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Zwischen Populismus und Geopolitik Die "Neue Türkei" im Spannungsfeld des 21. Jahrhunderts Zweite Auflage, aktualisiert und ergänzt, Stand 18. April 2017

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Zwischen Populismus und GeopolitikDie "Neue Türkei" im Spannungsfeld des 21. Jahrhunderts

Zweite Auflage, aktualisiert und ergänzt, Stand 18. April 2017

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Zwischen Populismus und Geopolitik – Die „Neue Türkei“ im Spannungsfeld des 21. Jahrhunderts

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Zwischen Populismus und Geopolitik – Die „Neue Türkei“ im Spannungsfeld des 21. Jahrhunderts

Bad Homburg, 18. April 2017

Die „Neue Türkei“ beginnt!

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Die Türkei hat sich entschieden. Mit knapper Mehrheit der stimmberechtigten Türken wurde am 16.4.2017 das historische Verfassungsreferendum angenommen. Die von Präsident Erdogan angestrebte Verfassungsreform wird nun in Kraft treten, hin zu einem autoritären und autokratischen System. Der ernsthafte Umbau des Landes in eine „Neue Türkei“ hat begonnen.

Aus westlicher Sicht fällt es zunehmend schwer, die Türkei zu verstehen und ihre wichtigsten Leitmotive nachzuvollziehen. Dies gilt insbesondere nach den rhetorischen und politischen Kampagnen der letzten Zeit. Doch genau aus diesem Grund ist es wichtig, das grundlegende Bild der Türkei zu erkennen und ihre Perspektiven nüchtern zu analysieren: Wie ist die tatsächliche Situation des Landes? Was sind die wirklichen Absichten von Präsident Erdogan? Auf welche Weise werden diese verfolgt und möglicherweise realisiert? Welche strategischen Ziele und geopolitischen Ambitionen liegen dem zugrunde? Und was sind die wirtschaftlichen, politischen und geostrategischen Restriktionen, denen ein Land wie die Türkei dabei unterworfen ist?

Das nachfolgende „Position Paper“ geht diesen Fragen nach. Es versucht dabei, das Bild einer „Neuen Türkei“ im Spannungsfeld des 21. Jahrhunderts zu zeichnen - getrieben zwischen Populismus und Geopolitik.

Die Analyse hat das Ziel, politisch Interessierten sowie strategischen Investoren ein klareres Bild der heutigen „Neuen Türkei“ zu vermitteln, ohne die in letzter Zeit sehr irreführenden politischen und rhetorischen „Nebelkerzen“. Eine solche grundlegende Analyse muss eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigen. Dazu gehören die kulturelle und politische Vorgeschichte ebenso wie Besonderheiten der Geographie und geostrategische Einflüsse. Entscheidend für das Gesamtbild ist dabei die interdependente, vernetzte und dynamische Betrachtung all dieser Faktoren, entsprechend der „FERI Cognitive Finance“-Methodik.

Die Analyse zeigt, dass die „Neue Türkei“ unter Präsident Erdogan einem klar umrissenen und zunehmend eigenständigen Kurs folgt, der weitreichende geostrategische Auswirkungen haben wird. Zugleich hat sich die Türkei einer extrem ambitionierten Fortschritts-Strategie verschrieben, die als „Agenda 2023“ bekannt ist. Das Land befindet sich in einer nationalen Aufbruchstimmung, die mit westlichen Augen bisher nicht leicht zu deuten ist. Dieser neue Kurs der „Neuen Türkei“ ist selbstbewusst, konfrontativ und deshalb auch voller Risiken. Dennoch sollte man, genau deshalb, einen schärferen Blick auf den Weg der „Neuen Türkei“ im 21. Jahrhundert richten.

Dr. Heinz-Werner Rapp Anastasia Topalova

Vorstand und Chief Investment Officer der FERI AG Senior Analyst der FERI Trust GmbH

Gründer & Leiter Steering Board Research Associate

FERI Cognitive Finance Institute FERI Cognitive Finance Institute

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INHALTSVERZEICHNIS

1. DER AKTUELLE WEG DER TÜRKEI ........................................................................ 1

2. POPULISMUS ALS ZEICHEN DER ZEIT .................................................................. 3

3. BESONDERHEITEN DER TÜRKEI........................................................................... 4

3.1 VERGANGENHEIT UND GESCHICHTLICHE TRADITION .................................................... 4

3.2 GEOGRAPHISCHE LAGE ................................................................................................... 6

3.3 KULTURELLE BESONDERHEITEN...................................................................................... 7

3.4 GEOSTRATEGISCHE DIMENSION ..................................................................................... 7

4. AKTUELLES BILD DER TÜRKEI ............................................................................ 14

5. STRATEGISCHE IMPLIKATIONEN ....................................................................... 19

6. ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSBETRACHTUNG ....................................... 22

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1. DER AKTUELLE WEG DER TÜRKEI

Das Jahr 2017 wird als entscheidende Wegmarke in die Geschichte der Türkei eingehen. Wichtigster

Eckpunkt ist das von Präsident Erdogan eingebrachte Verfassungsreferendum, das die Türkei in ein

autoritär geführtes Präsidial-Regime verwandeln wird.1 Die Chancen für diese Transformation stehen gut,

nachdem das Referendum am 17. April von den türkischen Wählern angenommen wurde, wenn auch mit

sehr knapper Mehrheit. Am Erfolg des Referendums war kaum zu zweifeln, da Präsident Erdogan zuletzt

jede Form von politischer oder medialer Opposition massiv eingeschränkt und mit juristischen

Zwangsmaßnahmen unterdrückt hat. Der bizarre Streit um öffentliche Wahlkampfauftritte in Ländern der

EU zeigte überdeutlich, wie hoch aus Sicht von Erdogan der politische Einsatz – aber auch der potentielle

Gewinn – bei dieser Abstimmung eingeschätzt wurde.

Bereits seit längerem regiert Präsident Erdogan die Türkei mit harter Hand. Doch erst der gescheiterte

Putschversuch im Sommer 2016 gab Erdogan die dafür erforderliche Legitimation. Seitdem kann auf

Grundlage des Ausnahmezustands mit Verordnungen und Dekreten nahezu unumschränkt regiert werden,

was in der Praxis eine massive und staatlich sanktionierte Einschränkung von Grundrechten und

demokratischen Werten wie der Demonstrations-, Meinungs- und Pressefreiheit bedeutet.

Immer offensichtlicher traten dabei die Züge einer autokratischen und demagogisch gefärbten

Herrschaftsform hervor. Diese äußern sich in gezieltem Machtmissbrauch, politischer Einschüchterung,

massiver Unterdrückung Andersdenkender sowie einer beispiellosen „Säuberungswelle“ quer durch

zahlreiche Berufsgruppen mit öffentlichem Einfluss. Besonders verbreitet sind Vorwürfe des Terrorismus,

der Unterstützung von Terrorismus, des Verrats und ähnlicher schwerer Vergehen. Dies kann bereits dann

drohen, wenn ein Richter, ein Staatsanwalt oder ein Journalist lediglich seiner normalen Aufgabe

nachkommt, dabei aber – aus Sicht von Erdogan - missliebige Aussagen oder Handlungen vollzieht.

Derart eklatante politische und juristische Zuspitzungen sind charakteristisch für die Türkei unter Präsident

Erdogan. Sie verraten einen massiven Drang zur Alleinherrschaft durch Ausschaltung jeglicher Opposition,

gleichzeitig aber auch ein beunruhigendes Ausmaß an politischer Paranoia. Diese richtet sich inzwischen

gegen Kurden, Anhänger des Predigers Gülen, Deutschland, Bundeskanzlerin Merkel oder – noch

1 vgl. dazu vertiefend: Shapiro, Jacob L., The Significance of the Turkish Referendum, in: Geopolitical Futures,

11.4.2017, https://geopoliticalfutures.com.

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pauschaler – die gesamte EU. Die lautstarken Anwürfe und Beschuldigungen der letzten Zeit, bis hin zu

unerhörten Nazi-Vergleichen, zeichnen ein Bild extremer Realitätsverzerrung und politischer Demagogie.

Durch Umsetzung der aktuellen Verfassungsreform wird dieser Zustand de facto politisch legitimiert und

konserviert. Dies ermöglicht künftig ein undemokratisches „Durchregieren“ von Präsident Erdogan in allen

wesentlichen Punkten politischer und gesellschaftlicher Relevanz - ein Risiko-Szenario, das die „Venedig-

Kommission“ der EU in ihrem jüngsten Bericht zur Türkei bereits klar zum Ausdruck bringt.2

Die Verfassungsreform leistet somit einer weitreichenden Umgestaltung der Türkei Vorschub – hin zu

einer „Neuen Türkei“, geprägt nach den Vorstellungen von Recep Tayyip Erdogan.3 Die entscheidende Frage

ist: Worauf basiert das Zielbild einer „Neuen Türkei“, und welche Rolle spielen dabei die Faktoren

„Populismus“ und „Geopolitik“?

2 vgl. dazu detailliert: European Commission for democracy through law (Venice Commission), Opinion No.

875/2017, Strasbourg 13. März 2017, Dokument unter: http://www.venice.coe.int/webforms/documents/?pdf=CDL-AD(2017)005-e.

3 Zur Bedeutung und den Inhalten der Verfassungsänderung im Einzelnen vgl.: „Was sich in der Türkei jetzt ändert“,

in FAZ Net, http://www.faz.net/aktuell/politik/tuerkei/praesidialsystem-beschlossen-was-sich-in-der-tuerkei-jetzt-aendert-14974937.html.

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2. POPULISMUS ALS ZEICHEN DER ZEIT

Ein völlig überzogener Populismus mit stark nationalistisch gefärbtem Unterton, aber auch das ständige

Aufbauen martialischer Feindbilder – angebliche kurdische Terroristen, imaginäre Gülen-Verschwörer, ein

rassistisches Deutschland, eine faschistische EU oder schlicht ein „bösartiges Ausland“ – klingen zwar in

westlichen Ohren reichlich abstrus, gehören inzwischen jedoch untrennbar zum neuen politischen Auftritt

der Türkei. Die Türkei befindet sich damit, so viel Fairness muss sein, in guter (besser: schlechter)

Gesellschaft anderer unschöner Beispiele der jüngsten Zeit. Ob Großbritannien, Frankreich, die Niederlande

oder die USA: Auch in der westlichen Welt sind der Populismus und sein pathologischer Umgang mit

Wahrheit und Objektivität erkennbar auf dem Vormarsch. Die Gründe dafür sind vielschichtig und sollen an

dieser Stelle nicht weiter vertieft werden.4

In der Türkei hat das Prinzip des Populismus jedoch inzwischen ein ganz neues Niveau erreicht: Die

Verbreitung einer zentralen politischen Doktrin mit dem alleinigen Anspruch auf Wahrheit und

Deutungshoheit, deren massive Durchsetzung gegen alle Prinzipien der Logik und der Objektivität sowie die

massive Unterdrückung, Verfolgung und gezielte Ausschaltung von Kritik und Pluralismus ähneln bekannten

Grundmustern totalitärer Regime.5

Hier stellt sich notwendigerweise die Frage nach dem Warum. Was ist der relevante Ursprung und was das

eigentliche Ziel dieses harten Populismus zwischen Paranoia und Personenkult?

4 vgl. dazu aber grundlegend: Rapp, Heinz-Werner, Der BREXIT und seine politische Dimension – Wendepunkt für

Regierungen und Investoren?, Buchbeitrag in: Platow-Jahresprognose 2017. Ähnlich auch: Aufstieg der Populisten – Ist die Ungleichheit schuld?, in: Zeit, 15.12.2016 (www.://zeit.de/2016/50/oekonomie-donald-trump-us-wahl-globalisierung-populismus).

5 vgl. dazu grundlegend: Judis, John B., The Populist Explosion, New York 2016. Nach knapp 100 Tagen

Regierungszeit von US-Präsident Trump lässt sich allerdings feststellen, dass auch die US-Regierung diesem verhängnisvollen Weg folgt. Vgl. dazu auch: Müller, Jan-Werner, Die Inkompetenz des Bösen, in: Handelsblatt, 31. März 2017, S. 64.

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3. BESONDERHEITEN DER TÜRKEI

3.1 VERGANGENHEIT UND GESCHICHTLICHE TRADITION

Zum besseren Verständnis der Vorgänge in der Türkei hilft ein Blick in die Vergangenheit und die reiche

Geschichte dieses Landes. Ähnlich wie auch China hat die Türkei eine lange geschichtliche und kulturelle

Tradition, die historisch sehr weit zurückreicht. In beiden Fällen erzeugt dies Selbstbewusstsein und

Nationalstolz, der sich zuweilen in nationalem Chauvinismus Bahn bricht. Die zuletzt oft wiederholte

Aussage von Präsident Erdogan, die Türkei sei „ein stolzes Land“, das sich von niemandem belehren lassen

müsse, bringt dieses Nationalgefühl auf den Punkt.6

Tatsächlich verfügt die Türkei (analog zu China) geschichtlich und kulturell über ein ungewöhnlich reiches

Erbe. Schon in frühgeschichtlicher Zeit, beim Übergang von der Steinzeit zu den ersten menschlichen

Städten, erscheint die Türkei als Vorreiter menschlicher Kulturentwicklung.7 Die Schwarzmeer-Region, ein

wichtiger Teil der Türkei, wird heute von vielen Historikern und Anthropologen als frühe Geburtsstätte

europäischer Hochzivilisation eingeordnet. Selbst der Sintflut-Mythos, ein zentrales Element

frühgeschichtlicher Mythen und kollektiver Menschheitserinnerungen, scheint seinen Ursprung am

Bosporus und am Schwarzen Meer zu haben.8

Wesentlich präsenter sind heute jedoch die späteren Phasen türkischer Dominanz, die in der Regel durch

militärische Expansion geprägt sind. Dazu zählen die Eroberung weiter Teile des Balkans und die Einnahme

Konstantinopels durch Sultan Mehmet II im Jahr 1453, die nachfolgende Transformation Konstantinopels

zur neuen Metropole „Istanbul“ sowie der mehrfache Marsch nach Wien, also bis ins Zentrum des

damaligen Europas. Im Anschluss an die Eroberungen von Mehmet II, fortgeführt und verstärkt durch

Sultan Süleyman „den Prächtigen“, folgte die Errichtung eines osmanischen Großreichs, das sich in seiner

Blütezeit vom Balkan und Südost-Europa über Ägypten und weite Teile Mesopotamiens und Arabiens

erstreckte.

6 vgl. exemplarisch: Erdogan verbittet sich Belehrungen aus Berlin, in: Handelsblatt online, 6. Juni 2016. 7 vgl. dazu: Schmidt, Klaus, Sie bauten die ersten Tempel – Das rätselhafte Heiligtum am Göbekli Tepe, München

2016. 8 vgl. dazu: Ryan, William/Pitman, Walter, Noah’s Flood- The New Scientific Discoveries about the Event that

Changed History, New York, 1999.

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Abb. 1: Das Osmanische Reich im Zeitablauf

Quelle: University of Illinois9

Dieses Großreich stand lange Zeit für türkische Vorherrschaft sowie für militärische und kulturelle

Dominanz in einem erheblichen Teil der damals bekannten Welt. Es überdauerte mehr als 4 Jahrhunderte

und zerbrach erst im Verlauf des ersten Weltkrieges, besiegt vom britischen Militär und mit Hilfe des

arabischen „Aufstands in der Wüste“.10

Die Phase nach Ende des ersten Weltkrieges markiert eine einschneidende Zäsur im Geschichtsbild der

Türkei. Militärisch geschlagen und reduziert auf das anatolische Kernland gaben erst die erfolgreich

geführten Befreiungskriege und die anschließende Gründung der Türkischen Republik durch Mustafa

Kemal „Atatürk“ im Jahr 1923 der Türkei wieder ein tragfähiges nationales Fundament.

Diese Phase der türkischen Geschichte ist durch starke Elemente geprägt, die der Türkei im 20. Jahrhundert

ein neues, säkulares und pro-westliches Leitbild vermittelten („Kemalismus“). Die Grundprinzipien des

Kemalismus, vor allem West-Orientierung, Modernität und Laizismus, also ein Bekenntnis zur politisch

9 vgl. dazu http://guides.library.illinois.edu/c.php?g=348323&p=2347110.

10 vgl. dazu grundlegend: Rogan, Eugene, The Fall of the Ottomans, UK, 2016; McMeekin, Sean, The Ottoman

Endgame, UK, 2016; Anderson, Scott, Lawrence in Arabia, UK, 2014.

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säkularen Republik, definierten bis vor wenigen Jahren das „Normalbild“ der Türkei. Ein starkes Militär, das

auch vor Putsch nicht zurückschreckte, galt als Garant dieser Prinzipien.

Insgesamt erklären (oder rechtfertigen) die stolze Vergangenheit und das reiche kulturelle Erbe der Türkei

ein ausgeprägtes nationales Selbstbewusstsein. Dieses Nationalgefühl, das in den letzten 20 Jahren

oftmals gelitten hat, wird inzwischen von Präsident Erdogan durch eine Vielzahl von Maßnahmen gezielt

angesprochen, aufgewertet und politisch instrumentalisiert. Dies ist wesentlicher Teil einer bewussten

Strategie, die Türkei im Rahmen einer „nationalen Bewegung“ zu homogenisieren und politisch klarer

auszurichten.

3.2 GEOGRAPHISCHE LAGE

Die geographische Lage der Türkei ist eine wichtige Besonderheit, die der Türkei in mehrfacher Hinsicht

„Leverage“, also politisches Kapital und strategische Verhandlungsmacht verleiht. Die Türkei liegt, wie

bereits in früherer Zeit, genau am Schnittpunkt von drei großen Machtzentren, die zugleich sehr

unterschiedliche Kulturen und Wertesysteme repräsentieren. Dies ist ein für die Identität der Türkei sehr

zentraler Faktor und - neben anderen Aspekten - geostrategisch von enormer Bedeutung. Dennoch wird

genau dieser Punkt in vielen politischen Analysen und Diskussionen oftmals übersehen oder unterschätzt.11

Die drei relevanten Kraftzentren sind einerseits die demokratisch-säkulare Europäische Union,

andererseits das neue, antidemokratisch-autoritär geprägte Russland, sowie der zunehmend religiös-

fundamentalistisch anmutende Nahe und Mittlere Osten. Aufgrund ihrer einmaligen Geographie hat die

Türkei eine zentrale Position genau an den Schnittlinien dieser drei gegensätzlichen Kraftzentren. Dies

bedeutet, dass die Türkei in besonderem Maße auch den divergenten, widersprüchlichen und vielfach

massiv ausstrahlenden Einflüssen dieser drei unterschiedlichen Kraftzentren ausgesetzt ist. Deren

Strukturen umfassen politische Ordnungen, Werte und Systeme, religiöse Ideologien und kulturelle

Eigenarten, aber auch markante Unterschiede in politischen Zielen und strategischer Ambition.12

11 vgl. dazu nachfolgend, Kapitel 3.4., zur vielfach unterschätzten politischen Bedeutung des Faktors „Geographie“;

vgl. grundlegend auch: Kaplan, Robert D., The Revenge of Geography, USA 2013, insbes. Kap. 14 („The Former Ottoman Empire“).

12 Dazu zählen etwa unklare „Erweiterungs-Ziele“ der EU, die unverhüllte strategische Ambition Russlands

(„Annexions-Politik“) sowie der orthodox-religiöse Einfluss von Ländern des Mittleren Ostens („Saudi-Arabien vs. Iran“).

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3.3 KULTURELLE BESONDERHEITEN

Die Lage am Schnittpunkt dominanter und zugleich divergenter Einflusssphären prägt - zumindest indirekt -

das kollektive Gedächtnis und kulturelle Bewusstsein der Türkei. Gleichzeitig strebt die Türkei aber nach

einer starken kulturellen und ideellen Identität. Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Kräfte sollte

ein hohes Maß an „innerer Zerrissenheit“, sowohl politisch als auch ideologisch, nicht überraschen. Als

„Land mit vielen Völkern“ leidet die Türkei ohnehin stark unter inneren Konflikten. Diese erreichen vielfach

bürgerkriegsähnliches Niveau, was immer wieder mit strikter (auch militärischer) Unterdrückung von

Minderheiten beantwortet wird. Charakteristisch ist der langjährige Kurdenkonflikt, der von der Regierung

in Ankara - nach einer kurzen Phase der Annäherung - zuletzt wieder mit äußerster Entschlossenheit und

Rigidität ausgetragen wird.13

Die Entrechtung, Kriminalisierung und Verfolgung ganzer Volksgruppen trägt in sich das Potential

dauerhafter innerer Spaltung. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass die stark islamisch geprägte Türkei

auch in religiöser Hinsicht zahlreiche Spannungslinien aufweist. Angehörige anderer

Religionsgemeinschaften sehen sich dabei zunehmend verfolgt und durch religiöse Intoleranz ausgegrenzt.

Insgesamt schränken diese kulturellen Divergenzen das Potential der Türkei als kohärentes, stabiles und

vorwärtsgerichtetes Land deutlich ein. Umgekehrt erklären aber genau diese Defizite die Entschlossenheit,

mit der Präsident Erdogan immer wieder die „Nationale Einheit“ der Türkei beschwört und durch rigorose

Politik zu stärken versucht.14

3.4 GEOSTRATEGISCHE DIMENSION

Die geostrategische Dimension der Türkei ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich und lässt sich durch

folgende sechs Begriffe charakterisieren:

- Geographische Lage - Wasser - Geopolitische Kraftlinien - Terrorismus - Ost-West-Konflikt - Migration

13 Der Völkermord an der armenischen Bevölkerungsgruppe Anfang des 20. Jahrhunderts gibt für diese Art von Politik

einen traurigen historischen Präzedenzfall, der bis heute jedoch in der offiziellen türkischen Geschichtsschreibung nicht thematisiert wird.

14 vgl. dazu bereits oben, Kapitel 3.1. sowie Kapitel 4.

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Aus der besonderen geographischen Lage der Türkei am Schnittpunkt dreier großer Kraftzentren erwächst

eine ungewöhnlich starke geostrategische Position.15 Diesen Punkt unterstreicht auch der frühere US-

Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski in seiner grundlegenden Abhandlung zu globaler Machtpolitik und

Geostrategie.16 Brzezinski definiert die Türkei, ebenso wie den Iran, als „pivotales Land“, also als

Verbindungselement und „Drehkreuz“ zwischen großen, geostrategisch bedeutsamen Machtblöcken des

„Eurasischen Kontinents“.17

Abb. 2: Die Türkei als „pivotales Land“ in einer umstrittenen Region

Quelle: Darstellung nach Halford Mackinder18

Bereits im frühen Mittelalter nahm die Türkei eine solche Rolle als Bindeglied und Drehkreuz zwischen

Orient und Okzident ein. Die Türkei war schon vor über 1000 Jahren asiatischer Endpunkt der von China

ausgehenden Seidenstraße, zugleich aber auch deren Verbindung zum Westen, also zu Europa.19 Noch

heute (besser: heute erneut) nutzt die Türkei ihre einzigartige Lage, um sich strategisch vorteilhaft

15 vgl. dazu bereits einführend oben, Kapitel 3.2. 16 vgl. Brzezinski, Zbigniew, The Grand Chessboard (2. Ed.), American Primacy and its Geostrategic Imperatives, USA,

2016. 17

vgl. Brzezinski (2016); in ähnlicher Weise auch: Fuller, Graham E., The New Turkish Republic: Turkey as a Pivotal State in the Muslim World, USA, 2008; analog auch bereits oben, unter Kapitel 3.2.

18 vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_einzige_Weltmacht:_Amerikas_Strategie_der_Vorherrschaft; analog auch:

Brzezisnki (2016). 19 vgl. dazu etwa das sehr informative Buch von Frankopan, Peter, The Silk Roads – A new History of the World, USA,

2016.

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zwischen Europa, Russland, dem Mittleren Osten - und neuerdings auch wieder China – zu positionieren.

Auch heute ist die Türkei wieder interkontinentaler Endpunkt einer „neuen Seidenstraße“, die von China

mit großem finanziellen Aufwand und hohem politischen Engagement quer durch Zentralasien

vorangetrieben wird.20 Die Türkei ist damit, neben anderen strategischen Vorteilen, Nutznießer

zunehmender innerasiatischer und interkontinentaler Handelsströme, darunter auch diverser Schienen-,

Straßen und Pipeline-Projekte.21

Abb. 3: Die Türkei im Zeitalter der „Neuen Seidenstraße“

Quelle: MERICS (Mercator Institute for China Studies)22

Das Bewusstsein dieser einzigartigen „pivotalen“ Geographie am Schnittpunkt globaler Kraftlinien

ermöglicht es der Türkei, geopolitisch und geostrategisch wesentlich „härter“ und gleichzeitig auch

„flexibler“ (im Sinne von „unabhängiger“) aufzutreten. Genau dieser Punkt wurde von Präsident Erdogan

20 vgl. dazu: http://www.merics.org/de/merics-analysen/china-mapping/seidenstrassen-initiative/. 21 vgl. dazu ausführlich: Colakoglu, Kasim, Geostrategische Energiepolitik der Türkei – Die Türkei als

Energiedrehscheibe der Zukunft, Hamburg, 2014. 22

https://www.merics.org/fileadmin/user_upload/pic/China-Mapping/ChinaMapping_Silk_Road_DEC2015.pdf.

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klar erkannt: Die Türkei unter Erdogan verfügt heute über ein ungewöhnliches Spektrum an Möglichkeiten,

um große Machtblöcke und Interessensphären opportunistisch für eigene Ziele zu nutzen und - je nach

Bedarf - gegeneinander auszuspielen.

Dies lässt sich in jüngster Zeit deutlich daran ablesen, wie Erdogan ausgeprägte „Pendel-Diplomatie“

zwischen Russland, China, Iran, Saudi-Arabien und der EU betreibt. Dies allerdings nicht, um zwischen den

verschiedenen Blöcken zu vermitteln, sondern einzig und allein zur besseren strategischen Positionierung

der Türkei.

Gleichzeitig soll damit allen Parteien signalisiert werden, wie unabhängig eine „Neue Türkei“ agiert, die im

Zweifel jederzeit Bündnisse mit unterschiedlichen Kräften eingehen kann. Die jüngsten Angriffe Erdogans

gegen die EU, ebenso wie die Absage an weitere EU-Beitrittsverhandlungen, bestätigen diesen Punkt

eindrücklich.23

Die „Neue Türkei“ bringt damit die westliche Gemeinschaft in eine sehr schwierige Lage: Über Jahrzehnte

hinweg war die Türkei integraler Bestandteil einer politischen Zweckgemeinschaft, die sich im Ost-West-

Konflikt und im Kalten Krieg vor allem auf die Eindämmung russischer („kommunistischer“) Ambitionen

richtete. Aus diesem Grund wurde die Türkei im Jahr 1952 als Mitglied in die NATO aufgenommen und

dient seitdem auch als wichtiger Stützpunkt der US-Streitkräfte im Nahen und Mittleren Osten. In den

1960er Jahren wurden in der Türkei diskret und mit viel Aufwand strategische US-Nuklearwaffensysteme

stationiert, um so die NATO-Außengrenzen am Rande Europas zu sichern.24

Dieser Status der Türkei als wichtiger Sicherheitspartner des Westens am Rande Europas gilt aus Sicht der

NATO noch immer als unverzichtbar. Heute setzt Präsident Erdogan jedoch genau dieses „Prinzip der

Unverzichtbarkeit“ als strategisches Faustpfand ein, um „dem Westen“ (darunter auch den USA) immer

wieder Zugeständnisse, Zusagen oder Fördergelder abzutrotzen. Gleichzeitig steht die Verlässlichkeit der

23 vgl. dazu: http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-03/tuerkei-referendum-eu-beitritt-recep-tayyip-erdogan. In

ähnlicher Weise sind auch die scharfen, persönlich beleidigenden Angriffe gegen den vorherigen US-Präsidenten Obama im Kontext der „Gülen-Auslieferung“ zu interpretieren; derartige Entgleisungen wären unter anderen Umständen für ein NATO-Mitgliedsland absolut undenkbar. Die abrupte Entfremdung und nachfolgende erneute Annäherung an Russland, nach Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs im Zuge des Syrien-Konflikts, belegen ebenfalls die äußerst ungewöhnliche Pendel-Politik der „Neuen Türkei“.

24 vgl. dazu: „Jupiter-Raketen in der Türkei“, http://www.gerline.de/interaktive-karte-infrastruktur-tuerkei-im-kalten-

krieg.php.

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Türkei als NATO-Partner immer mehr in Zweifel, wie diverse Aktionen rund um den syrischen Bürgerkrieg

sowie die mutmaßliche Unterstützung von IS-Terrornetzwerken zuletzt deutlich gezeigt haben. Auch dieses

oftmals widersprüchliche und offen gegen die Ziele der NATO gerichtete Verhalten bestätigt die Analyse,

wonach die Türkei ihren strategischen Kompass verändert und sich verstärkt als „unabhängig“ und nur

ihren eigenen nationalen Interessen verpflichtet definiert.25

Die strategisch herausragende Lage des Bosporus, als einzigem Wasserweg zwischen der Schwarzmeer-

Region und dem Mittelmeer, und zugleich als Trennlinie zwischen dem asiatischen und dem europäischen

Kontinent, verstärkt die geopolitische Verhandlungsmacht aus Sicht der Türkei. Speziell für Russland ist der

Bosporus als wichtiger Wasserweg von entscheidender strategischer Bedeutung. Seit der Annexion der

Krim liegen dort bedeutende Teile der russischen Flotte vor Anker. Die alte Sehnsucht russischer Admiräle

nach eisfreien Häfen und einem leichten Zugang zum Mittelmeer ist damit prinzipiell erfüllt, hängt aber von

freier Fahrt durch den Bosporus ab. Folglich hat die Türkei auch mit Blick auf Russland, zumindest

theoretisch, ein konkretes Faustpfand, das sich in vielerlei Hinsicht politisch und strategisch einsetzen

lässt.26

Die geostrategische Rolle der Türkei im Hinblick auf Wasser endet jedoch nicht mit dem Bosporus. Noch

wichtiger erscheint die türkische Kontrolle über die Quellen von Euphrat und Tigris, und damit über die

beiden wichtigsten Flusssysteme des Mittleren Ostens. Ähnlich wie China sich durch Zugriff auf Tibet die

Kontrolle über wichtige Flüsse und Wassernetze in ganz Asien gesichert hat, besitzt die Türkei im Rahmen

ihrer ausgedehnten Staudamm-Projekte die Macht, die Wasserversorgung für weite Teile des Mittleren

Ostens zu kontrollieren und im Krisenfall massiv einzuschränken.27

Auch wenn dieser Punkt wohl nur selten offen angesprochen werden dürfte, so bildet er dennoch aus Sicht

der Türkei ein sehr starkes (mindestens potentielles) Machtinstrument. Aktuell anstehende politische

25 Erschwerend kommt hinzu, dass die Türkei aufgrund der massiven Entlassungen und „Säuberungen“ durch

Präsident Erdogan im Bereich des Militärs heute in NATO-Kreisen kaum noch als kompetenter Partner wahrgenommen wird; vgl. dazu: „Führungsfähigkeiten geschwächt - Nato spricht Türkei Einsatzfähigkeit ab“; in: N-TV Online, 1.4.2017, http://n-tv.de/politik/Nato-spricht-Tuerkei-Einsatzfaehigkeit-ab-article19775504.html.

26 Ein „Ausspielen“ von Interessen der NATO gegen die Interessen Russlands (oder umgekehrt) erscheint dabei aus

Sicht der Türkei als naheliegende Strategie, um sich zusätzliche geostrategische Freiheitsgrade zu verschaffen. Die potentielle Gefährlichkeit einer solchen Strategie dürfe jedoch auch den politischen Führern in Ankara bewusst sein.

27 vgl. zu den Wasser-Projekten der Türkei in Südostanatolien: https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCdostanatolien-

Projekt.

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Zwischen Populismus und Geopolitik – Die „Neue Türkei“ im Spannungsfeld des 21. Jahrhunderts

12

Diskussionen und Verhandlungen zur Neuordnung des Mittleren Ostens können dadurch subtil, gleichzeitig

aber sehr wirkungsvoll beeinflusst und im Sinne der Türkei gelenkt werden.28

Eine weitere Dimension von geostrategischer Relevanz liegt aus Sicht der Türkei in ihrer relativen Nähe zu

den Aufmarsch- und Kampfgebieten islamistischer Terror-Netzwerke, vorrangig des sogenannten

Islamischen Kalifats (IS). Der IS operiert primär in Grenzregionen von Syrien sowie im Norden des Irak.

Beide Gebiete sind aus Sicht der Türkei von strategischer Bedeutung, da sie weitgehend deckungsgleich

sind mit traditionellen Siedlungsgebieten der Kurden. Im Bestreben, die kurdische Minderheit der Türkei zu

schwächen, hat die Türkei offensichtlich lange Zeit das Treiben des IS toleriert oder sogar aktiv

unterstützt.29 Implizit oder explizit ist die Türkei damit ein zentraler Faktor in der chaotischen Lage des

Mittleren Ostens. Da die Türkei gleichzeitig die größte Armee der Region unterhält (und zudem noch

Mitglied der NATO ist), sind auch die jüngsten türkischen Interventionen in Syrien und dem Nordirak von

direkter geopolitischer Relevanz.30 Die Türkei macht damit deutlich, dass jede Neuordnung des derzeitigen

Chaos im Mittleren Osten nicht ohne ihre Mitsprache erfolgen kann.31

Ein letzter geostrategischer Punkt betrifft die aktuelle Rolle der Türkei im Rahmen der sogenannten

Flüchtlingskrise. Aufgrund ihrer regional zentralen Lage stellt die Türkei einen wichtigen Rückzugsraum für

Flüchtlinge des Syrien-Konflikts dar. Gleichzeitig kontrolliert die Türkei aber auch direkt die wichtigsten

Migrationswege für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa (Zugang zur Ägäis und zur „Balkanroute“). Somit

verfügt die Türkei auch hier über ein wichtiges geopolitisches Faustpfand, das zuletzt bereits unverhohlen -

als Drohung gegen Europa - zum Einsatz kam.32

28 vgl. dazu: http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-07/syrien-wasser-strom-knapp;

http://diepresse.com/home/ausland/welt/1379196/Andere-haben-Oel-wir-haben-Wasser. 29 Einschlägige Geheimdienstberichte betonen, dass die starke Ausbreitung des IS und dessen problemlose

Versorgung und Refinanzierung ohne türkische Hilfe wohl kaum möglich gewesen wäre; vgl.: https://www.welt.de/politik/deutschland/article157727376/Wie-die-Tuerkei-islamistischen-Terroristen-hilft.html.

30 Die Tatsache, dass in der syrischen Krisenregion mit der Türkei und Russland zwei Parteien aus prinzipiell

gegnerischen „Sicherheits-Systemen“ (NATO vs. Russland) auf engstem Raum zusammenarbeiten (oder zumindest abgestimmt agieren), macht die Frage der geopolitischen Ausrichtung noch erheblich komplexer.

31 Gleichzeitig nutzt die Türkei das derzeitige Chaos offensichtlich auch, um missliebige Kurden-Milizen in den

betroffenen Regionen aktiv zu bekämpfen; vgl. http://www.n-tv.de/politik/Erdogan-laesst-Kurdenmiliz-weiter-bekaempfen-article18526686.html.

32 vgl. dazu: http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-recep-tayyip-erdogan-droht-mit-grenzoeffnung-fuer-

fluechtlinge-a-1123043.html. In analoger Weise wurde von Erdogan auch bereits der mögliche „freie Durchmarsch“ für Terroristen nach Europa als Drohung aufgebaut, vgl. http://www.zeit.de/news/2017-03/22/deutschland-erdogan-warnt-europaeer-sie-werden-nicht-mehr-sicher-sein-22135005.

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Zwischen Populismus und Geopolitik – Die „Neue Türkei“ im Spannungsfeld des 21. Jahrhunderts

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Insgesamt wird deutlich, dass die Türkei aus geostrategischer Perspektive über ein einzigartiges Spektrum

von natürlichen Vorteilen und politischen Verhandlungs-Parametern verfügt. Diese geben der Türkei

deutliches Gewicht in zahlreichen Fragen von geopolitischer und geostrategischer Relevanz. Der türkische

Präsident Erdogan ist in der Lage, diese Ausgangslage kühl und kalkuliert einzuschätzen. Er scheint bereit,

die bestehenden Vorteile konsequent (und vielfach rücksichtslos) zum Nutzen der Türkei auszuspielen. Dies

ist aus individuell türkischer Sicht verständlich und möglicherweise sogar rational. Gleichzeitig gibt dieser

Aspekt aber bestehenden und zukünftigen Bündnispartnern das klare Signal, dass die „Neue Türkei“ künftig

einen deutlich eigenständigeren (und eigennützigeren) Kurs verfolgen wird.

Die Schwerpunkte im geostrategischen Aktionsraum der Türkei verlagern sich dabei erkennbar von der

westlichen Hemisphäre in den zentralasiatisch-arabischen Großraum. Die Türkei sieht sich in dieser Region

als wichtigen Machtfaktor, dem ein Status als unverzichtbare Ordnungs- oder sogar Hegemonialmacht

zusteht. Die „Neue Türkei“ wendet sich damit wieder ihrer jahrhundertealten Tradition und Geschichte zu,

die stets an der Schnittstelle zwischen Europa, Asien und Arabien lag. Sie verändert so zugleich - in einer

der volatilsten Regionen der Welt - wichtige geopolitische Kraftlinien, die bisher primär von den beiden

Großmächten USA und Russland definiert wurden.33

Eine eindeutige „Einbindung“ der Türkei in westliche Wertesysteme, Bündnisse oder Wirtschaftsstrukturen,

wie noch in den 1980-2000er Jahren, scheint vor diesem Hintergrund auf absehbare Zeit illusorisch.

Stattdessen dürfte die „Neue Türkei“ einen aus ihrer Sicht flexiblen, unabhängigen und pragmatischen

Weg einschlagen, der jedoch aus Sicht anderer Länder zunehmend volatil, unberechenbar und

unfreundlich erscheinen dürfte. Das von der türkischen Regierung zuletzt klar gebotene Bild einer

„zornigen“ Türkei zeigt bereits deutlich, wie dieser Weg in Zukunft verlaufen dürfte.

33 Auch dieser Aspekt entspricht der früheren Analyse zur besonderen geostrategischen Rolle der Türkei durch

Brzezinski, a.a.O.

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Zwischen Populismus und Geopolitik – Die „Neue Türkei“ im Spannungsfeld des 21. Jahrhunderts

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4. AKTUELLES BILD DER TÜRKEI

Die aktuelle Entwicklung der Türkei zeigt ein widersprüchliches Bild. Das Land ist teilweise modern, urban

und industrialisiert, vielfach jedoch noch immer unterentwickelt, ländlich geprägt und auf dem Stand einer

vorindustriellen Agrarwirtschaft. In den letzten 15 Jahren verzeichnet die Türkei zwar ein starkes

Wirtschaftswachstum, musste aber zuletzt deutliche Einbrüche hinnehmen.34

Abb. 4: Wirtschaftswachstum und Investitionen zuletzt deutlich rückläufig

Quelle: FERI, 2017

Die vorangegangene Phase starken Wachstums erscheint aus heutiger Sicht artifiziell und wurde unter

anderem durch starke Verschuldung, auch im Ausland, angetrieben. Die Nachteile dieser Politik zeigen sich

heute unter anderem in hohen finanziellen, strukturellen und ökonomischen Risiken. Darunter fallen

exzessive Leistungsbilanz-Defizite, einhergehend mit hoher Auslandsverschuldung und folglich massiv

abwertender Landeswährung (vgl. dazu die nachfolgenden Abb. 5 und 6).

34 Ein erheblicher Teil dieser Einbrüche, speziell im wichtigen Bereich Tourismus, ist wohl unmittelbar auf das

drastisch veränderte politische Klima in der Türkei zurückzuführen. Auch die Neigung zu internationalen Direktinvestitionen in die Türkei leidet bereits erkennbar.

-15

-10

-5

0

5

10

15

00 05 10 15 20

in %

Yo

Y

TUR: Gross Domestic Product (real)- Quartalswerte -

-50

-25

0

25

50

00 05 10 15 20

in %

Yo

Y

TUR: Fixed Investment (real)- Quartalswerte -

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Zwischen Populismus und Geopolitik – Die „Neue Türkei“ im Spannungsfeld des 21. Jahrhunderts

15

Abb. 5: Leistungsbilanz-Defizite und Wechselkurs TRY/EUR

Quelle: FERI, 2017

Abb. 6: Abhängigkeit von Auslandsfinanzierung und „Misery Index“35

Quelle: FERI, 2017

35 „Misery Index“ = „Elends-Index“ = Summe aus Arbeitslosenquote & Inflationsrate

-10,0

-7,5

-5,0

-2,5

0,0

2,5

5,0

00 05 10 15 20

in %

de

s n

om

ina

len

BIP

TUR: Leistungsbilanz in % des nominalen BIP - Quartalswerte (s.a.) -

anhaltende Defizite in der Leistungsbilanz der Türkei

1,5

2,0

2,5

3,0

3,5

4,0

4,5

10 12 14 16 18 20

Wec

hsel

kurs

(inv

.)

Wechselkurs TRY/EUR- Tageswerte -

starke Abwertung der türkischen Lira seit 2015

* Foreign debt servicing in next 12 months minus current account balance

Quelle: BIS, World Bank, BCA. Stand: Q2/2016

-5

0

5

10

15

20

25

TUR MYS COL CHL RUS KOR CHN THA

in %

de

s B

IP

Abhängigkeit von Auslandsfinanzierung- Bedarf an Auslandsfinanzierung als % des BIP -

gefährliche Abhängigkeit der Türkei von Auslandsfinanzierung

10

15

20

25

05 10 15 20

in %

TUR: Misery Index- Monatswerte -

aktuelle Verschlechterung des "Misery Index"

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Zwischen Populismus und Geopolitik – Die „Neue Türkei“ im Spannungsfeld des 21. Jahrhunderts

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Die aktuellen Wirtschaftsdaten der Türkei zeigen zuletzt bereits wieder grundlegende Verschlechterungen

sowie eine generell deutlich erhöhte Fragilität.36 Auch der sogenannte „Misery Index“, der sich als Summe

aus Inflationsrate und Arbeitslosenquote errechnet, hat seit Monaten wieder eine stark steigende

Tendenz.37

Dennoch wurde die zurückliegende Phase künstlich erhöhten Wachstums von der Regierung genutzt, um

insbesondere strukturschwachen Landesteilen und ungebildeten Bevölkerungsgruppen finanzielle Vorteile

zu verschaffen. Damit wurde letztlich politische Loyalität und Unterstützung „erkauft“, was sich zuletzt in

einer starken Zustimmung großer Teile der Bevölkerung zu vielen Projekten der offiziellen Regierungspolitik

niederschlägt.38

In politischer Hinsicht ist die „Neue Türkei“ unter Präsident Erdogan zuletzt zunehmend durch starke

Betonung „nationaler“ Identität und Einheit sowie das Prinzip einer starken und autoritären Staatsführung

geprägt. Diese Elemente entsprechen grundsätzlichen Leitbildern des Kemalismus, zu denen sich auch

Erdogan anfangs bekannte. Im Gegensatz dazu, und in klarem Widerspruch zum Erbe des Kemalismus,

verfolgt die Türkei unter Erdogan gleichzeitig jedoch eine klare Abwendung von westlichen Werten.

Diese Abgrenzung geht Hand in Hand mit einer zunehmenden „Islamisierung“ und religiösen

Durchdringung der türkischen Zivilgesellschaft. Offenkundig sieht Präsident Erdogan, ganz Machtmensch,

Religion als wirkungsvolles Instrument und Bindemittel zur Schaffung möglichst homogener „Lager“ und

politischer Strukturen im Land. Durch martialische Reden, politische Geschenke und massiven Einsatz

populistischer Stereotypen wird versucht, diesen Effekt einer „nationalen Einheit“ weiter zu verstärken.39

36 Kennzeichen dieser Fragilität sind der massive Verfall (Abwertung) der Landeswährung, eine stark steigende

Inflationsrate sowie eine extrem hohe Abhängigkeit der Türkei von Auslandskrediten und folglich auch Kapitalzuflüssen aus dem Ausland. Diese Probleme sind teilweise interdependent: der starke Verfall der Türkischen Lira erschwert extrem die Fähigkeit zur Bedienung von Krediten in ausländischer Währung. Sinkt zugleich der Zufluss von Devisen in die Türkei (was als Folge der durch Erdogan ausgelösten Unsicherheit, unter anderem auch im Tourismus, bereits passiert), so entsteht eine extrem fragile und latent krisenanfällige Konstellation.

37 Auch hier zeigt sich exemplarisch die Komplexität des türkischen Problems: Der Verfall der Währung, der primär

durch eine schwache Wirtschaft sowie unsolide und stark populistische Politik ausgelöst wurde, erhöht die türkische Inflationsrate. Dies macht Anpassungen der Unternehmen erforderlich, was zu erhöhter Arbeitslosigkeit beiträgt. Beide Faktoren reduzieren das reale Volkseinkommen und erhöhen den „Misery Index“.

38 Die trotz zahlreicher persönlicher Skandale relativ breite Zustimmung für die Amtsführung von Präsident Erdogan

kann wohl ebenfalls auf diesen Faktor zurückgeführt werden. 39

vgl. dazu vertiefend: Friedman, George, Turkey, Secularism and Religion, in: Geopolitical Futures, 17.4.2017, https://geopoliticalfutures.com.

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Zwischen Populismus und Geopolitik – Die „Neue Türkei“ im Spannungsfeld des 21. Jahrhunderts

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Zuletzt scheint in der Türkei ein regelrechtes Programm zum langfristigen Machterhalt sowie zum Ausbau

autokratischer Strukturen abzulaufen. Die angestrebte Verfassungsreform, hin zu einer extrem starken

Form von Präsidialherrschaft, ist offenkundig ein sehr wichtiger Schlussstein im Gesamtbild. Zur Erreichung

dieses Ziels wurden zuletzt selbst provokanteste und abstruseste Mechanismen des Populismus genutzt,

speziell jedoch die bewusste Abgrenzung gegen selbst gewählte äußere Feinde und künstlich erzeugte

Feindbilder. In die erste Kategorie fallen alle angeblichen Hintermänner und Unterstützer des

Putschversuchs von 2016, die seitdem rigoroser Verfolgung (bis hin zur möglichen Todesstrafe) ausgesetzt

sind. Die zweite Kategorie bezieht sich auf „anmaßende“ und „belehrende“ Länder wie (kurzfristig)

Russland und inzwischen die EU, die Niederlande und Deutschland, jeweils in wechselnder Reihenfolge und

Intensität, jedoch mit zunehmend schrillen Untertönen.40

Angestrebtes Ziel ist offenkundig eine klare Positionierung der Türkei als unabhängige Regionalmacht mit

eigener Autorität. Die bisherige Zugehörigkeit zu „Lagern“, „Blöcken“ oder „Bündnissen“ – insbesondere

jedoch zur EU - wird zunehmend als Hemmschuh und retardierendes Element für die strategische

Weiterentwicklung der Türkei interpretiert. Stattdessen nutzt die „Neue Türkei“ nun aktiv ihre „pivotale

Lage“ zur geostrategischen Positionierung. Ziel ist erkennbar eine geopolitisch herausgehobene Rolle mit

mehr Einfluss und Stärke, vor allem auch als regional bedeutende Mittelmacht. Diesem Ziel wird,

zumindest vorerst, auch die traditionelle Vermittlerrolle zwischen „dem Islam“ und „dem Westen“

geopfert, die von der Türkei lange Zeit glaubwürdig wahrgenommen werden konnte. Stattdessen erfolgt

derzeit eine Vertiefung fundamental-islamischer Prinzipien, mit dem Ziel nationaler Stärkung und zugleich

strategischer Neudefinition und Neupositionierung der Türkei im aus ihrer Sicht relevanten

geostrategischen Aktionsraum.

Die Türkei ist heute ein Land mit rund 80 Millionen Einwohnern und relativ hoher Geburtenrate. Sie ist

damit, zumindest demographisch, auf Augenhöhe mit Deutschland als größtem Land Europas. Nicht zuletzt

deshalb interpretiert Präsident Erdogan offenbar Deutschland als natürlichen Rivalen in einer

geopolitischen Arena, dem man selbstbewusst (oder nach anderer Lesart: „unverschämt“)

gegenübertreten muss, um sein Revier zu markieren.41

40 vgl. dazu exemplarisch die Berichterstattung zahlreicher deutscher, niederländischer oder türkischer Medien im

März 2017. 41 Diese Vorgehensweise entspricht dem Prinzip der „Street Credibility“ unter jugendlichen Halbstarken. Dahinter

wiederum dürften die unverhohlene Selbsteinschätzung und der Anspruch stehen, die Türkei in absehbarer Zeit „größer“ und „wichtiger“ zu machen als das derzeit größte Land Europas.

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Zwischen Populismus und Geopolitik – Die „Neue Türkei“ im Spannungsfeld des 21. Jahrhunderts

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Abb. 7: Bevölkerungsanzahl und Geburtenrate (Deutschland vs. Türkei)

Quelle: FERI, 2017

Die klare Aussprache der Türkei „gegen die EU“ folgt und entspricht genau dieser Logik. Präsident Erdogan

brachte dieses Haltung noch am Vorabend des Referendums mit Blick auf die EU deutlich zum Ausdruck:

„Die Türkei ist nicht ihr Prügelknabe, jeder wird ihren Platz kennen.“42

Sowohl nach innen wie nach außen demonstriert die türkische Regierung damit den Anspruch der „Neuen

Türkei“, „für sich selbst zu stehen“ und niemandem verpflichtet zu sein. Zugleich signalisiert und

beansprucht die „Neue Türkei“ dadurch eine signifikante Erhöhung von taktischer und strategischer

Flexibilität, zulasten alter Prinzipien wie „Blockzugehörigkeit“ und tradierter Werte wie „Bündnistreue“.

Auf den Punkt gebracht: „Die Türkei ist nicht länger Europa“.43

Implizite Ziele und angestrebte Perspektiven für die weitere Zukunft sind somit:

- politische Einheit und straffe Führung der Türkei in eigener Verantwortung - globale Anerkennung und eigenständiger Status (u.a. gegenüber EU) - erhöhte geostrategische Unabhängigkeit und Verhandlungsmacht - starke Präsenz als regionale Ordnungsmacht in definierter Einflusssphäre

42 „Erdogan über die EU: Die Türkei ist nicht ihr Prügelknabe“, in: https://www.welt.de/politik/

ausland/article163728013/Die-Tuerkei-ist-nicht-ihr-Pruegelknabe.html. 43

„Die Türkei ist nicht länger Europa“, in: https://www.welt.de/politik/ausland/article163753003/Die-Tuerkei-ist-nicht-laenger-Europa.html.

* Quelle: UN Statistics

0,0

0,5

1,0

1,5

2,0

2,5

3,0

2000 - 2005 2005 - 2010 2010 - 2015Ki

nder

pro

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TUR DEU

TUR vs. DEU: Average Total Fertility Rate*- geschätzte Jahreswerte -

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20

40

60

80

100

2000 2010 2016

in M

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TUR DEU

TUR vs. DEU: Population- Jahreswerte -

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Zwischen Populismus und Geopolitik – Die „Neue Türkei“ im Spannungsfeld des 21. Jahrhunderts

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5. STRATEGISCHE IMPLIKATIONEN

Die „Neue Türkei“ hat sich unter der inzwischen 14-jährigen Führung von Recep Tayyip Erdogan deutlich

verändert. Aus Sicht einer ganzheitlichen Analyse wird sich dieser Veränderungsprozess auch weiterhin

fortsetzen. Wie die vorangegangenen Überlegungen implizieren, folgt die Transformation der Türkei einer

gezielten und breit angelegten Strategie in mehreren Stufen:

a) In der ersten Phase stand der Aspekt anhaltend starken Wirtschaftswachstums im Vordergrund,

wodurch der Lebensstandard breiter Bevölkerungsgruppen in der Türkei verbessert werden sollte.

Trotz erheblicher langfristiger Risiken und drohender „Bumerang-Effekte“ wurde dieser Teil des

Wandels in den vergangenen beiden Jahrzehnten weitgehend vollzogen. Der wirtschaftliche Erfolg

verschaffte der politischen Führung Rückhalt in der Bevölkerung und ermöglichte den Aufbau einer

starken politischen Plattform.

b) In einer zweiten Phase, die seit etwa 2013 angelaufen sein dürfte, stehen offensichtlich die

weitere Konsolidierung und der Ausbau zentralistischer Macht im Fokus. Das politische Handeln

der Regierungspolitik geht deshalb in eine klare Richtung: Charakteristisch sind die sukzessive

Ausschaltung und Unterdrückung von politischer Opposition und kritischen Medien, gezielte

Säuberungen und Disziplinierungen des Militärapparates und der Justiz sowie strenge Verfolgung

regierungskritischer Demonstrationen oder sonstiger Meinungsäußerungen.44 Zugleich wird die

nationale Einheit und Identität der Türkei beschworen, wobei zunehmend populistische

Propaganda eingesetzt und situativ eskaliert wird. Die Phasen nach dem gescheiterten

Putschversuch im Sommer 2016, aber auch die jüngsten verbalen und politischen Entgleisungen im

Zuge geplanter Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in der EU geben für diese Mechanismen

sehr deutliche Beispiele. Offenkundig sind diese Schritte aus Sicht der türkischen Staatsführung

wichtig, um das Land auf eine „neue Rolle“ einzustimmen – geprägt durch ein Zielbild innerer

Einheit und Stärke und akzentuiert durch demonstrative Abgrenzung nach außen.45

44 Bekanntlich erstreckte sich diese Verfolgung sogar auf Kinder, die von Präsident Erdogan wegen persönlicher

Beleidigung belangt wurden. 45

Diese Interpretation folgt direkt aus den Ableitungen oben, Kapitel 3 und 4, wo sie ausführlich dargestellt und begründet werden.

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c) Eine dritte Phase ist für das Jahr 2017 erkennbar. Diese Phase ist primär durch das von Recep

Tayyip Erdogan eingebrachte Verfassungsreferendum geprägt. Die nun anstehende Umsetzung

dieses Referendums wird das politische Profil der Türkei erneut dramatisch verändern. Der künftige

Status der „Neuen Türkei“ dürfte dann zu einer autokratisch geprägten Präsidialherrschaft

mutieren, unter weitgehender Marginalisierung demokratischer Elemente wie unabhängiger Justiz,

freier Presse und – nicht zuletzt – eines kritischen Parlaments. Dieses Zielbild hat zwar die Türkei

unter Präsident Erdogan bereits heute weitgehend implementiert, jedoch nur auf Basis temporärer

Notstands-Dekrete. Durch das Referendum werden derartige autoritäre Machtstrukturen nun

demokratisch legitimiert und für unbestimmte Zeit im Verfassungsrang verankert.46 Gleichzeitig

kann Präsident Erdogan noch zweimal wiedergewählt werden und so den Kurs der Türkei bis ins

Jahr 2029 bestimmen.47

d) Die vierte Phase resultiert klar aus den Phasen 1 - 3 und steht für die zukünftige offensive

Neupositionierung einer „starken Türkei“. Sie ist durch einen offen vorgetragenen Anspruch von

Macht und Stärke gekennzeichnet und geht in weiten Teilen einher mit der offiziellen „Agenda

Türkei 2023“, die den 100. Jahrestag der Gründung der Türkischen Republik hervorheben soll. In

dieser Agenda sind zahlreiche strategische Ziele für eine „Neue Türkei“ hinterlegt, die dem Land

sowohl wirtschaftlich als auch politisch und geostrategisch einen neuen, deutlich „elitären“ Status

verleihen sollen.48 Neben wirtschaftlichem und geostrategischem Fortschritt soll damit auch der

glanzvollen Vergangenheit der Türkei, insbesondere der einstigen Größe des „Osmanischen Reichs“

Tribut gezollt werden.49 Aus heutiger Sicht erscheinen viele der Ziele der Agenda 2023

überambitioniert und nicht mehr realistisch. Dennoch gibt diese Agenda wichtige Anhaltspunkte

46 vgl. dazu bereits oben, Kap. 1. Ausführlich auch: „Was Erdogans Präsidialsystem für die Türkei bedeutet“, in: Welt

Online, https://www.welt.de/politik/ausland/article163750172/Was-Erdogans-Praesidialsystem-fuer-die-Tuerkei-bedeutet.html; sowie: „Erdogan weitet Macht massiv aus“, in: Finanz und Wirtschaft Online, https://tablet.fuw.ch/article/erdogan-vor-massiver-machtausweitung.

47 Dieser Zeitstrahl ist unter anderem für die türkische „Agenda 2023“ von Bedeutung, die von Präsident Erdogan

maßgeblich vorangetrieben wird. 48

Unter anderem soll die Türkei bis 2023 eine zunehmend wichtige Rolle in der regionalen und globalen Politik spielen und zu den 10 größten Volkswirtschaften der Welt zählen; vgl. dazu die Aussagen von Ministerpräsident Davutoglu im Jahre 2010: „…Third, it (Turkey) will seek to play an influential role in regional conflict resolution. Fourth, it will vigorously participate in all global arenas. Fifth, it will play a determining role in international organizations and become one of the top 10 largest economies in the world. To achieve them, Turkey must make progress in all directions and in every field, take an interest in every issue related to global stability, and contribute accordingly.“ https://en.wikipedia.org/wiki/2023_vision.

49 „Zum hundertsten Jahr der türkischen Republik will Erdogan eine ökonomisch und politisch starke, international

angesehene Türkei formen. Diesem gigantischen Projekt ordnet er alles andere unter.“ (Steinbach, Udo, http://www.presseportal.de/pm/65442/2807694).

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dafür, wohin die „Neue Türkei“ künftig steuern wird. Die wichtigsten Annahmen und

Schlussfolgerungen dazu sollten aus Sicht strategischer Investoren unbedingt wahrgenommen und

sinnvoll interpretiert werden.50

Wichtige Implikationen für strategische Investoren, die aus diesen Punkten unmittelbar abgeleitet werden

können, sind:

Die Türkei befindet sich erkennbar in einem planvollen Prozess zur politischen und

strategischen „Neukalibrierung“, der in mehreren Stufen verläuft.

Die erste Stufe entspricht einer Phase der Loslösung („Befreiung“), in der die Türkei sich

aus bisherigen Bindungen löst und primär auf eigene Stärken setzt. Diese Stufe ist unter

anderem gekennzeichnet durch politische Provokationen und scheinbar erratisches

Verhalten. Sie induziert grundsätzlich erhöhte Instabilität und zahlreiche latente Risiken.

Diese Stufe ist bereits seit 2013 aktiviert und könnte im Jahr 2017 vorerst beendet sein.

Die zweite Stufe entspricht einer Phase der Konsolidierung, in der bestehende

Machtinstrumente und Machtarchitekturen gefestigt und weiter ausgebaut werden. Diese

Stufe dürfte planmäßig im Jahr 2017 beginnen, unterstützt und beschleunigt durch das

inzwischen gewonnene Verfassungsreferendum.

Die dritte Stufe wäre – im idealtypischen Verlauf – eine Phase der Stärke, in der zahlreiche

der vorangegangenen Transformationsprozesse zum Abschluss gebracht und als

Instrumente neuer nationaler Stärke zum Einsatz gebracht werden könnten.

Dieser idealtypische Verlauf bis hin zu Stufe 3 ist aus heutiger Sicht zwar durchaus möglich,

zumal vorerst noch ein starker politischer Rückhalt gegeben scheint. Dennoch liegen in der

letzten Stufe auch die größten Risiken: Diese resultieren aus der noch immer ausgeprägten

kulturellen Diversität (Kurdenfrage), aus möglichem Widerstand gegen autokratische

Machtstrukturen, aus zunehmend wahrscheinlichen ökonomischen Enttäuschungen,

Rückschlägen oder sogar Krisen sowie aus einer denkbaren strategischen Überforderung

der Türkei im Zuge ihrer geopolitischen Ambitionen („imperial overreach“).51

50 Diese wurden bereits dargestellt und müssen an dieser Stelle nicht wiederholt werden; vgl. dazu bereits oben,

Kapitel 3 und 4. 51 Als „imperial overreach“ wird die faktische „Überdehnung“ vorhandener Machtstrukturen im Zuge einer

expansiven Außenpolitik bezeichnet. Dieses Phänomen definierte das Ende des Römischen Weltreichs, den Einsturz des Napoleonischen Kaiserreichs sowie den Zerfall des britischen Empire.

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Zwischen Populismus und Geopolitik – Die „Neue Türkei“ im Spannungsfeld des 21. Jahrhunderts

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6. ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSBETRACHTUNG

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Türkei aus heutiger Sicht zwar durchaus noch ein

überdurchschnittlich „risikoreiches Land“ darstellt, wie dies auch in einschlägigen Länderratings zum

Ausdruck kommt.

Dennoch sollten die aktuellen politischen Irritationen nicht falsch verstanden werden. Diese sind weder

zufällig noch irrational, sondern folgen erkennbar einem klaren Plan. Sollte sich dieser Plan - gegen

zahlreiche Widerstände - als erfolgreich erweisen, so könnte das zukünftige Potential der „Neuen Türkei“

deutlich größer sein, als heute vielfach unterstellt.

Vor diesem Hintergrund sollte die weitere Entwicklung der Türkei nicht zu negativ interpretiert oder

vorschnell „verurteilt“ werden, sondern mit Offenheit – und anhand der skizzierten Entwicklungs-Stufen –

genau beobachtet und laufend neu interpretiert werden. Insbesondere die „Agenda 2023“ könnte aus Sicht

der Türkei ein wirkungsvoller Ansatz sein, um weitere Fortschritte auf dem Weg entlang der drei Stufen zu

erzielen.

Dieser Weg würde zwar zwangsläufig mit einer Abkehr von westlichen Werten sowie einer klaren

Einschränkung politischer Rechte einhergehen. Länder wie Russland oder China scheinen jedoch aus Sicht

der türkischen Machtelite ein klarer Beleg dafür zu sein, dass auch der Weg einer straff geführten

politischen Kommandowirtschaft strategisch zielführend (und persönlich lukrativ) sein kann.

Generelle Risiken auf diesem Weg liegen primär im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung und (In-)

Stabilität sowie in einer jederzeit möglichen politischen Eskalation.52 Im politischen Bereich ist der

autoritäre Kurs von Erdogan, trotz bisher hoher Zustimmungswerte, keinesfalls unumstritten. Insbesondere

die jüngere Generation, die vielfach pro-westlich orientiert ist und bisherige Freiheiten nicht verlieren

möchte, könnte das harte politische Klima einer „Neuen Türkei“ zunehmend ablehnen und die konservative

Politik Erdogans herausfordern.53

52 Zu den ernsten und zunehmend komplexen ökonomischen Risiken vgl. ausführlich oben, Kapitel 4. 53 Bisher jedoch hat Präsident Erdogan alle Demonstrationen, Protestbewegungen und sonstigen

Auflehnungsversuche einer kritischen Jugend sofort scharf verfolgt und eingedämmt.

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Aus geostrategischer Sicht liegt eine zentrale Herausforderung der Türkei darin, sich im Zentrum der

zahlreichen divergierenden Kraftlinien und Einflusssphären tatsächlich als ernstzunehmender „Spieler“ zu

behaupten. Insbesondere dürfte es für die Türkei zunehmend schwierig werden, ohne direkte

Unterstützung des Westens (bzw. der USA) zwischen den sehr konkreten russischen und iranischen Macht-

Ambitionen in der Region erfolgreich zu balancieren.54

Abb. 8: Die Türkei im Netzwerk geostrategischer Einflusssphären

Quelle: FERI Cognitive Finance Institute

Abschließend lässt sich feststellen, dass der Weg der „Neuen Türkei“ aus westlicher Sicht schwer

verständlich, konfliktreich und teilweise abschreckend erscheint. Dennoch wirkt der dahinterstehende

politische und transformatorische Prozess – aus Sicht der Türkei – durchaus planvoll, zielorientiert und

strategisch „rational“. In gewisser Weise ähnelt dieser Weg dem Ansatz, mit dem Wladimir Putin in den

letzten 15 Jahren das „Neue Russland“ geformt hat. Auch dessen Verlauf war nach westlichen Maßstäben

nicht unbedingt erfreulich, hat aber aus russischer Sicht unstrittig zu wirtschaftlichen Erfolgen, Stabilität

und einem deutlich gestärkten Nationalbewusstsein geführt.

54 Zusätzlich spielen auch, wie bereits dargestellt, die Interessenssphären von China und Saudi-Arabien eine

wesentliche Rolle in dieser Region; vgl. dazu bereits oben, Kapitel 3.2.

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Zwischen Populismus und Geopolitik – Die „Neue Türkei“ im Spannungsfeld des 21. Jahrhunderts

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Die Ähnlichkeiten in Zielsetzung und Vorgehensweise zwischen Russland und der „Neuen Türkei“ sind

unverkennbar. Neben vielen anderen Indizien spricht auch diese Parallele klar dafür, dass die „Neue Türkei“

sich zunehmend aus der (heute scheinbar noch maßgeblichen) „westlichen Hemisphäre“ zurückziehen

wird. Zugleich wird die „Neue Türkei“ künftig deutlich „religiöser“ und „autoritärer“ auftreten und vor

geopolitischen Konflikten nicht zurückschrecken.

Die Summe dieser Faktoren macht es aus Sicht westlicher Beobachter schwer, der „Neuen Türkei“

uneingeschränkt optimistisch und vertrauensvoll entgegenzutreten. Bisherige „Gewissheiten“, wie eine

pro-westliche Orientierung, eine säkulare Staatsform mit demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien

sowie eine gemäßigte und tolerante Religion können künftig nicht mehr unterstellt werden.

Strategische Investoren sollten diese Einschätzungen ernst nehmen und im Rahmen ihrer individuellen

Entscheidungen und Dispositionen bewusst berücksichtigen.

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