einen

anderen Ort als den Erfüllungsort (bzw. Leistungsort). Diese Vo-

raussetzung liegt folglich vor.

c) auf Verlangen des Käufers

Diese Versendung müsste auf Verlangen des Käufers, also hier K,

geschehen sein. Hier bittet K den V, dass er die Ware zu ihm nach

Köln versenden solle, wie es in der Anzeige angeboten wird. Indem

der V grds. die Abholung der Ware in Nürnberg bevorzugte, müsste

K ihn erst bitten, die Boxen zu versenden. Folglich geschieht es auf

Verlangen des Käufers.

d) Zufälliger Untergang der Kaufsache

Die Kaufsache müsste zufällig untergegangen sein. D.h., dass we-

der K, noch V den Untergang der Sache zu vertreten haben. (Gem.

§ 276 I Vorsatz und Fahrlässigkeit) Die Zerstörung der Sache be-

ruht auf einer leichten Fahrlässigkeit des Frachtführers X. Fraglich

ist, ob dieses Verschulden dem V gemäß § 278 als eigenes zuge-

rechnet werden kann. Dazu müsste X Erfüllungsgehilfe des V sein.

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83

Genau, gut gesehen (erst-

recht-Argument aus § 269 III)

Ungeschriebene Vorausset-

zung, ergibt sich aber aus der

Rechtsfolge der Norm.

Erfüllungsgehilfe ist, wer mit Wissen und Wollen des Geschäfts-

herren in dessen Pflichtenkreis zur Erfüllung einer diesem oblie-

genden Verbindlichkeit tätig wird. Hier will und weiß der V, dass

X für ihn tätig wird. Indem der V mit der Übergabe der Sache an X

bei der Schickschuld seine Leistungshandlung vollzogen hat, wird

er nicht mehr im Pflichtenkreis des V tätig. Somit ist er kein Erfül-

lungsgehilfe. Das Verschulden des X kann ihm nicht gemäß § 278

zugerechnet werden. Sonst verpackt V die Ware auch ordnungsge-

mäß Eine Verantwortlichkeit des K für den Untergang der Sache ist

auch nicht ersichtlich. Keine der beiden hat damit die Unmöglich-

keit zu vertreten. Somit ist die Leistung zufällig untergegangen.

e) Übergabe an Frachtführer

Dazu müsste der V die Sache an das Transportunternehmen über-

geben haben. Hier gibt er es bei der DPD Annahmestelle ab. Folg-

lich hat V die Sache an das Transportunternehmen übergeben.

f) kein Ausschluss gemäß § 474 II

Die Anwendung des § 447 I dürfte nicht gemäß § 474 II ausge-

schlossen sein. Dazu dürfte es sich nicht um einen Verbrauchsgü-

terkauf handeln. Dazu müssten V und K jeweils Verbraucher ge-

mäß § 13 oder Unternehmer gemäß § 14 sein. K und V könnten

beide Verbraucher gemäß § 13 sein. Verbraucher ist, wer einen

Vertrag zum Zwecke abschließt, der weder der gewerblichen noch

selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann.

Beide sind hier Musikliebhaber, aber es ist nicht erkennbar, dass sie

den Vertrag zu beruflichen Zwecken abschließen. Indem beide zu

privaten Zwecken handeln, sind beide Verbraucher gemäß § 13. Ein

Verbrauchsgüterkauf liegt nicht vor. Somit ist die Anwendung

nicht gemäß § 474 II ausgeschlossen.

g) Zwischenergebnis

Folglich ist die Preisgefahr mit Übergabe an das Transportunter-

nehmen an K übergegangen. Folglich bleibt er gemäß § 447 I zur

Kaufpreiszahlung verpflichtet.

V. Ergebnis

K hat gegen V keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises

(450 €) aus §§ 326 I 1, IV, 346 I.

Frage 3:

Anspruch des K gegen V aus § 285 I auf Herausgabe der 500 €.

K könnte gegen V einen Anspruch auf Herausgabe der 500 € aus §

285 I haben. Dazu müsste V infolge des Umstandes, auf Grund des-

sen er die Leistung nach § 275 nicht zu erbringen braucht, einen

Ersatz oder Ersatzanspruch erlangt haben.

I. Schuldverhältnis

Dazu müsste zw. V und K zunächst ein Schuldverhältnis bestehen.

Ein solches kommt gemäß § 311 I durch Vertrag oder Gesetz zu-

stande. Hier haben beide einen Vertrag gemäß § 433 geschlossen

(s.o.). Ein Schuldverhältnis liegt folglich vor.

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84

Richtig, aber etwas zu knappe

Ausführung an dieser Stelle.

Hat sich darüber hinaus auch

eine typische Transportgefahr

realisiert? (Umstr. Hier aber

jedenfalls (+), sodass keine

Entscheidung erforderlich ist)

Sehr schön

Etwas zu knapp

Aber: geht der Anspruch auf

450 € (=Kaufpreis) oder auf

500 € (=ausgezahlter Ersatz)?

II. Leistungsausschluss gemäß § 275 I-III

Die Leistung des V müsste gemäß § 275 I-III ausgeschlossen sein.

Indem die Boxen zerstört werden, ist ihm die Leistung unmöglich

geworden. Folglich ist die Leistung gemäߧ 275 I ausgeschlossen

(s.o.)

III. Erlangung eines Surrogats

V müsste einen Ersatz oder Ersatzanspruch erlangt haben. Hier er-

hält er von der DPD 500 € für die Beschädigung. Folglich erlangt

V einen Ersatz.

IV. „Kausalität“

Diesen Ersatz müsste V gerade infolge des Umstandes erlangt ha-

ben, infolgedessen die Leistung unmöglich geworden ist. Hier

wurde dem V die Leistung durch Zerstörung der Boxen unmöglich

(physische Unmöglichkeit) aufgrund der leichten Fahrlässigkeit

des X, Transporter der DPD. V erhält von der DPD im Rahmen der

Transportbedingt eben einen Ersatz für die Beschädigung der Bo-

xen. Somit erlangt V die 500 €, den Ersatz, gerade infolge des Um-

standes, aufgrund dessen die Leistung unmöglich ist. Kausalität

liegt folglich vor.

V. Identität

Zwischen der unmöglich gewordenen Leistung und dem Ersatz

müsste eine Identität bestehen. Der Ersatz müsste die Leistung ge-

rade nach wirtschaftlicher Betrachtung ersetzen. Hier erhält V die

500 € gerade für die Zerstörung der Boxen. Die 500 € sollen den

Verlust der Boxen gerade wirtschaftlich ersetzen. Die notwendige

Identität liegt folglich vor.

VI. Ergebnis

K hat gegen V einen Anspruch auf Herausgabe des Ersatzes i.H.v.

500 € aus § 285 I.

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Ihre Arbeit ist sehr gut gelungen! Sie sehen alle Probleme und lösen diese ansprechend. Den Gutach-

tenstil beherrschen Sie mühelos und Sie setzen zudem genau die richtigen Schwerpunkte.

Schön ist bei der Frage 1, dass Sie zügig und übersichtlich prüfen. Die Leistungspflicht des V wird

genau herausgearbeitet.

Auch die Bearbeitung der Frage 2 kann rundum überzeugen. Besonderes Systemverständnis zeigen Sie,

indem Sie § 326 II BGB und § 447 BGB als Ausnahme zur Grundregel des § 326 I 1 BGB darstellen

und genau subsumieren. Positiv fällt zudem auf, dass Sie auf § 474 BGB eingehen.

Auch die Prüfung des § 285 BGB iRd Frage 3 enthält die wesentlichen Elemente. Zu ergänzen gewesen

wären noch Überlegungen zu der Frage, ob K auch dann den vollen Betrag verlangen kann, wenn die

Boxen nur den Kaufpreis wert sind. Auch § 326 III BGB hätte erwähnt werden können.

Fazit: Frage 1 und Frage 2 sind geradezu mustergültig gelöst. Die kleinen Einschränkungen bei Frage 3

können am rundum positiven Gesamteindruck kaum etwas ändern. Insgesamt handelt es sich um eine

besonders hervorragende Leistung.

sehr gut (16 Punkte)

Herzlichen Glückwunsch zu einer wirklich außergewöhnlich guten Klausur!

(Raab)

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1. Klausur für Anfänger im Zivilrecht (04.05.2012)

Prof. Dr. Peter Reiff

Janina Juppie (J) hat ihr Jurastudium nach einem Semester geschmissen und will nun in Trier ein Ge-

schäft für Tischdekoration und Tafelsilber mit dem Namen „Janina Juppie – Elegant Speisen“ eröffnen.

Da sie jedoch der festen Überzeugung ist, dass man als junge Unternehmerin auch Angestellte braucht,

stellt sie die Soziologiestudentin (S) und die Politikstudentin (P) ein.

Obwohl S von J die vollen Befugnisse einer Verkäuferin erhält, steht in ihrem Arbeitsvertrag, dass sie

in ihrer Probezeit (6 Monate ab Geschäftseröffnung) keine Geschäfte im Wert von über 500 € hinaus

tätigen darf. P hingegen soll lediglich im Lager arbeiten.

Am Eröffnungstag kommt der lokale Nachtklubbesitzer (N) mit einem Fernsehkamerateam in den La-

den. N teilt der hinter dem Tresen stehenden S mit, dass er bei der Fernsehsendung „Das perfekte Din-

ner“ teilnehme und gerne für seine Tischdekoration noch Serviettenringe kaufen würde. Nachdem S

dem unentschlossenen N einige Exemplare gezeigt hat und die Ladentheke von Serviettenringen über-

säht ist, einigen sich beide auf 6 Edelstahlserviettenringe zu je 10 €. Vor lauter Nervosität, dass sie nun

ins Fernsehen kommt, vergreift sich S jedoch beim Einpacken und packt statt der 6 edelstahlservietten-

ringe 6 Silberserviettenringe zum Preis von 50 € das Stück für N ein.

Erst nach einer Stunde bemerkt sie ihr Versehen und bricht, weil sie sowieso schon nah am Wasser

gebaut ist, in einen lauten Weinkrampf aus. P, die das Geheul bis ins Lager hört, beruhigt S und meint,

dass sie das schon regeln werde. P, die die Telefonnummer des n im Telefonbuch ausfindig macht, ruft

bei diesem an. Am Telefon meldet sich P als P, eine Kollegin der Verkäuferin S aus dem Tischdekora-

tionsgeschäft. Dann berichtet sie N von dem Missgeschick der S, das sie (P) gerade erst festgestellt habe,

und verlangt die Silberserviettenringe aus diesem Grund im Namen der Geschäftsinhaberin Janina Jup-

pie zurück. N sagt jedoch, dass das nicht sein Problem sei und er nichts dergleichen beabsichtige.

Als P mittags der zuvor im Laden nicht anwesenden J von ihrem Telefonat mit N und dem Missgeschick

der S erzählt, äußert J der P ihren Dank und meint, dass sie sich nun bzgl. der Serviettenringe an einen

Anwalt wenden werde. Dann verschwindet sie wieder aus dem Laden.

S, die am Nachmittag wieder zu Kräften gekommen ist, begrüßt jetzt im Laden die nächste Kundin.

Dabei handelt es sich um Tina Tussi (T), die vormals beste Freundin der J. Diese kauft bei S einen

Tischkerzenleuchter im Wert von 600 € für ein romantisches Candle-Light-Dinner mit ihrem neuen

Freund, den sie erst vor einer Woche der J ausgespannt hatte, was S allerdings nicht weiß. Da T erst am

morgigen Tag ihren monatlichen Unterhalt auf ihrem Bankkonto erwartet, teilt sie der S mit, dass sie

den Leuchter auch erst morgen bezahlen und abholen werde. Als T am nächsten Tag in den Laden

kommt, um den Leuchter abzuholen, traut J, die an diesem Tag selber hinter der Kasse steht, ihren Augen

nicht. Auf die Frage der T, ob sie denn nun den Kerzenleuchter bezahlen und abholen könne, erfolgt

eine heftige Schimpfkanonade der J und der Rausschmiss der T aus dem Laden.

Aufgabe 1: Kann J von N die 6 Silberserviettenringe wieder herausverlangen? (75 %)

Aufgabe 2: Hat T gegen J einen Anspruch auf Übereignung und Übergabe des Kerzenleuchters?

(25 %)

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Gutachten

Gestaltungsrecht

Gut

J könnte gegen N einen Anspruch auf Herausgabe der 6 Silberser-

viettenringe haben gemäß § 985 .

Hierzu müsste J Eigentümer und N Besitzer der Ringe sein ohne

Recht zum Besitz (§ 986 I). Die Ringe sind körperliche Gegen-

stände und mithin eine Sache im Sinne des § 90.

J müsste Eigentümerin sein. Das Eigentum ist die rechtliche Herr-

schaft über eine Sache. J war mal Eigentümerin. Sie könnte das Ei-

gentum an N verloren haben gemäß § 929. Hierzu bedarf es einer

Einigung sowie der Übergabe der Sache.

Eine Einigung ist ein dinglicher Vertrag, bestehend aus zwei über-

einstimmenden Willenserklärungen. Vorliegend hat jedoch nicht

die J selbst, sondern die S eine Willenserklärung abgegeben. Diese

könnte der S zugerechnet werden, wenn S die J wirksam vertreten

hat (§§ 164 ff.). Hierzu müsste S eine eigene Willenserklärung in

fremden Namen mit Vertretungsmacht abgegeben haben.

Eigene Willenserklärung

Die Abgrenzung zwischen einer eigenen (Vertreter) und einer

fremden (Bote) Willenserklärung bestimmt sich nach dem Ent-

scheidungsspielraum des Erklärenden und wie dieser nach außen

hin erkennbar war. S präsentiert dem N mehrere Serviettenringe

und hat einen freien Entscheidungsspielraum was dies betrifft. Dies

muss für N auch erkennbar sein. Folglich hat S eine eigene Wil-

lenserklärung abgegeben.

In fremden Namen (Offenkundigkeitsprinzip)

Ferner müsste die S in fremden Namen gehandelt haben. S äußert

dies nicht ausdrücklich. Jedoch ergibt sich aus dem Umständen,

dass bei einem solchen unternehmensbezogenen Geschäft die Ver-

träge regelmäßig mit dem Ladeninhaber zustande kommen (§ 164

S. 2). Das Offenkundigkeitsprinzip wurde gewahrt.

Mit Vertretungsmacht

S müsste ebenso mit Vertretungsmacht gehandelt haben. In Frage

kommt eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht, Vollmacht (§

166 II). Diese wurde der S konkludent mit Einstellung als Verkäu-

ferin erteilt (§ 169 I Alt. 1). Die Vollmacht ist begrenzt auf 500 €.

S übergibt Ringe im Wert von 300 €. Somit handelte S innerhalb

ihrer Vertretungsmacht.

S hat die J wirksam vertreten. Folglich haben sich S und N geeinigt.

Fraglich ist, ob die Einigung nicht rückwirkend unwirksam wird

(ex tunc) gemäß § 142 I.

Hierzu müsste J wirksam angefochten haben (§ 166 I). Vorliegend

hat weder S noch J gehandelt, sondern P. P müsste also als Vertre-

terin der J gehandelt haben. Hierzu müsste sie eine eigene Willens-

erklärung in fremden Namen mit Vertretungsmacht geäußert ha-

ben. Die Anfechtung ist ein Wahlrecht, folglich hatte P Entschei-

dungsspielraum und eine eigene Willenserklärung abgegeben. Sie

äußert diese auch im Namen der J, also unter fremden Namen. Fer-

ner müsste sie mit Vertretungsmacht gehandelt haben. P wurde als

Lagerkraft eingestellt und ihr wurde keinerlei Vertretungsmacht

eingeräumt. Folglich handelte die P als Vertreter ohne Vertretungs-

macht. Problematisch ist, ob diese überhaupt einseitige Rechtsge-

schäfte, wie die Anfechtung, tätigen können. Grundsätzlich ist dies

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Schön!

nicht möglich (§ 180 S. 1). Vorliegend hat N jedoch die Vertre-

tungsmacht nicht beanstandet und somit finden die Vorschriften

über Verträge Anwendung (§ 180 S. 2).

Für eine wirksame Anfechtung benötigt man einen Anfechtungs-

grund, eine Erklärung innerhalb der Frist.

Anfechtungsgrund

In Frage kommt ein Erklärungsirrtum (§ 119 I Alt. 2). Dieser ist

gegeben, wenn der Erklärende diesen Inhalt gar nicht abgeben

wollte. Er irrt über die Erklärungshandlung. Vorliegend hat zwar

die S und nicht die P sich vergriffen, dies ist allerdings der J zuzu-

schreiben gemäß § 166 I. Das Vergreifen gilt als typischer Erklä-

rungsirrtum. Somit liegt ein Anfechtungsgrund vor.

Anfechtungserklärung

P müsste eine wirksame Erklärung äußern, Diese ist gemäß § 143 I

dem Vertragspartner gegenüber zu äußern und es muss deutlich

werden, dass man am Vertrag nicht mehr festhalten möchte. P for-

dert dem N gegenüber, dass sie die Ringe wieder haben möchte und

somit an der dinglichen Einigung nicht mehr festhalten will.

Anfechtungsfrist

Die Anfechtung muss unverzüglich nach Kenntnis über den Irrtum

erfolgen. Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern. P ruft

direkt bei N an. Somit wurde die Frist gewahrt.

Es liegt zwar eine Anfechtung vor, fraglich ist jedoch ob diese auch

wirksam ist. Nach § 199 I i.V.m. S. 2 ist die Anfechtung schwebend

unwirksam bis zur Genehmigung des Stellvertretenen. J äußert P

ihren Dank über den Anruf bei N. Hierin liegt eine konkludente

Genehmigung der Anfechtung. Die Anfechtung wird gemäß § 184 I

rückwirkend wirksam. Die Willenserklärung der S ist rückwirkend

nichtig (§ 142 I).

Somit liegt keine Einigung vor. J hat das Eigentum an den Ringen

nicht gemäß § 929 S. 1 verloren.

Besitzer

N müsste Besitzer der Ringe sein. Der Besitz ist die tatsächliche

Herrschaft über eine Sache. N hat die Ringe bei sich und ist somit

Besitzer.

Ohne Recht zum Besitz

N könnte ein Recht zum Besitz haben (§ 986 I). In Frage kommt

ein Kaufvertrag.

Ein Kaufvertrag ist ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, bestehend aus

zwei übereinstimmenden Willenserklärungen, Angebot und An-

nahme (§§ 145 ff.). S könnte durch das Präsentieren ein Angebot

gemacht haben. Ein Angebot ist eine einseitige empfangsbedürftige

Willenserklärung, welche die wesentlichen Vertragsbestandteile

(essentilia negotii) so vorträgt, dass die Annahme durch ein „Ja“

erfolgen kann. Vorliegend präsentiert S dem J 6 Silberservietten-

ringe zum Preis von je 10 €. Ein Angebot liegt somit vor. N hat

auch das Angebot über die Edelstahlringe angenommen. Ein Kauf-

vertrag über die Silberringe ist nicht zustande gekommen. N hat

kein Recht zum Besitz. J hat einen Anspruch gegen N auf Heraus-

gabe der Silberserviettenringe gemäß § 985.

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Keiner mit diesem Inhalt

Falsch! Abstraktheit der Voll-

macht

J könnte einen Anspruch auf Herausgabe der Silberringe gemäß

§ 812 I S. 1 Alt. 1 haben. Hierzu müsste N etwas durch Leistung

ohne Rechtsgrund erlangt haben.

N hat den Besitz an den Silberringen erlangt. Dies müsste durch

Leistung des J (stellvertreten durch S) geschehen sein. Damit ist

jede zweckgerichtete bewusste Mehrung fremden Vermögens

(doppelte Finalität) gemeint. S hat die Ringe dem N übergeben um

den vermeintlichen Kaufvertrag zu erfüllen. Hierzu dürfte es keinen

Rechtsgrund geben, das heißt kein Recht zum Behaltendürfen. In

Frage kommt ein Kaufvertrag. Wie bereits geprüft ist ein solcher

nicht entstanden. Es wurde ohne Rechtsgrund geleistet.

J hat einen Anspruch gegen N auf Herausgabe der Silberringe aus

§ 812 I Alt. 1.

T könnte gegen J einen Anspruch auf Übereignung und Übergabe

des Kerzenleuchters gemäß § 433 I haben. Hierzu müsste ein wirk-

samer Kaufvertrag zwischen T und J entstanden sein.

S und T haben sich auf einen Kerzenleuchter zum Preis von 600 €

geeinigt. Fraglich ist, ob die Willenserklärung der S der J zugerech-

net werden kann. Hierzu müsste eine wirksame Stellvertretung vor-

liegen. S, als Verkäuferin, hat einen eigenen Entscheidungsspiel-

raum und somit eine eigene Willenserklärung abgegeben. Konklu-

dent ergibt sich, dass sie dies im Namen des Ladeninhabers tut

(164 S. 2). Fraglich ist, ob S innerhalb ihrer Vertretungsmacht ge-

handelt hat. Diese war auf 500 € begrenzt. Somit hat S außerhalb

der ihr zustehenden Vertretungsmacht gehandelt. Dies bedeutet

nicht automatisch die Nichtigkeit. Der Vertrag ist schwebend un-

wirksam bis zur Genehmigung durch den Vertretenen (§ 144 I). Der

Rausschmiss der T stellt eine konkludente Verweigerung der Ge-

nehmigung dar. Somit ist der Vertrag endgültig unwirksam.

Die T hat keinen Anspruch gegen J auf Übereignung und Übergabe

des Kerzenleuchters gemäß § 433 I.

Sie prüfen § 985 und sehen alle dortigen Probleme. Umfassend am Gesetz arbeitend sehen Sie sowohl

Stellvertretungs- und Anfechtungsprobleme und behandeln diese sehr ansprechend. Der Anspruch nach

§ 812 I Alt. 1 gut geprüft und folgerichtig angenommen.

Im zweiten Teil wird das Problem der Vertretungsmacht gesehen und die Vertretungsmacht der S abge-

lehnt. Folgerichtig wird dann die schwebende Unwirksamkeit des Vertrags und eine Genehmigung

durch J erörtert.

Die Lösung ist durchgehend im Gutachtenstil verfasst und insgesamt sehr gut gelungen. Umfangreiche

Kenntnisse werden sichtbar und an der richtigen Stelle angebracht. Dabei wird sehr nah am Sachverhalt

gearbeitet. Ihre Lösung ist durchgängig strukturiert, logisch und konsequent.

Prima gemacht, weiter so!

14 Punkte (Gut)

Drittbeste Klausur mit zwei anderen von 414 Klausuren! Gratuliere zum dritten Platz!

(P. Reiff)

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2. Klausur für Anfänger im Zivilrecht (15.06.2012)

Prof. Dr. Peter Reiff

K möchte in der Trierer Innenstadt einen neuen Coffee-to-go Shop namens „Coffee Paradise“ eröffnen.

Hierzu kauft er bei Elektrogroßhändler E einen professionellen Kaffeeautomaten Modell „Super Mac-

ciato“ Nr. 1“ zum Preis von 8.200,- €. Im Kaufvertrag verpflichtet sich E, das Gerät auf eigene Kosten

bei K anzuliefern. Als Liefertermin vereinbaren E und K den 31.05. um 15:00 Uhr. Den Kaufpreis soll

K bei Lieferung entrichten. Da die große Eröffnungsfeier des Coffee-Shops für den 01.06. geplant ist,

benötigt K den Kaffeeautomaten dringend zu diesem Zeitpunkt. Jedoch vergisst K dem E dies mitzutei-

len.

Am 31.05. wartet K vergeblich auf die Lieferung des Geräts. Seine Versuche, den E telefonisch zu

erreichen, bleiben erfolglos. K, der die Eröffnung des Coffee-Shops durch mehrere Anzeigen im Trieri-

schen Volksfreund stark beworben hat und einen großen Besucheransturm erwartet, sieht sich deshalb

gezwungen, ab 01.06. eine vergleichbare Kaffeemaschine zum (angemessenen) Preis von 50,- € pro Tag

bei Gastronomiefachhändler G zu mieten.

Als K den E am 02.06. endlich telefonisch erreicht, entschuldigt sich dieser dafür, dass er den verein-

barten Liefertermin aufgrund seiner Auftragslage nicht einhalten konnte. K reagiert sehr aufgebracht

und fordert E auf, so schnell wie möglich zu liefern. E sagt zu K, das Gerät am nächsten Tag um 9:00

Uhr vorbeizubringen.

Am kommenden Tag schickt E seinen Angestellten A mit dem firmeneigenen Transporter rechtzeitig

los, damit dieser den Automat bei K abliefert. Allerdings steht der verdutzte A, als er zum verabredeten

Zeitpunkt bei K eintrifft, vor verschlossener Türe. K hatte aufgrund eines dringenden Termins plötzlich

weg gemusst und nicht mehr an die Lieferung des Kaffeeautomaten gedacht. A macht sich deshalb un-

verrichteter Dinge auf den Rückweg. Unterwegs kommt es infolge eines leichten Fahrfehlers des A zu

einem Unfall. Dabei wird der Kaffeeautomat derart beschädigt, dass er unbrauchbar ist.

K hat, als E ihm von dem Unfall berichtet, endgültig genug von dem Geschäft mit E und ist heilfroh, als

G ihm am nächsten Tag eine vergleichbare Kaffeemaschine zum Preis von 8.500,- € zum Kauf anbietet.

Er nimmt das Angebot dankend an. Am 05.06. wird die neue Maschine geliefert, den vermieteten Kaf-

feeautomaten nimmt G wieder mit.

E verlangt von K Zahlung des Kaufpreises. K verweigert dies und möchte von E Zahlung von 300,- €

wegen der teureren Maschine und 200,- € für die Miete vom 01. – 04.06.

Wie ist die Rechtslage?

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91

Gutachten

Und dadurch Befreiung gemäß

§ 326 I des K

A. Anspruch E gegen K aus § 433 II

E könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises in

Höhe von 8.200 € gemäß § 433 II haben.

I. Anspruch entstanden

Dazu müsste der Anspruch auf Kaufpreiszahlung zunächst entstan-

den sein. E und K haben einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen.

Somit ist der Anspruch auf Kaufpreiszahlung entstanden.

II. Anspruch untergegangen

Der Anspruch dürfte weiterhin nicht untergegangen sein.

1. Wirksamer Vertrag

Ein wirksamer Vertrag muss bestehen. Zwischen E und K besteht

ein wirksamer Kaufvertrag (s.o.).

2. Leistungsbefreiung des E gemäß § 275 I, II

a) Leistungsbefreiung nach § 275 I

Die Leistung des E könnte jedoch gemäß § 275 I ausgeschlossen

sein.

aa) Objektive oder subjektive Unmöglichkeit

Die Leistung könnte objektiv oder subjektiv unmöglich geworden

sein. Diese Möglichkeit besteht, wenn niemand die Leistung mehr

erbringen kann (objektive Unmöglichkeit) oder wenn nur ein Drit-

ter, nicht jedoch der Schuldner, die Leistung erbringen kann (sub-

jektive Unmöglichkeit). Dies ist vor allem der Fall, wenn die ge-

schuldete Leistung eine Stückschuld oder eine konkretisierte Gat-

tungsschuld ist.

(1) Stückschuld

Der geschuldete Gegenstand könnte eine Stückschuld sein. Eine

Stückschuld ist ein nur einmal existierender Gegenstand. K ent-

scheidet sich im Laden des E für einen Kaffeeautomaten des Mo-

dells „Super Macciato Nr. 1“. Ein bestimmter Kaffeeautomat des

Modells ist nicht gefordert. Somit handelt es sich um eine Gattungs-

schuld, nicht um eine Stückschuld.

(2) Konkretisierung, § 243 II

Die Gattungsschuld könnte sich aber zur konkretisierten Gattungs-

schuld (also zur Stückschuld) gewandelt haben. Damit eine Gat-

tungsschuld konkretisiert wird, muss der Schuldner alles Erforder-

liche zur Konkretisierung getan haben, § 243 II . Der Umfang des

Erforderlichen bestimmt sich nach der Art der Schuld.

a) Holschuld

Die Schuld könnte eine Holschuld sein, § 269 I . Wenn die Parteien

keine besondere Art der Schuld vereinbart haben, richtet sich die

geschuldete Leistung nach einer Holschuld. K und E haben verein-

bart, dass e die Kaffeemaschine zu K liefern soll. Es liegt somit eine

Absprache vor.

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92

Doch, ein Anbieten durch A ist

erfolgt. Nach dieser Logik

hätte es der Gläubiger immer

in der Hand, ob der Schuldner

zum Anbieten kommt! Indem

A klingelt bietet er an.

Die Konkretisierung ist nicht

an Annahmeverzug gebunden,

vielmehr treffen sie einfach

zusammen. Der Prüfungsort

für Annahmeverzug ist weiter

unten im Rahmes des § 326 I

S. 1 Alt. 2

Falsch!

§ 296 betrifft Handlungen des

Gläubigers die vorangehen

nicht Annahme selbst

Wiederholen Sie §§ 293 ff.

anhand der Folien der Vorle-

sung!

b) Bringschuld

Folglich könnte eine Bringschuld vorliegen. Für eine Bringschuld

muss der Schuldner die Ware aussondern, zum Wohn- oder Ar-

beitsort des Gläubigers bringen und diesem die Ware anbieten. E

und K haben vereinbart, dass E die Ware zum Wohnort des K lie-

fern soll. Es besteht somit eine Bringschuld.

Fraglich ist nun, ob E alle Voraussetzungen der Bringschuld erfüllt

hat, um die Ware zu konkretisieren, § 243 II . E hat eine Kaffeema-

schine ausgesondert, indem er diese zur Lieferung fertig gemacht

hat. Außerdem müsste er die Ware zum Wohnort des K geliefert

haben. E selbst hat nicht geliefert, sondern sein Angestellter A.

Fraglich ist, ob A Erfüllungsgehilfe des E war, § 278 . Erfüllungs-

gehilfe ist, wer mit Wissen und Wollen des Auftraggebers dessen

Verbindlichkeiten erfüllt. A wurde von E beauftragt, die Ware zu

liefern. E handelte somit mit Wissen und Wollen des E. Außerdem

ist er ein Angestellter des E, der die Ware zu einem Kunden liefern

sollte. A handelte somit auch um eine Verbindlichkeit des E zu er-

füllen. A war folglich der Erfüllungsgehilfe des E. Somit hat E die

Ware durch A zum Wohnort des K geliefert. Fraglich ist jedoch, ob

E die Ware dem K angeboten hat.

Der Erfüllungsgehilfe A des E konnte die Ware dem K nicht anbie-

ten, da dieser nicht anzutreffen war. Somit würde es eigentlich an

dieser Voraussetzung für die Konkretisierung fehlen. Eine Konkre-

tisierung könnte dennoch erfolgt sein, wenn K während der Liefe-

rung im Annahmeverzug war, § 293 ff. -

aa) Fälligkeit der Leistung

Dazu müsste die Leistung des E fällig gewesen sein. K und E hatten

den 03.06. um 09:00 Uhr für die Lieferung bestimmt. Die Leistung

ist demnach fällig

bb) Ablehnung der angebotenen Leistung

K müsste die angebotene Leistung auch abgelehnt haben, § 293 .

Problematisch ist jedoch, dass A ihm die Leistung nicht gemäß §

294 anbieten konnte, da K nicht anzutreffen war. Es könnte jedoch

die Ausnahme des § 296 bestehen. Demnach ist das tatsächliche

Angebot entbehrlich, wenn für die vorzunehmende Handlung eine

Zeit nach dem Kalender bestimmt ist, § 296 S. 1 . Abgemacht war

der 03.06. um 09:00 Uhr. Folglich war eine Zeit nach dem Kalender

bestimmt. Ein tatsächliches Angebot ist folglich entbehrlich.

Folglich hat E durch A alle erforderlichen Voraussetzungen der

Bringschuld erfüllt. Die Gattungsschuld ist somit zur Stückschuld

geworden, § 243 II .

(3) Objektive oder Subjektive Unmöglichkeit

Der Kaffeeautomat ist auf der Rückfahrt von K komplett unbrauch-

bar geworden. Demnach kann niemand mehr an K leisten. Es be-

steht eine objektive Unmöglichkeit. Folglich besteht die Leistungs-

befreiung des E nach § 275 I .

(4) Wegfall der Gegenleistungspflicht nach § 326 I

Durch den Wegfall der Leistung entfällt grundsätzlich die Gegen-

leistung, § 326 I . Die Leistung des E ist entfallen. Somit müsste

auch K von der Kaufpreiszahlung befreit sein. Es könnte jedoch die

Ausnahme des § 326 II bestehen.

(5) Verzug des Gläubigers, § 326 II 2. Alt.

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93

Die Pflichtverletzung ist die zu

vertretene Unmöglichkeit der

Leistung (vergleiche. Bespre-

chung)

K befand sich zur Zeit des Eintretens der Unmöglichkeit in Annah-

meverzug, § 293 ff. . Folglich behält E seinen Anspruch auf die

Gegenleistung

III. Anspruch durchsetzbar

Der Sachverhalt weist keine Erhebungen der Einrede seitens K auf.

Der Anspruch ist somit auch durchsetzbar.

4. Ergebnis

E hat gegen K einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung gemäß § 433

II .

B. Anspruch K gegen E aus §§ 280 I, III, 283 S. 1

K könnte gegen E einen Anspruch auf Zahlung der 300 € gemäß

§§ 280 I, III, 283 S. 1 haben.

I. Anspruch entstanden

Der Anspruch ist entstanden (s.o.).

II. Anspruch untergegangen

1. Wirksamer Kaufvertrag

(s.o.)

2. Unmöglichkeit der Leistung, §§ 280 III, 283 S. 1 i.V.m. § 275 I

Die geschuldete Leistung ist untergegangen und somit unmöglich

geworden (s.o.). Die Voraussetzungen der §§ 280 I, III, 283 S. 1

sind somit erfüllt.

3. Voraussetzungen des § 280 I

a) Schuldverhältnis

Ein wirksames Schuldverhältnis muss bestehen. Es liegt ein wirk-

samer Kaufvertrag vor. Folglich besteht ein Schuldverhältnis.

b) Pflichtverletzung

Des Weiteren müsste eine Pflichtverletzung des e bestehen. E hat

die Kaffeemaschine nicht an K übereignet, § 929 S. 1 . Folglich hat

E seine Pflicht aus dem Kaufvertrag verletzt.

c) Vertretenmüssen

Grundsätzlich hat der Schuldner Vorsatz und jede Fahrlässigkeit zu

vertreten, § 276 . E handelte jedoch nicht selbst. Somit ist § 276 für

ihn nicht einschlägig. Er könnte sich jedoch das Verhalten des A

gemäß § 278 zurechnen lassen. A ist der Erfüllungsgehilfe des E

(s.o.). Folglich muss E sich jedes Verhalten des A so zurechnen

lassen, wie sein eigenes Verschulden.

Fahrlässigkeit gemäß § 276 II meint das außer Acht lassen der im

Verkehr erforderlichen Sorgfalt. A hat während der Fahrt einen

leichten Fahrfehler begangen. Er handelte somit leicht fahrlässig.

Somit müsste E grundsätzlich für die Pflichtverletzung haften. Et-

was anderes gilt jedoch, wenn der Gläubiger sich im Annahmever-

zug befunden hat, §§ 293 ff. . K befand sich im Annahmeverzug

(s.o.). Somit richtet sich die haftung des Schuldners nach § 300 I .

Er hat folglich nur Vorsatz und grobe fahrlässigkeit zu vertreten. A

handelte leicht fahrlässig. Somit hat E die Pflichtverletzung nicht

zu vertreten.

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94

Zum Prüfungsaufbau verglei-

che Lösungsskizze und

Schlussbemerkung

4. Ergebnis

K hat keinen Anspruch gegen E auf Zahlung von 300 € aus §§ 280

I, III, 283 S. 1.

C. Anspruch K gegen E aus §§ 280 I, II, 286

K könnte gegen E einen Anspruch auf Zahlung von 200 € gemäß

§§ 280 I, II 286 haben.

I. Anspruch entstanden

(s.o.).

II. Anspruch untergegangen

a) Anspruch

K müsste einen Anspruch gegen E haben. Es bestand ein wirksamer

Kaufvertrag. K hatte somit einen Anspruch gegen E.

b) Fälligkeit

Der Anspruch müsste fällig sein. Grundsätzlich ist ein Anspruch

sofort fällig, § 271 I . Anderes gilt, wenn die Parteien eine Zeit aus-

gemacht haben. Ausgemacht war der 31.05. um 15:00 Uhr. Die

Leistung war somit fällig.

c) Einredefreiheit

Der Anspruch müsste einredefrei sein. E hat keine Einrede erhoben.

Somit ist der Anspruch einredefrei.

d) Mahnung, § 286 I S. 1

K müsste den E gemahnt haben. K konnte den E telefonisch nicht

erreichen. Folglich hat er ihn nicht gemahnt.

e) Entbehrlichkeit der Mahnung, § 286 II Nr. 1

Eine Mahnung ist entbehrlich, wenn für die Leistung eine Zeit nach

dem Kalender bestimmt ist. Ausgemacht war der 31.05. um 15:00

Uhr, also eine Zeit nach dem Kalender. Eine Mahnung ist somit

entbehrlich.

f) Vertretenmüssen, § 286 IV

E müsste den Verzug auch zu vertreten haben. Er wusste, dass er

am 31.05. liefern soll und hat dies aber nicht getan. Dass er nicht

wusste, wie dringend die Lieferung ist, ist unerheblich. Somit hat E

den Verzug nach § 276 I zu vertreten.

Die Voraussetzungen der §§ 280 II, 286 sind erfüllt.

3. Voraussetzung des § 280 I

a) Schuldverhältnis

(s.o.).

b) Pflichtverletzung

E hat die Leistung nicht zur geforderten Zeit erbracht. Somit hat er

seine Pflicht aus dem Vertrag verletzt.

c) Vertretenmüssen, § 276

(s.o.).

Page 95: zum kleinen Schein im Zivilrecht - Uni Trier · 1 Klausurensammlung zum kleinen Schein im Zivilrecht 22 Originalklausuren Stand: vor dem Sommersemester 2017 Gesamtausgabe

95

Aber am vierten Tag hätte er

die neue Maschine doch haben

können! Insoweit keine Pflicht

zum Schadensersatz des E,

vergleiche Besprechung.

d) Schaden

Dem K müsste durch das Nichtliefern des E ein Schaden entstanden

sein. K musste sich für die Zeit der Verzögerung eine Ersatzma-

schine von D für 50 e am Tag leihen. Diese braucht der vier Tage

lang. K ist somit ein Schaden von 200 € entstanden. Somit sind die

Voraussetzungen des § 280 I erfüllt.

4. Ergebnis

K hat gegen E einen Anspruch auf Zahlung der 200 € gemäß §§

280 I, II, 286

D. Gesamtergebnis

E hat gegen K einen Anspruch auf 8.200 € gemäß § 433 II. K hat

gegen E einen Anspruch auf 200 € gemäß §§ 280 I, II, 286. Die

Ansprüche lassen sich gegeneinander aufrechnen. E hat gegen K

einen Anspruch auf 8.000 €.

Der Anspruch gemäß § 433 II wird geprüft. Die Prüfung ist vollständig, wenn auch etwas unglücklich

aufgebaut. Die Ausführungen zur Unmöglichkeit sind richtig und vollständig, ebenso zum Annahme-

verzug.

Anspruch gemäß §§ 280 I, III, 283 gesehen und im Rahmen des Vertretenmüssens auf A abgestellt und

den Annahmeverzug haftungsmildernd berücksichtigt.

Anspruch gemäß § 280 I, II, 286 geprüft.

Der Gutachtenstil ist gelungen. Sie sollten sich noch mehr bemühen, jeden Teil Ihrer Prüfung einem

Großpunkt zuzuordnen. Beispielsweise kommt man nur zur Prüfung des § 275 , wenn man vorher erör-

tert, ob die Gegenleistungspflicht nach § 326 I entfällt, denn das ist der eigentliche Prüfungsgegenstand,

der der Prüfung des § 275 vorgelagert ist. Wenn Sie einfach so ohne Erläuterung in die Prüfung einstei-

gen wirkt das schnell laienhaft. Sie verfolgen ein Ziel mit der Prüfung – benennen Sie das immer. Sie

müssen außerdem bei der Prüfung der Schadensersatzansprüche den Prüfungsaufbau nacharbeiten: Er

ist immer gleich: Schuldverhältnis – Pflichtverletzung – Vertretenmüssen. Die jeweiligen Besonderhei-

ten, etwa des § 283 oder § 286 werden innerhalb der Punkte abgehandelt. Sehen Sie sich das in einem

Lehrbuch noch einmal an! Ansonsten sind die Ausführungen gut und vollständig.

10 Punkte (Vollbefriedigend)

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1. Klausur für Anfänger im Zivilrecht 2013

Prof. Dr. Hans-Friedrich Müller

G ist Inhaber eines Forstbetriebs im Hunsrück. Er möchte sich zum Fällen von Bäumen eine neue Ern-

temaschine zulegen. Der renommierteste Hersteller dieser Maschinen, H, hat seinen Sitz in München.

Da G nicht selber dorthin fahren möchte, will er den in München wohnhaften V bitten, ihm die Ernte-

maschine Typ Power205 zu besorgen. Bei der Power205 handelt es sich um ein mittelgroßes Modell

mit dem Listenpreis von 100.000€. G diktiert dazu seiner Sekretärin S einen Brief, indem er den V mit

dem Kauf betraut.

Obwohl G die richtige Bezeichnung der Maschine diktiert, schreibt S jedoch versehentlich Power305 in

den Brief. Die Power305 ist wesentlich größer und leistungsstärker, dafür allerdings auch teurer. G un-

terschreibt den Brief ohne den Fehler zu bemerken. Eine Preisangabe enthält der Brief nicht.

V kauft daraufhin im Namen der G Hersteller H eine Erntemaschine Typ Power305 zum Listenpreis

von 120.000€. Zwei Wochen später wird die Maschine geliefert. Als G bemerkt, dass es sich um das

größere und teurere Modell handelt, ist er entsetzt und erklärt umgehend gegenüber V und H, dass er

wegen des Versehens alles anfechte. H weist den Einwand des G zurück und verlangt Zahlung der

120.000€, zumindest jedoch die Erstattung der Transportkosten i.H.v. 1000€, egal von wem.

Auch privat hat G zur Zeit Probleme zu lösen. Seiner 13- jährigen Tochter T hat er mit Einverständnis

von Mutter M einen 20€ Schein gegeben um der T die Anschaffung eines neuen Füllers für die Schul-

arbeiten zu ermöglichen. T denkt jedoch nicht an die Schularbeiten und Füller, sondern geht lieber in

das Modegeschäft des L, um sich dort die schöne Kette zu kaufen, die sie schon seit Wochen im Schau-

fenster bewundert hat. L händigt der T die ausgesuchte Kette gegen Zahlung der 20€ aus. T bezahlt mit

dem Schein, den ihr G gegeben hat und den L in seine notorisch leere Kaffeekasse legt.

Als G nachmittags von seinem harten Arbeitstag nach Hause kommt, ist er entsetzt, als er von der neus-

ten „Errungenschaft“ seiner Tochter erfährt, mit der er aus grundsätzlichen Erziehungserwägungen nicht

einverstanden ist. Auch M ist schockiert. Sofort fahren G und M mit T zu L, um den Kauf der Kette

rückgängig zu machen und den 20€ Schein zurückzubekommen, der sich noch in der Kaffeekasse be-

findet. L geht jedoch davon aus, dass das Geschäft wirksam ist. Wenn nicht möchte er zumindest die

Kette zurückbekommen.

Wie ist die Rechtslage?

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97

Gutachten

§ 119 I Alt. 2

Vertretbar, möglich auch, dass

S als „verlängerter Arm“ des G

fungiert Verschreiben wird

quasi zugerechnet

§ 119 I 1. Alt.! Normen immer

nennen!

Teil 1:

I. H könnte gemäß § 433 II einen Anspruch auf Zahlung von

20.000 haben, wenn zwischen H und G ein wirksamer Kaufvertrag

zu Stande gekommen ist. Ein Vertrag besteht aus zwei

übereinstimmenden WE, Angebot und Annahme. Wie aus dem

Sachverhalt zu schließen ist, ist ein Kaufvertrag zu Stande

gekommen. Allerdings hat nicht G das Geschäft persönlich

durchgeführt.

V könnte jedoch die Vollmacht von G gemäß §§ 164 ff. Dafür

müsste eine Bevollmächtigung zulässig sein. Bei dem Kaufvertrag

über die Erntemaschine handelt es sich nicht um ein höchstpersön-

liches Geschäft, sodass eine Bevollmächtigung zulässig ist. Im

Sachverhalt sind keine Angaben über die Geschäftsfähigkeit des V,

sodass davon auszugehen ist, dass dieser voll geschäftsfähig ist.

Auch gibt V eine eigene WE ab. Zusätzlich hat V von G gem. § 172

I BGB eine Vollmachtsurkunde erhalten. Mithin hat V die Voll-

macht für G das Geschäft über die Erntemaschine zu schließen.

Nun stellt sich die Frage, ob V auch als Vertreter des G gehandelt

hat. Hierzu muss V dem G bemerkbar gemacht haben, dass er im

Namen des G handelt (Offenkundigkeitsprinzip). Dieser hat von G

eine Vollmachtsurkunde erhalten, sodass H wusste mit wem er den

Vertrag abschließt. V kauft im Namen des G die Erntemaschine.

Ein wirksamer Kaufvertrag ist zustande gekommen, welcher auch

wirksam vertreten worden ist. H hat also einen Anspruch auf Zah-

lung der 120.000 €.

Nun könnte der Anspruch auf Zahlung durch eine wirksame An-

fechtung gem. § 142 I, untergegangen sein. Eine Anfechtung ist

eine empfangsbedürftige WE. Für jene muss erst einmal ein Irrtum

vorliegen, welcher den G berechtigt wirksam anzufechten. Hier

könnte es sich um einen Erklärungsirrtum gem. § 119 II handeln.

Bei einem Erklärungsirrtum irrt der Erklärende bei der Abgabe der

WE, über das Erklärte. Er wollte eine Erklärung diesen Inhalts nicht

abgeben.

Er verspricht oder verschreibt sich. G erklärte genau, das was er

erklären wollte. Ein Erklärungsirrtum ist nicht gegeben.

Ferner könnte es sich um einen Inhaltsirrtum handeln. Bei einem

Inhaltsirrtum irrt der Erklärende bei Abgabe der Willenserklärung

über deren Inhalt.

Er erklärt zuvor, was er wollte, misst aber seiner Erklärung ab eine

andere Bedeutung zu, als sie in Wirklichkeit hat.

G erklärt genau, was er erklären möchte und ist sich des Inhalts

seiner Erklärung vollständig bewusst.

Ein Inhaltsirrtum liegt nicht vor.

G könnte S als Erklärungsboten eingesetzt haben.

Ein Erklärungsbote ist eine Person, die vom Erklärenden dazu be-

mächtigt wurde, für ihn eine Erklärung abzugeben. Der Erklärungs-

bote gibt eine eigene Willenserklärung ab. S bringt die Erklärung

des G zu Papier, was im übertragbaren Sinne einem Erklärungsbo-

ten gleich kommt.

Jedoch verschreibt sich S bei der Erklärung des Maschinentypes.

Anstatt Power 205 schreibt sie Power 305. G, der diesen Fehler

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Sehr schön!

§ 122 analog

Sehr gut!

War zwar nicht begehrt, aber

inhaltlich zutreffend

nicht bemerkt, unterschreibt die Vollmachtsurkunde. Darin könnte

sich jedoch ein Erklärungsirrtum verstecken. G wollte niemals eine

Erklärung abgeben, einverstanden mit dem Kauf einer Power 305

zu sein.

Er unterliegt im Wege über die S einem Erklärungsirrtum. Mithin

gebe es einen Anfechtungsgrund.

Dieser müsste jedoch auch kausal sein.

Kausal ist jede Bedingung, die nicht hin weggedacht werden kann,

ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.

Hätte G von dem Irrtum gewusst, hätte er niemals seine Erklärung

abgegeben.

Kausalität liegt mithin vor.

Weiterhin müsste G seine Anfechtung gem. § 143 I BGB gegenüber

H und V erklärt haben.

Dies tat G, indem er G und V sagte, er fechte an.

Die Anfechtung müsste auch fristgemäß erfolgt sein, § 121 I 1

BGB.

Fristgemäß bedeutet ohne schuldhaftes Zögern.

Sobald G den Fehler erkannt hatte, machte er seine Anfechtung be-

kannt. Die Frist wurde eingehalten.

G hatte erfolgreich angefochten, sodass V ohne Vertretungsmacht

handelte.

Mithin ist der Vertrag zwischen G und H nichtig gem. § 142 I BGB.

H könnte jedoch einen Anspruch auf Vertrauensschaden gem. §

121 I BGB haben.

Ein Vertrauensschadensersatzanspruch entsteht, indem der An-

spruchsteller auf die Wirksamkeit der Erklärung vertraute. In der

Vollmachtsurkunde stand klar, dass G eine Power 305 erwerben

wollte, sodass H ausgehen konnte, dass die Erklärung wirksam war.

H hat somit einen Vertrauensschadensersatzanspruch gegen V,

welcher ohne Vertretungsmacht handelte.

Dieser handelte jedoch nicht schuldhaft, sondern vertraute wiede-

rum auf die Richtigkeit der Vollmachtsurkunde, sodass sich der

Schadensersatzanspruch von H direkt gegen G richtet. H ist so zu

stellen, als ob er nie von dem Geschäft erfahren hätte.

G ist also verpflichtet, dass negative Interesse zu zahlen. Dieser be-

zieht sich auf die Transportkosten i. H. v. 1.000 €.

II. H könnte auch einen Anspruch auf Rückerstattung der

Erntemaschine gem. § 812 I 2 BGB haben.

Hierzu müsste der rechtliche Grund, die Erntemaschine behalten zu

dürfen, für G wegfallen.

Der Kaufvertrag zwischen G und H ist aufgrund der Anfechtung

nichtig.

Damit entfällt auch der rechtliche Grund.

H hat einen Anspruch auf Herausgabe der Erntemaschine.

Teil 2

I. L gegen G, M, T

L könnte einen Anspruch auf den 20 € - Scheins haben, indem ein

Kaufvertrag gem. § 433 I BGB zustande gekommen ist.

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99

§ 433 I ist kein Herausgabean-

spruch! bauen Sie Ihr Gut-

achten nach Rechtsfolgen auf

Wichtig: Kein Anspruch auf

Übereignung

Ein Kaufvertrag besteht aus Angebot und Annahme.

Ein Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die alle

essentalia negotii enthält. Das Angebot könnte darin liegen, dass T

die Kette kaufen möchte.

Eine Annahme ist das Einverständnis mit dem Angebot.

Durch das Aushändigen der Kette und das Annehmen des 20 € -

Scheins könnte L das Angebot angenommen haben.

Problematisch könnte sein, dass T minderjährig ist.

Gem. § 106 BGB ist T aber beschränkt geschäftsfähig. Gem. § 107

BGB darf T Geschäfte führen, die lediglich einen rechtlichen Vor-

teil für sie darstellen.

Ein lediglich rechtlicher Vorteil liegt vor, wenn sich T zu nichts

verpflichten muss.

T muss allerdings die 20 € zahlen.

Somit ist ein lediglich rechtlicher Vorteil nicht gegeben. Der Ver-

trag ist mithin schwebend unwirksam, kann jedoch durch die Ge-

nehmigung der Eltern der T wirksam werden.

Die Genehmigung ist die zeitlich nachträgliche Zustimmung. Als

M und G von dem Kauf der Kette erfahren, sind beide schockiert.

Sie sind mit dem Kauf der Kette nicht einverstanden.

Allerdings könnte der T der Kauf der Kette gem. § 110 BGB erlaubt

sein. Dafür müsste der T der 20 € - Schein frei zur Verfügung ge-

stellt worden sein. Die freie Verfügung setzt voraus, dass T mit dem

20 € - Schein machen kann, was sie will.

G hat ihr den 20 € - Schein jedoch lediglich für den Kauf eines

neuen Füllers gegeben. Eine Bewirkung der Leistung mit eigenen

Mitteln ist somit nicht gegeben.

Mithin ist der Kaufvertrag zwischen L und T unwirksam und L hat

einen Anspruch auf den 20 € - Schein.

II. L könnte jedoch einen Anspruch auf Rückgabe der Kette gem. §

812 I 2 BGB.

Dazu müsste der rechtliche Grund für das Behalten der Kette für T

wegfallen. Der Kaufvertrag ist nichtig, sodass ein rechtlicher Grund

nicht gegeben ist.

L hat einen Anspruch auf Rückgabe der Kette.

M, G, T gegen L

M, G, T könnten einen Anspruch auf den 20 € - Schein gem. § 812

I 1 BGB haben.

Dafür dürfte L keinen rechtlichen Grund haben, den 20 € - Schein

zu behalten.

Der Kaufvertrag ist nichtig, somit besteht kein rechtlicher Grund

für L.

M, G, T haben einen Anspruch auf Herausgabe des 20 € - Scheins.

T gegen G

Fraglich ist, ob T einen Anspruch auf den 20 € - Schein des G hat.

Hier könnte es sich um eine Schenkung gem. § 516 I BGB handeln.

Beide Parteien müssten sich einig sein, dass T den 20 € - Schein

unentgeltlich zugewendet bekommt.

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100

Bei genauerer Prüfung müss-

ten Sie feststellen in welcher

Beziehung eine Leistung vor-

lag T hat Anspruch aus

§ 812. M und G vertreten T

gemäß § 1626, 1629

Zuwendung ist das Erlangen einer Sache.

T und G waren sich einig, dass T den 20 € - Schein unentgeltlich

zugewendet bekommt, damit T sich einen neuen Füller kaufen

kann.

Allerdings ist die T nur beschränkt geschäftsfähig. Bei der Schen-

kung könnte es sich jedoch um einen nur lediglich rechtlichen Vor-

teil i. S. d. § 107 BGB handeln, sodass T keine Einwilligung ihrer

Eltern benötigt.

Bei G handelt es sich um T's Vater. Dieser hat mit Zustimmung der

M der T den 20 € - Schein übergeben. T hat als sowohl die Zustim-

mung ihrer Eltern bekommen, den 20 € - Schein anzunehmen, so-

wie es sich um einen lediglich rechtlichen Vorteil handelt.

Allerdings könnte es sich bei der Schenkung um ein Insichgeschäft

gem. § 181 BGB handeln.

T erleidet durch das Insichgeschäft ihrer Eltern aber keinen rechtli-

chen Nachteil, sodass das Insichgeschäft in diesem Fall genehmigt

werden kann.

T hat einen Anspruch auf den 20 € - Schein.

Endergebnis:

H hat einen Anspruch auf Vertrauensschadenszahlung

i. H. v. 1.000 €, sowie die Rückerstattung der Erntemaschine.

L hat einen Anspruch auf Rückerstattung seiner Kette.

T hat einen Anspruch auf den 20 € - Schein.

Eine äußerst gelungene Klausur! Die Klausur weist einen schönen Gutachtenstil auf und lässt Problem-

bewusstsein erkennen.

Daher bewerte ich Ihre Klausur mit

13 Punkten (Gut)

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2. Klausur für Anfänger im Zivilrecht (21.06.2013)

Prof. Dr. Hans-Friedrich Müller

V betreibt seit kurzem ein Motorradgeschäft in der Trierer Innenstadt. Er bezieht die Maschinen von

seinem Lieferanten L. Da V zunächst nicht absehen kann, wie sich sein Geschäft entwickeln wird, be-

stellt er bei L sechs Motorräder des Typs PowerX zu einem Preis von je 3000 €‚ vereinbart aber mit 1,

dass dieser die Maschinen erst auf Abruf binnen sieben Tagen liefern wird.

K möchte bei V eine Maschine des Typs PowerX kaufen, die er dringend für eine Motorradrallye am

10.5. benötigt. Da dem K die Teilnahme an der Rallye so wichtig ist, ist er bereit, einen Preis weit über

dem Marktpreis zu zahlen. Mit Schreiben vom 29.4., zugegangen am 30.4., fordert V bei L daher ins-

gesamt sechs Maschinen des Typs PowerX an, die L erst am 12.5. liefert. K hat mittlerweile verärgert

vom Kauf Abstand genommen und die Maschine am 9.5. bei einem anderen Verkäufer gekauft, um noch

an der Rallye teilnehmen zu können. Dadurch entgeht V ein Gewinn von 1200 € aus dem Geschäft mit

K, weil er nun die Maschine an einen anderen Kunden für 1200 € weniger verkaufen muss. V verlangt

nun von L den Ersatz der 1200 € C, der Chef eines bekannten Trierer Motorradclubs, sucht den V in

seinem Laden auf und erklärt, er würde gerne ein Motorrad des Typs Power2X erwerben. V freut sich

über das Geschäft und macht dem C einen guten Preis von 5.000 €. C ist einverstanden. V erklärt dem

.C, dass er das Motorrad bei L bestellen werde und C es dann am 10.6. im Geschäft des V abholen

könne. C stimmt dem zu und verspricht, den Kaufpreis am Abholtag zu zahlen. Das Motorrad wird

rechtzeitig von L an V geliefert und von V zur Abholung durch C bereitgestellt.

Am 10.06, erscheint C jedoch nicht. Am 12.6. wird die Maschine des Typs Power2X durch einen Brand

im Geschäftsraum des V zerstört. Den Brand hat V leicht fahrlässig verursacht. Als C am 13 6 im Ge-

schäft des V erscheint, erfahrt er von dem Missgeschick des V.

Dieser ist der Meinung, er habe trotz allem einen Kaufpreisanspruch gegen C in Höhe von 5.000 €.

Bestehen die geltend gemachten Ansprüche gegen V, L und C?

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102

Gutachten

Kaufvertrag gemäß § 433

Gut!

Seht gut!

Ok! Aber Fristberechnung

läuft nach den §§ 187-193!

Einrede aus § 320?

Ansprüche V gegen L

V könnte von L Ersatz des entgangenen Gewinns i. H. v. 1.200 €

aufgrund von §§ 280 I, II, 286, 249 I, 252 BGB verlangen.

Dazu müsste V ein Gewinn entgangen sein, weil L eine Pflicht aus

dem Schuldverhältnis durch Leistungsverzögerung verletzt hat.

Zwischen V und L müsste ein Schuldverhältnis bestehen, nach §

311 I BGB begründen alle Verträge ein Schuldverhältnis.

V und L schließen einen Kaufvertrag über 6 Motorräder, Typ

Power X, zu einem Kaufpreis von je 3.000 €.

Somit besteht ein Schuldverhältnis zwischen den beiden.

L müsste eine Pflicht aus dem Kaufvertrag verletzt haben.

Nach § 433 I 1 BGB ist er dazu verpflichtet, V Eigentum und Besitz

an den Motorrädern zu verschaffen.

L hat V die Motorräder am 12. Mai geliefert, also in Bezug auf

diese Motorräder seine Primärpflichten erfüllt.

Er könnte allerdings eine Sekundärpflicht dadurch verletzt haben,

dass er zu spät leistete und damit in Schuldnerverzug aufgrund von

§ 286 BGB kam.

Der Schuldner kommt dann in Verzug, wenn die Leistung fällig und

einredefrei ist, er aber nicht geleistet hat, die Nichtleistung zu ver-

treten hat und wenn der Gläubiger ihn gemahnt hat bzw. wenn die

Mahnung nach § 286 II BGB entbehrlich ist.

Die Leistung müsste also bereits vor dem 12. 5. fällig gewesen sein.

Fällig ist eine Leistung nach § 271 I BGB, grundsätzlich sofort, au-

ßer wenn eine Fälligkeit vertraglich vereinbart ist. Dann gilt diese

nach § 271 II BGB.

V und L haben vertraglich vereinbart, dass die Leistung 7 Tage

nach Leistungsaufforderung fällig sein soll.

V forderte mit seinem Schreiben vom 29. 4. den L zur Leistung auf.

Die Leistungsaufforderung ist eine empfangsbedürftige und einsei-

tige Willenserklärung und wird gegenüber Abwesenden nach § 130

I BGB mit dem Zugang (hier: 30. 4.) wirksam.

Somit wird die Leistung 7 Tage später (also am 7. 5.) fällig.

Am 7.5. hat L noch nicht geleistet.

Leistungshemmende Einwendungen sind aus dem Sachverhalt

nicht ersichtlich.

Es steht zwar im Sachverhalt nicht, warum L nicht liefert, da § 286

IV BGB aber negativ formuliert ist, wird das Vertreten des Schuld-

ners vermutet, außer er kann sich exkulpieren.

Er hat sich nicht exkulpiert und muss somit die Nichtleistung ver-

treten.

Nach § 286 I muss der Gläubiger aber auch mahnen.

Eine Mahnung ist die ernsthafte und endgültige Leistungsaufforde-

rung einer fälligen Leistung. V hat L nicht mehr aufgefordert die

fällige Leistung zu bewirken, also nicht gemahnt.

Die Mahnung könnte aber aus § 286 II Nr. 2 entbehrlich sein.

Danach ist eine Leistung entbehrlich, wenn ihr ein Ereignis voraus-

geht, nach dem der Schuldner eine angemessene Zeit zur Erfüllung

hat, die sich nach dem Kalender berechnen lässt.

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103

Gut!

Der Abruf ist das i.S.d. § 286

II Nr. 2

Kausalität

Gut!

Sehr gut!

Hier hat der V die L schriftlich zur Leistung aufgefordert, und L

konnte berechnen, dass er nach dieser Aufforderung 7 Tage Zeit

hatte, zu leisten.

Auch sind diese 7 Tage ausreichend und angemessen. Somit war

die Mahnung nach § 286 II Nr. 2 BGB entbehrlich und L ist in

Schuldverzug gekommen.

V müsste aber noch durch diesen Verzug einen Schaden erlitten ha-

ben.

Schaden meint jede unfreiwillige Einbuße von Vermögen.

Vermögen selbst hat V zwar keines verloren, allerdings umfassen

Schadensersatzansprüche nach § 252 BGB auch entgangenen Ge-

winn.

Laut Sachverhalt entgeht V ein Gewinn von 1.200 €, weil er das

Geschäft mit einem anderen Kunden als K, der mehr zu zahlen be-

reit gewesen wäre, macht. Ihm entgeht der Gewinn auch gerade we-

gen des Verzugs des L, denn hätte der, wie vereinbart geleistet,

hätte V mit K das Geschäft abgeschlossen. V ist also ein Schaden

i. H. v. 1.200 € aufgrund der Leistungsverzögerung des L entstan-

den. V kann gegenüber L einen Schadensersatzanspruch

i. H. v. 1.200 € aufgrund von §§ 280 I, II, 286, 249 I, 252 BGB

geltend machen. Der Anspruch besteht.

Ansprüche des V gegen C

V könnte von C Zahlung des Kaufpreises i. H. v. 5.000 € aus § 433

II BGB verlangen.

V und C müssten einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen haben.

V macht C ein Angebot über ein Motorrad, Typ Power 2X von

5.000 €, mit dem C einverstanden ist.

Da das Angebot des V alle essentalia negotii enthält, ist ein wirk-

samer Kaufvertrag zwischen V und C entstanden. Der Anspruch

auf Kaufpreiszahlung i. H. v. 5.000 € ist also entstanden.

Der Anspruch könnte aber nach § 326 I i. V. m. § 275 I BGB wegen

Unmöglichkeit untergegangen sein.

Nach § 326 I BGB muss der Schuldner nicht mehr leisten, wenn

der Gläubiger von der Gegenleistungspflicht nach § 275 I – III BGB

entbunden ist.

Nach § 275 I BGB muss eine Leistung nicht mehr erbracht werden,

wenn sie unmöglich geworden ist.

Die Leistung sollte die Übereignung eines Motorrades, Typ Power

2X, sein.

Da es von diesem Modell mehrere gibt als von V geschuldet, han-

delt es sich um eine Gattungsschuld und V müsste C ein Stück die-

ser Gattung leisten (vgl. § 243 I BGB).

Allerdings könnte aus dieser Gattungsschuld eine Stückschuld

durch Konkretisierung i. S. v. § 243 II BGB geworden sein.

Demnach schuldet der Schuldner nur noch die eine Sache, wenn er

das seinerseits Erforderliche getan hat, um das Schuldverhältnis

vertragsgemäß zu erfüllen.

Es war vertraglich vereinbart, dass V C am 10. 6. ein Motorrad, Typ

Power 2X, im Geschäft übergeben soll. Indem er das Motorrad be-

reitgestellt hat, hat er das seinerseits Erforderliche getan.

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Eine Holschuld war vereinbart.

Gut!

§ 296

§ 320 ist lex specialis gegen-

über § 273

Seine Schuld beschränkt sich nur auf dieses eine Motorrad.

Durch den Brand wurde das Motorrad zerstört und ist für jeder-

mann unmöglich geworden.

Somit muss V nach § 275 I Alt. 2 BGB nicht leisten und die Pflicht

zur Kaufpreiszahlung für C würde entfallen.

Dem Wegfall der Zahlungspflicht könnte allerdings § 326 II 1 BGB

entgegenstehen.

Demnach entfällt die Leistungspflicht nicht, wenn der Gläubiger

selbst bzw. weit übergehend für das Leistungshindernis (Unmög-

lichkeit) verantwortlich ist, oder das Leistungshindernis erst einge-

treten ist, als er bereits in Annahmeverzug war.

Die Unmöglichkeit hat C nicht zu verantworten, sie könnte jedoch

eingetreten sein, als er im Annahmeverzug war.

Nach den §§ 293 ff. BGB kommt der Gläubiger in Verzug, wenn er

die ihm angebotene Leistung nicht entgegennimmt.

Das Angebot meint, dass der Schuldner seine Bereitschaft zur ver-

traglich vereinbarten Leistung signalisiert (vgl. § 294 BGB).

Er muss seine Bereitschaft nicht extra signalisieren, wenn der Gläu-

biger ebenfalls eine nach dem Kalender bestimmte Handlung zur

Mitwirkung versäumt.

Auch kommt der Gläubiger nach § 297 BGB nicht in Verzug, wenn

der Schuldner die Leistung zur Leistungszeit nicht erbringen kann.

Ausdrücklich hat V C die Übereignung zwar nicht angeboten, je-

doch hätte C hierfür mitwirken müssen und dem Geschäft zustim-

men müssen.

Da das Motorrad rechtzeitig von L und V geliefert wurde und am

vereinbarten Abholtag (10.6.) auch noch nicht zerstört war, sondern

zur Abholung bereit stand, war V auch im Stande, das Motorrad zu

übereignen.

C ist im Annahmeverzug und nicht von der Pflicht zur Kaufpreis-

zahlung befreit.

Der Anspruch ist auch nicht untergegangen.

Allerdings könnte C die Zahlung bis zur Gegenleistung nach § 273

I BGB verweigern.

Die Pflicht zur Kaufpreiszahlung müsste hierfür aus demselben

Schuldverhältnis stammen wie die Pflicht zur Übereignung des

Motorrades.

Zwar sind beide Pflichten mit dem Kaufvertrag in demselben

Schuldverhältnis begründet, allerdings ist die Pflicht zur Leistung

des V nach § 275 I Alt. 2 BGB wie bereits oben ausgeführt erlo-

schen.

Somit hat C keinen fälligen Anspruch gegen V und kann das Geld

nicht aus § 273 I BGB zurückverlangen.

Denkbar wäre noch, dass C vom Kaufvertrag i. S. d. § 323 I, II Alt.

1 BGB zurückgetreten ist.

Grundsätzlich erfolgt der Rücktritt gem. § 349 BGB durch Erklä-

rung.

C hat den Rücktritt nicht erklärt, allerdings wäre er auch gar nicht

zum Rücktritt berechtigt.

Zum Rücktritt ist der Gläubiger grundsätzlich berechtigt, wenn der

Schuldner in einem gegenseitigem Vertrag eine fällige Leistung

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105

Der Rücktritt dient der Ver-

tragsrückabwicklung. Ein

Rücktritt käme in Frage, wenn

Sie die Ansprüche des C prü-

fen wollten.

Beachten Sie auch, dass bei

Unmöglichkeit der Leistung

der § 326 V Anwendung fin-

det.

nicht oder nicht vertragsgemäß erfüllt und der Gläubiger dem

Schuldner eine angemessene Leistungsfrist gesetzt hat.

Die Leistung war zwar wie oben erwähnt fällig und wurde von V

wie ausgeführt noch nicht erbracht, jedoch hat C keine Frist gesetzt.

Die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung

ernsthaft und endgültig verweigert (vgl. § 323 II Br. 1 BGB).

Die Leistung ist dem V unmöglich geworden und er wird sie dau-

erhaft nicht erbringen können.

Die Frist ist entbehrlich.

Die Rücktrittsvoraussetzungen sind erfüllt, jedoch könnte der

Rücktritt nach § 323 VI BGB ausgeschlossen sein.

Das ist er dann, wenn der Rücktrittsgrund vom Schuldner allein o-

der weit überwiegend zu verantworten ist oder der Rücktrittsgrund

dann eintritt, wenn der Gläubiger im Annahmeverzug ist und der

Schuldner dies nicht zu vertreten hat.

C selbst hat den Rücktrittsgrund nicht zu verantworten, jedoch ist

er wie oben ausgeführt erst eingetreten, als er bereits in Annahme-

verzug

war. Es ist darum zu prüfen, ob V die Unmöglichkeit zu vertreten

hat.

Der Schuldner hat nach § 276 I BGB grundsätzlich Vorsatz und

Fahrlässigkeit zu vertreten. Laut Sachverhalt hat er nicht fahrlässig

gehandelt, müsste den Rücktrittsgrund als vertreten.

Allerdings könnte ein Vertretenmüssen nach § 300 I BGB vorlie-

gen.

Hiernach vertritt er nur noch den Verzug wegen Vorsatz und grober

Fahrlässigkeit. Damit ist der Rücktritt nach § 323 VI BGB ausge-

schlossen.

V hat gegen C einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung i. H. v.

5.000 €.

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Ihre Arbeit ist sehr gut gelungen! Sie sehen alle Probleme und lösen diese entsprechend. Der Gutach-

tenstil wird beherrscht und Sie setzen zudem genau die richtigen Schwerpunkte.

12 Punkte (Vollbefriedigend)

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1. Klausur für Anfänger im Zivilrecht (24.04.2015)

Prof. Dr. Franz Dorn

Grohmann (G) betreibt einen Großhandel für Weine und Spirituosen. Huppert (H) ist bei ihm als Au-

ßendienstmitarbeiter beschäftigt und damit betraut, im norddeutschen Raum Kunden aufzusuchen und

mit ihnen für G Verträge über die Lieferung von Wein und Spirituosen abzuschließen. Zu diesem Zweck

hat G dem H ein Firmenfahrzeug zur Verfügung gestellt. H seinerseits beschäftigt zeitweise Urzig (U)

als Fahrer. Im Mai 2011 fällt das Fahrzeug wegen einer Reparatur für zwei Tage aus. Für diese Fälle

hält G zwar Ersatzfahrzeuge vor, was H auch weiß. Da H es aber für einfacher hält einen Ersatzwagen

zu mieten, sagt er dem U, er solle bei der Autovermietung Dreis (D) einen dem Firmenwagen entspre-

chenden Mittelklasse-PKW aussuchen und ihn namens des G als Ersatzfahrzeug anmieten. U kommt

dem Wunsch des H nach und erklärt gegenüber D, er komme von H, der bei G als Außenmitarbeiter

eingestellt sei. Vertragspartner sei der G, an den auch die Rechnung gehen solle. Er mietet bei D einen

VW-Mittelklassewagen für zwei Tage zum Preis von 200,- EUR. Als die Rechnung bei G zugeht, wird

sie, ohne dass G hiervon erfährt, von seiner Buchhaltung beglichen.

Als im März 2015 das Firmenfahrzeug wieder ausfällt, beauftragt H den U erneut einen Ersatzwagen zu

beschaffen, diesmal für zwei Wochen. U schließt daraufhin mit D einen Mietvertrag über einen PKW

zum Preis von 1.8000,- EUR und tritt dabei wie beim ersten Mal auf.

Als dieses Mal die Rechnung des D dem G zugeht, weigert dieser sich zu zahlen und trägt vor, er habe

weder H noch U eine Vollmacht zur Anmietung von Ersatzfahrzeugen erteilt und genehmige das Ge-

schäft auch nicht, zumal er über Ersatzwagen verfüge, die bei Ausfall eines Fahrzeugs eingesetzt werden

könnten, was H auch wisse.

D fragt, ob er von G, U und/oder H der Zahlung von 1.800,- EUR verlangen kann. Er verweist wahr-

heitsgemäß darauf, dass er das Fahrzeug zu diesem Preis die gesamte Zeit auch an andere Kunden hätte

vermieten können.

Was ist ihm zu antworten?

Bearbeiterhinweis: Etwaige Ansprüche aus culpa in contrahendo (§ 311 II, III) sind nicht zu prü-

fen.

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108

Gutachten

Zitieren Sie bitte die Normen

für den Vertragsschluss:

§§ 145 ff.

Es fehlt die Nennung der es-

sentialia negotii (Mietsache,

Mietpreis, Dauer, Personen)

Achtung: eine konkludente

Vollmachterteilung stützt sich

auf schlüssiges Verhalten und

gerade nicht auf eine Willens-

erklärung, eine konkludente

Vollmacht könnte hierauf die

Überlassung des Fahrzeugs ge-

stützt werden

Gemäß §§ 133, 157

I. Anspruch des D gegen G gemäß § 535 II

D könnte einen Anspruch gegenüber G haben, die Miete für die

Fahrzeugüberlassung gemäß § 535 II zu zahlen. Hierzu müsste ein

wirksamer Mietvertrag zwischen den beiden Parteien vorliegen.

Angebot und Annahme

Ein Mietvertrag kommt durch zwei korrespondierende Willenser-

klärungen zustande, Angebot und Annahme. Wer Angebot und An-

nahme erklärt ist im Sachverhalt nicht genau erläutert, jedenfalls

wird ein Vertrag durch Erklärungen des U und des D geschlossen.

G gibt keine Willenserklärung ab. Ihm könnte jedoch die Willens-

erklärung des U zuzurechnen sein, § 164 I 1.

Stellvertretung durch U

Hierzu müsste U wirksamer Stellvertreter des G sein.

1. Eigene Willenserklärung

U müsste eine eigene Willenserklärung abgegeben haben. Er hatte

Entscheidungsspielraum bei der Auswahl des PKW (wie bei der

ersten Vermietung durfte er einen Mittelklasse-PKW aussuchen).

Legt man sein Handeln gemäß §§ 133, 157 nach dem objektiven

Empfängerhorizont aus, so hat er aus der Sicht des D eine eigene

Willenserklärung abgegeben und nicht bloß wie ein Bote eine

fremde Willenserklärung überbracht.

2. Im fremden Namen

Ü müsste den Mietvertrag im Namen des G abgeschlossen haben.

Er teilte dem D mit, dass er von H komme und das Fahrzeug na-

mens G miete. Somit hat er die Untervertretung offengelegt und das

Offenkundigkeitsprinzip erfüllt.

3. Vertretungsmacht

G könnte H eine Vertretungsmacht gemäß § 166 II 1 erteilt haben

(Hauptvollmacht), aufgrund deren hat H dem U eine Vollmacht er-

teilt haben könnte (Untervollmacht). H hat U ausdrücklich eine

Vollmacht erteilt, im Namen des G für zwei Wochen einen Ersatz-

wagen zu beschaffen. Diese könnte jedoch unwirksam sein, wenn

er vom G nicht dazu berechtigt wurde.

Wirksamkeit der Hauptvollmacht

G hat H zumindest keine ausdrückliche Vollmacht erteilt. Es

könnte jedoch eine konkludente Vollmacht vorliegen, dadurch dass

U schon einmal vier Jahre zuvor als Unterbevollmächtigter des H

für G ein ähnliches Geschäft abgeschlossen hatte, welches von G

nicht verhindert wurde. Eine konkludente Vollmachterteilung ist

eine empfangsbedürftige Willenserklärung (wirksam durch Ab-

gabe und Zugang, § 130 I). In Betracht kommt im vorliegenden Fall

nur die Innenvollmacht, § 176 I Alt. 1 (einem Dritten gegenüber

wurde keine Außenvollmacht § 167 I Alt. 2 durch G erteilt). Somit

ist nach dem objektiven Empfängerhorizont des H auszulegen, ob

G ihm konkludent eine Vollmacht zur Fahrzeugmietung erteilt hat.

H weiß, dass G Ersatzfahrzeuge hat, die nach dem Willen des G

genutzt werden sollen, wenn ein Firmenfahrzeug ausfällt. Aus Sicht

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109

Dies hätten Sie näher begrün-

den können: Warum soll die

Rechtscheinsvollmacht nicht

möglich sein?

des H kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass in der Be-

zahlung der Rechnung aus 2011 eine Vollmachterteilung zu sehen

ist. Hierbei kann es sich allenfalls um eine Genehmigung nach

§ 177 I, 184 I handeln, nicht aber um eine willentliche Vollmach-

terteilung zukünftiger Geschäfte. Es liegt keine konkludente Voll-

machterteilung des G an H vor.

Es könnte jedoch eine Rechtsscheinsvollmacht vorliegen. In Be-

tracht kommen hier die Duldungs- und die Anscheinsvollmacht.

Bei der Rechtsscheinsvollmacht muss ein Rechtsschein gesetzt

werden, der dem Vertretenen zurechenbar ist und auf den der Ver-

tragspartner nach Treu und Glauben, § 242 vertrauen darf. Eine

Duldungsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene von dem Ge-

schäft (i.d.R. wiederholte Willenserklärungen des „Vertreters“ über

einen gewissen Zeitraum hinweg) weiß und es nicht verhindert, ob-

wohl ihm dies möglich wäre. G weiß nichts von den Mietverträgen.

Eine Duldungsvollmacht liegt daher nicht vor.

Es könnte sich um eine Anscheinsvollmacht handelt. U hatte bereits

Jahre zuvor einen ähnlichen Mietvertrag mit D im Namen des G

abgeschlossen. Die Rechnung, die D an G schickte, wurde von des-

sen Buchhaltung auch bezahlt. Somit wurde der Rechtsschein ge-

schaffen, dass U als Untervertreter des G handeln darf und da die

Rechnung beim letzten Mal bezahlt wurde, kann D nach Treu und

Glauben darauf vertrauen.

Der Rechtsschein müsste G auch zurechenbar sein. Dies ist der Fall,

wenn er bei pflichtgemäßer Sorgfalt von dem Rechtsschein hätte

wissen und dies verhindern können. Fraglich ist, ob er es aufgrund

des Vertrags und der Rechnung aus dem Jahr 2011 hätte wissen

können. Man kann G zur Last legen, dass er seine Mitarbeiter über-

prüfen muss als Geschäftsinhaber und Kaufmann i.S.d. HGB und

er somit spätestens bei Zahlung der Rechnung über 200 € durch

seine Buchhaltung davon Kenntnis erlangen müssen. Diese Über-

prüfung ist jedoch angesichts der Tatsache, dass es sich um einen

Großhandel und nur die Miete eines Fahrzeugs über zwei Tage für

200 € handelt (was nur einmal in vier Jahren vorkam), nicht von G

zu verlangen. Er hätte auch bei pflichtgemäßer Sorgfalt nicht von

dem Mietvertrag in 2011 sowie in 2015 wissen können. Es liegt

also keine Anscheinsvollmacht vor. Da G das Geschäft nicht nach

§§ 177 I, 184 I genehmigt, ist keine wirksame Hauptvollmacht des

G an H vorhanden.

Zu dem gleichen Ergebnis kommt man auch mit der Auffassung,

dass eine Rechtsscheinsvollmacht nicht möglich ist.

Ohne wirksame Hauptvertretung kann auch keine wirksame Unter-

vertretung erteilt werden. Die Untervollmacht des h an U ist somit

auch nichtig.

Ergebnis

Es ist kein wirksamer Mietvertrag zwischen G und D zustande ge-

kommen. D hat keinen Anspruch auf Zahlung der 1.800 € gemäß

§ 535 II.

II. Anspruch des D gegenüber U gemäß § 179 I

D könnte gegen U einen Anspruch auf Erfüllung oder Schadenser-

satz gemäß § 179 I haben.

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110

Es scheitert an der Hauptvoll-

macht. D soll sich an H halten,

so wie wenn er unmittelbar mit

ihm zu tun gehabt hätte.

Vertreter ohne Vertretungsmacht

U müsste als Vertreter ohne Vertretungsmacht gegenüber D aufge-

treten sein. Die Untervertretung an sich wäre wirksam, ist aber

mangels wirksamer Hauptvertretung nichtig (s.o.). U ist trotzdem

im Namen des G aufgetreten und handelte folglich als Vertreter

ohne Vertretungsmacht.

Genehmigung

G hat den Vertrag nicht genehmigt (s.o.). Die Voraussetzungen des

§ 179 I sind damit grundsätzlich erfüllt.

Beschränkung nach § 179 II

Die Haftung des U könnte jedoch nach § 179 II beschränkt sein,

wenn er den Mangel der Vertretungsmacht nicht gekannt hat. U

wusste nicht, dass G Ersatzfahrzeuge hat und daher den H nicht mit

der Beschaffung eines Mietwagens beauftragt hat. Daher ist ein

eventueller Anspruch des D (grundsätzlich Wert des Vertrauens-

schadens = negatives Interesse, § 179 I) auf den Wert des positiven

Interesses beschränkt, also den Betrag, den D erhalten hätte, wenn

der Mietvertrag zwischen ihm und G wirksam geworden wäre. Im

vorliegenden Fall beträgt sowohl das negative Interesse 1.800 € (da

D das Fahrzeug zum gleichen Preis an andere Kunden hätte verlie-

ten können) als auch das positive Interesse 1.800 € (vereinbarter

Mietpreis).

Jedoch ist umstritten, ob bei „fehlerfreier“ Untervollmacht und un-

wirksamer Hauptvollmacht ein Anspruch nach § 179 gegenüber

dem Untervertreter entstehen kann.

Einer Ansicht der Literatur folgend, haftet der Untervertreter, egal

welche der beiden Vollmachten die Unwirksamkeit des Vertrags

hervorruft. Dies dient dem Rechtsschutz des Vertragspartners, da

dieser sich an beide Vertreter nach § 179 wenden kann. Nach dieser

Auffassung haftet U gemäß § 179 I, II.

Eine andere Literaturmeinung besagt, dass der Untervertreter nicht

haftbar ist, wenn nur die Hauptvollmacht Ursache für die Nichtig-

keit des Vertrags ist. Diese Meinung schützt den Untervertreter, da

diesem – abgesehen von dem vielleicht zu hohen Vertrauen in den

Hauptvertreter – nichts vorzuwerfen ist. Nach dieser Meinung haf-

tet U nicht gemäß § 179 I, II.

Der BGH differenziert in solche Fällen: Wird die Untervertretung

offengelegt, so haftet der Untervertreter nicht, wird sie nicht offen-

gelegt, dann haftet der Untervertreter nach § 179. Durch diese Auf-

fassung wird sowohl der Schutz des Untervertreters als auch der

des Vertragspartners gewährleistet. Der Untervertreter haftet nur,

wenn er in fahrlässiger Weise dem Hauptvertreter soweit vertraut,

dass er nicht einmal dessen Namen offenlegt. Der Vertragspartner

hingegen kann selbst entscheiden, wenn ihm der Name des Haupt-

vertreters offengelegt wird, ob er über diesen Geschäfte machen

möchte und dadurch Risiken eingeht. Aufgrund dieser ausgegliche-

nen Berücksichtigung der Interessenlagen ist der Auffassung des

BGH zu folgen.

U hat dem D erklärt, er komme von H und wolle im Namen des G

ein Fahrzeug mieten. Somit hat U die Untervollmacht offengelegt.

Ergebnis

D hat keinen Anspruch auf Zahlung der 1.800 € gemäß § 179 I, II

gegenüber U.

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III. Anspruch des D gegenüber H gemäß § 179 I

D könnte gegen H einen Anspruch auf Zahlung der 1.800 € gemäß

§ 179 I haben.

Vertreter ohne Vertretungsmacht

H hat als Hauptvertreter des G ohne Vertretungsmacht den U als

Untervertreter eingesetzt (s.o.).

Genehmigung

G hat den Vertrag nicht genehmigt (s.o.). Die Voraussetzungen des

§ 179 I sind damit grundsätzlich erfüllt.

Beschränkung nach § 179 II

H wusste, dass G Ersatzfahrzeuge hat und ihm keine Vollmacht für

einen Mietvertrag gegeben hat (s.o.). Er kannte daher den Mangel

der Vertretungsmacht. Die Beschränkung nach 3 179 II ist nicht

einschlägig. D hat einen Anspruch gegenüber H gemäß § 179 I auf

Zahlung von 1.800 €. Ob er sich hierbei auf die Erfüllung des Ver-

trags (vereinbarte Mietpreiszahlung) oder Schadensersatz für den

entstandenen Vertrauensschaden (ebenfalls 1.800 €, s.o.) beruft,

kann dahinstehen.

Eine hervorragende Leistung!

Die Probleme des Falls werden gesehen und zutreffend bzw. vertretbar gelöst. Stil und Aufbau sind

gekonnt!!

Zu Kritik siehe Randbemerkungen.

Weiter so!!

16 Punkte (Sehr gut)

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2. Klausur für Anfänger im Zivilrecht (12.06.2015)

Prof. Dr. Franz Dorn

Steuerberater S aus N-Stadt kauft bei L, der in N-Stadt ein Lampengeschäft betreibt, für sein Büro eine

leicht transportable Designer-Schreibtischlampe der Marke „Fiat Lux 2020“ (Wert: 600 €) zum Akti-

onspreis von 555 €. Er bittet L, ihm die Lampe am folgenden Tag bis spätestens 18:00 Uhr in sein Büro

zu liefern. L kommt der Bitte nach, obwohl er – was S auch weiß – über keine Auslieferungsabteilung

verfügt und die Lampen üblicherweise von den Kunden mitgenommen werden. Das Büro des S befindet

sich in N-Stadt in der Schubertstraße 21.

L verpackt am folgenden Tag eine Lampe „Fiat Lux 2020“ aus seinem Bestand und übergibt seinem

Gehilfen G um 17:15 Uhr das Paket; statt der Schubertstraße 1 nennt er dem G die Schumann-Straße 21

als Adresse des S. G stellt dort den Fehler fest und meldet sich per Handy bei L. Da G es nicht mehr

rechtzeitig bis 18:00 Uhr in die Schubertstraße 21 schaffen wird, beordert L ihn ins Lampengeschäft

zurück und schickt gleichzeitig seinen Gehilfen Z mit einer anderen verpackten Lampe „Fiat Lux 2020“

nunmehr in die Schubertstraße 21. Als Z dort um 17:55 Uhr ankommt, trifft er den S nicht mehr an, da

dieser die Lampe vergessen und wegen des schönen Juni-Wetters früher Feierabend gemacht hat.

Als Z sich um 18:05 Uhr unverrichteter Dinge auf den Weg zurück ins Geschäft des L macht, übersieht

er, ebenfalls schon an den Feierabend denkend, eine an sich gut sichtbare Stufe am Eingang des Büro-

gebäudes und stürzt, dabei wird die Lampe irreparabel zerstört.

S besteht weiter auf Lieferung einer Lampe „Fiat Lux 2020“. L verlangt dagegen Zahlung, worauf S

erwidert, wenn L nicht liefere, verlange er Schadensersatz.

Welche Ansprüche haben S und L gegeneinander?

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113

Gutachten

Definition Unmöglichkeit

Hätte etwas ausführlicher aus-

fallen können!

Gut erkannt aber i.E. war doch

von der Schickschuld auszuge-

hen! Vgl. Lösungsskizze

I. Anspruch S gegen L auf Lieferung einer Lampe, § 433 I 1

S könnte gegen L einen Anspruch auf Lieferung einer Lampe „Fiat

Lux 2020“ gemäß § 433 I 1 haben.

1. Anspruch entstanden

Der Anspruch müsste durch einen wirksamen Kaufvertrag zustande

gekommen sein. S und L haben einen Kaufvertrag i.S.d. §§ 145 ff.

mit Angebot und Annahme über eine Lampe der Marke „Fiat Lux

2020“ geschlossen. Der Anspruch des S nach § 433 I 1 ist entstan-

den.

2. Anspruch untergegangen

Der Anspruch könnte aufgrund von Unmöglichkeit der Lieferung

nach § 275 I untergegangen sein. § 275 I gilt ohne weiteres nur für

Stückschulden. Bei Gattungsschulden i.S.d. § 243 kommt § 275 I

nur dann in Betracht, wenn die Lieferung aus der ganzen Gattung

unmöglich ist, beispielsweise wenn die gesamte Gattung unterge-

gangen ist oder wenn bereits Konkretisierung eingetreten ist. S und

L haben den Kaufvertrag nicht auf eine einzige besondere Lampe

einer bestimmten beschränkt, sondern lediglich auf eine Lampe ei-

ner bestimmten Marke. Daher liegt eine Gattungsschuld i.S.d. § 243

vor. Es ist nicht die gesamte Gattung zerstört worden, sondern eine

einzige Lampe. Somit kann Unmöglichkeit nur eingetreten sein,

wenn die Schuld zur Lieferung vor Zerstörung der Lampe auf diese

eine Lampe gemäß § 243 II konkretisiert wurde.

Konkretisierung der Gattungsschuld

a) Erste Lampe (Auslieferung durch G)

S könnte das Schuldverhältnis bereits auf die erste Lampe, die

durch G ausgeliefert werden sollte, konkretisiert haben. Bei der

Konkretisierung einer Gattungsschuld wird zwischen Holschuld,

Bringschuld und Schickschuld unterschieden. S und L haben ver-

einbart, dass L (der über keine Auslieferungsabteilung verfügt) die

Lampe zum Büro des S bringt. Es liegt somit eine Bringschuld vor.

Konkretisierung tritt bei einer Bringschuld erst dann ein, wenn die

Sache aus der Gattung ausgesondert und dem Käufer angeboten

wird, wenn dieser also nur Zugreifen müsste. G bricht die Auslie-

ferung der ersten Lampe nach Rücksprache mit L ab, da er es nicht

mehr rechtzeitig zum Büro des S schafft. Die Ware wurde somit

noch nicht dem S an dessen Büro angeboten. Es liegt noch keine

Konkretisierung vor.

b) Zweite Lampe (Auslieferung durch H)

Bei Auslieferung der zweiten Lampe könnte Konkretisierung ein-

getreten sein. H steht mit der zweiten Lampe um 17:55 Uhr vor dem

Büro des S und trifft diesen nicht an. Auch in den zehn Minuten,

die H dort wartet, taucht S nicht auf. Die zweite Lampe wurde somit

aus der Gattung ausgesondert und dem S vor dessen Büro „angebo-

ten“. L und sein Gehilfe H haben alles zur Leistung Erforderliche

getan. Das Schuldverhältnis wurde gemäß § 243 II auf die zweite

Lampe beschränkt (konkretisiert) um 17:55 Uhr mit dem Klingeln

des H am Büro des S.

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114

Gutachtenstil!

c) Zwischenergebnis

Die Lampe, auf die das Schuldverhältnis durch Konkretisierung be-

schränkt wurde, ist irreparabel zerstört. Es ist L nicht mehr möglich,

diese Lampe wie vereinbart ohne Mangel zu liefern (echte objek-

tive nachträgliche Unmöglichkeit). Der Anspruch des S gemäß §

433 I 1 ist gemäß § 275 I untergegangen. Er hat auch keinen An-

spruch auf Lieferung der ersten Lampe, da diese durch die Konkre-

tisierung auf die zweite Lampe nicht mehr vom Schuldverhältnis

erfasst ist).

3. Ergebnis

S hat keinen Anspruch gegen L auf Lieferung einer Lampe „Fiat

Lux 2020“.

II. Anspruch L gegen S auf Zahlung gemäß § 433 II

L könnte gegen S einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung i.H.v.

550 € gemäß § 433 II haben.

1. Anspruch entstanden

Der Anspruch ist durch wirksamen Kaufvertrag zwischen S und L

entstanden (s.o.).

2. Anspruch untergegangen

Der Anspruch könnte gemäß § 326 I 1. Hs untergegangen sein.

a) Unmöglichkeit

Es müsste Unmöglichkeit für die Lieferung der Kaufsache (Lampe)

gemäß § 275 I, II eingetreten sein. Wie oben geprüft liegt eine echte

Unmöglichkeit gemäß § 275 I durch die Zerstörung der Lampe vor.

b) Gegenleistung im synallagmatischen Verhältnis

Die Gegenleistung (Kaufpreiszahlung) müsste im synallagmati-

schen (gegenseitigen) Verhältnis zur unmöglich gewordenen Leis-

tung (Lieferung der Lampe) stehen. Hierzu genüg es nicht, dass

beide Leistungspflichten aufgrund des gleichen Vertrages entstan-

den sind, sondern sie müssen genau darum eingegangen worden

sein, um die andere Leistung zu erhalten („do ut des“). Lieferung

der Lampe und Kaufpreiszahlung wurden vereinbart, um die je-

weils andere Leistung zu erhalten. Die Leistungen stehen in einem

synallagmatischen Verhältnis zueinander. § 326 I 1 1. Hs ist somit

erfüllt und der Anspruch auf Gegenleistung (Kaufpreiszahlung) ist

grundsätzlich untergegangen.

c) Ausschluss nach § 326 II

Es könnte aber des Ausschluss gemäß § 326 II 1 2. Hs greifen, wenn

S sich im Annahmeverzug befand. Annahmeverzug des Gläubigers

liegt gemäß § 293 dann vor, wenn der Gläubiger eine ihm angebo-

tene Leistung nicht annimmt. Gehilfe H stand am vereinbarten Tag

fünf Minuten vor dem vertraglich vereinbarten Fristablauf bei S vor

der Tür und wollte diesem die Lampe anbieten (tatsächliches An-

gebot § 294). Somit befand sich S im Annahmeverzug, weil er nicht

vor Ort war, um die Lampe entgegenzunehmen.

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115

Prüfung des § 442?

Hat L nun einen Anspruch?

In welcher Höhe?

Prüfungspunkt 2 und 3 gehö-

ren zusammen!

d) Zwischenergebnis

Der Ausschlusstatbestand des § 326 II 1 2. Hs ist gegeben. Die

Lampe ist erst nach Eintritt des Annahmeverzugs (17:00 Uhr),

nämlich um 18:05 Uhr zerstört worden. Erst dann ist die Unmög-

lichkeit nach § 275 I eingetreten. Der Schuldner L behält somit An-

spruch auf die Gegenleistung (Kaufpreiszahlung in Höhe von 550

€).

L hat infolge der Befreiung von der Leistung nichts erspart (die ka-

putte Lampe ist nichts mehr wert). Er hat auch nichts durch ander-

weitige Verwendung seiner Arbeitskraft erworben oder zur Erwer-

bung böswillig unterlassen. Eine Anrechnung gemäß § 326 II 2

kommt daher nicht in Betracht.

III. Schadensersatzanspruch S gegen L gemäß § 280 I, III, 283

S könnte einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung ge-

mäß §§ 280, I, III, 283 gegen L haben durch das nachträgliche Un-

möglichwerden der Lieferung der Lampe.

1. Schuldverhältnis

Durch den Kaufvertrag § 433 haben S und L ein gegenseitiges

Schildverhältnis begründet.

2. Nachträgliche Unmöglichkeit

E Leistungspflicht müsste gemäß § 283 S. 1 nach § 275 I-III un-

möglich geworden sein. Wie oben geprüft ist Unmöglichkeit der

Leistung durch die Zerstörung der Lampe eingetreten. Die Unmög-

lichkeit müsste nachträglich, also nach Vertragsschluss, eingetreten

sein. Vertragsschluss war bereits einen Tag vor Zerstörung der

Lampe. Daher ist die Unmöglichkeit nachträglich eingetreten.

3. Pflichtverletzung

Umstritten ist, ob die Pflichtverletzung im Sinne der §§ 280 I, III,

283 in der Nichtleistung oder im Herbeiführen des Unmöglichwer-

dens der Leistung liegt. Gegen die Nichtleistung als Pflichtverlet-

zung spricht, dass eigentlich keine Leistungspflicht mehr besteht, §

275 I, die verletzt werden könnte. Vom Gesetzgeber gewollt ist aber

die Nichtleistung als Pflichtverletzung. Auch würde sonst die Be-

weislastumkehr des „ 280 I 2 ihre Bedeutung verlieren. Die Pflicht-

verletzung liegt also in der Nichtleistung. L liefert die Lampe nicht

mangelfrei an S. Es liegt also eine Pflichtverletzung vor.

4. Vertretenmüssen

Grundsätzlich hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu ver-

treten, § 276 I 1. Vorsatz bedeutet Wissen und Wollen bezüglich

der objektiven Tatbestandsverwirklichung und der Rechtswidrig-

keit. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt

außer Acht lässt, § 276 II. L handelte fahrlässig, als er G die falsche

Lieferadresse nannte. Jedoch hat dies nur die erste Lampe betrof-

fen. Diese ist wie bereits oben erörtert nicht mehr vom Schuldver-

hältnis umfasst seit Konkretisierung auf die zweite Lampe einge-

treten ist. Es ist nicht von Bedeutung für das Unmöglichwerden der

Lieferung der zweiten Lampe. L hat kein eigenes Verschulden.

Zurechnung des Verschuldens Dritter

L könnte ein Verschulden des H gemäß § 278 S. 1 2. Alt. Zuzurech-

nen sein. Hierzu müsste H Erfüllungsgehilfe gewesen sein.

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116

Warum nicht?

§ 447 wird bei Bestimmung,

wer die Preisgefahr in der

Hauptleistungspflicht trägt, re-

levant, d.h. § 447 muss auch in

diesem Zusammenhang (in

Primäransprüchen) geprüft.

Ferner sagen Sie auf Seite 2

dass § 447 nicht anwendbar

ist, da eine Bringschuld vor-

liegt. Insoweit nicht schlüssig,

wenn i.E. auch gefordert, dass

Sie § 447 prüfen.

H als Erfüllungsgehilfe

H müsste mit Wissen und Wollen des L in dessen Pflichtenkreis zur

Erfüllung tätig geworden sein. L hat H wissentlich und willentlich

zur Auslieferung der Lampe ausgewählt. Die Lieferung liegt im

Pflichtenkreis des L, da dieser sich durch Kaufvertrag mit S dazu

verpflichtet hat. H wurde nicht nur bei Gelegenheit der Erfüllung

tätig, sondern hat die Lampe zerstört, er den Rückweg ins Geschäft

des L antreten wollte, Er ist zur Erfüllung tätig geworden. H war

Erfüllungsgehilfe des L. L hat das Verschulden des H zu vertreten

wie eigenes Verschulden, § 278 S. 1.

Wirkung des Gläubigerverzugs

Gemäß § 300 I hat der Schuldner während des Verzugs des Gläu-

bigers nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Mangels

Angaben im Sachverhalt kann nicht davon ausgegangen werden,

dass H vorsätzlich die Lampe zerstört hat. Er hat sie lediglich über-

sehen und handelte daher fahrlässig, weil er die im Verkehr erfor-

derliche Sorgfalt außer Acht ließ. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor,

wenn diese Sorgfalt in besonderem Maße außer Acht gelassen wird.

Dies ist hier nicht der Fall. H handelte nicht grob fahrlässig. S hat

die Pflichtverletzung daher nicht zu vertreten.

Versendungskauf, § 447

Darüber hinaus könnte die Preisgefahr gemäß § 447 auf den Gläu-

biger S übergegangen sein, da dieser ein Unternehmer i.S.d. § 414

ist. Er wird durch den Kauf der Lampe für sein Büro im Rahmen

seiner gewerblichen Tätigkeit tätig (Für Verbraucherkäufe gilt

§ 447 in der Regel nicht, § 474 IV).

Umstritten ist, ob § 447 auch bei Einsatz von eigenen Angestellten

als Transportpersonen einschlägig ist. Nach einer Ansicht ist dies

möglich, nach einer anderen nicht. Am überzeugendsten ist wohl

die dritte Ansicht, die die Anwendung des § 447 bei eigenen Trans-

portpersonen davon abhängig macht, ob ein Verschulden der Trans-

portperson vorliegt. Dadurch wird ein zu hohes Risiko des Käufers

vermieden, wenn dieser – wäre er befragt worden, ob er mit der

Wahl der Transportperson einverstanden ist – damit nicht einver-

standen wäre. Dadurch geht die Preisgefahr nur bei einem zufälli-

gen Untergang der Sache des H vor. Die Preisgefahr ist bereits bei

Übergabe der Lampe von L an H auf S übergegangen.

Ergebnis

L hat die Pflichtverletzung nicht zu vertreten. S hat demnach keinen

Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 280 I, III, 283.

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117

Ihr Gutachten beginnt recht überzeugend mit Prüfung des § 433 I 1, obwohl Sie entgegen der Lösungs-

skizze und den Hinweisen im Sachverhalt von einer Bringschuld ausgehen. Auch die Darstellung des

Anspruchs aus § 433 II beginnt vielversprechend mit Hinweis auf § 326 I 1 1. Hs. und den Entfall der

Gegenleistungspflicht im Grundsatz. Leider gelingt Ihnen die Darstellung des Annahmeverzugs des S,

v.a. mangels gutachterlicher Prüfung, nicht besonders. Ihr Ergebnis ist sodann aber gut vertretbar. Den

§ 447 I stellen Sie in diesem Zusammenhang nicht dar, sondern prüfen diesen im Rahmen des Anspruchs

aus § 280 I, III, 283 – die ist leider wenig nachvollziehbar und macht deutlich, dass Sie die Bedeutung

des § 447 I noch nicht in vollem Umfang verstanden haben. Auch entspricht Ihre Darstellung des § 447

I nicht den Anforderungen, die erwartet wurden. Insbesondere fehlt die Subsumtion und argumentative

Auseinandersetzung mit den verschiedenen Auffassungen. Die Darstellung des Schadensersatzan-

spruchs gelingt Ihnen, bis auf kleinere Mängel, recht ordentlich. Im Übrigen verweise ich auf meine

Randnotizen sowie die Lösungsskizze und Klausurbesprechung.

11 Punkte (vollbefriedigend)

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118

1. Klausur für Anfänger im Zivilrecht 2016 (29.04.2016)

Prof. Dr. Jens Kleinschmidt

Paul (P) betreibt einen Baumaschinenhandel in Konz. Das Unternehmen hat er von seinem Vater Herbert

(H) übernommen, der sich vollständig aus dem Geschäft zurückgezogen hat. Eines Tages muss P einen

Termin wahrnehmen und betraut H damit, während seiner Abwesenheit Telefonate entgegenzunehmen,

jedoch nur die Anliegen der Anrufer zu notieren und keinesfalls in Verkaufsgespräche einzusteigen.

Während H allein im Büro ist, ruft die Bauunternehmerin Wendy (W) an. Sie erläutert H, dass sie eine

weitere Straßenwalze anschaffen möchte und bittet darum, das P sie aufsuche, um Einzelheiten abzu-

sprechen. Der, in seinem Ruhestand unausgelastete, H möchte die Gelegenheit nutzen, einmal wieder

selbst geschäftlich tätig zu werden. Er berichtet daher niemandem vom Anruf, sondern macht sich selbst

auf den Weg zu W, bei der er sich mit dem Namen P vorstellt. W, die zuvor weder P noch H persönlich

kannte, nimmt daher an, vor ihr stehe P. H berät W kompetent. W entscheidet sich schließlich zum Kauf

der Straßenwalze „Rollo“ mit diversen Sonderausstattungen. H zieht die aus dem Büro des P mitge-

brachten Preislisten zu Rate und teilt W mit, dass er einen Gesamtpreis von 119.000 € errechnet hat,

aber nicht, wie dieser Preis im Einzelnen zustande kommt. Den Gesamtpreis setzt H in ein Vertragsfor-

mular des P ein, das er (unter Verwendung des Namens P) und W anschließend unterzeichnen.

Einige Tage später gesteht H dem P, dass er einen Vertrag mit W geschlossen hat. Er beschreibt genau

die verkaufte Walze, ohne Preise zu nennen. P ist von der Fachkenntnis des H überzeugt und weiß, dass

dieser seine Preislisten benutzt hat. Daher liest er den Kaufvertrag nicht, sondern verlässt sich darauf,

dass die Angaben darin den Preislisten entsprechen (was sich aus den Preislisten ergäbe weiß P auswen-

dig). Er ruft W an und teilt ihr nur kurz mit, dass sich sein Vater wohl einen Spaß erlaubt und mit seinem

Namen (P‘s) Namen vorgestellt habe, die Walze aber selbstverständlich wie bestellt in den nächsten

Tagen geliefert werde.

Als die Walze zur Auslieferung bereit ist, begleitet P persönlich den Transport zu W, gratuliert ihr zum

Kauf und übergibt ihr die Schlüssel und Dokumente zu der Maschine.

Wenige Wochen später bemerkt P, dass H die von W gewünschte Sonderausstattung in der Preisberech-

nung nicht korrekt berücksichtigt hat. Der zutreffende Gesamtpreis der von W bestellten und an sie

gelieferten Maschine beträgt, wovon P auch die ganze Zeit ausgegangen war, 126.000 €. P ruft noch am

selben Tag im Büro der W an und erreicht dort deren Sekretariatsmitarbeiter Bob (B). P erläutert B, dass

er an dem ganzen Geschäft nicht festhalten könne. Insbesondere wäre er – hätte er die falsche Preisbe-

rechnung gekannt – mit dem Handeln des H gegenüber W nie einverstanden gewesen. B versäumt es,

diese Mitteilung des P an W weiterzugeben. W erfährt erst davon, als P einige Wochen später sie selbst

kontaktiert und nachdrücklich die Walze zurückfordert.

W lehnt die Rückgabe der Walze kategorisch ab. Da sie äußerst zufrieden mit der Maschine ist, bietet

sie aber P an, die Differenz von 7.000 € nachzuzahlen. Dies sagt wiederum P nicht zu, da ein anderer

Interessent bei sofortiger Lieferung der walze einen höheren Preis zu zahlen bereit wäre.

Kann P verlangen, dass W die Straßenwalze herausgibt?

Vorschriften des HGB sind nicht zu prüfen.

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119

Gutachten

Gut

Genau

Schön

schön

Gutachtenstil!!

Genau: Preis keine Eigenschaft

i.S.d.§119 II

A. Anspruch P gegen W auf Herausgabe der Walze nach §§

985, 986

Ein Anspruch des P gegen W auf Herausgabe der Walze

könnte zu stützen sein auf §§ 985, 986.

I. P Eigentümer

Dazu müsste P Eigentümer der Straßenwalze sein. Ursprüng-

lich war P als Inhaber des Baumaschinen-Unternehmens Ei-

gentümer. Er könnte jedoch das Eigentum an der Walze an W

verloren haben, sofern eine wirksame Übereignung stattge-

funden hat, § 929 S.1.

1. Übereignung an W

Dann ist zunächst eine dingliche Einigung erforderlich.

a. Dingliche Einigung

Hierbei ist nicht auf die Verkaufsverhandlungen abzustellen,

da diese der Übereignungshandlung vorgelagert sind.

aa) Willenserklärung des P

Mit Übergabe der Schlüssel und Dokumente könnte P kon-

kludent ein Angebot auf Übereignung der Maschine an W ab-

gegeben haben, § 145 ff. Das Angebot ist inhaltlich bestimmt,

es enthält die beiden Vertragsparteien P und W sowie die

übereignende Sache, die Walze. Fraglich ist, ob P durch die

Erklärung am Telefon, nicht am Geschäft festhalten zu wol-

len, wirksam angefochten hat. Dies ist mit Verweis auf das

Abstraktionsprinzip jedoch zu verneinen. Der Irrtum über den

Kaufpreis der Maschine ist nicht Bestandteil der dinglichen

Einigung, sondern des zugrundeliegenden Kausalgeschäfts.

Die Willensbildung des P ist also nach wie vor wirksam.

bb) Willenserklärung der W

Durch Annahme der Schlüssel und Dokumente erklärte W

wirksam und konkludent die Annahme des Angebots des P.

cc) Zwischenergebnis

Eine dingliche Einigung liegt also vor.

b. Übergabe und Einigsein

P hat die Walze an W übergeben und die beiden waren sich

zum Zeitpunkt der Übergabe auch einig bzgl. Der Übereig-

nung.

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120

Gut

Präzise zitiert

Gute Definition

Gute Definition

Sehr gut

Schön

Genau

Gut

Genau

Richtiger Zeitpunkt!

c. Berechtigung

Als Eigentümer der Walze war P berechtigt über sie zu verfü-

gen.

d. Zwischenergebnis

Damit hat eine wirksame Übereignung stattgefunden, P ist da-

mit nicht mehr Eigentümer der Maschine.

II. Ergebnis

P kann nicht nach §§ 985, 986 die Herausgabe verlangen.

B. Anspruch aus § 812 I 1 1. Alt.

P könnte jedoch gegen W einen Anspruch auf Herausgabe der

Maschine nach § 812 I 1 1. Alt. haben.

I. Etwas erlangt

Dazu müsste W etwas erlangt haben. Dieses etwas ist jeder

Vermögenswerte Vorteil. W erlangte Eigentum und Besitz an

der Walze, diese Voraussetzung ist somit erfüllt.

II. Durch Leistung

W müsste dies durch Leistung des P erlangt haben. Leistung

ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Ver-

mögens. P leistete an W zum Zwecke der Erfüllung des Kauf-

vertrags zwischen P und W, Leistung des P liegt also vor.

III. Ohne Rechtsgrund

Diese Leistung müsste ohne Rechtsgrund erfolgt sein. In Be-

tracht kommt ein Kaufvertrag zwischen P und W nach § 433.

1. Vorliegen eines Kaufvertrags

Ein Vertrag kommt zustande durch zwei Übereinstimmende,

mit Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen, An-

gebot und Annahme, §§ 145 ff.

a. Willenserklärung des P

Zunächst müsste P eine Willenserklärung gerichtet auf Ab-

schluss eines Kaufvertrags abgegeben haben. P selbst han-

delte nicht, die Willenserklärung des H könnte ihm aber zure-

chenbar sein, wenn H den P wirksam vertreten hat, §§ 164 ff.

aa. Eigene Willenserklärung

Dazu müsste H eine eigene Willenserklärung abgegeben ha-

ben. Dies ist zu ermitteln nach dem objektiven Empfängerho-

rizont der W, §§ 133, 187. H trat gegenüber W auf, als wäre

er selbst der P, er führte selbstständig Vertragsverhandlungen

mit W. Daher konnte W davon ausgehen, dass H nicht nur die

Willenserklärung eines anderen übermittelt. Die Unterschrift

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121

Schön

Sehr gut

Gut

Sehr, sehr gut, eine Herleitung

der Analogie war so gar nicht

zu erwarten!!

Schön

des Vertragsformulars ist daher eine eigene Willenserklärung

des H.

bb. In fremden Namen

Diese Willenserklärung müsste H im fremden Namen abge-

geben haben. H handelte hier also nicht im fremden Namen,

sondern unter fremden Namen, nämlich dem des P. Zu unter-

scheiden ist hier zwischen Namens- und Identitätstäuschung.

Es ist aus der Sicht der W zu ermitteln, mit wem sie den Ver-

trag schließen wollte, §§ 133, 157. Kommt es der W auf die

Identität des Vertragspartners nicht an, so handelt es sich um

eine Namenstäuschung und es kommt ein Vertrag mit H zu-

stande. Hier will W jedoch gerade mit P als Inhaber des Ma-

schinenunternehmens kontrahieren, ein Kaufvertrag mit H ist

mangels dessen Möglichkeit zur Erfüllung für sie nicht von

Interesse. Es liegt daher ein Fall von Identitätstäuschung vor.

cc. Rechtsfolgen der Identitätstäuschung

In Betracht kommt eine analoge Anwendung der §§ 177 ff.

(1) Planwidrige Regelungslücke

Der Fall des Handelns unter fremden Namen ist im BGB nicht

ausdrücklich geregelt. Ein Grund für eine absichtliche Nicht-

regelung ist nicht ersichtlich. Eine planwidrige Regelungslü-

cke ist mithin gegeben.

(2) Vergleichbare Interessenslage

Die vorliegend gegebene Situation müsste mit der Interessen-

lage der § 177 ff. vergleichbar sein. Der Sinn und Zweck der

§§ 177 ff. ist der Schutz des Vertragspartners, der auf die

Wirksamkeit der ihm gegenüber abgegebenen Willenserklä-

rung vertraut. Auch hier vertraute W auf die Identität des H

als P. W ist somit schutzwürdig. Außerdem soll dem Vertre-

tenen, H gab sich hier jedoch als P aus, er also hier dem P, in

dessen Namen der Vertrag geschlossen wurde, die Möglich-

keit gegeben werden, den Vertrag an sich zu ziehen, sofern

ihm vorteilhaft erscheint. Diese Möglichkeit sollte dem H, der

keinen Grund hatte anzunehmen, dass H für ihn handeln

würde. Außerdem ist in diesem vorliegenden Fall die Vertre-

tungsmacht die P dem H einräumte überschritten, weshalb P

sowieso ein Recht zur Genehmigung nach § 177 I zustände.

Ihm dies wegen dem Handeln des H unter fremden Namen zu

verweigern, erscheint unbillig. Eine Analogie ist daher zuläs-

sig.

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122

Genau

Unterzeichnung

Zugang

Gut

Sehr gut

Genau

Sehr gut

Sehr guter Gedanke, aber H

handelt hier keinesfalls auf

Weisung des P

Genau: s.o.

Genau

bb. Genehmigung des P nach § 177 I

P müsste die Willenserklärung des H genehmigen, §§ 177 I,

184. P rief bei W an und erklärte die Walze nach wie vor lie-

fern zu wollen. Das ist als Genehmigung auszulegen, Die Wil-

lenserklärung des H ist also als wirksam zu betrachten.

b. Willenserklärung der W

Auch W gab eine wirksame Willenserklärung auf Abschluss

eines Kaufvertrages ab. Ein Kaufvertrag liegt damit zunächst

vor.

2) Anfechtung (§ 142 I) der Willenserklärung des H

Der Kaufvertrag könnte aber ex tunc nichtig sein, wenn P

wirksam angefochten hat, § 142 I. Dazu ist das Vorliegen von

Anfechtungsgründen, sowie die Erklärung der Anfechtung in

der dafür vorgesehenen Frist erforderlich.

a. Grund

Für Willensmängel bei Vertragsgeschäften ist nach § 166 I

grundsätzlich auf Willensmängel des Vertreters abzustellen,

angesichts seiner ausdrücklichen Aufforderung gegenüber H

keinesfalls selber Verkäufe zu tätigen. Aufgrund der Analogie

zu den §§ 177 ff. wird H behandelt wie der Stellvertreter des

P. In Betracht kommt ein Kalkulationsirrtum, da H sich bei

Berechnung des Preises der Maschine geirrt hat. Da H seine

Berechnungen der W nicht offenlegte, handelt es sich um ei-

nen verdeckten Kalkulationsirrtum, dieser ist ein unbeachtli-

cher Motivirrtum, also kein Anfechtungsgrund. Man könnte

jedoch trotzdem dem P ein Anfechtungsrecht zusprechen auf-

grund der Unterschrift des H im Namen des P. Wie bereits mit

der Analogie der § 177 ff. verdeutlicht, ist die Willenserklä-

rung des H dem P nicht zurechenbar, daher erscheint es billig,

P unter analoger Anwendung der § 166 II ein Anfechtungs-

recht zuzubilligen. Es ist also anzustellen auf Willensmängel

des P. P genehmigte den Kaufvertrag, den H in seinem Namen

mit W geschlossen hatte in dem Glauben, der Vertrag sei über

die anhand seiner Preisliste korrekt berechneten Preise ge-

schlossen worden, obwohl dies in Wirklichkeit nicht der Fall

war. Damit befand sich P in einem Inhaltsirrtum nach § 119 I

1. Fall. Der Irrtum war auch objektiv und subjektiv erheblich.

In Betracht kommt ein Ausschluss des Anfechtungsgrundes,

da P ohne den Vertrag zu lesen, genehmigte. Er machte sich

aber dennoch eine Vorstellung zum Inhalt der Verträge, somit

liegt ein Inhaltsirrtum vor.

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123

Hier aber einseitiges Rechtsge-

schäft der Genehmigung

§ 143 III

Schön!

Sehr gut

Ohne schuldhaftes Zögern

Sehr gut

(dann seh ich auch mal über

den Urteilsstil hinweg)

Genau

2. Anfechtungserklärung

Die Anfechtung müsste ferner wirksam erklärt worden sein,

nach § 143 I muss dies gegenüber dem richtigen Anfechtungs-

gegner geschehen. Dies ist bei einem Vertrag der andere Teil,

§ 193 II, also W. P erklärte die Anfechtung gegenüber B, die

Anfechtungserklärung könnte aber mit Zugang bei B Wirk-

samkeit entfalten, wenn B Passivvertreter der W war.

a. Willenserklärung an B

Es kann davon ausgegangen werden, dass P nicht nur die An-

fechtung mit B als Boten an W weiterleiten will, sondern dass

er direkt an B die Anfechtung erklärt.

b. Wirkungen gegenüber W

Die Rechtsfolgen der Erklärung sollten Wirkung für und ge-

gen W entfalten. Davon ist im Rahmen eines unternehmens-

bezogenen Geschäfts auszulegen, denn B ist Sekretariatsmit-

arbeiter der W.

c. Vertretungsmacht

B müsste Vertretungsmacht zur Empfangnahme von Willens-

erklärungen gehabt haben. B ist Sekretariatsmitarbeiter, damit

ist er zum Entgegennehmen von Willenserklärungen bevoll-

mächtigt. Die Willenserklärung des P wird also mit Zugang

bei B wirksam, die tatsächliche Kenntnisnahme der W einige

Wochen später ist irrelevant.

3. Anfechtungsfrist

Die Anfechtung müsste in der erforderlichen Frist, also nach

§ 121 I unverzüglich erklärt worden sein. Nach dem Tag der

Erklärung des Irrtums erhielt P die Anfechtung, die Frist ist

somit gewahrt.

4. Kein Ausschluss der Anfechtung

Die Anfechtung dürfte ferner nicht ausgeschlossen sein, hier

erklärte sich W nach der Aufklärung des Irrtums dazu bereit

7000 Euro nachzubezahlen, also den Betrag den P auch in der

Anfechtung gefordert hätte. P lehnt dies ab, da er ein besseres

Angebot bekommen hat. Dies ist nach Treu und Glauben,

§242 BGB unzulässig denn der Anfechtende soll nach der An-

fechtung nicht besser stehen wie davor. Die Anfechtung ist

somit ausgeschlossen. Ein wirksamer Kaufvertrag liegt daher

vor.

5. Ergebnis

P hat daher keinen Anspruch gegen W auf Herausgabe der

Walze nach § 812 I 1 1. Alt.

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Sehr geehrte Frau X,

an Ihrer Klausur gibt es wirklich wenig auszusetzen. Sie haben alle aufgeworfenen Prüfungspunkte er-

örtert und einer sehr guten Lösung zugeführt.

Einzig Kleinigkeiten wie die nicht angesprochene Möglichkeit einer Anscheinsvollmacht oder der nicht

thematisierte Zugang der Annahmeerklärung der W bei dem P, sind mir „negativ“ aufgefallen.

Ansonsten ist auch Ihr Gutachtenstil größtenteils schon sehr ordentlich für Ihr frühes Stadium. Den

Urteilsstil im letzten Abschnitt schreibe ich mal dem Zeitdruck zu.

Ihre Formulierungen sind weitestgehend schön juristisch und auf den Punkt gebracht.

Weiter so!

17 Punkte (Sehr gut)

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2. Klausur im Zivilrecht für Anfänger (10.6.2016)

Prof. Dr. Jens Kleinschmidt

Der Winzer Georg Bendemann (B) aus Trier plant eine Ausstellung Er kauft hierfür von dem Koblenzer

Industriellen Gregor Samsa (S) eine antike Lampe, das letzte Stück aus der berühmten KfK-Kollektion,

für 2.000 €. B und S vereinbaren, dass B die Lampe am 06.11.2015 bei S abholen soll. S wartet allerdings

vergeblich mit der bereitgestellten Lampe auf B. Zwei Tage später brechen Unbekannte bei S ein. Unter

anderem verschwindet dabei auch die antike Lampe unwiederbringlich. Gleichwohl verlangt S den

Kaufpreis.

B ist über dieses Ansinnen empört. Ob denn S vergessen habe, dass er ihm den Schaden aus dem anderen

Geschäft noch nicht ersetzt hat? Das seien schließlich auch 2.000 € gewesen. Das müsse man jetzt ver-

rechnen, sodass man einander wohl quitt sei.

B hatte nämlich von S, der Weinpressen verreibt, am 01.09.2015 eine Weinpresse des beliebten Modells

„Käfer“, von dem S noch zehn Stück auf Lager hatte, gekauft. Der Kaufpreis von 30.000 € sollte eine

Woche nach Bereitstellung der Weinpresse gezahlt werden. B erklärte sich im Gegenzug bereit, die

Weinpresse am 03.09.2015 um 14 Uhr bei S abzuholen.

Am frühen Morgen des 03.09.2015 fuhr S mit dem Gabelstapler in sein Lager, wo alle zehn Weinpressen

„Käfer“ ordentlich in einer Reihe standen. Gerade als er auf eine Weinpresse zusteuerte, um diese für B

bereitzustellen, verlor der die Kontrolle über den Gabelstapler und rammte diese Presse, was zu deren

irreparablen Zerstörung führte.

Als B pünktlich am selben Tag um 14 Uhr bei S erschien, teilte ihm dieser mit, er könne ihm die Wein-

presse nicht geben, da das für ihn vorgesehene Stück zerstört worden sei.

B konnte auf die Schnelle auch keinen geeigneten Ersatz für die Weinpresse finden. Dies führte dazu,

dass er zunächst nicht mit voller Kapazität produzieren konnte. Es gelang ihm deshalb nicht, bis zu dem

mit seinen Abnehmern vereinbarten Zeitpunkt die geplante Menge Wein herzustellen, sodass ihm ein

Gewinn von 2.000 € entging.

Kann S von B Zahlung in Höhe von 2.000 € verlangen?

Ansprüche aus Deliktsrecht (§§ 823 ff.) sowie Normen des HGB sind nicht zu prüfen.

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Gutachten

Obersatz! Voraussetzungen

des § 326 I S. 1 ? Gegenseiti-

ger Vertrag?

Nein, Unmöglichkeit gemäß §

275 II, III würde auch ausrei-

chen.

Richtig

Wenn nicht § 326 II eingreift

Zudem genügte auch ein wört-

liches Angebot gemäß § 295 S.

1 , weil eine Holschuld vorlag.

A. Anspruch S gegen B auf Kaufpreiszahlung aus § 422 II (§§ im

Folgenden ohne Gesetzesbezeichnung sind solche des)

Möglicherweise hat S einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung in

Höhe von 2.000 € gegen den B. Voraussetzung dafür ist ein wirk-

samer Kaufvertrag im Sinne der §§ 145 ff., 433.

I. Vertragsschluss

B und S müssten einen Kaufvertrag geschlossen haben. Dieser

kommt zustande durch zwei kongruierende Willenserklärungen,

Angebot und Annahme zustande. Laut Sachverhalt kauft der B vom

S eine Lampe zum Preis von 2.000 €. Mithin liegt ein Kaufvertrag

vor und ein Anspruch ist folglich entstanden.

II. Unmöglichkeit (§ 326 I S. 1 Hs. 1)

Der Anspruch könnte aber untergegangen sein, sofern die Leistung

unmöglich geworden ist. Dazu müsste echte Unmöglichkeit gemäß

§ 275 I vorliegen. Demnach ist eine Leistung unmöglich, wenn der

Erfolg von niemandem oder dem Schuldner nicht mehr herbeige-

führt werden kann. Dazu ist entscheidend, ob es sich um eine Gat-

tungs- oder eine Stückschuld handelte. Bei einer Stückschuld ist

das Stück nicht nach Eigenschaften, sondern nach seiner Identität

bestimmt. B und S hatten sich beim Kauf auf eine antike Lampe,

welche das letzte Stück ihrer Art war, geeinigt. Folglich liegt eine

Stückschuld vor. Das Stück wurde bei einem Einbruch von unbe-

kannten entwendet und ist somit nur für den S untergegangen. Die

Unbekannten könnten die Leistung erbringen. Folgerichtig liegt ein

Fall subjektiver Unmöglichkeit vor und die Anspruch ist unterge-

gangen (gemäß § 326 I S. 1 Hs. 1).

Dennoch könnte ein Anspruch auf Gegenleistung weiterhin beste-

hen, sofern der vom Schuldner nicht zu vertretene Umstand der Un-

möglichkeit während des Verzugs des Gläubigers eingetreten ist –

vgl. § 326 II Alt. 2. B müsste in Verzug geraten sein (§293). Dazu

müsste er ein ordnungsgemäßes Angebot nicht angenommen ha-

ben.

a) es müsste ein Angebot vorliegen. Ein tatsächliches Angebot

(§294) liegt nicht vor, aber für die Übergabe der Lampe war ein

Termin nach dem Kalender, der 6.11.15, bestimmt, sodass ein tat-

sächliches Angebot entbehrlich ist (§296 S. 1).

b) Die Leistung war zum Zeitpunkt des Angebots auch noch mög-

lich, sodass § 297 nicht greift.

c) B dürfe die Leistung nicht angenommen haben. Selbst zwei Tage

nach dem vereinbarten Abholtermin ist er nicht aufgetaucht. Somit

hat er das Angebot auch nicht angenommen.

Dies hat zur Folge, dass S während des Verzugs nur grobe Fahrläs-

sigkeit (§300 I) und Vorsatz zu vertreten hat. Für beides gibt es im

Sachverhalt keine Anhaltspunkte, sodass S die Unmöglichkeit auch

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Gleichartige

§ 287

Begründung?

Gute Prüfung

Fälligkeit u. Durchsetzbarkeit

Sie könnten noch ganz kurz

prüfen, ob d. Kaufvertrag zu-

stande gekommen ist.

nicht zu vertreten hat und der Anspruch auf Gegenleistung bestehen

bleibt.

II. Aufrechnung

Die Forderung könnte aber gemäß § 389 erloschen sein, sofern

wirksam aufgerechnet wurde. Dazu sind eine Aufrechnungslage so-

wie Aufrechnungserklärung erforderlich.

1. Aufrechnungslage

Es müssten gegenseitige, wirksame, fällige, durchsetzbare Forde-

rungen bestehen. S hat wie bereits geprüft einen Anspruch auf

Kaufpreiszahlung gemäß § 433 II. Dieser ist auch fällig und durch-

setzbar.

Fraglich ist, ob B eine Forderung gegen S hat. Eine etwaige Forde-

rung könnte sich aus §§ 280 I, II, 286 ergeben.

a) Schuldverhältnis

Es müsste ein Schuldverhältnis bestehen. B hatte am 1.9.15 eine

Weinpresse bei S gekauft. Mithin liegt ein Schuldverhältnis in

Form eines Kaufvertrages vor (§ 433).

b) Pflichtverletzung

Es müsste auch eine Pflichtverletzung vorliegen. Eine solche be-

steht in einer objektiven Verletzung des Pflichtenprogramms und

nicht eher in deren Herbeiführen. Möglicherweise hat S seine Leis-

tungspflicht gemäß § 433 I S. 1 verletzt, diese könnte nämlich un-

möglich geworden sein. Dich hatte S insgesamt 10 Weinpressen

(Gattungsschuld). Diese könnte aber zur Stückschuld geworden

sein, sofern gemäß § 243 II Konkretisierung eingetreten ist. Dies

hängt von der Art der Schuld ab. B und S haben vereinbart, dass b

die Weinpresse am 3.9.15 bei S abholt. Leistungs- und Erfolgsort

liegen also beim Schuldner und es handelt sich um eine Holschuld.

Bei einer Holschuld tritt Konkretisierung ein, wenn der Schuldner

den Gegenstand ausgesondert und den Gläubiger zur Abholung

aufgefordert hat. S hatte die Presse aber noch nicht ausgesondert,

sondern diese zerstört, als er dies tun wollte. Es wurde also nicht

konkretisiert und es liegt eine Gattungsschuld vor.. Die Leistung

wurde für S also nicht unmöglich.

Eine mögliche Pflichtverletzung könnte in einer Verzögerung be-

stehen. Dazu müsste S trotz Möglichkeit nicht geleistet haben.

aa) B hatte aus § 433 I S. 1 einen wirksamen Anspruch auf Über-

gabe und Übereignung der Weinpresse gegen S.

bb) Der Anspruch müsste auch fällig gewesen sein. Dies ist, soweit

sich nichts anderes ergibt, sofort der Fall (§271 I). Hier haben B

und S aber einen festen Termin vereinbart, den 3.9.15 um 14 Uhr.

Pünktlich um 14 Uhr war B bei S um die Presse abzuholen. Der

Anspruch war auch fällig.

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Richtig

Ist dieser Zeitpunkt denn ein-

getreten?

Wann liegt ein Schadenser-

satzanspruch neben der Leis-

tung vor?

Hier liegt ein Fixgeschäft vor,

sodass noch ein Interesse an

einer Warenlieferung bestand.

Gemäß § 286 I S. 1

Hier kommt es darauf an, ob S

verantwortlich ist, dass nicht

rechtzeitig geleistet wurde,

nicht darauf ob er d. Zerstö-

rung d. Presse zu vertreten hat.

Sein Verschulden liegt hier in

der Weigerung zu leisten, ob-

wohl es möglich gewesen

wäre.

Differenzhypothese?

cc) Die Einrede des nicht erfüllten Vertrages, § 320 I S. 1 greift hier

nicht, denn es war vereinbart, dass B den Kaufpreis für die Wein-

presse eine Woche nach Erhalt der Weinpresse zahlen soll, also war

S verpflichtet vorzuleisten. Auch ist der Anspruch durchsetzbar.

dd) S müsste auch nicht geleistet haben. Dies ist der Fall, wenn er

die Leistungshandlung nicht vorgenommen hat. S hat dem B keine

Weinpresse der Marke „Käfer“ übereignet und somit nicht geleis-

tet, obwohl er noch andrer Pressen auf Lager hatte. Es liegt eine

Verzögerung vor.

c) Weitere Voraussetzungen des § 286 I

Ob weitere Voraussetzungen des § 286 I vorliegen müssen hängt

davon ab, ob es sich um Schadensersatz statt der Leistung handelt.

Dies ist der Fall, wenn der Schaden dadurch entsteht, dass im letzt-

möglichen Zeitpunkt nicht geleistet und der Schaden endgültig

wurde. Der Schaden ist endgültig eingetreten, denn B hat keinen

Deckungskauf oder ähnliches vorgenommen und würde auch nicht

durch eine nachträgliche Leistung entfallen, folglich ist diese noch

möglich. Aber B könnte kein Interesse mehr an der Leistung haben,

denn er konnte zu dem für ihn relevanten mit seinen Abnehmern

vereinbarten Zeitpunkt für diese nicht genug Wein herstellen. Es

handelt sich also um einen Schadensersatzanspruch neben der Leis-

tung und die Voraussetzungen des § 286 I, der Ablauf einer ange-

messenen Frist, muss vorliegen.

aa) Eine Mahnung müsste verstrichen sein. Eine Mahnung ist eine

eindeutige, bestimmte Aufforderung zur Leistung. Eine solche

Mahnung hat B dem S nicht gesetzt. Diese könnte aber gemäß §

286 II Nr. 1 entbehrlich sein, sofern für die Leistung eine Zeit nach

dem Kalender bestimmt ist. Wie bereits geschildert war der 3.9.15

14 uhr vereinbart. Somit war eine Mahnung entbehrlich und S be-

fand sich folglich im Verzug.

d) Vertretenmüssen

S müsste die Pflichtverletzung auch zu vertreten haben (§ 280 I S.

2). Grundsätzlich hat er Vorsatz und Fahrlässigkeit (§276 I) zu ver-

treten. Fahrlässig im Sinne des § 276 II handelt, wer die im Verkehr

erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Das Vertretenmüssen wird

vermutet. B fuhr mit dem Gabelstapler in die Presse und kann auch

die Pflichtverletzung der Verzögerung nicht exkulpieren. Somit

liegt auch ein Vertretenmüssen vor.

e) kausaler Schaden

Außerdem müsste en kausaler Schaden entstanden sein. Schaden ist

jede unfreiwillige Vermögenseinbuße. Dadurch dass B nicht genug

Wein produzieren konnte, entging ihm ein Gewinn in Höhe von

2.000 €. Hätte S rechtzeitig geleistet, hätte B genug Wein produzie-

ren können und ihm wäre kein Gewinn entgangen. Somit ist der

Schaden auch kausal.

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Das müssen Sie nur prüfen,

wenn es problematisch ist.

f) Somit hat B gegen S einen Anspruch auf Verzögerungsschaden

in Höhe von 2.000 €. Diese wird auch sofort fällig (§271 I) und der

Sachverhalt lässt keine Zweifel an dessen Durchsetzbarkeit entste-

hen. Der Anspruch ist insbesondere nicht verjährt, denn B rechnet

am 6. 11.15 auf und der Anspruch entstand am 3.9.15. Die Verjäh-

rungsfrist von drei Jahren (§195) ist also keinesfalls verstrichen.

Somit haben B und S gegenseitige wirksame Forderungen.

Diese müsste n auch gleichartig sein. Dazu müssten die Gegen-

stände der Forderungen der gleichen Gattung entstammen. Es han-

delt sich bei den geschuldeten Gegenständen jeweils um Geld. So-

mit sind die Forderungen auch gleichartig und eine Aufrechnungs-

lage besteht.

2. Aufrechnungserklärung, § 388 S. 1

Die Aufrechnung müsste auch erklärt worden sein. Dazu muss eine

Partei der anderen das Aufrechnungsanliegen unmissverständlich

angetragen haben. Als B S Kaufpreiszahlung verlangt macht B klar,

dass er eben auch noch einen Anspruch gegen den S hat und man

diese verrechnen müsse, Folglich wurde die Aufrechnung auch er-

klärt.

3. Aufrechnungsverbot

Auch ein Aufrechnungsverbot, insbesondere § 293 kommt nicht in

Betracht, denn der S hat nicht vorsätzlich gehandelt.

4. Somit wurde wirksam aufgerechnet und die gegenseitigen An-

sprüche sind erloschen.

IV. Kraft wirksamer Aufrechnung ist der Anspruch S gegen B auf

Kaufpreiszahlung gemäß § 433 II erloschen und S hat folglich kei-

nen Anspruch gegen B auf Zahlung der 2.000 €.

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Sehr geehrter Herr X,

Ihre Klausur übertrifft die durchschnittlichen Anforderungen erheblich. Sie beherrschen den Gutachten-

stil gut, erkennen alle wichtigen Probleme der Klausur und prüfen diese auch größtenteils gut und aus-

führlich. Ihnen unterlaufen nur wenige Fehler und Ungenauigkeiten.

Die Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises durch B prüfen Sie recht gut. Sie erkennen richtig, dass

hier eine Unmöglichkeit der Leistung durch S gemäß § 275 I bestand und dass dies normalerweise zu

einem Entfallen der Gegenleistungspflicht gemäß § 326 I S. 1 führen würde, dass der Anspruch hier

aber gemäß § 326 II S. 1 Alt. 2 erhalten bleibt. Bei der Prüfung des Annahmeverzugs hätten Sie noch

darauf eingehen können, dass hier eine Holschuld vorlag und daher gemäß § 295 S. 1 ein wörtliches

Angebot ausgereicht hätte, wenn dieses nicht ohnehin wegen der Vereinbarung eines Termins für die

Leistung gemäß § 296 S. 1 entbehrlich wäre.

Die Prüfung der Gegenforderung (den Schadensersatzanspruch des B gegen S) gelingt Ihnen ebenfalls

gut. Allerdings hätten Sie bei der Abgrenzung zwischen Schadensersatz statt der Leistung und Scha-

densersatz neben der Leistung noch ansprechen können, dass hier kein Fixgeschäft vorliegt und dass

daher noch die Möglichkeit zur späteren Nachlieferung besteht, die aber den Schaden nicht mehr ent-

fallen lassen würde. Zudem hätten Sie auch noch darauf eingehen können, ob hier Schadensersatz funk-

tional an die Stelle des vorherigen Leistungsanspruchs tritt. Beim Verschulden prüfen Sie zudem, ob B

die Presse fahrlässig zerstörte. Darauf kommt es hier jedoch nicht an, da es entscheidend ist, ob B die

nicht rechtzeitige Lieferung an der Presse zu vertreten hatte. Da er auch nach der Zerstörung noch andere

pressen gehabt hätte, liegt hier sein Verschulden darin, dass er sich weigerte S eine der anderen pressen

zu geben. Auf ein mögliches Aufrechnungsverbot und die Verjährung hätten Sie nicht unbedingt einge-

hen müssen, da hierfür im Sachverhalt keine Anhaltspunkte zu erkennen sind.

Aufgrund des oben Dargestellten und auch unter Verweis auf weitere Ausführungen am Rand Ihrer

Klausur ist die Klausur mit

14 Punkten (gut)

Bewertet.

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Die Fachschaft sucht weiterhin

Klausuren ab 10 Punkte / „vollbefriedigend“,

um regelmäßig aktualisierte Klausurensammlungen herausgeben zu

können.

Bitte gebt diese bei uns ab – es warten auf euch eine kleine Überra-

schung sowie die Dankbarkeit aller Kommilitonen, die den von euch

absolvierten Schein noch benötigen!