Zwischen zwei Polen
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zWischenzWeiPolen
Impulsiv und mit voller Körperspannung, wie eine Momentaufnahme eines leidenschaftlichen Kampfes, schraubt sich die Figur im Serpentina Stil schlangen-haft in die Höhe.
Giambologna | Raub der Sabinerinnen
OKt. NOv. Dez. JäN. 08/09
INNSbrucK, 10. JäN. 09GOGl AlexANDer
INStItut F. ArcHIteKturtHeOrIe
seminar:ArcHItext
GrunDsäTzliche GeGenPole Menschlichen KunsTWollens
zWischenzWeiPolen
Die WelT WirD Grösser
Ist es möglich, dass sich menschliches Kunstwollen zwischen zwei Polen bewegt? Zwischen einem Manierismus, einer Hommage an den Exzess, das Gefühl und die Leidenschaft und einem Klassizismus, einem Zugeständnis an die Verarmung, die Rationalität, die Nüchternheit des Seins? Denkbar ist es jedenfalls.Beginnen wir mit einem Tagebucheintrag eines der Größten unter den Großen des 16. Jahrhunderts:
«Ich bin, wie Mark in seiner Hülle, abgesperrt, arm, einsam, Weingeist in der Flasche. Die grabähnliche Wohnung hemmt mir den Flug, Spinnen und ihre Schwestern weben hier tausend staubgraue Werke. Wer gegessen hat oder Arznei nahm, scheißt vor meiner Tür. Ich lerne den Geruch der Urinarten in der Abflußrinne unterscheiden, den Gestank von Narren, die nachts umhertreiben, Katzen und Aas, Nachttöpfe und Dungpfannen, wer auch nur Geräte dieser Art zu entleeren hat, kommt ganz sicher zu mir. Meine Seele ist allerdings meinem Körper gegenüber im Vorteil, denn, wenn auch die das alles riechen würde, würde sie nichts mehr bei sich behalten, weder Brot noch Käse. Husten und Kälte schütteln mich; wenn ich ‚unten‘ atmen könnte, würde aus dem Mund bald wohl kein Hauch mehr dringen. Ausgeleiert bin ich, zerrissen, zerbrochen, durch all die Müh‘, und tot sind alle Wirtshäuser, wo ich einst aß. Meine Freude ist die Melancholie, meine Ruhe die Qualen. Als Narrenfigur wär‘ ich gut, mit dieser Hütte hier, mitten unter prächtigen Palästen. Die Liebesflamme ist erloschen, die Seele ist kahl. Ich schwätz‘ wie eine Wespe im Krug. Ein Lederbeutel
bin ich, voll Knochen und Sehnen, und Steine hab ich im Bauch. Die Augen sind trüb und krank, die Zähne abgegriffen, sie klappern beim Sprechen. Mein Antlitz, ‚ha forma di spavento‘, ist ein Bild des Grauens. Im Ohr nistet eine Spinne, im andern eine Grille. Das katarrhalische Gekratze raubt mir den Schlaf. Die Liebe, die Musen, die blühenden Grotten, alles ist in Unrat erstickt. Was hilft‘s, soviel Puppen gemacht zu haben, wenn man so endet wie der, welcher den Ozean überqueren wollte und im Sumpf absackt! Die wohlgelobte Kunst, von der ich so viel wußte, brachte mich hierher. Arm, alt, andern untertan. Ich löse mich auf, wenn ich nicht bald sterbe!» 1
Michelangelo
Man erkennt ihn kaum wieder, den Schöpfer des Jüngsten Gerichts, den Erbauer der Peterskup-pel: voller Verzweiflung, erfüllt mit Melancho-lie, versunken in einer Untergangsstimmung, die ihres gleichen sucht. Wie kommt es, dass Miche-langelo, der uns sonst so schillernd präsentiert wird, von einer solchen Verzweiflung erfüllt ist? Es ist das Wissen um die Widersprüchlichkeit des Daseins: der Mensch ist deus in terris2 (ein Gott auf Erden). Er fühlt sich unter allem Seien-den auserwählt, da er Zeichen des Kosmos und der Natur zu deuten glaubt und im Besitzt von Vernunft und Logik ist. Die Zeichen des Abso-luten begreifen zu können verschafft dem Sub-jekt Machtgefühl, Selbstbestätigung und Sicher-heit. Aber vor allem die Fähigkeit des Subjektes Phantasie zu produzieren lässt es allmächtig er-scheinen.
Die Welt, über deren Beherrschung sich deus in terris sicher glaubt, bleibt allerdings mystisch, unsicher, voller Fremdartigkeiten, Wunder und
1 Michelangelo, aus: Hocke, G.R. (1957) Die Welt als Labyrinth - Manier und Manie in der europäischen Kunst; S. 592 vgl. Ebd. S. 37f und S. 44f zur Vergöttlichung des Subjekts
3 Ebd. S. 384 vgl. Ebd. S. 55ff5,6 Ebd. S. 567 Ebd. S. 438 vgl. Ebd. S. 55ff
unkontrollierbaren Katastrophen. Diese Proble-matik des Menschen am Beginn der Moderne ist jedoch nicht weit von jener des Zeitgenössischen Menschen entfernt: auf der Einen Seite besitzt das zeitgenössische Subjekt das Gefühl, dass mit der ethischen Vernunft alle gesellschaftlichen Konflik-te, vor allem Kriege, überwunden werden können. Auf der Anderen Seite zerschlägt das Grauen des Irrationalen am Höhepunkt moralistisch-philoso-phischer Erkenntnisse mit beinahe doppelter Ge-walt alle Fortschritte. Hugo Ball, der Mitbegründer des Dadaismus, stellte während des Krieges 1914-1918 folgende Frage:
«Was soll und was sollte der Geist? Welche Macht besaß er, da ein solches Blutbad entstehen konnte? Wie war es möglich, daß der Geist nicht das Massensterben und die Not verhindern konnte?» 3
Hugo Ball
Am Anfang des 16. Jahrhunderts steht der Mensch vor ähnlichen Problemen, welche zu starken Spannungen innerhalb der Gesellschaft führen: vor einer Welt der zerstörten Ordnun-gen.4 Kriegerische Auseinandersetzungen, Seu-chen und Hungersnöte halten Europa fast 300 Jahre in ihrem eisigen Griff. 1520 verbrennt Lu-ther die Papstbulle, 1527 kommt es zum Sacco di Roma, in dem deutsche, spanische und itali-enische Truppen Karls V. Rom plündern. Cle-mens VII. verschanzt sich in der Engelsburg. Die überlebenden Künstler, Dichter, Schriftstel-ler und Gelehrten flüchten nach Norden. Dies ist das Ende des wiederauferstandenen Roms als geistiges Zentrum Europas und der Renaissance. Vier Fünftel der Stadt waren eine Zeitlang un-bewohnt. 1528 schreibt Erasmus folgendes über
den Sacco di Roma: «In Wahrheit, dies war nicht der Untergang der Stadt, sondern der Welt.»5 «Die Hölle ist nichts im Vergleich mit dem Bilde, das Rom jetzt bietet»6, schreibt ein anderer Zeitgenosse. Der Sacco di Roma scheint allerdings nur der Vorbote mehrerer verheeren-der Konflikte zu sein, insgesamt gab es nur 7 Friedensjahre im Europa des 16. Jahrhunderts. Kriege und Hungersnöte waren zu einem Nor-malzustand geworden. Gleichzeitig zum Zerfall mehrerer Reiche entstehen Verbindungen zu Asien, Afrika und Amerika. Soziosysteme, wie die ritterlich-feudale dynastische Staatsauffas-sung und das universale Kaiser- und Papsttum brechen in sich zusammen und neue entstehen. Zusätzlich erschüttern neue wissenschaftliche Erkenntnisse von Kopernikus, Giordano Bruno, Kepler und Galilei das Weltbild. Die erschütter-te Welt scheint nun vollends in sich zusammen-zubrechen. John Donne schreibt sein berühmtes Gedicht „Anatomie of the World“:
«Eine neue Philosophie stellt alles in Zweifel / Das Feuerelement ist ganz erloschen / Die Sonne nun verloren / die Erde auch, und niemandes Geist, kann richtig lenken, wohin denn nun zu schauen / - Alles ist zerbrochen, jeglicher Zusammenhang zerrissen, / jede gerade Ordnung und jede Beziehung.» 7
John Donne
Die Welt wird in astronomischen und geogra-phischen Dimensionen immer größer, während Glaubensinhalte zerfasert, politische und gesell-schaftliche Ordnungen angegriffen werden und die frühkapitalistische Wirtschaft ihre erste Kri-se erfährt.8
9 Alexandrien 350-150 BC; Silberne Latinität 14-138 AD; frühes und spätes Mittelalter; bewusste Manieristische Epoche 1520-1650;Surrealismus, Abstrakte Kunst der Moderne 1880-1950; Vgl.: Hocke S. 10f10 Ebd. S. 5811 Frampton, K. (2008) Die Architektur der Moderne; Eine kritische Baugeschichte; S. 79f12 Vgl. Hocke, G.R. (1957) Die Welt als Labyrinth - Manier und Manie in der europäischen Kunst; S. 57
Manieristische Strömungen tauchen somit immer im Zusammenhang mit problematisch geworde-nen religiösen und politischen Weltordnungen auf. Diese sind historisch beleg- und beweisbar.9 Konkret war die Manieristische Epoche im 16. Jahrhundert ein Ausdruckszwang einer geistigen und einer epochalen Krise. Paul Klee scheint sich über den Zusammenhang zwischen Krisen und den verschiedenartigen Ausdruckszwängen menschlichen Kunstwollens bewusst gewesen zu sein. Er notiert folgendes in sein Tagebuch:
«Je schreckensvoller diese Welt (wie gerade heute [1915]), desto abstrakter die Kunst, während eine glückliche Welt eine diesseitige Kunst hervorbringt.» 10
Paul Klee
Die Machtzentren, von denen sich solche Strömungen ausbreiten, tauchen immer innerhalb eines mehr oder weniger „alexandrinischen“ Kulturkreises auf, wie an Hofgesellschaften, in bürgerlichen Salons oder Konventikeln der Bohéme.
Baldassare Castigliones (1479-1529) schreibt zwischen 1513 - 1518 den Cortegiano, welcher nicht nur für den höfischen Lebensstil Europas, sondern auch für die bella maniera in Kunst, Li-teratur und Musik tonangebend wird. Das Wort maniera wird also bereits dreißig Jahre vor Va-saris Manierismus-Kritik benutzt. Dieser meint in seinen Viten, dass Manieristen «alla maniera di Michelangelo» malten. Vasari hatte allerdings übersehen, dass diese Künstler nicht nur „Nach-ahmer“ waren, sondern viel mehr in ihrer künst-lerischen Darstellung zu den ersten Vertretern einer neuen «Manier» wurden. Anstatt der Na-turnachahmung der Renaissance entwickelt sich eine Phantasiekunst, welche ihren Höhepunkt darin findet, Kunst aus der Kunst zu erschaffen. Ein Manierist müsse, so Baudelaire, darauf ge-richtet sein, vor einem Spiegel zu leben und zu
schlafen. Die Manieristische Revolution dringt in alle Lebensgebiete ein.
Dieses vor dem Spiegel leben erinnert an die Gesamtkunstwerkkritik Adolf Loos: in der Fabel Von einem armen reichen Mann erzählt er von einem Geschäftsmann, der einen Architekten der Secession damit beauftragte, ein totales Haus für ihn zu bauen:
«Einmal geschah es, daß er seinen geburtstag feierte. […] Bald darauf kam der architekt, um nach dem rechten zu sehen und entscheidungen in schwierigen fragen zu treffen. […] Was haben sie denn da für Hausschuhe an? stieß er mühsam hervor. […] [Der Hausherr] antwortete […] überlegen: Aber herr architekt! Haben sie das schon vergessen? Die shuhe haben sie ja selbst gezeichnet! Gewiss, donnerte der architekt, aber für das schlafzimmer. Hier zerreißen sie mit diesen zwei unmöglichen farbflecken die ganze stimmung.11
Adolf Loos
Hocke erweitert wie Ernst Robert Curtius den Manierismus-Begriff auf alle der Klassik entge-gengesetzen Strömungen. Manierismus ist so-mit für Hocke mehr als nur ein Epochenbegriff. Hocke setzt die Bezeichnungen Klassik und Manierismus in eine oberbegriffliche Dialektik. Manieristische und klassizistische Strömungen schließen sich gegenseitig nicht aus, sie ringen gleichzeitig oder abwechselnd um eine kulturel-le Vormachtstellung.12 Es ist sogar so, dass jede manieristische Strömung anfangs noch klas-sizistisch gebunden ist und erst während ihrer Entwicklung die Ausdruckszwänge verstärkt: sie wird expressiv, deformierend, surrealistisch und abstrakt.
Abstrakte Fratzen türmen sich über dem betrach-ter wie ein Schreckgespenst auf. Dieses Kunstwerk wurde nicht aus der Naturnachahmung, sondern aus dem subjektiven, inneren Auge geboren.
Ausschnitt aus: Max Ernst | Vision des bewegungslosen Vaters
13 «[…] in fact inspired by the compositional liberation archived by abstract art in the first decad of the 20th century. Drawing accelerates the evolution of architecture.» Aus.: Schumacher, P. u. Hadid, Z. (2004) Digital Hadid - landscapes in motion; S. 1514 Ebd. S. 915 vgl. Hocke, G.R. (1957) Die Welt als Labyrinth - Manier und Manie in der europäischen Kunst; S. 4416 vgl. Kruft, H.W. (2004) Geschichte der Architekturtheorie; S 107f17 vgl. Hocke, G.R. (1957) Die Welt als Labyrinth - Manier und Manie in der europäischen Kunst; S. 49ff18vgl. Ebd. S. 50f19vgl. Ebd. S. 14f
Architektur wird und wurde immer von anderen kulturellen Disziplinen beeinflusst. Zaha Hadid spricht sogar von einer Entwicklungsbeschleu-nigung der Architektur durch die Malerei.13 Manche zeitgenössische Künstler sind sich ihres kulturellen Erbes sogar bewusst:
«Hadid used axonometric and perspective projection in a new way to dynamize the implied space. Initially, such projections were deployed according to their proper function as means of representation. […] it soon became apparent that there was a „self-serving“ fascination with the extre-me distortion of spaces and objects that emerged from the ruthless application of perspective construction - not unlike the anamorphic projections one can find in certain 17th-century paintings.» 14
Patrik Schumacher
Im 16. Jahrhundert gilt die klassische Standar-disierung als rückschrittlich, da sie dem indivi-duellen Geschmack nicht genügend Freiraum bietet. Einige zeitgenössische Architekten sehen das heute nicht sehr viel anders, jedoch beziehen die meisten eine recht zwiespältige Position: auf der einen Seite versucht man so viel Individu-alismus wie nur möglich zu gewährleisten und auf der anderen Seite wird versucht mit einem parametrischen Entwurf dem Idealismus eines mathematischen Proportionsgerüstes Genugtu-ung zu zollen. Klassizistische Elemente, wie der Idealismus und die strikte Einhaltung eines ma-thematischen Gerüstes ringen gleichzeitig mit manieristischen Elementen wie dem Verlangen nach Individualität, Expressivität und dem A-naturalistischen um die Vorherrschaft.
Der Manierismus des 16. Jahrhunderts entwi-ckelt auch eine neue Kunstauffassung: die Pla-tonische Idee wird durch die Idea-Lehre der Pla-tonischen Akademie in Florenz säkularisiert: das Kunstwerk ist nicht mehr eine Kopie der Natur, sondern das Ergebnis einer Idee des Künstlers. Ideen sind Vorstellungen oder Anschauungen, welche ihren Sitz im Geiste des Menschen haben. Hocke geht davon aus, dass es solche Ansätze zu einer Umbildung der platonischen Ideenleh-re bereits früher gab, wie dies eine Textpassage Philostrats (250 AD) bestätigt:
«Die Phantasie hat [die Kunstwerke des Phidias] gemacht; sie ist eine bessere Künstlerin als die Nachahmung, denn die Nachahmung wird darstellen, was sie sah, die Phantasie aber, was sie nicht sah.»15
Philostrat
Federico Zuccari (1542-1609) geht in seinem Traktat „L‘Idea de‘Pittori, Scultori ed Architetti“ (1607) sogar so weit, die Naturwissenschaften, vor allem aber die Mathematik als Grundlage der Künste zurückzuweisen.16 Damit entzieht er besonders der Architektur, ihre seit der Renaissance nie angezweifelte mathematische Grundlage. Im Gegensatz zum Klassizist, der versucht aus einer von ihm idealisierten Natur zu lernen, versucht der Manierist aus Kunstwerken das zu lernen, was der Natur an Vollkommenheit fehlt.17 Für Zuccari muss der Intellekt nicht nur klar sein, er muss auch frei sein. Daher lehnt er jede mathematische Berechnungen ab. Er sieht in ihnen mehr phantastische Experimente.18
Für Tessauro ist der wahre Dichter jener, der fähig ist entfernteste Zusammenhänge miteinan-der zu verbinden.19 Die Kombination ungleich-
20 Ebd. S. 15
artiger Bilder oder das aufdecken verborgener Ähnlichkeiten in völlig fremden Objekten ist eines der großen Leidenschaften Manieristischer Künstler. Tessauro lobt jene Künstler, die vor-her trennen, bevor sie verbinden. Vergleicht man Tessauros Aussagen mit jenen von Pierre Rever-dy, einem Surrealisten so ist die Ähnlichkeit ver-blüffend:
«Das Bild ist eine reine Schöpfung des Geistes. Es kann nicht aus dem Vergleich, vielmehr nur aus der Annäherung von zwei mehr oder weniger voneinander entfernten Wirklichkeiten geboren werden. Je entfernter die Beziehungen dieser Wirklichkeiten zueinander, desto stärker wird das Bild sein.»20
Pierre Reverdy
Unabhängig davon, ob sich zeitgenössische Künstler ihres kulturellen Erbes bewusst sind, so erscheinen immer wieder manieristische Haup-tideen in Kunstströmungen, welche aufgrund ih-res Ausdruckszwanges und ihrer Theoretischen Beschreibung als eindeutig manieristisch be-zeichnet werden können. In dem vorhin zitierten Text Reverdys erscheinen gleich mehrere Haup-tideen: zum Einen das Bewusstsein, dass die innere Spannung eines Bildes aus den starken Unterschieden der einzelnen Bildteile erzeugt werden kann und zum Anderen die Aussage, dass das Bild eine reine Schöpfung des Geistes ist. Reverdy wendet sich von der Natur ab und er-schafft Kunst aus dem künstlichen. Dies stimmt exakt mit der Idea-Lehre der Platonischen Aka-demie in Florenz überein.
Dass sich das Kunstschaffende Subjekt zwi-schen zwei Polen, dem Manierismus und dem Klassizismus, dem Subjektivistischen und dem Naturalistischen, dem Exzessiven und dem Ra-tionalistischen, dem Realismus und dem Idealis-mus, hin und her bewegt, bedeutet nicht, dass es sich im Kreis dreht. Im Gegenteil, der ständige Kampf der beiden Fronten um die kulturelle Vor-machtstellung hält die Entwicklung in Gang.