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Zwischen zwei Neuanfängen: Die Villa Romana von 1929 bis 1959 »Doch hofft der Vorstand zuversichtlich, die Räume der Villa ihren neuen Gästen bald nach Friedensschluß wieder öffnen zu können.« Aus dem VR-Jahresbericht Juli 1917 Als Theodor von Wächter die Villa Romana Anfang Mai 1915 verließ, war man voller Zuversicht auf eine geordnete Rückkehr. Im Juli 1917 erschien nochmals ein Jahresbericht, und trotz der ernüchtern- den Kriegssituation versuchte man, gute Stimmung zu vermitteln, um die Geldgeber zur Fortsetzung ihres Engagements zu animieren. Die dann folgenden Entwicklungen ließen alsbald alle Hoffnungen in weite Ferne rücken. Für das Haus selbst sah die Situation nach dem Krieg zu Anfang noch nicht einmal schlecht aus. Theodor von Wächters Schachzug der Übergabe des Anwesens an das Rote Kreuz bewirkte, daß die Villa zunächst eigentumsrechtlich unangetastet blieb. Vielleicht handelte es sich hier- bei nur um einen Irrtum, aber das ist gleichgültig, denn am 3. Oktober 1921 wurde die Villa Romana nachträglich unter Sequester gestellt. 1 Bereits zwei Jahre zuvor hatte es einen anderen herben Einschnitt gegeben. Am 12. Oktober 1919 erlitt Max Klinger einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholen sollte. Keine vierzehn Tage später erhielt Georg Hirzel einen diktierten Brief Klingers: »Lieber Hirzel! Hast Du an einem dieser Abende Zeit über die Villa Romana zu sprechen. […] Wir müssen in dieser Sache über Verschiedenes sprechen. Jedenfalls an mehreren Tagen, weil zu vielerlei zu bespre- chen ist.« 2 Die Lage der Villa Romana war kurz nach Kriegsende relativ aussichtslos, denn neben der Belegung des Hauses war inzwischen fast das gesamte Vermögen des Vereins durch Krieg und Inflation verloren gegangen. Max Klinger starb am 4. Juli 1920 in seinem Weinberghaus in Großjena. Eine der Totenreden hielt Käthe Kollwitz, die Klinger nicht nur den Villa Romana-Preis zu danken hatte. 3 Der Tod Klingers war für das Künstlerhaus ein schwerer Verlust, vor allem, weil man mit ihm als Gründer zugleich auch den persönlichen Garanten der Institution verloren hatte. Man hätte ihn in dieser neuen, von anderen Vorzeichen geprägten Zeit besonders gebraucht, denn der Verein mußte wieder handlungs- und zahlungsfähig werden. Vor allem brauchte man einen langen Atem, um die Rückgabe des Hauses zu erkämpfen. Vom ›Zweigestirn‹ Klinger/Hirzel, in dem Klinger übermütig und leidenschaftlich der Leitstern war, blieb der Kühlere allein zurück. 4 Nun – gewissermaßen verlassen und ohne die inspirierten Anregungen von Klinger – war Hirzel wirklich zum Buchhalter der Villa geworden. Selbst wenn man es ihm danken muß, daß er sich überhaupt um eine Sache kümmerte, die es in gewissem Sinne gar nicht mehr gab, entwickelte er auf sich allein gestellt merkwürdige, ja der Sache schadende Ideen. Bereits ein Jahr vor dem Tod Klingers war er an Kalckreuth mit dem Vorschlag herangetreten, den Villa Romana-Verein mit dem Deutschen Künstlerbund zu fusionieren. 5 Zu jenem Zeitpunkt war dies eine geradezu törichte Idee, denn niemand wußte, ob sich der Künstlerbund selbst überhaupt wieder zu einer Institution von Bedeutung sammeln würde. Gerade Klinger hatte ja um jeden Preis dafür gekämpft, daß die Villa Romana vom Deutschen Künstlerbund unabhängig blieb. Im Januar 1922 ging Hirzel noch einen traurigen Schritt weiter: »[…] mein Gedanke ist, auf irgend eine Weise die Villa wieder herauszubekommen, sie dann günstig zu verkaufen und mit der ansehnlichen Summe den Prämienfond für deutsche Künstler um ein sehr Beträchtliches zu erhöhen.« Hirzel dachte also plötzlich wie ein beliebiger Geschäftmann, der sich mäzenatisch betätigen will und dabei ein Zahlen- gebäude und kein Künstlerhaus mehr im Kopf hat. Daß er es dabei gut meinte, ist sicher, denn er fuhr fort: »sodass also die Jury nach wie vor Künstler auswählt auf irgend einer grossen Ausstellung und die Stipendien verteilt, mit denen der Ausgezeichnete hingehen kann, wohin er will, um seine Studien zu vervollkommnen.« 6 Die Idee der Villa Romana wollte er also auf die Verteilung von Geldgeschenken reduzieren. Aber es kam noch schlimmer, denn Hirzel, der nach wie vor Schatzmeister des Künstler- bundes war, wollte auch diesen Verein zu einem reinen »Unterstützungsbuereau« machen, um das böse Wort Klingers zu gebrauchen: »In der Zukunft, d.h. wenn wir die Villa herausbekommen und verkauft haben, sollten beide Vereine (DKB und VR) sich vollständig verschmelzen und gemeinsam nur noch mit den Zinsen ihres Kapitals für gute, von der Jury ausgewählte Künstler Stipendien verteilen.« 7 Schließlich wollte Hirzel die zentrale Idee des Künstlerbundes, die Veranstaltung von Ausstellungen für die Mitglieder, fast ganz abschaffen. 8 Über die Beliebigkeit seiner Gedanken war er sich offenbar nicht im klaren. Letztlich plante er damit nichts Geringeres als die Eliminierung beider Institutionen. Obwohl die Villa Romana ohne Hirzels Engagement wohl nie entstanden wäre, ist es ein Glück, daß er PHILIPP KUHN 1 Konsul Stiller an Auswärtiges Amt vom 16.11.1921, PAAA/B, Deutsche Botschaft Rom (Quirinal), Villa Romana Florenz, WO 7 1379 D. 2 Klinger an Hirzel vom 14.1.1920, VRA/F. Es sollte der letzte sein von rund 400 Briefen und Karten, die die Freundschaft der beiden belegen. Ein überwiegender Teil war der gemeinsamen Arbeit an der Villa Romana gewidmet. 3 Kollwitz 1989, S. 477. Die Kollwitz schrieb am 28.7.1927 an Peter Halm: »[…] die eigentliche Befruchtung ging von Klinger aus. Klinger ist mir wirklich unendlich viel gewesen.« Kopie des unveröffentl. Briefes in: BSH/M, Ana 538, Nachl. Lehrs. 4 Auf einer Karte Hirzels aus Florenz an Klinger vom 8.10.1912 zeigt eine Zeichnung Fritz Rheins »das Sternbild der Dioskuren Klinger-Hirzel«, Privatbesitz Bochum. 5 Hirzel an Kalckreuth vom 2.1.1920. Er äußerte vorsichtig, Kalckreuth habe dieser Idee im Sommer (1919) »freundlich« gegenübergestanden. BSH/M, Kalckreuthi- ana II. 6 Ebd.: Hirzel an Kalckreuth vom 26.1.1922. 7 Ebd. Man müsse darauf achten, daß die Villa Romana »nicht auf ein Unterstützungs- buereau herabkommt«, schrieb Klinger schon Ende Februar 1905 an Stuck, Städtische Galerie Würzburg, Nachl. Hugo von Habermann, HA 0631.011. 8 Ebd.: »Es wäre dabei später dann nicht ausgeschlossen, dass wir uns an irgend eine Künstlergruppe lose anschlössen, und wenn es Not tut, auch einmal eine Ausstellung finanziell unterstützen.« BSH/M, Kalck- reuthiana II. ABB. 035 Die verwahrloste Villa Romana kurz nach der Rückgabe, um 1928

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Zwischen zwei Neuanfängen: Die Villa Romana von 1929 bis 1959 »Doch hofft der Vorstand zuversichtlich, die Räume der Villa ihren neuen Gästen bald nach Friedensschluß wieder öffnen zu können.«Aus dem VR-Jahresbericht Juli 1917 Als Theodor von Wächter die Villa Romana Anfang Mai 1915 verließ, war man voller Zuversicht auf eine geordnete Rückkehr. Im Juli 1917 erschien nochmals ein Jahresbericht, und trotz der ernüchtern-den Kriegssituation versuchte man, gute Stimmung zu vermitteln, um die Geldgeber zur Fortsetzung ihres Engagements zu animieren. Die dann folgenden Entwicklungen ließen alsbald alle Hoffnungen in weite Ferne rücken. Für das Haus selbst sah die Situation nach dem Krieg zu Anfang noch nicht einmal schlecht aus. Theodor von Wächters Schachzug der Übergabe des Anwesens an das Rote Kreuz bewirkte, daß die Villa zunächst eigentumsrechtlich unangetastet blieb. Vielleicht handelte es sich hier-bei nur um einen Irrtum, aber das ist gleichgültig, denn am 3. Oktober 1921 wurde die Villa Romana nachträglich unter Sequester gestellt.1 Bereits zwei Jahre zuvor hatte es einen anderen herben Einschnitt gegeben. Am 12. Oktober 1919 erlitt Max Klinger einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholen sollte. Keine vierzehn Tage später erhielt Georg Hirzel einen diktierten Brief Klingers: »Lieber Hirzel! Hast Du an einem dieser Abende Zeit über die Villa Romana zu sprechen. […] Wir müssen in dieser Sache über Verschiedenes sprechen. Jedenfalls an mehreren Tagen, weil zu vielerlei zu bespre-chen ist.«2 Die Lage der Villa Romana war kurz nach Kriegsende relativ aussichtslos, denn neben der Belegung des Hauses war inzwischen fast das gesamte Vermögen des Vereins durch Krieg und Inflation verloren gegangen. Max Klinger starb am 4. Juli 1920 in seinem Weinberghaus in Großjena. Eine der Totenreden hielt Käthe Kollwitz, die Klinger nicht nur den Villa Romana-Preis zu danken hatte.3 Der Tod Klingers war für das Künstlerhaus ein schwerer Verlust, vor allem, weil man mit ihm als Gründer zugleich auch den persönlichen Garanten der Institution verloren hatte. Man hätte ihn in dieser neuen, von anderen Vorzeichen geprägten Zeit besonders gebraucht, denn der Verein mußte wieder handlungs- und zahlungsfähig werden. Vor allem brauchte man einen langen Atem, um die Rückgabe des Hauses zu erkämpfen. Vom ›Zweigestirn‹ Klinger/Hirzel, in dem Klinger übermütig und leidenschaftlich der Leitstern war, blieb der Kühlere allein zurück.4 Nun – gewissermaßen verlassen und ohne die inspirierten Anregungen von Klinger – war Hirzel wirklich zum Buchhalter der Villa geworden. Selbst wenn man es ihm danken muß, daß er sich überhaupt um eine Sache kümmerte, die es in gewissem Sinne gar nicht mehr gab, entwickelte er auf sich allein gestellt merkwürdige, ja der Sache schadende Ideen. Bereits ein Jahr vor dem Tod Klingers war er an Kalckreuth mit dem Vorschlag herangetreten, den Villa Romana-Verein mit dem Deutschen Künstlerbund zu fusionieren.5 Zu jenem Zeitpunkt war dies eine geradezu törichte Idee, denn niemand wußte, ob sich der Künstlerbund selbst überhaupt wieder zu einer Institution von Bedeutung sammeln würde. Gerade Klinger hatte ja um jeden Preis dafür gekämpft, daß die Villa Romana vom Deutschen Künstlerbund unabhängig blieb. Im Januar 1922 ging Hirzel noch einen traurigen Schritt weiter: »[…] mein Gedanke ist, auf irgend eine Weise die Villa wieder herauszubekommen, sie dann günstig zu verkaufen und mit der ansehnlichen Summe den Prämienfond für deutsche Künstler um ein sehr Beträchtliches zu erhöhen.« Hirzel dachte also plötzlich wie ein beliebiger Geschäftmann, der sich mäzenatisch betätigen will und dabei ein Zahlen-gebäude und kein Künstlerhaus mehr im Kopf hat. Daß er es dabei gut meinte, ist sicher, denn er fuhr fort: »sodass also die Jury nach wie vor Künstler auswählt auf irgend einer grossen Ausstellung und die Stipendien verteilt, mit denen der Ausgezeichnete hingehen kann, wohin er will, um seine Studien zu vervollkommnen.«6 Die Idee der Villa Romana wollte er also auf die Verteilung von Geldgeschenken reduzieren. Aber es kam noch schlimmer, denn Hirzel, der nach wie vor Schatzmeister des Künstler-bundes war, wollte auch diesen Verein zu einem reinen »Unterstützungsbuereau« machen, um das böse Wort Klingers zu gebrauchen: »In der Zukunft, d.h. wenn wir die Villa herausbekommen und verkauft haben, sollten beide Vereine (DKB und VR) sich vollständig verschmelzen und gemeinsam nur noch mit den Zinsen ihres Kapitals für gute, von der Jury ausgewählte Künstler Stipendien verteilen.«7 Schließlich wollte Hirzel die zentrale Idee des Künstlerbundes, die Veranstaltung von Ausstellungen für die Mitglieder, fast ganz abschaffen.8 Über die Beliebigkeit seiner Gedanken war er sich offenbar nicht im klaren. Letztlich plante er damit nichts Geringeres als die Eliminierung beider Institutionen. Obwohl die Villa Romana ohne Hirzels Engagement wohl nie entstanden wäre, ist es ein Glück, daß er

PHILIPP KUHN

1 Konsul Stiller an Auswärtiges Amt vom

16.11.1921, PAAA/B, Deutsche Botschaft

Rom (Quirinal), Villa Romana Florenz, WO

7 1379 D.

2 Klinger an Hirzel vom 14.1.1920, VRA/F.

Es sollte der letzte sein von rund 400

Briefen und Karten, die die Freundschaft

der beiden belegen. Ein überwiegender Teil

war der gemeinsamen Arbeit an der Villa

Romana gewidmet.

3 Kollwitz 1989, S. 477. Die Kollwitz schrieb

am 28.7.1927 an Peter Halm: »[…] die

eigentliche Befruchtung ging von Klinger

aus. Klinger ist mir wirklich unendlich viel

gewesen.« Kopie des unveröffentl. Briefes

in: BSH/M, Ana 538, Nachl. Lehrs.

4 Auf einer Karte Hirzels aus Florenz an

Klinger vom 8.10.1912 zeigt eine Zeichnung

Fritz Rheins »das Sternbild der Dioskuren

Klinger-Hirzel«, Privatbesitz Bochum.

5 Hirzel an Kalckreuth vom 2.1.1920. Er

äußerte vorsichtig, Kalckreuth habe dieser

Idee im Sommer (1919) »freundlich«

gegenübergestanden. BSH/M, Kalckreuthi-

ana II.

6 Ebd.: Hirzel an Kalckreuth vom 26.1.1922.

7 Ebd. Man müsse darauf achten, daß die

Villa Romana »nicht auf ein Unterstützungs-

buereau

herabkommt«, schrieb Klinger schon Ende

Februar 1905 an Stuck, Städtische Galerie

Würzburg, Nachl. Hugo von Habermann, HA

0631.011.

8 Ebd.: »Es wäre dabei später dann nicht

ausgeschlossen, dass wir uns an irgend eine

Künstlergruppe lose anschlössen, und wenn

es Not tut, auch einmal eine Ausstellung

finanziell unterstützen.« BSH/M, Kalck-

reuthiana II.

ABB. 035 Die verwahrloste Villa Romana kurz nach der Rückgabe, um 1928

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mit seinen letzten Ideen nicht durchdringen konnte. Georg Hirzel starb überraschend am 25. April 1924 im Alter von nur 56 Jahren. Noch am Ende desselben Jahres spitzte sich die Verhandlungslage über die Rückgabe des Hauses völlig unerwartet dramatisch zu. Die Villa war plötzlich gemeinsam mit anderen deutschen Besitzungen von den Italienern zur Versteigerung ausgeschrieben.9 Man konnte dies in letzter Minute abwenden, war nun aber zum Handeln gedrängt. Theodor von Wächter unternahm den entscheiden-den Vorstoß. Schon zuvor und offenbar weitgehend eigenmächtig hatte er wiederholt versucht, die Rückgabe der Villa zu beschleunigen. Seine leidenschaftliche, aber den Zweck der Institution durchaus treffende Argumentationsweise mißfiel den Administratoren der Villa. So hatte sich Hirzel schon 1920 gereizt geäußert: »Herr von Wächter, diese Kreuzung zwischen Dorfschulmeister und Waschfrau, darf man in seinen Briefen nicht so ernst nehmen.«10 Es war dann aber gerade Wächter, der Anfang 1925 auf den Gedanken kam, ein ausführliches Bittgesuch an Mussolini persönlich zu richten, das seine Wirkung nicht verfehlte. Ein gleichzeitig vom deutschen Botschafter von Neurath verfaßtes Schreiben an den Ministerpräsidenten enthält die diplomatische Untertreibung, »der Wert des kleinen Hauses ist gering«.11 Schließlich wurde durch königliches Dekret vom 7. Dezember 1925 die Freigabe der Villa Romana genehmigt.12 Ein halbes Jahr später konnte der deutsche Konsul in Florenz, Stiller, in Vollmacht des Villa Romana-Vereins von der ›Opera Nazionale per i Combattenti‹ das Haus »nebst Inventar soweit noch vorhanden« übernehmen.13 Nicht nur die Anmerkung zum Inventar weckt falsche Hoffnungen, denn in Wirklichkeit waren das gesamte Mobiliar, die Ausstattung und die Bibliothek entwendet worden. Das Haus war in verwahrlostem Zustand und in der Substanz stark beschädigt. Die Limonaia drohte einzustürzen, der Garten war verwildert, die Bäume größtenteils abgeholzt (ABB.

035).14 Diese Ausgangslage stellte den weitgehend ruinierten Verein vor kaum lösbare Aufgaben. Man hatte zwar das Haus zurückerobert, aber da man nichts zur Klärung der Nachfolgefrage von Klinger und Hirzel unternommen hatte, kam man zunächst keinen Schritt voran. Die Wende erbrachte die Hauptversammlung des Villa Romana-Vereins am 17. Novem-ber 1927 in Berlin.15 Es gelang dort nicht nur eine vielversprechende Neustrukturierung des Vereins, sondern an diesem Tag wurden grundsätzliche Entscheidungen getroffen, die der Institution bis heute ihre Unabhängigkeit garantieren. Schlüsselfigur dieses Vorgangs war der Bankier Arthur Salomonsohn, Miteigner und Chef der Berliner Disconto Gesellschaft, die unter seiner Führung zu dem – neben der Deutschen Bank – mächtigsten Geldhaus des Deutschen Reichs aufstieg.16 Er war bereits im Jahr 1913 in den Vorstand der Villa gewählt worden (ABB. 036).17 Leopold Graf Kalckreuth, der damals gerade sein Porträt malte, hatte ihn auf die Nöte der Villa aufmerksam gemacht.18 Er dürfte sich für mehr als nur die Unterstützung der Villa interessiert haben. Gemeinsam mit seiner Frau Alma sammelte er zeitgenössische Kunst und pflegte Freundschaften mit einer Reihe von Künstlern.19 Salomonsohn, einer der bedeutendsten Bankiers seiner Epoche, betrieb 1929 maßgeblich die Fusion seiner Disconto-Gesell-schaft mit der Deutschen Bank und wurde anschließend, gemeinsam mit Max Steinthal, Aufsichtsrats-vorsitzender des neugeschaffenen Bankgiganten. Sieht man davon ab, daß die Deutsche Bank bereits den Erwerb der Villa Romana im Jahr 1905 durch einen Kredit ermöglicht hatte, entwickelte sich auf der geschilderten Basis die bis heute andauernde mäzenatische Fürsorge der Deutschen Bank für die Villa Romana.20 Salomonsohn selbst übernahm in der genannten Sitzung den Vorsitz des Vereins und damit eine Art Patenschaft. Die administrative Zukunft der Villa war durch den neuen Vereinsort in der Bank gesichert. Eine weitere Schlüsselposition war die Nachfolge Hirzels als Schatzmeister. Diese Rolle übernahm jener Mann, der die Villa später auf grandiose Weise durch die Düsternis des Dritten Reichs führen sollte. Der promovierte Jurist Hans-Alfons Simon war bereits seit 1919 Justitiar bei der Disconto Gesellschaft. Nach der Fusion der beiden Häuser wurde er Chefsyndikus der Deutschen Bank (ABB. 037).21 Neben dem Vorstandseintritt der beiden Bankiers war noch ein zweiter Umstand in der Sitzung von zentraler Bedeutung. Die neue Struktur des Vereins beweist, daß die tragende Rolle der Künstler – und damit eine der Grundideen Klingers – fortgeführt werden sollte. Nicht nur Max Lieber-mann war erneut präsent, sondern auch Leopold Graf Kalckreuth, der Gründungspräsident des Künst-lerbundes, trat nun in den Vorstand ein. Ein deutliches Zeichen für die Zukunft wurde durch die Wahl des Bildhauers Edwin Scharff zum stellvertretenden Vorsitzenden gesetzt, denn Scharff war im selben Jahr 1927 zum Vizepräsidenten des deutschen Künstlerbundes gewählt worden. Schließlich band man noch die beiden, inzwischen als Professoren etablierten Vorkriegspreisträger, den Maler Karl Caspar und den Bildhauer Karl Albiker, in den Vorstand ein. Als einzige unmittelbare Kenner der Institution sollten sie dem Verein wichtige Ratgeber werden.

9 Telegramm von Konsul Stiller in Florenz

an Deutsche Botschaft in Rom vom

24.11.1924, PAAA/B.

10 Hirzel an Kalckreuth vom 4.11.1920,

BSH/M, Kalckreuthiana II.

11 Wächter an Mussolini vom 14.1.1925

und Botschafter von Neurath an denselben

vom 5.2.1925. Im Schreiben der Deutschen

Botschaft an Justizrat Hillig in Leipzig vom

4.3.1925 wird versichert, der Brief Wäch-

ters sei an Mussolini und an Guido Jung,

den »italienischen Regierungskommissar für

das beschlagnahmte Eigentum« weitergelei-

tet worden. Alle: PAAA/B.

12 Neurath an Auswärtiges Amt vom

4.3.1925 teilt bereits »streng vertraulich«

mit, von der Absicht der Rückerstattung

erfahren zu haben. Die eigentliche Nach-

richt: Deutsche Botschaft an Max Pagel

(Geschäftsführer des VR-Vereins) vom

10.12.1925, beide: PAAA/B.

13 Die Übergabe fand am 28.7.1926 statt.

Stiller am gleichen Tag an Auswärtiges Amt,

Berlin, Durchschlag, PAAA/B.

14 Außerdem standen eine Reihe von

Holzbaracken unterhalb der Villa auf dem

Gelände, die als Erweiterung des Tuberkolo-

se-Lazaretts im Haupthaus gedient hatten.

Diese Zustandsbeschreibung bereits in den

Briefen von Konsul Stiller an das Auswärtige

Amt Berlin vom 19.7. und 16.11.1921,

Durchschläge, PAAA/B.

15 Abschrift des Protokolls der Hauptver-

sammlung vom 17.12.1927, VA/D, Akte

Villa-Romana.

16 Vgl. zu Salomonsohn: Zielenziger, Kurt:

Juden in der deutschen Wirtschaft, Berlin

1930, Kapitel: Die Familie Salomonsohn;

Schmidt, Ernst Wilhelm: Männer der Deut-

schen Bank und der Disconto-Gesellschaft,

Düsseldorf 1957, S. 52f.

17 Auszugsweise Abschrift der Hauptver-

sammlung des Vereins am 22.11.1913 in

Leipzig, VA/D, Akte Villa-Romana. Salomon-

sohn wurde in Abwesenheit zu den beiden

stellvertretenden Vorsitzenden Harry Graf

Kessler und Max Liebermann in gleicher

Funktion hinzugewählt.

ABB. 036 Arthur Salomonsohn

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Als letzter auf der Berliner Vorstandsliste von 1927 taucht der bereits erwähnte deutsche Konsul in Florenz, Bruno Stiller, auf. Er hatte sich bereits seit Übernahme seines Florentiner Amtes im Jahr 1921 mit großem Engagement für die Villa eingesetzt und sollte von nun an für Jahre die Geschicke des Hauses vor Ort bestimmen. Er muß eine merkwürdige und schillernde Figur gewesen sein. Der langjährige deutsche Botschafter in Rom, Ulrich von Hassel, hat ihn etwas genauer beschrie-ben: »[ein] geschickter Menschenbehandler, weich wie Butter, eine morbide Künstlernatur, der 1918 ganz nach links ging, in jüdischen Intellektuellenkreisen zu Hause, schwarz-rot-gold durch und durch […].«22 Tatsächlich war Stiller vor seinem Eintritt ins diplomatische Korps eine etwas undurchsichtige Mischung von Bildhauer und Architekt.23 Unter Stillers Leitung und gestalterischer Planung wurde ab Oktober 1928 die Villa Romana wiederhergestellt. Der Baubeginn hatte sich so lange hinausgezögert, weil die Freimachung des Hauses von den sogenannten »Zwangsmietern« unerwartete Schwierigkeiten bereitete. Der Zwangsverwalter hatte es schon bald nach der Beschlagnahmung an einen Dr. Falcone vermietet, der es dann lukrativ in kleinen Einheiten untervermietete, so daß sich Stiller 1927 mit ins-gesamt 13 Mietparteien konfrontiert sah.24 Als die Räumung im Oktober 1928 teilweise abgeschlossen war, begannen die Arbeiten mit der Sanierung der Südwohnung im ersten Geschoß.25 Größere Verände-rungen nahm Stiller an der ehemaligen Wagenremise vor, über der sich das Atelier Villetta befand. Er ist für die überdachte Außentreppe sowie die Anlegung der Terrasse auf dem Dach des gesamten Villen-Anbaus verantwortlich.26 Darüber hinaus ließ er das große Atelierfenster in die Nordfassade der Villa brechen. Stiller bestimmte aber auch die Nutzungsaufteilung der Villa, denn aufgrund der nach wie vor bedenklichen finanziellen Lage war man auf Mieteinkünfte angewiesen. Aus dem gleichem Grund be-schloß man, bis auf weiteres nur ein Atelier für jährlich einen Preisträger zu vergeben. Seit 1928 setzte Stiller den in Florenz lebenden deutschen Maler Emil Müller-Ewald gegen Überlassung eines kleinen Ateliers zunächst als Bauleiter und später als Hausverwalter ein.27

Die ersten Jahre: 1929–1934 »Kein Vergnügen, den Schädel voller Malkummer und das ewige Hineinglotzen Taddeo Gaddis, so über die Schultern.«28

Als Joseph Fassbender, der erste Preisträger der Villa Romana nach dem Krieg, im Juli 1929 in die Villa einzog, sollte es noch einige Wochen dauern, bis »die Herren von der anderen Malfakultät« das ihm zugedachte Nord-Atelier des Erdgeschosses (heute Giardino) verließen.29 Dieser Umstand benennt den Hintergrund, warum der bereits ein Jahr zuvor auf der Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes im Kunstverein Hannover erstmals vergebene Villa Romana-Preis nur ein freies Reisestipendium war. Der Bildhauer Gerhard Marcks wurde damals ausgezeichnet und nutzte die gut dotierte Ehrung für eine Griechenlandreise.30 Obwohl der Abschluß der Wiederherstellung der Villa im Jahr 1928 noch gar nicht absehbar war, hatte man durch die Auslobung des Preises die Institution wieder ins Bewußtsein der Kunstöffentlichkeit gebracht. Seit dem Jahr 1927 fanden wieder jährlich Ausstellungen des Deutschen Künstlerbundes statt. Der Bund hatte sich erfolgreich neustrukturiert, und eine große Zahl bedeutender, auch jüngerer Künstler war ihm beigetreten. In der Jury der Kölner Ausstellung des Jahres 1929 waren viele prominente Namen vertreten. Neben den alten Villa Romana-Preisträgern Karl Albiker, Max Beckmann, Karl Caspar und Georg Kolbe findet man u.a. George Grosz, Erich Heckel, Karl Hofer, Paul Klee und Karl Schmidt-Rottluff.31 Am 18. Mai 1929 wurde als erster Villa Romana-Preisträger der 26jährige Kölner Maler Joseph Fassbender bekanntgegeben. Gemeinsam mit seiner Frau Anna reiste er Anfang Juli nach Florenz.32 Bei der Ankunft war das Atelier eine Baustelle, und das Luxushotel Baglioni wurde zum Ausweichquartier. Wenig erfreulich war auch der kauzige Hausbesorger Müller-Ewald, mit dem über jedes Möbelstück diskutiert werden mußte. Aber: »Die herrliche Stadt machte uns den Ärger vergessen.« Über seine mühsamen Anfänge, seinen »Malkummer« äußerte er: »Mit meiner Malerei ging es nur schwer. Überall drängte sich die Landschaft auf, die ich doch eigentlich nicht vorhatte zu malen.«33

Auf der Künstlerbund-Ausstellung des Jahres 1930 in Stuttgart (31. Mai bis 21. September) wurde der in München lebende Bildhauer Josef Henselmann ausgezeichnet, der mit einer singulären, figürlichen Position auffiel. Sein Frühwerk ist überwiegend von Porträts gekennzeichnet, die er in aus-drucksstarker, realistischer Form aus großen Holzblöcken schlug.34 Während seines Florentiner Jahres

ABB. 037 Hans-Alfons Simon

18 Nach diesem ersten Kontakt bat Klinger

aus Zeitmangel seinen alten Mitstreiter Max

Liebermann, die Angelegenheit zu vertie-

fen: »Kennen Sie einen Bankdirektor Salo-

monsohn in Berlin? […] Er dachte sich für

die wirthschaftliche Seite unserer Sache zu

interessiren.« Wer hätte gedacht, welchen

Segen Salomonsohn der Villa später brin-

gen würde? – Klinger bestimmt nicht, denn

er erläuterte Liebermann recht profane Pro-

bleme, die er durch den neuen Geldgeber

in den Griff zu bekommen erhoffte: »Unter

›wirthschaftlich‹ verstehn wir Möbel Betten

Wäsche Bedienung Hausreparaturen Küche

etc. deren stete Ergänzung!« Klinger an

Liebermann vom 15.5.1913, BSH/M, Kalck-

reuthiana II.

19 Neben der Verbindung zu dem Berliner

Neoimpressionisten Curt Herrmann,

bestand ein enger Kontakt zu Henry van

de Velde. Alma Salomonsohn gehörte ab

1900 zu den ersten Trägerinnen von dessen

›Reformkleidern‹. Im Garten ihrer Villa

auf Schwanenwerder standen Skulptu-

ren des Deutsch-Florentiners Hildebrand.

Vgl. Esche-Braunfels, Sigrid: Adolf von

Hildebrand, Berlin 1993, S. 298f. Zu van de

Velde und Herrmann: Kat. Herrmann, Berlin

1989, S. 204, 449, 613.

20 Es handelte sich hierbei nie um eine

Finanzierung der Institution, sondern um

die Sorge, diese Finanzierung unter eigener,

teilweise bedeutender Beteiligung aus ande-

ren Quellen sicherzustellen.

21 Degener 1935, S. 1503.

22 Hassel, Ulrich von: Römische Tagebücher

und Briefe 1932–1938, hrsg. v. Ulrich Sch-

lie, München 2004, 19.7.1936: S. 139.

23 Stiller hatte von 1904–1910 in Berlin und

an der Akademie in Karlsruhe studiert. Zur

Vita Stillers vgl. Degener 1935, S. 1558.

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arbeitete er auch in Gips und Terrakotta (ABB. 038). Nach dem produktiven Jahr Henselmanns war der Aufenthalt des folgenden Preisträgers ein Ärgernis. Auf der Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes in Essen, die vom 23. Mai bis 23. August 1931 stattfand, erhielt der Maler Xaver Fuhr den Preis. Auf-grund von nicht genau durchschaubaren Widrigkeiten in der Villa Romana reiste Fuhr nach vierzehn Tagen wieder ab.35 Ob auch die politischen Umtriebe des Hausbesorgers Müller-Ewald, die kurz darauf zu dessen Entlassung führten, eine Rolle spielten, ist nicht nachweisbar.36 Der Ärger verbreitete sich schnell. Das Kunstblatt kommentierte: »Der Villa Romana-Preis ist doch zur Förderung, nicht zur Be-hinderung begabter Künstler gestiftet.«37 Da die Unzufriedenheiten sich gehäuft hatten, stellte man im Herbst 1932 den Maler Curt Witte als neuen Hausverwalter in Florenz ein.38 Witte hatte eine Professur an der Akademie in Kassel inne und war seit 1931 deren Rektor. Durch die 2. Preußische Notverord-nung wurde die Kasseler Akademie 1932 geschlossen. Witte verfügte über ein Vorruhestandsgehalt und erklärte sich bereit, die Position in Florenz ehrenamtlich zu übernehmen. Gemeinsam mit seiner Frau, der Malerin Clara Pelz, und seiner Tochter zog er im Oktober in der Villa ein.39

Seit der Wiederaufnahme der Aktivität der Villa beherbergte man regelmäßig auch Künstler-gäste zu längeren Arbeitsaufenthalten.40 Ab Herbst 1931 war dies der Bildhauer Stanislaus Cauer.41 Er war ein Cousin des Villa Romana-Preisträgers von 1911, Ludwig Cauer. Sein archaisierender Klassizis-mus hob ihn deutlich vom wilhelminisch orientierten Stil seiner Familie ab. In der Villa fertigte er u.a. Porträts des Archäologen Hülsen und von Tochter und Frau Vagaggini. Mit großem Anhang rückte im Frühjahr 1932 der Maler Charles Crodel für einen Monat in der Villa ein. Er war in Begleitung seiner Frau, brachte Tochter und Sohn und zwei Schülerinnen mit. Bereits seit 1927 war er Lehrer an der Kunstgewerbeschule in Halle. Zeugnis des Aufenthaltes ist u.a. ein merkwürdiges Bild der Villa mit italienischer Beflaggung (ABB. 039).42

Im Juli 1932 wurde auf der Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes in Königsberg (16. Juni bis 31. Juli) erstmals wieder ein weitgehend etablierter Künstler ausgezeichnet. Der in Berlin le-bende Maler Christof Drexel, Freund von Klee und Feininger, erhielt den Preis für seine in Königsberg ausgestellten Aquarelle und reiste mit Frau und drei Kindern nach Florenz.43 Über den Preisträger des Jahres 1933 Johannes Sass war nur wenig in Erfahrung zu bringen. Offenbar wurde er auf der vorerst letzten Künstlerbund-Ausstellung in Kassel ausgezeichnet.44 Da als erstes düsteres Anzeichen im fol-genden Jahr 1934 keine Ausstellung des Künstlerbundes zustande kam, wurde die Entscheidung durch den Vorstand getroffen. Auf Vorschlag des neuen Vorsitzenden Alexander Kanoldt wurde der Berliner Maler Otto Freytag bestimmt, dessen Arbeit deutlich von Elementen des Expressionismus gekennzeich-net ist (ABB. 040).45

Wichtiger jedoch als die Preisträger dieser beiden Jahre ist die Erschütterung, die schon kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten den Villa Romana-Verein erfaßte. Im Bericht des Vereins für die Jahre 1932 und 1933, den man erst im Juni 1934 aufsetzte, wurde mitgeteilt: »In den Berichtsabschnitt fällt die Revolution der nationalen Erhebung, die auch auf das Leben unserer Vereinigung befruchtend gewirkt hat […].«46 Bereits wenige Sätze später werden die Folgen dieser befruchtenden »Erhebung« deutlich: »Der Mitgliederbestand, der am 31. Dezember 1931 noch 44 Mitglieder umfaßte, ist am 31. Dezember 1933 auf 28 zusammengeschmolzen.« Erst am Ende des Briefes wird dem Leser eine Ahnung vermittelt, woraus sich dieser plötzliche Mitgliederschwund zum Teil zusammensetzte. Immerhin verbunden mit »aufrichtigstem Dank« verabschiedete man sich von Wilhelm Waetzoldt, ehemals Vorstand des Villa Romana-Vereins und bis vor kurzem Generaldirektor der Preußischen Museen, der unmittelbar nach der Machtergreifung aller seiner Ämter enthoben wurde. Außerdem von dem offenbar jüdischen Ministerialrat im Preußischen Kultusministerium, Carl Haslin-de,47 und schließlich galt der Abschied auch Max Liebermann, dem letzten noch im Vorstand tätigen Mitbegründer der Villa Romana. Im Mai 1934 wurde Edwin Scharff, der 1932 Vorsitzender des Vereins geworden war, durch den Maler Alexander Kanoldt ersetzt. Scharff hatte man zuvor seines Berliner Lehramtes an der Hochschule enthoben und ihn an die Akademie in Düsseldorf zwangsversetzt. Kanoldt, der im Mai 1933 Direktor der Berliner Hochschule geworden war, sollte sein anfänglich gesinnungstreues Gebaren später teuer bezahlen, denn auch er geriet – trotz seiner neusachlichen Malerei – in die Mühlen der neuen Bilderwächter.48 Der Verein ging mit dem Parteigenossen Kanoldt einen akzeptablen Kompromiß ein, denn bei aller politischen Wirrnis galt er doch als integrer Künstler. Man war zu den Zugeständnis-sen gezwungen, denn der Vorstandssitz des Preußischen Kultusministeriums wurde 1934 vom daraus hervorgegangenen Reichserziehungsministerium übernommen. Im selben Jahr mußte der Verein auch

ABB. 039 Charles Crodel, Garten der Villa Romana II (Nationalfeiertag), 1932, Öl/Lwd., 50 x 80 cm, Privatbesitz

ABB. 038 Josef Henselmann, Asinino, Gips, 1931, zerstört

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graphische Literatur zu Otto Freytag ist: Kat.

Otto Freytag. Leben und Werk, bearbeitet v. Paul

Carozolla, Ausst. Haus am Lützowplatz, Berlin

1988, Berlin 1988.

46 Rundschreiben des Villa Romana-Vereins vom

25.6.1934, Archiv Haus-Caspar-Filser, Brannen-

burg.

47 Haslinde war im VR-Vorstand und trat bereits

im April 1933 zurück: auszugweise Abschrift

(diese datiert: 12.4.1933) eines Briefes (o._.)

von Carl Haslinde an den Villa Romana-Verein,

gerichtet an das Amtsgericht Leipzig, VA/D.

48 Zur tragischen Rolle Kanoldts in dieser Zeit

vgl. Koch, Michael: Der ›entartete‹ Parteige-

nosse. Alexander Kanoldt im Dritten Reich, in:

Kat. Alexander Kanoldt. Gemälde, Zeichnungen,

Lithographien, Ausst. Museum für Neue Kunst,

Freiburg/Von der Heydt Museum Wuppertal

1987, Waldkirch 1987, S. 47–72.

49 Vorstandseintritt der genannten Personen (je-

weils nach VR-Vorstandssitzung): von Staa

am 11.12.1933, Kanoldt am 30.5.1934, von

Keudell (Propagandaministerium) am 22.6.1934,

VA/D, Akte Villa-Romana.

50 Purrmann an Scheffler, o.D. [Jahreswende

1936/37], Archiv Stiftung Akademie der Künste,

Nachl. Scheffler.

51 Von Hassels in Anm. 22 nachgewiesene Cha-

rakterisierung Stillers hat den Zusatz: »1933 hat

er dann schleunigst den Anschluß gefunden.«

52 Bissing: Personenakten des ehem. Document

Centers, OPG, B 0081, Bundesarchiv Berlin;

Müller-Ewald: Reichskammerakte, PK J 215,

Landesarchiv Berlin.

53 Die undatierte Liste hat sich nur im Nachlaß

von Karl Caspar erhalten, Archiv Haus-Caspar-

Filser, Brannenburg.

54 Wenigstens das Datum der Entscheidung läßt

sich einkreisen: am 23.7.1935 schrieb Purrmann

an Heinz Braune, daß er seine Zusage gegeben

hatte: Kat. Purrmann, Langenargen 1980, S.

70. Die Berliner Börsen-Zeitung meldete seine

Berufung am 26.7.1935.

55 Öffentliche Stellungnahme Liebermanns in

der Zentral-Vereins-Zeitung, 11.5.1933, ebd.,

S. 216.

56 Scheffler 1948, S. 355f.

57 Im gleichen Jahr 1919 wurden Ernst Barlach,

Käthe Kollwitz, Georg Kolbe und Wilhelm Lehm-

bruck von der Akademie aufgenommen.

58 Scheffler 1948, S. 213f.

59 Man hatte ihn allerdings schon 1933 tief gede-

mütigt, indem man seine Wandbilder im Rathaus

seiner Heimatstadt Speyer mit Hakenkreuzfah-

nen verhängte. Vgl. zuletzt: Billeter, Felix: Das

Leben Hans Purrmanns, in: Lenz/Billeter 2004,

S. 82f.

60 »Kam die Politik ins Spiel, geriet er in gefähr-

lichen Zorn.« Berichtete Werner Haftmann in:

Haftmann 1996, S. 154.

61 Göpel 1961, S. 219. Dieser verallgemeinern-

den Äußerung bedient sich merkwürdigerweise

selbst der Zeitzeuge Werner Haftmann: Haft-

mann 1986, S. 136 und Haftmann 1996, S. 150.

24 Zu den Mietparteien: Stiller an Deutsche Bot-

schaft vom 28.9.1928; zu Falcone: 30.10.1928,

beide: PAAA/B.

25 Stiller an Deutsche Botschaft vom

28.11.1928, PAAA/B.

26 Vgl. die Kopien der Pläne vom 30.5.1930,

unterzeichnet von Stiller, VRA/F.

27 Bauleiter: Stiller an Deutsche Botschaft,

17.5.27. Hausverwalter: Stiller an Auswärtiges

Amt vom 30.1.1931, beide: PAAA/B. Vgl. auch:

Weckmüller, Werner (Hrsg.): Emil Müller-Ewald,

Privatdruck Neunkirchen o.J. (2002). Die dor-

tigen Angaben zu M.-E. und die Villa Romana

sind teilweise widersprüchlich, häufig falsch

oder irreführend. Der Katalog gibt aber einen

Werküberblick des surrealistisch orientierten

Einzelgängers.

28 Aus den Erinnerungen Fassbenders in: Jahr-

buch Villa Romana 1963.

29 Zitat aus den Erinnerungsfragmenten Fass-

benders aus dem Jahr 1963, Nachl. Fassbender,

Privatbesitz Köln.

30 »Meine Reise nach Griechenland war tat-

sächlich die beste Gelegenheit, den Preis rasch

durchzubringen.« Marcks an Johannes Driesch

vom 28.4.1928, in: Frenzel, Ursula (Hrsg.):

Gerhard Marcks. Briefe und Werke, Archiv für

bildende Künste im Germanischen Nationalmu-

seum Nürnberg, Werke und Dokumente, N.F.

Bd. 8, München 1988, S. 55.

31 Die offiziellen Papiere des Künstlerbundes zu

dieser Ausstellung erhalten in: DL/M, Teilnachl.

Ludwig von Hofmann. Die Ausstellung in Köln

fand vom 18. Mai bis Ende September 1929

statt.

32 Kat. Joseph Fassbender. Malerei zwischen

Figuration und Abstraktion, hrsg. v. Wulf Her-

zogenrath, Ausst. Kölnischer Kunstverein 1988,

Köln 1988, zur VR: S. 13f. Leider gingen die

Arbeiten aus dieser Zeit im Krieg verloren.

33 Alle Informationen und Zitate aus den Erin-

nerungsfragmenten Fassbenders, Privatbesitz,

Köln. Vgl. auch den daraus entwickelten Essay,

in: Jahrbuch Villa Romana 1963.

34 Vgl. die Monographie, die weitgehend ein

persönlicher Werkbericht ist: Josef Henselmann.

Leben und Werk, München 1976; 19832, sechs

Arbeiten aus dem VR-Jahr sind hier publiziert,

S. 30–34.

35 In Briefen ist die Rede von einem zu großen

Atelier, das schlecht heizbar wäre, und von

Lärm, den ein Mitbewohner – vermutlich der

Bildhauer Stanislaus Cauer – verursachte. Vgl.

Zienicke, Axel Hubertus: Xaver Fuhr. Gemälde

und Aquarelle, mit einem Werkverzeichnis,

Recklinghausen 1984, zum VR-Preis: S. 18f.

36 Ebd., S. 19. Der Briefwechsel mit dem VR-Ver-

ein muß sich im Nachlaß Fuhrs befinden. Hierzu

wird ohne weitere Ausführungen erwähnt, daß

sich Zusammenhänge zur VR in einem unveröf-

fentlichten Bericht Fuhrs finden mit dem Titel:

»Einstellung und Erlebnisse während des Hitler-

regimes«. Müller-Ewald gründete in Florenz

1930 eine Ortsgruppe der NSDAP.

37 Das Kunstblatt, XVI. Jg., H. 1, Jan. 1932,

S. 7.

38 Der Maler Carl Caspar wird in einem Brief

des DKB, 3.12.1931, gebeten, von einem

Florenzbesuch genaueren Bericht zu erstat-

ten, da Henselmann und Fuhr sich beschwert

hatten. Insbesondere möge er sich auch über

Müller-Ewald äußern. Archiv Haus-Caspar-Filser,

Brannenburg.

39 Vgl. zur Arbeit des Künstlerpaares: Kat. Curt

und Clara Witte. Ein Osnabrücker Künstlere-

hepaar, Ausst. Städtisches Museum Osnabrück

1964, Osnabrück 1964. Vgl. auch: Maschinen-

schriftlicher Kurzbericht von Clara Nele Witte

(o.J.), VRA/F. Witte wurde von Carl Haslinde,

Vertreter des preußischen Kultusministeriums

im VR-Verein vorgeschlagen: Niederschrift über

die VR-Vorstandssitzung vom 5.2.1932, VA/D,

Akte Villa-Romana.

40 Diese Ateliers wurden teilweise auch ver-

mietet, wie ein Rundschreiben des DKB vom

15.4.1935 belegt. Abgedruckt: Dokumente der

Verfolgung, in: Kat. DKB 1986, S. 92.

41 Masa 1989, dort über Stanislaus Cauer, S.

319–380. Die in Florenz entstandenen Arbeiten

werden zwar aufgeführt, der Aufenthalt in der

Villa Romana aber mit keinem Wort erwähnt, so

auch bei den vier in VR entstandenen Arbeiten:

S. 342f., Nr. 49, 52 und S. 367, Nr. 121f. Zum

Künstler zuletzt dies.: Stanislaus Cauer, Ams-

terdam 2000, mit den nicht bis VR reichenden

Lebenserinnerungen. Seit 1929 war er Mitglied

des DKB, auf dessen Empfehlung

er vermutlich in die Villa gekommen war.

42 Crodel führte ein Skizzentagebuch, dem

VR-Aufenthalt sind darin 6 Seiten gewidmet.

GNABK/N, Teilnachl. Crodel. Dank an Cornelius

Steckner, Köln, für Hinweise und Materialien.

Die in der Crodel-Literatur verbreitete Feststel-

lung, er hätte 1932

den VR-Preis erhalten, ließ sich nicht belegen.

43 Im selben Jahr noch kaufte die Nationalga-

lerie für die Sammlung im Kronprinzenpalais

Arbeiten von ihm an, die dort nicht lange

bleiben sollten; eine davon wurde 1937 auf der

Ausstellung Entartete Kunst gezeigt. Zeugnis

des Aufenthaltes ist ein langer Brief von Chris-

toph Drexel vom 4.12.1970 an den damaligen

VR-Leiter Harro Siegel mit Erinnerungen an den

Aufenthalt. Die Schilderungen sind leider von

Verwechselungen und Ungenauigkeiten gekenn-

zeichnet, VRA/F. Eine Ausschnittsammlung mit

Berichten über die Preisvergabe befindet sich

im GNABK/N, Teilnachl. Drexel.

44 Immerhin gibt es einen zeitgenössischen Bei-

trag über Sass, der viele in Italien entstandene

Arbeiten abbildet: Stolze, Gustav: Form und

Disziplin. Zu den Bildern von Johannes Sass, in:

Die Kunst, Bd. 73, Jg. 37, 1936, S. 116–120.

In einem Fragebogen hat er die Preisvergabe

in Magdeburg vermerkt, dort auch die Angabe:

»1933–34–35 Florenz«, in: Reichskammerakte

F 140, Landesarchiv Berlin.

45 Die einzige, allerdings umfangreiche mono-

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dem Propagandaministerium einen Vorstandsplatz einräumen. Diese Veränderungen erklären auch die zuvor geschilderten Folgen in der Vereinsstruktur. Dennoch muß betont werden, daß beide Ministe-rialräte, Wolf Meinhard von Staa und Otto von Keudell, relativ versöhnlich gestimmte Beamte der Weimarer Zeit waren, die erst nach der radikalen kunstpolitischen Wende des Jahres 1937 aus ihren Staatsämtern entfernt wurden.49

Melancholischer Held in einem getrübten Arkadien. Hans Purrmann als Leiter der Villa Romana 1935–1943

»So berufe ich mich auch in Italien mehr auf die Natur, lebe mit ihr und in ihr und glaube, daß diese mich auch am besten belehrt und mir die schönsten Wahrheiten verkündet.«Hans Purrmann an Karl Scheffler, 193750

Im Jahr 1935 ergab sich in Florenz eine grundlegende Veränderung. Der deutsche Konsul Bruno Stiller, der einen Teil der Verwaltung der Villa in Florenz besorgt hatte, war 1934 nach Kapstadt versetzt worden. Man benötigte nun einen Leiter des Hauses, der auch dessen Aufgaben übernehmen konnte. Bei der Suche kam es offenbar zu einem politischen Richtungskampf, der nicht einfach zu bestehen war, denn es gab viele Stimmen, die man zumindest anhören mußte. Hierzu zählten die Ministerialbe-amten ebenso wie der inzwischen politisch linientreue Konsul Stiller.51 Auf der Vorschlagsliste für den Posten in Florenz findet man den 1932 u.a. wegen seiner politischen Umtriebe entlassenen Villen-Haus-verwalter Emil Müller-Ewald und den Archäologen Friedrich-Wilhelm Freiherr von Bissing – beide fanatische NSDAP-Mitglieder.52 Aber auch ganz unverfängliche Personen wurden aufgeführt, wie der Villa Romana-Gast von 1932, Stanislaus Cauer, als Vorschlag des Künstlerbundes sowie der in Florenz lebende Maler Hans Joachim Staude. Ganz unten auf der Liste steht der marginale Zusatz: »Ferner: Professor Purrmann«.53 Es sind keine Quellen auffindbar, die belegen, wie man anschließend zu einer Entscheidung kam.54 Hätten politische, geschweige denn kunstpolitische Überlegungen eine Rolle gespielt, Hans Purrmann wäre wohl der letzte gewesen, der in dieser Zeit für diesen Posten in Frage gekommen wäre. Am 8. Februar 1935 starb der Villa Romana-Mitbegründer Max Liebermann im Alter von 87 Jahren in Berlin. Nur wenige Monate nach der Machtergreifung hatte er mutig und beeindruckend radikal seinen Rückzug angetreten: »Nach meiner Überzeugung hat Kunst weder mit Politik noch mit Abstammung etwas zu tun, ich kann daher der Preußischen Akademie der Künste, deren ordentliches Mitglied ich seit mehr als dreißig Jahren und deren Präsident ich durch zwölf Jahre gewesen bin, nicht länger angehören, da dieser mein Standpunkt, keine Geltung mehr hat.«55

Am 11. Februar 1935 wurde er zu Grabe getragen. Man versagte ihm jede offizielle Ehrung, und auch der Kollegenkreis war klein, gerade vier Künstler sind als Trauergäste überliefert, darunter Hans Purrmann und Käthe Kollwitz. Karl Scheffler hielt die Trauerrede. In dem ihm eigenen Pathos rühmte er Liebermann unter anderem als einen, der den Deutschen eine neue Form des Sehens beige-bracht habe: »Diese einst mächtige Sehform ist heute im Zerfließen. Und so kommt es, daß wir mit ihm nicht nur einen großen Künstler zu Grabe tragen, sondern eine ganze Zeit.«56

Im Jahr von Liebermanns Tod war Hans Purrmann 55 Jahre alt. Als junger Mann war er bereits in die Kämpfe um die Kunst, die Liebermann ausfocht, am Rande verwickelt gewesen. Nicht in Berlin allerdings, sondern vorwiegend in Paris, als Mitglied der Privat-Akademie von Henri Matisse. Nachdem er nach Paris aufgrund des Krieges nicht mehr zurückkehren konnte, ließ er sich im Jahr 1916 in Berlin nieder. 1919 wurde er auf Empfehlung Liebermanns Mitglied der Preußischen Akademie der Künste. Vor dem Krieg wäre das noch kein Ruhmestitel gewesen, denn die Akademie war bekannt-lich das Feindesland der Moderne. Jetzt aber hatte sich alles schlagartig geändert.57 Purrmann gehörte zu jenem Kreis der jüngeren Kämpfer um die Akzeptanz einer französisch orientierten Moderne, die nach der verlorenen Zeit des Krieges und den nun verschwundenen Widerständen plötzlich dastanden, als hätte es die großen Fehden nie gegeben. Er galt als unbestechlich und vertrat ein radikales Künstler-tum, durchaus im Sinne der Gründergeneration eines Klinger oder Liebermann. Keiner hat ihn in bezug auf seine Berliner Zeit treffender geschildert als sein großer Bewunderer und Freund Karl Scheffler. »Er gehörte zu den denkenden Künstlern, doch dachte er nicht begrifflich, sondern anschaulich mit den

ABB. 040 Otto Freytag, Via Senese, 1935, Aquarell, 47 x 48,5 cm, Privat-besitz

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62 Bei der Entscheidung für Purrmann mag

aber die aktive Fürsprache der VR-Vorstands-

mitglieder Albiker und Caspar gewirkt haben.

Man kann ferner davon ausgehen, daß der

gerade neu konstituierte Vorstand des DKB mit

Georg Kolbe und Leo von König an der Spitze

mit Purrmann mehr als einverstanden war. Der

DKB jedoch konnte niemanden beauftragen,

zumal er selbst bereits Ziel massiver politischer

Gängeleien war.

63 Es war allgemein bekannt, daß der Künst-

lerbund traditionell mit der Villa Romana

verbunden war. Daraus erklärt sich auch,

daß in Zeitungsmeldungen über die Berufung

Purrmanns (vgl. Anm. 54) die Rede davon ist,

die Villa würde vom Deutschen Künstlerbund

unterhalten. Nichts jedoch deutet darauf hin,

daß die alleinige Trägerschaft des Vereins sich in

diesen Jahren geändert hätte.

64 Zu diesen Zusammenhängen vgl. die Do-

kumentation in: Kat. DKB, Bonn 1986, S. 92.

Am 11.4.1935 wurden die Mitglieder von der

Absage informiert.

65 Am 10. Oktober erhielt Georg Kolbe einen

Brief von Adolf Ziegler, dem Präsidenten der

Kammer. Dort wurde ausgeführt, daß die

Hamburger Ausstellung »jegliche Verantwortung

gegenüber Volk und Reich vermissen« ließe

und man deshalb die Auflösung des Deutschen

Künstlerbundes verfüge. DKB-Vorstand an Mit-

glieder vom 10.10.1936, vollständig abgedruckt

ebd., S. 93.

66 Scheibe und von König kamen auf Empfeh-

lung Kolbes in den Vorstand. Er selbst stand

vermutlich aufgrund der genannten Vorfälle zu

sehr in der öffentlichen Kritik und wurde nur

Mitglied. Kolbe an Simon vom 28.11.1936 und

Simon an Kolbe vom 3.11.1936, Georg-Kolbe-

Museum, Berlin.

67 Der Augenzeuge Paul Ortwin Rave berich-

tete über die Pöbeleien und gegenseitigen

Drohungen der Ausstellungsmacher während

des Aufbaus. Rave, Paul Ortwin: Kunstdiktatur

im Dritten Reich, Berlin 1949. Leicht gekürzte

Neuausgabe, ergänzt um zwei zeitgenössische

Berichte Raves, hrsg. v. Uwe M. Schneede,

Berlin o.J. [1987], S. 105.

68 Zu den Hintergründen: ebd., S. 104f. Alle

genannten Fakten und Zitate zur Ausstellung

nach: Lüttichau, Mario-Andreas von: Die Aus-

stellung ›Entartete Kunst‹, München 1937. Eine

Rekonstruktion, in: Kat. ›Entartete Kunst‹: Das

Schicksal der Avantgarde im Nazi-Deutschland,

verfaßt v. Stephanie Barron u. Peter Guenther,

Ausst. Los Angeles County Museum of Art/

Deutsches Historisches Museum, Berlin 1992,

München 1992, S. 45–82, dort: S. 64f. Der Saal

wurde übrigens nicht, wie Haftmann 1986, S.

136 behauptet, aufgrund von Protesten gegen

die Brandmarkung Purrmanns geschlossen, son-

dern wegen der internen politischen Kämpfe.

69 Goebbels konnte nie verwinden, daß Hitler bei

der Machtverteilung 1933/34 die Zuständigkeit

über die Museen und Kunstakademien dem

Ministerium Rusts zuordnete. »Das gehört zu

mir – und ich werde es auch bekommen. Der

Führer muß entscheiden«, notierte Goebbels

am 15.7.1937 in sein Tagebuch. Vgl. Fröhlich,

Elke: Die Tagebücher von Joseph Goebbels, T.

1, Bd. 4, München 2000, S. 220.

70 Der ehemalige Kunstkritiker des Völkischen

Beobachters Hofmann und der Kunsthistoriker

und SS-Sturmbannführer Baudissin gehörten zu

den Fanatikern der ersten Stunde. Beide waren

1937 Mitglied der Kommission zur »Säuberung«

der Deutschen Museen.

71 Diese Ansicht vertraten beide Ministerien.

Das Zitat aus einer längeren Wiedergabe des

Sitzungsprotokolls im Brief Biebrach an Abtei-

lung I B. vom 2.5.1938, in: Akte des Reichsmi-

nisteriums für Volksaufklärung und Propaganda‚

Villa Romana e.V.,

R 55/894, Bundesarchiv Berlin.

72 Dabei half ihm, daß die zuständigen Minis-

terialbeamten aufgrund interner Differenzen

häufig wechselten, vgl. die Belege über die

Vorstandssitzungen vom 6.10 1937, 18.3.1938

u. 20.10. 1939, VA/D.

73 Mackensen an Auswärtiges Amt vom

31.5.1939, PAAA/B.

74 Zitate aus einer dort wiedergegebenen

Stellungnahme des Amtes Rosenberg. Das

Schreiben belegt am Rande, daß sich inzwi-

schen sechs (!) Reichsämter mit der Angele-

genheit Purrmann befaßten: Amt Rosenberg,

Auswärtiges Amt, der Stellvertreter des Führers

Heß, die beiden Ministerien für Erziehung und

für Propaganda sowie die NSDAP-Landesgrup-

pe Italien, aus deren Brief an die Deutsche

Botschaft Rom vom 1.8.1939 hier zitiert ist,

PAAA/B.

75 »Aufzeichnung über die Sitzung des Vorstan-

des«, ohne Datum; der Aktenzusammenhang

läßt den 10.8.1939 errechnen, PAAA/B.

76 Außerordentliche Hauptversammlung am

20.10.1939, VA/D, Akte Villa-Romana.

77 Purrmann an Tucholski vom 5.4.1940, Nachl.

Tucholski, Privatbesitz Berlin.

78 Vgl. den einzigen größeren Beitrag zu Leben

und Werk: Kat. Mathilde Vollmoeller-Purrmann

(1876–1943). Lebensbilder einer Malerin, hrsg.

v. Adolf Leisen u. Maria Leitmeyer, Ausst. Kul-

turhof Flachsgasse, Speyer 2001, Speyer 2001.

79 Purrmann an Heinz Braune vom 23.7.1935,

auszugsweise abgedruckt bei: Heilmann,

Angela: Wege des Malers, in: Kat. Purrmann,

Langenargen 1980, S. 70.

80 Purrmann an Scheffler, o.D. (um die Jahres-

wende 1936/37), Archiv Stiftung Akademie der

Künste, Nachl. Scheffler.

81 Das Werkverzeichnis weist 36 Ölbilder nach,

die Blicke von der Villa Romana aus thematisie-

ren: Lenz/Billeter 2004, Bd. II, S. 11–95.

82 Ebd., S. 13–79: Allein 23 Ölbilder, auf denen

die Villa Romana erkennbar ist, werden im

Werkverzeichnis aufgeführt, sieben Variationen

des Venusbrunnens kann man dieser Kategorie

noch hinzuzählen.

83 Purrmann im März 1942 an Herbert Tucholski,

Nachlaß Tucholski, Privatbesitz Berlin. Die abge-

bildete Arbeit ist im Werkverzeichnis dem Jahr

1940 zugeordnet (Purrmann 2004, Bd. II, S. 71,

1940/18). Es handelt sich um einen Blick aus der

ersten Etage der _illa auf Florenz, und es ist das

einzige Fensterbild der VR-Zeit. Da Purrmanns

erst am 30. April 1942 in die erste Etage zogen

(Eintrag Taschenkalender M.P.), dürfte das Bild

erst danach entstanden sein. Insofern steht es

auch für das gerade eingeführte Malverbot im

Freien.

84 Purrmann an Scheffler vom 3.5. (o.J., 1937),

wie Anm. 80.

85 Vgl. hierzu die umfassende Untersuchung:

Voigt, Klaus: Zuflucht auf Widerruf. Exil in Italien

1933–1944, 2 Bde., Stuttgart 1989 und 1993, zu

VR: Bd. I, S. 88–92. Vgl. auch den vom gleichen

Autor gemeinsam mit Wolfgang Henze erarbei-

teten Katalog: Kat. Rifugio precario. Zuflucht auf

Widerruf. Deutsche Künstler und Wissenschaftler

in Italien 1933–1944, verfaßt v. Klaus Voigt,

Ausst. Palazzo della Ragione, Mailand/Akademie

der Künste,

Berlin 1995, Mailand 1995. Vgl zur Villa Romana

und den Kreisen in dieser Zeit den umfangrei-

chen Beitrag: Lange 2001, S. 47–76.

86 Glaser lebte bis zu seiner Emigration nach

Amerika (1940) in Florenz. Purrmann sah ihn

»sehr häufig« (an Scheffler, wie Anm. 80), Post-

karten Glasers an Purrmann (1936–38, VRA/F)

belegen den Kontakt. Vgl. zu Levy mit umfang-

reichen Materialien zur Florentiner Zeit: Thesing,

Susanne: Rudolf Levy. Leben und Werk, Nürn-

berg 1990, dort u.a. S. 38–47. Vgl. als wichtige

Quelle auch Hans Purrmanns in den fließenden

Text eingebundene »Erinnerungen an den Maler

Rudolf Levy«, in: Göpel 1961, S. 216–222.

87 Das Exil Rupprechts in Florenz ist gut doku-

mentiert in den publizierten Erinnerungen Borch-

ardts (vgl. Anm. 89). Über häufige Begegnungen

mit dem Kronprinzen und dessen Besuche in

der Villa Romana berichtet Purrmann an Hans

Vollmoeller, 21.6.1945, Kopie im Purrmann-Haus

Speyer.

88 Erhard Göpel berichtet vom Besuch Monika

Manns in der Villa, in: Göpel 1961, S. 216. Zu

ihrem Florenzaufenthalt vgl.: Mann, Monika:

Vergangenes und Gegenwärtiges. Erinnerungen,

München 1956, ergänzte Neuauflage Reinbek

2001, S. 69–73.

89 Laut mündlicher Auskunft des Sohnes Cor-

nelius Borchardt an den Autor am 22.10.2004

besuchten seine Eltern Purrmann in der Villa Ro-

mana »sehr häufig«. Vgl. auch zuletzt zu seiner

Vita in dieser Zeit: Borchardt, Rudolf: Anabasis.

Aufzeichnungen. Dokumente. Erinnerungen,

1943–1945, München 2003. Dort besonders die

Erinnerungen der Tochter Corona, die sich eine

Zeitlang bei Marion Franchetti versteckte: Tage-

buchaufzeichnungen Florenz 1944, S. 97–203.

90 Zur Vita vgl.: Wineapple, Brenda: Schwester

Bruder. Gertrude und Leo Stein, Zürich/Hamburg

1998, dort S. 548–550 (nicht zu VR).

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Sinnen. Was sein Beispiel und seine Worte eindrucksvoll machte, war seine schwer erworbene Fähig-keit, das Künstlerische auf Grundgesetzlichkeiten zurückzuführen. Ohne ein Lehrertemperament zu sein, war alles, was er tat und sagte, lehrhaft. […] In Deutschland war er eine nicht alltägliche Erschei-nung, weil er streng von der Form aus dachte und sich um Inhalt, Weltanschauung und Gehalt nicht kümmerte; doch nahm er den Begriff der Form weit und tief genug, um alles Leben einzuschließen. Seine Erscheinung hatte etwas Nachdrückliches. Sein Kopf fiel in jeder Gesellschaft auf; ohne ihn zu kennen, ließ sich von Purrmann sagen: dieser Mann ist gar nicht imstande, anders als wesentlich zu denken.«58 Purrmann war bis zu seiner Berufung nach Florenz noch weitgehend verschont geblieben von persönlicher Verfolgung und Bedrohung.59 Er war Privatmann, und im Gegensatz zu vielen Kollegen konnte man ihn deshalb auch aus keinem Amt vertreiben. Nicht einmal aus der Preußischen Akademie hatte man ihn geworfen. Er war also in seiner Reputation noch unversehrt, und von seiner persönli-chen Haltung wußten die staatlichen Amtsträger im Villa Romana-Verein vermutlich ebenso wenig wie von seiner Kunst. Es ist bekannt, daß Purrmann zum Leichtsinn neigte, weil er selten ein Blatt vor den Mund nahm. Insofern war er in Deutschland durchaus gefährdet.60 Nimmt man die allgemeine Bedrohungslage hinzu, dürfte das Angebot, nach Florenz zu gehen, für ihn also eine glückliche Fügung gewesen sein. Die häufig übernommene Bemerkung Purrmanns, die Leitung der Villa sei ihm vom Deutschen Künstlerbund anvertraut worden, entspricht allerdings nicht ganz den Tatsachen,61 denn 1935 war der Bund im Villa Romana-Verein nur noch ein Ratgeber unter Aufsicht.62 Es war allein der Verein zuständig, und es dürfte dem Mut des bereits zu diesem Zeitpunkt maßgeblich aus dem Hintergrund wirkenden Hans-Alfons Simon zu verdanken gewesen sein, daß Purrmann nach Florenz geschickt wurde.63

Kurz vor der Berufung Purrmanns hatte der Künstlerbund den Versuch unternommen, eine Ausstellung in Magdeburg zu organisieren. Mit einem neuen Vorstand, bestehend aus Georg Kolbe, Leo von König und Richard Scheibe, hatte man drei Künstler aufgestellt, die bei den Nazis noch weitgehend gelitten waren. Man scheiterte jedoch bereits bei den Vorbereitungen. Der neue Vorsitzende Georg Kolbe, der in der Nazizeit allerlei Kompromisse einging, die man ihm später überzogen in Rechnung stellte, bewies sich in den Fragen kompromißlos, die die Freiheit der Kunst und – mehr noch – die seiner Kollegen betrafen. Als man versuchte, den Maler Karl Hofer aus der Jury für Magdeburg aus-zuschließen, ließ Kolbe die Ausstellung platzen.64 Man darf also davon ausgehen, daß zum Zeitpunkt der Berufung Purrmanns nach Florenz die Stimmung in bezug auf die Zukunft des Deutschen Künst-lerbundes nicht besonders hoffnungsvoll war. Nur ein Jahr später kam es dann zum endgültigen Eklat. Die Ausstellüng in Hamburg kam zwar unter dem tarnenden Titel »Malerei und Plastik in Deutschland 1936« zustande und wurde am 21. Juli eröffnet, aber sie war ein zu gewagter letzter Querschnitt zeit-genössischer deutscher Kunst. Nach zehn Tagen führte ein Reichskammer-Erlaß zur Schließung.65 Der Künstlerbund mußte sich zum 30. November 1936 auflösen, das restliche Vermögen des Bundes wurde dem Villa Romana-Verein zugewiesen. Die Idee gemeinsamen Wirkens für die Künstler konnte jedoch nicht ganz vernichtet werden, denn fast auf den Tag genau zur Auflösung des Bundes wurde die Füh-rungstrias Kolbe, Scheibe und von König in den Villa Romana-Verein aufgenommen.66 Ihre Stimmen waren anschließend eine maßgebliche Hilfe bei Entscheidungen des Vereins. Wer diesen mutigen, im Moment der Zerschlagung des Bundes politisch geradezu provokanten Schritt einleitete und vollzog, ist nicht belegbar, aber es kann erneut kein anderer gewesen sein als Hans-Alfons Simon. Erst im folgenden Jahr 1937 kam es mit der Ausstellung Entartete Kunst zum Höhepunkt und zum eigentlichen Vollzug des nationalsozialistischen Bildersturms. »Sie hatten vier Jahre Zeit«, war eine der höhnischen Parolen, die man dort auf die Wände geschrieben hatte, und sie richtete sich absurderweise nicht nur gegen die Künstler, sondern auch gegen die eigenen Leute.67 Das spiegelt sich besonders in den merkwürdigen Vorgängen um Raum VII dieser Ausstellung, der mehrfach geschlos-sen, wieder geöffnet und nach vierzehn Tagen ganz für die Öffentlichkeit gesperrt wurde. Neben oben genannter Parole stand dieser Raum unter dem Motto: »Solche Meister unterrichteten bis heute deutsche Jugend«. Dort hing auch ein schönes, intimes und sehr harmloses Mädchenbildnis Hans Purrmanns. Als Kommentar hatte man an die Wand geschrieben: »Wurde vom Reichserziehungsminis-ter 1936 zum Direktor der Villa Romana ernannt.«68 Abgesehen vom faktischen Unsinn dieser Parole kennzeichnet sie die zuvor erwähnte Abrechnung der Bilderstürmer untereinander. Denn angeprangert wurde hier offenbar nicht nur der Künstler, sondern auf gleicher Ebene auch der Erziehungsminister des Dritten Reichs, Bernhard Rust. Genauer gesagt, es handelte sich um einen Kleinkrieg zwischen den

ABB. 041 Hans Purrmann in der Villa Romana, um 1940

ABB. 042 Hans Purrmann, Garten der Villa Romana, 1937, Öl/Lwd., 100 x 81 cm, Privatbesitz

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Ministern Rust und Goebbels, den letzterer entfacht hatte.69 Der angestrebte Sturz Rusts sollte ihm nicht gelingen, aber die Bloßstellung in der Ausstellung, vor allem in bezug auf Rusts Berufsungspolitik an den Akademien, hatte zur Folge, daß im Ministerium die letzten noch versöhnlich gestimmten Beamten verschwanden. Durch die Neubesetzungen gerieten dann zwei der übelsten Bilderstürmer als Kon-trolleure in den Villa Romana-Verein: Franz Hofmann und Klaus Graf von Baudissin.70 Die folgenden Preisträger der Villa lassen zwar nicht darauf schließen, daß ihr Einfluß bedeutend war, dennoch kam, was nach der öffentlichen Anprangerung Purrmanns kommen mußte: man versuchte, ihn von seinem Posten zu entfernen. Bereits im Protokoll der Vorstandssitzung vom 25. Februar 1938 ließ der neue Vertreter des Propagandaministeriums vermerken, »daß eine weitere Belassung des Malers Purrmann […] in Florenz nicht tragbar sei, da er als Maler der Verfallskunst mit der Villa Romana identifiziert würde«.71 Anschei-nend verstand es Simon nachfolgend, die Angelegenheit auf die lange Bank zu schieben.72 Am 31. Mai 1939 unternahm der deutsche Botschafter in Rom, von Mackensen, einen Hilfsversuch, indem er sich ausdrücklich für Purrmann aussprach und dessen Leistung für die Villa hervorhob.73 Allerdings folgte nur wenig später ein infames Schreiben der NSDAP-Auslandsorganisation, in dem man Purrmann nicht nur als »Vertreter einer durch und durch undeutschen Kunstauffassung« kennzeichnete, sondern in geradezu abenteuerlichem Deutsch anfügte, seine Arbeiten in Speyer seien Schulbeispiel einer »aus ex-pressionisten [sic!] Elementen zusamenengetragenen eindeutig destruktionen [sic!] Kunstauffassung«.74 Nur kurz darauf kam es dann bei einer Vorstandssitzung des Vereins in Berlin zu einer unerwarteten Wendung. Mit Hilfe der Bildhauer Albiker und Kolbe wurde die offenbar dem Niveau der Ankläger angepaßte Diagnose gestellt, daß keine »entartete Kunst vorliege, Purrmann sei Impressionist«. Die beiden Künstler bekamen zudem überraschenden Beistand vom Vertreter des Propagandaministeriums. Simon nutzte diese Wendung und drohte, er würde zurücktreten, wenn man Purrmann kündigte. Jeder wußte, daß ein Rückzug Simons das Ende der Institution bedeutet hätte. Daraufhin war der Kampf gewonnen, und Purrmann durfte ›zunächst‹ bleiben.75 Im Oktober 1939 erzwang man die Einführung des sogenannten ›Führerprinzips‹ im Villa Romana-Verein. Vorstand im Sinne des Gesetzes war nun lediglich der Vorsitzende in Person.76 In diesem Falle hatte der Überwachungsstaat sich selbst ausge-schaltet. Simon konnte ab jetzt allein und ohne Rücksprache mit seinen lästigen Beisitzern entscheiden. Am 5. April 1940 schrieb Purrmann an seinen Freund, den Villa Romana-Gastkünstler Tucholski, er habe »wieder einen neuen Vertrag für weitere drei Jahre in der Hand«.77

Ziemlich genau acht Jahre lebte Hans Purrmann mit seiner Frau, der Malerin Mathilde Voll-moeller, in Florenz (ABB. 041).78 Die zuvor geschilderten Ereignisse waren der Schatten, der unverrück-bar über der gesamten Zeit lag. Ein unbelasteter Blick auf die doch meist heiter wirkenden Florentiner Bilder Purrmanns vermittelt kaum eine Ahnung von der tiefen Melancholie, die ihn in diesen Jahren begleitete. Als er im Juli 1935 dem Verein seine Zusage gab, hatte er noch hoffnungsvoll eine schöne Illusion entwickelt: »Damit komme ich aus Berlin und dem fruchtlosen Streit. […] dann sind wir wie-der freie Menschen wie früher und können unbesorgt über Kunst und Leben reden, und die Sache von außen ansehen.«79 Nach etwa einem Jahr jedoch war ihm klar geworden, daß die Schönheit des Ortes seinen Kummer nicht vertreiben konnte. Er schrieb seinem alten Freund Scheffler nach Berlin: »In Florenz zu leben ist doch auch etwa so, als wenn man sich krank fühlt und doch jeden Vormittag sagen muß, ich bin gesund. […] Doch die schwarzen Gedanken steigen immer mehr auf und besonders, wenn ich nicht arbeite, als stände man am Grabe jeder Kunst und Kunstliebe.«80 Der Charakter der Florentiner Situation Hans Purrmanns ist auch in seinen Arbeiten lesbar. Zwar nicht auf den ersten Blick, feiern doch seine Bilder in ungebrochen strahlendem Kolorit den von ihm lange zuvor schon verehrten Süden. Beobachtet man aber seine Sujets, läßt sich eine auffällige Konstante feststellen. Das eingangs zitierte Bekenntnis zur Natur war Purrmann gewiß ein Weg, den auch in Italien ständig präsenten Realitäten zu entkommen. Vielleicht fand er mit der eisernen Disziplin der Arbeit in seinen Bildwelten einen Rest des Wunschreichs Arkadien. Purrmanns Weg in die Natur war aber in den seltensten Fällen im Sinne des Wortes ›weit‹. Das ist nicht sofort feststellbar, denn die Florentiner Bildtitel sind häufig allgemein gehalten – wie etwa Toskanische Landschaft. Selbst konkretere Benennungen, wie Blick auf Florenz‚ Via Senese, Villa Bitthäuser, Villino della Pera usw., offenbaren dem Betrachter nicht den Ort des Malers. Der ist aber nicht nur bei den genannten Titeln stets die Villa Romana selbst. In gewissem Sinne handelt es sich hier immer um den Blick über eine Mauer – präziser: über die symbolisch schützende Mauer der Villa Romana. Es sind zwar Landschaften im klassischen Sinne, aber genauer betrachtet sind sie ein suchendes Schauen von innen nach außen

ABB. 043 Hans Purrmann, Blick aus der Villa Romana, 1940, Öl/Lwd., 100 x 81 cm, Privatbesitz

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91 Sie war mit Purrmanns eng befreundet. Die

leidenschaftliche Gärtnerin half Mathilde Purr-

mann bei der Wiederherstellung des Gartens

der Villa Romana, schenkte Pflanzen und stellte

Gärtner aus ihrer Villa zur Verfügung. Zu ihren

regelmäßigen Gästen zählten die Schriftsteller

Rudolf Borchardt und Kasimir Edschmid sowie

der bayerische Kronprinz Rupprecht.

92 Haftmann 1986, S. 136.

93 Ergiebige Quelle zum Kreis der Pensione

Bandini ist das unveröffentlichte 31seitige Typo-

skript des Malers und Zeitzeugen Heinrich Stei-

ner: »Vortrag von Herrn Steiner anlässlich einer

Ausstellung«, gehalten anläßlich von: Deutsche

Künstler in Florenz während des Krieges, Kat.

Frankfurter Westend Galerie, Deutsch-Italieni-

sche Vereinigung, Frankfurt/M. 1974. Zu den

wechselnden Bewohnern der Pensione zählten

auch: Curt

Craemer, Heinz Battke, Karli Sohn-Rethel, Max

Peiffer-Watenphul. Vgl. zu diesen und den Krei-

sen der VR auch: Haftmann 1986, S. 141–146.

94 Wichtigstes Zeugnis dieser Zusammenhänge

sind die Erinnerungen von Werner Haftmann

(Haftmann 1996, Zitat S. 152). Dort u.a. aus-

führlich zu den Begegnungen mit Gilles, Stadler,

Blumenthal, Levy sowie zu gemeinsamen

Besuchen bei Leo Stein. Vgl. ausführlich zu den

Kreisen auch Haftmann 1986, S. 136–146.

95 Über die Stipendiaten, unter denen er litt,

schrieb Purrmann: »Sie benahmen sich noch

herausfordernder als die Genossen selbst.«

Er nennt aber keine weiteren Namen; in:

Erinnerungen Purrmanns an die VR-Zeit, 1956,

Manuskript, VRA/F, gekürzt und mit vielen

Abschriftfehlern abgedruckt in: Herold 1956, S.

22ff. Von dort auch das vorgestellte Zitat.

96 Ebd.; das gute Verhältnis zu den Bildhauern

Rössler und Lang geht aus Briefen Purrmanns in

den Nachlässen hervor, Kopien in VRA/F.

97 Die Aktenlage für dieses Jahr ist etwas merk-

würdig. Ließen sich aus allen Jahren Spuren des

Vereins auffinden, sei es in Form von Sitzungs-

protokollen oder Rundbriefen, fehlen sie für

dieses und das folgende Jahr komplett. Hinge-

gen haben sich für beide Jahre Rundbriefe des

DKB erhalten (Teilnachl. Ludwig von Hofmann

DL/M), in denen jeweils die Preisträger des

Vorjahres und die Absicht einer neuen Vergabe

bekanntgegeben wurde. Erst am 23.12.1935

meldeten deutsche Tageszeitungen die Preisver-

gabe. Zu diesem Zeitpunkt aber weilte Philipp

Harth bereits seit zwei Monaten in Florenz!

Ausschnittslg. aus 5 deutschen Tageszeitungen,

Nachl. Harth, Bayrischzell.

98 Zu Maly waren keine Spuren des Aufenthaltes

ausfindig zu machen, auch gibt es keine nen-

nenswerte Literatur. Zu Harths Werk ist immer

noch aufschlußreich: Adriani, Bruno: Philipp

Harth, Berlin 1939. Frau Krista Ibing-Harth,

München, ist für umfangreiches Material aus

dem Nachlaß zu danken.

99 Philipp Harth an Paul und Edith Geeheb

vom 6.1.1936 und Ida Harth an dies. vom

seiner Ankunft in der Villa.

112 Erinnerungen Stadlers in: Herold 1956.

113 Haftmann 1996, S. 150.

114 Er erhielt direkt anschließend den Villa Mas-

simo-Preis und lebte danach in Sizilien – im letz-

ten Kriegsjahr fiel er an der Ostfront. Ruhmer

verfolgte eine stark an Marées orientierte neo-

idealistische Malerei; vgl. den einzigen größeren

Aufsatz: Ruhmer, Eberhard: Helmut Ruhmer, in:

Zeitschrift für Kunst, Bd. 2, 1948, S. 247–258.

115 Tucholski war bereits 1929 für ein halbes Jahr

einer der ersten Gastkünstler des Hauses; Kon-

sul Stiller an Auswärtiges Amt vom 4.2.1929 u.

30.1.1931, PAAA/B. Vgl. Werner, Klaus: Herbert

Tucholski. Bilder und Menschen, Leipzig 1985.

Mit Hans Purrmann enstand ein freundschaftli-

ches Verhältnis, von dem viele Briefe im Nachlaß

Tucholski zeugen (Privatbesitz Berlin).

116 Vgl. zum Werk: Kat. Fritz Bernuth. Verzeich-

nis der Skulpturen 1919–1973, Ausst. Von der

Heydt-Museum, Wuppertal 1974, Wuppertal

1974.

117 Riester konnte seinen Florenzaufenthalt um

ein Jahr verlängern und mietete sich ein kleines

Haus in der Via delle Campora in der Nähe

der Villa Romana. Vgl. zum Werk: Kat. Rudolf

Riester. Aquarelle 1922–1979, hrsg. v. Hans H.

Hofstätter. Ausst. Augustinermuseum Freiburg

1979–80, Freiburg i. Br. 1979; Arbeiten aus

Florenz: S. 36f.

118 Telegramm von Simon an Walter Rössler vom

2o.10.1941, Nachl. Rössler, Klausdorf.

119 Zur Arbeit des Künstlerpaares vgl. Kat. Karl

Clobes. Gemälde 1972–1982, Ausst. Städtische

Galerie Würzburg 1982, Würzburg 1982; Kat.

Elisabeth Freitag, Ausst. Städtische Galerie

Würzburg 1972, Würzburg 1972.

120 Vgl. zum Werk: Kat. Walter Rössler. Der

Zeichner und Bildhauer, bearbeitet v. Martina

Rudloff, Ausst. Gerhard Marcks-Stiftung Bremen

1984, Bremen 1984, mit Abb. der in Florenz

entstandenen Arbeiten.

121 Breker zog sich den besonderen Groll Purr-

manns zu, da er sich rühmte, durch Bezie-

hungen vom Kriegsdienst freigestellt zu sein.

Blumenthal, der Freund Purrmanns, wurde

jedoch eingezogen und fiel am 17.8.1942. Zuvor

hatte man vergebens versucht, über Arno Bre-

ker eine Freistellung zu erreichen. Die Tragödie

ist ausführlich dokumentiert in: Isermeyer 1993

(wie Anm. 106), S. 167f. Ob Hans Breker damit

wirklich etwas zu tun hatte, erscheint zweifel-

haft. Purrmann (»es verreist mich fast, wenn ich

daran denke«) an Pfeiffer-Belli vom 9.1.1948,

Purrmann-Haus, Speyer.

122 Kreibich wurde eingezogen. Zum Werk vgl.

Schaffer, Xaver: Der Maler und Zeichner Oskar

Kreibich, München 1960. Auch Schiffers wurde

eine Freistellung verweigert, Auskunft der Witwe

an den Autor. Zu Lang vgl. Hubert Nikolaus

Lang. Pastoralen und frühe Arbeiten, Oberam-

mergau 1994.

1.12.1935, Nachl. Harth, Bayrischzell.

100 Harth an Kolbe vom 24.12.1935, in: Tiesen-

hausen 1987, S. 149f.

101 Gerke, Friedrich: Emy Roeder. Eine Werkbio-

graphie mit einem Gesamtkatalog der Bildwerke

und Zeichnungen, Wiesbaden 1963. Vgl. auch:

Kat. Auf der Suche nach Ausdruck und Form.

Emy Roeder und die Plastik ihrer Zeit, Ausst.

Museum im Kulturspeicher Würzburg u.a.O.

2004–05, Würzburg 2004. Der Aufenthalt Emy

Roeders wird unter Auswertung des Nachlasses

ausführlich behandelt von: Lange 2001.

102 Leider ließen sich keine Spuren vom Aufent-

halt Degners ermitteln. Der Nachlaß scheint nicht

erhalten. Eine Ausstellung in den Duisburger

Städtischen Kunstsammlungen im April 1938

zeigte Arbeiten aus Florenz, jedoch haben sich

auch hier keine Materialien erhalten. Zum Werk

vgl.: Pfefferkorn, Rudolf: Arthur Degner, Mün-

chen 1970.

103 Meldeamts-Auskunft, in: Reichskammerakte

Emy Roeder, F 43, Landesarchiv Berlin.

104 Bemerkenswert ist, daß der Vorgang in den

Akten an keiner Stelle erwähnt wird. Es muß sich

um eine mehr oder weniger interne Absprache

zwischen Simon und Purrmann gehandelt haben.

105 In: Siebenhüner, Herbert: Emy Roeder.

Bildwerke und Zeichnungen aus den Jahren

1919–1949, Bonn 1950; Zitat aus dem selben

Jahr, o.S. Der Kunsthistoriker Siebenhüner war

1937–1943 Mieter in der Villa Romana. Seine

Sammlung (heute Martin von Wagner Museum,

Würzburg) enthält Arbeiten von Purrmann und

Emy Roeder. Vgl. auch Lange 2001.

106 Ab Dezember 1936. Zu Werk und Vita vgl.:

Isermeyer, Christian-Adolf (Hrsg.): Hermann Blu-

menthal. Das plastische Werk, Stuttgart 1993,

dort zu den Arbeiten des Italienaufenthaltes und

den Erhalt des VR-Stipendiums, S. 10f., 159.

107 Purrmann an Blumenthal vom 10.5.1937,

GNABK/N, Nachl. Blumenthal. Den Kontakt hatte

offenbar Werner Haftmann hergestellt, den

Blumenthal von Rom aus »für ein paar Tage« in

Florenz besucht hatte, vgl. Haftmann 1996, S.

150. Blumenthal bedankte sich am 1.6.1937 aus

Rom bei Kolbe für die Vermittlung, GNABK/N,

Nachl. Blumenthal. Das Stipendium umfaßte

monatl. 150 Mark.

108 Haftmann 1996, S. 150.

109 Weczerek 1988.

110 Ein diskretes Zeichen dafür ist, daß der eng

mit Kolbe und Leo von König in Verbindung ste-

hende Marcks es übernahm, Purrmann nach der

Preisvergabe Toni Stadler zu empfehlen: »[…]

so können Sie sich mal über Kunst unterhalten,

was doch fruchtbarer ist, als andere Themen.«

Marcks an Purrmann vom 30.11.1937, in: Rud-

loff, Martina: Hans Purrmann – Gerhard Marcks.

Eine Künstlerfreundschaft in Briefen, Langenar-

gen 1986, S. 10.

111 Einen Eindruck der zeitgenössischen Rezepti-

on mit vielen Abb. vermittelt: Kroll, Bruno: Toni

Stadler, ein Münchner Bildhauer, in: Die Kunst,

Jg. 39, Bd. 77, Mai 1938. Hier auch die Angabe

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– aus dem Refugium Villa Romana hinaus in die Welt.81 Wie auf einer Insel suchte Purrmann seine Mo-tive in ständiger Gegenwart des eigenen Hauses. Als wollte er sich malerisch immer wieder des eigenen Zufluchtsortes vergewissern, wird auch die Villa selbst auf ausgesprochen vielen Bildern zum Ge-genstand (ABB. 042).82 Steht sie nicht im Mittelpunkt, bleibt die angeschnittene Fassade doch stets das Leitmotiv, das Florenz oder die umgebende Natur des Villen-Gartens mit dem Haus und dem Refugium des Malers verbindet. Spätestens Anfang 1942 blieb Purrmann dann gar keine andere Möglichkeit, als innerhalb des Areals der Villa zu arbeiten. Aus militärischen Gründen wurde das Malen in freier Natur in Florenz verboten, und gegen dieses Verbot zu verstoßen war gefährlich und höchstens noch auf dem Gelände der Villa selbst möglich (ABB. 043).83

Ein ganz anderer Hintergrund der Florentiner Melancholie Purrmanns wird aus einer weiteren Briefstelle an Karl Scheffler deutlich. Er klagte dort: »es tut mir […] so leid, oft vor einem Glas Wein zu sitzen, von der Sonne beschienen zu sein, etwas gutes zu essen oder ein Kunstwerk zu sehen und diesen Genuß nicht teilen zu können. Wann wird man wieder zusammengeführt und nicht auseinan-dergerissen?«84 Das Problem dieser Einsamkeit und Isolierung in Florenz sollte sich paradoxerweise aufgrund der immer schlimmeren Verhältnisse in Deutschland bald grundlegend verändern, denn Florenz wurde im Laufe der Jahre zu einem kleinen Zentrum der Emigration.85 Der jüdische Kunsthis-toriker Curt Glaser, ein guter Bekannter Purrmanns aus Berliner Tagen, gehörte ebenso zu diesem Kreis wie der alte Freund und Malerkollege aus den Jahren des Café du Dôme in Paris, Rudolf Levy.86 Dem bayerischen Kronprinzen Rupprecht und seiner Familie wurde sein häufiger Aufenthaltsort Florenz in den 40er Jahren zum Versteck.87 Auch für Monika Mann war Florenz eine der Wartestationen auf dem Weg in die amerikanische Emigration.88 Der Schriftsteller Rudolf Borchardt lebte mit seiner Familie zurückgezogen in einer Villa bei Lucca und kam häufig nach Florenz.89 Kein Emigrant – aber als Jude unter den politischen Bedingungen ebenso leidend – war der alte Freund Purrmanns aus Paris, der Amerikaner Leopold Stein, Bruder der berühmten Gertrude, der zurückgezogen in seiner Villina Rosa in Settignano bei Florenz lebte.90 Alle Genannten verkehrten regelmäßig mit Hans Purrmann, und die meisten gingen in der Villa Romana ein und aus. Eine wichtige Mittlerin dieser Kreise war zudem die Baronin Marion Franchetti, eine enge Freundin der Purrmanns, die in ihrer monumentalen Villa Torre di Bellosguardo ein Haus voller Gäste unterhielt, zu denen immer häufiger auch Emigranten zählten.91

Als Rudolf Levy sich im Jahr 1940 in der Pensione Bandini an der Piazza Santo Spirito ein-mietete, traf er auf einen Kreis von deutschen Malern, der neben der Villa Romana ein zweites Zentrum deutscher Künstler in Florenz darstellte. Das Wort Werner Haftmanns, Italien wirkte in diesen Jahren wie »eine Außenstelle der inneren Emigration«,92 kennzeichnet den Bandini-Kreis treffend. Die Maler Eduard Bargheer und Werner Gilles zählen zu den Bekannteren dieser Runde.93 Im selben Gebäude, dem Palazzo Guadagni, befand sich damals das Kunsthistorische Institut, in dem Werner Haftmann von 1936 bis 1940 Assistent war. Haftmann verkehrte regelmäßig in der Villa Romana und begegnete dort vielen Künstlern, mit denen sich freundschaftliche Verbindungen entwickelten. Seine Erinnerun-gen vermitteln auch einen Eindruck des kultivierten Ambientes der Wohnung Hans Purrmanns in der Villa Romana: »Neben einem kleinen Renoir lagen wundervolle persische Kacheln, dicht bei einer Kykladenplastik sah man koptische Stoffe, neben griechischen Terracotten persische und indische

ABB. 044 Philipp Harth, Schreitender Ti-ger, 1936, Bronze, Kunsthalle Mannheim

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Miniaturen.« Schon als junger Mann war Purrmann ein leidenschaftlicher Sammler. In Florenz ging er bei den Antiquitätenhändlern ein und aus, und Haftmann charakterisierte das mit den schönen Worten, Purrmann baue um sich »eine Aura von Kunst, wie eine Schnecke ihr Haus«.94

Preiträger und Gäste in den Jahren 1935–1943 »da es aber immer noch möglich war, Künstler zu senden, die das Arbeiten und das Leben in der Villa als Glück betrachteten […], so war der Sinn des Klingerschen Willens noch nicht erloschen«Hans Purrmann Auch wenn Hans Purrmann zurückblickend behauptete, er hätte aus politischen Gründen unter be-stimmten Preisträgern gelitten, muß man doch resümieren, daß mit den meisten seiner Schützlinge und Gäste produktive, häufig sogar für die künstlerische Arbeit gegenseitig befruchtende Kontakte entstan-den.95 Es entwickelten sich intensive freundschaftliche Verhältnisse zu den Preisträgern Emy Roeder, Toni Stadler und Hubert Nikolaus Lang ebenso wie zu den Künstlergästen Hermann Blumenthal und Herbert Tucholski. Zudem lassen Purrmanns respektvolle Äußerungen über Arbeit und Persönlichkeit von Wilhelm Maly, Karl Clobes, Helmut Ruhmer und Walter Rössler auf ein gutes und ungetrübtes Verhältnis schließen.96

Im Jahr der abgesagten Ausstellung in Magdeburg 1935 wurde der Villa Romana-Preis erst in der zweiten Jahreshälfte vergeben, und man nahm erstmals eine Zweiteilung vor.97 Für je ein halbes Jahr erhielten der Münchner Maler Wilhelm Maly sowie der in Berlin lebende Tierbildhauer Philipp Harth die Auszeichnung.98 Gemeinsam mit seiner Frau Ida reiste Harth im Oktober nach Florenz. Er verfolg-te ein eigentümliches System: »Ich arbeite hier ohne Unterbrechung. Italien interessiert mich nicht«, stellte er fest, und seine Frau ergänzte: »Unser Wohnzimmer haben wir fast eingerichtet, wie unsere Berliner Wohnung, die Läden zugezogen, Tische, Stühle, Erdboden sind mit Entwürfen und Zeichnun-gen bedeckt, oft geht er tagelang nicht vor die Türe.«99 Harth entwickelte in Florenz mit großem Eifer seinen lebensgroßen Schreitenden Tiger. Anfang Dezember waren bereits mehr als fünfzig Zeichnungen hierfür entstanden. »Ich habe die stille Verträumtheit hier gefunden, wie sie für die Arbeit notwendig ist«, schrieb Harth an Georg Kolbe und schloß an: »Die Landschaft, wie alles typisch italienische, ist mir jedoch fremd. Im Gegensatz dazu begreife ich um so klarer unsere eigene Geistigkeit und Gesin-nung.«100 In klösterlicher Zurückgezogenheit entwickelte Harth in der Villa Romana das Modell für eine kleine Bronze (KAT. 068). Hieraus entstand dann nach der Rückkehr eines seiner Hauptwerke, der dynamisch-elegante, lebensgroße Schreitende Tiger, der heute vor der Mannheimer Kunsthalle steht (ABB. 044). Nach dem Debakel der Künstlerbundausstellung von 1936 war die Wahl der Bildhauerin Emy Roeder101 besonders erstaunlich, stellten doch ihre deutlich von expressiven Zügen gekennzeichneten figürli-chen Arbeiten ein ideales Angriffsziel der Bilderwächter dar. Der Preis wurde ein weiteres Mal auf zwei Künstler verteilt. Auch der Maler Arthur Degner,102 ein Schüler und Freund von Corinth, war mit seinen starkfarbigen, an Munch erinnernden Bildern keine Kompromißlösung. Emy Roeder fuhr um den 20. Dezember 1936 nach Florenz.103 Der Aufenthalt in der Villa Romana sollte ihren weiteren Weg bestimmen. Als ihr Stipendium nach einem halben Jahr zu Ende ging, wurde kurz darauf in München die Ausstellung Entartete Kunst eröffnet, auf der auch von ihr eine Arbeit gezeigt wurde. Emy Roeder mag Gefallen an Florenz gefunden haben, aber ebenso sicher waren es die Vorgänge in Deutschland, die sie bewogen haben, um dauerhafte Aufnahme in der Villa Romana zu bitten. Ab Sommer lebte sie in einer kleinen Wohnung unter dem Dach und nutzte die Limonaia als Atelier. Sie blieb bis zum Ende des Krieges in Florenz.104 Purrmann, dem sie ihr Exil zu verdanken hatte, beschrieb später die auch für ihn prägende freundschaftliche Verbindung: »Aber welche Unbeirrbarkeit, Unbestechlichkeit und moralische Stütze in allem, was menschlich und künstlerisch unser Leben bewegte. Diese Beharrlich-keit neben mir gefühlt zu haben, geben der Erinnerung an die trübsten Tage noch einen Glanz.«105 Die Arbeiten Emy Roeders veränderten sich in Italien spürbar. Ihre Formen wurden durchaus latinischer und die harten nordischen Züge des Expressionismus nahm sie deutlich zurück. In vielen Fällen scheint die Beobachtung etruskischer Kunst Spuren in ihrer Bildwelt hinterlassen zu haben.Im selben Jahr 1937 war der Berliner Bildhauer Hermann Blumenthal für sechs Monate als Gast in

ABB. 045 Hermann Blumenthal, Flo-rentiner Mann, 1937, Bronze, Höhe: ca. 150 cm, Washington (D.C.), National Museum of American Art

ABB. 046 Herbert Tucholski, Toskanische Landschaft, 1939, Holzschnitt, 30,5 x 38,4 cm, Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Kunstsammlungen

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der Villa Massimo in Rom.106 Da ihm dort eine Verlängerung seines sehr produktiven Arbeitsaufent-haltes nicht möglich war, wendete er sich an Hans Purrmann mit der Bitte um ein Atelier in der Villa Romana. Da Purrmann darüber nicht entscheiden konnte, riet er ihm, direkt ein Gesuch an Hans-Alfons Simon zu richten. Durch die Vermittlung Georg Kolbes wurde Blumenthal daraufhin ein dreimonatiger Gastaufenthalt mit einem kleinen Stipendium gewährt.107 Im Juni 1937 übersiedelte er mit seiner Frau Maria und seinem kurz zuvor in Rom geborenen Sohn nach Florenz. Seine in Rom gefundene Linie vollendete er in der Villa Romana mit der großen Plastik Florentiner Mann (ABB. 045, KAT.069). Mit Haftmann und Purrmann diskutierte Blumenthal intensiv über seine bildnerischen Anliegen, »über das halluzinierte Menschenbild der Etrusker und die Verwendbarkeit antiklassischer Vorstellungen für die Verbildlichung einer zeitgenössischen Idee vom Menschen«.108

Gegen Ende des für die Freiheit der Kunst so fatalen Jahres 1937 wählte man im Vereinsvorstand den Münchner Bildhauer Toni Stadler zum neuen Preisträger.109 Obwohl auch darüber keinerlei Belege existieren, hat bei der Entscheidung fraglos erneut der Einfluß von Kolbe und Scheibe gewirkt.110 Die archaisierende Figürlichkeit Stadlers paßte zwar nicht in den offiziell genehmigten Kanon, sie bot aber zugleich auch keine Angriffsfläche wie etwa die Arbeit von Emy Roeder.111 Im Januar kam Stadler in Begleitung seiner späteren Frau, der Bildhauerin Priska von Martin, nach Florenz. Stadler bekannte später, in der Villa wenig gearbeitet und das »Genießen« vorgezogen zu haben.112 Dennoch wurde ihm die kleine Tochter des in der Villa lebenden Malers Memo Vagaggini zum Modell einer beeindrucken-den Reihe von Porträtköpfen, in die er deutlich seine Faszination etruskischer Skulptur einfließen ließ (KAT. 070, 071). Schaut man auf Blumenthal und Emy Roeder, liegen hier, bei aller Unverwechselbar-keit der individuellen Form, ganz offenbar verwandte Interessen vor. Werner Haftmann, der mit den genannten Künstlern häufig verkehrte und z.B. mit Stadler von Florenz aus eine Griechenlandreise unternahm, sprach von der Idee, über die »antiklassischen, mehr urtümlichen Formbildungen in der Geschichte«, den Weg zu einer neuen Form zu finden.113

Im folgenden Jahr fiel die Preisträgerwahl auf den Maler Helmut Ruhmer, der durch glückliche Um-stände nach seinem Villa Romana-Aufenthalt noch zwei weitere Jahre in Italien bleiben konnte.114 Zur gleichen Zeit war der Graphiker Herbert Tucholski für drei Monate Künstlergast der Villa.115 In Florenz und bei einem Aufenthalt in Monterosso al Mare entstand eine große Zahl expressiver Holzschnitte mit Landschaftsmotiven, die trotz ihrer Düsternis eindeutig vom Süden künden (ABB. 036, KAT. 061, 062). In den Jahren 1939 und 1940 folgen als Preisträger der Tierbildhauer Fritz Bernuth116 und der Maler Rudolf Riester.117 Im Jahr 1941 kam es dann zu einem – in Anbetracht des sich ausweitenden Krieges – höchst merkwürdigen Entschluß, denn erstmals seit 1914 wurden wieder drei Preisträger bestimmt.118 Darunter war der Berliner Maler Karl Clobes, der mit seiner Frau, der Malerin Elisabeth Freitag, in die Villa kam.119 Außerdem wählte man den figürlich-klassisch ausgerichteten Bildhauer Walter Rössler.120 Der Dritte dieses Jahres führte zu einiger Irritation. Es handelte sich um den Albiker-Schüler Hans Bre-ker, den »kleinen Breker«, wie Mathilde Purrmann ihn nannte. Wegen seines berühmten Bruders Arno ging man distanziert mit Hans Breker um und auch er selbst war bemüht, Abstand von der belastenden Familienbande zu wahren, denn er nannte sich in dieser Zeit Breker-Rekerb und nach dem Krieg Hans van Breek.121

Man muß sich wundern, mit welcher Konsequenz die schöne Idee, Künstlern einen Arbeitsaufenthalt in Italien zu ermöglichen, trotz des Krieges beibehalten wurde. Für das letzte Preisträgerjahr jedoch wur-den die guten Absichten von den Realitäten eingeholt. Man hatte mit dem Maler Oskar Kreibich sowie den Bildhauern Paul Egon Schiffers und Hubert Nikolaus Lang zwar erneut drei Preisträger bestimmt, aber allein der Letztgenannte konnte noch nach Florenz reisen.122 Auch Lang, dessen figürliche Arbeit in dieser Zeit deutlich in der klassisch-idealistischen Tradition Hildebrands stand, konnte nur kurz in der Villa arbeiten. Als Mussolini am 25. Juli gestürzt wurde, mußte er Italien verlassen.123

Am 11. Oktober 1944, zwei Tage vor der Kriegserklärung der neuen italienischen Regierung an das deutsche Reich, bestimmte man bei einer Vorstandssitzung in Berlin die Preisträger für das Jahr 1944.124 Obwohl Florenz inzwischen von deutschen Truppen besetzt war und eine relative Beruhigung der zuvor chaotischen Lage eintrat, zeugt die Entscheidung doch von einer erstaunlichen und nur schwer erklär-baren Zuversicht.»Die Engländer könnten sich auch mehr beeilen und lieber weniger Bomben werfen.« Als Hans Purrmann diesen Satz schrieb, war er bereits seit einem knappen Monat in der sicheren Schweiz.125 Die Ereignisse hatten sich zuvor überschlagen, Purrmann war zudem bedrohlich erkrankt, so daß er sich entschließen mußte, Italien zu verlassen.126 Mit Hilfe des Schweizer Konsuls Carlo Steinhäusslin, der

123 Die Genehmigung des Vereins, zurück-

zukehren, konnte er nicht mehr nutzen.

Simon an Lang, 16.8.1943, Nachl. Lang,

Oberammergau.

124 Ausgezeichnet wurden der Bildhauer und

Graphiker Wilhelm Hausmann, der Maler

und Graphiker Kurt Lambert, der Maler

Walter Wichmann. Kenntnis der Einzelhei-

ten durch Dokumente aus dem Nachlaß

Wichmann, Klaus und Elisabeth Wichmann,

München.

125 Purrmann an Hans Vollmoeller,

28.11.1943, Purrmann-Haus Speyer.

126 Einen detaillierten Eindruck von den

Entwicklungen dieser Monate vermittelt

die Biographie über den deutschen Konsul

in Florenz, Gerhard Wolf. Purrmann war

freundschaftlich mit ihm verbunden und er-

fuhr – wie viele andere Deutsche in Florenz

– häufig Hilfe von ihm. Tutaev, David: The

Consul of Florence, London 1966. Ergänzte

dtsch. Ausgabe: Der Konsul von Florenz,

Düsseldorf/Wien 1967.

127 Purrmann an Vollmoeller vom 5.12.1943

u. 8.12.1943 (wie Anm. 125).

128 Kurz nach der Befreiung von Florenz

wurde Emy Roeder verhaftet und in das

Internierungslager bei Padula in Kampanien

gebracht.

129 Zu Bargheers Aufenthalt in Florenz vgl.:

Kat. Eduard Bragheer. Florenz 1944/45.

Aquarelle aus der Pensione Sorelle Bandini,

Ausst. Eduard-Bargheer-Haus, Galerie Pro

Arte, Hamburg 1994, Hamburg 1994; zu-

letzt: Kat. Klaus Mann – Eduard Bargheer.

Zwei deutsche Emigranten im befreiten

Florenz, Ausst. Palazzo Vecchio, Florenz

2004, Florenz 2004.

130 Vgl. Thesing 1990 (wie Anm. 86), S.

44–47.

131 Theodor Heuss, in: Herold 1956.

132 Gall, Lothar (Hrsg.): Die Deutsche Bank

1870–1995, München 1995, S. 418.

133 Die biographischen Daten zu Herold sind

der Tochter Hermann Herolds, Hannelore

Rauch in Bonn, zu verdanken (Brief vom

9.10.2001). Rest-Akten, die mit diesem

Zeitraum beginnen und aus dem Besitz

Herolds stammen und nur deshalb erhalten

sind, deuten auf seine Mitarbeit seit Anfang

1938 (VRA/F). Namentlich wird er in den

Vereinsakten dieser Jahre nicht erwähnt.

Vgl. auch seine eigenen Angaben im Brief:

Herold an Purrmann vom 12.1.1949,

VRA/F. Alle hier und nachfolgend erwähnten

Quellen aus dem Archiv der Villa Romana

befinden sich in den sog. Herold-Akten.

134 Es handelt sich vor allem um eine

Anfrage des Stiftungsamtes aus Leip-

zig, das vom dortigen Direktor einer der

Nachfolge-Banken der Deutschen Bank die

Adresse Herolds erhielt. Offenbar hatte sich

Purrmann zuvor in seiner Ratlosigkeit an

das Stiftungsamt gewendet. Stiftungsamt

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ihm ein Auto zur Verfügung stellte, gelangte er zu Verwandten seiner nur kurz zuvor nach schwerem Leiden verstorbenen Frau Mathilde.Purrmann äußerte zwar wiederholt die Absicht, nach Florenz zurückkehren zu wollen, aber dazu kam es nicht mehr.127 Emy Roeder war allein in der Villa Romana zurückgeblieben und übernahm auf Bitten Purrmanns die Aufsicht über das verlassene Haus.128 In der Nacht zum 11. August verließen die deutschen Truppen die Stadt kampflos. Zuvor hatten sie alle Florentiner Brücken gesprengt und zur ›Schonung‹ des Ponte Vecchio auf beiden Seiten des Arno jeweils ein ganzes Stadtviertel in Trümmer gelegt. Der Maler Eduard Bargheer, der in Florenz geblieben war, hat diese fürchterliche Hinterlassen-schaft der Deutschen auf einem Aquarell in genau jener zarten Poesie festgehalten, die ihm eigentlich zur Huldigung des geliebten Südens diente (KAT. 080).129 Den Freund Purrmanns, Rudolf Levy, – das wäre noch nachzutragen – hatte man am 12. Dezember 1943 im Treppenhaus der Pensione Bandini verhaftet. Er starb einen Monat später auf einem Transport jüdischer Gefangener ins Sammellager Carpi bei Modena.130

Der lange Weg zur Wiedergründung nach 1945

»Man geht nicht nach Florenz, um zu kopieren – man wird natürlich […] brav einiges arbeiten. Aber wichtiger ist, in der Atmosphäre dieser Geschichte, dieser Stadtlandschaft, auch dieses Menschenschla-ges eine Zeitlang ohne die Tagessorge leben zu können, um reicher, reifer und damit freier zu werden.«Theodor Heuss, 1956131

Der Vorsitzende des Villa Romana-Vereins Hans-Alfons Simon war kurz vor dem Ende des Krieges einer der Deutsche Bank-Direktoren mit Generalvollmacht geworden.132 Offenbar aufgrund dieser exponierten Position wurde er unmittelbar nach der Kapitulation verhaftet und in ein Lager der sow-jetischen Besatzer in Frankfurt an der Oder gebracht, wo er im Jahr 1946 starb. Damit war der in den letzten Jahren von ihm allein betreute Verein herrenlos. Eine glückliche Fügung führte dann aber zu einer Persönlichkeit, die man mit gutem Recht als den Erben Simons bezeichnen darf. Seit 1936 war der Jurist Hermann Herold in der Rechtsabteilung der Deutschen Bank in Berlin tätig. Seit Beginn seiner dortigen Arbeit war er auch mit Angelegenheiten des Villa Romana-Vereins befaßt. Noch im Krieg wurde Herold stellvertretender Chefsyndikus der Bank.133 Er hatte ein gutes Verhältnis zu Simon und verfolgte mit Interesse dessen selbstloses Engagement für die Florentiner Institution. Im Jahr 1948 wurde er durch eine nicht zufällig an ihn weitergeleitete Anfrage animiert, zum Schicksal der Villa eige-ne Nachforschungen anzustellen.134 Noch am Ende jenes Jahres trat auch Hans Purrmann mit Herold in Verbindung. Damit waren die beiden Hauptfiguren zusammengekommen, denen die heutige Existenz der Villa zu verdanken ist.135 Ihre Bemühungen um die Wiedereinrichtung der Institution sollten zehn Jahre in Anspruch nehmen.Bereits am 26. Juni 1945 war die Villa Romana durch Sequestererlaß vom italienischen Staat beschlag-nahmt worden.136 Im November 1945 erfuhr Hans Purrmann durch gute Verbindungen: »[Es] soll alles aus der Villa davongetragen worden sein u. die Villa ist jetzt überfüllt mit neuen Bewohnern.«137 Während das Haus in den zwanziger Jahren auf offenbar korruptem Wege belegt worden war, kann man in dieser zweiten Nachkriegszeit von einer wenigstens zweckgemäßen Nutzung sprechen. Die Villa wurde von der Zwangsverwaltung vermietet. Bald fand sich dort ein illustrer italienischer Künstlerkreis: der Florentiner Maler Giovanni Colacicchi mit seiner Frau Flavia, die Malerin Adriana Pincherle sowie ihr Mann, der Maler Onofrio Martinelli, und schließlich war auch der Maler Memo Vagaggini in die Villa zurückgekehrt, den Purrmann 1941 als Villa Romana-Mieter kündigen mußte, weil man auf drei jährliche Preisträger zurückgekommen war.138 Die meisten der für den Verein wenig erfreulichen Mieter sollten sich auch nach der Rückgabe des Hauses erfolgreich gegen einen sofortigen Auszug wehren.Am 29. März 1949 wurde Hermann Herold offiziell zum Vorstand des Villa Romana-Vereins ernannt, zugleich erhielt Hans Purrmann Vollmacht, alle Interessen des Vereins in Florenz zu verfolgen.139 Erst nach fünf Jahren und nach komplizierten, von immer neuen Rückschlägen gekennzeichneten Verhand-lungen, erreichte man schließlich im März 1954 die Rückgabe des beschlagnahmten Eigentums.140 Nicht unerheblichen Einfluß dürfte dabei Theodor Heuss zuzuschreiben sein, mit dem Purrmann seit

Leipzig an Herold vom 31.7.1948, VRA/F.

135 Erster Brief: Purrmann an Herold vom

3.12.1948, VRA/F. Purrmann war im Okto-

ber des Jahres erstmals wieder in Florenz

und hatte sich bereits seit einiger Zeit um

die Villa Romana bemüht. Herold hatte sich

nach dem Krieg als freier Rechtsanwalt

in Berlin niedergelassen. Aufgrund eines Be-

ratervertrages mit der Deutschen Bank war

er maßgeblich und ab 1952, nach seiner

Übersiedelung nach Düsseldorf, federfüh-

rend mit der Koordinierung der Nachfolge-

Institute der von den Alliierten aufgelösten

Deutschen Bank betraut.

136 Das Datum geht hervor aus dem Pro-

tokoll bei Rückgabe der Villa Romana vom

16.3.1954, VRA/F.

137 Purrmann an Vollmoeller vom

16.11.1945 (wie Anm. 125).

138 Die Namen der Mieter gehen aus den

Nachkriegsakten hervor. Viele Zusam-

menhänge konnten in den 1990er Jahren

durch Besuche des Autors gemeinsam mit

Joachim Burmeister bei Adriana Pincherle

und Giovanni Colacicchi geklärt werden.

Der Florentiner Architekt Miglietta, der für

kurze Zeit in der Villa lebte, ergänzte die

Aussagen der Künstler. Adriana Pincherle

berichtete von häufigen Besuchen ihres

Bruders Alberto, der, bekannt unter seinem

Künstlernamen Moravia, zu den renommier-

testen italienischen Schriftstellern seiner

Generation zählt.

139 Herold an Purrmann vom 5.4.1949,

VRA/F.

140 Wie Anm. 136.

141 Vgl. Herold 1956: Erinnerungen von

Theodor Heuss, erneut veröffentlicht in: VR-

Jahresbericht 1963. Vgl. zum Engagement

von Heuss z.B.: Heuss an Purrmann vom

13.6.1951 sowie Heuss an den Deutschen

Botschafter Clemens von Brentano vom

14.1.1952, beide in Abschrift, VRA/F.

142 Das Memorandum und Purrmanns

Begleitschreiben an Herold, Januar 1958 in

den »Herold-Akten«, VRA/F. Bereits 1961

vollständig abgedruckt in: Göpel 1961, S.

222–230. Vgl. auch: Antwortschreiben der

VR-Vorstandsmitglieder von Ostman und

Stein vom 13.2.1958, VRA/F.

143 In: VR-Jahres-Akten Rosenberg 1959,

VRA/F.

Die Quellenlage zur Villa Romana zum hier

behandelten Zeitraum ist weit problemati-

scher als für die Situation vor dem Ersten

Weltkrieg. Sämtliche Bestände der Institu-

tion vor Ort gingen während der zweiten

Beschlagnahmung verloren. Alle Akten

des Villa Romana-Vereins verbrannten im

November 1944 bei einem Bombenangriff in

Berlin in der Zentrale der Deutschen Bank.

Reste von Vereinsunterlagen fanden sich in

den Nachlässen Caspar und Kolbe sowie in

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längerer Zeit freundschaftlich verbunden war. Das Verhandlunsobjekt mußte Purrmann dem Bundesprä-sidenten nicht nahebringen, denn Heuss kannte die Villa Romana bereits seit 1909 persönlich und hatte Purrmann im Mai 1939 dort besucht.141 Zwei weitere Jahre erforderten anschließend die Räumungsver-handlungen, die erst im Juni 1956 abgeschlossen waren. Am Ende des Jahres 1957 hatte man auch die Renovierungsarbeiten abgeschlossen und konnte mit Kurt Hermann Rosenberg einen neuen Leiter der Villa berufen, der im Januar 1958 in Florenz eintraf.Anfang 1958 kam es dann noch zu einem bemerkenswerten Zwischenfall. Der inzwischen neu struktu-rierte Vorstand versuchte, sich bei der Auswahl der Preisträger Mitbestimmungsrechte vorzubehalten. Außerdem sollte dem Bundesverband der deutschen Industrie ein Vorschlagsrecht eingeräumt werden. Zugleich hatte man die Präsenz der Künstler im Verein über längere Zeit durch Tatenlosigkeit gering gehalten. Außer Purrmann war in diesem wichtigen Moment des Vereins kein Künstler präsent, denn Gerhard Marcks erschien zu keiner Sitzung, Karl Hofer war 1955 verstorben, und seine Position war nicht ersetzt worden. Als Purrmann sich dieser bedrohlichen Lage bewußt wurde, ergriff er Anfang 1958 die Initiative und verfaßte ein sechsseitiges Memorandum, in dem er leidenschaftlich appellierte, sich auf die Grundidee Klingers und der Gründer zu besinnen und die Auswahl der Preisträger wieder allein den Künstlern zu übertragen. Er drohte zugleich, sich im gegenteiligen Falle von der weiteren Mitarbeit am Aufbau der Institution zurückzuziehen. Obwohl die Vereinsvorstände die Vorwürfe vehe-ment bestritten, wurde die Forderung Purrmanns schließlich kompromißlos erfüllt.142 Bis heute werden die Preisträger der Villa Romana, so wie das seit der Gründung der Fall war, von einer reinen Künstler-jury ausgewählt. Hans Purrmann hat damit zum Abschluß seines Wirkens für die Villa Romana erreicht, daß die Institution auch nach dem Krieg weitgehend im Sinne Klingers fortgeführt wurde. Am 12. Mai 1959 wurde das Haus offiziell mit einer Feier wiedereröffnet. Hermann Herold wurde für seine Arbeit zur Wiedergründung der Villa Romana vom deutschen Botschafter das Große Verdienstkreuz der Bun-desrepublik überreicht. Hans Purrmann konnte an der Eröffnung aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen. Weder in den Akten, noch im detailreichen Protokoll des neuen Leiters Rosenberg wurde sein Fehlen, geschweige denn seine Leistung für die Villa Romana mit einem Wort vermerkt.143

den Privatunterlagen von Hermann Herold

(heute VRA/F). Aufschlußreiches Material

zum Verein ist in den Akten der Deutschen

Botschaft Rom (Quirinal) und des Vereinsre-

gisters in Düsseldorf enthalten. Der Familie

Purrmann und den Herausgebern des

kürzlich erschienenen Werkverzeichnisses,

Christian Lenz und Felix Billeter, ist für um-

fangreiche Hilfe bei den Recherchen ebenso

herzlich zu danken, wie Herrn Adolf Leisen,

dem Leiter des Purrmann-Hauses in Speyer,

der viele unveröffentlichte Briefe Purrmanns

zur Verfügung stellte. Erneut gilt der Dank

den vielen Nachlaß-Besitzern, die großzügig

Materialien und Informationen beisteuerten.

Ihre Nennung würde den hier gesetzten

Rahmen sprengen.