Download - 016 tz 0 1 040717 - Ganzheitliche Vorsorge auf … ein künst-Laufen, schwimmen, radfahren–Aus-dauersporthilft beimGesund-werden VerdientePause:CarolineVill-wockmitihrerTochterbeieiner

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Medizin● DIENSTAG, 4. JULI 2017Das Tagesthema

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„Ohne Sport wäreich schon tot!“Wenn Caroline Villwock

(53) von einem überzeugtist, dann davon: „Wer nur

untätig auf dem Sofa sitzt und grü-belt, stirbt früher.“ Sie selbst hatihre Krebsdiagnose vor sechs Jah-ren zum Anlass genommen, überihr Leben und einige Veränderun-gen nachzudenken: „Ich machewirklich nur noch, was mir Spaßmacht.“ Sie wirkt mit sich selbst imReinen, fröhlichundsympathisch,als sie im tz-Gespräch erklärt:„Ohne Sport hätte ich das allesnichtgeschafft.“Siehofft,anderenMenschen mit einschneidendenKrankheitsdiagnosen Mut zu ma-chen, sich zu bewegen: „Wenn ichins Schwitzen komme, spüre ich,dass mein Körper funktioniert.Ich spüre, was ich leisten kann.Auch wichtig: Wenn ich tagsüberSport treibe, bin ich abends er-schöpft, kann gut schlafen undfange nicht an zu grübeln!“

Caroline Villwock war immerschon sportlich, aber eher in demMaße, dass sie schlank bleibenwollte: „Ich bin laufen oder ra-deln gewesen, um mir Kuchenoder ein deftiges Essen leisten zukönnen. Ich wollte in Form blei-ben und gut aussehen.“ Was nie-mand wusste: Caroline Villwockist Trägerin des BrustkrebsgensBRCA-1, das nicht nur Brust-krebs, sondern auch Eierstock-krebs verursachen kann. In frü-heren Jahren wurden ihr bereitsdie Gebärmutter und ein Eier-stock entfernt. Trotz regelmäßi-ger Vorsorgeuntersuchungenwurde der Tumor erst bemerkt,als er Beschwerden bereitete.

Als im Herbst 2011 bei ihr einschonweit fortgeschrittenerKrebsauf ihrem verbliebenen Eierstockdiagnostiert wird, meldet sie sichnoch in der gleichen Woche zu ei-nem 55,5-Kilometer-Triathlon imdarauffolgendenJahran.Gemein-sam mit ihrem damaligen Lebens-gefährten und ihrer Tochter wirdsie nach ihrer Operation und nochwährend der Chemotherapie Trai-ningspläne aufstellen: „Ich habesehr langsam wieder angefangenzu laufen, wirklich langsam. Den-noch kamen mir die Tränen, alsich im Nymphenburger Park einekurze Strecke geschafft hatte. VorFreude und vor Stolz.“

Ihre Mutter war zwar der Mei-nung: „Kind, du musst dich dochschonen.“ Aber ihre Ärzte unter-stützten sie – die Zeiten, als Tu-morpatienten zur Ruhe geratenwurde, sind lange vorbei. Um ihreErfahrungen weiterzugeben,gründete Caroline VillwockLaufgruppen für Krebspatienten:„Es kamen auch viele, die bisherunsportlich waren. Allen hat esgutgetan. Nicht nur die Bewe-gung, auch der Kontakt und derAustausch mit anderen ist wohl-tuend.“ Beim Ausdauersportwird der ganze Körper bean-sprucht, alle Organe, Muskeln

und Gewebe werden bes-ser durchblutet. Das hilft,die Folgen von Operatio-nenundChemotherapienbesser zu verarbeiten.Der Mensch wird schnel-ler wieder fit.

„Ohne Sport wäre ichheute tot“, davon ist Ca-roline Villwock über-zeugt. „Denn die nächs-te viele Stunden dauern-de Operation unterVollnarkose hätte viel-leicht gar nicht gemachtwerden können.“ 2015wurde ein Rezidiv ent-deckt, der Tumor warzurückgekommen. AlsChefsekretärin einesKlinikarzteswarCaro-line Villwock davonnicht überrascht: „Beimir waren ja Lymph-knoten befallen. Da istdas Risiko für Metas-tasen groß.“ Diesmalmusste eine noch größereBauchoperation gemachtwerden, der erneute Tumorwurde komplett entfernt.Anschließend jedoch kam eszu Komplikationen, ein künst-licher Darmausgang wurde gelegt.Caroline Villwock ging es sehr schlecht indieser Zeit, sie verlor stark an Gewicht,musste zeitweise künstlich ernährt werden,sie bewegte sich mithilfe eines Rollatorsfort. Aber die Gedanken daran, was sienach der ersten Operation geschafft hatte,wie sie sportliche Herausforderungen ge-meistert hatte, gaben ihr den Mut und diepsychische Kraft zum Weiterleben: „Ichwusste,dass icheswie-der schaffen kann.“Dennoch: Manchmalwollte Caroline Vill-wock tagelang amliebsten auf der Coachversandeln, sogar dasAnziehen erschien zuanstrengend. Es war ih-re Tochter, die ihr sagte,sie könne zu Fuß zurChemotherapie laufen:„Das schaffst du schon!Wenn nicht, ruf an, ichhol dich.“ Und die Toch-ter bat die Mutter umHilfe in ihrem Geschäft.Mit jedem Schritt ging eslangsam besser, sodasses im vergangenen Jahr sogar noch möglichwurde, wieder mit dem Radl das Timmels-joch zu bezwingen, einen 2474 Meter hohenPass zwischen Österreich und Italien!

Wenn Caroline Villwock eines hasst,dann die Frage: „Wie geht es dir?“„Ich sage schon, wenn es mirschlecht geht“, verspricht sie.Liebermöchtesiejemandenfinden, der mit ihr spon-tan zum Tanzen geht,oder über die geplanteTour sprechen, aufder sie das neue vomSohn geschenkteRadl austestenkann! SUS

Die tz fragte ProfessorDr. Martin Halle vonder TU München: Werkommt für eine Sport-Reha infrage?

Prof. Martin Halle: ImPrinzip jeder, das Trai-ning (Physiotherapie plusTrainingstherapie) muss nur sehrindividuell auf jeden Patienten

und auf seine Therapie abge-stimmt werden. Natürlich

besteht während der Che-motherapie und auch in

der Phase nach derOperation eine

schwierige Zeit, wodas Training ange-passt werden muss.Ein Training istjedoch 14 Tagenach der Operati-on meistens ohneProbleme mög-lich. Patientensind besondersam Tag der Che-motherapie sehr

geschwächt undkönnen sicherlich

dann nicht trainie-ren. Meistens geht es

aber bereits am Folge-tag. Insgesamt ist dies

Caroline Villwock rät Krebspatienten, sich zu bewegen

TrotzKrebser-krankung

nahm CarolineVillwock an ei-nem Triathlon

teil

und Gewebe werden bes-ser durchblutet. Das hilft, die Folgen von Operatio-nen und Chemotherapien

Der Mensch wird schnel-

Training auch bei Chemo?

psychische Kraft zum Weiterleben: „Ich

Die KrebsgeneBRCA-1 und BRCA-2

Etwa fünf Prozent aller Brusttumore sind Folge einerMutation im BRCA-1 oder BRCA-2-Gen. Nicht jede

Trägerin einer BRCA-Genveränderung erkrankt im Laufe ih-res Lebens an Brust- oder Eierstockkrebs. Das Erkrankungs-risiko ist im Vergleich zu Frauen ohne solch eine Mutation aberdeutlich erhöht. Man schätzt, dass in Deutschland etwa 65 bis75 Prozent der BRCA-1-Mutationsträgerinnen und 45 bis 65 Pro-zent der BRCA-2-Mutationsträgerinnen bis zu ihrem 70. Lebens-jahr Brustkrebs bekommen. Sie erkranken häufig früher als Frau-en ohne erbliche Belastung: im Durchschnitt mit etwa 40 statt60 Jahren. Etwa 2 % der Männer mit BRCA-1-Mutation und 7 %der Männer mit BRCA-2-Mutation erkranken an Brustkrebs.Das Risiko für Eierstockkrebs ist bei einer BRCA-Mutationebenfalls stark erhöht. Das gilt besonders für Trägerinneneiner BRCA-1-Mutation: 40 bis 50 % erkranken bis zuihrem 70. Lebensjahr. Auch 10 bis 20 % der BRCA-2-Mutationsträgerinnen erhalten bis zu diesem

Alter die Diagnose Eierstockkrebs.

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Medizin

zu Komplikationen, ein künst-

Laufen,schwimmen,

radfahren – Aus-dauersport hilftbeim Gesund-

werden

Verdiente Pause: Caroline Vill-wock mit ihrer Tochter bei einerFahrradtour Fotos: fkn, Westermann (1)

Sie rätanderen

Krebspati-en, Sport zutreiben: Ca-roline Vill-

wock (li.) imGesprächmit tz-Re-dakteurinSusanne

Stockmann

aber der richtige Ansatz.Es zeigt sich an dem Bei-spiel von Frau Villwock,dass ein körperliches Trai-ning in allen Krankheits-stadien und auch Thera-piestadien sinnvoll ist unddurchgeführt werdenkann.Warum ist Sport auch bei

Krankheit so wichtig?Halle: Unser Organismus

ist nicht wirklich auf Ruhe-phasen eingerichtet, son-dern funktioniert optimal,wenn die Muskulatur regel-mäßig aktiviert wird. Dassteckt in unseren Genen.Bei der Krebserkrankungführt dies dazu, dass offen-sichtlich auch das Immun-system optimiert wird undauch Therapien besser grei-fen. Zudem führt eine be-schleunigte Genesung da-zu, dass der nächste Zykluseiner Therapie zeitnäher

wieder begonnenwerden kann undnicht ausgesetztwerden muss. Pa-tienten trainierensich somit wiederin den physischen

Status, den sie vor der The-rapie hatten.Wenn Krebspatienten

Sport treiben möchten, anwen können sie sichwenden?

Halle: In München habenwir den großen Vorteil,dasswireineSpezialsprech-stunde für Sport und Krebsam Klinikum rechts derIsar haben und auf die Er-fahrungen der letzten neunJahre zurückgreifen kön-nen. Es ist eine der größtenAmbulanzen in Deutsch-land. Aber auch an anderenStandorten können sich Pa-tienten an Sportmedizinermit internistischen Hinter-grund wenden, die Trai-ningsprogramme zusam-men mit den Krebsspezia-listen aufstellen können.

Weitere Infos unter:■www.sport.med.tum.de

-Interview mit

Prof. Martin HalleSportmediziner, TU München