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This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution 4.0 International License. Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschung in Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht: Creative Commons Namensnennung 4.0 Lizenz. Zur Struktur des Enols von Benzoylaceton On the Structure of the Enol of Benzoylacetone W. Winter* und K.-P. Zeller* Institut für Organische Chemie der Universität Tübingen, Auf der Morgenstelle 18, D-7400 Tübingen 1 S. Berger Fachbereich Chemie der Universität Marburg, Lahnberge, D-3550 Marburg Z. Naturforsch. 34b, 1606-1611 (1979); eingegangen am 2. Juli 1979 Enolic Structure of 1,3-Diketones, X-ray, 13 C and 17 0 NMR Spectra, i 3 C 13 C Coupling Constants A low temperature X-ray study of the enol of benzoylacetone indicates fixed positions of the C and O atoms within the enolic ring system and an extensive bond delocalisation over these atoms. The distribution of electron density between the two oxygen atoms shows that the enolic hydrogen is spread over a wide range. This is in accordance with a structural model proposed by de la Vega, whereupon the C and O atoms are kept fixed in their average positions during a tunneling process of the hydrogen between the two oxygen atoms. With this conception, the chemical shifts in the 17 0 and 13 C NMR spectra, the 13 C 13 C spin coupling constants and the temperature independance of these values can be explained. 1.3-Diketone (1) besitzen eine große Tendenz zur Ausbildung von Enolen mit ungewöhnlich starker intramolekularer H-Brückenbindung. Die Frage nach der Struktur dieser Enole ist mit zahlreichen physikalischen Methoden untersucht und auf unter- schiedliche Weise beantwortet worden. R 1 -C- CH2-C-R 2 II II 0 0 1 2 3 4 NMR-Untersuchungen wurden sowohl im Sinne eines schnellen Gleichgewichtes 2 ^ 3 [1] als auch mit der Annahme einer symmetrischen Struktur 4 [2 4], die nur ein Potentialminimum für die intra- molekulare H-Brückenbindung aufweist, interpre- tiert. Nach 1 H-NMR-Untersuchungen an Derivaten, die am zentralen C-Atom des Enol-Rings z.B. mit * Sonderdruckanforderungen an Priv.-Doz. Dr. K.-P. Zeller oder Priv.-Doz. W. Winter (Röntgenstruktur- daten). 0340-5087/79/1100-1606/$ 01.00/0 einer Mesityl-Sonde substituiert sind, weist der Enolring allerdings keine „aromatischen" Eigen- schaften auf, wie eine Struktur 4 sie nahelegen könnte [5], Für das Vorliegen eines Doppelminimum- potentials mit kleiner Energiebarriere sprechen 2 H- bzw. 3 H-NMR-Messungen an Derivaten, in denen das enolische H-Atom durch die schwereren Isotope ersetzt ist [6]. Die gleichen Folgerungen ergeben sich aus mikrowellenspektroskopischen Messungen am Enol des Malodialdehyds [7]. Bei „klassischer" Betrachtung ändern sich beim Übergang 2 ^ 3 die Koordinaten aller Atome des Enolrings. Demgegenüber zeigten Fluder und de la Vega [13] in einer quantenchemischen Untersu- chung, daß mit Hilfe eines Tunneleffektes der Wasserstofftransfer zwischen den beiden Sauerstoff- atomen ohne Änderung der restlichen Atomkoordi- naten stattfinden kann. In der vorliegenden Unter- suchung wird dieses Modell am Beispiel des Enols von Benzoylaceton geprüft. Ergebnisse !H- [2], * 3 C- [4] und 17 0-NMR-Messungen [1] zei- gen eindeutig, daß Benzoylaceton (1, R 1 = Ph, R 2 = CH3) in Lösung praktisch ausschließlich als Enol vorliegt. In Tab. I sind die 13 C-NMR-Unter- suchungen zusammengefaßt. Die Darstellung von [2- 13 C] -1 - Phenyl- butandion- (1.3) [8] ermöglichte die Bestimmung der 13 C 13 C-Kopplungskonstanten zwischen C-2 und den übrigen C-Atomen.

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This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution4.0 International License.

Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschungin Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung derWissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht:Creative Commons Namensnennung 4.0 Lizenz.

Zur Struktur des Enols von Benzoylaceton

On the Structure of the Enol of Benzoylacetone

W . Winter* und K.-P. Zeller*

Institut für Organische Chemie der Universität Tübingen, Auf der Morgenstelle 18, D-7400 Tübingen 1

S. Berger

Fachbereich Chemie der Universität Marburg, Lahnberge, D-3550 Marburg Z. Naturforsch. 34b, 1606-1611 (1979); eingegangen am 2. Juli 1979 Enolic Structure of 1,3-Diketones, X-ray, 13C and 170 NMR Spectra, i3C13C Coupling Constants

A low temperature X-ray study of the enol of benzoylacetone indicates fixed positions of the C and O atoms within the enolic ring system and an extensive bond delocalisation over these atoms. The distribution of electron density between the two oxygen atoms shows that the enolic hydrogen is spread over a wide range. This is in accordance with a structural model proposed by de la Vega, whereupon the C and O atoms are kept fixed in their average positions during a tunneling process of the hydrogen between the two oxygen atoms. With this conception, the chemical shifts in the 170 and 13C NMR spectra, the 13C13C spin coupling constants and the temperature independance of these values can be explained.

1.3-Diketone (1) besitzen eine große Tendenz zur Ausbildung von Enolen mit ungewöhnlich starker intramolekularer H-Brückenbindung. Die Frage nach der Struktur dieser Enole ist mit zahlreichen physikalischen Methoden untersucht und auf unter-schiedliche Weise beantwortet worden.

R1-C- CH2-C-R2 II II 0 0

1

2 3 4

NMR-Untersuchungen wurden sowohl im Sinne eines schnellen Gleichgewichtes 2 ^ 3 [1] als auch mit der Annahme einer symmetrischen Struktur 4 [2 4], die nur ein Potentialminimum für die intra-molekulare H-Brückenbindung aufweist, interpre-tiert. Nach 1H-NMR-Untersuchungen an Derivaten, die am zentralen C-Atom des Enol-Rings z .B . mit

* Sonderdruckanforderungen an Priv.-Doz. Dr. K.-P. Zeller oder Priv.-Doz. W. Winter (Röntgenstruktur-daten).

0340-5087/79/1100-1606/$ 01.00/0

einer Mesityl-Sonde substituiert sind, weist der Enolring allerdings keine „aromatischen" Eigen-schaften auf, wie eine Struktur 4 sie nahelegen könnte [5], Für das Vorliegen eines Doppelminimum-potentials mit kleiner Energiebarriere sprechen 2H-bzw. 3H-NMR-Messungen an Derivaten, in denen das enolische H-Atom durch die schwereren Isotope ersetzt ist [6]. Die gleichen Folgerungen ergeben sich aus mikrowellenspektroskopischen Messungen am Enol des Malodialdehyds [7].

Bei „klassischer" Betrachtung ändern sich beim Übergang 2 ^ 3 die Koordinaten aller Atome des Enolrings. Demgegenüber zeigten Fluder und de la Vega [13] in einer quantenchemischen Untersu-chung, daß mit Hilfe eines Tunneleffektes der Wasserstofftransfer zwischen den beiden Sauerstoff-atomen ohne Änderung der restlichen Atomkoordi-naten stattfinden kann. In der vorliegenden Unter-suchung wird dieses Modell am Beispiel des Enols von Benzoylaceton geprüft.

Ergebnisse

!H- [2], *3C- [4] und 1 70-NMR-Messungen [1] zei-gen eindeutig, daß Benzoylaceton (1, R 1 = Ph, R 2 = CH3) in Lösung praktisch ausschließlich als Enol vorliegt. In Tab. I sind die 1 3C-NMR-Unter-suchungen zusammengefaßt. Die Darstellung von [2-13C] -1 - Phenyl- butandion- (1.3) [8] ermöglichte die Bestimmung der 1 3C1 3C-Kopplungskonstanten zwischen C-2 und den übrigen C-Atomen.

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W. Winter et al. • Zur Struktur des Enols von Benzoylaceton 1607

Tab. I. 13C-Verschiebungen und 13Q13C. Kopplungskonstanten zwischen C-2 und C-i im Enol von Benzoylaceton.

C-Atom 6 [ppm] J(2,i) [Hz]

1 183,4 63,9 2 96,8 3 193,8 61,0 4 25,9 9,9 5 135,1 7,6 6 127,1 2,2 7 128,8 < 0,4 8 132,4 < 0,4

Sowohl die chemischen Verschiebungen der 13C-Atome als auch die Kopplungskonstanten sind zwi-schen — 6 7 °C (in CD2CI2) und + 100 °C (in CD3C6D5) im Rahmen der Meßgenauigkeit von der Tempera-tur unabhängig.

Im 1 7O-NMR-Spektrum, das mit dem natürlichen Anteil von 3,7 x 1 0 - 2 % 1 7 0 erhalten wurde, finden wir in guter Übereinstimmung mit Gorodetsky et al. [1] zwei breite Signale bei 239 und 294 ppm (gegen H2170). rotz des ungünstigen Signal-Rausch-Verhältnisses gelang es erstmals, auch die 1 7O-NMR-Spektren temperaturabhängig zu ver-messen. Im Rahmen der Reproduzierbarkeit erfah-ren die 170-Signale keine Veränderung, wenn bei — 3 0 °C (in CHCI3) oder bei + 1 0 0 °C (in Toluol) gemessen wird.

Die Kristallstruktur von Benzoylaceton wurde bereits 1972 von Semmingsen [9] bestimmt. Die dabei gefundene Molekülgeometrie wurde bezüglich des Enolrings als asymmetrisch interpretiert, da die Enol-H-Position asymmetrisch lokalisiert wurde (siehe unten) und die C-C- sowie C-O-Bindungs-längen „wahrscheinlich signifikant verschieden waren". Der diesen Resultaten zugrundeliegende Reflex-Datensatz wurde jedoch bei Raumtempera-tur gemessen, was naturgemäß die Bestimmungs-genauigkeit der Molekülgeometrie wegen der ther-mischen Bewegung der Atome im Kristall nachteilig beeinflußt.

Um diesen Unsicherheitsfaktor möglichst weit-gehend auszuschalten, haben wir die Reflexintensi-täten des Benzoylacetons bei einer Kristalltempera-tur von — 1 3 0 ± 0 , 5 °C nochmals vermessen (siehe experimenteller Teil) und die Kristallstruktur unter Zugrundelegung des Strukturmodells von Semming-sen neu bestimmt. Der gemessene Datensatz von 1855 symmetrieunabhängigen Reflexen [Fo > 2 cr(Fo)]

erlaubte im Gegensatz zu der Messung von Semming-sen auch die Lokalisierung der Methyl-Wasserstoff-atome.

Die Tieftemperatur-Atomparameter sind in Tab. I I zusammengefaßt. Abb. 1 zeigt die wichtigsten Bin-dungslängen und Bindungswinkel, wobei wir die Atombezifferung enger an die chemische Nomenkla-tur angelehnt haben als Semmingsen.

H 7

Abb. 1. Bindungs winkel und Bindungslängen im Enol von Benzoylaceton (in Grad bzw. pm). Die Standard-abweichungen betragen 0,1° für die Winkel zwischen den Nicht-Wasserstoffatomen und ca. 2° für die H-C-C- und H-O-C-Winkel; die entsprechenden Werte für die Bindungslängen betragen 0,2 pm und ca. 3 pm.

Die gefundenen Strukturdaten sind im wesent-lichen identisch mit den Angaben von Semmingsen, wenn man die „rigid body motion" - korrigierte Geometrie mit den hier vorliegenden Tieftempera-turdaten vergleicht. Unterschiedliche Bindungs-längen bzw. -winkel haben wir jedoch für die Benzol-C-Atome C 1 0 - C 5 - C 6 und für den Enolring gefunden. So erscheinen uns beispielsweise die Bin-dungslängen C 6 - C 5 (139,3 pm) und C 5 - C 1 0 (139,7 pm) innerhalb der Standardabweichung äqui-valent, während die alten Werte von 140,1 und

N R •• H-''

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1608 W. Winter et al. • Zur Struktur des Enols von Benzoylaceton 1608

Tab. II. Atomkoordinaten und anisotrope Temperaturfaktoren* (für C und O) x 104 von Benzoylaceton bei — 1 3 0 °C. Standardabweichungen in Klammern; Atombezifferung s. Abb. 1.

Atom x/& y/b z/c Un u22 u33 u23 u13 u12

O l -0,0090(1) 0,1355(2) 0,0637(1) 360(6) 285(5) 286(5) -88(4) 31(4) 49(5) 0 2 -0,2548(1) 0,3151(2) -0,0410(1) 311(5) 389(6) 291(5) -72(5) 16(4) 2(5) Cl -0,0086(2) 0,3283(2) 0,1012(1) 220(6) 229(6) 223(6) -18(5) 99(5) 39(5) C2 -0,1258(2) 0,5176(3) 0,0707(1) 260(6) 240(7) 242(6) - 2(5) 79(5) 16(5) C3 -0,2472(2) 0,5016(3) -0,0013(1) 209(6) 313(7) 271(6) 45(6) 105(5) -17(5) C4 -0,3726(2) 0,7040(3) -0,0349(1) 275(7) 378(9) 303(7) 88(7) 61(6) 38(6) C5 0,1220(2) 0,3332(2) 0,1771(1) 197(5) 202(6) 218(5) 10(5) 88(4) -16(5) C6 0,1247(2) 0,5203(3) 0,2253(1) 226(6) 217(6) 259(6) - 8(5) 84(5) 16(5) C7 0,2476(2) 0,5186(3) 0,2961(1) 266(6) 282(7) 241(6) -52(5) 86(5) -23(6) C8 0,3692(2) 0,3309(3) 0,3195(1) 241(6) 329(7) 232(6) 39(6) 69(5) -18(6) C9 0,3677(2) 0,1443(3) 0,2719(1) 276(7) 271(7) 294(7) 70(6) 113(5) 53(6) C10 0,2440(2) 0,1438(3) 0,2011(1) 281(6) 214(6) 263(6) 14(5) 129(5) 20(5) H l -0,1147(36) 0,1698(55) 0,0077(15) 1189(102) H2 -0,1226(23) 0,6612(36) 0,0980(10) 435(51) H41 -0,4915(30) 0,6431(42) -0,0622(12) 680(67) H42 -0,3316(31) 0,7855(47) -0,0710(72) 819(77) H43 -0,3839(29) 0,8203(46) 0,0012(13) 750(75) H 6 0,0435(20) 0,6493(30) 0,2106(8) 287(40) H 7 0,2496(21) 0,6483(32) 0,3287(9) 342(44) H8 0,4555(21) 0,3301(31) 0,3704(9) 305(43) H9 0,4519(21) 0,0070(32) 0,2862(9) 336(44) H 10 0,2384(21) 0,0085(31) 0,1677(9) 301(42)

* Anisotrope Temperaturkorrektur: exp [— 2 tl1 ( U u / i 2 a * 2 + U22fc2b*2 + U 3 3 Z 2 C * 2 + 2U 2 3&Zb*c* + 2 U I 3 Z / * c * a * + 2 U I 2 M a * b * ] .

138,8 pm nicht so deutlich die chemisch äquivalen-ten Bindungsverhältnisse wiedergeben. Die uns be-sonders interessierenden Bindungslängen C 1 - C 2 (139,3 pm) und C 2 - C 3 (140,3 pm) haben sich bei einer Differenz von nur 1 pm noch deutlicher einan-der angeglichen. Die gleiche Tendenz finden wir bei der Differenz der C l - O l - und C3-02-Bindungen (1,4 pm).

Diskussion

a) Röntgenstrukturanalyse Für den kristallinen Zustand erlauben unsere

Tieftemperatur-Röntgendaten des Benzoylacetons eindeutige Aussagen zugunsten einer Struktur mit Bindungslängenausgleich zwischen denNichtwasser-stoff-Atomen des Enolrings. Dieser Bindungsaus-gleich kann weder durch eine statistische Verteilung der Strukturen 2 und 3 mit jeweils fixierten Doppel-und Einfachbindungen noch durch einen dynami-schen Prozeß 2 ^ 3 im Kristallgitter vorgetäuscht werden. In beiden Fällen wären die für alle Atome -außer für den enolischen Wasserstoff - gefundenen niedrigen Temperaturfaktoren nicht zu erwarten.

Wie die in Abb. 1 angegebenen Bindungsabstände zeigen, sind die C- und O-Atome im planaren Enol-

ring weitgehend, aber nicht völlig symmetrisch angeordnet. Die unterschiedlichen Bindungslängen müssen in Anbetracht der Standardabweichungen nach Cruickshank und Robertson [10] als signifikant bis hochsignifikant bezeichnet werden. Eine mög-liche Erklärung für diese Asymmetrie läge zweifellos in der unterschiedlichen Substitution der Enol-Atome C l und C3 und der konjugativen Wechsel-wirkung des nur um 6° gegenüber der Enolebene geneigten Benzolrings. Kristallstrukturbestimmun-gen von symmetrisch substituierten Dibenzoyl-methanen [11, 12] haben jedoch ähnliche Differen-zen innerhalb des Enolrings ergeben, so daß eine substitutionsabhängige Enol-Asymmetrie zunächst nicht eindeutig bejaht werden kann. Streng ge-nommen ist jedoch die symmetrische Substitution z .B . auch beim Dibenzoylmethan [12] nicht erfüllt, da die beiden Phenylringe um — 4 ° und + 1 7 ° gegenüber der Enolebene geneigt sind und so-mit unterschiedliche Konjugationswechselwirkun-gen ausüben können.

Nitromalonamid, ein weiteres, erst vor kurzem veröffentlichtes Beispiel für ein symmetrisch sub-stituiertes Enol, ist gleichfalls durch zahlreiche intermolekulare Wasserstoffbrückenbindungen ge-kennzeichnet [15]. Diese intermolekularen Wechsel-

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W. Winter et al. • Zur Struktur des Enols von Benzoylaceton 1609

Wirkungen dürften sicherlich eine wichtige Rolle bei den gefundenen Bindungslängendifferenzen spielen.

Beim Bis-(m-chlorobenzoyl)-methan [11] liegen die Abweichungen von einer symmetrischen Enol-struktur bereits innerhalb der Standardabweichun-gen und sind deswegen nicht mehr signifikant.

Aus den genannten Gründen halten wir es dem-nach für gerechtfertigt, die Bindungen im Enolteil 0 1 - C 1 - C 2 - C 3 - 0 2 als ausgeglichen zu betrachten und die geringfügigen Abweichungen als Störungen der Substitution und der intermolekularen K r ä f t e zu interpretieren.

Abb. 2. Differenz-Fourier-Synthese in der Enolring-Ebene. Bei der Berechnung der Fc 's wurde H1 weg-gelassen. Die Angaben zu den Höhenlinien beziehen sich auf die Einheit eÄ - 3 .

Abb. 2 zeigt die Elektronendichte-Verteilung einer Differenz-Fourier-Synthese (ohne das Enol-H-Atom) in der Ebene des Enolrings. Aus ihr geht hervor, daß sich die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des enolischen Wasserstoffs im Gegensatz zu der aller übrigen Atome über einen weiten Bereich er-streckt. Gleichzeitig wird deutlich, daß das Enol-H-Atom stärker zum ,,Benzoyl-Sauerstoff" O l orientiert ist.

Der gefundene starre A u f b a u des aus den Kohlen-stoff- und Sauerstoffatomen zusammengesetzten Teils des Enolrings steht in Übereinstimmung mit theoretischen Ergebnissen von de la Vega [13] am

Enol des Malondialdehyds. Danach findet beim Übergang des Wasserstoffs von O l zu 0 2 keine Bewegung entlang der Reaktionskoordinaten des Doppelminimumpotentials statt, bei der sämtliche Atome ihre Koordinaten ändern müßten. Beim Vorliegen eines quantenmechanischen Tunneleffekts kann ein direkter Transfer des Wasserstoffs statt-finden, wobei alle Atome außer dem bewegten H-Atom ihre mittlere Lage beibehalten. Die in Abb. 2 zum Ausdruck kommende größere Aufent-haltswahrscheinlichkeit des enolischen Wasserstoffs am Benzoylsauerstoff 0 1 entspricht qualitativ quantentheoretischen Ergebnissen [14], wonach selbst kleine Störungen der Symmetrie des Doppel-minimumpotentials (bedingt durch unsymmetrische Substitution; R 1 ^ R 2 ) einen starken Einfluß auf die Verweilzeit des H-Atoms an O l bzw. 0 2 aus-üben.

b) NMR-Messungen In Lösung wurde das Auftreten von zwei 17 0-

Resonanzen im 1 7 0-NMR-Spektrum von /?-Diketo-nen als das Ergebnis eines schnellen Gleichgewichtes zwischen zwei Enolformen 2 und 3 gedeutet [1]. Beispielsweise ergäbe sich die Lage des Sauerstoff-Atoms 0 1 im Enol des Benzoylacetons demnach als gewichteter Mittelwert des Carbonyl-Sauerstoffs in 2 und des enolischen Sauerstoffs in 3. Entsprechend wird das Sauerstoff-Atom 0 2 betrachtet. Anhand von Annahmen für die prinzipiell nicht meßbaren Frequenzen in den Tautomeren 2 und 3 schlössen Gorodetsky et al. [1] aus den gemessenen Werten auf eine Gleichgewichtskonstante K = [3]/[2] = 1,3.

2 3

Die von uns gefundene Temperaturabhängigkeit der 170-Signale würde bei dieser Betrachtungsweise bedeuten, daß für das Tautomerie-Gleichgewicht 2 ^ 3 z l H = 0 (oder zumindest sehr klein) ist. Aber auch die Annahme einer Struktur, wie die Röntgen-strukturanalyse sie für den kristallinen Zustand nahelegt, würde das Temperatur verhalten und die chemischen Verschiebungen von O l und 0 2 er-klären. Die Lage der 170-Signale (—239 ppm für O l ; — 2 9 4 ppm für 02) zwischen den Verschie-

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1610 W. Winter et al. • Zur Struktur des Enols von Benzoylaceton 1610

bungswerten von Carbonyl- 1 70 (<5 > —500 ppm) und hydroxylischen 1 7 0 {6 » 0 ppm) ist dann als Folge des Bindungsausgleichs über beide C-O-Bindungen anzusehen.

Prinzipiell ähnliche Argumente gelten hinsichtlich der 13C-Verschiebungen und der 13C13C-Kopplungs-konstanten. So läßt sich die etwas größere Kopp-lungskonstante 1 J(C2-C 1) = 63,9 Hz einerseits da-mit verstehen, daß durch den größeren Beitrag von 3 zum Tautomerie-Gleichgewicht die Bindung C 1 - C 2 im zeitlichen Mittel mehr Doppelbindungs-charakter aufweist als 0 2 - 0 3 ( ^ ( 0 2 - 0 3) = 61,0 Hz). Bei Vorliegen einer Struktur mit Bindungsausgleich über die C- und O-Atome könnte der Differenz-betrag andererseits zwanglos auf die unterschied-liche Substitution an C l und C3 zurückgeführt werden.

Experimentelles Röntgenstrukturanalyse

Benzoylaceton-Einkristalle wurden durch lang-sames Eindunsten einer ethanolischen Lösung er-halten. Vorläufige Buerger-Präzessionsaufnahmen bestätigten die von Semmingsen [9] gefundenen Zellparameter und die Raumgruppe P2i/c. Ein Kri-stall mit den Abmessungen 0,21 x 0,43 X 0,52 mm3

wurde auf dem automatischen Einkristalldiffrakto-meter N O N I U S C A D 4 a u f — 130 °C gekühlt (Kühl-anlage der Firma E N R A F N O N I U S mit automati-scher Temperatur-Konstanthaltung). Die genauen Zellparameter wurden anhand eines Ausgleichsver-fahrens mit 25 starken Reflexen bestimmt (©-Be-reich 8-22°):

a = 809,2(2) pm b = 551,5(1) c = 1960,4(3) ß = 111,08(2)°

In einem 0-Bereich von 3-29° wurden 2307 Re-flexe im cü/0-scan gemessen (variable Meßgeschwin-digkeit, maximal 2 min pro Reflex; Graphitmono-chromator, MoK a) . Der variable scan-Winkel ge-horchte der Beziehung A 6 = (0,8 + 0,35 • tan 0)°, und die horizontale Apertur wurde ebenfalls variabel gewählt [(1,2 + 1,2 • tan 6) mm]. Periodisch gemes-sene Orientierungs- und Intensitäts-Standardreflexe zeigten keine signifikanten Abweichungen.

Die gemessenen Intensitäten wurden für Lorentz-und Polarisations-Effekte korrigiert und in relative Strukturfaktoren umgerechnet. 1862 Symmetrie-unabhängige Strukturfaktoren wurden als „beob-achtet" eingestuft [F > 2 cx(F)]. Eine genaue Durchsicht des Datensatzes ergab, daß die Reflexe 3 1 - 1 5 , 3 4-18 und 4 2-21 wegen Hochspannungs-überschlägen mit starken Meßfehlern behaftet waren. Sie wurden daher aus dem Datensatz ent-fernt.

Die Verfeinerung des Semmingsenschen Struktur-modells mit diesem Datensatz (C,0 anisotrop und H 2 sowie Benzol-H-Atome isotrop) kovergierte bei einem .R-Index von 0,069. In einer anschließenden Differenz-Fouriersynthese, in der die Reflexe mit sin 0/A < 0,3 mit doppeltem Gewicht versehen wur-den, konnten die von Semmingsen nicht lokalisierten Methyl-H-Atome H 4 1 - H 4 3 aufgefunden werden (max. Elektronendichte: 0,33 e • Ä~3). Das eben-falls nicht in die Verfeinerung aufgenommene und uns besonders interessierende Wasserstoffatom H l erschien in der F-Synthese über einen weiten Be-reich ,, verschmiert" (max. Elektronendichte: 0,16 e • Ä- 3 ) .

Die weitere Verfeinerung dieses nun vollständigen Strukturmodells (H-Atome isotrop) konvergierte bei R = 0,055 und RG = 0,068 {RG = [ZcoAzjZcoFe2]1 /2). Eine Varianz-Analyse und die Prüfung der F0/Fc-Liste zeigte noch größere Abweichungen für die Reflexe - 1 1 2 , - 2 1 3 , 0 0 4 und - 2 0 4 ( F 0 < F C ) . Da diese Abweichungen auch der F0/Fc-Liste von Semmingsen zu entnehmen sind, scheiden grobe Meßfehler aus, und als wahrscheinlichste Ursache für diese Differenzen können Extinktionseffekte in Betracht gezogen werden. Eine Endverfeinerung ohne diese extinktionsgeschädigten Reflexe führte zu einer praktisch identischen Molekülgeometrie, während die R- und RG-Werte bei 0,043 und 0,041 (Einheitsgewichte) konvergierten. Nach dem Hamil-ton-Test [16] ist in diesem Fall die Verfeinerung ohne die genannten Reflexe auf einem Signifikanz-Level !> 99,5% gerechtfertigt.

Sämtliche Rechnungen haben wir mit dem Pro-grammsystem S H E L X (von G. M. Sheldrick, Göt-tingen) auf der Rechenanlage Telefunken T R 440 des Zentrums für Datenverarbeitung der Universi-tät Tübingen durchgeführt. Die verwendeten Streu-faktorkurven wurden der Literatur entnommen [17].

Eine Liste der berechneten und beobachteten Strukturfaktoren sowie eine Liste mit sämtlichen Bindungs-Abständen bzw. -Winkeln ist auf Wunsch bei einem der Autoren erhältlich (W. W.).

NM R-M essungen Die 1 3 C-NMR-Daten wurden an einem Varian

XL-100-15 Spektrometer als 32 K-Fourier-Trans-form-Spektren bestimmt. Zur Messung der Tem-peratur diente ein Pt02-Thermometer mit digitaler Anzeige der Fa. Testotherm, Lenzkirch. Die Mes-sungen erfolgten in verdünnten Lösungen von CDaCeDs, CDCI3 und CD2C12 mit 2 H als Locksignal und TMS als innerem Standard.

Die 1 70-NMR-Messungen wurden am gleichen Gerät mit Gyrocode Observe-Zusatz vorgenommen. Die 1 70-Meßfrequenz betrug 13,56 H z ; als Lock-signal diente ein externer Fluorlock, und die chemi-schen Verschiebungen wurden gegen externes H 2 1 7 0 gemessen und sind ohne Susceptibilitäts-Korrektur angegeben. Die Pulsrepetitionszeit für die bei diesen Messungen benutzten 90°-Impulse betrug 0,05 sec bei einer Gesamtzahl von über 106 Akkumulationen.

Page 6: Zur Struktur des Enols von Benzoylacetonzfn.mpdl.mpg.de/data/Reihe_B/34/ZNB-1979-34b-1606.pdf · et al. [1] zwei breite Signale bei 239 und 294 ppm (gegen H2170). rotz des ungünstigen

W. Winter et al. • Zur Struktur des Enols von Benzoylaceton 1611

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