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April 2016 Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe, Carola Holler, Katharina Buck und Maria Lang Zusammenfassung Endbericht zur wissenschaft- lichen Evaluation des Projekts »Willkommenstage in der frühen Elternzeit« der Stiftung Polytechnische Gesellschaft (2013 – 2015)

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April 2016

Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe, Carola Holler, Katharina Buck und Maria Lang

Zusammenfassung

Endbericht zur wissenschaft-lichen Evaluation des Projekts »Willkommenstage in der frühen Elternzeit« der Stiftung Polytechnische Gesellschaft (2013 – 2015)

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Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main | Wissenschaftliche Evaluation des Projekts »Willkommenstage in der frühen Elternzeit«

Das Vorhaben Das Projekt »Willkommenstage in der frühen Eltern-zeit« richtet sich an Frankfurter Eltern in schwierigen Lebenslagen und will ihnen nach Geburt eines (wei-teren) Kindes zeitnah den Zugang zu passgenauen Angeboten und Diensten vor Ort vermitteln: Die teil-nehmenden Mütter und Väter werden in ihrer All-tagsbewältigung unterstützt und in ihrer verantwor-tungsvollen Rolle als Eltern mit einem Neugeborenen gestärkt. Das Projekt ist an sogenannte Schwellenfa-milien adressiert. Damit sind Familien gemeint, für die etwa sprachliche Hürden, finanzielle Probleme, beengte Wohnverhältnisse, soziale Isolation oder auch die Scheu vor Institutionen subjektiv als »un-überwindbare« Barrieren erscheinen, die es ihnen er-schweren, ihrem Kind ein in jeder Hinsicht gedeih-liches Aufwachsen zu ermöglichen, obwohl das ihr ausdrücklicher Wunsch ist. Die Grundannahme des Projekts lautet, dass Schwellenfamilien über aktivier-bare Ressourcen verfügen, wenn sie früh erreicht und durch qualifizierte Familienbegleiterinnen in ih-rem Alltag unterstützt werden. Zudem zielt das Pro-jekt darauf ab, für diese Familien eine dauerhafte Verankerung im Netz Früher Hilfen der Stadt Frank-furt am Main sicherzustellen. Die »Willkommens-tage« sind demnach weder für Hochrisikofamilien noch für Eltern ausgelegt, die sich gut selbst organi-sieren können und folglich kein derart intensives und zugehendes Angebot benötigen. Frankfurt verfügt mit dem Projekt »Willkommenstage in der frühen El-ternzeit«, das sich aus der Familienbildungsland-schaft der Stadt heraus entwickelt hat, über ein ziel-gruppenbezogenes Instrumentarium, das einen spezifischen, vorher kaum wahrgenommenen Bedarf aufgreift. Darin liegt ein Alleinstellungsmerkmal des Projekts.

Das VorgehenDie Evaluation der »Willkommenstage« zwischen 2013 und 2015 war auf der Grundlage von wissen-schaftlich gesicherten Parametern darauf angelegt, detaillierte Erkenntnisse zu den Effekten des Projekts für die Verbesserung der Lebens- und Alltagssituati-on der teilnehmenden Familien im Allgemeinen und für die Bindungs- und Beziehungsqualität zwischen Eltern und Kindern im Besonderen zu liefern. Zudem sollten fachliche und mentale Anforderungsprofile an

die Arbeit der Familienbegleiterinnen und an andere lokale Akteure identifiziert werden, die ein vernetztes und tragfähiges Unterstützungsangebot ermögli-chen, aber auch zur Stärkung des Selbsthilfepotenti-als der Familien beitragen. Schließlich ging es um die Gewinnung von Erkenntnissen zur Vorbereitung und Begleitung von Übergängen von Eltern und Kindern nach Ablauf der »Willkommenstage«. Das For-schungsdesign umfasste Befragungen von Expert_in-nen und Eltern, detaillierte Dokumentenanalysen, die Erstellung von Kosten-Nutzen-Analysen sowie die Er-arbeitung von Handlungsempfehlungen.

Die ErgebnisseDie »Willkommenstage in der frühen Elternzeit« wer-den sowohl aus Sicht der Expert_innen als auch aus Sicht der teilnehmenden Mütter und Väter als ein wertvolles, frühzeitig einsetzendes familienunterstüt-zendes Angebot innerhalb der multikulturellen Stadt-gesellschaft Frankfurts wahrgenommen. Die Familien werden gut erreicht und das primäre Ziel des Pro-jekts, eine tragfähige Bindungsbeziehung zwischen den Müttern und ihren Kindern zu entwickeln, wird umgesetzt. Die befragten Fachkräfte schätzen vor allem den relativ geringen Institutionalisierungsgrad aufgrund von insgesamt begrenzten zeitlichen und personellen Ressourcen als angemessen ein, um ein flexibles, situationsbezogenes Agieren zu ermögli-chen, und beschreiben die Zusammenarbeit zwi-schen den verschiedenen Akteur_innen als insgesamt sehr positiv und weitgehend problemlos. Eltern, die anfänglich nicht immer ganz klare Vorstellungen da-von hatten, was sie während der »Willkommenstage« erwartet, betonen im Rückblick, dass sie von den viel-fältigen Informationen zur Entwicklung ihres Kindes während der Hausbesuche, auf den Willkommens-samstagen und in den Müttercafés mehrfach profi-tiert haben. Sie betonten aber auch die Möglichkeit, sich mit anderen Müttern (und Vätern) in einer ähn-lichen Lebenslage regelmäßig austauschen zu kön-nen, als für sie wichtigen Teil des Projektes. Sie schätzen es zudem als einen ganz besonderen Bonus ein, in ihrer schwierigen Lebenssituation durch eine Familienbegleiterin in ihrem Alltag in verschiedener Hinsicht wertschätzend unterstützt, begleitet und weiter vermittelt worden zu sein mit dem Ziel, zu-künftig auftretende Probleme eigenständig zu lösen

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und die notwendigen Hilfesysteme möglichst selb-ständig dafür einzubinden. Es gibt auf Seiten der teil-nehmenden Familien aus unterschiedlichen kulturel-len Herkunftszusammenhängen einen ganz erheblichen Informations- und Aufklärungsbedarf über Strukturen, Spielregeln und Abläufe in der deut-schen Gesellschaft, der durch das »Willkommenstage«-Angebot aufgegriffen und bearbeitet wird. Aus wis-senschaftlicher Perspektive ist positiv hervorzuheben, dass das Projekt inzwischen stadtweit als Regelange-bot vorgehalten wird. Die reflexive Weiterentwick-lung und Erprobung der Grundkonzeption mit Geh- und Komm-Strukturen, die Einführung regelmäßiger Leitungstreffen von Projektkoordinator_innen und Projektleitung, standortübergreifende Arbeitstreffen der Familienbegleiterinnen und Väterpädagogen und schließlich die halbjährigen Klausurtage des gesamt-en »Willkommenstage«-Teams unter externer Mode-ration zeugen von der hohen Professionalität des Pro-jekts. Eltern und die befragten Expert_innen sprechen von den Willkommenstagen als »ein Geschenk für die Stadt Frankfurt«.

Die pädagogische Arbeit der »Willkommenstage« zielt zuvörderst auf die Entwicklung und Stärkung der Bindung von Müttern (und Vätern) zu ihren Neu-geborenen: Diese Bindungsbeziehungen entwickeln sich im Verlauf der 12-monatigen »Willkommens-tage« bei den teilnehmenden Eltern insgesamt er-freulich intensiv und gut; Mütter und Väter strahlen am Ende der Projektlaufzeit eine große Sicherheit im Umgang mit ihren kleinen Kindern aus. Sie haben ge-lernt, deren Bedürfnisse zu erkennen und sensibel darauf einzugehen, aber auch Grenzen zu setzen. Zu-dem wissen sie es zu schätzen, sich bei vorhandenen Unsicherheiten Rat bei ihrer Familienbegleiterin oder dem Väterpädagogen zu holen, ohne deshalb etwa als »schlechte Eltern« dazustehen. Sie haben gelernt, auf den Willkommenssamstagen ihre Fragen offen zu stellen, Hemmschwellen zu überwinden und in Austausch mit anderen Müttern zu treten. Obwohl die »Willkommenstage« primär intendieren, die Be-ziehung der Eltern zu ihrem jüngsten Kind positiv zu gestalten, sind die Wirkungen dennoch viel weitrei-chender, d. h. familiensystemisch, etwa, wenn im Verlauf der Teilnahme an den »Willkommenstagen« die Suche nach einem ruhigen Platz in der Wohnung für ein älteres Geschwisterkind zwecks Erledigung

der Hausaufgaben für die Schule zum Thema wird. Hervorzuheben ist schließlich, dass viele der am Pro-jekt beteiligten Mütter traumatische biographische Erfahrungen verarbeiten müssen und die Familienbe-gleiterin oft die erste erwachsene Person in Deutsch-land ist, der sie gänzlich vertrauen und die sie nicht enttäuscht. Die Bereitschaft, sich auf Neues einzulas-sen und auch andere »Baustellen« anzugehen, wird somit nur über die Vertrauensperson der Familienbe-gleiterin möglich. In diesem Sinne ist ihr eine thera-peutische Wirkung zuzuschreiben und es erweist sich als folgerichtig, dass sie zum Türöffner für Refe-rent_innen und für andere Kooperationspartner_in-nen im kommunalen Netzwerk wird. Das Erfordernis, auch nach Ablauf der »Willkommenstage« langfristig verlässliche Ansprechpartner_innen für die teilneh-menden Familien im jeweiligen Sozialraum zu haben, wird von den Fachkräften wiederholt betont. Es wer-den deshalb kommunale Versorgungssysteme und der Aufbau von Präventionsketten empfohlen, um die erzielten Effekte nachhaltig zu sichern. Die durchge-führte Evaluation macht deutlich, dass sich pädago-gische Ziele der »Willkommenstage« nur dann reali-sieren lassen, wenn die Problematik der alltäglichen Existenzsicherung der teilnehmenden Familien in Kooperation mit anderen kommunalen Akteur_innen und Institutionen im Sinne eines Präventionsnetz-werks mit verlässlichen Übergangsbegleitungen pro-fessionell angegangen wird. Dazu gehören Fragen der Klärung ihres Aufenthaltsstatus, der Wohnsituati-on, der Ausbildungs- und Beschäftigungsperspekti-ven für Mütter und Väter in Deutschland sowie ihrer finanziellen Lage insgesamt. Es ist eine Stärke der »Willkommenstage«, Übergangsbegleitungen bereits im Vorfeld der Teilnahme von Familien zu einem festen Bestandteil ihres Angebots zu machen, das heißt eine detaillierte fachliche Abklärung des Unter-stützungsbedarfs von Eltern und ihrem Neugebore-nen vorzunehmen und diese bei Bedarfen, die nicht zur Angebotsstruktur der »Willkommenstage« pas-sen, an alternative Hilfsangebote weiterzuvermitteln. Die Berücksichtigung der gewonnenen Projekterfah-rungen und die formulierten Handlungsbedarfe sind mit Blick auf die Chancengleichheit und soziale Inte-gration von Eltern und Kindern der Schwellenfami-lien von hoher gesellschaftlicher Relevanz. Hinzu kommt, dass die investiven Vorleistungen der Stif-tung Polytechnische Gesellschaft und beteiligter Ak-

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teur_innen der Stadt Frankfurt einen hohen »return on investment« generieren, wie die im Rahmen der Evaluation durchgeführte Kosten-Nutzen-Analyse von insgesamt fünf Fallbeispielen aus den »Willkom-menstagen« dokumentiert. Es wurden projekt- und fallbezogene Investitionen (Prozess- und Vernet-zungskosten im Projekt »Willkommenstage«) erfasst und mit lebenslaufbezogenen Folgekosten für Sozi-al-, Gesundheits- und Justizhaushalte bzw. mit Ein-nahmeverlusten durch entgangene Wertschöpfungs-potentiale entlang des Lebenslaufs kontrastiert, wenn entsprechende Hilfen und Supports nicht gegeben werden. Die beeindruckenden Kosten-Nutzen-Relati-onen zugunsten der Projektinhalte und ihrer Effekte dokumentieren, dass es sich bei den »Willkommens-tagen in der frühen Elternzeit« um eine kluge zu-kunftsweisende Investition in die Humanressourcen der Stadtgesellschaft Frankfurt handelt.

Prof. Dr. Uta Meier-Gräweleitet den Lehrstuhl für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Carola Holler, Katharina Buck und Maria Lang sind bzw. waren wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Lehrstuhl für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

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