Zumach, Andreas - Die Kommenden Kriege (eBook German de)

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Andreas Zumach Die kommenden Kriege scanned 03-12_2007/V1.0 corrected by bw Iran, Syrien, Nordkorea: Die kommenden Kriege – und wie sie noch zu vermeiden wären. Die UNO ist seit dem Irakkrieg empfindlich geschwächt. Amerika hält an seiner Präventivkriegsdoktrin fest. Europa träumt von politischer Emanzipa- tion durch militärische Stärke. Das Ende des Ölzeitalters ist absehbar – bei wachsendem Energiebedarf in Amerika, Europa und China. Gehen wir einer Epoche der Kriege um Ressourcen, um Menschenrechte und Machtgewinn entgegen? ISBN: 3-462-03641-6 Verlag: Kiepenheuer & Witsch Erscheinungsjahr: 1. Auflage 2005 Umschlaggestaltun g: Barbara Thoben, Köln Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!

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Andreas Zumach

Die kommenden

Kriege

scanned 03-12_2007/V1.0corrected by bw

Iran, Syrien, Nordkorea: Die kommenden Kriege – und wie sie noch zu

vermeiden wären.Die UNO ist seit dem Irakkrieg empfindlich geschwächt. Amerika hält anseiner Präventivkriegsdoktrin fest. Europa träumt von politischer Emanzipa-tion durch militärische Stärke. Das Ende des Ölzeitalters ist absehbar – beiwachsendem Energiebedarf in Amerika, Europa und China. Gehen wir einerEpoche der Kriege um Ressourcen, um Menschenrechte und Machtgewinnentgegen?

ISBN: 3-462-03641-6

Verlag: Kiepenheuer & WitschErscheinungsjahr: 1. Auflage 2005Umschlaggestaltung: Barbara Thoben, Köln

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Buch

Nach dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak hat dieBush-Administration Syrien, Iran, Nordkorea und andere»Tyrannen- und Terrorstaaten« ins Visier genommen. In diesenLändern sollen die Entwicklung von Massenvernichtungswaffenverhindert, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte gefördertund damit dem Terrorismus der Nährboden entzogen werden.Doch die Androhung und Vorbereitung von Militärschlägen sindungeeignete, ja kontraproduktive Mittel, um diese Ziele zuerreichen. Tatsächlich geht es der Bush-Administration in ersterLinie darum, im zu Ende gehenden Ölzeitalter den Einfluss unddie Machtpositionen der USA in der (noch) ölreichsten Weltre-gion Mittlerer Osten/Zentralasien zu festigen und auszubauen.Und dies in immer schärferer Konkurrenz zu Europa, China undRussland, die ihrerseits zunehmend auf die Entwicklung militä-rischer Gegengewichte zu den USA setzen. Sind (Welt-)Kriege

um Öl noch vermeidbar? Gibt es noch Chancen für den friedli-chen Ausgleich von Interessen und die gemeinsame Bewälti-gung der globalen Probleme im Rahmen der UNO? DieseFragen beantwortet Andreas Zumach in seinem hochbrisantenneuen Buch.

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Autor

Andreas Zumach, Jahrgang 1954, ist internationaler Korrespon-dent der Berliner tageszeitung und weiterer Zeitungen undRundfunksender bei der UNO in Genf. In den achtziger Jahrenwar er Sprecher des bundesweiten Koordinierungsausschussesder Friedensbewegung. Andreas Zumach verfolgt die Entwick-lung des Völkerrechts und der internationalen Organisationenseit mehr als 17 Jahren und ist bekannt für seine kenntnisreichenHintergrundberichte und Analysen. 1997 erschien sein Buch»Vereinte Nationen« und 2003 der gemeinsam mit Hans vonSponeck verfasste Titel »Irak – Chronik eines gewolltenKrieges«.

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Inhalt

Buch.........................................................................................................2 Autor........................................................................................................3 Inhalt........................................................................................................4 

VORWORT.................................................................................................6 IRAK: DER LETZTE KRIEG UND SEINE FOLGEN ............................11 

 Die Kriegslüge Massenvernichtungswaffen...........................................12 Geheimdienstfehler oder gezielte Regierungslügen? .............................17 

 Nachkriegsmanipulationen ....................................................................19 Kriegslüge Terrorismusunterstützung ...................................................24 

 Die Fehler und Defizite der Kriegsgegner .............................................26 Verheerende Kriegsbilanz......................................................................28 TAUGT DIE UNO-CHARTA NUR NOCH FÜR SONNTAGSREDEN?30 

 Irakkrieg: der bislang schwerste Anschlag auf das Völkerrecht ...........31 Kosovokrieg: der erste Sündenfall .........................................................33 11. September als gravierender Einschnitt ............................................40 Selbstverteidigung ohne Grenzen ..........................................................43 

 Der Missbrauch des Menschenrechtsarguments zur selektiven»humanitären Intervention« ..................................................................47 

Quadratur des Kreises: Kofi Annans Reformvorschläge zur Anwendungmilitärischer Gewalt ..............................................................................52 »Verantwortung zum Schutz« notfalls durch militärische Intervention .58 

DIE KOMMENDEN KRIEGE..................................................................62 »Erfolgreiche« Präzedenzfälle und transatlantische Gemeinsamkeiten63 Verengte Bedrohungswahrnehmung und militarisierte Antworten........66 One down, two to go – von den »Schurkenstaaten« zur »Achse des

 Bösen« ...................................................................................................69 Öl war das Hauptmotiv für den Regimesturz in Bagdad .......................72 

 Iran – von erheblicher geostrategischer Bedeutung für die USA und für Europa ...................................................................................................76 

 Der Streit um Teherans Atomprogramm................................................77 Wollen die Mullahs die Atombombe? Iran und der 

 Atomwaffensperrvertrag ........................................................................81  Die Sackgasse des EU-Verhandlungsansatzes mit Iran.........................86 Sind Militärschläge gegen iranische Atomanlagen die einzigeverbleibende Option?.............................................................................89 Szenarien für einen Krieg gegen den Iran .............................................91 

 Nordkorea – was plant »der Irre mit der Bombe«? ...............................98 Krieg gegen Nordkorea – Hirngespinst oder realistische Option? .....104 

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Schnell, mobil und tödlich – der gesicherte Zugang zu weltweitenEnergieressourcen als Ziel der US-Militärstrategie............................108 

 Hindernisse für weitere Kriege der USA .............................................120 DAS ENDE DES ÖLZEITALTERS.......................................................122 

 Der Rohstoff Öl erlangt strategische Bedeutung .................................123  Das Ende der Illusionen von den unerschöpflichen Öl-Ressourcen ....130 2,50 Euro für den Liter Benzin werden schon bald Realität ................137 

 Die EU bereitet sich auf Kriege um Ressourcen vor ...........................141 EUROPA UND DIE USA: »CLASH OF CIVILISATIONS« ODERGEMEINSAME HISTORISCHE VERANTWORTUNG?.....................148 

 Die Illusion vom transatlantischen Schulterschluss nach dem 11.September ............................................................................................149 

 Das Propagandamärchen vom amerikanischen Mars und der 

europäischen Venus .............................................................................155 Kritik aus Europa an der US-Politik ist notwendig, aber nicht hinreichend ..........................................................................................159 

PRÄVENTIVKRIEG ALS DAUERZUSTAND?...................................166 Wie sinnvoll ist das Konzept einer multipolaren Machtbalance? ........167 Emanzipation von den USA durch Militarisierung – der Irrweg der EU .............................................................................................................170 Plädoyer für eine strategische Koalition der willigen Multilateralisten.............................................................................................................177 

ANHANG................................................................................................183  Anhang 1 »Wir dürfen unsere Feinde nicht zuerst zuschlagen lassen«.............................................................................................................184 

 Anhang 2 Die Energieversorgung der Großmächte in den kommenden25 Jahren: mögliche Auswirkungen auf die Geopolitik .......................205 

 Anhang 3 »In größerer Freiheit: auf dem Weg zu Entwicklung,Sicherheit und Menschenrechten für alle«...........................................233 

 Anhang 4 »Eine sichere Welt: unsere gemeinsame Verantwortung« .236 

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VORWORT

Ende Juni 2005, als diese Zeilen geschrieben wurden, jährte sichder 60. Gründungstag der UNO. Das Ereignis blieb weitgehendunbeachtet von der Öffentlichkeit. Weit mehr Aufmerksamkeitals die gemischte Bilanz und die unsichere Zukunft der reform-bedürftigen Weltorganisation fanden in jenen Tagen zweiNachrichten, bei denen es direkt oder indirekt um Öl ging: Der

Weltmarktpreis für ein Barrel (159 Liter) des wichtigstenfossilen Energierohstoffs überschritt erstmals seit Beginn seinerkommerziellen Nutzung vor knapp 150 Jahren die Marke von 60US-Dollar. Zugleich erreichte der Preis für den Liter Benzin andeutschen Tankstellen die Rekordhöhe von 1,25 Euro – unddamit bereits die Hälfte des Betrages, den die bundesdeutschenGrünen in ihrem »5-Mark«-Beschluss auf dem Magdeburger

Parteitag im März 1998 zur notwendigen Voraussetzung für eineökologische Energiewende erklärt hatten. Ein hellsichtiger,richtungweisender Beschluss, den die Grünen angesichts desempörten Aufschreis aller anderen Parteien und fast sämtlicherMedien in der deutschen Autofahrerrepublik damals allerdingssofort wieder kassierten.

Seitdem haben sich die Verteilungskämpfe um die immerknapper werdenden Ressourcen Öl und Gas erheblich zugespitzt

und bestimmen zunehmend die internationale Politik. Hinterdem völkerrechtswidrigen Irakkrieg vom Frühjahr 2003 stand inerster Linie das Interesse der USA (in absoluten Zahlen wie proKopf ihrer Bevölkerung mit weitem Abstand der größte Konsu-ment fossiler Energien unter den 191 Staaten dieser Erde) anden Ölreserven des Irak und seiner Nachbarländer.

Der angloamerikanische Präventivkrieg gegen den Irak war

der bislang schwerste Anschlag gegen das Völkerrecht seit

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Gründung der UNO. Er wurde geführt auf Basis einer neuenamerikanischen Militärstrategie. Diese reklamiert das »Recht«der USA zu vorbeugenden militärischen Angriffen selbst mit

Atomwaffen gegen Staaten, die Washington der Verbreitungvon Massenvernichtungswaffen oder der Unterstützung von Ter-roristen verdächtig. Mit dem Irakkrieg wurde die Erosion derUNO-Charta, die seit dem als »humanitäre Intervention«gerechtfertigten Luftkrieg der NATO von 1999 zu beobachtenist, weiter vorangetrieben.

China mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern und einer seitJahren um zweistellige Prozentzahlen wachsenden Volkswirt-schaft hat seinen Ölbedarf allein zwischen 2000 und 2003verdoppelt und ist seitdem beim Ölkonsum die Nummer zweihinter den USA. Im Juni 2005 meldete China sein Interesse an,den größten amerikanischen Ölkonzern Unocal zu kaufen, derinsbesondere an der Ausbeutung der Ölvorkommen in Zentral-asien beteiligt ist.

Weil China und Russland ihre führende Rolle bei der Ausbeu-

tung der sudanesischen Ölfelder nicht gefährden wollten, blo-ckierten beide Länder im UNO-Sicherheitsrat alle Maßnahmenzugunsten der Flüchtlinge und Vertriebenen in der westsudane-sischen Region Darfur, die tatsächlich Druck auf die Regierungin Khartum ausgeübt hätten.

Nicht nur in Washington, auch in der EU-Hauptstadt Brüssel,in Peking oder Moskau wird die Sicherung der eigenen Energie-versorgung immer deutlicher als Begründung für künftige mili-tärische Interventionen im Ausland und für die Schaffung derdazu notwendigen militärischen Kapazitäten und Fähigkeitenangeführt. Zugleich sprechen europäische Außen- und Sicher-heitspolitiker immer häufiger von der künftigen »weltpolitischenRolle« der EU und betonen die Notwendigkeit eigenständigermilitärischer Kapazitäten und Fähigkeiten – unabhängig vonoder gar in Konkurrenz zu jenen der USA. Auch in Peking und

Moskau stoßen Vorstellungen einer nicht nur politischen und

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wirtschaftlichen, sondern auch militärischen Gegenmachtbil-dung zu den USA zunehmend auf Unterstützung.

Noch mehr als die Aufwärtsentwicklung der Öl- und Benzin-

preise sorgten Ende Juni 2005 die Nachrichten aus Teheran fürAufregung – insbesondere im Westen: Die Einwohner des Iran,des Landes mit den drittgrößten Ölreserven der Welt (nachSaudi-Arabien und dem Irak) und den zweitgrößten Gasvorräten(nach Russland), wählten den islamischen Hardliner MachmudAchmadinedschad mit großer Mehrheit zu ihrem neuen Präsi-denten. Zumindest die westlichen Beobachter hatten hingegenfest mit der Wahl des als »Pragmatiker« geltenden Ex-Präsiden-ten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani gerechnet. Infolge desWahlergebnisses wurde eine weitere Verschlechterung des seitJahrzehnten schwer belasteten Verhältnisses zwischen dem Iranund den USA befürchtet.

Bereits im Januar 2002 hatte US-Präsident George Bush Irangemeinsam mit Irak und Nordkorea zur »Achse des Bösen« inder Welt erklärt. In der Folge drohte Washington mehrfach un-

verhüllt mit militärischen Maßnahmen gegen Teheran. Der neueiranische Präsident Achmadinedschad kündigte unmittelbar nachseiner Wahl an, er werde sich nicht um die Verbesserung derBeziehungen zum »großen Satan USA« bemühen und auch dasvon Washington kritisierte Atomprogramm uneingeschränktfortsetzen. Nach offizieller Darstellung will Teheran mit diesemProgramm ausschließlich atomare Energie gewinnen, um die Öl-und Gasvorräte des Landes zu strecken. Die USA und Israelgeben sich hingegen davon überzeugt, dass der Iran heimlichAtomwaffen entwickelt.

»Der Krieg der USA gegen den Iran hat bereits begonnen«,schrieb nur wenige Tage vor der iranischen PräsidentenwahlScott Ritter, der ehemalige führende US-amerikanische Waffen-inspekteur im Irak, dem westlichen Nachbarland des Iran. Ritterzufolge führte die einst von Saddam Husseins Geheimdienst

ausgebildete und kontrollierte iranische Oppositionsgruppe

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Mudschahedin el Khaly im Auftrag des amerikanischen Ge-heimdienstes CIA Anschläge im Iran durch, die das Land desta-bilisieren und zu einem Sturz der Teheraner Regierung führen

sollten.Doch trotz aller schlechten Nachrichten: Die Eskalation der

verschärften Verteilungskämpfe um Öl und andere Ressourcenzu militärischen Auseinandersetzungen – durchaus denkbar ineinigen Jahrzehnten sogar zwischen Europa und den USA – istzwar möglich, aber keineswegs ein unabwendbares Schicksal.Ob die ökologische Wende hin zu nachhaltigen Energien recht-zeitig, auf internationaler Ebene und in ausreichendem Umfangstattfindet, um die Verteilungskämpfe um die immer knapperenfossilen Energien zu entschärfen und die ökologischen Folge-schäden ihrer Verbrennung (wie die Erwärmung des globalenKlimas) zumindest zu begrenzen – das alles ist keine Frage dertechnologischen Machbarkeit, sondern ausschließlich despolitischen Willens.

Ob die wichtigen Weichenstellungen in diese Richtung, die die

wirtschaftsstarke Mittelmacht Deutschland seit 1998 unter derrot-grünen Regierung vorgenommen hat (u. a. mit dem Gesetzüber erneuerbare Energien, der Ökosteuer, dem Solardächer-Programm und dem Ausstieg aus der Atomenergie), unter derneuen Bundesregierung beibehalten werden oder nicht, ist dabeidurchaus von großer internationaler Relevanz.

Ähnliches wie für die Machbarkeit einer ökologischen Ener-giewende gilt auch für die Möglichkeit einer Deeskalation undeiner politischen Lösung des Konflikts um das iranische Atom-programm sowie anderer Konflikte, die derzeit scheinbar unaus-weichlich auf kriegerische Auseinandersetzungen zusteuern.UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat im März 2005 eine prä-zise Analyse der wichtigsten globalen Herausforderungen vor-gelegt sowie konkrete Vorschläge, wie diesen Herausforderun-gen begegnet werden könnte: nicht durch Krieg und militärische

Machtkonkurrenz, sondern allein durch deutlich verbesserte

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kooperative Maßnahmen im Rahmen einer durch Reformengestärkten UNO.

Es liegt an den Bürgerinnen und Bürgern der 191 UNO-

Mitgliedsstaaten, ob diese Vorschläge umgesetzt werden.

  Andreas Zumach Genf, 26. Juni 2005 

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IRAK: DER LETZTE KRIEG UND

SEINE FOLGEN

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Die Kriegslüge Massenvernichtungswaffen 

Selten hat eine politische Lügenkampagne so lange und so in-tensiv die internationale Diskussion beherrscht wie die Behaup-tungen der Regierungen in Washington und London von derExistenz irakischer Massenvernichtungswaffen (MVW) und derangeblich davon ausgehenden »unmittelbaren Bedrohung«. SeitSommer 2002 gehörten diese Behauptungen ein gutes Jahr langzu den zehn Spitzenthemen der Berichterstattung und Kommen-tierung in den internationalen Medien. Inzwischen sind sie ein-deutig und öffentlich widerlegt und als gezielte Lügen entlarvt.Auch die USA konnten nach Ende des Irakkrieges in übereinjähriger intensiver Suche keine Beweise für die Behauptun-gen finden, mit denen die Regierungen Bush und Blair ihrenvölkerrechtswidrigen Krieg zu rechtfertigen gesucht hatten.

Nachdem Präsident Bush am 1. Mai 2003 das siegreiche Endedes Krieges verkündet hatte, durchsuchten rund 1.400 US-Rüstungsinspekteure systematisch das gesamte Territorium desIrak und verhörten Hunderte ehemaliger Regierungsmitglieder,Wissenschaftler, Offiziere und Beschäftigte der Rüstungsindust-rie zum Thema verbotener Waffen(-programme). Der erste Lei-ter der US-Rüstungsinspekteure, David Kay, der vor dem Kriegbereits das ranghöchste US-Mitglied in der UNO-Waffenkon-trollmission (UNMOVIK) war, trat im Januar 2004 mit der Fest-stellung von seinem Posten zurück, es gebe im Irak weder Mas-senvernichtungswaffen noch Produktionsanlagen für derartigeWaffen. »Wir haben fast alle falsch gelegen, und ich schließemich dabei mit ein«, erklärte Kay Ende Januar 2003 vor einemUntersuchungsausschuss des US-Senats.

Kays Nachfolger auf dem Posten des Leiters der US-Rüstungs-

inspekteure, der ehemalige CIA-Mitarbeiter Charles Duelfer,

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musste in seinem Abschlussbericht vom Oktober 2004 einräu-men, dass das Regime von Saddam Hussein vor Beginn desangloamerikanischen Irakkrieges vom März 2003 nicht im

Besitz von Massenvernichtungswaffen und Langstreckenraketengewesen ist. Auch existierten keine Programme zur Herstellungderartiger Waffen, hält der Duelfer-Bericht fest; Irak hat seine»illegalen Waffenkapazitäten bereits Ende 1991 grundlegendzerstört«.

Genau dieses hatte bereits am 7. August 1995 der damaligeRüstungsminister des Irak, Hussein Kamal, ein SchwiegersohnSaddam Husseins, nach seiner Flucht in die jordanische Haupt-stadt Amman ausgesagt. Kamal (der nach der Rückkehr in seineHeimat von Killern des Regimes ermordet wurde) machte dieseAussagen in einem Verhör durch die drei führenden Waffenin-spekteure der damaligen UNO-Sonderkommission im Irak(UNSCOM). Das Protokoll dieses Verhörs wurde von derUNSCOM innerhalb weniger Tage an die CIA und an den briti-schen Auslandsgeheimdienst MI6 weitergeleitet. Die beiden Ge-

heimdienste verhörten Kamal daraufhin ebenfalls – womit des-sen Aussagen seit Spätsommer 1995 auch den Regierungen inWashington und London bekannt waren. Ansonsten blieb dasProtokoll allerdings geheim, bis es im Februar 2003 von derBerliner tageszeitung veröffentlicht wurde.

Laut Duelfers Bericht zerstörte der Irak seine letzte Fabrik zurHerstellung verbotener Waffen – eine geheime Anlage zurProduktion biologischer Massenvernichtungsmittel – im Jahre1996.

Duelfers Erkenntnisse für die Zeit vom zweiten Golfkrieg imFrühjahr 1991 bis zum Abzug der UNSCOM Ende 1998 sindbereits sämtlich in den Anfang 1999 erstellten Abschlussberich-ten der UNSCOM sowie der Internationalen Atomenergieor-ganisation (IAEO) enthalten. Doch diese Berichte sind auf Grund einer Entscheidung der fünf ständigen Mitglieder des

UNO-Sicherheitsrates (USA, Großbritannien, Frankreich, Russ-

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land und China) unter Verschluss – bis heute. Für diese Ge-heimhaltung hat sich auch die deutsche Bundesregierung seit1991 mehrfach eingesetzt.

Die offizielle Begründung der New Yorker UNO-Zentrale fürdieses Vorgehen: Die Rüstungsinspekteure der UNSCOM undder IAEO seien bei der Aufspürung verbotener Waffen(-pro-gramme) im Irak auf die Kooperation der zahlreichen Firmenangewiesen, die bis 1991 und zum Teil noch danach Waffensowie militärisch nutzbare Produkte, Maschinen und Know-howfür die Aufrüstung mit atomaren, chemischen und biologischenMassenvernichtungsmitteln an den Irak geliefert hatten. DieNamen dieser Firmen sowie die Tricks, mit denen sie versuchthaben, ihre Geschäfte mit dem Regime in Bagdad zu verheimli-chen oder als harmlos erscheinen zu lassen, sind in denBerichten der UNSCOM und der IAEO (in die der Autorvollständigen Einblick hatte) im Detail dokumentiert.

Die wichtigsten und umfangreichsten Lieferungen für die Auf-rüstung des Regimes von Saddam Hussein mit atomaren, che-

mischen und biologischen Massenvernichtungsmitteln sowie mitRaketen und anderen konventionellen Waffen kamen ausDeutschland sowie aus den fünf ständigen Mitgliedsstaaten desUNO-Sicherheitsrates. In den allermeisten Fällen waren dieseLieferungen ein klarer Verstoß gegen internationale Verbotsab-kommen und/oder gegen nationale Exportbestimmungen. Den-noch erfolgten diese Lieferungen häufig mit Wissen, Duldungoder gar Unterstützung der Regierungen in Bonn, Washington,London, Paris, Moskau und Peking. Das ist ganz offensichtlichder Grund dafür, dass die Abschlussberichte der UNSCOM undder IAEO von Anfang 1999 auch heute noch unter Verschlussgehalten werden.

Für die inspektionsfreie Zeitspanne nach Abzug der Rüstungs-kontrolleure von UNSCOM und IAEO aus dem Irak Ende 1998bis zur Stationierung der »UNO-Überwachungs-, Inspektions-

und Kontrollmission« (UNMOVIK) im November 2002 kon-

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zentriert sich Duelfers Bericht auf »potenzielle Brüche« derRüstungsverbotssanktion der UNO durch ausländische Unter-nehmen, Regierungen und Privatpersonen. Im Detail und jeweils

mit Klarnamen werden Firmen oder Personen aus Russland,Frankreich, China, Nordkorea, Polen, Rumänien, der Ukraine,Belorussland, Syrien und Jordanien benannt, die den Irak»vermutlich« bei der Beschaffung von Waffen oder militärischnutzbarer Technologie unterstützt oder zumindest entsprechende»Angebote« an Bagdad gemacht haben. In diesem Zusammen-hang taucht auch – allerdings ohne Namen – ein deutschesUnternehmen auf.

Duelfer unterschlägt in diesem Kapitel seines Berichts aller-dings die US-Firmen, die mutmaßlich oder gar nachweislichzwischen 1998 und 2002 an Sanktionsbrüchen beteiligt waren.Diese Firmen und ihre illegalen Aktivitäten sind jedoch in demknapp 12.000-seitigen Waffenbericht enthalten, den das Regimevon Saddam Hussein dem UNO-Sicherheitsrat auf dessenVerlangen im Dezember 2002 vorlegte. Auf allein 9.000 Seiten

beschreibt der Bericht aus Bagdad detailliert die Aufrüstung desIrak durch ausländische Firmen und Regierungen seit 1979. Indiesem Jahr, in dem eine islamische Revolution die vom Westenunterstützte Diktatur des Schahs von Persien stürzte, wurde derIrak unter Saddam Hussein im Mittleren Osten zum wichtigstenBündnispartner und Öllieferanten des Westens wie auch derSowjetunion. Für die Jahre 1979 bis Ende 1998 decken sich dieAngaben in dem Waffenbericht aus Bagdad mit den Erkenntnis-

sen in den Abschlussberichten von UNSCOM und IAEO.Nachdem der irakische Waffenbericht am 8. Dezember 2002

in New York eingetroffen war, wurde er allerdings gleich vonUS-Diplomaten beschlagnahmt und zensiert. Lediglich die ande-ren vier ständigen Mitglieder des Rates erhielten von Washing-ton eine vollständige Kopie. Die damaligen zehn nichtständigenRatsmitglieder (sowie Deutschland und die anderen vier Staaten,

die dem Rat am 1. Januar 2003 für zwei Jahre als nichtständige

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Mitglieder beitraten) mussten mit einer stark bereinigten Fas-sung vorlieb nehmen. Darin fehlen die 9.000 Seiten mit denInformationen über die ausländische Unterstützung für das

Rüstungsprogramm des Irak. Dieser Zensurvorgang ist in der60-jährigen Geschichte der UNO einmalig.

Dem Autor dieses Buches liegen die zensierten 9.000 Seitenvor. Daraus veröffentliche die tageszeitung Mitte Dezember2002 wesentliche Auszüge mit den Namen zahlreicher deutscherund anderer ausländischer Lieferfirmen. Darauf kündigte Bun-desaußenminister Joseph Fischer in einem Fernsehinterview an,dass Deutschland »von seinen Verbündeten umfassend über dengesamten Text des irakischen Waffenberichts informiert« werde.Das ist jedoch bis heute nicht geschehen. Auch über zwei Jahrenach dem offiziellen Ende des Irakkrieges halten die USA unddie anderen vier ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates die9.000 Seiten des Berichts unter Verschluss.

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Geheimdienstfehler oder gezielte Regierungslügen? 

Unter dem Druck der anhaltenden öffentlichen Kritik amIrakkrieg und bohrender Nachfragen nach den Beweisen für ira-kische Massenvernichtungswaffen sahen sich Präsident GeorgeBush und Premierminister Tony Blair im Februar 2004 gezwun-gen, die Einrichtung »unabhängiger« Untersuchungskommissio-nen zu verkünden. Die Kommissionen sollten herausfinden, werfür die falschen Behauptungen über die Massenvernichtungs-waffen verantwortlich war. Das Kalkül von Bush und Blair war,dass die Kommissionen den Geheimdiensten den schwarzenPeter zuschieben und die Regierungen damit entlasten würden.Doch dieses Kalkül ist nur sehr begrenzt aufgegangen. In denUSA machte der nach den Präsidentschaftswahlen vom Novem-ber 2004 veröffentlichte Untersuchungsbericht deutlich, dass die

maximal vagen Vermutungen des CIA und der anderen Ge-heimdienste über irakische MVW oder entsprechende Entwick-lungsprogramme von der Bush-Administration zwecks Recht-fertigung eines Krieges zu harten Tatsachenbehauptungen ver-fälscht und aufgebauscht worden waren. Dies geschah oftmalsgegen den ausdrücklichen Widerspruch von Geheimdienstmitar-beitern. Für die Fälschungen verantwortlich war in erster Liniedie »Spezialabteilung zur Aufklärung«, die US-Verteidigungs-

minister Donald Rumsfeld und sein Vize Paul Wolfowitz imPentagon eingerichtet hatten.

Ähnliche Manipulationen geheimdienstlicher Erkenntnissezum Zwecke der Kriegsrechtfertigung betrieb die britische Re-gierung. Auch Premierminister Blair konnte weder das eigeneVolk noch auch nur die eigene Labour-Partei davon überzeugen,dass seine Regierung lediglich unschuldiges Opfer von falschen

Erkenntnissen der Geheimdienste gewesen sei. Kurz vor der

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Parlamentswahl am 5. Mai 2005 kam zudem heraus, dass Blairdie Abgeordneten und das britische Volk glatt belogen hatte mitseiner kurz vor Beginn des Irakkrieges aufgestellten Behaup-

tung, der oberste Rechtsberater der Regierung halte ein militä-risches Vorgehen gegen den Irak auch ohne Ermächtigung durchden UNO-Sicherheitsrat für völkerrechtskonform.

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Nachkriegsmanipulationen 

Da Charles Duelfer, zwischen Januar und Oktober 2004 Chef der 1.400 US-Rüstungsinspekteure im Irak, keine Beweise fürverbotene Massenvernichtungswaffen(-programme) im Irakfinden konnte, blieb ihm nur die »Überzeugung«, dass SaddamHussein »den Ehrgeiz nie aufgegeben« habe, die verbotenenWaffenprogramme nach einer Aufhebung der gegen den Irakverhängten Wirtschaftssanktionen der UNO wieder aufzuneh-

men. Ein wesentliches Indiz für diesen angeblichen »Ehrgeiz«sieht Duelfer in den Bemühungen des Bagdader Regimes zurillegalen Finanzbeschaffung. Allerdings geht er auch bei diesemThema sehr selektiv vor und unterschlägt Aspekte, die einkritisches Licht auf das Verhalten der US-Regierungen seit 1991sowie US-amerikanischer Firmen und Einzelpersonen werfenkönnten.

Duelfer beschreibt in seinem Bericht zum einen die Finanzbe-schaffung des Bagdader Regimes durch »Korruption« des 1996gestarteten Programms »Öl für Nahrungsmittel« (ÖfN) derUNO. Durch Manipulation der Verkaufspreise für Öl sowie derEinkaufspreise für humanitäre Güter zur Versorgung der Bevöl-kerung, die Bagdad im Rahmen des ÖfN-Programms im Aus-land bestellen durfte, konnte das Regime nach den Erkenntnis-sen der Volcker-Kommission von Mitte 1996 bis Anfang 2003

illegale Einnahmen in Höhe von rund 2,2 Milliarden US-Dollarverbuchen. (Die Kommission unter dem ehemaligen US-Noten-bankchef Paul Volcker untersucht seit April 2004 im Auftragvon UNO-Generalsekretär Kofi Annan den Missbrauch desÖfN-Programms. Der Abschlussbericht der Kommission war fürAugust 2005 angekündigt.)

Charles Duelfer veröffentlicht in seinem Bericht im Faksimile

die englische Übersetzung von Listen des früheren irakischen

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Ölministeriums, die im Januar 2004 in Bagdad aufgetauchtwaren. Auf diesen Listen stehen die Namen von 270 Firmen,Organisationen und Personen, die im Rahmen des ÖfN-Pro-

gramms Ölgutscheine vom Regime erhalten haben sollen. Ander Authentizität dieser Listen gibt es Zweifel. Zwar soll der seitKriegsende im Mai 2003 von den US-Truppen in Bagdad inhaf-tierte ehemalige Außenminister des Irak, Tarek Azis, nach Dar-stellung der Bush-Administration bei seinen Verhören bestätigthaben, dass diese Listen im Ölministerium tatsächlich geführtwurden und dass die darauf aufgeführten Personen, Firmen undOrganisationen Ölgutscheine erhalten hätten. Die arabischen

Originale der Listen sind allerdings bis heute nicht aufgetaucht.Doch selbst wenn diese Listen tatsächlich authentisch sind:

Diese Transaktion von Ölgutscheinen und ihre Einlösung auf dem Weltmarkt waren zunächst durchaus legal, solange sich dieEmpfänger gegenüber Bagdad nicht zur Zahlung illegaler Preis-aufschläge oder zu politischen Gefälligkeiten verpflichteten.Welche der 270 Empfänger dies taten, untersucht die Volcker-

Kommission. Zumindest bei einigen der auf den Listen aufge-führten Empfänger von Ölgutscheinen besteht der begründeteVerdacht, dass sie sich von Bagdad bestechen ließen, damit siesich für die Aufhebung der UNO-Wirtschaftssanktionen gegenden Irak einsetzen. Das gilt zum Beispiel für den früheren Leiterdes Irak-Büros in der New Yorker UNO-Zentrale, Benon Sevan.

Duelfer hat die in seinem Bericht abgedruckte englischeÜbersetzung der Listen manipuliert, indem er die Klarnamenvon 35 Firmen und Einzelpersonen aus den USA schwärzte unddurch anonymisierte Angaben (»US company« und »UScitizen«) ersetzte. In einer Fußnote rechtfertigte Duelfer dieseManipulation mit »Gesetzen der USA zum Schutz der Privat-sphäre«. Das Kalkül dieser Manipulation ging auf. Als derDuelfer-Bericht Anfang Oktober 2004 veröffentlicht wurde,gingen vor allem die Namen französischer, russischer und

chinesischer Firmen und Einzelpersonen durch die Medien –

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oftmals verbunden mit dem auch durch Kommentare einigerUS-Politiker und -Medien geschürten Verdacht, der Wider-spruch der Regierungen in Paris, Moskau und Peking gegen den

angloamerikanischen Irakkrieg sei durch Bestechung ausBagdad bewirkt worden.

Die »Korruption« und Manipulation des Programms »Öl fürNahrungsmittel« wurde seit Anfang 2004 in zahlreichenPolitiker-Statements und Medienberichten – vor allem, abernicht nur in den USA – pauschal und undifferenziert als »UNO-Skandal« behandelt und dem New Yorker Apparat unterGeneralsekretär Kofi Annan angelastet. Dabei lag die Hauptver-antwortung bei den USA und den anderen 14 Mitgliedern desSicherheitsrates. Denn sämtliche Verträge zum Verkauf von Ölund zum Einkauf humanitärer Güter, die ihm Rahmen des ÖfN-Programms zwischen 1996 und 2003 abgeschlossen wurden,lagen dem Sicherheitsrat zur Genehmigung vor. Doch der Raterhob nicht ein einziges Mal Einspruch gegen einen Vertragwegen Manipulationen bei den Verkaufs- oder Einkaufspreisen

– und dies, obwohl die für die Abwicklung des ÖfN-Programmsverantwortlichen UNO-Mitarbeiter gegenüber dem Rat in über70 Fällen den Verdacht auf derartige Manipulationen äußerten.

Noch bedeutend höhere illegale Einnahmen als die 2,2 Milli-arden Dollar durch Manipulationen beim ÖfN-Programm konntesich das Regime von Saddam Hussein durch den Schmuggel vonbilligem Öl in Nachbarländer des Irak verschaffen. Ab 1991wurden Rohöl und Benzin zu irakischen Inlandpreisen (der LiterBenzin kostete an irakischen Tankstellen in den neunzigerJahren umgerechnet rund 2 Eurocent) per Tankwagen in dieTürkei und nach Jordanien und ab Ende 2000 über eine Pipelineauch nach Syrien geliefert. Nach dem Erkenntnisstand derVolcker-Kommission vom April 2005 brachte der ÖlschmuggelBagdad mindestens 14,4 Milliarden US-Dollar ein. Damit warauch der Schaden für die irakische Zivilbevölkerung sehr viel

größer als in Folge der Preismanipulationen beim ÖfN-

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Programm. Denn hätten die Nachbarländer des Irak das Ölregulär im Rahmen des ÖfN-Programms kaufen müssen (zueinem damals vom UNO-Sicherheitsrat festgelegten Preis von

rund zehn Prozent unter Weltmarktniveau), dann wäre einVielfaches der 14,4 Milliarden Dollar in die Kasse des ÖfN-Programms geflossen. Dieses Geld hätte dann zum Ankauf humanitärer Güter für die irakische Bevölkerung zur Verfügunggestanden.

Charles Duelfer verschweigt diese Zahlen und Zusammenhän-ge in seinem Bericht. Vor allem aber unterschlägt er einebrisante Tatsache: Der Ölschmuggel zwischen dem Irak und denUS-Verbündeten Türkei und Jordanien – ein klarer Verstoß allerdrei beteiligten Staaten gegen die UNO-Wirtschaftssanktionen –erfolgte zwölf Jahre lang mit Wissen, Duldung und Förderungdurch die Regierungen in Washington und London. »DerSchmuggel geschah unter den Augen der USA und Großbritan-niens«, erklärte UNO-Generalsekretär Kofi Annan Ende April2005. Denn US-amerikanische und britische Luftstreitkräfte

überwachten von März 1991 bis zum Krieg im März 2003 dengesamten Nordirak inklusive der Grenzen zur Türkei und zuJordanien und bombardierten ab Ende der neunziger Jahreimmer häufiger militärische Bodenziele in dieser Region. Dochden auch aus der Luft gut zu beobachtenden Öl-Schmuggeldurch Tanklastzüge, die auf den beiden HauptverkehrsstraßenRichtung türkische und jordanische Grenze oft viele Kilometerlange Schlangen bildeten, ließen die USA und Großbritannien

ungestört laufen.Nach US-Gesetzen hätte die Regierung in Washington wegen

des Bruchs der UNO-Sanktionen durch die Türkei und Jorda-nien ihrerseits Wirtschaftssanktionen gegen diese beide Staatenverhängen müssen. Doch das US-Außenministerium verfügtevon 1991 bis 2003 Jahr für Jahr eine Ausnahmeregelung vondieser Bestimmung. Im Gegenzug erhielten die US-Streitkräfte

von der Türkei das Recht, den südanatolischen Luftwaffenstütz-

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punkt Incirlik für ihre Überwachungs- und Angriffsflüge überirakischem Territorium zu nutzen.

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Kriegslüge Terrorismusunterstützung 

Als zweite Rechtfertigung für den Irakkrieg diente Washingtonund London die Behauptung einer angeblichen Kooperationzwischen dem Regime von Saddam Hussein und dem vonOsama Bin Laden geführten Terrornetzwerk al-Qaida. DieseBehauptung wurde von den Regierungen Bush und Blair auchdann noch aufrechterhalten, als Experten der eigenen wie auchanderer westlicher Geheimdienste zum Teil öffentlich darauf 

hinwiesen, dass alle Indizien und Erfahrungen der Vergangen-heit eher auf eine Gegnerschaft zwischen Saddam Hussein undBin Laden denn auf Kooperation hinwiesen. Die RegierungenBush und Blair konnten keinerlei stichhaltige Beweise für ihreVorwürfe vorlegen. Alle öffentlich erhobenen Behauptungen(wie zum Beispiel die eines Treffens zwischen irakischenAgenten und Vertretern von al-Qaida in Prag) hielten einerNachprüfung nicht stand und mussten von Washington undLondon zurückgezogen werden.

Die Regierungen Bush und Blair haben ihre zahlreichen Lügenund Manipulationen im Zusammenhang mit dem Irakkriegpolitisch überlebt. Beide wurden seitdem bei Wahlen im Amtbestätigt. Im Fall von Bush sogar mit einem Zugewinn gegen-über den Wahlen von 2000, den der US-Präsident als ausdrück-liche Unterstützung seines Irakkrieges und darüber hinaus seiner

Politik im Nahen und Mittleren Osten verbuchte. Ein wesentli-cher Grund für dieses Wahlergebnis war die schwache undwidersprüchliche Opposition der demokratischen Partei undihres Präsidentschaftskandidaten John Kerry gegen den Krieg.Zum Zweiten waren die harten Fakten über die Lügen undManipulationen der Bush-Administration – die die US-Bür-gerinnen und -Bürger bis zu den Wahlen im November 2004durchaus auch aus US-Medien erfahren konnten – nicht mehr

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ausschlaggebend für die Stimmabgabe. Die Haltung zumIrakkrieg war zu diesem Zeitpunkt für eine Mehrheit der US-Bevölkerung längst zu einer durch Tatsachen nicht mehr zu

beeinflussenden Glaubensfrage geworden.Zum Wahlsieg Bushs beigetragen hat auch, dass die Regierung

in Washington die Gewalttaten und Terrorakte, die im Irak seitEnde des Krieges gegen amerikanische Soldaten und andereAusländer sowie gegen irakische Sicherheitskräfte und Zivil-bürger verübt werden, erfolgreich zur nachträglichen Rechtferti-gung des Krieges instrumentalisieren und nutzen konnte – näm-lich als angeblichen Beweis für die vor dem Krieg behaupteteZusammenarbeit zwischen dem Regime von Saddam Husseinund dem al-Qaida-Netzwerk.

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Die Fehler und Defizite der Kriegsgegner 

Wie kaum ein Ereignis zuvor stieß der Irakkrieg vom Frühjahr2003 bereits in seinem Vorfeld weltweit auf überwältigendeAblehnung. Das zeigten unter anderem die Antikriegsdemonst-rationen, die am 15. Februar 2003 in rund 600 Städten auf demganzen Globus stattfanden – darunter allein an 150 Orten in denUSA. London, Sydney und Berlin erlebten an diesem Tag diegrößten Demonstrationen ihrer Geschichte. Weltweit gingen am

15. Februar über neun Millionen Menschen gegen den drohen-den Irakkrieg auf die Straße. »Es wurde eine neue Supermachtgeboren, die öffentliche Meinung«, schrieb die  New York Timesam nächsten Tag auf ihrer Titelseite.

Meinungsumfragen, die zwischen Herbst 2002 und Sommer2003 in fast sämtlichen der 191 UNO-Staaten durchgeführt wur-den, zeigten, dass die Bevölkerung in fast allen diesen Ländern

den Krieg mit Mehrheiten von bis zu 90 Prozent ablehnte. Dasgilt auch für die Bevölkerung fast all derjenigen Länder, derenRegierungen das Kriegsvorhaben der Bush-Administration poli-tisch unterstützten oder gar Streitkräfte für die Kriegskoalitionbereitstellten (wie zum Beispiel Spanien, Großbritannien undItalien). Polen ist eines der ganz wenigen Länder, in denen dieUmfragen zumindest zeitweilig eine mehrheitliche Unterstüt-zung des Krieges ergaben.

Innerhalb der UNO führte der Streit über die richtige Politikgegenüber dem Irak zwischen Spätsommer 2002 und Kriegsbe-ginn am 20. März 2003 zu den schärfsten und intensivsten Kon-troversen in der 60-jährigen Geschichte der Weltorganisation.Dabei verkündeten während der zahlreichen Debatten imSicherheitsrat und in der Generalversammlung maximal 20 der191 Mitgliedsstaaten ihre Unterstützung für einen Krieg.

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Doch den Kriegsgegnern gelang es nicht, über die Ablehnungder angloamerikanischen Kriegsabsichten hinaus eine Alternati-ve zu entwickeln, die es den Regierungen Bush und Blair viel-

leicht unmöglich gemacht hätte, diesen Krieg zu führen. EineChance hierzu hätte es nur gegeben, wenn die Kriegsgegner dasunbestreitbar gravierende Problem der Diktatur in Bagdad undihrer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen nicht denRegierungen Bush und Blair zur Rechtfertigung für einenvölkerrechtswidrigen Präventivkrieg überlassen und einen Vor-schlag zur Überwindung dieses gravierenden Problems mitvölkerrechtskonformen Mitteln unterbreitet hätten.

Frankreich, Deutschland und Russland – die drei erklärtenKriegsgegner im UNO-Sicherheitsrat – hätten einen Resoluti-onsantrag einbringen können mit konkreten, zeitlich befristetenForderungen an das Regime von Saddam Hussein zur Verbesse-rung der Menschenrechtslage sowie zur Durchführung vonWahlen unter UNO-Aufsicht. Die von den USA aufgebautemilitärische Drohkulisse in der Region um den Irak hätte zur

Durchsetzung dieser Forderungen genutzt werden können. Dochdie Regierungen in Paris, Berlin und Moskau waren zu einersolchen Initiative nicht willens, und aus der friedensbewegtenÖffentlichkeit kam ebenfalls kein Druck in diese Richtung.

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Verheerende Kriegsbilanz 

Zwar gelang den Streitkräften der angloamerikanischen Kriegs-koalition auf Grund ihrer haushohen Überlegenheit auf sämtlichen militärischen Ebenen zunächst ein schneller Sieggegen die offiziellen Verbände der irakischen Armee (irakischeLuftstreitkräfte waren bereits seit dem Krieg von 1991 praktischnicht mehr einsatzfähig, und ihre noch verbliebenen Kapazitätenwurden durch den systematischen Beschuss durch angloameri-

kanische Kampfflugzeuge bereits seit Anfang 2002 zerstört).Auch wurde die blutige Diktatur von Saddam Hussein gestürzt,deren Errichtung die USA und Großbritannien in den siebzigerJahren kräftig gefördert und die sie bis in den Sommer 1990hinein aktiv unterstützt hatten. Doch davon abgesehen ist diepolitische Bilanz dieses Krieges verheerend. Fast sämtlicheBefürchtungen der Kritiker und Gegner dieses Krieges wurdenbestätigt oder sogar noch übertroffen:

• Die Versorgungslage für die Menschen im Irak ist auch überzwei Jahre nach dem Krieg in weiten Teilen des Landes immernoch schlechter als vor Kriegsbeginn.

• Die Aussicht auf eine Befriedung und Stabilisierung derLage zumindest in absehbarer Zukunft ist gering – ganz zuschweigen von der Errichtung einer Demokratie, womit Bushund Blair den Krieg nachträglich zusätzlich zu rechtfertigen

suchten.• Erst seit dem Krieg und wegen der Besatzung insbesondere

durch US-amerikanische Truppen ist der Irak zum Anziehungs-punkt und Operationsfeld für ausländische Terroristen gewor-den.

• Anders als von Bush und Blair als Kriegsziel proklamiert, istdie Gefahr der Weiterverbreitung von MVW – vor allem

atomarer – nicht eingedämmt, sondern vergrößert worden. In

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vielen Staaten hat der Irakkrieg den Einfluss derjenigen gestärkt,die die Entwicklung oder Beschaffung atomarer Waffen als ein-zige Versicherung dagegen sehen, Ziel eines präventiven Krie-

ges der USA zu werden.• Eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts, die

sowohl zur verlässlichen Anerkennung der Existenz Israels ingesicherten Grenzen durch die arabische Welt führt wie zurGründung eines – auch wirtschaftlich überlebensfähigen –Staates Palästina auf einem zusammenhängenden Territorium,ist durch den Irakkrieg nicht erleichtert, wie seine Befürworterinsbesondere in Washington behaupten, sondern eher erschwertworden. Denn die verhängnisvolle Politik des israelischen Pre-mierministers Ariel Scharon wurde durch den Irakkrieg gestärkt.Mit der angloamerikanischen Besatzungspolitik im Irak steht dieisraelische Regierung mit ihrer Besatzungspolitik in den palästi-nensischen Gebieten erstmals nicht mehr allein da. Doch nichtsgefährdet auf Dauer die Existenz Israels stärker als eine Fortset-zung der Politik, wie sie Scharon bislang betreibt. Der Abzug

der Siedler aus dem Gazastreifen sollte darüber nicht hinweg-täuschen.

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TAUGT DIE UNO-CHARTA NUR

NOCH FÜR SONNTAGSREDEN?

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Irakkrieg: der bislang schwerste Anschlag auf das Völkerrecht 

Der Irakkrieg, den die USA und Großbritannien im Frühjahr2003 geführt haben, war der schwerste Anschlag auf das Völ-kerrecht und die UNO seit ihrer Gründung im Jahre 1945. Zwarverstießen – mit Ausnahme der 1950 von der Generalversamm-lung und 1991 vom Sicherheitsrat legitimierten Kriege in Koreaund gegen den Irak – sämtliche mehr als 250 bewaffnetenAuseinandersetzungen, die in den letzten 60 Jahren weltweitgeführt wurden, gegen das Gewaltverbot der UNO-Charta. Dochniemals zuvor ist ein solcher Verstoß so kalkuliert und unter soabsichtsvoller Missachtung des Willens der überragenden Mehr-heit der UNO-Mitgliedsstaaten erfolgt. Zudem wurde der Irak-krieg entsprechend der neuen Nationalen Sicherheitsstrategieder USA vom September 2002 mit der Abwehr einer Bedrohung

gerechtfertigt, die überhaupt nicht existierte – weder unmittelbarnoch mittelbar.

Damit sind das Völkerrecht und die Institution der UNOgrundsätzlich in Frage gestellt. Doch auf diesen Umstand undauf die Völkerrechtswidrigkeit des Irakkrieges hat bislanglediglich UNO-Generalsekretär Kofi Annan einigermaßen deut-lich hingewiesen, und zwar in seiner Eröffnungsrede zur Ge-neralversammlung im September 2003 sowie in einem Interviewmit der BBC im September 2004. Selbst einstmals erklärteKriegsgegner unter den UNO-Mitgliedsregierungen halten sichmit Kritik an der Präventivkrieg-Doktrin wie auch grundsätzlichan der Völkerrechtswidrigkeit des Krieges immer noch auffal-lend zurück. Das gilt auch für die rot-grüne Koalition in Berlin,von der derartige Kritik weder vor noch während oder nach demKrieg zu hören war. Hätte die Bundesregierung das Kriegsvor-

haben für völkerrechtswidrig erklärt, dann hätte sie damit

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eingeräumt, dass auch die logistische und militärische Unter-stützung, die sie der Bush-Administration für diesen Krieggeleistet hat, ein Verstoß gegen das Völkerrecht wie auch gegen

das Grundgesetz waren. Oder aber die Bundesregierung hättediese Unterstützungsleistungen verweigern müssen.

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Kosovokrieg: der erste Sündenfall 

Nicht nur wegen ihrer logistischen Unterstützung für denAngriffskrieg gegen den Irak hält sich die Bundesregierung mitKritik an der Völkerrechtswidrigkeit dieses Krieges zurück. Sieist, ebenso wie die Regierungen Frankreichs und andererNATO-Länder, die das militärische Vorgehen gegen den Irakohne Mandat des UNO-Sicherheitsrates ablehnten, zusätzlichbefangen wegen ihrer Teilnahme am ebenfalls völkerrechtswid-

rigen Kosovokrieg – dem Luftkrieg der NATO gegen Ser-bien/Montenegro im Frühsommer 1999. US-amerikanischeBefürworter des Irakkrieges haben Kritik aus Deutschland,Frankreich und anderen NATO-Staaten häufig mit dem Hinweisauf den Krieg gegen Serbien/Montenegro zurückgewiesen.Tatsächlich steht der NATO-Krieg von 1999 am Beginn derErosion des Völkerrechts, die mit dem angloamerikanischenIrakkrieg vom Frühjahr 2003 seinen (bisherigen) Höhepunkterreicht hat.

Die NATO rechtfertigte ihren Krieg seinerzeit als »humanitäreIntervention« zum Schutz der Kosovo-Albaner vor der Vertrei-bung und schweren Menschenrechtsverletzungen durch Armee-und Polizeieinheiten des serbischen Regimes von SlobodanMilosevic. Vertreibungen und andere schwere Menschenrechts-verletzungen fanden seinerzeit ohne Zweifel statt. Doch die

Einstufung als »Völkermord« und der Vergleich mit Auschwitzwaren maßlose Übertreibungen zu dem Zweck, die Unterstüt-zung der westlichen Öffentlichkeit für ein militärisches Vorge-hen gegen Serbien/Montenegro zu gewinnen. Dabei tat sichinsbesondere die rot-grüne Koalition in Deutschland hervor.Verteidigungsminister Rudolf Scharping und AußenministerJoseph Fischer traten zudem mit zahlreichen Falschaussagenund gefälschten Dokumenten zum angeblichen Beweis serbi-

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scher Gräueltaten und Vertreibungspläne an die Öffentlichkeit.Das »Massaker von Racak« vom 16. Januar 1999 und andere bisheute nicht aufgeklärte Vorfälle in den Monaten vor Beginn der

NATO-Luftangriffe am 24. März 1999 wurden umstandslos undohne Untersuchung der serbischen Seite angelastet. Der Anteilder kosovo-albanischen »Befreiungsbewegung« UÇK an derEskalation der Gewalt wurde von der NATO-Propagandasystematisch unterschlagen. Und dies, obwohl der Bundesnach-richtendienst, die US-amerikanische CIA, der britische MI6 undandere westliche Geheimdienste den Regierungen hierzu detail-lierte Erkenntnisse lieferten.

Wie fragwürdig und unhaltbar die Behauptungen waren, mitdenen die NATO-Regierungen den Luftkrieg gegen Ser-bien/Montenegro zu rechtfertigen suchten, machte im Dezember2000 auch ein seinerzeit von den Medien kaum beachteterdetaillierter Bericht der Parlamentarischen Versammlung derNATO deutlich (»Die Folgen des Kosovokonflikts und seineAuswirkungen auf Konfliktprävention und Krisenmanage-

ment«). Die Parlamentarische Versammlung der NATO fungiertals Bindeglied zwischen dem Militärbündnis und den Parlamen-ten seiner inzwischen 26 Mitgliedsstaaten.

Der vom SPD-Bundestagsabgeordneten Markus Meckel ver-antwortete Bericht vom Dezember 2000 befasst sich in ersterLinie mit der Zeitphase ab Oktober 1998. Damals begann auf Grund einer Vereinbarung zwischen Serbiens Präsident Slobo-dan Milosevic und dem Chefdiplomaten der Clinton-Admini-stration für den Balkan, Richard Holbrooke, die Stationierungvon Beobachtern der OSZE im Kosovo, der »Kosovo Verificati-on Mission« (KVM).

In dem Bericht der NATO-Parlamentarierversammlung heißtes: »Die UÇK strebte eine Verschärfung der Notlage an, um dieBevölkerung zum Aufstand für die Unabhängigkeit zu bewegen.So nutzte die UÇK das Holbrooke-Milosevic-Abkommen als

Atempause, um ihre Kräfte nach den Rückschlägen des Som-

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mers zu verstärken und neu zu gruppieren. Die serbischenRepressionen ließen unter dem Einfluss der Kosovo Verification

 Mission der OSZE in der Zeit von Oktober bis Dezember 1998

nach. Dagegen fehlte es an effektiven Maßnahmen zur Eindäm-mung der UÇK, die weiterhin in den USA und Westeuropa –vor allem in Deutschland und der Schweiz – Spenden sammeln,Rekruten werben und Waffen über die albanische Grenzeschmuggeln konnte. So nahmen die Angriffe der UÇK auf serbische Sicherheitskräfte und Zivilisten ab Dezember 1998stark zu. Der Konflikt eskalierte neuerlich, um eine humanitäreKrise zu erzeugen, welche die NATO zur Intervention bewegen

würde.«Der Bericht der NATO-Parlamentarier geht auch auf das

»Massaker von Racak« vom 16. Januar 1999 ein, das seinerzeitnach übereinstimmenden öffentlichen Erklärungen von US-Außenministerin Madeleine Albright und ihrem deutschenAmtskollegen Joseph Fischer den »Wendepunkt zum Krieg«bedeutete:

»Mit dem bis heute nicht restlos aufgeklärten angeblichenMassaker von Racak entstand das Gefühl eines Handlungsbe-darfs, das nach dem Scheitern der Rambouillet-Verhandlungenzu den von der UÇK herbeigesehnten NATO-Luftangriffenführte.«

In Artikel 91 ihres Berichtes bekennen die NATO-Parlamentarier schließlich selbstkritisch: »Die Staatengemein-schaft darf sich ihr Handeln nicht von einer extremistischenMinderheit aufzwingen lassen.«

Bis heute rechtfertigen die NATO-Regierungen ihre militäri-sche »humanitäre Intervention« ohne ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates mit der Behauptung, dass die beiden ständigenRatsmitglieder Russland und China ein solches Mandat mit ihrerVetodrohung verhindert und damit die Handlungsfähigkeit derUNO blockiert haben würden. Doch diese Legende von der

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russisch-chinesischen Blockade des UNO-Sicherheitsrates imHerbst 1998 hält einer Nachprüfung nicht stand.

Um die Eskalation der Gewalt im Kosovo einzudämmen, hatte

der UNO-Sicherheitsrat am 31. März 1988 mit seiner Resolution1160 ein Waffenembargo gegen das damals noch aus Serbienund Montenegro bestehende Ex-Jugoslawien ausgesprochen.Am 23. September 1998 verabschiedete der Sicherheitsrat seineResolution 1199. Diese verlangte einen umgehenden Waffen-stillstand im Kosovo, den sofortigen Rückzug von jugoslawi-schen und serbischen Einheiten, die zur Unterdrückung derZivilbevölkerung eingesetzt wurden, freien Zugang für humani-täre Organisationen sowie die uneingeschränkte Zusammen-arbeit der Regierung Milosevic in Belgrad mit dem Jugosla-wien-Tribunal der UNO in Den Haag. Russland stimmte denbeiden Resolutionen 1160 und 1199 zu. China enthielt sich derStimme. Grund für diese Stimmenthaltung waren allerdingsnicht etwa Bedenken Pekings gegen den Inhalt dieser beidenResolutionen. China hatte sich vielmehr mangels eigener

Interessen an den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien beisämtlichen der zahlreichen Resolutionen der Stimme enthalten,die der Sicherheitsrat seit 1991 zu diesem Thema verabschiedethatte. (Das Interesse Pekings war lediglich berührt, als Mazedo-nien in der Hoffnung auf Kapitalhilfe aus Taipeh 1997 Taiwananerkannte. In Reaktion auf diese Entscheidung Mazedoniensvotierte China gegen eine Verlängerung des Mandats der UNO-Mission in der exjugoslawischen Republik.)

Hätte Russland weitergehende Maßnahmen gegen Ser-bien/Montenegro – notfalls auch eine militärische Interventionder UNO – mitgetragen oder zumindest toleriert, wenn dieRegierung Milosevic die Forderungen der Ratsresolution 1199vom 23. September 1998 nicht erfüllt hätte? Seriöse Diskussio-nen über ein gemeinsames Vorgehen mit Russland im Rahmender UNO haben die drei NATO-Staaten im Sicherheitsrat –

USA, Frankreich und Großbritannien – damals mit Moskau erst

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gar nicht geführt. Stattdessen erließ die NATO bereits am 24.September 1998 – also nur einen Tag nach Verabschiedung derResolution 1199 im Sicherheitsrat – die Aktivierungswarnung

für ihre Luftstreitkräfte. Das war die erste Maßnahme zur Einlei-tung des Luftkrieges, der dann am 24. März 1999 begann. DieseAktivierungswarnung der NATO war in zweierlei Hinsicht einezentrale und fatale Weichenstellung: Zum einen wurde Moskauspätestens an diesem Punkt bedeutet, dass die NATO auch ohnerussische Einbindung und Zustimmung agieren würde. Zweitensverengte sich die Diplomatie auf eine militärisch abgestützteDrohpolitik. Dabei gab es seit Frühsommer 1998 durchaus

verschiedene Vorschläge, wie die Zielsetzungen der Resolution1199 des UNO-Sicherheitsrates gemeinsam mit Russland hättenumgesetzt werden können – zum Beispiel durch die Errichtungeines UNO-Protektorats über Kosovo.

Der damalige US-Botschafter bei der NATO in Brüssel,Alexander Vershbow, legte der Clinton-Administration inWashington am 7. August 1998 einen detaillierten Plan unter

der Überschrift »Kosovo: Es ist Zeit für eine andere Lösungs-strategie« vor. Die entscheidende Voraussetzung »für eineschnelle Befriedung« der Situation im Kosovo und danachbeginnende Verhandlungen über eine politische Lösung sei»eine enge Zusammenarbeit zwischen der NATO und Russ-land«, schrieb der US-Botschafter und betonte: »Ich meine esernst: Die Initiative zur Lösung des Kosovo-Konflikts könntezum Modellfall einer Kooperation zwischen der NATO und

Russland werden.«Vershbows Plan sah vor, dass sich die Regierungen in Wa-

shington und Moskau zunächst gemeinsam um ein Mandat desUNO-Sicherheitsrates zur »Schaffung eines internationalenProtektorats« im Kosovo bemühen. Nach Erteilung diesesMandats sollte in der südserbischen Provinz eine zu gleichenTeilen von der NATO und von Russland gestellte und auch

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gemeinsam kommandierte internationale Schutztruppe statio-niert werden.

Für diese Truppe hätten nach Ansicht von US-Botschafter

Vershbow 30.000 Soldaten ausgereicht, falls vor ihrer Stationie-rung bereits eine Vereinbarung zwischen der Regierung Milose-vic und den Albanern über den künftigen Status des Kosovozustande gekommen wäre und falls Belgrad einer internationa-len Militärpräsenz im Kosovo zugestimmt hätte. Falls dieinternationale Truppe ohne eine solche Vereinbarung und ohnedas Plazet Belgrads hätte stationiert werden müssen, wären nachVershbows Einschätzung hingegen 60.000 Soldaten erforderlichgewesen.

»Früher oder später werden wir uns der Frage einer Stationie-rung von Bodentruppen stellen müssen«, sagte Vershbow amEnde seiner Nachricht an die Clinton-Administration voraus.Die USA hätten »ein zu großes Interesse an politischer Stabilitätim südlichen Balkan, um diesen Konflikt noch länger schwelenzu lassen«.

Botschafter Vershbow war keineswegs ein Anfänger auf demGebiet der Balkanpolitik. Als Mitarbeiter im Stab des Nationa-len Sicherheitsrates der USA hatte er sich in der ersten Hälfteder neunziger Jahre intensiv mit dem Bosnien-Konflikt befasst.Dennoch stieß sein Vorschlag für ein gemeinsam von Russlandund der westlichen Allianz etabliertes internationales Protektoratim Kosovo damals in Washington nur auf geringes Interesse.Stattdessen drängte die Clinton-Administration die Regierung inMoskau, im UNO-Sicherheitsrat einer Resolution mit der ulti-mativen Androhung militärischer Maßnahmen gegen Ser-bien/Montenegro zuzustimmen, falls die Regierung Milosevicdie Forderungen des Sicherheitsrates bis zu einem bestimmtenZeitpunkt nicht erfüllen würde. Einen derartigen Automatismusmilitärischer Maßnahmen lehnte Russland allerdings ab. Auchbestand Moskau entgegen der Forderung Washingtons darauf,

etwaige vom Sicherheitsrat mandatierte militärische Maßnah-

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men gegen Serbien/Montenegro unter politischer Kontrolle desRates und mit von ihm bestimmten militärischen Kommandeu-ren und nicht von der NATO und unter NATO-Kommando

durchführen zu lassen.Fazit: Der elfwöchige Luftkrieg der NATO gegen Ser-

bien/Montenegro vom Frühjahr 1999 wäre vermeidbar gewesen.Es hätte im Herbst 1998 durchaus die Möglichkeit gegeben füreine vom UNO-Sicherheitsrat mandatierte und kontrollierteMission zur Eindämmung der Gewaltauseinandersetzungen imKosovo sowie für die dazu erforderlichen Druckmaßnahmen auf die Regierung Milosevic. Dies scheiterte nicht an den Ratsmit-gliedern Russland und China. Es war vielmehr nicht gewollt vonden NATO-Staaten, insbesondere nicht von den USA.

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11. September als gravierender Einschnitt 

»Mit dem 11. September 2001 hat sich alles grundsätzlichverändert. Nichts ist mehr, wie es war.« Selbst wer diese weitverbreitete Behauptung für politisch ebenso falsch und intellek-tuell unredlich hält wie die nach dem Berliner Mauerfallzeitweise populäre These vom »Ende der Geschichte«, kommtum eine Tatsache nicht herum: Kein Ereignis seit der Verab-schiedung der UNO-Charta im Jahre 1945 hat derart weitrei-chende Auswirkungen auf die Interpretation und die Anwen-dung des Völkerrechts sowie menschenrechtlicher Normengehabt.

Zentrale Bestimmung der UNO-Charta ist das Verbot der»Androhung und Anwendung von Gewalt« zwischen denStaaten (Artikel 2, Absatz 4). Nach dem Scheitern des 1919

gegründeten UNO-Vorläufers Völkerbund und dem Rückfall indie Barbarei zwischenstaatlicher Beziehungen, die schließlich inden von Hitlerdeutschland begonnenen Zweiten Weltkriegeskalierte, war diese Bestimmung der wichtigste zivilisatorischeFortschritt des 20. Jahrhunderts. Weitere wesentliche Fortschrit-te sind die Betonung der individuellen Menschenrechte(Präambel und Artikel 1 der UNO-Charta) sowie die in Kapitel7 der Charta geregelten Befugnisse des Sicherheitsrates, »eineBedrohung oder einen Bruch des Friedens oder eine Angriffs-handlung festzustellen« (Artikel 39) und in Reaktion darauf politische und wirtschaftliche oder militärische Sanktionen zuverhängen (Artikel 40) oder militärische Maßnahmen zubeschließen (Artikel 41).

Die Befugnis des Sicherheitsrates, militärische Maßnahmen zubeschließen und die UNO-Mitgliedsstaaten zur Anwendung

derartiger Maßnahmen zu ermächtigen, ist die eine Ausnahme

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vom strikten Gewaltverbot der UNO-Charta. Die andere Aus-nahme ist das »naturgegebene Recht auf individuelle oderkollektive Selbstverteidigung im Falle einer Angriffshandlung«,

das jedem Mitgliedsstaat der UNO in Artikel 51 der Charta ga-rantiert wird. Allerdings gilt dieses Recht auf Selbstverteidigungnur so lange, »bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung desWeltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichenMaßnahmen getroffen hat«.

Die Autorinnen und Autoren der UNO-Charta dachten bei derFormulierung »bewaffneter Angriff« in Artikel 51 ausschließ-lich an das Szenario der klassischen militärischen Aggressionvon Land A gegen Land B. Das zeigen die Protokolle der UNO-Gründungsversammlung vom 25. April bis 26. Juni 1945 in SanFrancisco, auf der die 111 Artikel der UNO-Charta von Diplo-maten aus 50 Staaten ausgehandelt und beschlossen wurden.Auch in den ersten 57 Jahren der Anwendung der UNO-Chartagalt ausschließlich diese Interpretation vom »bewaffnetenAngriff«.

Infolge der Terroranschläge vom 11. September 2001 wurdediese Interpretation buchstäblich über Nacht und ohne nennens-werte Diskussion unter den inzwischen 191 UNO-Mitgliedsstaa-ten über den Haufen geworfen. Am 12. September 2001 verab-schiedete der UNO-Sicherheitsrat auf Antrag der USA einstim-mig und ohne lange Debatte Resolution 1368. Entgegen man-cher Behauptung enthält diese Resolution keine ausdrücklicheErmächtigung zur Anwendung militärischer Maßnahmen. Aller-dings unterstreicht der Rat zu Beginn zunächst das »naturge-gebene Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigungin Übereinstimmung mit der Charta« und »verurteilt« dieTerroranschläge dann als »Bedrohung des internationalenFriedens und der Sicherheit«.

Dieser Resolutionstext galt (und gilt) den USA als völkerrecht-liche Legitimation für die militärischen Angriffe gegen Ziele in

Afghanistan, die am 7. Oktober 2001 unter dem Namen »Endu-

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ring Freedom« begannen. Wer das Vorgehen der USA in diesemFall als völkerrechtswidrig kritisiert, steht auf ziemlich verlore-nem Posten. Denn bis heute hat keine einzige der anderen 190

Mitgliedsregierungen der UNO der Interpretation von Resoluti-on 1368 durch die Bush-Administration widersprochen. Undeine Reihe von Staaten – darunter die Bundesrepublik Deutsch-land – war oder ist immer noch am Krieg der USA in Afghani-stan beteiligt.

Damit scheint die bis zum 11. September 2001 gültige Inter-pretation der UNO-Charta, wonach nur bewaffnete Angriffe, dievon Staaten ausgeführt werden – und nicht solche, die Terroris-ten oder andere nichtstaatliche Akteure begehen –, dem ange-griffenen Land das Recht auf militärische Selbstverteidigunggemäß Artikel 51 geben, überholt. Unter den Völkerrechtsexper-ten hält nur eine kleine Minderheit an der ursprünglichen Inter-pretation von Artikel 51 fest. Eine etwas größere Minderheitsieht zwar die militärischen Maßnahmen der USA gegen inAfghanistan befindliche Mitglieder und Logistik des Terror-

netzwerkes al-Qaida durch Resolution 1368 des Sicherheitsratesvölkerrechtlich gedeckt, nicht aber die von Washington im No-vember 2001 vorgenommene Ausdehnung des Krieges mit demZiel der Beseitigung des Taliban-Regimes. Diese Ausweitung,so die Kritiker, hätte einer ausdrücklichen Ermächtigung durcheine neue Resolution des Sicherheitsrates bedurft. Doch hierzugab es seinerzeit von keiner Seite eine Initiative. Die Auswei-tung der Kriegsziele stieß bei einer Reihe der anderen Mitglieds-

regierungen der UNO auf ausdrückliche Unterstützung, bei dergroßen Mehrheit auf Schweigen. Ein Schweigen, das in Wa-shington ebenfalls als Zustimmung verbucht wurde. Zumindestöffentlich wurde von keiner einzigen Regierung Kritik geübt.

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Selbstverteidigung ohne Grenzen 

Die Autorinnen und Autoren der UNO-Charta dachten bei der»Selbstverteidigung« gemäß Artikel 51 an militärische Abwehr-maßnahmen eines angegriffenen Landes in den Stunden undTagen unmittelbar nach Beginn einer Aggression und eben nurso lange, »bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfrie-dens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnah-men getroffen hat«. Auch diese zeitlichen Parameter für

militärische Maßnahmen der »Selbstverteidigung« scheinen seitdem 11. September 2001 obsolet. Zum einen haben die USAihren Krieg gegen Ziele in Afghanistan erst am 7. Oktoberbegonnen, knapp vier Wochen nach den Terrorschlägen gegenZiele in New York und Washington, D. C. Und zum anderenhält der Krieg der USA in Afghanistan unter Berufung auf Resolution 1368 vom 12. September 2001 nun schon fast vierJahre an. Auch hieran gibt es bislang keine öffentliche Kritikvon Seiten anderer UNO-Regierungen.

Unter Völkerrechtsexperten ist die lange Dauer des Kriegesallerdings umstritten. Diejenigen, die sie für »legitim« halten,verweisen auf die angeblich »latente Gefahr« erneuter terroristi-scher Angriffe. Auch seien die wiederholten Hinweise des Si-cherheitsrates in späteren Resolutionen (nach Resolution 1368)auf das Selbstverteidigungsrecht als »stillschweigende Zustim-

mung« zu begreifen. Doch ein Ende dieses Selbstverteidigungs-krieges ist weiterhin nicht absehbar. Kriterien für Erfolg oderScheitern dieses Krieges sind nicht definiert – zumindest nichtim internationalen Konsens, und offensichtlich nicht einmalinnerhalb der Bush-Administration in Washington. Der UNO-Sicherheitsrat hat keinerlei Kontrolle oder auch nur Mitspracheüber die Umsetzung seiner Resolution 1368. Alle Entscheidun-

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gen über Strategie, Methoden und Eskalation oder Deeskalationdes Krieges in Afghanistan werden in Washington getroffen.

Selbst Völkerrechtsexperten, die der Ansicht sind, Resolution

1368 sowie nachfolgende Resolutionen des Sicherheitsrates undseine »stillschweigende Zustimmung« seien eine ausreichendeLegitimationsbasis für den Krieg nicht nur gegen al-Qaida,sondern auch gegen das Taliban-Regime sowie für die zeitlicheAusdehnung dieses Krieges, widersprechen allerdings derAnwendung von Resolution 1368 auf Ziele außerhalb Afghanis-tans. Der Rat habe mit dieser Resolution keinen Präzedenzfallgeschaffen. Das sah die Bush-Administration bereits wenigWochen nach dem 11. September 2001 erklärtermaßen anders.

Am Morgen des 8. Oktober 2001, unmittelbar nach Beginn derAngriffe gegen Ziele in Afghanistan, überbrachte der damaligeNew Yorker UNO-Botschafter der USA, John Negroponte, demUNO-Sicherheitsrat ein Schreiben von Präsident Bush. Darinkündigte Bush an, eventuell mache »die Selbstverteidigung derUSA weitere Aktionen gegen andere Organisationen und

Staaten erforderlich«. Die Ermittlungen seit den Anschlägenvom 11. September hätten zwar »klare und zwingende Hinweiseerbracht, dass das Terrornetzwerk al-Qaida, das von demTaliban-Regime in Afghanistan unterstützt wird, eine zentraleRolle bei diesen Anschlägen gespielt« habe, hieß es in demSchreiben weiter. Doch die Ermittlungen seien »noch in einemFrühstadium«, es gebe »noch vieles, was wir nicht wissen«.

Keiner der Botschafter der 14 anderen Ratsmitglieder wider-sprach damals oder stellte auch nur eine kritische Frage zu demBrief von Präsident Bush. Nach der Sitzung des Rates verkünde-te sein damaliger Vorsitzender vor den UNO-Journalisten inNew York, der Rat stünde »geschlossen hinter den USA«. Auchin der UNO-Generalversammlung regte sich seinerzeit keineKritik an der interpretatorischen Ausweitung der Resolution1368 auf Ziele außerhalb Afghanistans.

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Ein knappes Jahr später kündigte die Bush-Regierung in ihrerneuen »Nationalen Sicherheitsstrategie« (NSS) vom 20. Sep-tember 2002 (siehe Anhang 1, S. 171) ganz offiziell die Ent-

schlossenheit der USA an, künftig militärisch »vorbeugend« –das heißt mit Erstschlägen und ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrates – gegen Staaten vorzugehen, die die USA nochgar nicht angegriffen haben, aus der Sicht Washingtons jedochTerroristen unterstützen oder Massenvernichtungswaffen ent-wickeln bzw. verbreiten und damit eine »Bedrohung« für dieUSA darstellen. Als potenzielle Ziele »vorbeugender« militäri-scher Erstschläge der USA nannte die Bush-Administration

seinerzeit Afghanistan, Irak, Nordkorea und Iran und danebenpauschal weitere »60 Staaten«, die das al-Qaida-Terrornetzwerkbis dato bereits unmittelbar oder mittelbar unterstützt hätten. DieListe dieser 60 Staaten ist nie veröffentlicht worden. Schon imJanuar 2002 hatte Präsident Bush in seiner alljährlichen »Stateof the Union«-Rede vor dem US-Kongress Hinweise auf diekünftige neue Sicherheitsstrategie gegeben. Unter anderem

bezeichnete Bush die Staaten Irak, Iran und Nordkorea als»Achse des Bösen«, die den internationalen Weltfriedenbedrohe.

Im März 2002 zitierte die   Los Angeles Times aus einem 56-seitigen geheimen Planungspapier des Pentagon, das den Einsatzvon so genannten Mini-Atombomben vorsah – selbst gegenZiele in Staaten, die selbst nicht über Atomwaffen verfügen.Auch in diesem Pentagon-Dokument wurden mehrere Staaten

als potenzielle Ziele US-amerikanischer Atomwaffen genannt –darunter erneut Irak, Iran und Nordkorea. Auf den Bericht der

 Los Angeles Times folgten zwar zunächst heftige Dementis derBush-Administration. Doch in einem im Dezember 2002veröffentlichten Nachtrag zur NSS wurde der in dem Pentagon-Planungspapier beschriebene »vorbeugende« Ersteinsatz vonAtomwaffen offiziell zum Teil der neuen Sicherheitsstrategieerklärt.

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Die unverhohlenen Drohungen mit militärischen Erstschlägen(inklusive des Einsatzes atomarer Waffen) gegen andere Länderwegen des puren Verdachts einer Bedrohung, die im Laufe des

Jahres 2002 in offiziellen Strategiedokumenten sowie in Erklä-rungen führender Vertreter der Bush-Administration formuliertwurden, stellen bereits einen Verstoß gegen Artikel 2, Absatz 4der UNO-Charta dar. Doch diese völkerrechtswidrigen Drohun-gen stießen ebenso wie die Interpretation und die Anwendungder Resolution 1368 des Sicherheitsrats durch die Bush-Administration kaum auf Kritik bei Regierungen anderer UNO-Staaten. Für die Erosion völkerrechtlicher Normen, die in den

sechs Jahren seit dem Kosovokrieg von 1999 und insbesondereseit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 unter Feder-führung der USA stattgefunden hat, tragen die anderen 190 Sub-

 jekte des Völkerrechts daher eine erhebliche Mitverantwortung.

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Der Missbrauch des Menschenrechtsarguments zur 

selektiven »humanitären Intervention« 

Mit einem Festakt wurde Anfang November 2000 in Rom das50-jährige Bestehen der Europäischen Menschenrechtskonven-tion gefeiert – der wichtigsten Übereinkunft des 1949 gegrün-deten Europarats. Die Konvention schützt die 800 Millionen

Bürgerinnen und Bürger in den 41 Mitgliedsländern desEuroparats in ihren Grundrechten. Sie ist der weltweit einzigevölkerrechtliche Vertrag, gegen dessen Verletzung Einzelperso-nen vor einem Gericht klagen können.

Doch das öffentliche Interesse an dem Festakt in Rom wargering. Zwei Jahre zuvor, als am 10. Dezember 1998 der 50.Geburtstag der »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte«begangen wurde, waren das Interesse und die Beteiligung vonMedien, Politikern und Nichtregierungsorganisationen nochweitaus größer gewesen. Zwischen diesen beiden Daten lag dervölkerrechtswidrige Krieg der NATO gegen Serbien/Monte-negro vom Frühsommer 1999. Von seinen Betreibern wurde die-ser Krieg seinerzeit als »humanitäre Intervention« zu Gunstender Kosovo-Albaner gerechtfertigt, zu der es angeblich keineHandlungsalternative gab. Dieser Krieg hat den Aufschwung,

den das Menschenrechtsargument seit Ende des Kalten Kriegeserfahren hatte, gestoppt.

Deutlich wurde dieser Aufschwung zunächst an der WienerWelt-Menschenrechtskonferenz der UNO im Juni 1993. ZumEnde dieser Konferenz unterschrieben immerhin 172 der damals186 Mitgliedsländer den Satz: »Alle Menschenrechte sinduniversell gültig und unteilbar.« Zudem beschloss die Konferenzeine Reihe von Maßnahmen, um die Menschenrechtsarbeit der

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UNO institutionell zu stärken. Unter anderem wurde das Amteines UN-Hochkommissars für Menschenrechte geschaffen.

Nach über 40 Jahren des Kalten Krieges, während derer das

Thema Menschenrechte zur Waffe im Kampf der Blöcke undIdeologien verkommen war, markierte die Wiener Konferenzeinen erheblichen Fortschritt. Insbesondere das Bekenntnis allerTeilnehmerstaaten zur »Universalität und Unteilbarkeit« aus-nahmslos aller Menschenrechtsnormen, die seit der AllgemeinenErklärung von 1948 international vereinbart worden waren,weckte große Hoffnungen.

Als weiterer Meilenstein folgte schon bald die Etablierung derUN-Kriegsverbrechertribunale zu Ex-Jugoslawien und Ruandadurch den UNO-Sicherheitsrat. Damit waren die ersten Instituti-onen internationaler Strafjustiz seit den Gerichtshöfen deralliierten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs in Nürnberg undTokio geschaffen. Aus der Etablierung dieser beiden Tribunaleerwuchs eine politische Dynamik, die schließlich im Sommer1998 auf einer Konferenz in Rom zur Verabschiedung des Sta-

tuts für einen ständigen Internationalen Strafgerichtshof (ICC)zur Verfolgung von künftigen Verbrechen gegen die Mensch-lichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen führte. Seit 1946hatte eine von der UNO-Generalversammlung beauftragte Völ-kerrechts-Kommission vergeblich über die Schaffung einesInternationalen Strafgerichtshofs diskutiert.

Die Etablierung der beiden UNO-Tribunale zu Jugoslawienund Ruanda, vor allem aber die Gründung des InternationalenStrafgerichtshofs markierten zweifellos einen historischen Fort-schritt bei der Anwendung und Durchsetzung menschenrecht-licher Ziele und Prinzipien, die bereits in der UNO-Charta von1945 (Präambel sowie Artikel 1, Absatz 2) formuliert wordenwaren.

Doch spätestens bei der ICC-Konferenz 1998 in Rom setzteauch die Ernüchterung ein, die inzwischen zu erheblichen Zwei-

feln an der universellen Gültigkeit und Durchsetzbarkeit der

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Menschenrechte geführt hat. Denn die Weltmacht USA beharrtein Rom auf Ausnahmeregeln für ihre Staatsbürger. Als die ande-ren Staaten diesem Ansinnen nicht nachgaben, verweigerten die

USA die Zustimmung zu dem ICC-Statut. Durch dieses Verhal-ten fühlten sich all jene bestätigt – nicht nur im Propagandaap-parat des damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic,sondern auch unter westeuropäischen Kritikern –, die bereits dieSchaffung des UNO-Kriegsverbrechertribunals für Jugoslawienals »selektiven Akt« verurteilt hatten. Warum – so lautete dieKritik – wurden nicht auch UNO-Tribunale geschaffen zurUntersuchung vergangener Völkermord- und Kriegsverbrechen

anderer Staaten – sei es der Amerikaner in Vietnam, der Sowjetsin Afghanistan oder der Franzosen in Algerien? Diese immerwieder formulierte Kritik an der selektiven Anwendung men-schenrechtlicher Prinzipien ist schwer von der Hand zu weisen –zumal es der 1948 verabschiedeten Genozid-Konvention zufolgebei Völkermord keine Verjährung gibt.

Eine weitere Dimension der Selektivität bei der Durchsetzung

menschenrechtlicher Grundsätze wird seit vielen Jahren von denLändern des Südens kritisiert, zunehmend aber auch vonGewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen im Norden:Die Industriestaaten interessieren sich fast ausschließlich für dieUmsetzung der zivilen und politischen Freiheitsrechte, die 1966in Konkretisierung der »Allgemeinen Erklärung der Menschen-rechte« von 1948 international vereinbart wurden. Die damalsebenfalls verkündeten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen

Menschenrechte – wozu für viele Millionen Bewohner dieserErde das elementare Recht gehört, nicht zu verhungern – wur-den vom Norden bislang vernachlässigt. Die Globalisierung unddie weltweite Handelsliberalisierung der letzten Jahre haben,anders als von den Befürwortern dieser Entwicklung im Nordenbehauptet, bislang nicht zu einer Verbesserung der wirtschaftli-chen, sozialen und kulturellen Menschenrechtslage im Südengeführt. Das wiederum dient zahlreichen undemokratischen

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Regimes als Vorwand, ihren Bürgern auch zivile und politischeFreiheitsrechte weiter vorzuenthalten.

Die »humanitäre Intervention« der NATO gegen Ser-

bien/Montenegro von 1999 bedeutete einen historischen Ein-schnitt. Erstmals wurde ein Angriffskrieg offiziell mit men-schenrechtlichen Motiven gerechtfertigt. Grundsätzlich ist einemilitärische Intervention, um Völkermord und andere schwereMenschenrechtsverstöße zu verhindern oder zu beenden, zwarnicht auszuschließen – auch wenn diese Intervention die Souve-ränität und die territoriale Integrität eines Staates verletzt. UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat in seinen im März 2005unterbreiteten Vorschlägen zur UNO-Reform (siehe Anhang 3,S. 213) Voraussetzungen und Kriterien für eine derartige Inter-vention benannt. Beim Krieg der NATO gegen Serbien/Mon-tenegro waren jedoch all diese Voraussetzungen und Kriteriennicht erfüllt.

Die »humanitäre Intervention« der NATO zu Gunsten derAlbaner im Kosovo erfolgte bei gleichzeitiger Tatenlosigkeit

oder gar völligem Schweigen der NATO-Staaten gegenüber weitgravierenderen Menschenrechtsverstößen anderswo. Beispielehierfür seit den neunziger Jahren sind der Völkermord inRuanda und die Kriegsverbrechen russischer Truppen in Tsche-tschenien. Dies nährt den Verdacht, dass der Westen zwar dieUniversalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte predigt, inder Praxis aber selektiv vorgeht und überdies bei militärischenInterventionen den Menschenrechtsschutz nur zum Vorwandnimmt, um andere Motive und Interessen zu kaschieren. DieserVerdacht unterminiert den Glauben an die Universalität und dieUnteilbarkeit der Menschenrechte.

Der angloamerikanische Irakkrieg von 2003, der von denRegierungen in Washington und London zumindest nachträglichebenfalls mit der Durchsetzung von Menschenrechten gerecht-fertigt wurde, hat diese Entwicklung noch weiter vorangetrie-

ben. Denn die Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzun-

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gen der Aggressoren während der sechswöchigen Kriegsphasebleiben offensichtlich völlig folgenlos und werden von keinernationalen oder internationalen Institution untersucht und

geahndet. Und die schweren Menschenrechtsverletzungen undVerstöße gegen die Genfer Konvention, die bislang aus derPhase der anhaltenden Besatzung des Irak bekannt wurden (zumBeispiel die Misshandlungen und Folterungen in Abu Ghraibund anderen Gefängnissen), wurden nur völlig unzureichenduntersucht und geahndet.

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Quadratur des Kreises: Kofi Annans Reformvorschläge zur Anwendung 

militärischer Gewalt 

»Präventivkrieg oder Völkerrecht« – vor diese historischeAlternative sieht sich die in der UNO organisierte internationaleStaatengemeinschaft gestellt, seitdem die Bush-Administrationim September 2002 in ihrer neuen »Nationalen Sicherheitsstra-

tegie« (NSS) für die USA ausdrücklich das Recht auf den»vorbeugenden« (präemptiven) Einsatz militärischer Mittelgegen »neue Bedrohungen« (Terrorismus, Massenvernich-tungswaffen) reklamierte. Der Irakkrieg vom Frühjahr 2003 warbereits die erste praktische Inanspruchnahme dieses »Rechts« –auch wenn sich die Bush-Administration bei der Begründungdieses Krieges nicht ausdrücklich auf die NSS berief.

Seitdem brechen vielerorts die Dämme. Russlands PräsidentWladimir Putin kündigte nach dem blutig verlaufenden Geisel-drama in Beslan den »präventiven Krieg gegen den Terroris-mus« an. Die Option auf den »vorbeugenden« Einsatz militäri-scher Mittel (ohne eindeutige Bindung an ein Mandat des Si-cherheitsrates) hat Eingang gefunden in die im Dezember 2003verabschiedete erste gemeinsame Sicherheitsstrategie der Euro-päischen Union »Ein sicheres Europa in einer besseren Welt« –

wenn auch zurückhaltender formuliert als in der amerikanischenNSS. Russland, Frankreich, Südafrika und andere Staaten sehenbei der derzeit laufenden Neuformulierung ihrer nationalenMilitärstrategien ebenfalls die ausdrückliche Aufnahme dieserOption vor.

Doch wenn das »Recht« einzelner Staaten auf den vorbeugen-den Einsatz militärischer Mittel zur Norm wird, wird das Völ-kerrecht zerstört. UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat diese

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Gefahr erkannt. Daher beauftragte er im Herbst 2003 eine hoch-rangige Expertenkommission damit, eine Bestandsaufnahme derwichtigsten globalen Bedrohungen vorzunehmen. Die Kommis-

sion sollte Vorschläge zur Stärkung des kollektiven Systems derUNO machen, damit die Weltorganisation künftig erfolgreicherauf die erkannten Bedrohungen und Herausforderungen reagie-ren kann und die Versuchung für einzelne Staaten, im militäri-schen Alleingang zu handeln, möglichst minimiert wird. Auf Basis des Berichts »Eine sichere Welt: unsere gemeinsame Ver-antwortung«, den die Kommission im Dezember 2004 vorlegte,formulierte der Generalsekretär dann seinen umfassenden Vor-

schlag zur Reform der UNO »In größerer Freiheit: auf dem Wegzu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle«, dener im März 2005 den Mitgliedsstaaten zur Umsetzung vorlegte.

Der Reformvorschlag von Generalsekretär Annan und der ihmzu Grunde liegende Kommissionsbericht sind ohne Frage dieumfassendste und klügste Blaupause zur Reform und Stärkungder UNO, die seit Gründung der Weltorganisation vor 60 Jahren

gezeichnet wurde. Die Ausführungen zum Thema »KollektiveSicherheit und die Anwendung von Gewalt« sind allerdingsunpräzise, sehr interpretationsfähig und dürften kaum dazuführen, das Völkerrecht zu stärken.

Das zeigte sich bereits in der öffentlichen Rezeption des Be-richts. So überschrieb zum Beispiel eine große deutschsprachigeTageszeitung auf ihrer Titelseite eine Agenturmeldung mit derSchlagzeile: »UNO-Kommission für Präventivschläge«. Derausführliche Artikel des New Yorker UNO-Korrespondentender Zeitung auf der Auslandsseite trug hingegen die Überschrift:»UNO gegen Bushs Angriffsdoktrin«.

Am nächsten Tag druckte die Zeitung auf der Titelseite eineKorrektur unter der Überschrift: »Präventivschlag als Ausnah-me«. Im dazugehörigen Artikel hieß es: »Auf Grund einerirreführenden Interpretation des UNO-Reformberichtes ist in der

gestrigen Meldung ›UNO-Kommission für Präventivschläge‹

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der falsche Eindruck entstanden, die Experten befürworteten dieArt von Präventivschlag, den die USA im Irak gewählt haben.Richtig ist, dass sie keinem einzelnen Staat das Recht zubilligen,

ohne Mandat des Sicherheitsrates eine vorbeugende Militärakti-on auszuführen. In gut begründeten Einzelfällen kann derSicherheitsrat aber einen Präventivschlag beschließen.«

Doch auch nach dieser Korrektur waren die Leser dieserZeitung nicht vollständig und daher nicht richtig informiert. Dasgilt auch für die Konsumenten fast aller anderen Zeitungen,Sender und Nachrichtenagenturen, so diese im Dezember 2004überhaupt über die Aussagen der Reformkommission zumThema »Gewaltanwendung« berichteten und sich nicht – wiedie meisten deutschen Medien – am Gängelband der Bundesre-gierung und ihrer New Yorker Diplomaten auf die Erweiterungdes UNO-Sicherheitsrates als angeblichem Kernstück des Re-formberichts beschränkten. In fast sämtlichen Medienberichtenblieb unerwähnt, dass der Kommissionsbericht in dem Kapitel»Kollektive Sicherheit und die Anwendung von Gewalt« eine

Unterscheidung macht zwischen »präemptiven« militärischenMaßnahmen gegen »unmittelbar drohende oder nahe Gefahren«und »präventiven« militärischen Maßnahmen gegen Gefahren,die noch »nicht unmittelbar drohen und noch weiter entfernt«sind.

Den »präemptiven« Einsatz militärischer Mittel halten dieAutoren des Berichts durchaus für legitim. Unter Verweis auf das Recht eines Staates zur Selbstverteidigung gegen einenbewaffneten Angriff gemäß Kapitel 51 der UNO-Chartaschreiben sie, »nach lange etablierten Regeln des Völkerrechts«könne ein bedrohter Staat unilateral präemptive militärischeMaßnahmen ergreifen, »solange der angedrohte Angriff unmit-telbar bevorsteht, durch kein anderes Mittel abzuwenden ist unddie Maßnahmen verhältnismäßig sind«.

Einwände erheben die Autoren des Berichts jedoch gegen den

»präventiven« unilateralen Einsatz militärischer Mittel zwecks

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Abwehr einer »nicht unmittelbaren« Gefahr. Allerdings verwer-fen sie auch einen »präventiven« Einsatz nicht eindeutig undunter allen Umständen als völkerrechtswidrig. Wenn ein Staat

sich einer solchen »nicht unmittelbaren« Bedrohung gegenüber-sieht, »sollte« er dem UNO-Sicherheitsrat »durch handfesteBeweise erhärtete Argumente für militärische Präventivmaß-nahmen« vorlegen, heißt es in dem Bericht. Der Rat könnederartige militärische Präventivmaßnahmen dann nach seinemGutdünken genehmigen. Tue der Rat dies nicht, bleibe – da essich ja nicht um eine unmittelbare Bedrohung handele – Zeitgenug, um andere Strategien zur Gefahrenabwehr zu verfolgen,

darunter Überzeugungsarbeit, Verhandlungen, Abschreckungund Eindämmungspolitik, und erst danach die militärischeOption erneut zu prüfen. Denjenigen, »die einer solchen Ant-wort mit Ungeduld begegnen«, hält der Bericht entgegen, dassin dieser Welt voll potenzieller Bedrohungen die Gefahr für dieglobale Ordnung und die Norm der Nichtintervention, auf derdiese Ordnung nach wie vor aufbaut, einfach zu groß sei, als

dass einseitige Präventivmaßnahmen, im Unterschied zukollektiv gebilligten Maßnahmen, als rechtmäßig akzeptiertwerden könnten. Einem Staat zu gestatten, so zu handeln,bedeute, es allen zu gestatten.

Das Problem ist nur, dass der Bericht die von ihm eingeführtenBegriffe nicht definiert und nicht eindeutig voneinander ab-grenzt. Was eine »unmittelbare, nahe Bedrohung« ist und wasnur eine »mittelbare, entferntere«, wo erlaubte militärische

»Präemption« aufhört und verbotene »Prävention« anfängt – alldas bleibt unklar und damit für die politische Praxis der Ent-scheidung einzelner Staaten überlassen.

Spätestens seit Veröffentlichung der neuen »Nationalen Si-cherheitsstrategie« der USA besteht jedoch die dringende Not-wendigkeit einer eindeutigen und für die politische Anwendunghandhabbaren Definition und Abgrenzung der Begriffe »Prä-

emption« und »Prävention«. Denn das nationale Strategie-

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dokument der USA erklärt einerseits den »präemptiven« Einsatzmilitärischer Instrumente zum Kern der SicherheitspolitikWashingtons. Zum anderen rechtfertigt es die Ausweitung der

Präemption auf so genannte »neue Gefahren«, vor allem auf dieBedrohung durch Terroristen, Schurkenstaaten und die Verbrei-tung von Massenvernichtungswaffen.

Wörtlich heißt es in der NSS: »Wir müssen unsere Vorstellungdavon, zu welchem Zeitpunkt eine unmittelbare Bedrohungvorliegt, an die Möglichkeiten und Ziele unserer gegenwärtigenFeinde anpassen. Schurkenstaaten und Terroristen streben nichtdanach, uns mit konventionellen Waffen anzugreifen. Stattdes-sen setzen sie Terrorakte und möglicherweise Massenvernich-tungswaffen ein – Waffen, die leicht versteckt werden könnenund die sich ohne Vorwarnung abfeuern lassen.«

Seit dem Herbst 2002 hatten die Regierungen Bush und Blairzur Rechtfertigung ihres geplanten Krieges gegen den Irak eineReihe »unmittelbarer« Bedrohungen angeführt – darunter dieangebliche Fähigkeit des Regimes von Saddam Hussein, west-

europäisches Territorium innerhalb von 45 Minuten mit chemi-schen oder biologischen Massenvernichtungswaffen erreichenzu können. Als die UNO-Rüstungsinspektoren im Irak keinerleiBeweise für die Behauptungen fanden und der Sicherheitsratsich weigerte, die Ermächtigung für militärische Maßnahmengegen den Irak zu beschließen, erklärten Washington undLondon die UNO kurzerhand für handlungsunfähig und führteneigenmächtig Krieg. Dieser Krieg war ein völkerrechtswidriger»Präventionskrieg«, ein Angriffskrieg, der von den RegierungenBush und Blair aber als angeblich völkerrechtskonforme»präemptive« Maßnahme gerechtfertigt wurde.

Zwar hat UNO-Generalsekretär Kofi Annan den Irakkrieginzwischen öffentlich als »illegal« und als Verstoß gegen dieUNO-Charta bewertet. Die von ihm berufene Expertenkommis-sion zur UNO-Reform, zu deren 16 Mitgliedern auch Bent

Scowcroft gehörte, der ehemalige Sicherheitsberater von Präsi-

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dent George Bush senior, fand in dieser Frage keinen Konsens.Folgerichtig bleiben auch die Aussagen für die künftige Praxis,die Annan für seinen Reformbericht übernommen hat, zumin-

dest ambivalent. Einerseits lässt sich aus den beiden Berichtenzwar eine Ablehnung zumindest von unilateralen (ohne Mandatdes Sicherheitsrates durchgeführten) »Präventivkriegen« heraus-lesen. Andererseits könnte aber auch die Administration vonGeorge Bush den Bericht als Bestätigung ihrer seit der NSSoffiziell formulierten Position reklamieren. So wird das Verbotder Androhung und Anwendung zwischenstaatlicher Gewaltimmer weiter aufgeweicht – und damit der wichtigste Pfeiler der

1945 mit der UNO-Charta begründeten Völkerrechtsordnunglangsam zerstört.

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»Verantwortung zum Schutz« notfalls durch militärische Intervention 

Die Reformberichte von UNO-Generalsekretär Kofi Annan undder von ihm eingesetzten Expertenkommission enthalten auchden Vorschlag, eine neue völkerrechtliche Norm der »Verant-wortung zum Schutz« von Bürgerinnen und Bürgern einesStaates gegen gravierende Verletzungen ihrer Menschenrechtezu schaffen. In einer völkerrechtlich verbindlichen Resolutionder Generalversammlung sollen alle 191 UNO-Staaten aus-drücklich ihre »Verantwortung zum Schutz« ihrer Bürgerinnenund Bürger vor »Genozid und anderen Formen von Massen-mord, ethnischen Säuberungen oder schweren Verstößen gegendas internationale humanitäre Recht« anerkennen.

Annan und seine Reformkommission haben mit diesen Vor-schlägen weitgehend die Empfehlungen des Reports »Responsi-

bility to Protect« übernommen, den eine internationale Kommis-sion unter Vorsitz des kanadischen Ex-Außenministers LloydAxworthy im Jahr 2001 vorgelegt hatte.

Diese »Verantwortung zum Schutz« soll der Souveränität derStaaten und dem Prinzip der territorialen Unverletzlichkeitgleichgestellt werden. Annan und seine Expertenkommissionberufen sich bei diesem Vorschlag auf die UNO-Charta von

1945. In Artikel 1 der Charta wird als »Ziel und Grundsatz« derWeltorganisation – entgegen weit verbreiteter Ansicht –keineswegs nur die »Bewahrung von Frieden und internationalerSicherheit« definiert, sondern auch die »Förderung und Festi-gung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfrei-heiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, derSprache oder der Religion«. Und bereits in der Präambel zurCharta bekräftigen die »Völker der Vereinten Nationen« ihren

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»Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde undWert der menschlichen Persönlichkeit«.

Notfalls, heißt es in den Berichten von Annan und seiner

Reformkommission, müsse der Schutz vor gravierendenMenschenrechtsverletzungen Vorrang haben vor den Prinzipiender Nichteinmischung in »innere Angelegenheiten« und derterritorialen Unverletzlichkeit eines Staates. Nämlich dann,wenn ein Staat »nicht in der Lage oder nicht willens ist«, seine»Verantwortung zum Schutz« seiner Bürgerinnen und Bürgerwahrzunehmen.

Für diesen Fall müssten die UNO und ihr Sicherheitsrat dieseVerantwortung übernehmen – »vorzugsweise« durch denEinsatz »politischer und diplomatischer, humanitärer, men-schenrechtlicher und polizeilicher Instrumente«. Scheitern alldiese Instrumente, solle der Sicherheitsrat »als letztes Mittel«aber auch den Einsatz militärischer Gewalt beschließen können.

Zwar untersagt Artikel 2, Absatz 7 der UNO-Charta ausdrück-lich das Eingreifen »in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach

zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören«. Und nachKapitel 7 der UNO kann der Sicherheitsrat diplomatische, wirt-schaftliche oder militärische Zwangsmaßnahmen gegen souve-räne Staaten nur autorisieren, um »den Weltfrieden und dieinternationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen«.Doch Generalsekretär Annan und seine Expertenkommissionverweisen darauf, »dass die UNO-Staaten bereits 1948 mit derVerabschiedung der völkerrechtlich verbindlichen Konventionüber die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (Geno-zid-Konvention) übereingekommen sind, dass Völkermord, obin Friedens- oder Kriegszeiten begangen, nach dem Völkerrechtein Verbrechen ist, zu dessen Verhütung oder Bestrafung siesich verpflichten«. Seither herrsche »die Auffassung, dassVölkermord, unabhängig davon, wo er verübt wird«, eine»Bedrohung der internationalen Sicherheit darstellt« und

»niemals toleriert werden darf«.

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Die Souveränität der Nationalstaaten, ihre territoriale Unver-letzlichkeit und das Verbot der äußeren Einmischung in innereAngelegenheiten von Staaten gehören zu den Gründungsnormen

der UNO und seit über 40 Jahren zu den wichtigsten Eckpfeilerndes Völkerrechts. Doch seit Ende des Kalten Krieges wurde ineiner Reihe von Ländern militärisch interveniert mit der Begrün-dung, Völkermord oder andere schwere Menschenrechtsverlet-zungen zu beenden oder zu verhindern. Die Glaubwürdigkeitdieser Begründung variierte von Fall zu Fall erheblich. Sie warunter anderem davon abhängig, wer jeweils intervenierte und obdie Intervention mit oder ohne Mandat des UNO-Sicher-

heitsrates erfolgte.Der Kosovokrieg der NATO hat die Idee einer Intervention

aus »humanitären Gründen« für viele Beobachter sicher amstärksten diskreditiert. Wäre die Intervention 1994 in Ruandaerfolgt und hätte diese Intervention den Völkermord an fasteiner Million Menschen verhindert, hätte dies wohl kaum Anlasszur Kritik gegeben. Damals stand die Frage der völkerrechtli-

chen Legitimation einer militärischen Intervention zum Schutzder deutlich erkennbar und unmittelbar von Völkermordbedrohten Menschen überhaupt nicht zur Debatte. Die Interven-tion in Ruanda scheiterte schlicht am Desinteresse der 15Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates.

Im Fall des Konflikts in der westsudanesischen Provinz Dar-fur, der seit Mitte 2004 breitere öffentliche Aufmerksamkeitgefunden hat, stellen sich all diese Fragen erneut – und zum Teilnoch komplizierter als in den vorangegangenen Konfliktszena-rien. Denn in diesem Fall war es nicht das gemeinsameDesinteresse aller 15 Ratsmitglieder an einer »humanitärenIntervention« zu Gunsten von rund 1,5 Millionen an Leib undLeben bedrohten Menschen, sondern das Gegeneinander vonInteressen der fünf Vetomächte.

UNO-Generalsekretär Kofi Annan und seine Expertenkom-

mission argumentieren, dass die »aufeinander folgenden

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humanitären Katastrophen« der letzten 14 Jahre »in Bosnien-Herzegowina, Somalia, Ruanda, im Kosovo und jetzt in Darfur«zur »Herausbildung« der neuen völkerrechtlichen Norm der

»Verantwortung zum Schutz« geführt hätten.Es wäre wünschenswert, dass eine Resolution zur verbindli-

chen Vereinbarung dieser Norm von der UNO-Generalver-sammlung im Konsens verabschiedet wird, zumindest aber miteiner Zweidrittelmehrheit ihrer 191 Mitglieder. Das ist aller-dings unwahrscheinlich. Denn Motive, Berechtigung, Verlauf und Ergebnisse der »humanitären Interventionen«, die in denletzten 14 Jahren erfolgten, werden ebenso wie die Gründe,warum manche Interventionen unterblieben sind, in der General-versammlung nach wie vor sehr unterschiedlich eingeschätzt.Wahrscheinlich ist, dass auch ohne eine neue völkerrechtlicheNorm und ohne Mandatierung durch den Sicherheitsrat weiter-hin einzelne Staaten oder Staatengruppen Kriege mit humanitä-ren Notwendigkeiten begründen. Sei es als Vorwand, hinter demsich andere Interessen verstecken, oder sei es tatsächlich in

Wahrnehmung der Verantwortung für den Schutz von Menschenvor Völkermord und anderen gravierenden Menschenrechtsver-letzungen.

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»Erfolgreiche« Präzedenzfälle und transatlantische Gemeinsamkeiten 

Mit den drei seit 1999 geführten Kriegen gegen Ser-bien/Montenegro, Afghanistan und den Irak haben die USA undihre NATO-Verbündeten Präzedenzfälle für den Einsatz militä-rischer Gewalt unter drei neuen Begründungen bzw. Rechtferti-gungen gesetzt: humanitäre Intervention, Bekämpfung von Ter-roristen und sie unterstützende Regierungen sowie vorbeugendeAusschaltung einer Bedrohung durch Massenvernichtungswaf-fen in Händen eines »Schurkenstaates«.

Die Bilanz dieser drei Kriege ist in fast jeder Hinsicht überausnegativ.

Die Kriege waren ein eindeutiger Verstoß gegen die UNO-Charta (im Fall Serbien/Montenegro) oder zumindest völker-rechtlich höchst fragwürdig (im Fall Afghanistan), die Begrün-

dungen haben sich zum Großteil als falsch erwiesen (im FallIrak). Nichtmilitärische Instrumente zur Überwindung dertatsächlich vorliegenden wie der fälschlich behaupteten Proble-me und Bedrohungen wurden überhaupt nicht oder nur völligunzureichend eingesetzt.

Diese drei Kriege haben zwar zumindest in Kabul und Bagdadzur Beseitigung totalitärer Regimes geführt. Doch davon abge-

sehen haben sich die politischen und wirtschaftlichen Le-bensbedingungen der Menschen im Irak, in Afghanistan und imKosovo nach diesen Kriegen kaum verbessert. Zum Teil sind dieBedingungen sogar noch schlechter geworden. Frieden, Freiheit,Sicherheit, Durchsetzung der Menschenrechte, Minderheiten-schutz, wirtschaftliche Stabilität – die meisten der hehren Ver-sprechungen und wohlklingenden Ziele, mit denen diese Kriegebegründet wurden, haben sich bislang nicht erfüllt.

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Der Krieg gegen den Irak und die anhaltende Besatzung desLandes haben sich darüber hinaus sogar als kontraproduktiverwiesen – bezogen auf die behaupteten Kriegsziele »Eindäm-

mung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen«sowie »Bekämpfung des Terrorismus«. Und es wurden neueProbleme und Konflikte geschaffen, die vor dem Krieg nichtexistierten. Denn inzwischen ist der Irak tatsächlich zumAnziehungspunkt und Betätigungsfeld für ausländische Terroris-ten geworden. Und in den Hauptstädten mancher Länder, die auf Washingtons Liste der »Schurkenstaaten« stehen oder sich dortverzeichnet wähnen, hat der Irakkrieg den Anreiz zur Entwick-

lung eigener Atomwaffen nicht geschwächt, sondern gestärkt.Denn A-Waffen gelten diesen Ländern als einzige verlässlicheVersicherung gegen einen Angriff der USA.

Schließlich sind die finanziellen Kosten, die die Steuerzahlerin den USA und den anderen NATO-Staaten für die Kriege undfür die anhaltende Besatzung bzw. militärische Präsenz in dendrei Konfliktregionen zu tragen haben, um vieles höher, als

zunächst veranschlagt.Doch trotz dieser überaus negativen Bilanz werden die drei

Kriege von den Regierungen, die sie jeweils geführt haben, nachwie vor als »richtig« und »notwendig« gerechtfertigt, als»unumgänglich« und »alternativlos«, als »völkerrechtskonform«und »erfolgreich«. So spricht Bundesaußenminister JosephFischer über den Kosovokrieg der NATO und die deutscheBeteiligung daran. Und so bewertet US-Präsident George Bushden Irakkrieg.

Dass es über den Irakkrieg vom Frühjahr 2003 zu erheblichenKontroversen zwischen den Regierungen in Berlin und Wa-shington kam, war keineswegs Ausdruck einer grundsätzlichenDifferenz über den Einsatz militärischer Mittel, sondernlediglich unterschiedlichen Interessenlagen und realpolitischenEinschätzungen in dem konkreten Fall geschuldet.

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Auch mit Blick auf künftige Kriege überwiegen zunächsteinmal noch die Gemeinsamkeiten – nicht nur zwischenDeutschland und den USA, sondern zwischen Nordamerika und

allen europäischen Staaten sowie auch Russland. Das gilt für dieWahrnehmung und die Analyse von Bedrohungen sowie für dieBereitschaft, gegen diese Bedrohungen und auch zur Durchset-zung eigener strategischer und wirtschaftlicher Interessenmilitärisch vorzugehen.

Hinsichtlich der Kapazitäten und Fähigkeiten zu militärischenInterventionen – zumal im weltweiten Maßstab – gibt es bislanghingegen noch ein erhebliches Gefälle zwischen den USA undden anderen für die künftige Globalpolitik relevanten AkteurenEuropa, China, Russland, Indien und Japan. Dieses Gefällegewinnt in dem Maße an Bedeutung, in dem sich die Scherezwischen der globalen Nachfrage und dem Angebot an Öl undanderen fossilen Energieträgen in den nächsten Jahren drama-tisch öffnen wird. Entsprechend wird sich der Verteilungskampf um die immer knapperen fossilen Ressourcen erheblich ver-

schärfen. Damit und angesichts der bislang viel zu geringenpolitischen Bereitschaft, in nennenswertem Umfang auf nach-haltige Energieressourcen (Sonne, Wind, Wasser, Biomasse)umzuschalten, wächst der Druck bei den globalen Akteuren,sich für diesen Verteilungskampf und die Sicherung der benötig-ten fossilen Energieressourcen auch militärisch zu rüsten.

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Verengte Bedrohungswahrnehmung und militarisierte Antworten 

Die transatlantischen Gemeinsamkeiten (unter EinschlussRusslands) zeigen sich sehr deutlich bei der verengten Wahr-nehmung globaler Bedrohungen und Herausforderungen sowiebei der Schwerpunktsetzung auf militärische Antworten.

Zunächst definierte die Bush-Administration in ihrer neuen

»Nationalen Sicherheitsstrategie« (NSS) vom 20. September2002 zwei »Hauptbedrohungen«: Terrorismus und die Verbrei-tung von atomaren, chemischen und biologischen Massenver-nichtungswaffen. Als »Worst-case«-Szenario gelten »Schurken-staaten«, die über Massenvernichtungswaffen verfügen unddiese an Terroristen weitergeben. Andere globale Herausforde-rungen wie Hunger, Unterentwicklung, Aids oder Umweltzer-störung, die für die große Mehrheit der Menschen in den

Ländern des Südens die drängendste alltägliche Bedrohungdarstellen, werden in der NSS nur ganz am Rande erwähnt.

Nicht nur das weiterhin wesentlich von den USA dominierteMilitärbündnis NATO hat die in der amerikanischen NSSformulierte Beschreibung und Gewichtung der globalen Bedro-hungen fast wortgleich übernommen (zum Beispiel in denAbschlusserklärungen der NATO-Ratssitzungen vom 3. Juni

und 4. Dezember 2003). Auch die Europäische Union hat inihrer im Dezember 2003 vom EU-Rat verabschiedeten erstengemeinsamen Sicherheitsstrategie »Für ein sicheres Europa ineiner besseren Welt« eine ähnliche Gewichtung vorgenommen.Auf globale sozioökonomische und ökologische Herausforde-rungen geht die EU-Strategie zwar etwas ausführlicher ein alsdie amerikanische NSS. Doch auch die EU-Strategie identifi-ziert schließlich »Terrorismus« und die »Weiterverbreitung von

Massenvernichtungswaffen« als die beiden Hauptbedrohungen

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der heutigen Zeit. Sehr stark gewichtet sie auch das Problem sogenannter »gescheiterter Staaten« – Länder ohne funktionieren-de zentrale Regierungsgewalt, deren Territorien als logistische

Basis für organisierte Kriminalität, Drogenhandel und Terroris-ten dienen könnten.

Die von den USA, der NATO und der EU formulierten Bedro-hungswahrnehmungen haben auch Eingang gefunden in dieDokumente, die seit 2003 gemeinsam mit Russland und anderenosteuropäischen Staaten beschlossen wurden. Beispiele hierfürsind die Abschlusserklärung des Gipfeltreffens EU – Russlandvom 31. Mai 2003 sowie des Euro-Atlantischen Partnerschafts-rats der NATO vom 5. Dezember 2003. Auch die Organisationfür Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verab-schiedete am 2. Dezember 2003 ein Strategiepapier, in demTerrorismus und die Weiterverbreitung von Massenvernich-tungswaffen als Hauptbedrohungen definiert werden.

Die amerikanische NSS und die EU-Sicherheitsstrategieähneln sich auch bei der Beschreibung der Instrumente, mit

denen auf die als zentral angesehenen Bedrohungen reagiertwerden soll: Es sind in erster Linie militärische. Zwar werdenpolitische, wirtschaftliche und andere zivile Instrumente zurPrävention und Bearbeitung von Konflikten sowie zur Überwin-dung erkannter Bedrohungen durchaus benannt – im Strategie-dokument der EU wiederum ausführlicher als in der amerika-nischen NSS. Doch das bleiben im Wesentlichen unverbindlicheLippenbekenntnisse. Die Beschreibung konkreter Institutionen,Ressourcen, Kapazitäten, Aufgaben und Fähigkeiten findet inder NSS ausschließlich und im EU-Dokument überwiegend imHinblick auf militärische Instrumente statt. In den außen- undsicherheitspolitischen Kapiteln des Entwurfs für eine EU-Verfassung findet sich eine ähnliche Schieflage wie in der EU-Sicherheitsstrategie.

In der NSS wird der »vorbeugende« (präemptive) Einsatz

militärischer Mittel ausdrücklich und ausführlich gerechtfertigt

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als unerlässliche Maßnahme zur Abwehr der »neuen« Hauptbe-drohungen. Die EU-Sicherheitsstrategie ist etwas zurückhalten-der formuliert. Im ersten (englischen) Entwurf des Dokuments

vom Juni 2003 war zwar in direkter Anlehnung an die NSS nochder Satz enthalten: »preemptive engagement can avoid moreserious problems in the future«. Doch in der im Dezember 2003verabschiedeten endgültigen Fassung ist dieser Satz entfallen.Aus dem Gesamtzusammenhang des ansonsten unverändertenKapitels, in dem dieser Satz ursprünglich stand, wird jedochdeutlich, dass sich die EU die Option auf »vorbeugende«militärische Handlungen durchaus offen hält.

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One down, two to go – von den »Schurkenstaaten« zur »Achse des 

Bösen« 

»Staaten wie Irak, Iran und Nordkorea und ihre terroristischenVerbündeten bilden eine Achse des Bösen. Sie bewaffnen sich,um den Weltfrieden zu bedrohen.«

So konkret, öffentlich und an so prominenter Stelle wie

George Bush in seiner »State of the Union«-Rede vom 28.Januar 2002 hatte noch nie ein US-Präsident andere Länder zu»Schurkenstaaten« erklärt, seit der Begriff Ende der siebzigerJahre erstmals im amerikanischen Politikvokabular aufgetauchtwar. Damals hatte das Wall Street Journal den US-BundesstaatOhio wegen seiner Umweltpolitik als »rouge state«, Schurken-staat, gegeißelt. Nach seiner Wahl im Jahr 1980 richtete derrepublikanische Präsident Ronald Reagan den »Schurkenstaat« -Vorwurf an Länder mit repressiven Regimes – allerdings nur ansolche, die damals im gegnerischen ideologischen Lager standenoder für die USA keine strategische oder geopolitische Bedeu-tung besaßen.

Nicht nur Reagans republikanischer Nachfolger George Bush,auch der 1992 zum Präsidenten gewählte Demokrat Bill Clintonübernahm den Begriff – und zwar für Staaten, die sich aus Sicht

Washingtons »international unverantwortlich« verhielten.Clintons Außenministerin Madeleine Albright erklärte denKampf gegen die »Schurkenstaaten« im September 1997 zu»einer der größten Herausforderungen unserer Zeit, weil es dereinzige Existenzzweck dieser Staaten ist, unser System zuzerstören«.

Doch trotz der häufigen Verwendung des Begriffs hat Wa-shington niemals eine offizielle »Schurkenstaaten«-Liste

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vorgelegt. Auf Grund verschiedener offiziöser Äußerungen undDokumente ist davon auszugehen, dass bis zu 20 verschiedeneStaaten zeitweise die Ehre hatten bzw. noch haben, auf dieser

Liste geführt zu werden. Darunter Iran, Libyen, Nordkorea, Irak,Syrien, Pakistan, Sudan, Afghanistan, Kuba und Indien. Einepräzise Definition des Begriffs legte Washington nicht vor. Daserlaubte dessen willkürliche Anwendung etwa zur Begründungder Wirtschaftssanktionen gegen den Iran.

Selbst der Bericht einer Regierungskommission unter Vorsitzdes heutigen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, mit demdie »Schurkenstaaten«-Theorie 1998 immerhin zur offiziellenDoktrin der USA erklärt wurde, lieferte weder eine Definition,noch wurde eine Liste vorgelegt. Der Bericht warnte vor»Bemühungen einer Reihe offen oder potenziell feindlicherStaaten, sich Raketen mit biologischen oder nuklearen Spreng-köpfen zu beschaffen«. Die daraus abgeleitete »wachsendeBedrohung der USA und ihrer Verbündeten« wurde zur Be-gründung für die Pläne Washingtons für ein nationales

Raketenabwehrsystem genutzt.Im Juni 2000 erklärte Außenministerin Albright dann überra-

schend, die Clinton-Regierung habe Iran, Libyen und Nordkoreavon der Liste der »Schurkenstaaten« gestrichen. Eine Begrün-dung lieferte Albright nicht. Allerdings betonte sie, Washingtonbleibe »besorgt darüber, dass die drei Länder weiterhin deninternationalen Terrorismus fördern, Raketenprogramme ent-wickeln und danach trachten, das internationale Zusammenlebenzu stören«.

Wenig später wurde der Begriff »rouge states« von Washing-ton offiziell ganz aufgegeben und ersetzt durch die vermeintlichmildere Bezeichnung von den »Staaten, die Besorgnis erregen«(»states of concern«). Auch hierzu gibt es bis heute weder eineoffizielle Definition noch eine Liste.

Keineswegs willkürlich oder beliebig, sondern ein sehr be-

wusster Akt war die Stigmatisierung des Irak, des Iran und von

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Nordkorea als »Achse des Bösen« durch Präsident Bush imJanuar 2002. Denn die drei Länder beziehungsweise ihreRegierungen stellen aus Sicht Washingtons (nicht nur der Bush-

Administration und der Republikaner) ein Hindernis dar für dieDurchsetzung wichtiger geopolitischer Interessen der USA inder ressourcenreichen Region Mittlerer Osten/Zentralasiensowie in Ostasien.

Bush fügte der Stigmatisierung der drei Staaten eine konkreteDrohung an: »Das Bemühen dieser Regimes um Massenvernich-tungswaffen bedeutet eine schwerwiegende und wachsendeGefahr. Sie könnten diese Waffen an Terroristen weitergeben.Ich werde dieser wachsenden Gefahr nicht tatenlos zusehen.«

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Öl war das Hauptmotiv für den Regimesturz in Bagdad 

Im Fall Irak hat Bush seine Drohung inzwischen in die Tatumgesetzt. Bei der Beseitigung des Regimes von SaddamHussein ging es Washington – allen anders lautenden Behaup-tungen zum Trotz – in erster Linie um Öl. Und zwar inmehrfacher Hinsicht.

Zum einen ging es um das irakische Öl selbst. Mit bekanntenVorkommen von rund 112 Milliarden Barrel ist der Irak dasLand mit den zweitgrößten Ölreserven der Welt (hinter Saudi-Arabien mit rund 220 Mrd. Barrel und vor dem Iran mit 90 Mrd.sowie Kuwait und den Golfemiraten mit zusammen auch nocheinmal rund 90 Mrd. Barrel).

Nirgendwo auf der Welt ist die Förderung von Öl preiswerterals im Irak, weil die Ölfelder hier sehr dicht unter der Erdober-

fläche liegen, die wiederum fast ausschließlich aus Sand besteht.(Zum Vergleich: Im Jahr 2000 kostete die Förderung einesBarrels Öl im Irak umgerechnet rund sieben US-Dollar, in denrussischen Ölfeldern in Sibirien hingegen über 16 Dollar.) Dieirakischen Ölfelder gehören zu den wenigen in der Welt, die den»Peak Point«, den Spitzenwert der Förderung, noch nichtüberschritten haben und wo sich – eine Reparatur der im

Golfkrieg von 1991 zerstörten Ölanlagen und eine politischeBefriedung des Landes vorausgesetzt – die Ölproduktion nocherheblich steigern lässt.

Das Interesse der USA an irakischem Öl wird angesichts desprognostizierten Mehrbedarfs an Importen um mindestens 60Prozent bis zum Jahr 2020 in Zukunft erheblich zunehmen.Zumal die USA mit der realistischen Möglichkeit rechnenmüssen, dass Saudi-Arabien, seit dem irakischen Überfall auf 

Kuwait im Jahre 1990 (neben Israel) ihr wichtigster Verbündeter

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in der Nahostregion, demnächst als verlässlicher Öllieferantausfällt, weil die Monarchie in Riad durch eine islamistischeRevolution gestürzt wird – so wie 1979 das (ebenfalls von den

USA und dem ganzen Westen gestützte) Schahregime im Iran.Eben diese Befürchtung einer islamistischen Revolution in

Saudi-Arabien hatte Richard Perle – Vize-Verteidigungsministerunter Präsident Reagan in den achtziger Jahren und während derersten Amtszeit von Präsident Bush Vorsitzender des wichtigs-ten Beratungsausschusses für das Pentagon – bereits im Juni1996 ausgesprochen. In einem Beratungspapier für den damalsgerade gewählten israelischen Premierminister Benjamin Netan-

  jahu plädierte Perle für einen »klaren Bruch« (»clean break«)mit der damaligen Nahostpolitik Washingtons und für eine»neue Strategie zur Erhaltung der Vorherrschaft« der USA undIsraels in der Region.

Punkt eins des Beratungspapiers: Israel solle den Oslo-Frie-densprozess mit den Palästinensern beenden, sich nicht mehr auf ähnliche Verhandlungen einlassen und seine Interessen gegen-

über den Palästinensern wie den arabischen Staaten kompro-misslos durchsetzen.

Punkt zwei: Ausgehend von der Erwartung einer islamisti-schen Revolution in Riad drängte Perle darauf, dass die USASaudi-Arabien rechtzeitig durch den Irak ersetzen. Dem dafürunerlässlichen Sturz nicht nur von Saddam Hussein, sondern desgesamten Regimes der Baath-Partei im Irak werde – so PerlesPrognose – als Domino-Effekt über kurz oder lang der Kollapsdes Baath-Regimes in Syrien folgen. Damit gerate dann auchder Libanon endlich wieder unter die volle Kontrolle Israels undder USA, schrieb Perle in seinem Beratungspapier für Netanja-hu, das sich wie eine Blaupause für die Entwicklung liest, dieseitdem in der Nahostregion eingetreten ist.

Neben dem unmittelbaren Interesse an irakischem Öl selbstwar wesentliches Kriegsziel für die USA aber auch die Kontrol-

le über den gesamten Irak wegen seiner wichtigen geostrategi-

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schen Lage: als Transitland für den Transport von Öl aus ande-ren Ländern. Der Irak verfügt über lange Grenzen zum Iran, zuSaudi-Arabien, zu Syrien und zur Türkei sowie über Häfen am

Persischen Golf, einer der wichtigsten Schifffahrtsstraßen fürden internationalen Öltransport. Die Bush-Administration hatmit der derzeitigen Übergangsregierung in Bagdad bereits diemilitärische Präsenz amerikanischer Streitkräfte im Irak auf Dauer sowie die Nutzung von mindestens sechs Militärbasen auf irakischem Territorium vereinbart. Damit können die USA nichtnur die Kontrolle über die Ölfelder, die Pipelines und strategi-schen Verkehrsverbindungen im Irak behalten, sondern das

irakische Territorium künftig auch für militärische Interventio-nen in benachbarte Länder nutzen.

Schließlich gab es für Washington einen weiteren, ebenfallsmit Öl-Fragen verbundenen Grund, das Regime in Bagdad zustürzen. Seit dem Jahr 2000 fakturierte Saddam Hussein das Öl,das sein Regime unter dem UNO-Programm »Öl für Nahrungs-mittel« verkaufen durfte, nicht mehr in US-Dollar, sondern in

Euro. Andere Ölförderländer – darunter Venezuela – folgtenBagdads Beispiel. Weitere Staaten bekundeten ihre Absicht, ihrÖl auf den Weltmärkten ebenfalls gegen Euro zu verkaufen.Diese Entwicklung hätte mittelfristig die Funktion des US-Dollars als globale Leitwährung gefährdet. Denn diese Funktiongründet – nicht ausschließlich, aber in erster Linie – auf der Tat-sache, dass Öl bislang auf dem Weltmarkt in Dollar fakturiertwird.

Verliert der Dollar aber seine Funktion als globale Leitwäh-rung, könnten die USA nicht länger wie bislang ihr riesigesHaushaltsdefizit auf den Rest der Welt abwälzen. Und diesesHaushaltsdefizit ist von lediglich 20 Milliarden Dollar zumEnde der Clinton-Administration im Dezember 2000 bis Anfang2005 auf über 700 Milliarden Dollar angewachsen. Eine wesent-liche Ursache hierfür sind die Kosten des Irakkrieges und der

nachfolgenden Besatzung. Zusätzlich zu dieser Haushaltsver-

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schuldung verzeichneten die USA Anfang 2005 ein Außen-handelsdefizit in derselben Größenordnung.

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Iran – von erheblicher geostrategischer Bedeutung für die USA und für Europa 

Der Iran ist von mindestens ebenso großem geostrategischenInteresse wie der Irak – nicht nur für die USA, sondern auch fürEuropa. Denn der Iran verfügt über die drittgrößten Ölreservender Welt sowie (nach Russland) über die zweitgrößten Vorrätean Erdgas. Das Land hat gemeinsame Grenzen mit dem Irak, mitPakistan, Afghanistan und der zentralasiatischen Ex-Republikder Sowjetunion, Turkmenistan. Zudem ist der Iran neben Russ-land, Aserbeidschan, Kasachstan und Turkmenistan Anrainer-staat des Kaspischen Meeres mit seinen großen Öl- und Gasvor-kommen. Schließlich kontrolliert der Iran die gesamte Ostküstedes Persischen Golfs. Mit knapp 70 Millionen Einwohnern,davon rund zwei Drittel unter 30 Jahren, ist der Iran die bedeu-tendste Regionalmacht in Zentralasien mit einem ungeheuren

wirtschaftlichen und politischen Potenzial und einer reichen,  jahrtausendealten Kultur. Allerdings haben die 27-jährigeblutige Diktatur des Schah-Regimes, die islamische Revolutionvon 1979, der Krieg mit dem Irak (dem über eine MillionIranerinnen und Iraner zum Opfer fielen) sowie drei Erdbebengrößten Ausmaßes (1990, 2003, 2005) in der iranischen Gesell-schaft tiefe Traumata und Depressionsspuren hinterlassen.Hinzu kommen die Folgen der umfassenden Sanktionen, die die

USA in Reaktion auf den Sturz der Schah-Diktatur und dieMachtergreifung der Ayatollahs in Teheran im Jahre 1979 gegenden Iran verhängt haben.

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Der Streit um Teherans Atomprogramm 

Washingtons Wirtschaftssanktionen sind allerdings nur einGrund für das historisch schwer belastete Verhältnis zwischendem Iran und den USA, ohne das die Irrationalitäten und die –scheinbare – Ausweglosigkeit des aktuellen Konflikts um dasiranische Atomprogramm nicht verständlich werden.

Die Anfänge liegen schon über 50 Jahre zurück. Im August1953 wurde im Iran die zwei Jahre zuvor demokratisch gewählteRegierung von Ministerpräsident Mohammad Mossadegh mitHilfe der Geheimdienste der USA und Großbritanniens gestürztund durch die blutige Diktatur des Schahs von Persien ersetzt.Mossadegh hatte sich den Unwillen der Regierungen in Wa-shington und London zugezogen, weil er die Ölfelder des Iran,die bis zu seiner Wahl von britischen und US-amerikanischenKonzernen kontrolliert und ausgebeutet wurden, verstaatlicht

hatte, damit die Erlöse aus dem Ölverkauf dem iranischen Volkzugute kamen.

Viele ältere Iranerinnen und Iraner, die den Sturz ihrer demo-kratisch gewählten Regierung noch miterlebt haben, konnten dasTrauma bis heute nicht überwinden. Und es klingt wie bittererHohn in ihren Ohren, wenn die heutige Regierung der USA denKrieg gegen den Irak und ihre gesamte Politik gegenüber demMittleren Osten mit der Notwendigkeit des Demokratie-Exports

begründet, weil die Völker und Staaten dieser Region bislangnicht zur Demokratie aus eigener Kraft fähig gewesen seien. Die26 Jahre der blutigen Unterdrückung durch die von den USA(und vom gesamten Westen) unterstützte Schah-Diktatur habenbei vielen Iranerinnen und Iranern ein tiefes Misstrauen gegen-über jeder Form äußerer Einmischung in die Angelegenheitendes Landes hinterlassen.

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Die islamische Revolution von 1979 hingegen traf die US-Politik völlig unvorbereitet. Der Schock in Washington wurdenoch verstärkt durch die nachfolgende Geiselnahme in der

Teheraner US-Botschaft und Präsident Jimmy Carters miss-glückte Militäraktion zur Befreiung der Geiseln. 1980 griff derIrak unter Saddam Hussein den Iran an und wurde in diesemachtjährigen Krieg vom Westen einschließlich der USA unter-stützt. Das Pentagon lieferte den irakischen Streitkräften sogardie Zieldaten für den Einsatz von Chemiewaffen. Insgesamt 63Mal während des achtjährigen Krieges setzte der Irak chemischeMassenvernichtungswaffen gegen iranische Truppen ein. Diese

Einsätze hatten verheerende Folgen und waren letztlich kriegs-entscheidend, weil sie die ansonsten sichere Niederlage desAngreifers Irak verhinderten. Im März 1988 griff SaddamHusseins Luftwaffe zudem das Dorf Halabscha im kurdischenNorden des Irak an und tötete über 5.000 seiner Einwohner.

Die Verwendung chemischer Waffen durch die irakischenStreitkräfte war ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. Zwar

existiert ein umfassendes weltweites Verbot für die Entwick-lung, Herstellung, Lagerung und den Einsatz von C-Waffen erstseit 1993. Der Ersteinsatz – und darum handelte es sich bei

 jedem der 64 irakischen Einsätze – war jedoch bereits durch dasGenfer Giftgasprotokoll von 1925 verboten. Dennoch stießendie zahlreichen Proteste Teherans gegen die irakischen Che-miewaffeneinsätze beim UNO-Sicherheitsrat auf taube Ohren.Als der irakische Giftgasangriff gegen die Kurden von Halab-

scha im März 1988 weltweite Empörung auslöste, setzte die US-Regierung – um die Kritik von ihrem damaligen VerbündetenSaddam Hussein abzulenken – sogar die Propagandalüge in dieWelt, dieser Angriff sei von der iranischen Luftwaffe verübtworden.

Diese Erfahrung aus dem Krieg mit dem Irak hat das Vertrau-en der Iraner auf Schutz gegen ausländische Aggression durch

das kollektive System der UNO und durch multilaterale Rüs-

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tungskontrollabkommen nachhaltig erschüttert. Zumindest fürdie militärischen und sicherheitspolitischen Eliten in Teheran istes seitdem die wichtigste Zielsetzung, eine strategische Unterle-

genheit und Verwundbarkeit, wie sie das Land in den achtzigerJahren erlebte, in der Zukunft unter allen Umständen auszu-schließen. Zumindest eine Minderheitsfraktion unter den Elitenhält dies nur für möglich, wenn sich der Iran atomar bewaffnet.Sie verweist dabei unter anderem auf die Bedrohung durch dasAtomwaffenarsenal Israels.

Diese Fraktion in Teheran ist seit den Terroranschlägen vom11. September 2001 deutlich gestärkt worden. Zum einen durchdie seitdem eskalierenden Drohgebärden der RegierungenScharon und Bush gegen den Iran. Zum anderen hat sich inTeheran die Wahrnehmung der Bedrohung und der militärischenEinkreisung durch die USA verstärkt, nachdem der Sturz derRegimes in Kabul und Bagdad durch die US-Streitkräftemilitärisch relativ problemlos und schnell erfolgte und seitdemdie USA (zusätzlich zur schon zuvor bestehenden US-Militär-

präsenz im Südosten der Türkei und im Persischen Golf) weitereStützpunkte in Irans unmittelbaren Nachbarländern Afghanistan,Irak sowie in drei ex-sowjetischen Republiken im Nordosten desLandes errichtet haben.

Noch zusätzlich verstärkt wurde diese Wahrnehmung, als imJanuar 2005 durch Recherchen des US-Journalisten SeymourHersh bekannt wurde, dass die US-Luftwaffe bereits Aufklä-rungsmissionen über iranischem Territorium geflogen undgeheime Kommandos ins Land geschickt hat, um potenzielleZiele für Luftangriffe auszuspionieren.

Doch der US-amerikanische Druck auf den Iran stärkt nichtnur diejenigen in Teheran, die tatsächlich aktuell eine Atombe-waffnung anstreben oder die diese Option zumindest vorläufigoffen halten wollen – zumindest bis zu einem Abkommen übereine von ABC-Waffen freie Region Naher und Mittlerer Osten,

das auch zu einer Beseitigung der israelischen Atomwaffenarse-

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nale führt. Der Druck aus Washington erleichtert es auch denkonservativen Hardlinern, unter Verweis auf Außenbedrohun-gen die Repression gegen die Reformkräfte und die demokrati-

sche Opposition im Iran zu verschärfen.Die Vorstellung neokonservativer Ideologen und Strategen in

der Bush-Administration, militärische Drohungen oder gar tat-sächliche Angriffe gegen den Iran führten zu einer Revolte desVolkes gegen das Regime und zu dessen Sturz, sind mindestensso abwegig wie die inzwischen gründlich widerlegten Fehlein-schätzungen Washingtons im Hinblick auf den Irak. In deraktuellen Streitfrage des iranischen Atomprogramms stehennach allen verfügbaren Umfragen mindestens 90 Prozent deriranischen Bevölkerung hinter der Haltung der Regierung, dasProgramm zur Nutzung der Atomkraft inklusive des Verfahrensder Urananreicherung fortzusetzen und keinerlei Einschränkun-gen zuzustimmen – schon gar nicht unter US-amerikanischemDruck. Auch das Parlament steht fast völlig geschlossen hinterdieser Haltung. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen vom Juni

2005 nutzten der siegreich daraus hervorgegangene neue Präsi-dent Ahmadinedschad wie auch der unterlegene GegenkandidatRafsandschani den Konflikt um das iranische Atomprogrammzur Aufheizung nationalistischer Stimmungen, um damit ihreWahlchancen zu erhöhen.

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Wollen die Mullahs die Atombombe? Iran und der Atomwaffensperrvertrag 

Wollen die Mullahs in Teheran die Atombombe? Haben sie sievielleicht sogar schon? Für die neokonservativen Ideologen ausden USA, die auf militärische Maßnahmen gegen den Irandrängen, ist die Antwort auf diese Frage klar und die Beweislageeindeutig. Eine Kostprobe ihrer Argumentation lieferte Jeff Gedmin am 20. Januar 2005 in der  BILD-Zeitung. Gedmin,langjähriger Mitarbeiter des American Enterprise Instituts, eineder führenden neokonservativen Denkfabriken in Washington,und seit Dezember 2002 Direktor des Berliner Aspen-Instituts,nutzt seine Funktionen intensiv und mit großem, zumeistunkritischem Medienecho zur Verbreitung neokonservativerPropaganda in Deutschland. Unter der Überschrift »Haben dieMullahs die Bombe? Präsident George W. Bush schließt einen

Militärschlag gegen Iran nicht aus« nannte der »US-Außen-politik-Experte Jeff Gedmin« in der  BILD-Zeitung »10 Gründe,warum das Reich der Mullahs so gefährlich ist«. In dem Artikelhieß es unter anderem:

»1) Die Mullahs bauen die Bombe: Es gibt keinen Zweifeldaran, dass die Mullahs die Bombe bauen wollen. Das könnte in

fünf bis zehn Jahren der Fall sein, vielleicht auch früher. ( … )5) Die Mullahs bedrohen Israel: Die geistlichen Führer inTeheran nennen Israel in ihren Reden ein ›Krebsgeschwür‹, dases ›auszurotten‹ gilt. Und sie drohen: ›Eine einzige Atombombehat die Kraft, den Staat Israel vollständig auszulöschen.‹ DerIran kann seinen Erzfeind bereits jetzt mit Langstreckenraketenangreifen. ( … )

7) Die Mullahs könnten auch Europa angreifen: Westliche

Geheimdienste gehen davon aus, dass der Iran schon bald über

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Langstreckenraketen verfügen könnte, die europäische Länderwie Griechenland, Polen, genauso wie Indien, Russland und dieTürkei erreichen. Auch eine Fernrakete mit 2.600 Kilometern

Reichweite könnte in Planung sein – damit wären sogar Ziele inSachsen und Bayern bedroht.

8) Die Mullahs haben auch Chemie- und Biowaffen: Dierenommierte, unabhängige US-Organisation Globalsecurity.orggeht davon aus, dass der Iran bereits zu militärischen Einsätzenmit Chemiewaffen in der Lage ist und auch an Biowaffenforscht.

9) Die Mullahs belügen die Welt systematisch: Niemand kannernsthaft bestreiten, dass uns diese gewaltbesessene Diktatur inden vergangenen 18 Jahren systematisch über ihr Atompro-gramm belogen hat. Deshalb ist es nur ehrlich, dass US-Präsident Bush nicht alle Optionen ausschließt. Denn würde erdas nicht sagen, würde er automatisch mit schlechteren Kartenspielen.

10) Die Mullahs wollen einen Keil zwischen Amerika und

Europa treiben: Die Mullahs spielen mit Europa und den Verei-nigten Staaten Katz und Maus. Sie versuchen zu spalten. Hierverhandeln, dort drohen, dann wieder einlenken. Sie täuschen,tricksen und tarnen, um Zeit für ihre Aufrüstung zu gewinnen.«

Mit ähnlichen simpel gestrickten Argumenten und sachlichweitgehend falschen Behauptungen hatte Gedmin in den Jahren

2002 und 2003 auch für einen Krieg gegen den Irak und für dieBeteiligung Deutschlands daran plädiert.

Gedmins Behauptungen über bereits vorhandene iranische B-und C-Waffen haben sich inzwischen ebenso als falsche»Erkenntnisse« der US-Geheimdienste herausgestellt wie die»Beweise« für irakische Massenvernichtungswaffen vor demKrieg vom Frühjahr 2003.

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Für die Behauptung, der Iran habe unter Verstoß gegen denAtomwaffensperrvertrag (»Non Proliferation Treaty«, NPT)bereits damit begonnen, Atomwaffen zu entwickeln, hat die für

die Überwachung der iranischen Atomanlagen zuständige Inter-nationale Atomenergieorganisation (IAEO) in Wien bis heutekeinerlei Beweise finden können – trotz regelmäßiger Kontrol-len, zu deren Verschärfung Teheran sich im Herbst 2004 mit derUnterzeichnung eines NPT-Zusatzprotokolls zudem bereiterklärt hat.

In der Vergangenheit hat die IAEO Teheran zweimal wegenVerletzungen des Vertrags kritisiert. Zum einen betrieb der Irandas Verfahren der Urananreicherung zunächst, ohne die IAEOdarüber zu informieren. Die Anwendung dieses Verfahrens istunter dem NPT nicht verboten, solange das Uran zum aus-schließlichen Zweck der atomaren Energiegewinnung nur geringangereichert wird. Die Urananreicherung wird von zahlreichenNPT-Staaten praktiziert. Doch nach den Bestimmungen desNPT muss die IAEO spätestens bei Beginn der Inbetriebnahme

von Anreicherungsanlagen informiert werden, welche dann denIAEO-Inspektoren für regelmäßige Kontrollen geöffnet werdenmüssen.

Die zweite Verletzung des Atomwaffensperrvertrags bestanddarin, dass der Iran Ende der neunziger Jahre einmal einigeGramm hoch angereichertes, waffenfähiges Uran produzierte –allerdings eine viel zu geringe Menge, um damit auch nur eineneinzigen Atomsprengkopf herstellen zu können.

Die Bush-Administration argumentiert, mit den Mitteln derRüstungskontrolle, die der NPT vorsieht, lasse sich nichtverlässlich feststellen, ob ein Land in seinen Atomanlagen Urannur niedergradig zur Energiegewinnung oder hochgradig zurEntwicklung atomarer Waffen anreichert. Zudem sei dem Iranwegen der beiden früheren Verletzungen des NPT und wegenaggressiver Absichten Israel gegenüber grundsätzlich nicht über

den Weg zu trauen. Daraus leitet die amerikanische Regierung

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die ultimative, mit militärischen Drohungen unterfütterte Forde-rung ab, Teheran müsse das Verfahren der Urananreicherungvollständig und endgültig aufgeben und die entsprechenden

Anlagen unter internationaler Kontrolle wieder abbauen. Zudemerhebt die Bush-Administration – bislang ohne jeden Beweis –den Vorwurf, der Iran unterhalte über die Einrichtungen hinaus,die der IAEO bekannt sind und von ihr regelmäßig kontrolliertwerden, weitere hochgeheime unterirdische Anlagen, in denendie Atomwaffenentwicklung betrieben werde.

Unter dem NPT-Vertrag hat der Iran ausdrücklich das Recht,alle existierenden Verfahren und Technologien zur atomarenEnergiegewinnung- einschließlich der Urananreicherung – ohneEinschränkung zu nutzen. Die Regierung in Teheran besteht auf diesem souveränen Recht. Sie begründet die Notwendigkeiteiner stärkeren Nutzung der Atomenergie mit dem Ziel, dieAbhängigkeit des Iran vom Öl zu verringern. Die Bush-Admini-stration weist diese Begründung unter Verweis auf die reichenErdölvorkommen als unglaubwürdig zurück. »Iran braucht keine

Kernkraftwerke, denn das Land verfügt über ausreichend Öl undGas für die nächsten 400 Jahre«, schrieb Jeff Gedmin in seinem BILD-Artikel. Das sind allerdings Phantasiezahlen, die nur dieAhnungslosigkeit des Autors belegen. Nach allen Prognosen derInternationalen Energieagentur (IEA) werden die iranischenÖlreserven (wie auch alle anderen Ölvorräte auf der Welt) bisMitte dieses Jahrhunderts aufgebraucht sein – wenn nicht in dennächsten 20 Jahren weltweit in tatsächlich großem Maßstab von

fossilen auf nachhaltige Energieträger umgeschaltet wird,wovon bislang keine einzige Prognose ausgeht.

Aber völlig unabhängig davon, bis wann genau die iranischenÖl- und Gasvorräte aufgebraucht sein werden, ist es natürlichdas souveräne Recht jedes Landes (auch eines so erdölreichenwie derzeit noch Iran), sich zu jedem ihm genehmen Zeitpunktauf seinem Territorium neue Energieträger zunutze zu machen.

Befürworter nachhaltiger und umweltfreundlicher Energien

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kritisieren zwar völlig zu Recht, dass der Iran, anstatt dieriesigen Potenziale des Landes an Solar-, Wind- und Wasser-kraft zu nutzen, auf Atomenergie setzt. Doch das ist ja

keineswegs der Grund, warum die Bush-Administration ultima-tiv ein Ende der Urananreicherung im Iran verlangt.

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Die Sackgasse des EU-Verhandlungs- ansatzes mit Iran 

Als der Konflikt um das iranische Atomprogramm im Herbst2004 eskalierte, setzte die Europäische Union – im Unterschiedzu den USA – zunächst ausschließlich auf diplomatischeVerhandlungen mit Teheran und schloss ein militärischesVorgehen ausdrücklich aus. Nur dieser Ansatz der EU machte esder Regierung in Teheran möglich, ohne Gesichtsverlustzumindest vorübergehend in die Aussetzung der Urananreiche-rung einzuwilligen.

Doch im Verlauf der Verhandlungen machte die EU – vertre-ten durch das Trio Deutschland, Frankreich und Großbritannien– den eigenen Ansatz zunichte, indem sie Teheran gegenüberdieselbe fragwürdige und unrealistische Forderung wie die USAerhob: der Iran solle vollständig und endgültig auf die Uranan-

reicherung verzichten – selbst für nichtmilitärische Zwecke derEnergiegewinnung. Auf eine solche Forderung, die eine Diskri-minierung Irans anderen Ländern gegenüber bedeutet, würdesich jedoch auch eine demokratisch gewählte Regierung inTeheran nicht einlassen. David Kay, der ehemalige Chefwaffen-inspekteur der USA im Irak, stellte Anfang 2005 völlig zu Rechtfest, »die Eliminierung der heute im Iran vorhandenen atomarenKenntnisse, Fähigkeiten und Kapazitäten wäre – wenn über-haupt – nur möglich um den Preis eines Krieges und derBesetzung des Landes«.

Mit seinem fragwürdigen und unrealistischen Verhandlungs-ansatz wird das EU-Trio früher oder später zwangsläufig schei-tern. Damit wäre dann scheinbar der Nachweis erbracht, dassWashingtons Ansatz der militärischen Drohpolitik gegenüberTeheran richtig und alternativlos war.

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Im März 2005 wurde in Brüssel, Berlin und anderen EU-Hauptstädten stolz verkündet, die Bush-Administration habesich mit einem an Teheran gerichteten Angebot wirtschaftlicher

Anreize an die Verhandlungslinie der EU angenähert. Das Ge-genteil war der Fall. Die EU war mit der Zusage an Washington,im Fall eines Scheiterns ihrer Verhandlungen eine Verurteilungdes iranischen Atomprogramms durch den UNO-Sicherheitsrat(als ersten Schritt hin zu wirtschaftlichen sowie eventuellmilitärischen Zwangsmaßnahmen) zu unterstützen, auf die harteLinie der USA eingeschwenkt.

Die EU übernahm in diesem Zusammenhang zudem die – vonGegnern multilateraler Rüstungskontrollabkommen in Washing-ton schon seit Mitte der neunziger Jahre vertretene –Behauptung der Bush-Administration, mit den Kontrollinstru-menten, die der Atomwaffensperrvertrag bietet, lasse sich »nichtverlässlich sicherstellen«, dass Teheran seine Urananreiche-rungsanlagen nicht zu militärischen Zwecken missbrauche.Diese Haltung läuft in der Konsequenz auf eine grundsätzliche

Absage an den Atomwaffensperrvertrag hinaus.Die wirtschaftlichen Anreize der USA für Teheran waren hin-

gegen kaum relevant. Zum einen stellte die Bush-Administrationin Aussicht, sie werde künftig den Wunsch des Iran auf Beitrittzur Welthandelsorganisation (WTO) unterstützen. Zum anderengab Washington die – sehr vage formulierte – Zusage, die Liefe-rung dringend benötigter Ersatzteile für die veralteten Boeing-Flugzeuge der zivilen iranischen Luftfahrtgesellschaft künftigwieder zuzulassen. Allerdings sollen derartige Lieferungen erstnach einer endgültigen Einstellung der Urananreicherung imIran und dem vollständigen Abbau der dazu genutzten Anlagenerfolgen – und auch dann nur nach Einzelprüfung jeder Ersatz-teilbestellung aus Teheran durch die Regierung in Washington.Der Export von Ersatzteilen fällt unter die umfassenden Wirt-schaftssanktionen, die die USA nach der islamischen Revolution

von 1979 gegen den Iran verhängt hatten. Diese Sanktionen

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verlängerte US-Präsident George Bush im Februar 2005 perExekutivverfügung um weitere zehn Jahre.

Die letzte Verhandlungsrunde zwischen Vertretern des EU-

Trios und der iranischen Regierung vor Abschluss diesesBuches fand Ende Mai 2005 in Genf statt. Bei dieser Gelegen-heit machten die drei EU-Außenminister dem Iran erstmalsdetaillierte Vorschläge für die Lieferung von Leichtwasserreak-toren, die nicht zur Entwicklung von Atomwaffen genutztwerden können. Die Minister versprachen, ihre zunächst nurmündlich erläuterten Vorschläge bis Ende Juli in verbindlicher,schriftlicher Form zu unterbreiten. Im Gegenzug sagte Teheranzu, das seit November 2004 unterbrochene Verfahren derUrananreicherung zumindest bis August 2005 nicht wiederaufzunehmen.

Mit dieser Vereinbarung konnte das allseits erwartete endgül-tige Scheitern der Verhandlungen zwischen der EU und demIran zunächst einmal um zwei Monate verschoben werden – unddamit über das Datum der iranischen Präsidentschaftswahlen am

17./24. Juni hinaus. Die EU-Regierungen gaben sich derHoffnung hin, unter dem vermeintlichen Sieger dieser Wahlen,Ex-Präsident Rafsandschani, werde Teheran einen »gemäßigte-ren« Kurs in der Atomfrage einschlagen und eventuell dochnoch den endgültigen Verzicht auf die Urananreicherungerklären. Die meisten Kenner und Beobachter der iranischenInnenpolitik hielten diese Hoffnung allerdings schon vor denWahlen, die dann einen anderen Ausgang nahmen, für eineIllusion.

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Sind Militärschläge gegen iranische Atomanlagen die einzige verbleibende 

Option? 

Bedeutet das Scheitern des EU-Verhandlungsansatzes auch dasEnde aller diplomatischen Möglichkeiten? Bleibt – wie inWashington suggeriert wird – jetzt nur noch die Strategie derEskalation von Drohungen und Sanktionen bis hin zu militäri-

schen Maßnahmen, um den Bau einer iranischen Atombombe zuverhindern? Keineswegs.

Eine realitätstaugliche diplomatische Strategie, um den Iran zueiner verlässlichen Absage an Atomwaffen zu bewegen, müsstedie folgenden Punkte enthalten:

• Die EU sollte – gemeinsam mit den USA – die Verhandlun-gen mit dem Iran einbetten in ein Gesamtkonzept, das auf die

Schaffung einer Region Mittlerer Osten/Zentralasien abzielt, diefrei ist von atomaren, chemischen und biologischen Massenver-nichtungswaffen. Das hieße, dass auch die AtomwaffenarsenaleIsraels und Pakistans – mit dem Ziel ihres vollständigen Abbausund der künftigen Überwachung beider Länder durch die IAEO– in die Verhandlungen einbezogen werden.

• Die USA müssten dem Iran gegenüber verlässliche »negativeSicherheitsgarantien« abgeben. Der Verzicht auf den Ersteinsatz

atomarer Waffen gegen den Iran wäre das Mindeste. Bessernoch und hilfreicher für den innenpolitischen Prozess im Iranwäre ein umfassender Verzicht der USA auf den Einsatzmilitärischer Mittel. Dies würde endlich die fatale Dynamik derletzten Jahre brechen, in der Druck und Drohungen der USA dieHardliner und Atomwaffenbefürworter im Iran gestärkt und dieReformkräfte und Gegner einer Atombewaffnung geschwächthaben.

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• Von Teheran muss verlangt werden, sich möglichst weitge-hend multilateralen Kontrollregimes und Transparenzregeln zuunterwerfen – angefangen mit der (von Teheran inzwischen an-

gekündigten) Ratifizierung des NPT-Zusatzprotokolls, wodurchden Inspektoren der IAEO auch unangemeldete Überraschungs-besuche in iranischen Nuklearanlagen ermöglicht würden. Dasböte die Gewähr, dass ein Missbrauch der Urananreicherung zumilitärischen Zwecken schnell entdeckt, sanktioniert undbeendet werden könnte.

Über das bestehende Zusatzprotokoll hinaus gäbe es noch wei-tergehende Möglichkeiten, den Atomwaffensperrvertrag zustärken und die Gefahr der heimlichen Herstellung von waffen-fähigem Uran oder Plutonium durch den Iran oder andere Staa-ten einzudämmen. Der Generaldirektor der IAEO, MohammedEl Baradei, schlug Anfang 2005 vor, sämtliche 186 Vertrags-staaten des NPT sollten künftig auf die Anreicherung von Uransowie die Wiederaufbereitung von Plutonium in nationalenAnlagen verzichten. Die zur nuklearen Energiegewinnung

benötigten Spaltmaterialien und Brennstäbe sollten stattdessenkünftig unter strikter Kontrolle der IAEO in regionalen Zentrenhergestellt und gelagert werden, aus denen die Nationalstaatendann ihren jeweiligen Bedarf decken könnten.

UNO-Generalsekretär Kofi Annan nahm diese Initiative vonIAEO-Generaldirektor Baradei in seine im März 2005 präsen-tierten Vorschläge zur umfassenden Reform des UNO-Systemsauf. Die (nur alle zehn Jahre zusammentretende) Überprüfungs-konferenz zum Atomwaffensperrvertrag im Mai 2005 in NewYork wäre der geeignete Ort gewesen, diese wichtige Initiativezur Stärkung der atomaren Rüstungskontrolle zu beraten undvielleicht sogar schon Entscheidungen zu ihrer Umsetzung zutreffen. Doch entsprechende Vorstöße wurden von der Bush-Administration blockiert.

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Szenarien für einen Krieg gegen den Iran 

Wenn die Verhandlungen der EU mit dem Iran endgültiggescheitert sind und wenn es auch auf anderer Ebene nicht zudiplomatischen Bemühungen um eine Lösung des Konfliktskommt, wird dann früher oder später zwangsläufig ein Krieggegen den Iran stattfinden? Noch halten viele Beobachter diesesSzenario für höchst unwahrscheinlich oder gar für völligausgeschlossen. Sie verweisen auf die großen militärischen und

politischen Unwägbarkeiten eines Angriffs gegen den Iran,darauf, dass erhebliche militärische Kapazitäten der USA auf absehbare Zeit im Irak gebunden sind, sowie auf die Tatsache,dass ein neuer Krieg in der US-Bevölkerung – auch unter denAnhängern der Bush-Administration – derzeit kaum Unterstüt-zung fände.

So groß diese Hindernisse auch sein mögen – eine verlässliche

Garantie, dass es nicht zu diesem Krieg kommt, sind sie nicht.Die Neokonservativen in Washington drängen darauf, dass diezweite Amtszeit von Präsident Bush für diesen Krieg genutztwird. Dabei geht es ihnen nur vordergründig um etwaigeiranische Atomwaffen. Auf die Frage, was das Ziel für den Iransei, antwortete Richard Perle, der nach wie vor sehr einflussrei-che Ex-Vize-Verteidigungsminister und Chefberater desPentagons, schon im Juni 2003 in einem Interview mit der

tageszeitung klipp und klar:»Regimewechsel«.

»Die Vorbereitungen für einen Iranfeldzug als nächsten Schrittim ›Krieg gegen den Terror‹ sind in vollem Gang.« Das schriebSeymour Hersh, der profilierteste unter den investigativenJournalisten der USA, im Januar 2005 in der Zeitschrift  NewYorker. Hersh hatte in den letzten 40 Jahren unter anderem das

von US-Soldaten verübte Massaker im vietnamesischen My Lai

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sowie die Misshandlungen und Folter irakischer Häftlinge imGefängnis Abu Gharib aufgedeckt. Als Teil der Vorbereitungenfür einen Iranfeldzug fänden bereits »seit Sommer 2004 gehei-

me Operationen der USA im Iran selbst statt«, schrieb Hersh.Der US-Journalist erklärte auch, warum diese geheimen

Operationen bis zu seinem Artikel im  New Yorker vom Januar2005 noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen waren. US-Präsident George Bush und seine nationalen Sicherheitsberaterhätten »die Kontrolle über die Geheimdienste und verdeckteOperationen in einem Ausmaß übernommen, das seit der Zeitnach dem Zweiten Weltkrieg unerreicht« sei. Bush wolle dieseKontrolle benutzen, »um eine aggressive und ehrgeizige Agendagegen die Mullahs im Iran und andere Ziele im Krieg gegen denTerror umzusetzen«.

In rund zehn Ländern des Nahen Ostens und Asiens, so Hersh,fänden derzeit geheime US-Operationen statt, darunter nebendem Iran im Sudan, in Algerien, Jemen, Syrien, Malaysia undTunesien. Anders als vergleichbare Operationen in der Vergan-

genheit fänden diese und zukünftige verdeckte Aktionen Hershzufolge nicht mehr unter der Leitung der CIA statt. Die CIAwird im Zuge der Geheimdienstreform, die in Reaktion auf den11. September und den Irakkrieg vom Kongress beschlossenwurde, weiter geschwächt, die Führung des Pentagons dagegengestärkt. Einer der wichtigsten Unterschiede: Während CIA-Operationen den Geheimdienstausschüssen des Kongresses mit-geteilt werden müssen, gilt dies – so jedenfalls die Auslegungdes Pentagons – für militärische Aktivitäten dieser Art nicht.»Das Pentagon fühlt sich nicht verpflichtet, irgendetwas davondem Kongress zu berichten«, zitiert Hersh einen früheren hohenGeheimdienstmitarbeiter, der anonym bleiben wollte.

Eine US-Kommandoeinheit sei dabei, so Hersh, jene pakista-nischen Wissenschaftler nach detaillierten Informationen zubefragen, die nach Erkenntnissen der IAEO rund ein Jahrzehnt

lang Nukleartechnologie an Teheran weitergeleitet hätten.

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3.  Zur Durchsetzung dieser Forderung werden diplomati-sche und wirtschaftliche Sanktionen gegen den Iranverhängt.

4.  Der Führung in Teheran wird eine Frist für die Erfüllungdieser Forderungen gesetzt.

5.  Der Sicherheitsrat droht Teheran für den Fall der Miss-achtung der Forderungen mit weitergehenden (sprich:militärischen) Maßnahmen.

Es ist allerdings sehr unwahrscheinlich, dass entsprechende

Resolutionsanträge der USA im UNO-Sicherheitsrat die erfor-derliche Unterstützung von mindestens acht weiteren Ratsmit-gliedern finden und zugleich von keinem der anderen vierständigen Ratsmitglieder durch ein Veto blockiert werden.Allerhöchstens eine Verurteilung des Iran sowie vielleicht nochbestimmte Forderungen an die Teheraner Führung, ihr Verhaltenzu ändern, hätten eine Chance auf Verabschiedung durch denSicherheitsrat. Die Verhängung von diplomatischen und wirt-schaftlichen Sanktionen dürfte auf das Veto Chinas und wahr-scheinlich auch Russlands stoßen, die Androhung weiter-gehender (militärischer) Maßnahmen auch auf den WiderstandFrankreichs und wahrscheinlich sogar Großbritanniens. Nacheinem Scheitern ihrer Bemühungen im Sicherheitsrat könnte dieBush-Administration (wie bereits im Fall Irak) das »Versagen«der UNO gegenüber einer »unmittelbaren Bedrohung« konsta-

tieren und daraus das »Recht« zu militärischen Maßnahmengegen den Iran auch ohne Mandat des Sicherheitsrates ableiten.

Allerdings würde sich die Bush-Administration mit einemderartigen Vorgehen erheblichen politischen Risiken aussetzen.Denn zum einen ist die Erfahrung des völkerrechtswidrigenVorgehens der USA im Irakkonflikt noch in sehr frischerErinnerung. Und zum anderen hat die Bush-Administration mitBlick auf den Iran noch weniger »Beweismittel« in der Hand als

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Die Pläne des Pentagons für eine militärische Invasion im Iranwerden derzeit überarbeitet, schrieb Seymour Hersh im  NewYorker. Denn die strategischen Bedingungen für eine solche

Invasion haben sich seit dem 11. September 2001 erheblichverändert – zugunsten der USA. Früher wären Landungsoperati-onen US-amerikanischer Truppen im Iran ausschließlich überden Seeweg vom Persischen Golf her möglich gewesen. Heuteist auch eine Invasion auf dem Landweg denkbar. Denn inzwi-schen gibt es mit Afghanistan und dem Irak zwei Nachbarländermit hoher, auf Dauer angelegter Militärpräsenz der USA. Zudemhaben die USA Militärbasen in dem nordöstlichem Nachbarland

des Iran, Turkmenistan, sowie in zwei weiteren zentralasiati-schen Ex-Republiken der ehemaligen Sowjetunion errichtet.Darüber hinaus bemühen sich die USA derzeit um eine Koope-ration mit Aserbeidschan, um eine militärische Präsenz imKaspischen Meer aufzubauen. Damit wäre eine wesentlichelogistische Voraussetzung für Landeoperationen von US-See-streitkräften an der iranischen Küste des Kaspischen Meeres

geschaffen.Ein weiteres denkbares Szenario für einen Krieg gegen denIran wären israelische Angriffe auf iranische Atomanlagen. DieRegierung Scharon hat damit in den letzten Jahren einige Malemehr oder weniger offen gedroht und wäre dazu militärisch auchin der Lage. Zwar hatte der Iran seine Atomanlagen nach derZerstörung des irakischen Atomreaktors Osirak im Jahre 1981verlegt, um außerhalb der Reichweite der israelischen F-16-

Bomber zu gelangen. Inzwischen verfügt Israel allerdings überMöglichkeiten, die Flugzeuge in der Luft aufzutanken, sowie –dank deutscher Rüstungshilfe – über U-Boote, die Marschflug-körper mit Reichweiten bis weit in den Iran verschießen können.Israelische Angriffe gegen den Iran und vor allem die dann zuerwartenden iranischen Gegenschläge würden die Regierung inWashington aller Wahrscheinlichkeit nach unter Zugzwang set-zen, auf Seiten Israels in den Krieg gegen den Iran einzugreifen.

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Egal, welches dieser Kriegsszenarien eines Tages möglicher-weise Realität wird: Zu befürchten ist, dass jegliche Form einesmilitärischen Vorgehens gegen den Iran gravierende Konse-

quenzen haben wird.Vertreter der säkularen demokratischen Opposition des Iran im

Exil gehen – ebenso wie die meisten unabhängigen ausländi-schen Beobachter in Teheran – davon aus, dass ein Krieg gegenden Iran keineswegs einen Volksaufstand gegen das Regime,dessen schnellen Sturz und die Etablierung einer demokrati-schen Ordnung auslösen würde, wie manche neokonservativenIdeologen in Washington immer noch behaupten. Stattdessenherrscht die Befürchtung vor, ein Krieg gegen den Iran werde zueinem blutigen und lang anhaltenden Bürgerkrieg zwischen denschwer bewaffneten religiösen Milizen des Landes führen. DieseMilizen, die ihre Machtbasis in unterschiedlichen Regionen desLandes haben, stehen in vielfältiger Konkurrenz um politischenEinfluss und wirtschaftliche Macht zueinander. Hinzu kommenreligiöse Rivalitäten. Bislang werden diese bewaffneten Milizen

noch durch das Regime in Teheran unter Kontrolle gehalten.Mehran Barati, führender Vertreter der »Iranischen Republi-

kanischen Union«, der wichtigsten Organisation der säkularen,demokratischen Opposition des Iran mit weltweit rund 15.000Mitgliedern, erklärte Ende Mai 2005 auf einer Veranstaltung inKöln: »Wir sind für einen Regimewechsel durch die iranischeBevölkerung. Eine Veränderung von außen, insbesondere mitmilitärischen Mitteln, hätte unvorhersehbare Folgen. Die Gegen-reaktionen wären weitaus schlimmer als derzeit im Irak, da dasZerstörungs- und Gewaltpotenzial im Iran ungleich größer ist.«

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Danach darf Nordkorea keinerlei Infrastruktur zur Plutonium-Produktion mehr aufrechterhalten.

3 Beide Staaten normalisieren ihre diplomatischen und Han-

delsbeziehungen, die USA verpflichten sich, nicht mehr mit demEinsatz von Atomwaffen gegen Nordkorea zu drohen. Nordko-rea verpflichtet sich, Mitglied des Atomwaffensperrvertrags zubleiben und das Inspektionsabkommen mit der IAEO zuimplementieren.

Die nach der Ankündigung Pjöngjangs, aus dem Atomwaffen-sperrvertrag auszusteigen, eingeleiteten »Sechsergespräche«, an

denen neben den USA und Nordkorea auch China, Südkorea,Japan und Russland teilnahmen, erbrachten keine Ergebnisse.

Anfang Februar 2005 verkündete Nordkorea den Ausstieg ausden Sechsergesprächen und behauptete zudem, es verfüge in-zwischen über Atomsprengköpfe. Die Behauptung sorgte in derÖffentlichkeit für erhebliches Aufsehen. »Der Irre mit derBombe« titelte der Spiegel über einem Foto des Diktators KimJong Il. Atomwaffenexperten in Asien, den USA und Europa

reagierten allerdings mehrheitlich mit großer Skepsis auf dieBehauptung aus Pjöngjang.

Doch welche Motive stecken tatsächlich hinter den Handlun-gen und Erklärungen des Regimes von Kim Jong Il? Ist der Dik-tator tatsächlich so »irre«, »verrückt« und »unberechenbar«, wieMedien und Politiker zumindest im europäisch-amerikanischenWesten (nicht jedoch in Asien) so häufig unterstellen? Warum

fühlt sich Nordkorea nicht mehr an seine Verpflichtungen ausdem Genfer Abkommen mit den USA von 1994 gebunden?Plant das Regime tatsächlich den Aufbau eines Atomwaffenar-senals? Und wenn ja, nur als Abschreckungskapazität gegenfeindliche Angriffe – oder gar für Ersteinsätze gegen Nachbar-staaten wie Südkorea oder Japan?

Soweit sich Diplomaten oder andere Gesprächspartner ausNordkorea bislang überhaupt zu diesen Fragen geäußert haben,

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wurde immer eines deutlich: In der Wahrnehmung von Pjöng-  jang sind es die USA, die seit Amtsantritt der Regierung vonGeorge Bush ihrerseits als Erste das Genfer Abkommen de facto

aufgekündigt haben, und zwar insbesondere im Hinblick auf dieSicherheitsgarantien, die für Pjöngjang der wichtigste Teil desAbkommens waren.

Konkret sicherte die Clinton-Administration Pjöngjang damalszu, auf den Einsatz von Atomwaffen gegen Nordkorea sowie auf entsprechende Drohungen zu verzichten. Diese im Rüstungskon-trolljargon so genannten »negativen Sicherheitsgarantien« wur-den in einem Zusatzprotokoll zu dem Rahmenabkommen detail-liert festgelegt. Zudem »erneuerten« beide Seiten in dem Proto-koll ihre »Bereitschaft, die Denuklearisierung der koreanischenHalbinsel voranzutreiben«. Damit war – zumindest nach Inter-pretation der nordkoreanischen Seite – nicht nur der eigene Ver-zicht auf Atomwaffen gemeint, sondern auch ein Abzug allerUS-amerikanischen Nuklearwaffen aus Südkorea.

Seit Amtsantritt der Bush-Administration im Januar 2001 hat

die Regierung in Pjöngjang jedoch den Eindruck gewonnen,dass die Zusicherungen der USA aus dem Jahre 1994 fürWashington keine Gültigkeit mehr haben. Die Bush-Administra-tion erklärte Nordkorea gemeinsam mit dem Irak und dem Iranzur »Achse des Bösen«, bezeichnete die drei Staaten als »Schur-kenstaaten« und setzte sie unter den – bis heute nicht bewiese-nen – Verdacht der Weitergabe von Massenvernichtungswaffenan Terroristen. In den im Februar 2002 bekannt gewordenenneuen nuklearen Einsatzdoktrinen des Pentagons wird Nordko-rea ausdrücklich als ein Land (neben sechs anderen) genannt,gegen das sich die USA künftig das »Recht« auf den Einsatzvon Atomwaffen vorbehalten, weil diese Länder angeblichihrerseits Massenvernichtungsmittel entwickeln oder besitzenund die Gefahr bestehe, dass sie diese Waffen an andere Staatenoder Terrorgruppen weitergeben.

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In der neuen »Nationalen Sicherheitsstrategie« vom 20. Sep-tember 2002 erklärte die Bush-Administration Nordkorea offi-ziell zum »feindlichen Staat« und zur »Gefahr« für die Sicher-

heit der USA und drohte mit »vorbeugenden« militärischenSchlägen gegen Nordkorea oder andere »Schurkenstaaten«.Spätestens die Verkündung dieser neuen Sicherheitsstrategiewurde in Pjöngjang als Aufkündigung von Washingtons »nofirst use«-Zusicherung aus dem geheimen Zusatzprotokoll von1994 gewertet. Bestärkt in dieser Wahrnehmung fühlte sichPjöngjang zuletzt durch die am 11. Dezember 2002 von derBush-Administration verkündete »Nationale Strategie zur

Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen«. Darin wird dieDrohung mit dem »vorbeugenden« Ersteinsatz von Atomwaffengegen »Schurkenstaaten« ausdrücklich erhoben und zur offiziel-len Politik der USA erklärt.

In Washington wird die in Pjöngjang entstandene Wahrneh-mung von der Aufkündigung der nuklearen Nichtangriffsgaran-tien bestätigt. Vertreter der Bush-Administration erklären, die

Zusicherungen der Clinton-Administration an Nordkorea seienlediglich »informell« gewesen und nicht völkerrechtlich ver-bindlich. Auch an die damals erklärte Bereitschaft zur voll-ständigen Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel fühltsich die Bush-Administration nicht mehr gebunden.

Darüber hinaus haben die USA auch andere Verpflichtungenaus dem Genfer Abkommen von 1994 bis heute nicht oder nurunvollständig erfüllt. Der Bau der beiden Leichtwasserreakto-ren, die den Graphit-Reaktor von Yongbyun ersetzen sollen,geriet erheblich in Verzug. Zum einen, weil sich die drei imKEDO-Konsortium zusammengeschlossenen Staaten USA,Japan und Südkorea zunächst nicht auf ihre jeweiligen Anteilean der Finanzierung des Projekts einigen konnten. Zum anderensperrte der US-Kongress die US-Finanzmittel vollständig,nachdem Nordkorea im August 1998 einen Testflug seiner

Rakete vom Typ Taepo-Dong 1 veranstaltete, die dabei teilweise

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über japanisches Territorium flog. Schließlich hat die Bush-Administration die Ende der neunziger Jahre begonnene»Sonnenschein«-Politik Südkoreas, die auf Entspannung,

Ausgleich und verstärkte Zusammenarbeit zwischen den beidenKoreas setzte, nicht unterstützt, sie – zumindest nach Einschät-zung zahlreicher Beobachter – vielmehr sogar gezielt torpediert.Auf diese Weise hat die US-Regierung eine kooperative Lösungder Probleme auf der koreanischen Halbinsel verhindert undzusätzlich die amerikanisch-südkoreanische Allianz belastet.

Das Verhalten der Bush-Administration macht das mutmaßli-che Streben Nordkoreas nach eigenen Atomwaffen selbstver-ständlich nicht zu einer vernünftigen Politik, die unterstützt oderauch nur toleriert werden sollte. Das Verhalten der nordkoreani-schen Führung ist scharf zu verurteilen. Doch ähnlich wie imFall Iran ist unbestreitbar, dass der wesentliche Grund für diesesVerhalten Nordkoreas die militärische Drohpolitik der Bush-Administration ist. Diese Drohpolitik zielt deutlich erkennbarnicht nur darauf, eine Atombewaffnung Nordkoreas und des Iran

zu verhindern, sondern auch auf den Sturz der Regierungen inPjöngjang und in Teheran. Mit dieser Drohpolitik sowie mitdem Irakkrieg von 2003 hat die Bush-Administration in Pjöng-

  jang, in Teheran und in anderen Hauptstädten diejenigengestärkt, die in der Verfügung über eigene Atomwaffen – oderzumindest in dem Anschein, sie hätten Atomwaffen – dieeinzige Versicherung gegen einen militärischen Angriff derUSA sehen.

Das Verhalten Nordkoreas wiederum wird in Japan als zu-nehmende Bedrohung wahrgenommen. Das hat in den letztenJahren die politischen und militärischen Kräfte in Tokio deutlichgestärkt, die für eine erhebliche Aufrüstung Japans plädierenund dabei nicht einmal mehr eine Atombewaffnung des Landesausschließen wollen, dessen Bevölkerung 1945 zum Opfer derbeiden bislang einzigen Einsätze von Atomwaffen wurde.

Entscheidende Voraussetzung für eine Veränderung der Politik

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Nordkoreas und für einen verlässlichen, dauerhaften undinternational überprüfbaren Verzicht des Landes auf eigeneAtomwaffen(-programme) ist daher eine Korrektur der US-

Politik gegenüber Pjöngjang. Der erste und wichtigste Schritt,den Washington tun müsste, wäre die eindeutige Bekräftigungder Nicht-Angriffsgarantien aus dem Genfer Abkommen von1994.

Nordkorea muss mit seinen Sicherheitsbedürfnissen ernst ge-nommen werden. Das heißt zunächst einmal auch, dem Regimeein gewisses Maß an Überlebenssicherheit zuzusichern und esdamit auch von unüberlegten Handlungen und »Verzweiflungs-taten« abzuhalten. Darüber hinaus sollte den nordkoreanischenMachthabern über die Erfüllung der Zusagen aus dem GenferAbkommen hinaus energiepolitische und wirtschaftliche Hilfezugesagt werden.

Im Gegenzug ist von Pjöngjang der Wiederbeitritt zum Atom-waffensperrvertrag zu verlangen, die uneingeschränkte Öffnungaller atomaren Anlagen für Inspektionen durch die IAEO sowie

die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Genfer Abkommenvon 1994. Eine solche Politik des konstruktiven »Engagements«mit Nordkorea wird auf die Kritik stoßen, sie sei unmoralisch,da die Machthaber in Pjöngjang mit ihrer brutalen, rücksichtslo-sen und undemokratischen Politik gegenüber der eigenen Bevöl-kerung gegen alle Werte verstießen, die für die westliche Weltbedeutsam seien. Doch die Kritiker einer Politik des »Engage-ments« haben keine brauchbare Alternative anzubieten, wie dieletzten vier Jahre gezeigt haben. Eine Politik der Isolation undder militärischen Drohungen gegenüber einem Regime, dasbereits völlig isoliert ist und politisch und wirtschaftlich mit demRücken zur Wand steht, kann nur scheitern und birgt die Gefahreiner militärischen Eskalation mit unkalkulierbaren Folgen.

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Krieg gegen Nordkorea – Hirngespinst oder realistische Option? 

»Ich finde, wir sollten Nordkorea sofort mit Atomwaffenangreifen, um dem Rest der Welt eine Warnung zu verpassen.Bumm!«

So äußerte sich die US-amerikanische Radiomoderatorin undPolitkommentatorin Ann Coulter Anfang 2005 in einem Inter-

view mit dem   New York Observer. Coulter ist der Medienstarder amerikanischen Rechten, seit sie am 13. September 2001,zwei Tage nach den Terrorangriffen auf New York und Wa-shington, in einer Zeitungskolumne schrieb: »Wir wissen, werdie selbstmörderischen Wahnsinnigen sind. Es sind die, die jetzttanzen und jubeln. Wir sollten in ihre Länder einmarschieren,ihre Führer umbringen und sie zum Christentum bekehren.«

Auch einzelne Vertreter der amerikanischen Neokonservativen

haben in den letzten Jahren öffentlich einen Krieg gegen Nord-korea gefordert. Und spätestens seit George Bushs »State of theUnion«-Rede vom Januar 2002, in der der US-Präsident Nord-korea gemeinsam mit dem Iran und dem Irak zur »Achse desBösen« in der Welt erklärte, ist das Regime in Pjöngjang quasioffiziell im Visier Washingtons.

Doch über derlei Wortgeklingel hinaus haben die USA bislang

keine auch nur annähernd realistische Strategie für ein militäri-sches Vorgehen gegen Nordkorea. Im Pentagon liegen – andersals im Hinblick auf Iran – noch nicht einmal konkrete Operati-onspläne in der Schublade. Und über die nordkoreanischenAtomanlagen – insbesondere über die unterirdischen – haben dieUS-amerikanischen Geheimdienste noch weniger gesicherteErkenntnisse als über die iranischen. Es ist daher höchst un-wahrscheinlich, dass am Anfang einer – durchaus denkbaren –

militärischen Eskalation des Nordkorea-Konflikts ein Angriff 

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der USA gegen das kommunistische Land stehen würde. Schoneher vorstellbar ist ein militärischer Schlagabtausch zwischenJapan und Nordkorea, der dann möglicherweise zu einem

Eingreifen der USA auf Seiten Japans – Washingtons engstemVerbündeten in Asien – führen könnte.

Unter Nordkoreas Nachbarstaaten fühlt sich Japan – obwohlgeographisch weiter entfernt als China oder Russland – amstärksten bedroht von dem Regime in Pjöngjang und seinenRüstungsaktivitäten. Das hat vor allem mit Nordkoreas Flugtestsvon Raketen, die Japan erreichen können, zu tun. Aber auchhistorische Altlasten spielen eine Rolle. In Japan leben heuteüber 600.000 Koreaner, viele davon Nachfahren einer Generati-on, die von der kaiserlichen Armee zur Zwangsarbeit nach Japangebracht wurde. Von 1910 bis 1945 war Korea japanische Ko-lonie. Unter Tokios brutaler Herrschaft wurde die koreanischeSprache unterdrückt. Koreaner wurden gezwungen, japanischeNamen anzunehmen und den Tenno zu verehren. Die in Japanansässigen Koreaner waren offener Diskriminierung ausgesetzt.

In den siebziger und achtziger Jahren entführten nordkoreani-sche Agenten japanische Bürger. Sie wurden gezwungen, alsSprachlehrer bei der Ausbildung nordkoreanischer Spione zuarbeiten. Seit das Regime in Pjöngjang im Jahre 2001 dieEntführung von 24 japanischen Bürgern erstmals eingestand,bewegt dieses Thema die japanische Öffentlichkeit und sorgtimmer wieder für anti-nordkoreanische Entrüstung. Dennbislang kehrten erst fünf der entführten Japaner lebend in ihreHeimat zurück.

Die Bemühungen der japanischen Regierung, das Schicksalder noch vermissten 19 Personen aufzuklären, sorgen dafür, dassdas Thema immer wieder Schlagzeilen macht. Ende 2004schickte Pjöngjang als Nachweis für den Tod der JapanerinMegumi Yokota, die 1977 im Alter von 13 Jahren von der

  japanischen Westküste verschleppt worden war, eine Kiste mit

Knochen und Asche nach Tokio. Laut war der Aufschrei, als

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sich bei der DNA-Analyse herausstellte, dass die Überreste vonmehreren Personen stammten, aber nicht von der vermisstenMegumi Yokota.

Politiker in Tokio erwägen seitdem, Wirtschaftssanktionengegen Nordkorea zu verhängen. Die Angst vor der »nordkorea-nischen Gefahr« wird geschürt. Im Hafen von Tokio wurdemahnend ein versenktes nordkoreanisches Spionageschiff zurSchau gestellt. Militärs und Sicherheitspolitiker propagieren dieAufstellung eines Abwehrsystems gegen nordkoreanischeRaketen. Gemeinsam mit den USA fährt Japan denn auch denhärtesten Kurs gegen Nordkorea.

Sehr viel entspannter geht Südkorea mit dem nördlichenNachbarn um – trotz aller Rückschläge, seit sich der damaligePräsident Kim Dae-Jung im Mai 2000 in Pjöngjang mit Staats-chef Kim Jong Il traf, um eine verstärkte Kooperation zwischenden beiden Koreas einzuleiten. In Folge dieses historischenTreffens wurden Familienbegegnungen zwischen Nord und Südmöglich. Eine Million Menschen passierten die seit der Teilung

des Landes im Jahre 1954 fest verschlossene und verminteGrenze am 38. Breitengrad. Es wurden grenzüberschreitendeStraßen- und Zugverbindungen gebaut. Südkorea liefert seit2000 jedes Jahr 300.000 Tonnen Dünger und 400.000 TonnenReis in den Norden, um die Hungersnot zu lindern. DieseLieferungen haben die seit Jahrzehnten von Feindbildernbeherrschte Wahrnehmung Südkoreas in der nordkoreanischenBevölkerung erheblich zum Positiven verändert.

Ex-Präsident Kim Dae-Jung ist überzeugt, dass sich die vonihm eingeleitete »Sonnenscheinpolitik« nicht nur positiv auf diebilateralen Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea aus-wirkt, sondern für die gesamte Region Nordost-Asien von Vor-teil ist. Die »Bemühungen aller Nachbarländer, Nordkorea in dieLage zu versetzen, ein normales Mitglied der internationalenGemeinschaft zu werden«, seien »auch ein Weg, um für alle

Frieden und Stabilität zu gewährleisten«.

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Obwohl die »Sonnenschein«-Politik Südkoreas von den USAseit Ende der Präsidentschaft Bill Clintons nicht mehr unter-stützt, sondern zunehmend sabotiert wird, hält die Regierung in

Seoul an dieser Politik fest. In dieser Haltung wird sie derzeitam stärksten von China unterstützt. Dabei sagt China nicht nurein klares »Nein« zu einer atomaren Bewaffnung Nordkoreas,sondern fordert darüber hinaus die »vollständige Denuklearisie-rung der koreanischen Halbinsel« – im Klartext: den Abzug allerUS-amerikanischen Atomwaffen aus Südkorea. Die USA lehnendies jedoch entschieden ab und weigern sich bislang, über dieeigenen Atomwaffen in Südkorea auch nur zu reden – sei es bei

den Sechsergesprächen oder in irgendeinem anderen Rahmen.Ebenso wie China fühlt sich auch Russland zwar nicht von

etwaigen Atomwaffen – oder von konventionellen Raketen –Nordkoreas bedroht, lehnt eine atomare Bewaffnung des Landesaber ebenso entschieden ab. Im Unterschied zu Peking äußertsich Moskau allerdings nicht zu den US-amerikanischenAtomwaffen in Südkorea.

Zumindest offiziell bekunden die Regierungen Russlands,Chinas, Südkoreas, Japans und auch der USA, dass sie an denSechsergesprächen mit Nordkorea festhalten, aus denen sich dasRegime von Kim Jong Il Ende 2004 zunächst einmal zurückge-zogen hatte. Ende Juni 2005 verkündeten die Regierungen inPjöngjang und in Washington, nach wochenlangen bilateralenKonsultationen die Absicht, die Sechsergespräche in der zweitenJulihälfte wieder aufzunehmen.

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Schnell, mobil und tödlich – der gesicherte Zugang zu weltweiten 

Energieressourcen als Ziel der US- Militärstrategie 

Die Bedrohungen durch Terrorismus und durch Massenvernich-tungswaffen im Besitz von »Schurkenstaaten« oder vonTerroristen haben in den letzten vier Jahren die öffentliche

Debatte über Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitikdominiert – nicht nur in den USA, sondern zumindest auchüberall in den Ländern der nördlichen Hemisphäre. Das ist vorallem darauf zurückzuführen, dass die Bush-Administrationnach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 den globa-len Feldzug gegen den Terrorismus zu ihrer außen- und sicher-heitspolitischen Priorität erklärt hat. Die »Nationale Sicherheits-strategie« der USA vom 20. September 2002 nennt als zweiteszentrales Ziel die Eindämmung der Verbreitung von Massenver-nichtungswaffen.

Die Fokussierung der öffentlichen Debatte und Wahrnehmungauf diese beiden Themen hat lange verdeckt, dass die Bush-Administration – insbesondere Vizepräsident Richard Cheney,Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und sein damaligerVize Paul Wolfowitz – bereits seit ihrem Einzug ins Weiße

Haus im Januar 2001 mit mindestens gleicher Intensität zweiweitere Prioritäten verfolgt: die Modernisierung und Erweite-rung der militärischen Potenziale und Fähigkeiten der USAsowie die deutliche Erhöhung der Rohölimporte in die USA.

»Beide Ziele waren ursprünglich zwar voneinander unabhän-gig, doch inzwischen sind sie miteinander wie auch mit demKrieg gegen den Terror so eng verflochten, dass daraus ein

einheitliches strategisches Konzept der US-Außenpolitik

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geworden ist«, wies Michael T. Klare bereits Ende 2002 in einerumfangreichen Analyse (»Das Zeitalter der US-Hegemonie –schnell, mobil und tödlich«) nach. Klare, Professor für Friedens-

forschung und Weltsicherheitsstudien am Hampshire College inAmherst, Massachusetts, und seit den achtziger Jahren einer derrenommiertesten Analytiker der US-Außen- und Sicherheitspoli-tik, schrieb über den damals kurz bevorstehenden Irakkrieg:»Die Cheney-Rumsfeld-Wolfowitz-Achse sieht ihn als Probe-lauf ihrer Strategie, Kriege gegen ›Schurkenstaaten‹ als Teil desFeldzugs gegen den Terrorismus zu legitimieren. Langfristig

  jedoch verfolgen sie ein anderes Ziel: die globale Hegemonie

der USA mittels einer neuen Generation von Hightech-Waffenabzusichern. Dazu gehört vor allem die Kontrolle der wichtigs-ten Ölförderregionen, die im Krisenfall durch schlagkräftige undhochmobile Einsatztruppen geschützt werden sollen.«

Dieses Konzept, so Klare, habe »keinen formellen Titel undwurde von der Bush-Administration auch nie in einer schriftli-chen prinzipiellen Erklärung niedergelegt«. Und doch seien

diese drei Prioritäten ganz unzweifelhaft miteinander verquicktund bewirkten – als integriertes Konzept – einen entscheidendenWandel im militärischen Auftreten der Vereinigten Staaten.

In Zukunft werde man die Gesamtrichtung der US-Außen-politik nur verstehen können, wenn man diesen Integrations-prozess in Rechnung stellt. Dazu, so Klare, müsse man die dreiPrioritäten zunächst getrennt betrachten und dann analysieren,wie sie sich zusammenfügen.

Erste Priorität: Revolution des militärischen Den- kens 

Das erste Ziel besteht darin, die militärischen Potenziale derUSA auszubauen. George W. Bush hat dies seit seinem Wahl-

kampf im Jahr 2000 zu einer Priorität erhoben. In der Rede vom

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23. September 1999 in der »Zitadelle« (der berühmten Militär-akademie von Charleston, North Carolina) erläuterte Bush seinePläne für eine »Transformation« des gesamten Militärs. Die

Vorgängerregierung unter Präsident Bill Clinton habe dieAnpassung der US-Militärstrategie an die durch das Ende desKalten Krieges veränderten Realitäten versäumt, meinte der da-malige republikanische Präsidentschaftskandidat, deshalb werdeer eine umfassende Revision der US-Strategie vornehmen unddie Aufgabe anpacken, die »Armee für das nächste Jahrhundert«umzubauen.

Für diesen Umbau nannte Bush zwei strategische Hauptziele.Erstens sollte er die Unverwundbarkeit der US-Militärmachtsicherstellen. Dazu müsse man ein effektives Raketenabwehr-system aufbauen und die Überlegenheit der USA auf dem Ge-biet der Hightech-Waffen aufrechterhalten. Zweitens sollte derUmbau der Militärpotenziale die Fähigkeit der USA verbessern,»regionale Feindstaaten« wie Iran, Irak und Nordkorea angrei-fen und erobern zu können.

Um das erste Ziel zu erreichen, wollte Bush sich für denAufbau eines robusten und umfassenden Raketenabwehrsystemseinsetzen. Dieses so genannte National Missile Defense Pro-gram (NMD) sollte alle 50 US-Bundesstaaten gegen einenfeindlichen Raketenangriff schützen können. Bush machte sichauch das Konzept einer »Revolution militärischen Denkens« zuEigen, das auf der systematischen Verwendung von Computern,verbesserten sensorischen Instrumenten, »unsichtbar« machen-den Materialien und anderen Hightech-Elementen beruht. Dieswürde, so Bush, die militärische Überlegenheit der USA »bis indie ferne Zukunft hinein« garantieren.

Um das zweite Ziel zu erreichen, forderte Bush den substan-ziellen Ausbau der Fähigkeit zur »power projection«, das heißt:massive Kontingente von US-Streitkräften in weit entfernteKampfzonen zu entsenden, die in der Lage sind, jeden potenziel-

len Feind zu besiegen. Dazu müsse man einige neue Hightech-

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Waffen wie verbesserte Sensorsysteme und unbemannte Flug-körper entwickeln, aber auch vorhandene Kampfeinheiten ver-schlanken, um sie schneller verlegen zu können. Nach Bush

sollten die US-Streitkräfte »im 21. Jahrhundert schnell, mobilund tödlich sein«. Die USA müssten in der Lage sein, ihrMachtpotenzial über große Entfernungen und innerhalb von Ta-gen oder Wochen – und nicht Monaten – in Stellung zu bringen.Die schweren Landstreitkräfte der USA müssten leichter werdenund die leichten Streitkräfte tödlicher. Und alle müssten schnel-ler ins Zielgebiet gebracht werden können, forderte Bush inseiner Rede in der »Zitadelle«.

Zur Realisierung solch umfassender Ziele verlangte der US-Präsident eine erhebliche Erhöhung der Militärausgaben und dieoptimale Nutzung modernster militärischer Technologien. Vorallem diesen letzten Punkt haben die Medien nach der Bush-Rede in der »Zitadelle« aufgegriffen. Für Bush selbst war derentscheidende Punkt jedoch die Betonung der Mobilität und der»power projection«. Entsprechend wies er sofort nach seiner

Amtsübernahme im Januar 2001 das Pentagon an, die Umset-zung seines angekündigten Programms in Angriff zu nehmen.»Ich habe Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ein umfas-sendes Mandat erteilt, eine neue Architektur für die Verteidi-gung Amerikas und unserer Alliierten zu entwerfen und dabeiden Status quo in Frage zu stellen«, erklärte Bush und verwiesdabei auf die in der Zitadellen-Rede formulierten Ziele.

Diese haben inzwischen ihren Niederschlag in den langfristi-gen Budgetansätzen des Pentagon gefunden. Bei der Vorstellungdes Verteidigungsetats für das Haushaltsjahr 2003 erklärte Ver-teidigungsminister Rumsfeld: »Wir brauchen schnell einsetz-bare, voll integrierte kombinierte Streitkräfte, die in der Lagesind, weit entfernte Kriegsschauplätze schnell zu erreichen undim Zusammenwirken mit unseren Luft- und Seestreitkräften denGegner schnell, erfolgreich und mit vernichtender Wirkung zu

treffen.«

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Zweite Priorität: Sicherung von Erdölquellen 

Die zweite außenpolitische Priorität der Bush-Regierung ist dieSicherung zusätzlicher Erdöllieferungen aus ausländischenQuellen. Dieses Ziel wurde erstmals in einem Bericht formu-liert, den die von Vizepräsident Cheney geleitete National Ener-gy Policy Development Group am 16. Mai 2001 vorgelegt hat.Zentraler Inhalt dieses nach seinem Hauptverfasser so genanntenCheney-Reports ist ein umfassendes Konzept zur Sicherung deswachsenden Energiebedarfs der USA über die nächsten 25

Jahre. Zwar sind darin auch einige Maßnahmen zur verstärktenSchonung von Energiequellen aufgeführt, aber die meisten Vor-schläge des Cheney-Reports zielen darauf, die Energieimportein die Vereinigten Staaten insgesamt auszuweiten.

Dieser Report hat heftige Kontroversen ausgelöst, weil erÖlbohrungen im arktischen Naturpark von Alaska befürwortetund weil Cheney und die anderen Autoren während der Ausar-beitung ihrer Empfehlungen einen regen Gedankenaustausch mit

Managern des Energiekonzerns Enron pflegten, der mittlerweileunter skandalösen Umständen zusammengebrochen ist. Dochhat diese Kontroverse von einigen anderen Aspekten des Re-ports abgelenkt – vor allem auch von den Implikationen für dieinternationale Energiepolitik. Diese werden deutlich im letztenKapitel des Cheney-Reports mit dem Titel »StrengtheningGlobal Alliances«. Hier sind die Pläne formuliert, das drohende

Energiedefizit der USA durch wesentlich erhöhte Öllieferungenaus dem Ausland auszugleichen.

Dem Report zufolge wird der Anteil des importierten Rohölsam Gesamtverbrauch der USA von 2001 bis 2020 von 52 auf schätzungsweise 66 Prozent steigen. Weil in diesem Zeitraumder Gesamtverbrauch absolut ebenfalls zunehmen wird, werdendamit die Ölimporte der USA im Jahr 2020 um 60 Prozent höherliegen als 2001. Diese Prognosen decken sich mit den Szenarien

der Internationalen Energieagentur (IEA). Die prognostizierte

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Steigerung der Ölimporte setzt freilich voraus, dass man dieausländischen Öllieferanten dazu bringen kann, ihre Produktionzu steigern und einen größeren Anteil ihrer Fördermengen an die

USA zu verkaufen. Doch fehlt vielen Ölförderländern das Kapi-tal, um die dafür notwendigen Investitionen in ihre Produktions-anlagen zu tätigen. Auch könnte es sein, dass manche Länderden US-Ölkonzernen nicht ohne weiteres eine dominierendePosition in ihrem Energiesektor einräumen wollen.

Aus dieser Problematik folgert der Cheney-Report, das WeißeHaus müsse das Streben nach erhöhten Ölimporten zu »einerPriorität unserer Handels- und Außenpolitik« machen. Im Ein-zelnen werden der Präsident und die zuständigen Regierungs-instanzen aufgefordert, eine Doppelstrategie zu verfolgen, umden wachsenden Rohölbedarf der USA zu befriedigen. Zumeinen gelte es, die Importe aus den Ländern der Golfregion zuerhöhen, die zusammen über rund zwei Drittel der bekanntenÖlreserven der Welt verfügen. Angesichts der Tatsache, dass dieÖlförderung in keiner anderen Region so rasch und massiv

erhöht werden kann wie am Persischen Golf- und hier in ersterLinie im Irak –, befürwortet der Cheney-Report entschlossenediplomatische Bemühungen der USA, um zu erreichen, dass dieRegierungen Saudi-Arabiens und anderer Ölförderländer denUS-Unternehmen massive zusätzliche Investitionen in dieInfrastruktur ihrer Länder gestatten.

Zum anderen geht es darum, die Ölimporte der USA geogra-phisch so weit wie möglich zu diversifizieren. Damit soll dasökonomische Risiko reduziert werden, falls es in Zukunft einmalzur Unterbrechung der Ölzufuhr aus dem notorisch unruhigenNahen Osten kommen sollte. Dazu heißt es in dem Report: »DieKonzentration der Weltölproduktion in einer einzigen Regionder Welt trägt potenziell zur Instabilität der Märkte bei«;deshalb müsse man auf »eine größere Diversifizierung derWeltölproduktion« hinarbeiten. Um eine Diversifizierung zu

fördern, werden der Präsident und andere Regierungsinstanzen

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aufgefordert, in Zusammenarbeit mit den US-Energiekonzernendie Ölimporte aus der Kaspischen Region (insbesondere ausAserbaidschan und Kasachstan), aus Afrika (insbesondere aus

Angola und Nigeria) und aus Lateinamerika (insbesondere ausKolumbien, Mexiko und Venezuela) zu steigern.

Das Problem ist nur: In praktisch allen Gebieten, die als po-tenzielle Herkunftsregionen zusätzlicher Öllieferungen benanntwerden, herrschen seit langem entweder politisch instabileVerhältnisse oder ein ausgeprägter Antiamerikanismus – oderbeides. Es stimmt zwar, dass gewisse Eliten in diesen Länderneine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Vereinig-ten Staaten befürworten, aber andere Teile der Bevölkerungwenden sich – aus nationalistischen, ökonomischen oder ideolo-gischen Beweggründen – dagegen.

Es ist also fast sicher damit zu rechnen, dass die Bemühungender USA, mehr Öl aus diesen Ländern zu beziehen, politischenWiderstand in dieser oder jener Form provozieren werden – unddurchaus auch in Form terroristischer oder anderer gewaltsamer

Aktionen. Der Cheney-Report impliziert also sicherheitsrelevan-te Folgen, die für die außenpolitische Strategie der VereinigtenStaaten von erheblicher Bedeutung sind.

An diesem Punkt werden die Parallelen zwischen der militäri-schen Strategie und der Energiepolitik der Bush-Regierungaugenfällig: Eine Energiepolitik, die den verstärkten Zugriff derUSA auf Ölvorkommen in chronisch unstabilen Gebieten wiedem Persischen Golf, der Kaspischen Region, Lateinamerikaund Schwarzafrika befürwortet, wirkt weitaus realistischer,wenn sie von einer Militärstrategie flankiert wird, die darauf ab-zielt, das US-amerikanische Potenzial zum militärischen Einsatzin diesen Regionen erheblich aufzustocken.

Zu dieser Schlussfolgerung gelangte auch ein Beitrag des US-Verteidigungsministeriums in der sicherheitspolitischen Fach-zeitschrift Quadrennial Defense Review (QDR), der im Septem-

ber 2001 erschienen ist, aber noch vor den Terroranschlägen

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vom 11.9. verfasst worden war. Darin heißt es: »Die VereinigtenStaaten und ihre Verbündeten und Freunde werden auch weiter-hin von den Energievorkommen des Nahen Ostens abhängig

sein«, wobei es vielfältige militärische Bedrohungsszenariengebe, die den Zugang zu dieser wichtigen Region gefährdenkönnten.

In dem QDR-Beitrag wird weiter dargelegt, welche Waffenty-pen und militärischen Kräfte die USA benötigen, um ihre Inte-ressen im Nahen Osten und anderen wahrscheinlichen Konflikt-zonen zu schützen. Dabei werden exakt jene militärischenPotenziale und Fähigkeiten aufgelistet, die der Präsident-schaftswahlkämpfer George Bush bereits zwei Jahre zuvor inseiner Zitadellen-Rede benannt hatte. Zusammenfassend heißt esin dem QDR-Artikel, die Militärstrategie der VereinigtenStaaten beruhe »auf der Annahme, dass die US-Streitkräfte dieFähigkeit besitzen, ihre Machtmittel weltweit einzusetzen. DieVereinigten Staaten müssen die Fähigkeit bewahren, gut ausge-rüstete und logistisch unterstützte Truppen weltweit in kritische

Gegenden zu entsenden – im Zweifelsfall auch gegen feindli-chen Widerstand«.

Dritte Priorität: Kampf gegen Terrorismus 

Für die dritte Priorität Washingtons, den Feldzug gegen denTerrorismus, formulierte Präsident Bush am 20. September 2001

in seiner Rede vor dem US-Kongress die folgende zentrale Ziel-setzung: »Unser Krieg gegen den Terror beginnt mit al-Qaida,aber er wird so lange dauern, bis wir jede terroristische Gruppemit globaler Reichweite aufgespürt, gestoppt und besiegthaben.« Dieser Feldzug werde keineswegs nach einer Reihe vonStrafaktionen oder einer großen Schlacht zu Ende sein. Eshandle sich, so Bush, vielmehr um einen »sehr langen Feldzug«auf vielen Kriegsschauplätzen und in Form offener wie gehei-

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mer Aktionen. Und dann folgte die Ankündigung: »Wir werdendie Terroristen von ihren Geldmitteln abschneiden, sie gegen-einander aufhetzen, sie von einem Ort zum anderen jagen, bis

ihnen kein Zufluchtsort und kein Ruhepunkt mehr bleibt. Undwir werden die Staaten verfolgen, die dem Terrorismus Hilfeleisten oder eine sichere Zuflucht bieten.«

In späteren Reden sowie in seinem Brief an den UNO-Sicher-heitsrat vom 8. Oktober 2001 hat Präsident Bush diese Selbst-mandatierung zur Kriegsführung auf Staaten wie den Iran undden Irak ausgeweitet, die angeblich eine internationale terroristi-sche Bedrohung darstellen, indem sie atomare, chemische undbiologische Waffen herzustellen oder zu erwerben versuchen.

Die Bush-Administration führt ihren globalen »Krieg gegenden Terrorismus« auf zwei Ebenen. Auf der Ebene der nachrich-tendienstlichen Aufklärung und Strafverfolgung geht es darum,klandestine Terroristenzellen aufzuspüren und zu zerschlagen;auf der militärischen Ebene hingegen sollen die Schlupfwinkelder Terroristen zerstört und jene Staaten bestraft werden, die

ihnen Zuflucht oder andere Formen von Beistand gewähren. Fürden Erfolg im Krieg gegen den Terrorismus sind angeblichbeide Ebenen entscheidend. Doch als die wichtigere Ebenebehandeln maßgebliche Akteure der Bush-Regierung die militä-rische, die auch besonders eng mit den beiden anderen Strängender Außen- und Sicherheitspolitik der Vereinigten Staaten ver-woben ist. So wurde zum Beispiel in vielen Aspekten des Krie-ges in Afghanistan genau jenes Modell der »power projection«deutlich, das Präsident Bush in seiner »Zitadellen«-Rede umris-sen hatte. Zur Vorbereitung des Afghanistanfeldzugs haben dieUSA per Flugzeug große Mengen von Waffen und militärischerAusrüstung in befreundete Staaten der Region transportiert undeine mächtige Kriegsflotte im Arabischen Meer stationiert.

Die meisten der eigentlichen Kampfeinsätze leisteten leichteInfanterietruppen, die aus der Luft durch mit Präzisionslenkwaf-

fen ausgerüstete Langstreckenbomber unterstützt wurden. Als

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äußerst wertvoll erwiesen sich dabei die große Beweglichkeitder Kampfeinheiten und der Einsatz moderner elektronischerÜberwachungsinstrumente, mit denen die US-Streitkräfte den

Feind bei Tag wie bei Nacht lokalisieren konnten. Die Erfahrun-gen aus dem Afghanistankrieg wurden dann wesentliche Vor-aussetzung für den relativ schnellen und verlustarmen Sieg derUS-Streitkräfte im Irakkrieg vom Frühjahr 2003.

Zugang zu den Ölvorkommen 

Der Krieg gegen den Terrorismus unterstützt also die Bemühun-gen, den Zugang zu den entscheidenden Ölvorkommen, vorallem in der Golfregion und am Kaspischen Meer, zu sichern.Der Krieg in Afghanistan lässt sich als Verlängerung jenesSchattenkrieges sehen, der in Saudi-Arabien zwischen den isla-mistischen Oppositionsgruppen und der von den USA unter-stützten Monarchie stattfindet. Nachdem König Fahd nach der

irakischen Invasion in Kuwait vom August 1990 den USAgestattet hatte, Truppen in seinem Land zu stationieren und seinTerritorium als Ausgangsbasis für Angriffe auf den Irak zunutzen, haben saudische Extremisten unter Führung Osama BinLadens einen Untergrundkrieg begonnen, mit dem sie dieMonarchie beseitigen und die Amerikaner aus dem Land treibenwollen. Insofern kann man das Bemühen der USA, al-Qaida undderen Basis in Afghanistan zu vernichten, auch als Aktion zum

Schutz der saudischen Königsfamilie sehen, die den Zugang zuden saudischen Ölvorkommen garantiert.

Der Krieg gegen den Terrorismus ist aber auch mit den Ab-sichten der USA verflochten, den Transport von Erdöl undErdgas aus der Kaspischen Region auf die Märkte des Westensabzusichern. Derartige Bemühungen gab es in bescheidenemUmfang bereits während der neunziger Jahre unter der Clinton-Regierung. Damals knüpfte das Pentagon erste Kontakte zu den

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Streitkräften der ex-sowjetischen Republiken Aserbaidschan,Georgien, Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan und begannmit Militär- und Ausbildungshilfe für diese Staaten. Mitte 2002

vereinbarten die USA und Aserbaidschan zudem, mit US-ameri-kanischer Hilfe ein maritimes Verteidigungspotenzial im Kaspi-schen Meer aufzubauen, wo es zu Konfrontationen zwischenaserbaidschanischen Ölförderschiffen und iranischen Kanonen-booten gekommen war. Derartige Initiativen der USA werdenvon der Bush-Administration offiziell damit begründet, die Be-teiligung der Länder in der Kaspischen Region am Krieg gegenden Terror zu erleichtern. Doch hängen sie ganz wesentlich auch

mit den Bemühungen zusammen, ein sicheres Umfeld für dieFörderung und den Transport des kaspischen Rohöls zu gewähr-leisten.

Die drei Prioritäten der Außen- und Sicherheitspolitik Wa-shingtons sind inzwischen zu einem einzigen strategischenProjekt verschmolzen, zum »Krieg um die Vorherrschaft derUSA«, wie Michael T. Klare im November 2002 schrieb, um zu

prognostizieren, »dass eine Strategie, die so viele entscheidendeAspekte der nationalen Sicherheit zu einer einzigen Kampagnevereinheitlicht, äußerst schwer zu kritisieren oder in Frage zustellen« sei. Nur wenn man diese Aspekte getrennt betrachte,könne man bei einzelnen vielleicht gewisse Beschränkungendurchsetzen. So ließe sich etwa dafür plädieren, das Niveau derMilitärhilfe zu senken oder die Stationierung von Truppen infernen Ölfördergebieten zu beschränken. Sind diese Maßnahmen

 jedoch mit dem Kampf gegen den Terrorismus verknüpft, werdees politisch fast unmöglich, Beschränkungen zu rechtfertigen.Deshalb, so Klare, werde sich »diese politische Strategie derBush-Administration höchstwahrscheinlich als äußerst erfolg-reich darin erweisen, die Zustimmung und langfristige Unter-stützung des Kongresses und des US-amerikanischen Volkes zuerhalten«.

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Hindernisse für weitere Kriege der USA

Die Präventivkriegsstrategie und die überlegenen militärischenFähigkeiten, die sich die USA seit dem zweiten Golfkrieg von1991 und verstärkt seit dem 11. September 2001 zugelegt haben,geben allein der einzigen verbliebenen Supermacht noch nichtdie Möglichkeit, zu jeder Zeit an jedem Ort der Welt militärischzu intervenieren. Die Erwartungen und Befürchtungen, nachdem militärisch schnellen und leichten Sieg im Irakkrieg vom

Frühjahr 2003 werde die Bush-Administration Schlag auf Schlag auch mit den anderen von ihr erkorenen »Schurkenstaa-ten« und Mitgliedern der »Achse des Böse« aufräumen, warenschon damals unrealistisch. Seitdem sind die politischen, militä-rischen und finanziellen Hindernisse für neue Kriege der Bush-Administration noch gewachsen.

Trotz aller Zustimmung oder zumindest mangelnder Oppositi-

on, die die US-Bevölkerung dem Irakkrieg entgegengebracht hat– für einen neuen Krieg fände Bush zumindest derzeit zu Hausekaum Unterstützung. Schon gar nicht für einen Krieg unter Ein-satz amerikanischer Bodentruppen. Das liegt zum einen an denhorrenden, weiterhin steigenden Kosten des Krieges gegen denIrak und der anhaltenden Besatzung des Landes. Immer mehrUS-Bürger sehen einen Zusammenhang zwischen den Kriegs-kosten und dem Abbau sozialer Leistungen, den die Bush-

Administration betreibt. Hinzu kommt, dass sich inzwischen einGroßteil der US-Bevölkerung direkt oder indirekt vom Irakkriegbetroffen fühlt, weil Mitglieder der eigenen Familie oder zumin-dest der engeren Verwandtschaft als Soldaten oder Nationalgar-disten im Irak stationiert wurden – und dies oft sehr viel länger,als ursprünglich geplant war. Auch die Zahl der im Irak getöte-ten GIs erreicht mit knapp 1.800 (Stand Ende Juni 2005)inzwischen eine für die Bush-Administration immer kritischere

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Der Rohstoff Öl erlangt strategische Bedeutung 

Die auf der Welt vorhandenen Ölvorräte sind über einenZeitraum von rund 200 Millionen Jahren durch eine Vielzahlbiologischer, chemischer und geologischer Prozesse entstanden.Mesopotamier, Griechen und Römer benutzten Bitumen oderNaphtha (Rohöl) seit der Antike als Dichtungs-, Heil- oderPflegemittel. Ägypter verwandten es außerdem für die Balsa-mierung der toten Pharaonen, und Chinesen setzten destilliertesÖl schon vor über 4.000 Jahren als Leuchtstoff ein. Die weltweitersten kommerziellen Bohrungen nach Öl fanden 1859 im US-Bundesstaat Pennsylvania sowie in Deutschland in der Nähe derStadt Celle statt. Mit der Erfindung von Motoren durch Otto(1876), Daimler (1883 und 1885) und Diesel (1893) begann einneues Kapitel vom Traum grenzenlosen Wachstums und indivi-

dueller Mobilität und ein noch gewinnbringenderes Geschäft mitder Verbrennung des wertvollen Rohstoffes.

Bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts spielte das Strebeneinzelner Staaten oder großer Konzerne nach Öl eine Rolle inzahlreichen politischen und militärischen Konflikten. Kurz vordem Ersten Weltkrieg erhielt der Rohstoff Öl erstmals strategi-sche Bedeutung. Russland hatte seine Kriegsschiffe mit Motorenzur Ölverbrennung ausgerüstet und erlangte dadurch für kurzeZeit Überlegenheit auf den Weltmeeren – bis England undandere Seefahrernationen ihre Schiffe ebenfalls mit Ölmotorenausrüsteten.

Im Folgenden eine – sicherlich unvollständige – Liste vonKonflikten aus dem 20. Jahrhundert, die durch das Streben nachÖl ausgelöst oder verschärft und verlängert wurden:

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Rohstoffe). Während Italien und Japan ihre Erdölversorgung vorallem durch eine Vergrößerung ihrer Kolonien (Nordafrika bzw.Pazifik) zu sichern versuchen, setzt Deutschland alles auf die

Karte »Sowjetunion«; deren Wirtschaft hatte sich zwar nurlangsam vom Bürgerkrieg und dem Ersten Weltkrieg erholt,profitierte aber entscheidend von den weltweit zu den größtenErdölvorkommen zählenden sibirischen Quellen.

1945-50 Der Zweite Weltkrieg hat deutlich gemacht, welchentscheidende militärische Rolle Erdöl als Treibstoff, zur Her-

stellung von Sprengstoffen, Gummi, Kunststoffen und anderenchemischen Gütern spielt. Die USA setzen zum entscheidendenSprung an und nützen die Nachkriegsjahre politisch geschickt,um ihre härtesten Konkurrenten im Ölgeschäft sowohl im pazifi-schen Raum wie im Nahen Osten auszuschalten. Während siedie britischen Erdölfirmen dafür zumindest finanziell entschädi-gen müssen, wird die Compagnie Française de Pétrol (CFP) als»Kollaborateurin« der Deutschen gebrandmarkt und zur Kriegs-

verliererin. Nach dem Zweiten Weltkrieg kontrollieren die USA65 Prozent (1939: 57 Prozent) der Erdölvorkommen außerhalbder kommunistischen Staaten, während der britisch(-nieder-ländische) Anteil von 36 auf unter 30 Prozent fällt. Nocheindrücklicher sind die Zahlen ohne die großen einheimischenÖlvorkommen der USA: Nach dem Krieg haben sich die US-Firmen die Förderrechte für rund die Hälfte der weltweitenVorkommen (außer USA und UdSSR) gesichert, was einerVerdoppelung gleichkommt.

1951-53 Im Iran kommt es zu einem Machtwechsel, und das bisdahin britisch (durch die Anglo-Iranian Oil Company, AIOC)kontrollierte Ölgeschäft wird in der Folge verstaatlicht. DieUSA verzichten zunächst auf ein Eingreifen zugunsten Großbri-tanniens (des nach wie vor härtesten Konkurrenten im Kampf 

ums weltweite Öl). Erst 1953 wird die neue iranische Regierung

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mit britischer und amerikanischer Hilfe gestürzt und dieErdölindustrie wieder privatisiert. Hauptprofiteure sind die US-Konzerne, denen 40 Prozent der iranischen Ölrechte zuge-

schanzt werden, während die AIOC nur noch 40 Prozent erhält;die restlichen Ölrechte teilen sich britisch-niederländische Shell(14 Prozent) und die französische CFP (6 Prozent).

1967 Nach dem Sechs-Tage-Krieg verhängen die arabischen Öl-Länder ein erstes Ölembargo gegen die OECD-Staaten.

1967-70 In Nigeria schlagen Regierungstruppen den Versuchder Ibo nieder, im Osten des Landes einen eigenen Staat Biafrazu gründen. Der Krieg, der schließlich mehr als eine MillionTote fordert, eskaliert jedoch erst richtig, als Shell sich bereiterklärt, die Konzessionsgelder für das nigerianische Öl an Biafrazahlen zu wollen.

1973/74 Als Folge der einseitigen Unterstützung Israels durchdie USA während des Yom-Kippur-Krieges kommt es zum gro-ßen Ölschock: Die OPEC-Staaten unter Führung der arabischenLänder drehen den Ölhahn zu, der Ölpreis vervierfacht sichinnerhalb eines Jahres, und die Industriestaaten, deren gesamteWirtschaft vom schwarzen Gold abhängig ist, werden von derheftigsten Rezession seit den dreißiger Jahren erschüttert.

1973-76 Die Entdeckung von Erdöl in der Ägäis (vor der grie-chischen Insel Thassos) führt 1973 zu einer Verschärfung derohnehin schon angespannten Beziehungen zwischen Griechen-land und der Türkei. Als Griechenland Verhandlungen ablehnt,beginnt die Türkei kurzerhand mit der Suche nach Öl rund umdie griechische Insel Lesbos. In der Folge tauschen beide Länder

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Drohungen aus, die 1976 beinahe zu einer militärischen Eskala-tion führen. Seither wird über das Öl in der Ägäis nur noch amVerhandlungstisch gestritten – bislang allerdings ohne große

Fortschritte.1974 Zwischen China und Vietnam kommt es zum Konflikt

um die Paracel-Inselgruppe, wo große unterseeische Erdölvor-kommen vermutet werden; das Ganze endet mit der Eroberungder dortigen vietnamesischen Garnison durch China.

1974-80 Der Nahe und Mittlere Osten avanciert zum Nabel der

Weltpolitik. Das wird schlagartig deutlich durch die Drohungvon US-Präsident Carter, dass die USA künftig den Zugang zuden Ölreserven am Persischen Golf mit allen, also auch militäri-schen Mitteln verteidigen würden. Mit dem Camp-David-Friedensabkommen zwischen Israel und Ägypten sichern sichdie USA 1978 das Recht für die Stationierung von Truppen auf der Sinai-Halbinsel und beginnen mit dem Aufbau ihrer Über-wachungskapazitäten; gleichzeitig wird eine »Schnelle Ein-

greiftruppe« für den Nahen Osten aufgestellt. Zusammen mitanderen NATO-Staaten sichern sich die USA außerdem diemilitärische Kontrolle über den Suezkanal. Gleichzeitig verviel-fachen sich die Anstrengungen des Westens, sich aus derAbhängigkeit vom arabischen Öl zu lösen: durch Energiespar-maßnahmen, Produktivitätssteigerungen und die Ausbeutungeigener Erdölvorkommen (Nordsee, Alaska). Während die USA1977 noch ein Drittel ihres Erdölbedarfs im Nahen Ostendecken, sinkt dieser Anteil bis 1984 auf 4 Prozent.

1980-88 Acht Jahre lang führen der Iran und der Irak Krieg(Erster Golfkrieg) gegeneinander, ohne dass eine der beiden Par-teien entscheidende Vorteile erringt. Ein wesentlicher Auslöserist der Streit um die Nutzung des Persischen Golfs, der für denTransport von Erdöl von erheblicher strategischer Bedeutung ist.»Erfolgreich« sind beide Staaten nur im gegenseitigen Bemü-

hen, die Erdölproduktion des Gegners (die Haupteinnahme-

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quelle beider Länder) zu zerstören. Damit fallen zwar zwei derganz großen Öllieferländer aus, gleichzeitig führt dieser »inter-ne« Konflikt aber auch zu einer Lähmung und Schwächung der

OPEC. Ähnliche militärische »Erfolge« werden zur gleichenZeit aus dem Süden Afrikas gemeldet: zum einen von dersüdafrikanischen Befreiungsbewegung ANC, die immer wiederdie südafrikanische Erdölindustrie angreift, zum anderen vomApartheidregime, das u. a. Jonas Savimbis UNITA bei der Sabo-tage der angolanischen Erdölförderung unterstützt.

1989-95 In Nigeria schlagen reguläre Truppen und paramilitäri-sche Kräfte den Kampf der Ogoni gegen die Zerstörung ihresLebensraums durch die Erdölförderung von Shell blutig nieder;ihr Wortführer, der Schriftsteller Ken-Saro Wiwa, wird mit achtweiteren Oppositionellen hingerichtet.

1990/91 Der Irak – das Land mit den zweitgrößten Ölreservender Welt – überfällt sein südliches Nachbarland Kuwait, dasLand mit den viertgrößten Ölvorräten. Damit rückt der Irakunter Saddam Hussein mit einem Schlag zur neuen Öl-Super-macht auf. Wesentliche Auslöser für diesen Überfall warenStreitigkeiten zwischen dem Irak und Kuwait über Ölfelder imGrenzgebiet zwischen beiden Ländern. Zudem hatte der iraki-sche Diktator Saddam Hussein in der OPEC auf eine deutlicheErhöhung des Ölpreises gedrängt (mit den erhofften Mehrein-

nahmen wollte er die Folgekosten aus dem achtjährigen Kriegmit dem Iran finanzieren), war mit dieser Forderung aber amWiderstand Kuwaits und Saudi-Arabiens gescheitert. Mit nochnie da gewesener Härte und militärischem Aufwand reagiert derWesten auf die irakische Besetzung Kuwaits und stellt unter US-amerikanischer Führung die alten Herrschaftsverhältnisse wie-der her (Zweiter Golfkrieg). Die fast schon traditionellen inner-arabischen Spannungen (Libyen-Ägypten, Syrien-Irak, Irak-

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Das Ende der Illusionen von den unerschöpflichen Öl-Ressourcen 

Nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Kurve der weltweitenFörderung und des Verbrauchs von Öl erstmals deutlich an. Einwesentlicher Grund hierfür war die Automobilisierung der USA.In der Phase der Aufrüstung Hitlerdeutschlands und andererStaaten vor dem Zweiten Weltkrieg sowie während der sechsKriegsjahre nahm die Förderung noch einmal erheblich zu. ImZweiten Weltkrieg spielte die Frage, ob ein Land über eigeneÖlvorkommen verfügte oder Zugang zu Ölquellen andererStaaten hatte, bereits eine wesentliche Rolle, die den Ausgang somancher Schlacht dieses Krieges entschied.

Hitlerdeutschland verfügte nicht über eigenes Öl und wardaher auf Importe angewiesen, auf die es sich jedoch spätestensmit Kriegsbeginn 1939 nicht mehr verlassen konnte. Mit dem

damals in Deutschland entwickelten Verfahren der Ölgewin-nung durch Kohleverflüssigung (das in den siebziger Jahrenerfolgreicher vom südafrikanischen Apartheidregime genutztwurde, um den Ölboykott der UNO zu unterlaufen) ließ sich nurein kleiner Teil des Treibstoffbedarfs von Hitlers Kriegsmaschi-ne decken. Daher war es ein wesentliches strategisches Ziel desÜberfalls der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni1941, Zugang zu den reichhaltigen Öl- und Erdgasfeldern imKaspischen Meer und in den östlich davon gelegenen sowjeti-schen Republiken zu erlangen. Doch der Vormarsch scheiterteam Widerstand der Roten Armee.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges sorgten zunächst derWiederaufbau Westdeutschlands und dann ab Ende der fünfzi-ger Jahre die Industrialisierung Japans (bis dato ein Agrarstaat)für weitere deutliche Zuwächse bei der weltweiten Förderung

und dem Verbrauch von Öl.

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»Grenzen des Wachstums« und erste Ölkrise 

Seit Beginn der systematischen Suche nach Öl und der intensi-ven wirtschaftlichen Nutzung dieses fossilen EnergieträgersMitte des 19. Jahrhunderts lebte die Menschheit über hundertJahre lang in dem Bewusstsein, Öl sei auf der Erde in uner-schöpflicher Menge vorhanden. Daher stehe es auf ewig und zueinem auf Dauer günstigen Preis als wichtigster Rohstoff für ein– ebenfalls auf Dauer unbegrenztes – wirtschaftliches Wachstumzur Verfügung. Zudem existierte keinerlei Wissen über die

Umweltprobleme (Klimaerwärmung etc.), die mit der Verbren-nung von Öl und anderen fossilen Brennstoffen (Kohle, Erdgas)verbunden sind.

Die Illusion von der Unerschöpflichkeit des Öls und derHarmlosigkeit seiner Verbrennung wurde erstmals Anfang dersiebziger Jahre in Frage gestellt – zunächst theoretisch durchden ersten Bericht des »Club of Rome« über »Die Grenzen desWachstums« und dann ganz praktisch und für viele Autofahrer

und Konsumenten vor allem in den am stärksten industrialisier-ten Weltregionen Nordamerika und Westeuropa unmittelbarspürbar durch die erste Ölkrise in den Jahren 1973/74. Unmittel-barer Auslöser dieser Krise war die drastische Erhöhung desWeltmarktpreises, die das damals noch ausschließlich ausStaaten des Nahen und Mittleren Ostens bestehende Kartell derÖl exportierenden Länder, OPEC (Organisation of Petroleum

Exporting Countries), durch eine massive Drosselung derProduktion ausgelöst hatte.

30 Jahre nach dieser ersten Ölkrise sind alle Illusionen überunerschöpfliche Ölvorräte durch harte Fakten und Erkenntnissewiderlegt. Wie viel Barrel Rohölvorräte auf der Welt nochexistieren, ist weitgehend bekannt. Für das Jahr 2004 wurden diebestätigten Weltreserven je nach Quelle auf 1.260 MilliardenBarrel (171.7 Mrd. Tonnen nach der »Oeldorado«-Studie 2004

von ExxonMobil) bzw. auf 1.148 Mrd. Barrel (156.6 Mrd.

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Tonnen nach »BP Statistical Review« 2004) berechnet. Wäh-rend die Reserven im Nahen Osten, Ostasien und Südamerikaaufgrund der Erschöpfung von Lagerstätten sanken, stiegen sie

in Afrika und Europa leicht an. Kritiker weisen allerdings darauf hin, dass Regierungen wie auch große Ölkonzerne ihre Angabenüber angeblich noch vorhandene Reserven häufig aus politi-schen Gründen nach oben verfälschen. Es fällt auf, dass vieleLänder der Internationalen Energieagentur (IEA) über Jahredieselben Vorratszahlen melden, obwohl sie gleichzeitig großeMengen Erdöl fördern. Die Zahlen werden also oft nichtangepasst.

»Peak Oil« ist bald erreicht 

Seit den ersten Bohrungen im Jahre 1859 sind weltweit rund 900Milliarden Barrel Erdöl gefördert worden. Die meisten Reservenwurden in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts

entdeckt.Im Jahre 2003 betrug die weltweite Ölfördermenge rund 27Mrd. Barrel (3,6 Mrd. Tonnen). Hauptförderstaaten waren indiesem Jahr Saudi-Arabien (496,8 Millionen Tonnen), Russland(420 Mio.), USA (349,4 Mio.), Mexiko (187,8 Mio.) und Iran(181,7 Mio.). Die Erdölförderung in Deutschland ist im interna-tionalen Vergleich unbedeutend und findet fast ausschließlich inden Bundesländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen statt.

Entscheidend ist, dass seit Beginn der achtziger Jahre die jähr-lich weltweit geförderte Ölmenge über der Kapazität der jährlichneu entdeckten Reserven liegt. Das heißt, seit den achtzigerJahren nehmen die vorhandenen Reserven kontinuierlich ab.Deshalb wird von den meisten Experten mit einem Förderma-ximum ( »Peak Oil« ) zwischen 2010 und 2020 gerechnet. Mit»Peak Oil« ist der Zeitpunkt gemeint, zu dem die weltweite

Förderung von Öl ihr historisches Hoch erreicht, das heißt, die

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Hälfte der vorhandenen Vorräte gefördert wurde. Nach Errei-chen dieses Punktes geht die globale Erdölförderung kontinuier-lich zurück, die Preise werden deutlich – wahrscheinlich expo-

nential – ansteigen und die Verteilungskämpfe um die Ressour-ce Öl werden sich noch einmal erheblich verschärfen – zumalwenn die Verbrauchsprognosen der IEA eintreffen. Einige Ex-perten gehen sogar davon aus, dass »Peak Oil« noch vor 2010erreicht wird.

Die meisten Ölländer dieser Erde haben den Höhepunkt schonlängst überschritten. In den USA geht die jährliche Förderquotebereits seit 1959 kontinuierlich zurück. In Großbritannien, dasebenso wie Norwegen erst nach der Ölpreiskrise der siebzigerJahre und dank der Entdeckung von Ölfeldern in der Nordsee zueinem Ölförderstaat wurde, war »Peak Oil« 1999 erreicht.

(Noch) sehr ungleicher Weltverbrauch 

Der tägliche Verbrauch an Öl lag im Jahr 2003 weltweit beietwa 80 Mio. Barrel. Die USA (20,1 Mio.), China (6 Mio.),Japan (5,5 Mio.) und Deutschland (2,7 Mio. Barrel) waren imJahr 2003 Hauptverbraucher des Erdöls. Das heißt, die USAsind mit einem Anteil von 25 Prozent mit weitem Abstand dergrößte Ölverbraucher. Allerdings hat sich die Menge des täglichvon China verbrauchten Öls allein zwischen 2000 und 2003 vondrei auf sechs Mio. Barrel verdoppelt. Noch krasser sind die

Unterschiede beim Verbrauch pro Kopf der Bevölkerung. 2003verbrauchte ein Einwohner der USA durchschnittlich 26 BarrelÖl, und ein Bundesbürger 11,7, während in China statistisch auf 

 jeden Einwohner 1,7 Barrel kamen, in Indien 0,8 und in Bangla-desch nur 0,2 Barrel.

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Verdoppelung des Verbrauchs fossiler Energie- ressourcen bis spätestens Mitte des 21.Jahrhunderts 

Den Prognosen der IEA zufolge wird sich der weltweite Bedarf und Verbrauch an Öl und an den anderen fossilen BrennstoffenErdgas und Kohle in den kommenden 30 bis 50 Jahren nocheinmal mindestens verdoppeln. Die meisten Regierungenorientieren sich bei ihrer Politik zur Energieversorgung ihresLandes bislang an den Prognosen und Szenarien der IEA, die

auf einer Fortschreibung bisheriger Entwicklungstrends bei derFörderung und dem Verbrauch von fossilen Brennstoffen überden Zeitraum der nächsten 20 bis 50 Jahre beruhen. Den IEA-Szenarien liegt die Annahme zugrunde, dass es in diesemZeitraum nicht zu signifikanten technologischen, wirtschaftli-chen oder politischen Neuerungen und Umbrüchen kommenwird (s. Anhang 2).

Entsprechend geht die IEA davon aus, dass das globale Wirt-schaftswachstum und die Zunahme der Erdbevölkerung bis 2015(im Vergleich zum Basisjahr 2000) zu einer Steigerung desweltweiten Energiebedarfs um 30 Prozent führen werden undbis 2025 um 50 Prozent.

Die größten Zuwächse werden für die beiden bevölkerungs-reichsten Staaten China und Indien vorausgesagt. Für Indien,das seinen Energiekonsum zwischen 1970 und 2000 verdreifacht

hat und inzwischen das Land mit dem viertgrößten Energiever-brauch (in absoluten Mengenzahlen, nicht pro Kopf der Bevöl-kerung) hinter den USA, China und Russland ist, wird eineweitere Verdoppelung des Energiekonsums bis 2030 erwartet.

Im Jahr 2000 wurden 80 Prozent des weltweiten Energiebe-darfs durch fossile Brennstoffe abgedeckt (Öl 36, Kohle 22,Erdgas 21 Prozent). Der Anteil der Biomasse lag bei elf, der der

Atomkraft bei sechs Prozent. Wasserkraft deckte zwei Prozent

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ab und die drei anderen nachhaltigen Energien Wind, Solar undErdwärme zusammen lediglich ein Prozent. Die IEA geht davonaus, dass auch der größte Teil des bis 2030 prognostizierten

zusätzlichen globalen Energiebedarfs »aus Kostengründen«weiterhin durch fossile Brennstoffe abgedeckt wird. DieserPrognose liegt die Annahme der IEA zugrunde, dass der Anteilnachhaltiger Ressourcen an der Energieversorgung in denmeisten oder gar allen Staaten dieser Erde bis 2030 nichtsignifikant gesteigert wird. Eine Annahme, die die IEA aus dembisherigen Verhalten der Staaten ableitet, die aber selbstver-ständlich kein unabänderliches Schicksal oder ein in Stein

gemeißeltes Naturgesetz ist.Zwar erwartet die IEA, dass es bis 2030 zwischen den drei

fossilen Energieträgern zu Gewichtsverschiebungen kommt: Ölbleibt Spitzenreiter, doch Erdgas wird die größten Zuwachsratenaufweisen und die Kohle als zweitwichtigsten Energielieferan-ten ablösen. Für die nachhaltigen Energien sieht die IEA »ausKostengründen« keine signifikanten Zuwächse voraus.

Beim Anteil der Atomenergie an der weltweiten Energiever-sorgung rechnet die IEA mit einem Rückgang von derzeit sechsauf rund vier Prozent bis zum Jahr 2030. Diese Prognose derIEA berücksichtigt allerdings noch nicht die Möglichkeit, dasses in den nächsten Jahren zu einer Renaissance der Atomenergiekommt, wofür es eine Reihe von Anzeichen gibt.

Ersatz der fossilen Energieträger durch nachhalti- ge Ressourcen – eine Frage des politischen Willens 

Auf Basis der angeführten Daten und Prognosen lässt sich mitSicherheit voraussagen, dass die über einen Zeitraum von 200Millionen Jahren entstandenen Ölvorräte dieser Erde spätestens

bis Mitte dieses Jahrhunderts unwiederbringlich aufgebraucht

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2,50 Euro für den Liter Benzin werden schon bald Realität 

Im März 1998 beschloss der Bundesparteitag von Bündnis90/Die Grünen in Magdeburg ein wohl durchdachtes, neues öko-logisches Steuerkonzept. Es sollte zur Schaffung von Arbeits-plätzen beitragen, zu deutlichen Einsparungen beim Verbrauchvon Öl und anderen fossilen Energien führen und der Bekämp-fung der Umweltzerstörung dienen. Ein wesentliches Prinzipdieses Steuerkonzepts war die Herstellung von Kostenwahrheitbeim Energieverbrauch – insbesondere im Vergleich zwischenden verschiedenen privaten und öffentlichen Transportsystemen(Eisenbahn, Flugzeug, Auto, Busse etc.). Das Konzept sah einedeutlich stärkere Besteuerung von Kerosin und Benzin vor, dieSchritt für Schritt über den Zeitraum von fünf Jahren zu einerErhöhung des Benzinpreises an bundesdeutschen Tankstellen

auf fünf Mark geführt hätte.Der »5-Mark-Beschluss« der Grünen vom März 1998 löste

eine Welle der Empörung aus, als hätte die Ökopartei dasVerbot des Fußballspiels in Deutschland gefordert. Unter demDruck dieser Empörung und mit Blick auf die anstehendeBundestagswahl vom September 1998 ließ die Partei ihren Be-schluss ziemlich bald in der Versenkung verschwinden. SiebenJahre später ist der Zeitpunkt absehbar, da die Marke von fünf Mark oder 2,50 Euro für den Liter Benzin Realität wird. Nichtals Ergebnis und Bestandteil einer auf Nachhaltigkeit setzendenPolitik, wie sie die Grünen damals in Magdeburg noch im Augehatten, sondern in Folge der sich deutlich verschärfendenVerteilungskämpfe um die immer knapper werdende fossileEnergieressource Öl.

Bereits die Erhöhung der Rohölpreise – und in der Folge auch

der Preise für Treibstoff (Benzin und Diesel) – in den letzten

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zwei Jahren seit dem Irakkrieg lag deutlich über dem Durch-schnitt der Steigerungsraten in den neunziger Jahren. Sobald derPeak Point der weltweiten Ölproduktion erreicht ist – mit großer

Wahrscheinlichkeit schon im ersten oder zweiten Jahrzehnt des21. Jahrhunderts –, werden die Preise für Rohöl und für darausgewonnene Produkte exponenziell ansteigen. Daher ist davonauszugehen, dass der Benzin- und auch der Dieselpreis inDeutschland in naher Zukunft die Marke von 2,50 Euro proLiter nicht nur erreichen, sondern sogar deutlich überschreitenwerden.

Die Auswirkungen dieser Preiserhöhungen an den Tankstellenwerden die Autofahrer umso härter treffen, als der MagdeburgerParteitagsbeschluss der Grünen nicht zum Bestandteil derrotgrünen Koalitionspolitik ab Oktober 1998 gemacht wurde.Denn wäre dies geschehen, wären die deutsche Automobilindu-strie sowie ausländische Hersteller, die PKW nach Deutschlandexportieren, tatsächlich unter ernsthaften Druck geraten, dendeutlich verringerten Treibstoffverbrauch ihrer Produkte zur

obersten Priorität zu machen, anstatt immer schnellere, PS-stär-kere, prestigeträchtigere und schwerere Fahrzeuge herzustellen.

In Folge dieser völlig verfehlten Politik lag im Jahre 2004 derdurchschnittliche Flottenverbrauch aller in Deutschland zugelas-senen PKW immer noch bei rund 8,1 Liter Treibstoff (Benzinund Diesel) pro 100 Fahrkilometer. Dabei hätten die spätestensseit Mitte der neunziger Jahre vorhandenen technischen Mög-lichkeiten längst eine Reduzierung des Flottenverbrauchs auf höchstens sechs Liter erlaubt. Doch da der notwendige Druckdurch von der Politik gesetzte Rahmenbedingungen fehlte, setz-ten die Automobilkonzerne die entsprechenden technologischenKonzepte nicht um.

Die Volkswagen AG stellte im Juni 2005 sogar die Produktiondes Lupo TDI ein, das – abgesehen vom Zweisitzer-Smart – bisdato einzige Auto in Europa mit einem Echtverbrauch von nicht

mehr als drei Liter Diesel pro 100 Kilometer. Der VW-Konzern

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begründete seine Entscheidung mit der »mangelnden Nachfragebei den Autofahrern«. Für diese »mangelnde Nachfrage« hatteVW in den Jahren seit der Markteinführung des Lupo selbst

gesorgt: mit einer lausigen, fast nicht existenten Werbung fürden Kleinwagen und mit einem völlig überhöhten Preis.

Kräftiger Anstieg der Verbraucherkosten 

Neben den Tankstellenpreisen für Benzin und Diesel werdenauch die Verbraucherkosten für Heizöl in den nächsten Jahren

so kräftig ansteigen wie nie zuvor seit 1973/74. Darüber hinauswird der absehbare deutliche Anstieg des Weltmarktpreises fürÖl zur spürbaren Verteuerung zahlreicher Produkte und Dienst-leistungen führen, bei deren Herstellung und Erbringung bislangÖl eingesetzt wird. Diese Entwicklung dürfte in den kommen-den Jahren in Deutschland (und darüber hinaus in EU-Europa)zu folgenden, zum Teil widersprüchlichen Entwicklungen

führen.Zum einen werden die bisherigen vorsichtigen Weichenstel-lungen in Richtung einer nachhaltigeren Energieversorgung, diedie rot-grüne Koalition in Berlin seit 1998 immerhin vorge-nommen hatte (Gesetz über erneuerbare Energien, 100.000-Solardächer-Programm, Ökosteuer u. a.), auch unter einer CDU-geführten Bundesregierung zumindest weitgehend erhaltenbleiben. Zugleich wird der bereits seit Mitte 2004 spürbare

Druck der Atomlobby für eine Renaissance der Atomenergiezumindest dazu führen, dass die unter der rot-grünen Koalitionvereinbarten Fristen für den Ausstieg aus dieser Energieformund für die Stilllegung einzelner AKWs verlängert werden. Esist sogar nicht auszuschließen, dass der Ausstiegsbeschluss ineinigen Jahren angesichts drastisch gestiegener Ölpreise völliggekippt wird.

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Auf der anderen Seite wird aber der gesellschaftliche Druckwachsen, die noch vorhandenen Einsparpotenziale besser auszu-schöpfen – sei es bei der Nutzung von Industrieabwärme, bei der

Isolation von Gebäuden oder beim Spritverbrauch. Auch dieKonsumenten dürften – erstmals seit 1973/74 – ihr Energiever-brauchsverhalten deutlich verändern, insbesondere im Bereichder Mobilität: durch den Kauf verbrauchsgünstiger PKW undden Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel. In welchem Um-fang dieser auch ökologisch wünschenswerte Umstieg allerdingsstattfindet, wird davon abhängig sein, ob und inwieweit dieöffentlichen Transport-Unternehmen ihre steigenden Ausgaben

für Energie auf die Ticketpreise für Bahnen und Busse umlegen.Dies könnten die Regierungen auf Bundes-, Länder- undKommunalebene allerdings durch politische Vorgaben steuern.

Doch welche Maßnahmen zur Senkung des Verbrauchs vonÖlprodukten und zum Umstieg auf nachhaltigere Energieformenin den nächsten Jahren auch immer ergriffen werden: Ange-sichts der großen Versäumnisse in den letzten 20 Jahren werden

diese Maßnahmen mit dem absehbaren drastischen Anstieg derÖlpreise nicht Schritt halten und ihn nicht voll kompensierenkönnen. Selbst ein massiver Ausbau der Atomenergie – der ausvielerlei Gründen weder wünschenswert noch machbar ist –könnte dies nicht leisten. Daher ist zu erwarten, dass das bislangnur bei einigen Experten und bei einer kleinen Minderheit vonPolitikern vorhandene Wissen um die immer teureren und baldganz aufgebrauchten Weltölvorräte in wenigen Jahren zum All-

gemeingut wird. Es ist zu befürchten, dass vor diesemHintergrund Politiker aller Couleur – auch solche, die im März1998 in Magdeburg noch die Erhöhung des Benzinpreises auf 5Mark pro Liter gefordert hatten – dann ganz offen den Einsatzmilitärischer Mittel zur Sicherung der Energieversorgungpropagieren und damit bei der Bevölkerung mehrheitlich Unter-stützung finden werden.

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Die EU bereitet sich auf Kriege um Ressourcen vor 

»In einem Staat X am Indischen Ozean haben antiwestlicheElemente die Macht erlangt und benutzen das Öl als Waffe,vertreiben westliche Bürger und greifen westliche Interessen an.Darüber hinaus haben sie mit der Invasion des Nachbarlandes Ybegonnen, dessen Regime prowestlich orientiert ist und einezentrale Rolle beim freien Fluss von Öl in den Westen spielt.(…) Die EU interveniert gemeinsam mit den USA mit einerstarken Streitmacht, um das Land Y zu unterstützen und ihreeigenen Interessen zu schützen. (…) Das militärische Ziel derOperation ist es, das besetzte Territorium zu befreien und Kon-trolle über einige der Öl-Infrastrukturen, Pipelines und Häfendes Landes X zu bekommen. (…) Der EU-Beitrag besteht aus10 Brigaden (60.000 Soldaten). Diese Landstreitmacht wird von

360 Kampfflugzeugen und zwei maritimen Einheiten, die aus 4Flugzeugträgern, 16 amphibischen Schiffen, 12 U-Booten, 40Schlachtschiffen, 2 Kommandoschiffen, 8 Unterstützungsschif-fen und 20 Patroullienbooten bestehen, unterstützt.«

Dieses Szenario stammt nicht aus einem Politthriller, sondernaus dem »European Defence Paper« (EDP), einem 2004 vorge-legten Planungsdokument für die künftige Verteidigungs- undSicherheitspolitik der Europäischen Union. Unter dem Titel»Europäische Verteidigung: ein Vorschlag für ein Weißbuch«wird in dem 140-seitigen Dokument detailliert ausgeführt, wel-che militärischen Fähigkeiten und Kapazitäten die EU benötigt,um bis zum Jahr 2010 in der Lage zu sein, allein oder gemein-sam mit den USA Kriege zur Sicherung der eigenen Rohstoff-interessen zu führen. Darüber hinaus beschreibt das EDP vierweitere Herausforderungen und Szenarien, für die die EU bis

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zum Jahr 2010 eigenständige militärische Handlungs- und Inter-ventionsfähigkeit – unabhängig von den USA – entwickeln soll:

• Friedenserhaltende Einsätze in Nachkriegssituationen,

• Humanitäre Interventionen,• »Präventive« Verhinderung eines Einsatzes mit Massenver-

nichtungsmitteln,

• Heimatschutz.

Verfasst wurde das EDP im Auftrag des EU-Rates vom Insti-tute for Security Studies (Institut für Sicherheitsstudien, ISS) inParis. Das ISS ist die wichtigste Denkfabrik für die Verteidi-gungs-, Sicherheits- und Militärpolitik der EU. Frühere ISS-Stu-dien haben großen Einfluss auf die zahlreichen Beschlüsse zurgemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ge-habt, die der EU-Rat seit dem Kosovo-Krieg vom Frühsommer1999 gefasst hat. Auch die erste gemeinsame Sicherheitsstrate-gie der EU-Staaten, die der Rat im Dezember 2003 unter demTitel »Ein sicheres Europa in einer besseren Welt« verabschie-

det hat, beruht ganz wesentlich auf Vorüberlegungen undStudien aus dem ISS. Dasselbe gilt für die sicherheits-, verteidi-gungs- und militärpolitischen Kapitel des Entwurfs für eine EU-Verfassung.

Regionalkriege zur Verteidigung europäischer Interessen 

Als eines der wichtigsten Ziele militärischer Interventionenbenennt das »European Defence Paper« den »Stabilitätsexportzum Schutz der Handelswege und des freien Flusses von Roh-stoffen«. Dies wird als »vitales Interesse« der EU definiert – ei-ne Formulierung, die sich bislang nur in militärischen Strategie-papieren fand. Die EU müsse in der Lage sein – so wörtlich –,»Regionalkriege zur Verteidigung europäischer Interessen« zu

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führen. Deutlich wird, worum es tatsächlich gehen könnte, wenndie EU künftig mit dem offiziell erklärten Ziel der »Terrorbe-kämpfung«, der »Krisenbeilegung« oder »humanitären Interven-

tion« in den Krieg zieht: »Durch künftige regionale Kriegekönnten europäische Sicherheit und Wohlstand direkt bedrohtwerden. Zum Beispiel durch die Unterbrechung der Ölversor-gung und/oder durch eine massive Erhöhung der Energiekosten… oder die Störung der Handels- und Warenströme.«

Auch ein Vorbild für diese »Regionalkriege zur Verteidigungeuropäischer Interessen« wird ausführlich dargelegt: der Golf-krieg von 1991 gegen den Irak, das Land mit den zweitgrößtenÖlreserven der Welt. »Europa kann seine Verteidigungspolitiknicht auf der Annahme aufbauen, dass es nicht größere militäri-sche Herausforderungen im Mittleren Osten gibt, die von dergleichen oder sogar einer größeren Dimension als der Golfkriegvon 1990-1991 sind.«

»Präventive« Verteidigung gegen einen Angriff mit Massenvernichtungswaffen 

Wie stark das Ziel der Sicherung eigener Rohstoffinteresseninzwischen die Planungen zur Sicherheitspolitik prägt, wirdauch bei der zweiten Herausforderung deutlich, auf die sich dieEU bis zum Jahr 2010 militärisch rüsten soll: die Bedrohung desEU-Territoriums durch Massenvernichtungswaffen entweder in

Händen von Terroristen oder von dem Westen feindlich gesinn-ten Diktatoren. Als konkrete Beispiele für künftige Bedrohungs-szenarien führt das EDP eine »Nuklearisierung des höchst in-stabilen Mittleren Ostens« an. Zwar könne man »argumentieren,dass diese Proliferationsrisiken keine direkte militärische Gefahrfür die EU als solche darstellen, aber da 50 Prozent des europäi-schen Energiebedarfs aus dieser Region kommen, sind sie eine

direkte Bedrohung«.

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auch die Öl- und Gasfelder unter dem und östlich des Kaspi-schen Meers.

Bei den »friedenserhaltenden Einsätzen« sollen sich die EU-

Streitkräfte auf die Stabilisierung des unmittelbaren Vorfeldesdes EU-Territoriums beschränken. 30.000 Soldaten sollen fürdiese Aufgabe ab 2010 bereitstehen und in einem Radius von2.000 Kilometern um Brüssel eingesetzt werden können. Dasschließt den gesamten Balkan mit ein, aber auch die Gegenküsteder drei Maghreb-Staaten Marokko, Tunesien und Algerien.

Unter der Überschrift »Heimatschutz« soll europäisches Mili-

tär dem EDP zufolge auch zur Verteidigung vor terroristischenAngriffen innerhalb des EU-Gebietes eingesetzt werden können.

Fähigkeit zu »Expeditionskriegszügen«

Insbesondere mit Blick auf künftige »Regionalkriege zur Ver-teidigung europäischer Interessen« sowie auf die »präventive

Verhinderung eines Angriffs mit Massenvernichtungswaffen«beklagen die Autoren des EDP große »militärische Defizite« derEU und mahnen erhebliche Aufrüstungsmaßnahmen an, damitdie für notwendig erklärte Handlungsfähigkeit bis 2010 auchtatsächlich hergestellt ist. »Die Fähigkeit, Kriege in einemanspruchsvollen Szenario zu wagen und zu gewinnen, ist nochsehr beschränkt«, heißt es wörtlich in dem Papier. Und weiter:»Noch fehlt es der EU an militärischer ›Eskalationsdominanz‹«.

Das soll sich ändern. Denn: »Die Transformation europäischerStreitkräfte von der Landesverteidigung in Richtung Expediti-onskriegszüge [im Original: ›expeditionary warfare‹] ist eineunabdingbare Voraussetzung für eine effektive europäischeSicherheitsstrategie.« Daher lautet die Forderung: »Die militäri-schen Ausgaben müssen gesteigert werden.«

Die Vorgaben, die das EDP den politischen Entscheidungsträ-

gern der EU macht, sind sehr konkret:

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• Die drastische Erhöhung des Anteils der im Ausland einsetz-baren EU-Streitkräfte von derzeit 10 Prozent auf 50 Prozent.Gemessen an den derzeitigen Personalstärken hieße das eine

Ausweitung von 150.000 auf 750.000 Soldaten.• Die Durchhaltefähigkeit bei »Expeditionskriegszügen« soll

von derzeit einem auf drei Jahre gesteigert werden. Gleichzeitigsoll der Zeitraum, innerhalb dessen die EU-Soldaten weltweiteinsatzbereit sind, erheblich verkürzt werden. Diese Aufgabekommt den so genannten »EU-Schlachtgruppen« ( »battle-groups« ) zu. Ein erstes Bataillon soll bereits innerhalb von 48Stunden marschbereit sein.

• Die Erhöhung der Zahl der einsetzbaren Militärflugzeugevon derzeit 400 auf 600; Ausbau der Luftbetankungsmöglichkei-ten, um den Einsatzradius für Kampf- und Transportflugzeugeerheblich auszuweiten, sowie der Präzisionsmunition, Abstands-lenkwaffen und der Waffen zur Ausschaltung gegnerischerFlugabwehr, um die eigenen Verluste gering zu halten. Einsofortiges Investitionspaket von 42 Milliarden Euro wird alleine

im Bereich Lufttransport und Aufklärungskapazitäten für not-wendig erachtet.

• Die Militärausgaben im Bereich Forschung und Entwicklungsollen verdoppelt werden.

• Der Ausbau der militärischen Fähigkeiten im Bereich Kom-mando, Kontrolle, Kommunikation, Nachrichtendienst, Überwa-chung, Zielerfassung und Aufklärung. Dafür muss insbesondere

die militärische Nutzung des Weltraums vorangetrieben werden.Das ist die Voraussetzung zur so genannten »netzwerkzentrier-ten Kriegsführung«, wie sie die USA – so die Sichtweise derVerfasser des EDP – in Afghanistan und im Irak so »eindrucks-voll« vorgeführt hätten.

• Ausbau der Transportgeräte in der Luft und zur See, um dieTruppen weltweit verlegen zu können.

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• Die Einrichtung eines Europäischen Multinationalen Kom-mandos zur See, bestehend aus Flugzeugträgern, Schlachtschif-fen, U-Booten, amphibischen Einheiten usw. Denn »die an-

spruchsvollste Aufgabe ist die Machtprojektion, die aus derKombination von Luftschlägen, Landangriffen und amphibi-schen Operationen besteht«.

• Die Einrichtung eines ständigen strategischen sowie einesmobilen Hauptquartiers, um bei Interventionen mittelfristignicht mehr auf NATO-Infrastrukturen angewiesen und von denUSA abhängig zu sein.

Als zentrale Voraussetzung für die Umsetzung all dieser Zielesehen die Autoren des »European Defense Paper« die Einrich-tung der »Europäischen Verteidigungsagentur« (früher: »Rü-stungsagentur« ). Diese Agentur soll die Verteidigungsplanungsowie die Forschung, Entwicklung und Beschaffung vonRüstung unter den EU-Mitgliedsstaaten »koordinieren«. DieAgentur, die auch EU-Verfassungsrang erhalten soll, arbeitetbereits seit Juli 2004.

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EUROPA UND DIE USA: »CLASH

OF CIVILISATIONS« ODERGEMEINSAME HISTORISCHE

VERANTWORTUNG?

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Streitthemen im Rückblick nur noch bürokratische Petitessen,die jetzt auf Basis einer neuen multilateralen Kooperationsbe-reitschaft in Washington und in einem neuen Geist partner-

schaftlicher Zusammenarbeit zügig beigelegt werden.«

Grandiose Fehleinschätzung 

Obwohl seine Zuhörer mit erheblicher Skepsis und zahlreichenEinwänden reagierten, blieb Ischinger unbeirrt bei seiner Ein-schätzung. Auf die Frage, welche der »bürokratischen Peti-

tessen« aus der Ära vor dem 11. September seiner Erwartungnach denn als Erste bereinigt werde, verwies der deutscheBotschafter auf die Anthrax-Briefe, die damals gerade bei eini-gen Mitgliedern und Mitarbeitern des US-Kongresses einge-troffen waren, und erklärte: »Ich rechne damit, dass die Bush-Administration unter dem Eindruck dieser neuen Bedrohung inder UNO-Abrüstungskonferenz jetzt sehr schnell einem Zusatz-

protokoll zu dem Abkommen über das Verbot biologischerWaffen zustimmt.«

Welch eine grandiose Fehleinschätzung! Doch die Episode ausdem Oktober 2001 wird hier nicht berichtet, um den deutschenBotschafter in Washington bloßzustellen. Zumal Ischinger kurzdarauf in einer öffentlichen Rede an der US-Westküste ähnlicheÄußerungen wie im Gespräch mit den deutschen Korresponden-ten in Washington machte. Erwartungen, die Bush-Administra-

tion werde unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11.September wieder stärker multilaterale Politik betreiben, warenseinerzeit weit verbreitet. In Deutschland und anderen europäi-schen Staaten sowie bei den übrigen Mitgliedern der »westli-chen Gruppe« in der UNO-Generalversammlung (Kanada,Japan, Australien, Neuseeland) noch stärker als in anderen Re-gionen der Welt. Doch diese Erwartungen wurden sehr bald undsehr gründlich enttäuscht. Als Erstes geschah dies bei den biolo-

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gischen Waffen, also bei dem Thema, bei dem BotschafterIschinger eine schnelle Kehrtwende der Bush-Administrationprognostiziert hatte.

Bei der Genfer UNO-Abrüstungskonferenz erfuhren die USAin den Wochen und Monaten nach dem 11. September ein sehrweites Entgegenkommen durch die anderen 60 Mitgliedsstaaten.Statt den bereits fertigen Entwurf eines Zusatzprotokolls, überden die Konferenz fast acht Jahre verhandelt hatte, auch ohneZustimmung Washingtons zu verabschieden und durch Ratifika-tion in den Parlamenten in Kraft zu setzen, bemühten sich die 60Staaten intensiv darum, die USA an Bord zu halten. Zahlreicheneue Änderungswünsche der Bush-Administration wurden inden Entwurf aufgenommen, obwohl der Text dadurch erheblichverwässert wurde.

Doch trotz dieses weitreichenden Entgegenkommens lehntedie Bush-Administration das Zusatzprotokoll Mitte Dezember2001 schließlich endgültig ab, erklärte die Verhandlungen fürgescheitert und beantragte, die für B-Waffen zuständige Arbeits-

gruppe der UNO-Abrüstungskonferenz ersatzlos aufzulösen. ZurBegründung führte die Bush-Administration plötzlich an, dasVerbot biologischer Waffen lasse sich mit Mitteln der Rüs-tungskontrolle ohnehin nicht verlässlich überwachen. Zudembestehe »die Gefahr, dass ausländische Inspekteure bei Kontrol-len auf US-Territorium militärische Geheimnisse ausspionierenund die nationale Sicherheit der USA gefährden«.

Auf dieses Verhalten der USA reagierten die Europäer damalsmit großer Verbitterung und ungewöhnlich scharfer Kritik. »DieAmerikaner haben uns belogen, sie haben uns wie den letztenDreck behandelt«, erklärte der UNO-Botschafter eines großenEU-Landes. »In Jahrzehnten multilateraler Verhandlungen sindwir noch niemals so erniedrigend behandelt worden«, kommen-tierte ein anderer EU-Diplomat. Seit der endgültigen Absage derBush-Administration vom Dezember 2001 sind die Bemühun-

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Menschen außerhalb des Völkerrechts zu stellen, ist völker-rechtswidrig.

Trotz aller massiven Zweifel und Kritik nicht nur aus dem

Ausland, sondern auch innerhalb der USA hält die Bush-Admi-nistration all ihre Handlungen seit dem 11. September 2001unbeirrt für legitim, notwendig und – trotz aller Beweise für dasGegenteil – auch für erfolgreich im Kampf gegen Terrorismusund die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen.Präsident George Bush beruft sich in seinem Kampf gegen »dasBöse« in der Welt auf Gottes Auftrag. In dieser gotteslästerli-chen Anmaßung wird der US-Präsident inzwischen von einer er-schreckend großen Anzahl seiner Landsleute unterstützt. Andersist nicht erklärbar, dass Bush bei der Wahl vom November 2004das Mandat für eine zweite Amtsperiode erhielt. Zwar warenzum Zeitpunkt dieser Wahl all die Lügen und Manipulationender Bush-Administration im Zusammenhang mit dem Irakkriegauch durch US-Medien hinreichend offen gelegt. Doch harteTatsachen waren für den Ausgang der Präsidentschaftswahl vom

November 2004 nicht mehr ausschlaggebend. Die Haltung zumIrakkrieg war längst zu einer Glaubensfrage geworden. Besorgtkonstatierten Beobachter ein »Ende der Aufklärung«.

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Das Propagandamärchen vom amerikanischen Mars und der 

europäischen Venus 

Es gibt inzwischen also scheinbar ausreichend Anlass, einen»Clash of Civilisations« im transatlantischen Verhältnis zukonstatieren, einen »Zusammenprall der Kulturen«, wie ihn derUS-Politologe Samuel P. Huntington bereits Anfang der neunzi-

ger Jahre für das Verhältnis zwischen »christlichem Abendland«und der islamischen Welt behauptete. Huntington ging davonaus, dass der Konflikt zwischen christlicher und islamischerWelt unvermeidbar sei, dass dieser Konflikt militärisch eskalie-ren werde und dass sich der christliche Westen daher rechtzeitigfür den Krieg mit der islamischen Welt rüsten müsse. Damitlieferte Huntington nach Ende des Kalten Krieges und dem Zu-sammenbruch der Sowjetunion wichtige Bausteine zur Kon-

struktion des neuen Feindbildes »Islam« und wurde zum Kron-zeugen für die Notwendigkeit einer massiven Aufrüstung derUSA, die seit Machtübernahme der Bush-AdministrationAnfang 2001 betrieben wird.

Behauptungen über einen »Clash of Civilisations« zwischenEuropa und den USA gehen zwar bislang (noch) nicht so weit,dass sie die Prognose einer militärischen Eskalation einschlie-

ßen. Doch vor allem auf amerikanischer Seite gibt es Stimmen,die zunächst einmal Belege für einen angeblichen transatlanti-schen Clash liefern und diesen sogar historisch zu begründensuchen.

Der bekannteste Vertreter dieser These ist der US-Politologeund Kolumnist Robert Kagan, 1997 mit dem neokonservativenChefideologen William Kristol Mitbegründer des »Project For aNew American Century«. In seinem im Jahr 2002 erschienenen

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Buch »Macht und Ohnmacht: Amerika und Europa in der neuenWeltordnung« (der amerikanische Originaltitel lautete, nochzugespitzter: »Of Paradise and Power: America and Europe in

The New World Order« ) behauptet Kagan, die Amerikanerseien »vom Mars«, die Europäer aber »von der Venus«. Damitbegründet er, dass die USA weniger stark festgelegt seien auf kollektives Handeln im Rahmen multilateraler Institutionen undeher bereit zum (auch unilateralen) Einsatz militärischer Mittel(»hard power«) als die Europäer, die in ihrer Außen- und Sicher-heitspolitik in erster Linie auf diplomatische, wirtschaftliche undandere nichtmilitärische Instrumente setzten.

Kagan, ein eifriger Trommler für den Irakkrieg von 2003, hältden unilateralen US-amerikanischen »Hard-power«-Ansatz fürlegitim – selbst wenn seine konkrete Umsetzung wie im FallIrak unter Verstoß gegen das Völkerrecht erfolgt. Diese Bewer-tung begründet er im Wesentlichen mit der Unterstellung, »dieEuropäer« nähmen die Herausforderung durch den Terrorismusund andere Bedrohungen (noch) nicht ernst genug und seien bis-

lang nicht willens oder nicht in der Lage, ihre globale Verant-wortung wahrzunehmen.

Es ist erstaunlich, wie viel Aufmerksamkeit Kagans Thesengerade auch im Kontext der Debatte um den Irakkonflikt in denJahren 2002 und 2003 in Deutschland gefunden haben – und dasnicht nur in oberflächlichen Talkshows, sondern selbst in denFeuilletons seriöser Tageszeitungen. Dabei konnte, wer (wie derAutor) damals mit Kagan diskutierte, feststellen, dass er zumeistreine Ideologie verbreitete und Behauptungen aufstellte, dienicht von Fakten gedeckt waren.

Kagan konnte oder wollte offensichtlich nicht zur Kenntnisnehmen, dass der tatsächliche Dissens zwischen Europäern undAmerikanern nach dem 11. September 2001 nicht in einer unter-schiedlichen Bewertung der terroristischen Bedrohung liegt,sondern in der Frage, was die Ursachen des Terrorismus sind

und welches die geeigneten Mittel wären, um den Terrorismus

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Kritik aus Europa an der US-Politik ist notwendig, aber nicht hinreichend 

Die Behauptung vom »Zusammenprall der Kulturen« zwischenEuropa und den USA ist nicht nur falsch, sondern auch bequemund perspektivlos. Nach der eigenen Verantwortung muss garnicht mehr gefragt werden, wenn sich beide Seiten quasischicksalhaft und zwangsläufig auf den Zusammenprall zube-wegen. Konkret: Wer einen »Clash of Civilisations« konstatiert,macht die Ursachen und die Schuld für diesen Clash in allerRegel an der anderen Seite fest. In Deutschland oder in anderenLändern des »alten Europa« (Donald Rumsfeld) wird meistbehauptet, dass sich die USA in den letzten Jahren wegbewegthätten von vormals gemeinsamen westlichen Werten, vonmultilateraler Politik und vom Völkerrecht. Als wichtigsterBeleg hierfür gilt der Irakkrieg. Diese Bestandsaufnahme ist

zwar richtig. Und eine scharfe, kritische Analyse und Bewertungder US-amerikanischen Außen- und Globalpolitik sowiegehörige Skepsis gegenüber ihrer offiziellen Begründung durchdie Administration in Washington sind weiterhin dringenderforderlich.

Doch in Westeuropa schwingt bei dieser Kritik nicht selteneine unangebrachte Überheblichkeit mit. Der grüne Europapoli-tiker Daniel Cohn-Bendit etwa erklärte Ende 2002 auf demHöhepunkt der Debatte um den bevorstehenden Irakkrieg, Euro-pa sei »die global bessere Alternative zu den USA«. Das ist indieser Pauschalität keineswegs der Fall, wie ein Vergleich derFelder, auf denen die beiden wirtschaftsstärksten Akteure USAund EU Politik gegenüber dem »Rest der Welt« betreiben,zeigen würde.

Vom Außenhandel, dem Verhalten transnationaler Konzerne,

der Währungs- und Finanzpolitik über die Entwicklungs-, Men-

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schenrechts-, Umwelt- und Energiesicherungspolitik bis zu denRüstungsexporten haben die USA und die Staaten Westeuropasbzw. der EU aufgrund weitgehend deckungsgleicher Interessen

bis zum Ende des Kalten Krieges ihre Politik im Wesentlichenim Schulterschluss vollzogen. In kaum verringertem Maße trifftdies auch für die 15 Jahre seit Ende des Kalten Krieges zu.Daher tragen die USA und Europa gemeinsam eine hohe Ver-antwortung für den heutigen Zustand der Welt und für ihrewichtigsten Probleme. Das gilt insbesondere auch mit Blick auf die Region Naher/Mittlerer Osten und Zentralasien, die für dienächsten Jahrzehnte die Hauptproblem- und Konfliktzone der

Welt bleiben dürfte und die zugleich von größtem und nochwachsendem strategischen Interesse nicht nur für die USA undfür Europa, sondern auch für China, Russland, Indien undandere Akteure ist.

Natürlich gibt es tatsächlich wenig Anlass, den Herren Bush,Cheney, Rumsfeld, Wolfowitz u. a. abzunehmen, es gehe ihnenmit dem Irakkrieg und mit der seitdem proklamierten »Greater

Middle East Initiative« tatsächlich um das behauptete Ziel einer»Modernisierung« und »Demokratisierung« der Staaten dieserRegion. Selbst wer entsprechenden Beteuerungen aus Washing-ton Glauben schenkt, müsste größte Zweifel haben, ob die vonder Bush-Administration eingesetzten und propagierten Mittelzur Demokratisierung geeignet sind und nicht eher kontrapro-duktiv wirken.

Das große Defizit der Diskussionen in Deutschland und ande-ren »alteuropäischen« Staaten ist allerdings, dass sie zumeist beider berechtigten und notwendigen Kritik an der Politik der USAstehen bleiben. Das ist sehr bequem. Denn die Probleme in derRegion Naher/Mittlerer Osten, auf die die Bush-Administrationmit falschen Mitten zu reagieren sucht, sind in der Tat gravie-rend: die fehlende Demokratie und die massive Unterdrückungelementarer Menschenrechte in den arabischen Staaten sowie

die große Frustration und zunehmende Perspektivlosigkeit ins-

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besondere unter den jugendlichen Bewohnern dieser Länder, diediese zunehmend anfällig machten für islamistische und anti-westliche Propaganda. Der im April 2005 veröffentlichte dritte

»Arabische Menschenrechtsbericht« der UNO, verfasst vonarabischen Experten und Intellektuellen, macht diese Problemeerneut schonungslos deutlich.

Die Verantwortung für die desolate Lage in den arabischenStaaten liegt aber nicht nur bei den Regimes und den Bevölke-rungen dieser Länder. Die seit Ende des Zweiten Weltkriegesvon den USA geführte Politik des Westens gegenüber diesenLändern hat wesentlich zur Schaffung und Zementierungundemokratischer Verhältnisse beigetragen und die jetzt vonWashington lautstark eingeforderte »Modernisierung« und»Reform« der arabischen Gesellschaften behindert. Die Region,in der mit Saudi-Arabien, Irak, Iran sowie Kuwait und den Emi-raten am Persischen Golf die Länder mit den größten Ölreservender Welt liegen, erfüllt für den Westen bis heute in erster Liniedie Funktion der billigen Tankstelle. Die ungehinderte Versor-

gung mit möglichst preiswertem Öl war und ist das oberste Inte-resse der westlichen Politik an dieser Region. Diesem Interessedienen sowohl der Sturz unliebsamer, weil vermeintlich wider-spenstiger Regierungen wie die als »Stabilisierung« beschönigteUnterstützung tyrannischer und menschenverachtender Re-gimes.

1953 stürzten, wie bereits erwähnt, die USA und Großbritan-nien die demokratisch gewählte Regierung von Ministerpräsi-dent Mohammad Mossadegh im Iran und installierten die blu-tige Diktatur von Schah Reza Pahlewi. Denn Mossadegh hattenach seiner Wahl im Jahr 1950 die Ölfelder des Landes, die sichbis dahin unter Kontrolle britischer Ölkonzerne befanden, ver-staatlicht. Armee, Polizei, Geheimdienst und andere »Sicher-heitskräfte« des Schah-Regimes wurden vom Westen aufge-rüstet und bei der Unterdrückung der demokratischen Opposi-

tionskräfte im Iran unterstützt. Zahlreiche Iraner, denen die

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Flucht nach Deutschland und in andere westeuropäische Demo-kratien gelang, wurden in die Arme des berüchtigtenGeheimdienstes Savak zurückgeschickt, was für die meisten

Folter und Tod bedeutete.Als der Schah 1979 von der islamischen Opposition gestürzt

wurde und das Regime der Ayatollahs in Teheran an die Machtkam, fiel der Iran als geostrategischer Partner des Westens in derRegion und als verlässlicher Öllieferant aus. Die Nachfolge desIran in dieser Rolle trat der Irak an. Bereits der Aufstieg SaddamHusseins an die Spitze der Macht in Bagdad im Laufe der sieb-ziger Jahre erfolgte mit kräftiger Unterstützung der CIA. DerUS-Geheimdienst hatte schon 1962 ersten Kontakt mit SaddamHussein aufgenommen, als dieser noch Student an der Universi-tät von Kairo war. Ab 1979 wurde das Regime von SaddamHussein vom Westen ähnlich unterstützt und aufgerüstet wiezuvor das Schah-Regime im Nachbarland Iran. Im Unterschiedzum Iran erhielt der Irak aus dem Westen sogar die Bauteile,Grundsubstanzen, das Know-how und die Produktionsstätten für

atomare, chemische und biologische Massenvernichtungswaf-fen. Unterstützt wurde Husseins Regime vom Westen auch imersten Golfkrieg gegen den Iran (1980-1988).

Die wichtigsten Lieferanten von Waffen und militärisch nutz-barer Technologie an Bagdad sowie von Ausrüstung für dieinternen »Sicherheitskräfte«, mit denen Saddam Hussein dasirakische Volk unterdrückte, waren die USA, die Bundesrepu-blik Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Auch dieSowjetunion lieferte in den siebziger und achtziger JahrenWaffen an den Irak – darunter vor allem die Scud-Raketen, vondenen Bagdad im zweiten Golfkrieg von 1991 mehr als 40gegen Ziele in Israel verschoss.

Trotz des strategischen Interesses, einen Sieg des Iran imersten Golfkrieg zu verhindern, verkaufte die US-Regierung vonPräsident Ronald Reagan insgeheim und unter Verstoß gegen

nationale Gesetze der USA auch Waffen an Teheran. Mit dem

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Erlös aus dem Waffenverkauf finanzierte die Reagan-Admini-stration den Kampf der rechtsgerichteten Contras gegen diesozialistische Regierung in Nicaragua, die Washington ein Dorn

im Auge war. Der Vorgang wurde später unter dem Namen»Iran-Contragate« bekannt. Ein Großteil der Waffen, die dieUSA damals insgeheim an den Iran lieferten, stammte aus Mili-tärdepots in der Bundesrepublik Deutschland.

Der irakisch-iranische Krieg endete im September 1988 miteinem von der UNO vermittelten Waffenstillstand, dem schließ-lich beide Seiten aus Erschöpfung zustimmten. Der achtjährigeKrieg hatte die irakische Wirtschaft ruiniert. Zu ihrer Sanierungmusste Saddam Hussein die Öleinnahmen seines Landeserheblich steigern. Daher verlangte er im OPEC-Kartell einedeutliche Erhöhung der Preise. Vor allem die Nachbarstaatendes Irak, Kuwait und Saudi-Arabien, widersprachen dieserForderung.

Im August 1990 besetzte Husseins Armee Kuwait. Zudemgebärdete sich der Diktator in Bagdad als starker Mann der Re-

gion und Führer der arabischen Welt und stieß immer schärfereDrohungen gegen Israel aus. Der Westen verlor zunehmend dieKontrolle über den Irak. Das änderte sich mit dem zweiten Golf-krieg vom Frühjahr 1991. In diesem Krieg wurden die (konven-tionellen) militärischen Kapazitäten des Irak weitgehend zer-stört. Mindestens 150.000 der vormals knapp 500.000 Soldatendes Landes wurden getötet. Die von den USA geführte Golf-kriegs-Allianz ließ das Regime von Saddam Hussein zwar anseinem Platz. Denn es bestand die Sorge, ein Sturz des Regimeskönnte zu einem Zerfall des Irak in einen kurdischen und wie-tere Teilstaaten fuhren, was wiederum destabilisierende Aus-wirkungen auf die drei Nachbarländer Türkei, Iran und Syrienmit ebenfalls kurdischen Bevölkerungsgruppen haben könnte.

Doch mit den vom UNO-Sicherheitsrat verhängten umfassen-den Wirtschaftssanktionen sowie durch die Anwesenheit Hun-

derter ausländischer Rüstungsinspekteure, die die Verschrottung

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der irakischen Massenvernichtungswaffen durchsetzten, wurdedie Macht des Regimes erheblich eingeschränkt. Eine Möglich-keit zur Bedrohung der Nachbarländer hatte der Irak seit dem

zweiten Golfkrieg nicht mehr.Nachfolger des Irak als wichtigster Öllieferant und Partner des

Westens in der Nahostregion wurde Saudi-Arabien. Die Monar-chie in Riad ist ebenfalls alles andere als ein demokratischesRegime, dem die Menschenrechte – insbesondere der Frauen –wenig gelten. Dennoch hat der Westen seit Anfang der neunzi-ger Jahre erhebliche politische, diplomatische und militärischeMittel zur »Stabilisierung« des saudischen Regimes und zurStärkung seines internen Unterdrückungsapparats investiert.Darüber hinaus werden die Ölfelder, Pipelines und Häfen desLandes nicht nur von US-amerikanischen, sondern – was kaumbekannt ist – auch von französischen Elitetruppen bewacht. De-mokratische Oppositionsgruppen, regimekritische Intellektuelleoder Frauenrechtlerinnen, die es in Saudi-Arabien durchaus gibt,erhielten bislang jedoch keine nennenswerte Unterstützung aus

dem Westen.Die westliche Politik seit Mitte des 20. Jahrhunderts, Regie-

rungen im Nahen Osten, die westliche (Öl-)Interessen vermeint-lich oder tatsächlich bedrohten, zu stürzen und diktatorische Re-gimes zu stabilisieren, solange diese nur den westlichen Interes-sen nutzen, beschränkte sich nicht nur auf die Ölstaaten dieserRegion. Auch gegenüber Ländern wie Ägypten oder Jordaniengalt bislang dieses Politikmuster.

Zwar wurde diese westliche Politik wesentlich von den USAbestimmt. Und die zur Durchsetzung dieser Politik eingesetztenInstrumente – politischer Druck, Geld, Geheimdienste, Waffen-lieferungen und militärische Interventionen – waren im Wesent-lichen US-amerikanische. Doch die westeuropäischen Verbün-deten der USA seit dem Zweiten Weltkrieg sowie die neutralenStaaten Europas haben diese Politik über 50 Jahre lang uneinge-

schränkt und kritiklos mitgetragen und unterstützt. Dasselbe gilt

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PRÄVENTIVKRIEG ALS

DAUERZUSTAND?

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Wie sinnvoll ist das Konzept einer multipolaren Machtbalance? 

Als US-Präsident Woodrow Wilson während des ErstenWeltkrieges die Schaffung eines Völkerbundes vorschlug, warihm bewusst, dass die künftigen Mitgliedsstaaten hinsichtlich ih-rer Größe und Bevölkerungsstärke sowie ihrer politischen,wirtschaftlichen und militärischen Macht sehr unterschiedlichsein würden. Doch Wilson ging davon aus, dass der Völkerbundfunktionieren und seinen Auftrag der Kriegsverhinderung undder friedlichen Beilegung von Konflikten erfüllen werde, solan-ge nur all diese sehr unterschiedlichen Staaten in der General-versammlung des Völkerbundes juristisch gleichgestellt wärennach dem Prinzip »ein Land – eine Stimme«.

Die Geschichte hat Wilsons idealistische Annahme widerlegt.Der Völkerbund funktionierte nur so lange, wie zwischen den

gewichtigsten Staaten eine politische, wirtschaftliche undmilitärische Machtbalance bestand. In Europa waren das damalsFrankreich, England, Russland, Italien und Deutschland. Dochals Hitlerdeutschland den Völkerbund 1936 verließ, brach dieWeltorganisation zusammen. Es folgte ein Rückfall in diezwischenstaatliche Barbarei, bis 1945 mit der UNO ein erneuterVersuch unternommen wurde, zwischenstaatliche Beziehungeninstitutionell zu regeln.

Bei der UNO-Gründung kam Wilsons Prinzip »ein Land –eine Stimme« nur noch eingeschränkt zur Anwendung. Es giltzwar weiterhin in der Generalversammlung, doch die USA unddie übrigen drei Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, dieSowjetunion, Großbritannien und Frankreich, schufen für sichund für China das Privileg des ständigen, mit dem Vetorechtausgestatteten Sitzes im UNO-Sicherheitsrat. Zudem statteten

sie den von ihnen kontrollierten Sicherheitsrat mit exklusiven

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Kompetenzen aus (völkerrechtlich verbindliche Resolutionen,Verhängung von Zwangsmaßnahmen), über die die Generalver-sammlung nicht verfügt. Mit diesen Regelungen wurde das Prin-

zip der Machtbalance zwischen den damals gewichtigsten Mit-gliedsstaaten der neuen Weltorganisation institutionell veran-kert. Und viele Beobachter argumentieren, dass die UNO nur solange wenigstens einigermaßen funktionierte und die Weltord-nung relativ stabil war, wie die bipolare, politisch, ideologischund militärisch definierte Machtbalance zwischen den beidenvon der Sowjetunion und von den USA geführten Blöckenbestand.

Nachdem der östliche Block und seine Vormacht, die Sowjet-union, nach dem Berliner Mauerfall vom November 1989 kolla-biert sind, existiert diese Machtbalance nicht mehr. Die Welt-ordnung ist instabiler geworden, und die UNO kann ihre Aufga-ben immer weniger effektiv wahrnehmen – vor allem auch, weildie einzig verbliebene Weltmacht USA immer häufiger undimmer unverhohlener gegen Regeln des Völkerrechts verstößt

und die UNO absichtsvoll ins Abseits stellt.Zwar tendiert eine derartige Beschreibung der Geschichte

dazu, die globalen Realitäten während der über 40-jährigenPhase der Ost-West-Blockkonfrontation eurozentrisch zu verklä-ren. Immerhin fanden in dieser Zeit weltweit rund 250 Kriegeund bewaffnete Konflikte statt – oftmals verbunden mit Völker-mord und anderen gravierenden Menschenrechtsverletzungen.Dennoch: Der Glaube, nur durch die Schaffung von Gegen-macht lasse sich der entlaufene Hegemon USA wieder einfan-gen und nur die Errichtung einer neuen multipolaren Machtba-lance führe auch wieder zu einer stabileren Weltordnung und zueiner funktionierenden UNO, ist bei Akteuren und Beobachtern

  jeder politischen Couleur weit verbreitet. Und das nicht nur inEuropa, sondern auch in Asien und in anderen Weltregionen.Wichtigste Mitglieder einer künftigen multipolaren Weltord-

nung wären nach diesen Vorstellungen – neben den USA –

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China, die Europäische Union, Russland und Indien. Fast alleBefürworter eines solchen Konzepts definieren die Begriffe»Gegenmacht« zu den USA und »Machtbalance« nicht nur

politisch und wirtschaftlich, sondern auch militärisch.Tatsächlich bietet das Konzept einer »multilateralen Machtba-

lance« – zumal einer auch militärisch definierten – aber keiner-lei Gewähr für die Herausbildung einer stabileren und friedli-cheren Weltordnung. Ganz im Gegenteil: Dieses Konzept erhöhtdas ohnehin bereits beträchtliche Risiko einer Zerstörung dieserWelt durch Kriege und Ressourcenraubbau noch einmal erheb-lich.

Denn die Menschheit befindet sich Anfang des 21. Jahrhun-derts in einem wesentlichen Punkt in einer völlig anderenSituation als zu den Zeiten der Gründung des Völkerbundes oderder UNO. Die heute als unausweichliche Tatsache bekannteglobale Endlichkeit von Öl und anderen fossilen Ressourcenkam 1914 und 1945 nicht einmal in den kühnsten Science-Fiction-Romanen vor. Unter den heutigen Rahmenbedingungen

würde das Konzept einer »multilateralen Machtbalance« –zumal wenn damit die Aufrüstung der einzelnen Machtpoleverbunden ist – den Verbrauch der endlichen Ressourcen nochweiter hochtreiben und die Verteilungskämpfe um dieseRessourcen noch weiter eskalieren lassen.

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Emanzipation von den USA durch Militarisierung – der Irrweg der EU 

In der Europäischen Union bzw. in ihrem Vorläufer EuropäischeGemeinschaft (EG) entstanden erste Pläne, eine Gegenmacht zuden USA aufzubauen, schon bald nach Ende des Kalten Krieges.Zunächst beschränkten sich die Ambitionen von EG-Politikernnoch auf den eigenen Kontinent. Als im Juni 1991 im damaligenJugoslawien die Konflikte zwischen den einzelnen Teilrepubli-ken und den verschiedenen Volksgruppen gewaltsam eskalier-ten, sah die EG die Gelegenheit gekommen, ihre »GemeinsameAußen- und Sicherheitspolitik« (GASP), die bis dato lediglichauf dem Papier stand, endlich in die Praxis umzusetzen. »Das istdie Stunde Europas«, erklärte der damalige EG-Ratspräsident,Luxemburgs Außenminister Jan Poos, vor dem StraßburgerParlament mit Blick auf die Situation in Ex-Jugoslawien. Die

dortigen Konflikte werde Europa »alleine« lösen. Poos’ Erklä-rung war ein deutliches Signal an die USA, sich aus demKonflikt herauszuhalten.

Der Rest der Geschichte ist bekannt. Die EG/EU scheiterte mitihren Bemühungen zur Beilegung der innerjugoslawischen Kon-flikte auf der ganzen Linie. Sie scheiterte, weil zwischen dendamaligen Mitgliedsstaaten der EG/EU zumindest in den Jahrenbis 1995 keine gemeinsame politische Strategie zur Beilegungdieser Konflikte zustande kam. Die Mitglieder waren sich nochnicht einmal einig in der Analyse der Konfliktursachen. Gewich-tige Staaten – insbesondere Deutschland, Frankreich und Groß-britannien – besaßen unterschiedlich starke historische Bindun-gen zu den verschiedenen Teilrepubliken und Völkern Jugosla-wiens. Der über ein Jahr währende intensive Streit innerhalb derEG um die damals in erster Linie von Deutschland betriebene

frühzeitige Anerkennung von Slowenien und Kroatien war der

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deutlichste Ausdruck für den fehlenden politischen Konsens inder Union.

Doch sehr rasch bildete sich in der politischen Klasse der EU-

Staaten die Legende heraus, Grund für das Scheitern gegenüberden Konflikten im ehemaligen Jugoslawien sei der Mangel angemeinsamen militärischen Instrumenten und Fähigkeiten derEG/EU gewesen. Daher sei die Beendigung der innerjugoslawi-schen Kriege erst möglich geworden, als sich die USA 1995 ent-schlossen hatten, militärisch einzugreifen. Diese Version für dieGründe des Scheiterns der Europäer ist in dreifacher Hinsichtfragwürdig.

Zum Ersten wird damit der zentrale Fehler unterschlagen, dendie EG/EU bei ihren Vermittlungsbemühungen um eine Beile-gung der innerjugoslawischen Konflikte gemacht hat. VonBeginn an ließ sich die EG auf die vor allem von den nationalis-tischen Führern der Serben und der Kroaten angeführte Be-hauptung von den ethnischen und religiösen Unterschieden alswesentlicher Konfliktursache ein. Zur Genfer Jugoslawienkon-

ferenz, die die EU gemeinsam mit der UNO zwischen Oktober1992 und Juli 1995 durchführte, wurden fast ausschließlich dienationalistischen Führer und Warlords eingeladen, die ihre auf Macht und Territorialgewinn zielenden Kriege mit diesenethnischen und religiösen Unterschieden rechtfertigen. Sämtli-che »Friedenspläne«, die die EG/EU gemeinsam mit der UNObei der Genfer Konferenz auf den Tisch legte, folgten der ethni-schen Logik. Das heißt, ethnische Unterschiede wurden zumKriterium für die Neuverteilung von Territorien, Macht undRessourcen, die EG/EU und UNO in diesen »Friedensplänen«vorschlugen.

Mit diesen Vorschlägen trugen die EG/EU und die UNO zurVerlängerung und zur Verschärfung der Gewaltkonflikte bei.Denn jedes Mal, wenn ihre Vermittler einen solchen »Friedens-plan« vorlegten, versuchten die verschiedenen Kriegsparteien

vor Ort durch neue Vertreibungen und Eroberungen die Aus-

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gangslage am Genfer Verhandlungstisch für sich zu verbessern.

Zum Zweiten: Die Staaten Westeuropas haben während derinnerjugoslawischen Kriegsjahre vom Juni 1991 bis Dezember

1995 erhebliche militärische Kapazitäten zum Einsatz gebracht.Rund 100.000 UNO-Blauhelmsoldaten (UNPROFOR) warenwährend dieser viereinhalb Jahre in Kroatien und in Bosnien sta-tioniert. Diese Soldaten kamen zu über 90 Prozent aus den Mit-gliedsstaaten der EG/EU (und zugleich der NATO) Frankreich,Großbritannien, Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Bel-gien, Niederlande, Dänemark sowie aus den seit 1995 der EUbeigetretenen Ländern Schweden, Finnland, Österreich undschließlich aus Norwegen und der Türkei. Die restlichen zehnProzent wurden von Kanada, Pakistan, Indien, Bangladesh,Argentinien und Jordanien beigesteuert. Die USA unter Präsi-dent Bill Clinton verweigerten seinerzeit jegliche Beteiligung ander UNPROFOR-Mission. Stattdessen kritisierte die Clinton-Administration ständig die politischen Vermittlungsbemühun-gen von EG/EU und UNO bei der Genfer Jugoslawienkonferenz

und warf der wesentlich aus europäischen Truppenverbändengebildeten und zumeist von einem europäischen General befeh-ligten UNPROFOR immer wieder Unfähigkeit und mangelndenDurchsetzungswillen vor.

Doch es fehlte den UNPROFOR-Truppen keineswegs anmilitärischen Kapazitäten. Allerdings waren die Einsatzmög-lichkeiten der Blauhelmsoldaten eng begrenzt. Ihr politischesMandat war zugeschnitten auf eine klassische Peacekeeping-Mission, wie sie zum Beispiel seit 1974 auf Zypern stationiertist. Und das, obwohl die Voraussetzungen für einen derartigenPeacekeeping-Einsatz (Waffenstillstand mit einer klar definier-ten Waffenstillstandslinie sowie der Zustimmung aller Konflikt-parteien zur Stationierung von UNO-Soldaten entlang dieserLinie mit der einzigen Aufgabe ihrer Bewachung) in Kroatienund Bosnien zwischen Mitte 1991 und Ende 1995 fast niemals

existierten. Die Blauhelmsoldaten hatten vom ersten Einsatztag

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an sehr viel riskantere und potenziell eskalationsträchtigereAufgaben als die Bewachung einer klar definierten Waffenstill-standslinie – zum Beispiel den Begleitschutz humanitärer Ver-

sorgungskonvois durch umkämpfte Gebiete und in belagerteStädte.

Das völlig unzureichende Mandat für die UNPROFOR warvorgegeben durch den UNO-Sicherheitsrat in New York. Unddie USA, das einflussreichste Mitglied des Sicherheitsrates,hatten sich keineswegs für ein robusteres Mandat eingesetzt.

Zum Dritten: Die USA, die während der ersten drei Konflikt-

  jahre abseits standen, engagierten sich erst ab 1994. Zunächstdiplomatisch und dann 1995 auch militärisch. Im Au-gust/September bombardierte die NATO drei Wochen langmilitärische Stellungen der von Radovan Karazic und GeneralRatko Mladic geführten nationalistischen Serben in Bosnien-Herzegowina. Diese Bombardements wurden von der NATO alsentscheidend dargestellt, um den Krieg zu beenden und dieserbische Seite an den Verhandlungstisch in Dayton zu zwingen.

Doch des militärischen Eingreifens der USA hätte es nichtbedurft. Die europäischen Staaten verfügten auch damals schonüber ausreichende militärische Kapazitäten, um diese Luftbom-bardements auch ohne die USA erfolgreich durchzuführen.

Außerdem: Selbst wenn die EG 1991 sämtliche militärischenKapazitäten besessen hätte, über die damals tatsächlich nur dieUSA verfügten, hätte die EG diese Kapazitäten im ehemaligenJugoslawien nicht zum Einsatz gebracht. Denn hierfür gab eskeinen politischen Konsens.

Trotz all dieser Tatsachen hält sich bis heute die Legende, dieEuropäer seien gegenüber den Konflikten im ehemaligen Jugo-slawien wegen mangelnder gemeinsamer militärischer Kapazi-täten gescheitert und der Bosnienkrieg hätte schließlich nurbeendet werden können, weil die USA militärische Kapazitätenzum Einsatz brachten, über die die Europäer damals angeblich

nicht verfügten. Diese Legende muss seitdem dazu herhalten,

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die angebliche Notwendigkeit einer Aufrüstung der EU zubegründen.

Seit dem Krieg der NATO gegen Serbien im Frühsommer

1999 ist eine zweite Begründung hinzugekommen. In diesemelfwöchigen Waffengang fühlten sich viele Sicherheitspolitikerund Militärs europäischer NATO-Staaten von den USA domi-niert und nicht als gleichberechtigte Partner behandelt. Die USAdiktierten im NATO-Hauptquartier weitgehend die Strategiedieses Krieges und bestimmten die Ziele. 75 Prozent der einge-setzten Kampfflugzeuge sowie 90 Prozent der verschossenenMunition kamen von den USA. Vor allem aber besaßen dieUSA als einziges der damals 19 NATO-Mitglieder ein Satelli-tensystem, mit dem sie die Lage und sämtliche Bewegungen auf dem Territorium Serbiens und des Kosovo rund um die Uhr mitgroßer Genauigkeit überwachen konnten. Als besonders ärger-lich, ja demütigend empfanden es seinerzeit europäische Politi-ker und Militärs, dass die USA die mit diesem Satellitensystemgewonnenen Informationen nicht oder erst zu einem Zeitpunkt,

als diese Informationen nicht mehr relevant waren, an ihreVerbündeten weitergaben.

In Reaktion auf diese Behandlung durch die USA stellteneuropäische Politiker die Forderung auf, bei künftigen gemein-samen militärischen Missionen der NATO müsse Europa »auf gleicher Augenhöhe mit den USA« beteiligt sein. Bereitsunmittelbar nach Ende des Krieges gegen Serbien, Anfang Juli1999, formulierten die EU-Regierungschefs auf ihrem KölnerGipfel erste konkrete Ziele einer vorrangig militärischen Ausge-staltung der »Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik«(GASP). Auf den folgenden Gipfeln wurden zahlreiche Be-schlüsse gefasst zur Aufstellung einer 60.000 Soldaten umfas-senden EU-Truppe zur »Krisenintervention«, zur Etablierungeiner gemeinsamen militärischen Kommandozentrale sowie zurAnschaffung von neuen Waffen, weitreichenden Transportsys-

temen und schließlich zur Errichtung eines Satellitensystems,

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das die Unabhängigkeit von den USA bei der militärischenAufklärung gewährleisten soll.

Die Weichenstellungen zur Militarisierung der EU-Außenpoli-

tik seit Mitte der neunziger Jahre sind bislang ohne nennens-werten Widerspruch und ohne die eigentlich dringend nötigeDiskussion in den Parlamenten und in der Öffentlichkeit derinzwischen 25 Mitgliedsländer erfolgt. Das mag damit zu tunhaben, dass allgemein die Vorstellung von einer »FriedensmachtEuropa« vorherrscht. Und dies umso stärker, als sich die USAoffen unfriedlich verhalten und gegen das Völkerrecht versto-ßen.

Bis weit in (ehemals) friedensbewegte linke und grüne Kreisehinein ist der Glaube verbreitet, die – tatsächlich sehr notwendi-ge und wünschenswerte – außenpolitische Emanzipation Euro-pas von den USA und der Zugewinn eigenständiger europäi-scher Handlungsmöglichkeiten (zum Beispiel bei der Lösungdes Nahostkonflikts) seien nur möglich, wenn sich die EU auchgemeinsame militärische Instrumente zulegt.

In der gemeinsamen Sicherheitsstrategie der EU »Für einsicheres Europa in einer besseren Welt«, in den außen- undsicherheitspolitischen Kapiteln der EU-Verfassung sowie in demvon EU-Außenkommissar Javier Solana in Auftrag gegebenen»European Defence Paper« wird die Notwendigkeit einer militä-rischen Rolle der EU nicht mehr nur mit Konflikten in Europabegründet, sondern mit globalen Herausforderungen und Bedro-hungen. Folglich wird eine weltweite militärische Handlungs-und Interventionsfähigkeit der EU angestrebt.

Doch die Militarisierung der EU-Außenpolitik mit dem Zielder politischen Emanzipation von den USA ist ein kostspieligerund kontraproduktiver Irrweg. Zwar gibt es über die Gesamtkos-ten der Aufrüstungsmaßnahmen, die die EU seit dem Kosovo-krieg von 1999 beschlossen hat, keine offizielle Übersicht. Denndie Finanzierung dieser Maßnahmen erfolgt anteilig über die

nationalen Haushalte der Mitgliedsstaaten und nicht über den

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EU-Haushalt und unterliegt somit keiner Kontrolle durch dasEuropäische Parlament. Aber auch die nationalen Parlamentehaben keine Übersicht über die Gesamtkosten. Unabhängige

Friedens- und Konfliktforscher haben 2002 eine erste Kostenab-schätzung vorgelegt. Sie kamen auf rund 150 Milliarden Eurobis zum Jahr 2012.

Jeder Euro zusätzlich, den die EU bzw. ihre Mitgliedsstaatenfür militärische Zwecke ausgeben, fehlt bei der Finanzierungvon zivilen Instrumenten, Programmen und Personal für diePrävention und Beilegung internationaler Konflikte sowie vonsozialen und anderen wichtigen innerstaatlichen Aufgaben.Doch selbst wenn die EU die seit 1999 beschlossenen Militari-sierungsmaßnahmen aus der Portokasse finanzieren könnte,würde sie damit in dem Bemühen kaum vorankommen, eine Ge-genmacht zu den USA zu bilden. Denn die USA haben bei denmilitärischen Kapazitäten und bei der militärtechnologischenForschung einen gewaltigen Vorsprung vor allen anderen Staa-ten der Erde. Und sie werden ihre militärischen Fähigkeiten in

den nächsten Jahren weiter ausbauen und modernisieren – miteinem Finanzeinsatz, der nach dem Stand von 2004 bei knapp500 Milliarden Dollar jährlich liegt. Das heißt: Die EU würdebei einem Militarisierungswettlauf mit den USA das militärischeMachtgefälle nicht verringern, zugleich aber enorme Ressourcenverschleudern und dadurch auch ihre nichtmilitärischen außen-politischen Handlungsmöglichkeiten einschränken.

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Plädoyer für eine strategische Koalition der willigen Multilateralisten 

Der von Hitlerdeutschland entfesselte Zweite Weltkrieg mitseinen über 50 Millionen Toten war das Hauptmotiv für dieGründung der Organisation der Vereinten Nationen vor 60 Jah-ren. Treibende Kraft hinter dieser ersten wirklich globalen mul-tilateralen Institution waren die USA – wie bereits 1919 bei derSchaffung des Völkerbundes. Die am 24. Oktober 1945 in Kraftgetretene Gründungscharta der UNO formuliert als Hauptzielder Weltorganisation, »künftige Generationen vor der Geißeldes Krieges zu bewahren«. Gemessen an diesem Hauptziel istdie UNO – oder besser: sind ihre inzwischen 191 Mitgliedsstaa-ten – gescheitert. Über 250 bewaffnete Konflikte fanden in denletzten sechs Jahrzehnten statt – oftmals verbunden mit Völker-mord und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen.

Doch ohne die UNO und ihre Bemühungen zur Beilegunggewaltsamer Auseinandersetzungen hätten viele dieser Konfliktenoch länger angedauert, noch mehr Tote und Verwundete gefor-dert und noch mehr Zerstörungen hinterlassen. Ohne die UNOhätte es leicht zu einem dritten Weltkrieg kommen können –möglicherweise sogar unter Einsatz atomarer Waffen. Situatio-nen, in denen die Welt kurz vor dem Abgrund eines atomarenKrieges stand – wie im Oktober 1962 während der Krise um diesowjetischen Raketen auf Kuba –, wurden im UNO-Sicher-heitsrat entschärft. Und ohne die UNO und ihre humanitärenUnterorganisationen wären in den letzten 60 Jahren hunderteMillionen Opfer von Naturkatastrophen, Hungersnöten undgewaltsamen Vertreibungen nicht versorgt worden.

Schließlich bot die UNO den Rahmen für die Vereinbarungzahlreicher internationaler Normen, Regeln und Verträge, u. a.

zu Rüstungskontrolle und Abrüstung, Menschenrechten,

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Umweltschutz und Sozialstandards. Diese Normen, Regeln undVerträge haben die Erde zwar nicht in ein Paradies verwandelt.Aber sie trugen immerhin dazu bei, die Lebensbedingungen für

einen Großteil der inzwischen über sechs Milliarden Erdbewoh-ner zu verbessern.

Seit Ende des Kalten Krieges haben sich die weltpolitischenRahmenbedingungen für eine funktionierende UNO entgegenursprünglich weit verbreiteter Hoffnungen nicht verbessert, son-dern verschlechtert. Die wesentliche, wenn auch nicht einzigeUrsache hierfür ist, dass die USA, das mächtigste und einfluss-reichste Mitglied der UNO, ihre multilaterale Orientierung inden letzten 15 Jahren zunehmend aufgegeben und ihre engdefinierten nationalen Interessen als stärkster globaler Akteurimmer häufiger über das Völkerrecht gestellt haben.

Dabei bedarf es heute einer funktionierenden Weltorganisationmindestens so dringend wie 1945. Unterentwicklung, Aids,Hunger, Umweltzerstörung, Terrorismus, Massenvernichtungs-waffen und die Abhängigkeit von den sehr bald aufgebrauchten

Weltölreserven – das sind heute die zentralen globalen Heraus-forderungen. Die Völker und Staaten dieser Erde werden dieseHerausforderungen – wenn überhaupt – nur durch vermehrte ko-operative Anstrengungen im Rahmen einer durch politische undstrukturelle Reformen gestärkten UNO bewältigen können.

Generalsekretär Kofi Annan unterbreitete den Mitgliedsstaatenim März 2005 umfassende Vorschläge für derartige Reformen.Deren wichtigster Punkt ist – anders als die rot-grüne Koalitionin Berlin in ihren beiden letzten Regierungsjahren stets behaup-tete – keineswegs die Erweiterung des Sicherheitsrates umDeutschland und einige andere Staaten als neue ständige Mit-glieder. Wesentlich sind vielmehr die folgenden Vorschläge:

• eine verbesserte Finanzausstattung der UNO und ihrer Unter-organisationen, damit diese ihr Mandat auch erfüllen können(zum Vergleich: Die Regierungen der 191 UNO-Mitglieds-

staaten gaben 2004 durchschnittlich 1,50 US-Dollar pro

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Erdenbürger für die UNO aus, aber über 150 Dollar für dieBeschaffung neuer Waffen);

• die Schaffung neuer Handlungskompetenzen und Institutio-

nen der UNO in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Umweltsowie beim Friedensaufbau in Nachkriegssituationen;

• eine Reform der Menschenrechtskommission;

• die Verständigung auf neue internationale Normen (u. a.Anti-Terrorismuskonvention, Verantwortung zum Schutz vorVölkermord und anderen gravierenden Menschenrechtsverstö-ßen);

• die Aufwertung und Stärkung der Generalversammlungsowie verbesserte Partizipationsmöglichkeiten für Nichtregie-rungsorganisationen.

Die zügige und möglichst vollständige Umsetzung der Re-formvorschläge von Kofi Annan ist die entscheidende Voraus-setzung für die so dringend notwendige Stärkung der Hand-lungsfähigkeit und mittelfristig für das Überleben dieser einzi-

gen globalen multilateralen Institution.Annan hat seine Vorschläge zu politischen und strukturellenReformen der UNO mit der Aufforderung an die 191 Mitglieds-staaten verknüpft, die im Jahr 2000 von fast sämtlichen Staats-und Regierungschefs beschlossenen »Millenniumsziele« zurHalbierung der weltweiten Armut bis zum Jahr 2015 unter allenUmständen zu erfüllen.

Unter den acht beschlossenen Zielen ist das wichtigste dieZahl der Menschen, die täglich weniger als einen US-Dollar zurVerfügung haben, von über 1,2 Milliarden im Jahre 2000 auf 600 Millionen im Jahre 2015 zurückzuführen.

Generalsekretär Annan ist überzeugt, dass ohne eine Erfüllungwenigstens dieser bescheidenen Ziele inner- und zwischenstaat-liche Konflikte in den nächsten zwei Jahrzehnten überall auf derWelt erheblich eskalieren werden. Auf solche Konflikte könnte

die UNO selbst dann kaum einwirken, wenn all die von Annan

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vorgeschlagenen politischen und strukturellen Reformen derWeltorganisation tatsächlich von der Generalversammlungbeschlossen und umgesetzt würden.

Völlig zu Recht sieht der UNO-Generalsekretär die Hauptver-antwortung für die Umsetzung der Millenniumsziele bei denreichen Industrienationen des Nordens. Entscheidend in diesemZusammenhang wäre es, wenn die Industriestaaten endlich ihrebereits in den siebziger Jahren per Beschluss in der UNO-Generalversammlung eingegangene Verpflichtung umsetzenwürden, ihre öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen auf 0,7Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Bislang habennur Schweden, Norwegen, Dänemark und die Niederlande dieseMarke erreicht oder überschritten. Deutschland lag im Jahr 2004immer noch bei unter 0,3 Prozent. Im März 2005 bezeichneteder damalige Bundesaußenminister Joseph Fischer die »Millen-niumsziele« als »das soziale Minimum in einer globalisiertenWelt« und sagte – wie zuvor bereits Bundeskanzler GerhardSchröder – der UNO zu, die Bundesrepublik Deutschland werde

die 0,7-Prozent-Marke bei den öffentlichen Entwicklungshilfe-zahlungen bis zum Jahr 2015 erreichen.

UNO-Generalsekretär Annan hat in seinem Reformpaketvorgeschlagen, dass sich die Industriestaaten des Nordens »um-gehend« auf folgenden Zeitplan verpflichten: »Spätestens 2006«soll »ein erster deutlicher Schritt der Erhöhung« stattfinden,2009 sollen mindestens 0,5 Prozent erreicht sein und »spätestens2015« dann das Endziel von 0,7 Prozent. Die Entwicklungslän-der fordert Annan auf, noch im Jahre 2005 nationale Strategie-pläne zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen unter den »Millen-niumszielen« vorzulegen. Länder, die dieser Aufforderung nach-kommen, sollten dann spätestens ab 2006 »deutlich erhöhte«Entwicklungshilfegelder von den Industriestaaten erhalten.Schließlich appelliert Annan an die Industriestaaten, ihre Im-portzölle und andere Einfuhrhemmnisse für Produkte aus den 48

nach UNO-Definition »am wenigsten entwickelten Staaten«

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umgehend aufzuheben und »dafür zu sorgen«, dass in der seit2001 laufenden Doha-Verhandlungsrunde der Welthandelsorga-nisation (WTO) die damals gemachten Versprechungen an die

Entwicklungsländer auch tatsächlich erfüllt werden.Auch mit Blick auf die Kontrolle, Abrüstung und Nichtweiter-

verbreitung atomarer, chemischer und biologischer Massenver-nichtungswaffen fordert der UNO-Generalsekretär die 191 Mit-gliedsstaaten auf, ihre zum Teil bereits seit den siebziger Jahrenbestehenden vertraglichen Verpflichtungen endlich zu erfüllenund darüber hinaus die existierenden Verträge zu atomaren undbiologischen Waffen durch Zusatzprotokolle zu stärken.

Für die Umsetzung dieser Forderungen Annans, seiner Vor-schläge zur politischen und strukturellen Reform der UNOsowie der Millenniumsziele gibt es dann eine Chance, wenn sichunter den 191 Mitgliedern der Generalversammlung eine strate-gische »Koalition williger Multilteralisten« zusammenfindet.Eine Koalition, die bereit ist, diese Forderungen, Vorschlägeund Verpflichtungen auch dann umzusetzen, wenn die USA sich

zunächst nicht beteiligen oder sogar ausdrücklich dagegen wen-den. Zu dieser Koalition müssten neben den europäischen Staa-ten erklärte Multilateralisten aus anderen Weltregionen gehörenwie zum Beispiel Kanada, Mexiko, Brasilien, Indien, Südafrika,Ägypten und Australien.

Die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofes, dieVereinbarung des Kyoto-Protokolls zum Klimaschutz sowie dieKonvention zum Verbot von Antipersonenminen – jeweilsdurchgesetzt ohne Beteiligung oder gar gegen den erklärtenWillen der USA sowie teilweise zunächst auch Russlands undChinas – sind drei erfolgreiche Beispiele für derartige Koalitio-nen aus den vergangenen Jahren. In allen drei Fällen bestand dieursprüngliche Koalition zunächst nur aus einer kleinen Minder-heit von rund zwei Dutzend der 191 UNO-Mitgliedsstaaten, die– angetrieben und unterstützt von Nichtregierungsorganisationen

– in der Generalversammlung für ihre Ziele warben. Inzwischen

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haben jeweils über 150 Staaten, also über drei Viertel der UNO-Mitgliedschaft, das Klimaschutz-Protokoll von Kyoto und dasVerbot von Antipersonenminen unterschrieben und ratifiziert

und sind – trotz anhaltenden massiven Gegendrucks aus Wa-shington – dem Internationalen Strafgerichtshof beigetreten.

Die konsequente Weiterverfolgung der Strategie einer dieWeltregionen übergreifenden Koalition williger Multilateralis-ten, die zur Bewältigung der globalen Herausforderungen auf das kollektive System der UNO setzt – das wäre die Alternativezu dem gefährlichen Versuch, eine neue, militärisch definiertemultipolare Machtbalance zu errichten. Eine derartige Koaliti-onsstrategie würde mittelfristig möglicherweise zu einer gewis-sen politischen Isolation der USA führen. Darin liegt länger-fristig jedoch die Chance für eine Veränderung des politischenDiskurses in den USA und für eine Rückbesinnung der amerika-nischen Politik auf die Vorteile einer multilateralen, auf Koope-ration ausgerichteten Politik.

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ANHANG

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richtig und wahr, und die Pflicht, diese Werte gegen Feinde zuverteidigen, ist die gemeinsame Aufgabe aller freiheitsliebendenMenschen überall auf der Welt und zu allen Zeiten.

Die Vereinigten Staaten erfreuen sich gegenwärtig beispiello-ser militärischer Stärke und eines großen wirtschaftlichen undpolitischen Einflusses. Indem wir unserem Erbe und unserenGrundsätzen treu bleiben, nutzen wir unsere Stärke nicht für dieDurchsetzung einseitiger Vorteile. Wir streben hingegen nacheinem Kräftegleichgewicht zu Gunsten menschlicher Freiheit:Bedingungen, die es allen Nationen und Gesellschaften ermögli-chen, für sich selbst den Lohn und die Herausforderungen politi-scher und wirtschaftlicher Freiheit zu wählen. Eine sichere Weltermöglicht es den Menschen, ein besseres Leben zu führen. Wirwerden den Frieden gegen Bedrohungen durch Terroristen undTyrannen verteidigen. Wir werden den Frieden durch den Auf-bau guter Beziehungen zwischen den Großmächten bewahren.Und wir werden Frieden verbreiten, indem wir freie und offeneGesellschaften auf jedem Kontinent fördern.

Die Verteidigung unserer Nation ist die erste und wichtigsteVerpflichtung der Regierung. Diese Aufgabe hat sich jetztdramatisch verändert. In der Vergangenheit benötigten Feindegroße Armeen und umfangreiche industrielle Fähigkeiten, umeine Gefahr für die Vereinigten Staaten darzustellen. Heutzutagekönnen schemenhafte Netzwerke von Einzelpersonen großesChaos und Leid über unser Land bringen – und es kostet sieweniger als einen einzigen Panzer. Terroristen durchdringenoffene Gesellschaften und richten moderne Technologien gegenuns.

Um mit dieser Bedrohung fertig zu werden, müssen wir jegli-ches uns zur Verfügung stehende Mittel anwenden: militärischeMacht, verbesserte innere Sicherheit, Strafverfolgung, nachrich-tendienstliche Tätigkeiten sowie energische Anstrengungen zurUnterbindung des Finanznachschubs für Terroristen.

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Der Krieg gegen weltweit agierende Terroristen ist eine globa-le Unternehmung von ungewisser Dauer. Die VereinigtenStaaten werden Nationen helfen, die im Kampf gegen den

Terrorismus unsere Unterstützung brauchen. Die VereinigtenStaaten werden Länder zur Rechenschaft ziehen, die dem Terro-rismus Vorschub leisten, und solche, die Terroristen Zufluchtgewähren, denn die Verbündeten des Terrors sind die Feinde derZivilisation. Die Vereinigten Staaten und die Länder, die mit unszusammenarbeiten, müssen Terroristen daran hindern, neueBasislager einzurichten. Gemeinsam werden wir danach streben,ihnen jeglichen Zufluchtsort zu verwehren.

In der Verbindung von Radikalismus mit Technologie liegt diegrößte Gefahr für unsere Nation. Unsere Feinde haben offenerklärt, dass sie den Besitz von Massenvernichtungswaffenanstreben, und es gibt Beweise dafür, dass sie dieses Ziel mitEntschlossenheit verfolgen. Die Vereinigten Staaten werden esnicht zulassen, dass solche Bemühungen von Erfolg gekröntwerden. Wir werden uns gegen ballistische Raketen und andere

Waffen schützen. Wir werden mit anderen Nationen zusammen-arbeiten, um es unseren Feinden unmöglich zu machen, gefähr-liche Technologien zu beschaffen. Es ist eine Sache des gesun-den Menschenverstands und der Selbstverteidigung, dass dieVereinigten Staaten gegen solche aufkommenden Bedrohungenvorgehen werden, bevor sie übermächtig werden. Wir könnendie Vereinigten Staaten und unsere Freunde nicht verteidigen,indem wir das Beste hoffen. Daher müssen wir bereit sein, die

Pläne unserer Feinde zunichte zu machen, indem wir uns derbesten Informationsquellen bedienen und mit Bedacht vorgehen.Die Geschichte wird mit denen scharf ins Gericht gehen, diediese Gefahr auf sich zukommen sahen, aber nichts dagegenunternommen haben. In der neuen Welt, in der wir leben, ist dereinzige Weg zu Frieden und Sicherheit der Weg des Handelns.

Bei der Verteidigung des Friedens werden wir auch die histo-

rische Chance ergreifen, den Frieden zu bewahren. Die interna-

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tionale Gemeinschaft hat jetzt die beste Chance seit der Entste-hung der Nationalstaaten im 17. Jahrhundert, eine Welt zuschaffen, in der die Großmächte in Frieden konkurrieren, statt

sich fortwährend auf einen Krieg vorzubereiten. Die Großmäch-te der Welt befinden jetzt sich auf derselben Seite – geeint durchdie gemeinsame Bedrohung durch terroristische Gewalt undChaos. Die Vereinigten Staaten werden auf der Basis diesergemeinsamen Interessen auf die Förderung globaler Sicherheithinarbeiten. Wir werden zunehmend durch gemeinsame Wertegeeint. Russland befindet sich inmitten eines hoffnungsvollenÜbergangsprozesses und strebt eine demokratische Zukunft und

eine Partnerschaft im Krieg gegen den Terrorismus an. In Chinaentdecken führende Politiker, dass wirtschaftliche Freiheit dieeinzige Quelle nationalen Wohlstands ist. Mit der Zeit werdensie feststellen, dass gesellschaftliche und politische Freiheit dieeinzige Quelle nationaler Größe ist. Die Vereinigten Staatenwerden das Streben nach Demokratie und wirtschaftlicherOffenheit in beiden Ländern unterstützen, denn dies sind die

besten Voraussetzungen für innere Stabilität und internationaleOrdnung. Wir werden der Aggression anderer Großmächte mitNachdruck entgegentreten, auch wenn wir ihr friedvollesStreben nach Wohlstand, Handel und kulturellem Fortschrittbegrüßen.

Schließlich werden die Vereinigten Staaten die Gunst derStunde nutzen, um die Vorzüge der Freiheit in der ganzen Weltzu verbreiten. Wir werden uns aktiv dafür einsetzen, die

Hoffnung auf Demokratie, Entwicklung, freie Märkte und freienHandel in jeden Winkel der Erde zu tragen. Die Ereignisse am11. September 2001 haben uns gelehrt, dass schwache Staatenwie Afghanistan eine ebenso große Gefahr für unsere nationalenInteressen darstellen können wie starke Staaten. Armut machtarme Menschen nicht zu Terroristen oder Mördern. Dennochkönnen Armut, schwache Institutionen und Korruption schwa-

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che Staaten anfällig für Terrornetzwerke und Drogenkartellemachen.

Die Vereinigten Staaten werden jedem Land zur Seite stehen,

das entschlossen ist, eine bessere Zukunft zu bauen, indem esdie Früchte der Freiheit für seine Bürger erntet. Freier Handelund freie Märkte haben bewiesen, dass ganze Gesellschaftendurch sie die Armut abschütteln konnten. Die VereinigtenStaaten werden daher mit einzelnen Ländern, ganzen Regionenund allen Handel treibenden Staaten an einer Welt arbeiten, inder in Freiheit Handel betrieben wird und deren Wohlstanddadurch wächst. Im Rahmen des New Millennium ChallengeAccount werden die Vereinigten Staaten solchen Ländern mehrEntwicklungshilfe gewähren, die gerecht regieren, in ihr Volkinvestieren und wirtschaftliche Freiheit fördern. Unser Landwird auch weiterhin bei der Bekämpfung von HIV/AIDS undanderen Infektionskrankheiten eine weltweit führende Rollespielen.

Im Streben nach einem freiheitsorientierten Kräftegleichge-

wicht werden die Vereinigten Staaten von der Überzeugunggeleitet, dass alle Nationen eine wichtige Verantwortung tragen.Freie Nationen müssen Terrorismus aktiv bekämpfen. Nationen,die von internationaler Stabilität abhängig sind, müssen dazubeitragen, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zuverhindern. Nationen, die internationale Hilfe brauchen, müssenselbst weise regiert werden, damit die Unterstützung sinnvollverwendet werden kann. Um sich frei entfalten zu können, istVerantwortungsbewusstsein nötig und wird auch erwartet.

Wir werden auch von der Überzeugung geleitet, dass keinLand allein eine sichere und bessere Welt bauen kann. Bündnis-se und multilaterale Institutionen können die Stärke freiheitslie-bender Nationen vervielfältigen. Die Vereinigten Staaten habensich dauerhaften Institutionen verpflichtet, wie den VereintenNationen, der World Trade Organization, der Organization of 

American States, der NATO und anderen bewährten Bündnis-

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sen. Bündnisse der Willigen können diese beständigen Institu-tionen bestärken. Auf jeden Fall müssen internationale Ver-pflichtungen ernst genommen werden. Man kann ihnen nicht

symbolisch nachkommen und sich für ein Ideal einsetzen, ohnedessen Verwirklichung anzustreben.

Freiheit ist eine nicht verhandelbare Forderung menschlicherWürde, das Geburtsrecht jedes Menschen in jeder Zivilisation.In der Geschichte wurde die Freiheit durch Krieg und Terroris-mus bedroht, sie wurde von den widersprüchlichen Absichtenmächtiger Staaten und den verwerflichen Zielen von Tyrannenin Frage gestellt und durch weit verbreitete Armut und Krank-heiten auf die Probe gestellt. Die Menschheit hat jetzt dieMöglichkeit, den Triumph der Freiheit über all diese Widerstän-de voranzutreiben. Die Vereinigten Staaten begrüßen ihreVerantwortung, bei dieser großartigen Mission eine führendeRolle zu spielen.

Unterschrift [George W. Bush] 

Weißes Haus 

17. September 2002 

Übersicht über die Internationale Strategie der Vereinigten Staaten 

»Die Sache, für die unsere Nation eintritt, war immer größer als

die Verteidigung unserer Nation. Wir kämpfen, wie wir immerkämpfen, für einen gerechten Frieden – einen Frieden, der dieFreiheit begünstigt. Wir werden den Frieden gegen die Bedro-hungen durch Terroristen und Tyrannen verteidigen. Wirwerden den Frieden durch den Aufbau guter Beziehungenzwischen den Großmächten bewahren. Und wir werden denFrieden erweitern, indem wir freie und offene Gesellschaften auf 

 jedem Kontinent fördern.«

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Präsident Bush West Point, New York  

1. Juni 2002 

Die Stärke und der Einfluss der Vereinigten Staaten in der Weltsind beispiellos – und konkurrenzlos. Getragen vom Glauben andie Prinzipien der Freiheit und die Werte einer freien Gesell-schaft, geht diese Position mit beispiellosen Verantwortlich-keiten, Verpflichtungen und Chancen einher. Die große Stärkedieser Nation muss darauf verwendet werden, ein Kräfte-gleichgewicht zu fördern, das Freiheit begünstigt.

Für lange Zeit war die Welt im 20. Jahrhundert durch einengroßen Kampf um Ideen gespalten; destruktive totalitäreVisionen standen gegen Freiheit und Gleichheit.

Dieser große Kampf ist beendet. Die militanten Visionen vonKlassen, Nationen und Rassen, die das Unmögliche versprachenund nur Elend hervorbrachten, sind gescheitert und in Verruf geraten. Die Vereinigten Staaten werden jetzt weniger durch

eroberungslüsterne denn durch scheiternde Staaten bedroht. Wirwerden weniger von Flotten und Heeren bedroht als von kata-strophalen Technologien in den Händen von einigen wenigenVerbitterten. Wir müssen diese gegen unsere Nation, unsereVerbündeten und Freunde gerichteten Bedrohungen besiegen.

Dies ist für die Vereinigten Staaten auch eine Zeit der Chan-cen. Wir werden daran arbeiten, unseren momentanen Einflussin Jahrzehnte des Friedens, des Wohlstands und der Freiheit

umzusetzen.Die amerikanische Nationale Sicherheitsstrategie wird sich auf 

einen ausgeprägten amerikanischen Internationalismus gründen,der die Wertegemeinschaft und unsere nationalen Interessenwiderspiegelt. Es ist das Ziel dieser Strategie, diese Welt nichtnur sicherer, sondern auch besser zu machen. Unsere Ziele auf dem Weg zum Fortschritt sind eindeutig: politische und wirt-

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schaftliche Freiheit, friedliche Beziehungen mit anderen Staatenund die Achtung der Menschenwürde.

Und diesen Weg gehen die Vereinigten Staaten nicht allein. Er

steht allen offen.Um diese Ziele zu erreichen, werden die Vereinigten Staaten:

• sich für das Streben nach Menschenwürde einsetzen;

• Bündnisse stärken, um globalen Terrorismus zu bekämpfenund Angriffen gegen uns und unsere Freunde vorzubeugen;

• gemeinsam mit anderen an der Entschärfung regionalerKonflikte arbeiten;

• ihre Feinde abhalten, sie, ihre Verbündeten und Freunde mitMassenvernichtungswaffen zu bedrohen;

• durch freie Märkte und freien Handel eine neue Ära globalenWirtschaftswachstums auslösen;

• Gesellschaften öffnen und Demokratie fördern und so vieleLänder in den Entwicklungsprozess einbeziehen;

• Pläne für kooperatives Handeln mit anderen wesentlichenZentren der Weltmacht entwickeln; und die amerikanischenInstitutionen nationaler Sicherheit umgestalten, um den Heraus-forderungen und Chancen des 21. Jahrhunderts gerecht zuwerden. ( … )

Die Allianzen gegen den globalen Terrorismus 

stärken und Angriffe gegen uns und unsere Freunde verhindern 

»Nur drei Tage nach diesen Ereignissen verfügen die Amerika-ner noch immer nicht über die Distanz der Geschichte. Dochunsere Verantwortung gegenüber der Geschichte ist bereitsdeutlich: auf diese Angriffe zu antworten und die Welt vom Bö-sen zu befreien. Gegen uns wurde Krieg geführt mit den Mitteln

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der List, der Täuschung und des Mordes. Diese Nation ist fried-voll, aber sie ist erbarmungslos, wenn sie zum Zorn getriebenwird. Der Konflikt wurde zu einer Zeit und unter Bedingungen

begonnen, die andere vorgegeben haben. Er wird in einer Weiseund zu einer Stunde enden, die wir wählen.«

Präsident Bush

Washington, D. C. (The National Cathedral)

14. September 2001 

Die Vereinigten Staaten von Amerika führen einen Krieg gegenglobal agierende Terroristen. Der Feind ist nicht ein einzelnespolitisches Regime oder eine Person oder Religion oder Ideolo-gie. Der Feind heißt Terrorismus – vorsätzliche, politischmotivierte Gewalt, gerichtet gegen Unschuldige.

In vielen Regionen verhindert berechtigter Groll die Heraus-bildung eines dauerhaften Friedens. Solche Klagen sollen undmüssen innerhalb eines politischen Prozesses angegangen

werden. Doch nichts rechtfertigt Terror. Die Vereinigten Staatenwerden gegenüber den Forderungen der Terroristen keinerleiZugeständnisse machen und keine Abkommen mit ihnen schlie-ßen. Wir machen dabei keinen Unterschied zwischen den Terro-risten und jenen, die ihnen wissentlich Unterschlupf bieten oderUnterstützung zukommen lassen.

Der Kampf gegen den globalen Terrorismus unterscheidet sichvon jedem anderen Krieg in unserer Geschichte. Er wird anvielen Fronten und über eine lange Zeitspanne gegen einenbesonders schwer fassbaren Gegner geführt werden. Fortschrittewerden wir durch die stetige Akkumulation von Erfolgenerzielen – manche davon sichtbar, andere unsichtbar.

Unsere Feinde erleben gegenwärtig die Ergebnisse dessen, wasdie zivilisierten Nationen ausrichten können und ausrichtenwerden gegenüber den Regimes, die dem Terrorismus Unter-

schlupf gewähren, ihn unterstützen und benutzen, um ihre

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politischen Ziele zu erreichen. Afghanistan ist befreit worden;die Truppen der Koalition sind weiterhin dabei, die Taliban undal-Qaida zur Strecke zu bringen. Doch dies ist nicht das einzige

Schlachtfeld, auf dem wir die Terroristen angreifen werden.Tausende von ausgebildeten Terroristen sind noch immer auf freiem Fuß und unterhalten Zellen in Nordamerika, Südamerika,Europa, Afrika, dem Mittleren Osten und in ganz Asien.

Unsere Priorität wird sein, die terroristischen Organisationenmit globaler Reichweite zu sprengen und zu zerstören sowie ihreStrukturen anzugreifen: ihre Führung, Kommandostrukturen,Kontrollfunktionen, Kommunikationskanäle, materielle Unter-stützung und Finanzierung. Auf diese Weise wird die Fähigkeitder Terroristen, zu planen und zu operieren, außer Funktiongesetzt.

Wir werden unsere regionalen Partner weiterhin ermutigen,koordinierte Anstrengungen zur Isolierung der Terroristen zuunternehmen. Sobald ein regionaler Zusammenschluss eine Be-drohung für einen bestimmten Staat lokalisiert, werden wir dazu

beitragen, dass dieser Staat die notwendigen militärischen,polizeilichen, politischen und finanziellen Mittel hat, um dieAufgabe zu bewältigen.

Die Vereinigten Staaten werden weiterhin mit ihren Alliiertendaran arbeiten, die Finanzierung des Terrorismus zu unterbin-den. Wir werden die Geldquellen des Terrorismus ausfindigmachen und blockieren, die Vermögen der Terroristen und ihrerUnterstützer einfrieren, den Terroristen den Zugang zum inter-nationalen Finanzsystem verwehren, legitime Wohlfahrtsorgani-sationen vor dem Missbrauch durch Terroristen schützen unddie Umschichtung der Vermögen über alternative finanzielleNetzwerke verhindern.

Diese Kampagne muss nicht der Reihe nach geführt werden,um effektiv zu sein; vielmehr wird der kumulative Effekt derAktivitäten in allen Regionen dazu beitragen, die von uns

gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Wir werden die terroristi-

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schen Organisationen durch folgende Maßnahmen zerschlagenund zerstören:

• direktes und kontinuierliches Handeln, das sich aller Elemen-

te nationaler und internationaler Macht bedient. Unser unmittel-barer Fokus wird auf die terroristischen Organisationen mitglobaler Reichweite gerichtet sein sowie auf alle terroristischenoder staatlichen Sponsoren des Terrorismus, die versuchen, sichMassenvernichtungswaffen oder die Vorprodukte zu beschaffen;

• die Verteidigung der Vereinigten Staaten, des amerikani-schen Volkes und unserer Interessen national wie international,

indem wir die Bedrohung identifizieren und zerstören, bevor sieunsere Grenzen erreicht. Die Vereinigten Staaten werden sichkontinuierlich um die Unterstützung der internationalen Ge-meinschaft bemühen, aber wir werden nicht zögern, notfallsallein zu handeln und unser Recht auf Selbstverteidigung wahr-zunehmen, indem wir präventiv gegen die Terroristen vorgehenund sie davon abhalten, unserem Volk und unserem LandSchaden zuzufügen; und

• wir werden den Terroristen jede weitere Finanzierung, Un-terstützung und Gewährung von Zuflucht verweigern, indem wirdie Staaten überzeugen oder auch zwingen, ihre souveräneVerantwortung wahrzunehmen.

Wir werden außerdem einen Krieg der Ideen führen, um dieSchlacht gegen den internationalen Terrorismus zu gewinnen.Das schließt ein:

• den gesamten Einfluss der Vereinigten Staaten zu nutzen undeng mit den Alliierten und Freunden zusammenzuarbeiten, umdeutlich zu machen, dass alle terroristischen Akte unrechtmäßigsind. Terrorismus soll im selben Licht wie Sklaverei, Piraterieoder Genozid gesehen werden: als Verhalten, das von keinerrespektablen Regierung verziehen oder unterstützt werden kann,und dem sich alle widersetzen müssen;

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• moderate und moderne Regierungen zu unterstützen, insbe-sondere in der muslimischen Welt. Auf diese Weise soll dafürSorge getragen werden, dass die äußeren Bedingungen und

Ideologien, die den Terrorismus fördern, keinerlei Nährboden inirgendeiner Nation finden können;

• die Bedingungen zu unterbinden, die Terrorismus hervor-bringen, indem die internationale Gemeinschaft dazu bewegtwird, ihre Anstrengungen und Ressourcen in den Regionen mitdem höchsten Risiko zu bündeln; und

• effektive öffentliche Diplomatie zu nutzen, um den freien

Fluss von Informationen und Ideen zu fördern. Auf diese Weisewerden die Hoffnung auf Freiheit und das Streben nach ihr inden Menschen entfacht, die in jenen Gesellschaften leben, dievon den Sponsoren des internationalen Terrorismus beherrschtwerden. Obwohl wir anerkennen, dass unsere beste Verteidi-gung in einer guten Offensive besteht, werden wir dennoch dieSicherheit unseres amerikanischen Heimatlandes stärken, um eszu schützen und Angriffe abzuschrecken.

Diese Administration hat die weitestgehende Umstrukturie-rung der Regierung seit der Zeit vorgeschlagen, als die Truman-Administration den Nationalen Sicherheitsrat und das Verteidi-gungsministerium schuf. Mit einem neuen Ministerium für Hei-matschutz als Grundlage sowie einem neuen geeinten Militär-kommando und einer fundamentalen Neuordnung des FBIschließt unser Plan zur umfassenden Sicherung des Heimatlan-des jede Ebene der Regierung und die Kooperation der öffentli-chen und privaten Sektoren ein.

Diese Strategie wird das Unglück in eine Chance verwandeln.So wird beispielsweise das Notfall-Management in den Standgesetzt, nicht allein mit Terrorismus, sondern auch mit anderenGefahren besser umgehen zu können. Unser medizinischesSystem wird derart gestärkt, dass es nicht nur Bioterrorismus,sondern alle infektiösen Krankheiten und Gefahren, die große

Zahlen von Toten fordern, bewältigen kann. Unsere Grenzkon-

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Abhalten unserer Feinde davon, uns, unsere Verbündeten und unsere Freunde mit Massen- vernichtungswaffen zu bedrohen 

»Die größte Gefahr für die Freiheit liegt an der Schnittstelle vonRadikalismus und Technologie. Wenn die Verbreitung che-mischer, biologischer und atomarer Waffen mit Raketentechno-logie – wenn dies eintritt, können selbst schwache Staaten undkleine Gruppen die katastrophale Macht erlangen, großeNationen anzugreifen. Unsere Feinde haben genau diese Absicht

erklärt, und sie wurden bei dem Versuch gestellt, sich dieseschrecklichen Waffen zu beschaffen. Sie wollen die Fähigkeiterlangen, uns zu erpressen oder uns zu verwunden oder unsereFreunde zu verwunden – und wir werden uns ihnen mit allunserer Macht entgegenstellen.«

Präsident Bush West Point, New York  

1. Juni 2001 

Das Wesen der Bedrohung des Kalten Krieges verlangte es vonden Vereinigten Staaten – mit ihren Verbündeten und Freunden–, die Abschreckung der Gewaltanwendung durch den Feind inden Vordergrund zu stellen, was eine unerbittliche Strategie dergegenseitigen gesicherten Zerstörung hervorbrachte. Mit demZusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des Kalten

Krieges hat unser sicherheitspolitisches Umfeld eine grundle-gende Veränderung erfahren. Nachdem die Konfrontation alsKennzeichen unserer Beziehungen zu Russland heute derKooperation gewichen ist, ist die Dividende deutlich sichtbar:das Ende eines Gleichgewichts des Schreckens, das uns trennte;eine historische Verringerung der Nukleararsenale auf beidenSeiten; eine Zusammenarbeit in Bereichen wie Terrorismusbe-kämpfung und Raketenabwehr, was bis vor kurzem undenkbar

war.

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Neue tödliche Herausforderungen gehen heute jedoch vonSchurkenstaaten und Terroristen aus. Keine dieser aktuellenBedrohungen kommt der schieren Zerstörungskraft gleich, die

seitens der Sowjetunion gegen uns gerichtet war. Aber dasWesen und die Beweggründe dieser neuen Gegner, ihre Ent-schlossenheit, Zerstörungskräfte zu erlangen, über die bisher nurdie stärksten Staaten der Welt verfügten, und die höhere Wahr-scheinlichkeit, dass sie Massenvernichtungswaffen gegen unseinsetzen werden, machen die heutige Sicherheitslage komple-xer und gefährlicher.

Die neunziger Jahre sahen das Aufkommen einer kleinen Zahlvon Schurkenstaaten, die, obwohl in wichtigen Punkten ver-schieden, doch einige Gemeinsamkeiten aufweisen. DieseStaaten:

• zeigen brutales Verhalten gegen ihr eigenes Volk und ver-schwenden ihre nationalen Ressourcen zur persönlichenBereicherung der Regierenden;

• missachten das Völkerrecht, bedrohen ihre Nachbarn und

brechen ungerührt internationale Verträge, deren Mitglieder siesind;

• sind dazu entschlossen, Massenvernichtungswaffen undandere hoch entwickelte Militärtechnologie zu erlangen und sieals Drohung oder offensiv zur Durchsetzung der aggressivenPläne ihrer Regime einzusetzen;

• unterstützen Terrorismus weltweit;

• lehnen grundlegende menschliche Werte ab und hassen dieVereinigten Staaten und alles, wofür sie stehen.

Zur Zeit des Golfkrieges erhielten wir unwiderlegbare Bewei-se dafür, dass der Irak seine Pläne nicht auf die chemischenWaffen beschränkt hatte, die er gegen den Iran und gegen seineigenes Volk eingesetzt hatte, sondern dass sie sich auch auf denErwerb von nuklearen und biologischen Waffen erstreckten.

Während des vergangenen Jahrzehnts wurde Nordkorea zum

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weltweit führenden Lieferanten von ballistischen Raketen,testete zunehmend leistungsfähigere Raketen und arbeitete ander Entwicklung eines eigenen Massenvernichtungswaffen-

Arsenals. Andere Schurkenregime versuchen ebenfalls, sich nu-kleare, chemische und biologische Waffen zu verschaffen. DasStreben nach und der globale Handel mit solchen Waffen durchdiese Staaten sind zu einer drohenden Gefahr für alle Nationengeworden.

Wir müssen darauf vorbereitet sein, Schurkenstaaten und ihreterroristischen Klientel aufzuhalten, bevor sie in der Lage sind,die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten und Freundemit Massenvernichtungswaffen zu bedrohen oder sie gegen unseinzusetzen.

Unsere Reaktion muss sich die Vorteile zunutze machen, diesich aus gestärkten Bündnissen, der Bildung neuer Partnerschaf-ten mit früheren Gegnern, Neuerungen beim Einsatz vonMilitärstreitkräften, modernen Technologien einschließlich derEntwicklung eines wirksamen Raketenabwehrsystems und der

stärkeren Betonung geheimdienstlicher Datensammlung und -analyse ergeben.

Unsere umfassende Strategie zur Bekämpfung von Massen-vernichtungswaffen beinhaltet:

Proaktive Bemühungen um Counterproliferation. Wir müssendie Gefahr abschrecken und uns gegen sie verteidigen, bevor sieentfesselt ist. Wir müssen sicherstellen, dass Schlüsselfähigkei-

ten – Aufdeckung, aktive und passive Verteidigung und Gegen-schlagspotenziale – in die Umstrukturierung unserer Verteidi-gung und in unsere Heimatschutz-Systeme eingebunden werden.Counterproliferation muss zudem in die Doktrin, in die Ausbil-dung und die Ausstattung unserer Streitkräfte und die unsererVerbündeten eingebunden werden, um sicherzustellen, dass wirin jedem Konflikt mit Gegnern, die im Besitz von Massenver-nichtungswaffen sind, bestehen können.

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Verstärkte Bemühungen um Nichtverbreitung, um Schurken-staaten und Terroristen davon abzuhalten, sich die für Massen-vernichtungswaffen nötigen Materialien, Technologien und

Expertise zu verschaffen. Wir werden Diplomatie, Rüstungskon-trolle, multilaterale Exportkontrollen und die Hilfe zur Bedro-hungsreduktion so verbessern, dass sie die Staaten und Terro-risten, die sich Massenvernichtungswaffen verschaffen wollen,in ihrem Vorhaben behindern. Außerdem werden wir, wennnötig, relevante Technologien und Materialien abfangen.

Um diese Bemühungen voranzubringen, werden wir auchweiterhin Koalitionen bilden und diese zu verstärkter politischerund finanzieller Unterstützung von Nichtverbreitung undProgrammen zur Bedrohungsreduktion ermuntern. Die kürzlichgetroffene Vereinbarung der G-8, für ein globales Bündnisgegen Proliferation 20 Mrd. US-Dollar bereitzustellen, ist einbedeutender Schritt nach vorn.

Effektives Folgenmanagement zur Reaktion auf die Auswir-kungen eines Einsatzes von Massenvernichtungswaffen, ob

durch Terroristen oder feindliche Staaten. Wenn wir die Aus-wirkungen eines Einsatzes von Massenvernichtungswaffengegen unser Volk so gering wie möglich halten, werden wir jeneabschrecken, die solche Waffen besitzen, und diejenigen vonihrer Absicht abbringen, die sich diese Waffen beschaffenwollen – denn wir werden unsere Feinde davon überzeugen,dass sie ihre angestrebten Ziele nicht erreichen können. DieVereinigten Staaten müssen auch darauf vorbereitet sein, auf dieAuswirkungen eines Einsatzes von Massenvernichtungswaffengegen im Ausland stationierte Truppen zu reagieren sowieFreunden und Verbündeten im Falle eines Angriffs Hilfe zuleisten.

Es hat beinahe ein Jahrzehnt gedauert, bis wir die wahre Naturdieser neuen Bedrohung verstanden hatten. Angesichts der Zielevon Schurkenstaaten und Terroristen können die Vereinigten

Staaten nicht länger allein auf eine reaktive Haltung vertrauen,

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wie es in der Vergangenheit der Fall war. Die Unfähigkeit, einenpotenziellen Angreifer abzuschrecken, die Unmittelbarkeit derheutigen Gefahren und die Größenordnung des potenziellen

Schadens, der aus der Waffenwahl unserer Gegner erwachsenkönnte, lassen diese Option nicht zu. Wir dürfen unsere Feindenicht zuerst zuschlagen lassen.

Während des Kalten Krieges, insbesondere nach der Kuba-Krise, standen wir einem Gegner gegenüber, der im Allgemei-nen dem Erhalt des Status quo zu- und dem Eingehen von Risi-ken abgeneigt war. Abschreckung war eine wirksame Verteidi-gungsstrategie. Es ist jedoch weit weniger wahrscheinlich, dassAbschreckung, die nur auf der Androhung von Vergeltungberuht, auch gegenüber den Führern von Schurkenstaaten wirkt,die eher bereit sind, Risiken einzugehen und dabei das Lebenihrer Bevölkerungen und den Wohlstand ihrer Nationen aufsSpiel zu setzen.

Während des Kalten Krieges wurden Massenvernichtungswaf-fen als Ultima Ratio betrachtet, deren Gebrauch das Risiko der

Vernichtung für diejenigen einschloss, die sie einsetzten. Heutewerden Massenvernichtungswaffen von unseren Feinden als einMittel ihrer Wahl angesehen. Für Schurkenstaaten sind sieWerkzeuge der Einschüchterung und der militärischen Aggres-sion gegen ihre Nachbarn. Sie könnten ihnen den Versuchermöglichen, die Vereinigten Staaten und unsere Verbündetenzu erpressen, um uns von der Abschreckung oder Abwehr desaggressiven Verhaltens von Schurkenstaaten abzuhalten. SolcheStaaten sehen Massenvernichtungswaffen darüber hinaus als ihrbestes Mittel, die konventionelle Überlegenheit der VereinigtenStaaten zu überwinden.

Herkömmliche Abschreckungskonzepte greifen gegenübereinem terroristischen Feind nicht, dessen erklärte Taktikenmutwillige Zerstörung und das Zielen auf Unschuldige sind,dessen so genannte Soldaten das Märtyrertum im Tod suchen

und dessen bester Schutz die Staatenlosigkeit ist. Die Über-

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schneidung zwischen Staaten, die Terrorismus unterstützen, und  jenen, die nach Massenvernichtungswaffen streben, zwingt unszum Handeln.

Jahrhundertelang erkannte das Völkerrecht an, dass Staatennicht erst einen Angriff erleiden müssen, bevor die Verteidigunggegen Streitkräfte, von denen eine unmittelbare Angriffsgefahrausgeht, rechtmäßig ist. Rechtswissenschaftler und Juristen desVölkerrechts banden die Legitimität von Prävention häufig andie Existenz einer unmittelbaren Gefahr – zumeist eine sichtbareMobilisierung von Land-, See- und Luftstreitkräften, die sichauf einen Angriff vorbereiten.

Wir müssen das Konzept der unmittelbaren Bedrohung an dieFähigkeiten und Ziele der heutigen Gegner anpassen. Schurken-staaten und Terroristen wollen uns nicht mit konventionellenWaffen angreifen. Sie wissen, dass solche Angriffe fehlschlagenwürden. Stattdessen greifen sie auf terroristische Akte undpotenziell auf den Einsatz von Massenvernichtungswaffenzurück – Waffen, die leicht verborgen sowie im Geheimen und

ohne Warnung ans Ziel gebracht werden können.Die Ziele dieser Angriffe sind unsere Streitkräfte und unsere

Zivilbevölkerung, was unmittelbar eine der grundlegenden Nor-men des Kriegsvölkerrechts verletzt. Wie die Verluste am 11.September gezeigt haben, sind massenhafte zivile Opfer daserklärte Ziel von Terroristen, und die Verluste wären um einVielfaches höher, wenn Terroristen Massenvernichtungswaffenerwerben und einsetzen würden.

Die Vereinigten Staaten haben sich seit langem die Optionpräventiver Handlungen offen gehalten, um einer hinreichendgroßen Bedrohung der nationalen Sicherheit begegnen zu kön-nen. Je größer die Bedrohung, desto größer das Risiko, das ausTatenlosigkeit erwächst – und desto zwingender das Argumentfür antizipierende Aktionen zur Selbstverteidigung, selbst wennUnsicherheit darüber besteht, wann und wo der Feind angreifen

wird.

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Die Vereinigten Staaten werden nicht in allen Fällen Gewaltanwenden, um aufkommenden Bedrohungen zuvorzukommen,und Staaten sollten Prävention auch nicht als Vorwand für

Aggression benutzen. In einer Zeit aber, in der die Feinde derZivilisation offen und aktiv nach den zerstörerischsten Techno-logien streben, können die Vereinigten Staaten nicht untätigbleiben, wenn die Gefahren zunehmen.

Wir werden immer überlegt vorgehen und dabei die Konse-quenzen unserer Handlungen abwägen. Um präventive Optionenzu unterstützen, werden wir

• bessere, stärker integrierte Geheimdienst-Fähigkeiten auf-bauen, die rechtzeitig akkurate Informationen über Bedrohun-gen, wo immer sie auftauchen mögen, liefern;

• uns eng mit Verbündeten koordinieren, um so zu einer ge-meinsamen Bewertung der gefährlichsten Bedrohungen zugelangen;

• die Umstrukturierung unserer Streitkräfte fortsetzen, umsicherzustellen, dass wir schnelle und präzise Operationendurchführen können, um maßgebliche Ergebnisse zu erzielen.Der Zweck unserer Handlungen wird es immer sein, einespezifische Bedrohung für die Vereinigten Staaten oder unsereVerbündeten und Freunde zu eliminieren. Die Gründe für unsereHandlungen werden eindeutig sein, die Gewalt maßvoll und dieSache gerecht. ( … )

Wir werden im kommenden Jahr und in der darauf folgenden

Zeit schwere Entscheidungen treffen, um das richtige Maß unddie richtige Verteilung der Regierungsausgaben für nationaleSicherheit zu gewährleisten. Die Regierung der VereinigtenStaaten muss ihre Verteidigung stärken, um diesen Krieg zugewinnen.

Die oberste Priorität zu Hause muss sein, die Heimat für dasamerikanische Volk zu schützen.

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Die Grenze zwischen innen- und außenpolitischen Fragenverwischt zusehends. In einer globalisierten Welt haben Ereig-nisse jenseits von Amerikas Grenzen größere Auswirkungen in

ihrem Innern. Unsere Gesellschaft muss für Menschen, Ideenund Güter aus der ganzen Welt offen sein. Die Dinge, die wiram meisten schätzen – unsere Freiheit, unsere Städte, unsereTransportsysteme und das moderne Leben –, sind durch Terro-rismus verwundbar. Diese Verwundbarkeit wird noch langebestehen bleiben, nachdem wir die der Gerechtigkeit zugeführthaben, die für die Anschläge vom 11. September verantwortlichsind. Mit der Zeit könnten Einzelne Zugang zu Mitteln der Zer-

störung erhalten, über die bisher nur Armeen, Flotten undFliegerstaffeln verfügen konnten. Dies sind neue Lebensbedin-gungen. Wir werden uns ihnen anpassen und weiter gedeihen –ihnen zum Trotz.

Bei der Wahrnehmung unserer Führungsrolle werden wir dieWerte, Urteile und Interessen unserer Freunde und Partnerrespektieren. Wir werden jedoch bereit sein, allein zu handeln,

wenn unsere Interessen und besondere Verantwortung dieserfordern. Bei Uneinigkeiten über Einzelheiten werden wir dieGründe für unsere Anliegen deutlich erklären und uns bemühen,brauchbare Alternativen zu entwickeln. Wir werden es nichtzulassen, dass solche Uneinigkeiten unsere Entschlossenheitverschleiern, gemeinsam mit unseren Verbündeten und Freun-den unsere geteilten fundamentalen Interessen und Werte zusichern.

Letztendlich liegt die Grundlage für die amerikanische Stärkeim eigenen Land. Sie liegt in den Fähigkeiten unseres Volkes,der Dynamik unserer Ökonomie und der Stabilität unsererInstitutionen. Einer vielseitigen, modernen Gesellschaft wohnteine eigene ehrgeizige, unternehmerische Energie inne. UnsereStärke kommt aus dem, was wir mit dieser Energie tun. Hierbeginnt unsere nationale Sicherheit.

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Anhang 2 Die Energieversorgung der Großmächte 

in den kommenden 25 Jahren: mögliche Auswirkungen auf die Geopolitik 

Von Walter Haffner

Walter Haffner, seit Anfang 2005 stellvertretender Botschafterder Schweiz in Berlin, war zuvor als stellvertretender Leiter des»Zentrums für Analyse und prospektive Studien« im SchweizerAußenministerium mit Fragen der internationalen Energiepolitikbefasst. Die nachfolgende Analyse berücksichtigt alle relevantenDaten und Entwicklungen bis Mitte Februar 2005.

Zusammenfassung Wie wird sich die Energieversorgung der Großmächte im erstenViertel des 21. Jahrhunderts entwickeln und welche Perspekti-ven ergeben sich daraus für die Geopolitik?1 

Das weltweite Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum wirdden globalen Energiebedarf bis 2015 um rund 30 Prozent undbis 2025 um rund 50 Prozent des heutigen Verbrauchs erhöhen.Der rapide zunehmende Energiebedarf Chinas und Indiens hatzur Folge, dass Asien gegen 50 Prozent des für die nächsten 20Jahre prognostizierten Energiezuwachses in Anspruch nehmenwird.

1 Der Autor dankt Jean-Christophe Füeg vom Bundesamt für Energie herzlichfür seine wichtigen Korrekturen und hilfreichen Anmerkungen zu diesem

Bericht.

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Vorab aus wirtschaftlichen Überlegungen wird die weltweiteZunahme des Energiekonsums hauptsächlich durch fossile

Brennstoffe gedeckt werden. Die dafür notwendigen Reservenan Erdöl, Erdgas und Kohle scheinen mengenmäßig gemäßPrognosen der Internationalen Energieagentur (IEA) bis ins Jahr2030 gesichert. Risiken in Bezug auf eine ununterbrocheneEnergieversorgung sieht die IEA lediglich bezüglich Förder-und Transportkapazitäten, Preisentwicklung sowie bezüglichpolitischer Stabilität der Förder- und Transitregionen. Die IEAgeht davon aus, dass die OPEC-Staaten des Mittleren Ostens bis2030 über 50 Mio. Barrel Erdöl pro Tag liefern werden.

Bei genauerem Hinschauen zeigt sich, dass mit »MittlererOsten« in Zukunft eigentlich nur zwei Länder gemeint seinkönnen: Saudi-Arabien und Irak. Wenn kritische Experten Rechtbekommen und diese zwei Staaten bis 2030 die Verdoppelungihrer Produktion auf je 15 bis 20 Mio. Barrel pro Tag nichtschaffen, fällt das zuversichtliche Szenario der IEA für die

Deckung des steigenden Energiekonsums aus fossilen Brenn-stoffen wie ein Kartenhaus zusammen.

Vor allem die rasant wachsenden Volkswirtschaften Chinasund Indiens würde eine solche Entwicklung vor massiveProbleme stellen oder ihr Wachstum sogar zum Stillstandbringen. Auch die anderen Großkonsumenten (USA, Japan, EU)und die weltweite Energieversorgung – insbesondere auch inden finanzschwachen Entwicklungs- und Schwellenländern –würden unter diesen Vorzeichen in eine gravierende Kriseschlittern.

Aber auch wenn sich das optimistische Produktionsszenarioder IEA als realistisch erweisen sollte, wird das Streben nachEnergieversorgungssicherheit die geopolitische Landschaft derkommenden 25 Jahre verändern. Die rasch wachsende Import-abhängigkeit der asiatischen Großmächte von der Erdölproduk-

tion des Mittleren Ostens dürfte angesichts des daraus resultie-

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renden langfristigen Interesses an stabilen Verhältnissen früheroder später eine aktivere Rolle dieser Mächte in dieser Krisenre-gion nach sich ziehen. Europa kann bezüglich Energieversor-

gung seit 1945 als »Trittbrettfahrer« der US-Mittelostpolitikbetrachtet werden und sollte die sich abzeichnende teilweise»Abkehr« der USA von Saudi-Arabien sowie das bevorstehendestärkere Engagement Chinas in der Region Mittlerer Ostenaufmerksam verfolgen.

Meinungsverschiedenheiten bis hin zu Konfrontationen zwi-schen den asiatischen Großmächten – bzw. zwischen ihnen undden USA – wegen Energieressourcen sind in Zukunft nichtauszuschließen. Vor allem dann nicht, wenn es früher als vonder IEA erwartet zu Versorgungsengpässen kommt. Die immerstärker ausgeprägte Symbiose im Energiebereich zwischen derEU und der Russischen Föderation dürfte das Interesse der EUan einer stabilen wirtschaftlichen und politischen EntwicklungRusslands und den Einbezug des großen Nachbarn in dieeuropäische Sicherheitsarchitektur in den kommenden Jahrzehn-

ten zu einem Kernanliegen der europäischen Außen- undSicherheitspolitik machen.

Dem Iran als einem der größten Erdölproduzenten und demLand mit den (nach Russland) weltweit zweitgrößten Gasreser-ven wird in den kommenden Jahrzehnten eine Schlüsselrolle auf dem strategischen Energiesektor zukommen. Unter Berücksich-tigung der zweifelhaften Aussichten bezüglich der künftigenFörderkapazitäten Saudi-Arabiens und des Irak stellt sich dieFrage, wie lange es sich der Westen – insbesondere die USA –noch leisten können, dieses für die weltweite Energieversorgungso wichtige Land zu isolieren.

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Einleitung 

Die nachfolgenden Perspektiven stützen sich hauptsächlich auf das Referenzszenario der Internationalen Energieagentur (IEA).Bei solchen Szenarien handelt es sich vereinfacht gesagt um dieExtrapolation heutiger Trends, ohne signifikante politische,wirtschaftliche oder technologische Veränderungen oder Wen-depunkte einzubeziehen. Die IEA leitet aus ihrem Referenzsze-nario etliche Aussagen ab, u. a. dass die CO2-Konzentration unddie Mittelost-Abhängigkeit beim Erdöl wahrhaftig Besorgnis

erregende Ausmaße annehmen werden. Welche Konsequenzendie Politik daraus ziehen kann oder sollte, wird nur fallweisebesprochen (z.B. Alternativszenario zur effektiven Umsetzungklimapolitischer Maßnahmen). Bei vielen dem Referenzszenariozugrunde liegenden Annahmen sind schon heute Anzeicheneiner gewissen Kursänderung zu beobachten (z. B. Hoch-Öl-preis-Szenario, Meinungsumschwung zugunsten Kernkraft inEuropa und USA, langsameres Erdgas-Wachstum und Kohle-

Comeback), doch ist es noch zu früh, diese Anzeichen zumodellisieren.

Der weltweite Energiekonsum wird in den kommenden Jahr-zehnten vor allem durch den wirtschaftlichen Aufschwung vonSchwellen- und Entwicklungsländern stark anwachsen.2 Dasweltweite Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum wird denglobalen Energiebedarf bis 2015 um rund 30 Prozent und bis

2025 um rund 50 Prozent des heutigen Verbrauchs erhöhen. Der

2 Die traditionellen Industrien sowie der Transportsektor werden zwarzunehmend effizienter in ihrem Energieverbrauch, und der am stärkstenwachsende Sektor der Weltwirtschaft, der Dienstleistungsbereich, ist wenigerenergieintensiv als die wirtschaftlichen Aktivitäten, die er ersetzt. Effizienz-gewinne und Verlagerungsprozesse in weniger energieintensive Wirtschafts-sektoren werden das Wachstum der Energienachfrage aber nur leicht

abflachen.

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weitaus größte Teil der zusätzlichen Energie wird vorab ausKostengründen aus Kohlenwasserstoffen stammen.

Die dafür notwendigen weltweiten Reserven an Erdöl, Erdgas

und Kohle scheinen mengenmäßig gemäß Prognosen der IEAbis ins Jahr 2030 gesichert. Risiken in Bezug auf eine ununter-brochene Energieversorgung bestehen jedoch bezüglich Förder-und Transportkapazitäten (wenn nicht rechtzeitig die notwendi-gen Investitionen getätigt werden)3, Preisentwicklung sowiebezüglich politischer Stabilität der Förder- und Transitregionenund -staaten. Auch die Unterbrechung von Pipelines und Schiff-fahrtsrouten durch gewalttätige Konflikte oder terroristischeAnschläge ist eine ständige Bedrohung der Energieversorgungs-sicherheit.

Der Wettstreit um die begrenzt vorhandenen fossilen Ressour-cen wird so oder so in den kommenden Jahrzehnten ein treiben-der Faktor der Geopolitik sein, dem immer größere Bedeutungzukommen wird.4 

Das vorliegende Papier befasst sich mit der Frage, wie die

Energieversorgung der Großmächte im ersten Viertel des 21.Jahrhunderts aufgrund ihrer spezifischen Ausgangslage undPerspektiven aussehen könnte und was sich daraus eventuell fürSchlüsse auf die Entwicklung der Geopolitik ziehen lassen. Der

3 Die Finanzierung der notwendigen Investitionen ist eine große Heraus-forderung für die Weltwirtschaft. Die IEA geht davon aus, dass bis 2030

  jedes Jahr über 500 Mrd. US-Dollar und insgesamt 16.000 Mrd. US-Dollaraufgewendet werden müssen, um die notwendigen Investitionen zu tätigen.Das globale Finanzsystem sei zwar grundsätzlich in der Lage, diese Aufgabezu lösen, doch es werde dazu nur bereit sein, wenn die äußeren Bedingungen(politische Rahmenbedingungen in den Investitionsländern) stimmen. 

4 Als Beispiel sei hier stellvertretend für viele andere der Bericht »GlobalTrends 2020« des National Intelligence Council (NIC) genannt, dergegenüber seinen 1997 und 2000 verfassten Vorgängerstudien ( »GlobalTrends« 2010 und 2015) der Energieversorgung einen weit größeren

Stellenwert als »Driver« für die geopolitische Entwicklung beimisst. 

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Fokus liegt dabei klar auf der Versorgung mit fossilen Energie-trägern und den damit verbundenen Abhängigkeiten und gegen-seitigen Beeinflussungen von Produzenten- und Konsumenten-

staaten bzw. -regionen. Andere für die Energieversorgung eben-falls sehr wichtige Faktoren, wie etwa Fragen der Energie-effizienz, der technologischen Entwicklung, der Energiebesteue-rung, des elementaren Zielkonfliktes zwischen Energie- undUmweltpolitik oder der möglichen Auswirkungen internationa-ler Vereinbarungen (z. B. Kyoto-Protokoll) werden nicht odernur am Rande behandelt. Die Studie beschränkt sich außerdemauf das Handeln staatlicher Akteure – im Wissen, dass gerade

im Energiesektor nichtstaatliche Akteure (multinationale Erdöl-und Erdgaskonzerne) oder internationale Organisationen (wieetwa die OPEC im Erdölsektor) eine zentrale Rolle spielen.Ebenfalls nicht oder nur am Rande in die Studie einbezogenwerden Auswirkungen geopolitischer Verwerfungen – wie etwader Konflikt zwischen Israel und Palästinensern oder das Pattzwischen den USA und Iran –, obwohl sie die Energieversor-

gung und die Energiepolitik der Großmächte stark beeinflussen.Das Konfliktpotenzial im Energiesektor besteht hauptsächlichaus Verteilungskonflikten, wenn auch andere Konfliktarten –wie etwa die Akzeptanzprobleme bei der friedlichen Nutzungder Nuklearenergie oder die Vereinbarkeit von Energiepolitikund Umweltpolitik – von großer Bedeutung sein können. DerVerteilungskonflikt um die nicht erneuerbaren Energien ist seitder Industrialisierung eine konstante Ursache internationaler

Spannungen und Konflikte. Noch im 19. und 20. Jahrhundertwaren die Auseinandersetzungen um die Kohle zwischenDeutschland und Frankreich virulent. Die uns heute banalerscheinende Verbindung geopolitischer Strategien mit demErdöl als Hauptenergiequelle ist hingegen eine relativ neueErscheinung.

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Vor dem Zweiten Weltkrieg stand die Kohle in den industriali-sierten Staaten – mit Ausnahme der USA, die schon in derZwischenkriegszeit auf Erdöl umgestellt hatte – als Hauptener-

gielieferant im Vordergrund. Erst die strategische Entscheidungder Alliierten, den Wiederaufbau Europas mit Erdöl anstattKohle voranzutreiben, machte das Erdöl zum politischen Faktor,indem die Erschließung und politisch-militärische Sicherungneuer Ölquellen notwendig wurde.5 Der Mittlere Osten mitseinen weltweit größten Erdölvorkommen rückte mit einemSchlag in den Fokus der Industrienationen und somit ins grelleRampenlicht der Weltpolitik. Die Ölkrisen der siebziger Jahre

haben die Abhängigkeit der industrialisierten Welt mit ihremstetig steigenden Energiebedarf von dieser Weltregion aufge-zeigt. Im letzten Viertel des 20. und zu Beginn des 21.Jahrhunderts hat die lange Zeit hauptsächlich aus nationalerOptik geführte Energiepolitik im Rahmen der Globalisierungdurch die miteinander verknüpften Themen der Umweltver-schmutzung (Klimaerwärmung) und des Grabens zwischen Arm

und Reich (Armutsbekämpfung) globale Dimensionen erhalten,welche die weltweite Energieversorgung zu einem der wichtigs-ten Leitmotive der Außenpolitik machen.

1. Entwicklungsperspektiven der wichtigsten Energieträger 

Aufgeteilt auf die einzelnen konventionellen Energieträger wirdder heutige Gesamt-Energieverbrauch zu 36 Prozent aus Erdöl,zu 23 Prozent aus Kohle, zu 21 Prozent aus Erdgas, zu 11Prozent aus Biomasse/Abfällen, zu etwas über 6 Prozent aus

5 Als Illustration dafür sei daran erinnert, dass vor dem Zweiten Weltkrieg dieUSA 90 Prozent des europäischen Ölbedarfs abdeckten, bereits 1948 aberzum ersten Mal in ihrer Geschichte ein Netto-Erdölimporteur wurden.

Leonardo Maugeri: »Not in Oil’s Name«, in: Foreign Affairs 4/2003, Vol. 82

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Kernkraft und zu rund 2 Prozent aus Wasserkraft abgedeckt.Alternative erneuerbare Energien (Windenergie, Solarenergie,Erdwärme etc.) decken hingegen erst etwa 1 Prozent des

weltweiten Energiebedarfs ab.Rund 80 Prozent der kommerziell produzierten Energie

stammt somit aus den Kohlenwasserstoffen Erdöl, Kohle undErdgas. Aufgeteilt auf diese drei wichtigsten Energieträger sindbis 2030 folgende Entwicklungen absehbar:

Erdöl wird bei einer jährlichen Bedarfszunahme von 1,6Prozent (bei einem Niedrigpreisszenario; niedrigeres Wachstum

beim Hochpreisszenario) der wichtigste Energieträger bleiben.Der größte Teil der steigenden Nachfrage (rund 60 Prozent)wird aus den Asien (+17,5 Mio. Barrel/Tag) und USA (+6,9Mio. Barrel/Tag) stammen und der größte Teil der zusätzlichenProduktion aus der OPEC – und innerhalb der OPEC aus demMittleren Osten.

Erdgas wird über die kommenden drei Jahrzehnte die größtenZuwachsraten aufweisen und die Kohle als zweitwichtigsten

Energielieferanten ablösen. Der Großteil des zusätzlichen Gas-bedarfs wird (in dieser Reihenfolge) aus der GUS, Mittelost,Asien, Afrika und Lateinamerika stammen und der größte Teildes zusätzlich produzierten Erdgases aus der GUS und demMittleren Osten (2030 GUS rund ein Viertel, Mittelost rund einFünftel der weltweiten Gasproduktion), der Rest mehr oderweniger gleichmäßig verteilt aus Asien, Afrika und Lateiname-rika und Europa (Nordamerika wird immer noch zweitgrößterProduzent sein).

Kohle wird mit jährlichen Zuwachsraten von 1,5 Prozent imJahre 2025 immer noch rund ein Viertel des weltweiten Ener-giekonsums ausmachen. Weitaus am stärksten wird der Kohle-konsum in Asien anwachsen, wobei 70 Prozent des asiatischenMehrkonsums auf China und Indien entfallen werden. Dergrößte Zuwachs in der Kohleproduktion wird in Asien erfolgen,

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wo 2030 mehr als die Hälfte der weltweiten Kohleproduktionerfolgen wird.

In den meisten Energieszenarien wird davon ausgegangen,

dass der Anteil der Nuklearenergie an der Gesamtenergiepro-duktion (heute über 6 Prozent) mittel- und langfristig rückläufigist und im Jahr 2030 schätzungsweise nur noch bei rund 4Prozent liegen dürfte. Diese Einschätzung geht von der Überle-gung aus, dass die erste Generation der Atomkraftwerke sichdem Ende ihrer natürlichen Betriebsphase nähert und neueKernkraftwerke vorab in Europa wegen mangelnder politischerAkzeptanz und Kostenrisiko (sehr hohe Initialkosten) kaumnoch geplant werden. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass inEuropa und den USA ein Meinungsumschwung zugunsten derNuklearenergie durchaus denkbar ist. Die IEA geht davon aus,dass bis 2030 weltweit am meisten neue Kernreaktoren inEuropa gebaut werden, doch wird dies kaum zur Kenntnisgenommen, weil diese bestehende, alternde Reaktoren ersetzenwerden und nicht wie anderswo Netto-Zusatzkapazität erbrin-

gen. In den Entwicklungs- und Schwellenländern und inRussland ist die Netto-Produktion von Nuklearenergie nochimmer im Steigen begriffen – vor allem in den asiatischenEntwicklungsregionen, die 96 Prozent des Zuwachses derNuklearenergie in den Entwicklungsländern produzieren werden(zuvorderst stehen China und Indien).

Fazit 

Trotz aller Bemühungen um die Förderung von erneuerbarenEnergien wird der enorme Zuwachs am Weltenergiekonsum inden kommenden 25 Jahren – vorab aus wirtschaftlichen Überle-gungen – vor allem durch fossile Brennstoffe gedeckt werdenmüssen. Das Erdöl wird dabei seinen Spitzenplatz behaupten,und das Erdgas wird die Kohle schon 2010 als zweitwichtigsterEnergieträger abgelöst haben, obwohl diese ihre große Bedeu-

tung – vorab für die Stromproduktion in den Entwicklungslän-

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dern – behaupten wird. Trotz großer Entwicklungsprojekte z. B.in Zentralasien (Kaspisches Meer), in Trinidad und in Indone-sien wird somit der weitaus größte Anteil am Welthandel mit

Erdöl und Erdgas (gemäß IEA-Schätzungen über 80 Prozent desWelthandels im Jahre 2015) auch in Zukunft aus lediglich dreiRegionen stammen: aus dem Mittleren Osten, aus Russland undaus Afrika.

2. Unterschiedliche Ausgangslagen und Strate- gien der Großverbraucher 

Vorbemerkung: Die vorliegende Analyse beschränkt sich auf dieEnergieversorgung der größten Energieverbraucher, die gleich-zeitig den Status regionaler Großmächte haben oder bean-spruchen. Dabei würde natürlich auch Russland als weltweitdrittgrößtem Energieverbraucher ein eigenes Kapitel zukom-men. Russland, das über die weltweit größten Gasreserven und

die siebtgrößten Erdölreserven verfügt, ist aber gleichzeitig derweltweit größte Gasproduzent und der zweitgrößte – zeitweisesogar größte – Ölproduzent und somit ein Sonderfall unter denGroßverbrauchern, indem es auf dem Energiemarkt praktischnur als Anbieter auftritt. In dieser Rolle wird es im vorliegendenPapier auch behandelt.

2.1 USAEnergieversorgungssicherheit war stets ein fundamentaler Fak-tor für die Wohlfahrt und Sicherheit des amerikanischen Staates.Mit Beginn der industriellen Erdölförderung Mitte des 19.Jahrhunderts stand zuerst der Verteilungskonflikt auf nationalerEbene im Vordergrund, den der Bundesstaat gegenüber denerdölreichen Gliedstaaten und den Ölgesellschaften relativ rasch

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zu seinen Gunsten entschied. Vor dem Zweiten Weltkriegdeckten die USA 90 Prozent des – damals im Vergleich zumKohlebedarf natürlich noch relativ geringen – europäischen

Ölbedarfs ab. Bereits 1948 waren die USA aber zum ersten Malin ihrer Geschichte ein Netto-Erdölimporteur, und von diesemMoment an war die Energieversorgungssicherheit stets ein be-stimmender Faktor der US-Außenpolitik. Auf dem Hintergrundder Tatsache, dass die unangefochtene militärische und wirt-schaftliche Weltmacht USA heute als weltweit größter Netto-Erdölimporteur mehr als ein Viertel der weltweit gefördertenErdölmenge konsumiert6 – und auch die Autarkie in der

Erdgasversorgung zu Ende geht –, hat diese lapidare Feststel-lung weitreichende Folgen für die internationale Politik.

In den USA fehlt bis jetzt der politische Wille zu einer lang-fristigen, nachhaltigen Energiepolitik, die auch der Energienach-frage (Energieeffizienz und -einsparungen) und den erneuerba-ren Energien Priorität gibt. Der Importanteil des amerikanischenErdölkonsums liegt heute bei 55 Prozent. Bis 2020 dürfte der

Importanteil auf 65 Prozent anwachsen. Weil bis zu diesemZeitpunkt auch der absolute Gesamtverbrauch wesentlich wach-sen wird, dürften die USA schon 2020 rund 60 Prozent mehrErdöl als heute importieren müssen. Entsprechend sind dieamerikanischen Bemühungen im Energiesektor schwerpunkt-mäßig auf die Erhaltung der Energie-Versorgungssicherheitdurch die wirtschaftliche und militärische Sicherung genügenderund bezüglich Herkunftsregionen möglichst diversifizierter

Rohstoffzufuhren ausgerichtet.Die von US-Analysten geforderte vernetzte Langzeitstrategie,

welche die mittel- und langfristige Sicherung der nationalenEnergieversorgung mit der globalen Umweltproblematik undder weltweiten Armutsbekämpfung verknüpft und den USA –

6 Rund 20 Mio. Barrel Erdöl pro Tag von knapp 80 Mio. Barrel, die täglich

gefördert werden

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im ureigenen nationalen Interesse – die Wahrnehmung ihrerFührungsrolle auf diesen zentralen Gebieten nahe legt (Kyoto-Protokoll, Doha-Prozess), ist noch nirgends in Sicht. Das

wegweisende Dokument, das die Sicherung des wachsendenEnergiebedarfs der USA über die nächsten 25 Jahre zum Inhalthat, ist der im Mai 2001 vorgelegte Bericht der National EnergyPolicy Group (nach seinem Hauptverfasser »Cheney-Report«genannt).

Die USA haben seit den Ölkrisen konsequent darauf hinge-wirkt, ihre Mittelost-Importe auf andere Quellen zu diversifi-zieren, und es ist ihnen, zumindest was die Anteile betrifft,gelungen. Der Cheney-Report fordert für die USA »so viel Ölaus Nicht-Mittelost wie nur möglich, so wenig Öl aus Mittelostwie notwendig«. Dies soll durch vermehrte Direktinvestitionenin die Förderkapazitäten der befreundeten Länder und anderer-seits durch weitere Diversifizierung der Erdölimporte erreichtwerden. Kolumbien, Mexiko und Venezuela werden weiterhinwichtige Lieferanten für die USA bleiben.

Die amerikanischen Diversifizierungsbemühungen zielen vorallem in Richtung Kaspisches Meer (insbesondere Aserbai-dschan und Kasachstan), Afrika (insbesondere Angola und neuauch Offshore-Vorkommen im Golf von Guinea). Neue Quellenin Westafrika sind vor allem Tiefsee-Erdöl in bestehenden Pro-duzenten-Ländern sowie neuen Ländern (Equatorial-Guinea,Sao Tomé, Elfenbeinküste, künftig Mauretanien) und »inländi-sches« Öl (Tschad). Wichtig sind auch Bemühungen um neueFörderung in Nordamerika (kanadische Arktis, Alaska, US-Naturreservate inkl. Westküste Floridas).

Beim Erdgas könnte Russland mit dem geplanten Flüssiggas-Terminal in Murmansk ein Gaslieferant für die USA werden,genauso wie bald Norwegen mit dem Snovhit-Projekt in derNähe des Nordkaps. Für Flüssiggas bieten sich Nigeria undkünftig Angola an.

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Ein neue Dreifaltigkeit der US-Außenpolitik? 

Seit dem 11. September 2001 sind die USA so demonstrativ mitdem weltweit geführten Krieg gegen den Terrorismus beschäf-tigt, dass zwei konstante Prioritäten der US-Außenpolitik etwasin den Hintergrund getreten sind. Die Regierung Bush hat seitihrem Einzug ins Weiße Haus die Modernisierung und Erweite-rung des militärischen Potenzials der USA und die langfristigeSicherung der Zufuhr von genügend Rohöl mit konstanterIntensität und Beharrlichkeit verfolgt. Beide Ziele waren

ursprünglich voneinander unabhängig, sie sind aber inzwischenmiteinander und mit dem Kampf gegen den Terrorismus engverflochten und können durchaus als einheitliches strategischesKonzept der US-Außenpolitik bezeichnet werden7, dessenUmsetzung sich an der US-Außen- und Sicherheitspolitik derletzten Jahre ablesen lässt.

Im Bewusstsein, dass die aktuelle Verteilung der US-Streitkräfte mit Schwerpunkten in Westeuropa und Nordostasien

zum großen Teil noch auf den strategischen Vorgaben desKalten Krieges beruht, ist die Bush-Administration dabei, dieRedislozierung der US-Streitkräfte zu überprüfen. Die grund-sätzliche Ausrichtung der sich dabei abzeichnenden Strategie ist bereits klar erkennbar: Westeuropa hat gegenüber dem Schwar-zen Meer, dem Kaukasus, dem Kaspischen Meer, Zentralasienund Afrika klar an Bedeutung verloren. Diese Neuausrichtung

spiegelt zunächst einmal die veränderte Sicherheitslage nach derNATO-Osterweiterung. Hinter dem gestiegenen Interesse amKaukasus, an Zentralasien und an Afrika steht aber neben demKampf gegen den islamischen Terrorismus eindeutig auch dasBestreben der USA nach einer militärisch abgesicherten größe-

 7 Michael T. Klare, »Zeitalter der US-Hegemonie«, in: Le Monde

diplomatique, 15.11.2002

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ren Diversifizierung ihrer Energieversorgung. Die Redislozie-rung der US-Truppen dürfte frühestens Ende 2006 beginnen.

2.2 China 

China deckt heute noch fast 60 Prozent seines Energiebedarfsdurch einheimische Kohle ab, ist jedoch dabei, seine relativeAbhängigkeit von Kohle vor allem aus Umweltgründen zureduzieren. Kohle wird vornehmlich für Verstromung einge-setzt. Als Alternativen werden Erdgas, Kern- und Wasserkraft

sowie erneuerbare Energien gefördert, wobei diese den Anteilvon Kohle nur leicht mindern, Kohle aber keinesfalls ersetzenwerden.

Nachdem China erst 1993 zum Netto-Ölimporteur wurde,überholte es 2003 Japan bereits als weltweit zweitgrößter Impor-teur. Seine Erdölimporte werden bis 2030 um ca. 400 Prozent(von rund 2,5 auf 10 Mio. Barrel pro Tag) ansteigen. Erdgasim-

porte sollen 2005 beginnen und 2030 ca. 40 Mrd. Kubikmetererreichen (bei einer Gesamtnachfrage von etwa 157 Mrd.Kubikmeter). Schon ums Jahr 2020 dürfte China das Dreifacheseiner eigenen Erdölproduktion importieren und 2030 insgesamtso viel Erdöl importieren wie die USA heute. Der weitaus größteTeil der Erdöl- und Erdgasimporte (gegen 90 Prozent für Erdöl,weniger für Erdgas) dürfte aus der Golfregion stammen.

Die Kohle wird weiterhin eine bedeutende Rolle für die Ener-

gieversorgung Chinas spielen – mit den damit einhergehendenUmweltproblemen. Sogar bei der Kohle (China ist weltweit dergrößte Kohleproduzent) könnte China bei gewissen Qualitätenmittelfristig zum Nettoimporteur werden. Längerfristig rechnetman jedoch kaum mit massiven Einfuhren.

Chinas doppelte Energiepolitik zielt einerseits auf eine geo-graphische Diversifizierung seiner Importe (Russland/Zentral-

asien, Mittelost [vor allem Iran], Afrika [Sudan, Nordafrika,

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Venezuela und andere]) und andererseits auf eine konsequenteFörderung seiner maritimen und Handelsinteressen. Bisher ist esChina jedoch nicht nachhaltig gelungen, die geopolitisch nahe

liegende Erschließung der enormen Erdöl- und GasreservenRusslands und Zentralasiens für seine Importe zu realisieren.Momentan scheint für China deshalb der Weg in eine starkeAbhängigkeit von den Importen aus der Golfregion vorgezeich-net.

2.3 Indien 

Indien ist hinter den USA, China und Russland bereits heute derviertgrößte Energiekonsument. Der indische Energiekonsum hatsich seit 1970 verdreifacht, und man geht davon aus, dass er sichin den kommenden 30 Jahren noch einmal verdoppeln wird. Dersteigende Energiekonsum bei den kommerziellen Energien wirdz. T. auch durch die fortschreitende Ersetzung von nicht-

kommerzieller Biomasse und Abfall (heute noch rund 35Prozent des Energieverbrauchs, ebenso viel wie Kohle!) durchkommerzielle Energieträger bedingt. Indiens Energieversorgungwird dabei – wie diejenige Chinas – stark vom einheimischenEnergieträger Kohle geprägt bleiben, wo Indien mit den welt-weit drittgrößten Reserven und als drittgrößtes Förderland übergute Voraussetzungen verfügt.

Interessant ist derzeit eine (kommerziell beeinflusste?) Debatte

in Indien, wonach impliziert wird, dass Reserven indischerKohle von »guter« (d. h. rentabler) Qualität in den nächstenJahrzehnten an Grenzen stoßen werden. Man vermutet, dass dasArgument von indischen Kohleproduzenten »eingeflüstert«wird, um längst überfällige Sektorreformen in Angriff zu neh-men. Viele indische Konzerne könnten nämlich kostengünstigerin Australien produzierte Kohle einführen, als ruinöse einheimi-sche Zechen weiterzubetreiben. Das zeigt, dass sogar in einem

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stark nationalistisch denkenden Land wie Indien kommerziellesDenken versorgungsstrategische Barrieren einreißen kann. Einegroße Herausforderung für Indien (ebenso wie für China) wird

somit die Einführung möglichst umweltfreundlicher Technolo-gie (Clean Coal Technology) sein. Da diese Technologie relativteuer ist, dürften sich zunächst Investitionen in elementarereTechnologien wie Kohlewaschen aufdrängen, um die Verbren-nungseffizienz zu verbessern und die Schadstoffemissionen zuverringern.

Neben dem weiterhin hohen Kohlekonsum wird vor allem derenorme Mehrbedarf an Erdöl und Erdgas die indische Energie-politik prägen. Die Erdölimporte Indiens dürften sich bis 2030verdreifachen und die heute bei knapp unter 70 Prozent liegendeImportabhängigkeit auf knapp über 90 Prozent erhöhen. Auchauf dem Erdgassektor wird Indiens Importabhängigkeit starkzunehmen. Da sich mögliche Pipeline-Verbindungen (von Turk-menistan oder dem Iran) aus geographischen Gründen nichtrealisieren lassen, solange der Konflikt mit Pakistan (resp.

Stabilisierung Afghanistans) nicht dauerhaft gelöst ist, scheintIndien momentan auf Flüssiggasimporte zu setzen (sowieErdgas aus Bangladesh und Myanmar), was jedoch mit großenInvestitionskosten verbunden ist. Indien versucht zudem, seineEnergieversorgungssicherheit durch Diversifizierung zu verbes-sern, indem die Nuklearkapazitäten weiter ausgebaut und dieerneuerbaren Energien noch stärker gefördert werden.

All diese Anstrengungen werden aber nichts daran ändern,dass Indien aufgrund seines stark wachsenden Energiekonsumsin den kommenden Jahrzehnten in eine gegenüber heuteungleich größere Importabhängigkeit – vor allem gegenüberdem Mittleren Osten – geraten wird.

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2.4 Japan 

Die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ist bezüglich Ener-gieversorgung ein Sonderfall unter den Großkonsumenten. Prak-tisch ohne eigene Energiereserven ist der wirtschaftliche Gigantim Energiesektor zu 80 Prozent von Importen abhängig. Derweitaus größte Teil der japanischen Erdölimporte stammt ausdem Persischen Golf, der Großteil der Erdgasimporte ausSüdostasien (über die Hälfte aus Indonesien und Malaysia), undder momentan wichtigste Kohlelieferant ist Australien (60

Prozent). Japan hat angesichts seiner extremen Importabhängig-keit stets große und erfolgreiche Investitionen bezüglich Ener-gieeffizienz getätigt. Um die Energieversorgungssicherheit zusteigern, wird der weitere Ausbau der Nuklearenergie um 30Prozent bis 2010 angestrebt (was den Anteil von Nuklearenergieam Strommix von heute 30 Prozent um einige Punkte steigernwird).

Eines der Hauptziele der japanischen Energiepolitik ist die

Verminderung der Abhängigkeit vom Mittleren Osten. Nachdemdas japanische Wirtschaftsministerium lange Jahre mit zweifel-haftem Erfolg ein schwerfälliges Konsortium japanischerErdölfirmen subventionierte, scheint den Bemühungen zurDiversifizierung der Erdölbezüge in jüngster Zeit durch effizien-tere Geschäftstätigkeit mehr Erfolg beschieden zu sein. Japani-sche Erdölfirmen verfügen überall auf der Welt über Konzessio-

nen. Der Anteil des Erdgases am Gesamtverbrauch soll erhöhtwerden, wobei auch hier die Bezüge weiter diversifiziert weidensollen (Gaslieferungen aus Australien seit diesem Jahr, Flüssig-gasprojekt von der russischen Insel Sachalin bis 2007).

Von großer Bedeutung dürfte mittelfristig das auf guten We-gen befindliche Projekt einer durch japanische Kredite finan-zierten Pipeline von ostsibirischen Öl- und Gasfeldern zum rus-sischen Pazifikhafen Nakhodka sein, das ab 2010 u. a. Japan mit

ostsibirischem Erdöl und Erdgas versorgen könnte. Japan dürfte

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gegenüber der chinesischen Alternative wohl auch deshalb denVorzug erhalten haben, weil Russland via Nakhodka den gesam-ten asiatischen und letztlich den Weltmarkt bedienen kann, wäh-

rend man sonst an chinesische Abnahmebedingungen gebundengewesen wäre.

2.5 Die Europäische Union (bzw. die EU-30- Gruppe)

Energiestatistisch und versorgungspolitisch ist die auch im EU-Grünbuch zur Energieversorgungssicherheit zugrunde gelegteEU-30-Gruppe (EU plus Schweiz, Norwegen, Bulgarien,Rumänien und Türkei) relevanter als die EU der 25. Die EU-30-Gruppe verfügt zwar über relativ bescheidene eigene Energiere-serven, sie war aber bis jetzt imstande, rund 45 Prozent ihresErdölkonsums und über 60 Prozent ihres Erdgaskonsums durchEigenproduktion abzudecken. Bis ins Jahr 2030 wird jedoch

aufgrund des zunehmenden Energiebedarfs und der aus ver-schiedenen Gründen zurückgehenden Eigenproduktion miteinem Importanteil von Erdgas von gegen 70 Prozent – beimErdöl sogar gegen 90 Prozent – gerechnet.

Im europäischen Energiemix wird das Erdgas in dieser Zeit amstärksten wachsen. Die erneuerbaren Energieformen werdenebenfalls stark wachsen, ihr Anteil am Energiemix wird aber mitgeschätzten 6 Prozent relativ bescheiden bleiben. Das Erdöl

wird seine große Bedeutung behalten und die Importe ausaußereuropäischen Regionen werden zunehmen (heute stammenrund 40 Prozent aus der Russischen Föderation und der GUS, 25Prozent aus Afrika und rund 25 Prozent aus dem MittlerenOsten). Der Anteil der anderen Energieformen wird abnehmen(Nuklearenergie, Kohle) oder konstant bleiben (Hydroenergie).

Eine gesamteuropäische Energiepolitik ist erst im Entstehen

begriffen. Der sehr unterschiedliche Grad der Abhängigkeit der

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25 Mitgliedstaaten von verschiedenen Rohstoffen und verschie-denen Lieferländern und -regionen sowie die heute nochweitgehend fehlenden oder geteilten Kompetenzen der EU auf 

dem Energiesektor behindern vorläufig eine einheitliche Ener-giepolitik der Union. Laut Verfassung soll Energie eine geteilteKompetenz sein, doch in vielen Detailbereichen, insbesonderebei versorgungstechnischen Belangen, wehren sich die EU-Staaten gegen Einmischung aus Brüssel.

Das 2000 veröffentlichte EU-Grünbuch zur Energieversor-gungssicherheit zeigt aber klar die Richtung auf, in der dieUnion gehen möchte. Energieeffizienz und Energieeinsparungengenießen dabei ebenso hohe Priorität wie die Diversifizierungder Energieträger hin zu erneuerbaren Energien (vgl. Richtliniezur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen im Jahr2010 sowie – besonders für Erdöl relevant – die Biotreibstoff-Direktive). Bei geplanten Maßnahmen zur Erhöhung derEnergieversorgungssicherheit im Erdöl- und Erdgassektor istBrüssel hingegen bis jetzt gescheitert. Die vorgeschlagene

Erhöhung der strategischen Erdöllager und deren gemeinsameBewirtschaftung – u. a. auch zur Preisdämpfung – wurdenaufgegeben. Derzeit werden ähnliche Versuche beim Erdgasunternommen, doch sind deren Erfolgschancen gering.

Besondere Bedeutung misst das Grünbuch angesichts der starkansteigenden Erdgasimporte dem Dialog mit den Lieferländernzu. Der EU-Russland-Dialog steht dabei an erster Stelle, dadavon ausgegangen wird, dass die EU bis 2030 rund ein Viertelihres Erdgases aus der Russischen Föderation beziehen wird.Die Abhängigkeit der EU von russischen Erdgaslieferungen istdurch die EU-Osterweiterung noch gestiegen, da diese Staatenans russische Pipelinenetz angeschlossen sind.

Aber auch Nordafrika (Algerien, Libyen, Ägypten) und inzunehmendem Maße Aserbaidschan, Iran, Katar, VAE undkünftig möglicherweise der Irak werden für die europäische

Gasversorgung wichtig sein, während für die Erdölbezüge der

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Mittlere Osten, Afrika sowie die Russische Föderation und dieGUS zentral bleiben werden.

3. Auswirkungen auf die Geopolitik 

Steigende Importabhängigkeit der Großmächte

Die Importabhängigkeit der Energie-Großkonsumenten wirdin den kommenden zwei Jahrzehnten bezüglich Erdöl undErdgas stark anwachsen. Japan ist schon heute praktisch zu 100Prozent importabhängig. Europa wird schon 2015 gegen 70Prozent seines Erdöl- und 50 Prozent Erdgasbedarfs importie-ren, die USA 65 Prozent ihres Erdöl- und 30 Prozent ihresErdgasbedarfs. China wird schon 2010 rund 55 Prozent seinesenormen Erdölbedarfs importieren müssen, und sein Importbe-darf wird danach weiter stark zunehmen (die Erdölimportewerden 2030 gegenüber heute um 400 Prozent zugenommenhaben, die Erdgasimporte werden dann ein Viertel der chinesi-

schen Nachfrage abdecken müssen). Indiens Erdöl-Import-abhängigkeit wird bis 2030 auf gegen 90 Prozent ansteigen.

Auch bezüglich Kohle wird die Importabhängigkeit starkzunehmen. Vor allem China wird vermehrt Kohle importierenmüssen und die Europäische Union dürfte bis 2030 fast ihrengesamten Kohlebedarf importieren.

 Asien als treibende Kraft der wachsenden EnergienachfrageDer durch das rapide Wachstum ihrer Volkswirtschaften stark

zunehmende Energiebedarf Chinas und Indiens hat – zusammenmit dem Wachstum der anderen asiatischen Volkswirtschaften –zur Folge, dass Asien gegen 50 Prozent des für die nächsten 20Jahre prognostizierten Energiezuwachses in Anspruch nehmenwird. Asien wird in dieser Zeit Nordamerika als die führendeRegion bezüglich Energiekonsum ablösen. Diese Entwicklung

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wird die Verhältnisse auf dem Energiemarkt wesentlich verän-dern. Da gleichzeitig auch der Energiebedarf der bisherigenGroßverbraucher USA, Europa und Japan weiter ansteigt und

nach Japan auch die USA und Europa in immer größere Import-abhängigkeiten geraten werden, wird das Streben nach Energie-versorgungssicherheit in einem zunehmend kompetitiven Um-feld stattfinden. Energieversorgungssicherheit wird auf diesemHintergrund in Zukunft noch verstärkt ein integraler Teil derAußenpolitik, der Außenhandelspolitik und der Sicherheitspoli-tik der Großkonsumenten werden.

Verstärkte regionale Abhängigkeiten im Energiesektor 

Während bezüglich Versorgungssicherheit beim EnergieträgerKohle durch die weiträumige Streuung der Kohlereserven auf dem Erdball und das gegenüber Erdöl und Erdgas geringeWelthandelsvolumen kein unmittelbarer Anlass zur Sorgebesteht (von den Großkonsumenten ist nur Japan ganz import-abhängig und die EU dürfte es bis 2030 größtenteils werden),

werden sich bei den Welthandelsgütern Erdöl und Erdgasregionale Abhängigkeiten verändern.

Erdöl: Ab dem Jahr 2020 dürfte nur noch halb so viel Erdöl ausdem Persischen Golf auf die westlichen Märkte gelangen (rundein Drittel) – rund zwei Drittel dürften nach Asien geliefertwerden. Die asiatischen Großkonsumenten China, Japan und

Indien werden sehr stark von Erdöllieferungen aus dem Mittle-ren Osten abhängig bleiben (Japan) bzw. werden (China undIndien), und die strategische Bedeutung des Mittleren Ostens fürdie Energieversorgung von ganz Asien wird noch einmalwesentlich zunehmen. Aber nicht nur Asien, auch die westlichenErdölbezieher werden weiterhin vom – noch steigenden –Einfluss des Mittleren Ostens auf die Weltmarktpreise betroffensein. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Erwartungen in

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die zukünftigen Förderkapazitäten des Mittleren Ostens realis-tisch sind. Die Internationale Energieagentur (IEA) und andererechnen in ihren Energieszenarien vor, dass die OPEC-Staaten

des Mittleren Ostens bis 2030 über 50 Mio. Barrel pro Tagliefern werden. Dabei gilt es zu beachten, dass das, was bezüg-lich Energie-Rohstoffen unter »Mittlerem Osten« alsSammelbegriff summiert wird, in Zukunft eigentlich nur zweiLänder sein können. Wenn man bedenkt, dass die Exportkapazi-täten Kuwaits, der Vereinigten Arabischen Emirate und Katarsaufgrund der Geologie und des Iran aufgrund des wachsendeninternen Konsums und der Geologie sich stabilisieren bzw.

reduzieren werden, bleiben nur noch Saudi-Arabien und der Irakals »Producers of last resort« übrig. Aufgeschlüsselt heißt das,dass diese beiden Staaten 2030 je 15 bis 20 Mio. Barrel pro Tagproduzieren sollten – Zahlen, die sich heute kaum jemandvorstellen kann.

Namhafte Experten haben in jüngster Zeit dargelegt, dass sol-che Produktionserwartungen kaum realistisch sind.8 Aufgrund

verschiedener Analysen und Überlegungen9

bezeichnen sie dieErwartung, dass Saudi-Arabien und der Irak ihre Ölproduktionüber die nächsten zwei Jahrzehnte mehr als verdoppeln könnten(was sie gemäß den gängigen Szenarien müssten, um dieErdölnachfrage zu befriedigen), als Wunschvorstellung, die sich

8 Z. B: C.J. Campbell in seinem Artikel »Middle East Oil – Reality andIllusions« oder Matt Simmons (zitiert in »Simmons hopes he’s wrong« vonF. Jay Schempf, in: Petroleum, Vol. 9, No. 31, August 2001, 2004).9 Sie bezeichnen die angenommenen Erdölreserven der fünf wichtigstenProduzenten des Mittleren Ostens als weit überschätzt und rechnen amBeispiel Saudi-Arabiens zudem vor, dass der Großteil der Erdölproduktionaus wenigen alten, großen Ölfeldern stammt, welche langsam zur Neigegehen, während das Erdöl aus den verbleibenden kleineren Ölfeldern mitwesentlich höherem technischen und finanziellen Aufwand gefördert werdenmuss. Aufgrund dieser und anderer Überlegungen kommen sie sogar zumSchluss, dass Saudi-Arabien und der Irak den Peak ihrer Erdölförderung

vielleicht schon sehr bald erreicht haben werden.

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kaum realisieren lassen werde. Wenn diese Befürchtungenzutreffen, fallen die Szenarien der IEA für die Deckung dessteigenden Energiekonsums aus fossilen Brennstoffen wie ein

Kartenhaus zusammen.

Erdgas: Die Regionalisierung der drei Erdgasmärkte (NAFTA,Europa-Russland, Ferner Osten) wird zwar weiterhin Bestandhaben, sie wird aber wegen des wachsenden Handels mitFlüssiggas weniger ausgeprägt sein. Bezogen auf die fünf Großkonsumenten bedeutet dies, dass die USA sich noch inten-

siver um Erdgaslieferungen aus dem NAFTA-Markt (der nord-amerikanischen Freihandelszone mit Kanada, Mexiko und denUSA) bemühen, aber auch außerhalb des NAFTA-Marktes auf dem Gasmarkt vermehrt in Erscheinung treten werden, da dieAutarkie des NAFTA-Gasmarktes zu Ende geht. Die Abhängig-keit der EU-30 von den Erdgaslieferungen aus den GUS-Staatenwird 2030 25 Prozent betragen und eine enge Kooperation zwi-schen Russland und der EU bedingen. China, Japan und Indien

werden (nebst den weiterhin wichtigen Bezügen aus asiatischenQuellen wie etwa Indonesien oder Malaysia) auch bei den Erd-gasbezügen zunehmend vom Mittleren Osten abhängig werden,wenn ihnen der Zugang zu den Erdgasreserven des kaspischenRaumes, Zentralasiens oder Russlands nicht gelingt.

Neben dieser weiteren Akzentuierung der regionalen Märktewird aber bis 2030 auch der Anteil des interregionalen Handelsmit Erdgas auf gegen 30 Prozent (heute 16 Prozent) steigen,weil die stark wachsende Nachfrage der USA, Asiens und Euro-pas kaum ganz von den regionalen Produzenten gedeckt werdenkann.

 Hotspots der Energieversorgung

Neben dem Mittleren Osten, der unter sich verändernden Rah-menbedingungen seine zentrale Bedeutung für die weltweite

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Energieversorgung behalten wird, wird die Russische Föderation(zunächst für Europa, mittelfristig aber auch für Asien) noch anBedeutung für die weltweite Energieversorgungssicherheit ge-

winnen. Daneben, wenn auch in weit geringerem Maße, werdenauch die Regionen Zentralasien/Kaspisches Meer sowie Afrika(insbesondere Golf von Guinea) in den Fokus der großenEnergiekonsumenten geraten. Vor allem in Zentralasien und imKaspischen Meer treffen dabei allerdings die Energiebedürfnisseder Großkonsumenten (EU, China, Indien, Japan, USA) aufein-ander. Auch das Interesse an Lateinamerika wird durch dieEnergiefrage wieder steigen.

Angesichts der weltweit stark zunehmenden Bedeutung desErdgases wird mittel- und langfristig auch der Iran (mit denweltweit zweitgrößten Gasreserven) geopolitisch stark anBedeutung gewinnen. Dies insbesondere deshalb, weil dieIslamische Republik durch ihre geographische Lage die Gasver-sorgung mehrerer gegenwärtiger und zukünftiger Großkonsu-menten durch Pipelines (Indien, EU) oder Flüssiggasexporte

(China, Japan, USA) langfristig zu vergleichsweise gutenKonditionen befriedigen könnte. Ebenfalls zu berücksichtigenist, dass, falls Iran wieder diplomatisch salonfähig (und damitkreditwürdig) würde, es das Tor für so genanntes »gestrandetes«zentralasiatisches Gas öffnen könnte. Zurzeit kann zentralasiati-sches Gas nur nördlich des Kaspischen Meers von RusslandsGnaden exportiert werden. Im Falle einer südlichen Exportroutefür zentralasiatisches Gas kämen die GUS-Gas-Allianz und

russische Gasexporte nach Europa unter Zugzwang.

 Auswirkungen auf das außen- und sicherheitspolitische Verhal-ten der Großmächte

Energieversorgungssicherheit wird auf dem beschriebenenHintergrund in Zukunft noch verstärkt ein integraler Teil derAußenpolitik, der Außenhandelspolitik und der Sicherheitspoli-

tik der Großkonsumenten werden. Die Abhängigkeiten im Ener-

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giesektor zwischen Konsumenten- und Produzentenregionensowie die zunehmende Konkurrenzierung der Großverbraucherim Wettlauf um die geringer werdenden Energieressourcen wer-

den mittelfristig auch Auswirkungen auf die außen- und sicher-heitspolitischen Agenden der Großmächte haben. FolgendeEntwicklungen sollten in den kommenden Jahren und Jahrzehn-ten mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt werden, wobeizwei grundsätzliche Szenarien unterschieden werden müssen.

Ein eigentliches Horrorszenario ergibt sich auf dem Hinter-grund der Annahme, dass die künftigen Förderkapazitäten desMittleren Ostens weit überschätzt werden.

Wenn die von namhaften Experten geäußerten Befürchtungenzutreffen und die zukünftigen Förderkapazitäten der beidenwesentlichen »Producers of last resort« Saudi-Arabien und Iraktatsächlich maßlos überschätzt werden, wird der prognostizierteZuwachs des weltweiten Energiekonsums nicht realisierbar sein.Vor allem die rasant wachsenden Volkswirtschaften Chinas undIndiens würde eine solche Entwicklung vor massive Probleme

stellen oder ihr Wachstum sogar zum Stillstand bringen. Auchdie anderen Großkonsumenten (USA, Japan, EU) und die welt-weite Energieversorgung – insbesondere auch in den finanz-schwachen Entwicklungs- und Schwellenländern – würden unterdiesen Vorzeichen in eine gravierende Krise mit unabsehbarenFolgen schlittern. Eine massive Verteuerung der Energierohstof-fe und ein entsprechend verschärfter Verteilungskampf würdendie Stabilität der Weltwirtschaft erheblich gefährden.

Auch wenn die optimistischen Annahmen der IEA bezüglichder zukünftigen Förderkapazitäten des Mittleren Ostens (sprichSaudi-Arabien und Irak) zutreffen sollten, wird das Streben nachEnergieversorgungssicherheit die geopolitische Landschaft derkommenden Jahrzehnte verändern.

In welcher Weise geopolitische Faktoren die Verfügbarkeitund die Verlässlichkeit der weltweiten oder regionalen Energie-

versorgung beeinflussen werden, wird im Wesentlichen von der

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Politik der Supermacht USA und anderer regionaler Mächte(insbesondere China, Indien, Japan, EU und Russland) sowievon der innenpolitischen Stabilität der Erdöl und Erdgas produ-

zierenden Staaten und der Transitstaaten abhängen.10

 Eine oft unterschätzte Dimension ist die Tatsache, dass sich

die USA seit der Weltwirtschaftskrise 1929/30 unter dem Motto»Was der Wirtschaft unserer Alliierten hilft, hilft auch unsererWirtschaft« ebenso für Versorgungssicherheit ihrer Alliierteneinsetzen. Jüngste Beispiele sind die 2004 von den USA undSingapur vorgeschlagenen gemeinsamen Patrouillen der Ma-lacca-Meerenge zur Bekämpfung der Piraterie (was von Chinaabgewehrt wurde) oder der Einsatz für den Baku-Ceyhan-Pipe-linekorridor, der fürs Erdöl prioritär und fürs Erdgas ausschließ-lich Europa und nicht den USA dient. In dem Sinne kannEuropa seit 1945 teilweise – und seit Mossadegh und Suezkrisegänzlich – als »Trittbrettfahrer« der US-Mittelostpolitik betrach-tet werden und sollte die sich abzeichnende teilweise »Abkehr«der USA von Saudi-Arabien sowie das bevorstehende stärkere

Engagement Chinas in der Region Mittlerer Osten aufmerksamverfolgen.

Die bestehende (Japan) und rasch wachsende (China undIndien) Importabhängigkeit der asiatischen Großmächte von derErdölproduktion des Mittleren Ostens dürfte angesichts desdaraus resultierenden langfristigen Interesses an stabilen Ver-hältnissen früher oder später eine aktivere Rolle dieser Mächtein dieser Krisenregion nach sich ziehen. Die Interessen Chinas(und Indiens) müssen sich dabei nicht zwangsläufig mit denje-nigen der USA oder Europas decken.

Meinungsverschiedenheiten bis hin zu Konfrontationen zwi-schen den asiatischen Großmächten – bzw. zwischen ihnen und

10 Vgl. dazu: »Die Sicherheit der internationalen Energieversorgung: außen-und sicherheitspolitische Herausforderungen nach dem 11. September 2001«von Stormy Mildner und Frank Limbach, Deutsche Gesellschaft für

Auswärtige Politik, Juni 2002.

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den USA – wegen Energieressourcen sind in Zukunft nicht aus-zuschließen. Eines von vielen Beispielen ist der Streit zwischenChina und Japan um die Erdgasvorkommen im so genannten

»Chunxiao«-Gasfeld nordwestlich von Okinawa.11

Für dieregionale Stabilität wird viel davon abhängen, ob sich solcheAuseinandersetzungen auch bei sich möglicherweise bald ver-knappenden fossilen Reserven im Rahmen friedlicher Koope-ration lösen lassen.

Die immer stärker ausgeprägte Symbiose im Energiebereichzwischen der EU und der Russischen Föderation dürfte dasInteresse der EU an einer stabilen wirtschaftlichen und politi-schen Entwicklung Russlands und den Einbezug des großenNachbarn in die europäische Sicherheitsarchitektur in den kom-menden Jahrzehnten zu einem Kernanliegen der europäischenAußen- und Sicherheitspolitik machen. Grundsätzlich sind zwarLieferanten und Abnehmer bei leitungsgebundenem Transportgegenseitig voneinander abhängig, solange beide nur begrenztüber alternative Marktzugänge verfügen. Trotzdem hat in

Deutschland (mit Abstand der größte Abnehmer russischenErdgases) und in anderen europäischen Ländern eine Diskussiondarüber eingesetzt, inwieweit die zunehmende Abhängigkeit vonrussischen Gaslieferungen die Außenpolitik der europäischenLänder anfällig für Zugeständnisse an Russland macht.12 

Europa wird seinen zusätzlichen Gasbedarf auf lange Sichtvermehrt aus dem Mittleren Osten (inklusive Iran) deckenmüssen – vor allem dann, wenn die russische Gasproduktionschon um das Jahr 2015 ihren Höhepunkt erreichen sollte(während der Peak im Mittleren Osten wohl frühestens zwischen2030 und 2040 erreicht sein dürfte). Aber auch Algerien wird alsLand mit den weltweit achtgrößten Erdgasreserven für die

11 Vgl. dazu China aktuell vom Juli 2004.12 Vgl. dazu »Schweigen für Gas?« von Roland Götz, in: SWP-Aktuell 43

vom September 2004

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Gasversorgung der Europäischen Union zunehmend an Bedeu-tung gewinnen.

Dem Iran als einem der größten Erdölproduzenten und demLand mit den (nach Russland) weltweit zweitgrößten Gasreser-ven wird in den kommenden Jahrzehnten eine Schlüsselrolle auf dem strategischen Energiesektor zukommen. Unter Berücksich-tigung der zweifelhaften Aussichten bezüglich der künftigenFörderkapazitäten Saudi-Arabiens und des Irak stellt sich dieFrage, wie lange es sich der Westen – insbesondere die USA –

noch leisten kann, dieses für die weltweite Energieversorgung sowichtige Land zu isolieren. Für die EU wäre ein wieder salonfä-higer (sprich kreditwürdiger) Iran auch deshalb von großer Be-deutung, weil dadurch die Abhängigkeit von russischen Gaslie-ferungen gemildert werden könnte (südliche Exportroute fürzentralasiatisches Gas – vgl. oben »Hotspots der Energieversor-gung«).

China und Indien zögern jedenfalls nicht, die Beziehungen

zum Iran auf dem Energiesektor weiter auszubauen. Vor allemChinas Iranpolitik ist auf dem Hintergrund einer wachsendenZusammenarbeit im Energiesektor stark von energiepolitischenÜberlegungen geprägt. Dies hat sich zuletzt auch an ChinasHaltung im Atomstreit mit den USA gezeigt.13 

13 China hat Iran zugesichert, dass es sich jedem Versuch der USA widerset-zen werde, das Thema zur Verhandlung vor den Weltsicherheitsrat zu

bringen (China aktuell, November 2004)

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124. Unmittelbar drohende Gefahren sind durch Artikel 51vollständig abgedeckt, der das naturgegebene Recht souveränerStaaten zur Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten An-

griffs gewährleistet. Juristen erkennen schon lange an, dass diessowohl einen unmittelbar drohenden als auch einen bereitserfolgten Angriff umfasst.

125. Wenn es sich nicht um eine unmittelbar drohende Gefahr,sondern um eine latente Bedrohung handelt, überträgt die Chartadem Sicherheitsrat die volle Autorität für die Anwendung mili-tärischer Gewalt, auch präventiv, um den Weltfrieden und dieinternationale Sicherheit zu wahren. Was Völkermord, ethnischeSäuberungen und andere derartige Verbrechen gegen dieMenschlichkeit betrifft, sind diese nicht auch Bedrohungen desWeltfriedens und der internationalen Sicherheit, bei denen sichdie Menschheit um Schutz an den Sicherheitsrat wenden könnensollte?

126. Es geht nicht darum, Alternativen zum Sicherheitsrat alsQuelle der Autorität zu finden, sondern darum, seine Arbeits-

weise zu verbessern. Wenn der Rat erwägt, die Anwendungmilitärischer Gewalt zu genehmigen oder zu billigen, sollte er zueiner gemeinsamen Auffassung darüber gelangen, wie der Ernstder Bedrohung einzustufen ist, ob die vorgeschlagene Militärak-tion einem redlichen Motiv dient, ob ein plausibler Grund zu derAnnahme besteht, dass andere Mittel als die Anwendung vonGewalt der Bedrohung möglicherweise Einhalt gebieten könn-ten, ob die militärische Option der vorliegenden Bedrohungangemessen ist und ob eine realistische Aussicht auf Erfolgbesteht. Falls sich der Rat verpflichten sollte, Militäraktionenanhand dieser Kriterien zu begründen, so würde dies dieTransparenz seiner Beratungen erhöhen und dazu beitragen,dass seine Beschlüsse sowohl von den Regierungen als auch vonder Weltöffentlichkeit eher respektiert werden.

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Daher empfehle ich dem Sicherheitsrat, eine Resolution zuverabschieden, in der diese Grundsätze festgeschrieben werdenund in der er seine Absicht kundtut, sich von ihnen leiten zu

lassen, wenn er Beschlüsse über die Genehmigung oder Manda-tierung der Anwendung von Gewalt trifft.

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Anhang 4 »Eine sichere Welt: unsere gemeinsame 

Verantwortung« 

Auszüge aus dem Bericht der von UNO-Generalsekretär KofiAnnan eingesetzten hochrangigen internationalen Experten-gruppe (»High Panel«) zu globalen Bedrohungen, Heraus-forderungen und Wandel; vorgelegt am 2. Dezember 2004

IX. Anwendung von Gewalt: Regeln und Leitlinien 

183. Die Verfasser der Charta der Vereinten Nationen warensich bewusst, dass es unter Umständen notwendig sein kann,Gewalt anzuwenden, »um Bedrohungen des Friedens zu verhü-ten und zu beseitigen [und] Angriffshandlungen und andere

Friedensbrüche zu unterdrücken«. Rechtmäßig und richtig ange-wandte militärische Gewalt ist ein wesentlicher Bestandteil je-des tragfähigen Systems der kollektiven Sicherheit, sei es in derherkömmlichen engen Definition oder im von uns vorgezogenenweiteren Sinn. Dennoch gibt es heute nur wenige politischeFragen, die mehr Schwierigkeiten bereiten und bei denen mehrauf dem Spiel steht als die Grundsätze für den Einsatz vonmilitärischer Gewalt und ihre Anwendung im Einzelfall.

184. Die Wahrung des Weltfriedens und der internationalenSicherheit hängt ganz wesentlich davon ab, dass ein gemeinsa-mes weltweites Verständnis und eine gemeinsame weltweiteAkzeptanz dafür vorhanden sind, wann die Anwendung von Ge-walt sowohl rechtmäßig als auch legitim ist. Wenn eine dieserVoraussetzungen gegeben ist, aber nicht die andere, so wird dieinternationale Rechtsordnung unweigerlich geschwächt und die

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Sicherheit von Staaten wie von Menschen dadurch größerer Ge-fahr ausgesetzt.

A. Die Frage der Rechtmäßigkeit 

185. Artikel 2 Absatz 4 der Charta der Vereinten Nationenuntersagt den Mitgliedstaaten ausdrücklich die gegenseitige An-wendung oder Androhung von Gewalt und lässt dabei nur zweiAusnahmen zu: zum einen die Selbstverteidigung nach Artikel51 und zum anderen vom Sicherheitsrat genehmigte militärische

Maßnahmen nach Kapitel VII (und damit auch nach KapitelVIII durch Regionalorganisationen) in Antwort auf »eineBedrohung oder [einen] Bruch des Friedens oder eine Angriffs-handlung«.

186. In den ersten 44 Jahren des Bestehens der Vereinten Na-tionen verstießen Mitgliedsstaaten oft gegen diese Regeln undwandten buchstäblich Hunderte von Male militärische Gewalt

an, wobei ein blockierter Sicherheitsrat nur sehr wenige Resolu-tionen nach Kapitel VII verabschiedete und Artikel 51 nur seltenglaubhafte Rechtfertigung bot. Seit dem Ende des Kalten Krie-ges ist jedoch die Sehnsucht nach einem internationalen System,das der Herrschaft des Rechts untersteht, gewachsen. Es gibtkaum Anhaltspunkte für eine internationale Akzeptanz der Vor-stellung, dass die Sicherheit am besten durch ein Machtgleich-gewicht oder durch eine einzige Supermacht – und seien ihre

Motive noch so lauter – gewahrt wird.187. Bei dem Bemühen, den ausdrücklichen Wortlaut der

Charta anzuwenden, erheben sich in der Praxis jedoch dreibesonders schwierige Fragen: erstens, wenn ein Staat alsAntwort auf eine nicht unmittelbar drohende Gefahr für sich dasRecht geltend macht, in Selbstverteidigung einen Präventiv-schlag durchzuführen; zweitens, wenn ein Staat eine tatsächliche

oder potenzielle externe Bedrohung für andere Staaten oder

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Menschen außerhalb seiner Grenzen darzustellen scheint, jedochim Sicherheitsrat Uneinigkeit darüber besteht, wie zu verfahrenist, und drittens, wenn die Bedrohung sich in erster Linie nach

innen, gegen die eigene Bevölkerung eines Staates, richtet.

1. Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen und dieSelbstverteidigung 

188. Der Wortlaut dieses Artikels ist restriktiv: »Diese Chartabeeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen einMitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene

Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bisder Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und derinternationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffenhat.« Indessen kann ein bedrohter Staat nach lange etabliertenRegeln des Völkerrechts militärische Maßnahmen ergreifen, so-lange der angedrohte Angriff unmittelbar bevorsteht, durch keinanderes Mittel abzuwenden ist und die Maßnahmen verhältnis-mäßig sind. Ein Problem entsteht dann, wenn die fragliche

Gefahr nicht unmittelbar droht, aber dennoch als real dargestelltwird, beispielsweise der in mutmaßlich feindseliger Absichterfolgende Erwerb der Fähigkeit zur Herstellung von Nuklear-waffen.

189. Kann ein Staat, ohne sich an den Sicherheitsrat zu wen-den, unter diesen Umständen das Recht für sich beanspruchen,in antizipatorischer Selbstverteidigung nicht nur präemptiv

(gegen eine unmittelbar drohende oder nahe Gefahr), sondernpräventiv (gegen eine nicht unmittelbar drohende oder naheGefahr) zu handeln? Diejenigen, die dies bejahen, vertreten denStandpunkt, dass manche Gefahren (wie z. B. im Besitz einerKernwaffe befindliche Terroristen) ein so großes Schadenspo-tenzial haben, dass man einfach das Risiko nicht eingehen kann,abzuwarten, bis sie zu einer unmittelbaren Bedrohung werden,und dass durch frühzeitigeres Handeln unter Umständen weniger

Schaden angerichtet wird (etwa durch die Vermeidung eines

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nuklearen Schlagabtauschs oder des radioaktiven Niederschlagsaus einer Reaktorzerstörung).

190. Um diese Frage kurz zu beantworten: Wenn gute, durch

handfeste Beweise erhärtete Argumente für militärische Präven-tivmaßnahmen vorliegen, so sollten diese dem Sicherheitsratunterbreitet werden, der die Maßnahmen sodann nach seinemGutdünken genehmigen kann. Tut er dies nicht, besteht perdefinitionem Zeit genug, um andere Strategien zu verfolgen,darunter Überzeugungsarbeit, Verhandlungen, Abschreckungund Eindämmungspolitik, und danach die militärische Optionerneut zu prüfen.

191. Denjenigen, die einer solchen Antwort mit Ungeduldbegegnen, muss entgegengehalten werden, dass in dieser Weltvoll mutmaßlicher potenzieller Bedrohungen die Gefahr für dieglobale Ordnung und die Norm der Nichtintervention, auf derdiese nach wie vor aufbaut, einfach zu groß ist, als dass einseiti-ge Präventivmaßnahmen, im Unterschied zu kollektivgebilligten Maßnahmen, als rechtmäßig akzeptiert werden

könnten. Einem zu gestatten, so zu handeln, bedeutet, es allen zugestatten.

192. Wir befürworten keine Neufassung oder Neuauslegungdes Artikels 51.

2. Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen und externe Bedrohungen

193. Stellt ein Staat eine Bedrohung für andere Staaten, Men-

schen außerhalb seiner Grenzen oder ganz allgemein für dieinternationale Ordnung dar, ist der Wortlaut von Kapitel VII vonvornherein umfassend genug und ist auch hinlänglich umfassendausgelegt worden, um es dem Sicherheitsrat zu gestatten, jedewie auch immer geartete Zwangsmaßnahme, einschließlich mili-tärischer Maßnahmen, gegen einen Staat zu genehmigen, wenner dies für erforderlich erachtet, »um den Weltfrieden und dieinternationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen«.

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Dies gilt unabhängig davon, ob die Gefahr jetzt, in der unmittel-baren Zukunft oder in einer entfernteren Zukunft droht, ob sieHandlungen des Staates selbst umfasst oder Handlungen nicht-

staatlicher Akteure, denen der Staat Zuflucht gewährt oder die erunterstützt, oder ob sie die Form einer Handlung oder Unterlas-sung, einer tatsächlichen oder potenziellen Gewalthandlung odereinfach einer Herausforderung der Autorität des Rates annimmt.

194. Wir betonen, dass die von uns zum Ausdruck gebrachtenBedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der präventivenAnwendung militärischer Gewalt zur Selbstverteidigung nachArtikel 51 nicht für nach Kapitel VII genehmigte Kollektivmaß-nahmen gelten. In der Welt des 21. Jahrhunderts muss sich dieinternationale Gemeinschaft um Horrorszenarien sorgen, indenen es zu einer Kombination von Terroristen, Massenvernich-tungswaffen, verantwortungslosen Staaten und vielen weiterenFaktoren kommen kann, was die nicht allein reaktive, sondernauch die präventive Anwendung von Gewalt rechtfertigen könn-te, bevor eine latente Gefahr sich zu einer unmittelbar drohen-

den Gefahr entwickelt. Die Frage, ob eine solche Maßnahmegetroffen werden kann, stellt sich dabei nicht: Der Sicherheits-rat, als die Stimme der internationalen Gemeinschaft für kollek-tive Sicherheit, kann jederzeit solche Maßnahmen treffen, wenner der Auffassung ist, dass eine Bedrohung des Weltfriedens undder internationalen Sicherheit vorliegt. Der Rat wird wohlkünftig bereit sein müssen, in diesen Fragen viel proaktiver vor-zugehen und frühzeitiger und entschlossener zu handeln, als er

dies in der Vergangenheit getan hat.195. Neben Fragen der Legalität stellt sich auch die Frage, ob

es klug oder legitim wäre, solche Präventivmaßnahmen zuergreifen: Ausschlaggebend ist hier vor allem, ob glaubhaftnachgewiesen werden kann, dass tatsächlich Gefahr droht (unterBerücksichtigung sowohl der Fähigkeit als auch des konkretenVorsatzes), und ob ein militärisches Vorgehen unter den gege-

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3. Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen, innerstaat-liche Bedrohungen und Schutzverantwortung 

199. Die Charta der Vereinten Nationen könnte eindeutiger

formuliert sein, wenn es darum geht, in Situationen, in denen esinnerhalb von Ländern zu massenhaften Gräueltaten kommt,Leben zu retten. Sie bekräftigt zwar den »Glauben an die Grund-rechte des Menschen«, trägt aber kaum zu ihrem Schutz bei, undArtikel 2 Absatz 7 untersagt das Eingreifen »in Angelegenhei-ten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staa-tes gehören«. Infolgedessen besteht in der internationalen Ge-meinschaft ein alter Streit zwischen denjenigen, die auf einem»Interventionsrecht« bei von Menschen verursachten Katastro-phen beharren, und denjenigen, die die Haltung vertreten, dasses dem Sicherheitsrat trotz aller seiner Befugnisse nach KapitelVII, »den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wah-ren oder wiederherzustellen«, untersagt ist, wie auch immer ge-artete Zwangsmaßnahmen gegen souveräne Staaten zu genehmi-gen, gleichviel, was innerhalb ihrer Grenzen vor sich geht.

200. Mit der Konvention über die Verhütung und Bestrafungdes Völkermordes (Völkermord-Konvention) sind die Staatenübereingekommen, dass Völkermord, ob in Friedens- oderKriegszeiten begangen, nach dem Völkerrecht ein Verbrechenist, zu dessen Verhütung und Bestrafung sie sich verpflichten.Seither herrscht die Auffassung, dass Völkermord, unabhängigdavon, wo er verübt wird, eine Bedrohung der Sicherheit allerdarstellt und niemals toleriert werden darf. Der Grundsatz derNichtintervention in die inneren Angelegenheiten kann nicht zurVerteidigung von Völkermord oder anderen Gräueltaten, wiemassiven Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht oder um-fangreichen ethnischen Säuberungen, geltend gemacht werden,die zu Recht als eine Bedrohung der internationalen Sicherheitangesehen werden können und somit das Tätigwerden desSicherheitsrats bewirken.

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201. Die aufeinander folgenden humanitären Katastrophen inSomalia, Bosnien und Herzegowina, Ruanda, im Kosovo und

 jetzt in Darfur (Sudan) haben die Aufmerksamkeit nicht auf die

Immunitäten souveräner Regierungen gelenkt, sondern vielmehrauf ihre Verantwortlichkeiten, sowohl gegenüber ihrer eigenenBevölkerung als auch gegenüber der internationalen Gemein-schaft allgemein. Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch,dass es weniger um die Frage des »Interventionsrechts« einesStaates geht als um die »Schutzverantwortung«  jedes Staates,wenn Menschen vermeidbare Katastrophen erleiden und Opfervon Massenmord und Vergewaltigung und von ethnischer

Säuberung durch Zwangsvertreibung und Terror werden odervorsätzlich dem Hungertod preisgegeben oder Krankheitenausgesetzt werden. Ebenso wird immer mehr akzeptiert, dasssouveräne Regierungen zwar die Hauptverantwortung für denSchutz ihrer eigenen Staatsbürger vor solchen Katastrophentragen, dass aber – sollten sie dazu nicht in der Lage oder nichtbereit sein – die internationale Gemeinschaft als Ganze diese

Verantwortung übernehmen sollte, wobei dies ein Kontinuumvon Maßnahmen wie die Prävention, die Reaktion auf Gewalt,falls erforderlich, sowie den Wiederaufbau zerrütteter Gesell-schaften umfassen kann. Das Hauptgewicht sollte auf der Hilfebei der Beendigung der Gewalt, durch Vermittlung und andereInstrumente, und auf dem Schutz der Menschen durch Maßnah-men wie der Entsendung von humanitären, Menschenrechts-und Polizeimissionen liegen. Gewalt sollte, wenn überhaupt, erst

nach Ausschöpfung aller anderen Mittel angewandt werden.202. Bislang war der Sicherheitsrat bei der Auseinanderset-

zung mit solchen Fällen weder sehr konsistent noch sonderlichwirksam und hat sehr oft zu spät, zu zögerlich oder überhauptnicht gehandelt. Inzwischen haben der Rat und die internationaleGemeinschaft jedoch Schritt um Schritt immer mehr akzeptiert,dass der Rat nach Kapitel VII und gemäß der sich herausbilden-den Norm einer kollektiven internationalen Schutzverantwor-

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tung stets militärische Maßnahmen zur Beseitigung katastro-phalen innerstaatlichen Unrechts genehmigen kann, wenn erbereit ist zu erklären, dass die Situation eine »Bedrohung des

Weltfriedens und der internationalen Sicherheit« darstellt, wasbei Verstößen gegen das Völkerrecht nicht gerade schwierig ist.

203. Wir unterstützen die sich herausbildende Norm, derzufolge eine kollektive internationale Schutzverantwortungbesteht, die vom Sicherheitsrat wahrzunehmen ist, der als letztesMittel eine militärische Intervention genehmigt, falls es zuVölkermord und anderen Massentötungen, ethnischer Säube-rung oder schweren Verstößen gegen das humanitäreVölkerrecht kommt und souveräne Regierungen sich alsmachtlos oder nicht willens erwiesen haben, diese zu verhin-dern.

B. Die Frage der Legitimität 

204. Die Wirksamkeit des globalen Systems der kollektivenSicherheit hängt ebenso wie diejenige jeder anderen Rechtsord-nung letztlich nicht nur von der Rechtmäßigkeit der getroffenenEntscheidungen ab, sondern auch davon, ob diese gemeinhin alslegitim angesehen werden, also auf Grundlage solider Beweiseund aus den richtigen moralischen wie auch rechtlichen Grün-den gefällt werden.

205. Wenn der Sicherheitsrat den Respekt gewinnen soll, den

er als oberste Instanz des Systems der kollektiven Sicherheitgenießen muss, kommt es maßgeblich darauf an, dass seinewichtigsten und einflussreichsten Beschlüsse, die mit weitrei-chenden, über Leben und Tod entscheidenden Auswirkungenverbunden sind, besser getroffen, besser begründet und besserkommuniziert werden. Vor allem wenn es darum geht, über dieGenehmigung der Anwendung von Gewalt zu entscheiden,

sollte der Rat einen Katalog einvernehmlicher Leitlinien

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annehmen und systematisch anwenden, die von vornherein nichtder Frage gelten, ob Gewalt rechtmäßigerweise angewandtwerden kann, sondern vielmehr der Frage, ob sie guten Gewis-

sens und vernünftigerweise angewandt werden sollte. 206. Die von uns vorgeschlagenen Leitlinien werden nicht

dazu führen, dass künftig auf Knopfdruck vorhersehbare einver-nehmliche Schlussfolgerungen erzielt werden. Ihre Verabschie-dung soll keine Garantie sein, dass sich stets das objektiv besteErgebnis durchsetzt. Vielmehr sollen durch sie die bestmögli-chen Voraussetzungen für einen Konsens im Sicherheitsrat zuder Frage geschaffen werden, wann die Anwendung vonZwangsmaßnahmen einschließlich Waffengewalt angebracht istund wann nicht; ferner soll möglichst große internationaleUnterstützung für jede wie auch immer geartete Entscheidungdes Sicherheitsrats hergestellt und die Möglichkeit einerUmgehung des Sicherheitsrats durch einzelne Mitgliedstaatenweitestgehend ausgeräumt werden.

207. Bei seinen Beratungen über die Genehmigung oder

Billigung der Anwendung militärischer Gewalt sollte derSicherheitsrat – ungeachtet aller sonstigen Gesichtspunkte, dieer dabei berücksichtigt – stets zumindest von den folgenden fünf grundlegenden Legitimitätskriterien ausgehen:

a) dem Ernst der Bedrohung. Ist der Schaden, der der staatli-chen oder menschlichen Sicherheit droht, so geartet und hin-länglich offenkundig und schwer, dass der Einsatz militärischerGewalt prima facie gerechtfertigt erscheint? Liegen bei inner-staatlichen Bedrohungen tatsächliche oder unmittelbar zu be-fürchtende Fälle von Völkermord oder anderen Massentötungen,ethnischer Säuberung oder schweren Verstößen gegen dashumanitäre Völkerrecht vor?

b) der Redlichkeit der Motive. Ist offenkundig, dass das Haupt-ziel der militärischen Aktion darin besteht, einer drohendenGefahr Einhalt zu gebieten beziehungsweise sie abzuwenden,

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unabhängig davon, welche sonstigen Zielsetzungen oder Motiveim Spiel sind?

c) der Anwendung als letztes Mittel. Wurde jede nicht-mili-

tärische Option zur Abwendung der Bedrohung in Erwägunggezogen und liegen hinreichende Gründe zu der Annahme vor,dass andere Maßnahmen keine Aussicht auf Erfolg haben?