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Christfried Böttrich, Adam und Eva

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Judentum, Christentum und Islam

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Christfried Böttrich, Beate Ego,Friedmann Eißler

Adam und Eva

in Judentum, Christentum und Islam

Vandenhoeck & Ruprecht

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Die AutorenDr. theol. Christfried Böttrich ist Professor fürNeues Testament an der Universität Greifswald.

Dr. theol. Beate Ego ist Professorin für Exegese und Theologie desAlten Testaments an der Ruhr-Universität Bochum.

Dr. theol. Friedmann Eißler ist Wissenschaftlicher Referentan der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen

(EZW) in Berlin.

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Reihenvorwort

Juden, Christen und Muslime haben es nicht leicht miteinander.Gemeinsam schöpfen sie aus dem reichen Fundus der großenbiblischen Erzählungen. Sie bekennen einen einzigen Gott, derHimmel und Erde erschaffen hat. In ihrer Geschichte sind sievielfach aufeinander bezogen undmiteinander verflochten. Aberje größer dieNähe, umso schärfer gestalten sich bekanntlich auchdie Konflikte. Die lange Geschichte jüdisch-christlich-islami-scher Beziehungen war häufig von Abgrenzung und Feindselig-keit, von Pogromen, Kreuzzügen, Völkermorden und Terrorak-ten begleitet. Natürlich hat es auch an Phasen eines friedlichenMiteinanders nicht gefehlt. Die kulturelle Hochblüte jener er-staunlichen jüdisch-islamischen Symbiose im Spanien des 11./12. Jh. etwa hat sich auf unvergessliche Weise in die Annalen dereuropäischen Geschichte eingeschrieben. Einzelne Persönlich-keiten vermochten schon immer die Gräben religiöser Differen-zen zuüberbrücken. Doch die breiteMasse der Gläubigen tut sichnach wie vor schwer damit, in den jeweils Anderen auch Bruderund Schwester sehen zu können. Zu schwer wiegen die Erfah-rungen jahrhundertelanger Konflikte. Dabei ist die Verständi-gung in unserer zunehmend enger vernetzten Welt dringlicherals je zuvor.

Als besondere Schwierigkeit imUmgang miteinander machensich dabei immer wieder sowohl die Asymmetrie der Beziehun-gen als auch die Strukturverschiedenheit der drei abrahamischenReligionen bemerkbar. Die Bezüge zueinander haben unter-schiedliche Proportionenund ein unterschiedliches Gewicht. Dietheologischen Kategorien der einen Religion sind nicht einfachmit denen der anderen kompatibel. Dennoch gibt es über die

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pragmatische Notwendigkeit hinaus, in unserer modernen, ge-fährdetenWelt zu einem friedlichenMiteinander zu finden, aucheine breite Basis an theologischer Gemeinsamkeit. Christen undJuden sind in dieser Erkenntnis in den zurückliegenden Jahr-zehnten schon weit vorangekommen. Das Gespräch mit demIslam hingegen steht noch ganz an seinen Anfängen. Vor allemaber fehlt es daran, das Spezialwissen der wenigen, die in einemDialog engagiert sind, auf der Basis allgemeiner, selbstver-ständlicher Kenntnisse zu verbreiten.

An dieser Stelle möchte die vorliegende Buchreihe ihren Bei-trag leisten. Die wichtigste Voraussetzung für jede Begegnungbesteht darin, einander wahrzunehmen und voneinanderKenntnis zu erlangen. Das erweist sich gerade dort als besonderswichtig, wo die drei abrahamischen Religionen gemeinsameTraditionen aufnehmen. Hier setzt die Reihe an. Sie beschäftigtsich mit den prägenden Gestalten jener biblischen Erzählungen,die bei Juden, Christen und Muslimen gleichermaßen von Be-deutung sind. Dabei kommt der alttestamentlich-jüdischenÜberlieferung grundlegende Bedeutung zu. Auf sie beziehen sichdie neutestamentlichen Schriften sowie dieWerke der im zweitenJahrhundert beginnenden christlichen Theologie zurück. DerKoran und die daran anschließende islamische Tradition wie-derum nehmen jüdische und verschiedene christliche Traditio-nen auf und gestalten sie neu. Diese Linien sollen hier sichtbargemacht werden. Dabei geht es sowohl umdie Gemeinsamkeiten,die durch den gemeinsamen Stoff bestimmt sind, als auch um dieUnterschiede, die vom Kontext der jeweiligen Glaubensgemein-schaft ihre Prägung erhalten.

Mit den großen Gestalten der Überlieferung verbinden sichzugleich wichtige Themenbereiche. Das erste Buch über „Abra-ham“ ist der grundlegenden Frage nach der Bedeutung desGottesglaubens gewidmet. Ein zweites Buch über „Jesus undMaria“ geht der Einzigartigkeit dieser besonderen Familie nach,wobei vor allem die Differenzen hervortreten. An der Gestalt des„Mose“ reflektiert das dritte Buch die Rolle des Rechtes und derEthik. Die Schöpfungsthematik kommt hier in dem vierten Bandder Reihe anhand der Traditionen um „Adam und Eva“ zumZuge.Was esmit dem Phänomen der Prophetie auf sich hat, wird

6 Reihenvorwort

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schließlich der Gegenstand des fünften Buches über „Elia undandere Propheten“ sein.

Erfahrungsgemäß ist dieAngst vor Fremdemdort amgrößten,wo man es nicht oder nur ungenau kennt. Wenn diese Buchreihedeshalb grundlegende Kenntnisse vermitteln kann, ist schon einwichtiger Schritt zur Verständigung getan. Dabei lässt der Blickauf das, was andere glauben und was anderen wichtig ist, dieeigene Tradition noch einmal in einem ganz neuen Licht er-scheinen. Auch dazu möchten die Bücher dieser Reihe anregen.Die drei Teile jedes Buches sind mit aller notwendigen Fach-kompetenz für jüdische, christliche und islamische Theologie,jedoch von einem gemeinsamen christlichen Standpunkt ausgeschrieben. Auch das anvisierte Lesepublikum wird sehrwahrscheinlich ein vorwiegend christlich geprägtes sein. Den-noch hat das Bemühen Vorrang, dem Selbstverständnis vonJuden, Christen und Muslimen so weit wie möglich gerecht zuwerden. Denn bei aller Suche nach Gemeinsamkeit kann es nichtdarum gehen, die Grenzen in einem großen Einerlei zu verwi-schen. Vielmehr soll die vorurteilsfreie Aufmerksamkeit fürein-ander auch ein kundiges, konstruktives Gespräch ermöglichen.Bei den Bibeltexten handelt es sich in der Regel um eigenständigeÜbersetzungen, die bekannte Formulierungen noch einmal inein neues Licht rücken.

Reihenvorwort 7

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Inhalt

Reihenvorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Beate EgoAdam und Eva im Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Christfried BöttrichAdam und Eva im Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

Friedmann EißlerAdam und Eva im Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

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Beate Ego

Adam und Eva im Judentum

1. Einleitung: Die Paradiesgeschichte alsMenschheitsstoff und die „Arbeit am Mythos“

Die biblische Paradiesgeschichte hat sich tief in das kollektiveGedächtnis der Menschheit, zumindest im Bereich der drei gro-ßen monotheistischen Religionen Judentum, Christentum undIslam, eingeprägt und ist wohl einer der bekanntesten Texte derWeltliteratur. Nur wenige Worte wie „Schlange und Sünde“,„Sünde und Apfel“ oder „Schlange und Apfel“ genügen, um dieErinnerung an diese Erzählung wachzurufen. Dies zeigt aberauch, wie stark unser Verständnis dieser Geschichte durch dieAuslegungen der Erzählung bestimmt wird: Denn der biblischeText selbst spricht lediglich von einer Frucht; der uns so bekannteApfel, der in unzähligen bildlichen Darstellungen erscheint, istwohl durch die Ähnlichkeit des lateinischen Begriffes für Apfel„malum“ mit dem gleichlautenden lateinischen Begriff für„Fehler“, „Übel“ und „Leid“ entstanden. Auch der Begriff der„Sünde“ oder des „Falles“wird hier in dieser Geschichte gar nichtverwendet; dieser begegnet vielmehr erst in der Erzählung vonKain undAbel, wennGott zu Abel sagt, dass die Sünde an der Türlauere (Gen 4,7).

Wenn uns die Paradiesgeschichte auch so vertraut erscheint,so stellt diese durch ihre knappe Erzählweise die Ausleger vorviele Fragen im Hinblick auf die Hintergründe des Geschehens,und deshalb überrascht es auch nicht, dass diese für menschlicheFragestellungen so fundamentale Erzählung ganz unterschiedli-che Interpretationen auf sich gezogen und zu immer neuen

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Deutungen und Fortschreibungen angeregt hat. Ziel des erstenBeitrags in diesem Buch, das jüdische, christliche und islamischeDeutungen der biblischen Paradiesgeschichte mit ihrer jeweili-gen Zeichnung der Hauptakteure „Adam“ und „Eva“ zusam-menstellen möchte, ist es zunächst, in einer Art „close reading“den biblischen Text vorzustellen und auf verschiedene Deu-tungshorizonte hinzuweisen. In einem zweiten Teil sollen dann –aufgrund der großen Materialfülle – in Auswahl, zentrale Deu-tungen aus der jüdischen Auslegungstradition vorgestellt wer-den. Am Anfang steht das Jubiläenbuch aus der hellenistischenZeit, um dann über Philo und die rabbinische Literatur bis zurmittelalterlichen Kabbala zu gelangen. Jeder dieser Texte wird –wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise – zentrale an-thropologische Fragen ansprechen. Im Zusammenspiel der ver-schiedenen jüdischen Quellen und dann – im Hinblick auf dengesamten Band – der jüdischen, christlichen und islamischenTexte entsteht so ein vielstimmiger Chor, der einlädt, sich auf eineinnerjüdische bzw. interreligiöse Entdeckungsreise zu begeben,bei der wir sowohl über uns selbst als auch über die anderenlernen können.

2. Die biblische Überlieferung vom Paradies undder Übertretung des Gebotes

Die biblische Erzählung erwähnt bekanntermaßen gleich zwei-mal die Erschaffung des Menschen. So wird, relativ knapp undallgemein, zunächst im sog. priesterschriftlichen Schöpfungs-bericht in Gen 1,26 f berichtet, dass Gott denMenschen als Mannund Frau „zu seinem Bild“ erschaffen habe. Der unmittelbareKontext zeigt dabei, dass dieseGottebenbildlichkeit sich nicht aufdas Aussehen dieses Menschen bezieht, sondern vielmehr eineFunktionsaussage darstellt : Aufgabe desWesens „Mensch“ ist es,über die verschiedenen Tiere zu herrschen. Das hier verwendeteVerb „radah“ entstammt eigentlich der Königsideologie, und sowird deutlich, dass das Wirken des Menschen generell in Ana-logie zum Wirken eines Königs beschrieben wird, dessen Funk-tion darin besteht, den Wesen seines Herrschaftsbereiches

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schützend aber auch ordnend vorzustehen. Man hat immerwieder darauf hingewiesen, dass hier eine Demokratisierung deraltorientalischen Königsideologie stattfindet. Die Rede von derGottebenbildlichkeit erklärt sich insofern, da ein „Bild“ im AltenOrient die Aufgabe hat, den oder das Abgebildete zu repräsen-tieren. DerMensch, der über die Schöpfung herrscht, übernimmtsomit die Aufgabe Gottes als Herrscher über dessen Schöpfung.

Der Mensch in seiner doppelten Gestalt von Mann und Frauwird hier sehr allgemein und eher abstrakt dargestellt. Diesändert sich, wenn wir uns dem zweiten Schöpfungsbericht undder Paradiesgeschichte in Gen 2,4b–3,24 zuwenden. Wenn hierauchmeistens ganz allgemein vomMenschen die Rede ist (hebr.ha-adam oder auch ohne Artikel adam), so erscheint diesesWesen mit seinem Handeln doch als ein Individuum. Deshalbverwundert es auch nicht, dass „Adam“ bereits in der biblischenÜberlieferung wie ein Personenname gebraucht werden kann(so Gen 4,25; 5,1.3; 1Chr 1,1 und Sir 49,16). Die meisten Exe-geten nehmen an, dass dieÜberlieferung in Gen 2,4b–3,24 älterist als die priesterschriftliche Erzählung in Gen 1,1–2,4a. Dieältere Forschung bezeichnete diesen Text auch jahwistischenSchöpfungsbericht. Während der priesterschriftliche Schöp-fungsbericht so genannt wird, weil er Teil einer Quellenschriftist, die an späterer Stelle ausgeprägtes Interesse an priesterli-chen Zusammenhängen verrät, trägt die Bezeichnung „jahwis-tisch“ der Tatsache Rechnung, dass hier in dieserÜberlieferungder Gottesname „JHWH“ verwendet wird. In Gen 1,1–2,4adagegen erscheint nur die allgemeinere Wendung „elohim“, dieganz wörtlich mit „Gott“ zu übersetzen ist. Da die Bezeichnung„jahwistischer Schöpfungsbericht“ die Existenz eines größerenjahwistischen Erzählwerkes im Pentateuch impliziert, es in derneueren Forschung aber sehr umstritten ist, ob die Paradies-geschichte Teil dieses Erzählwerkes war, wird die Paradiesge-schichte in der neueren Forschungsliteratur häufig nur als„nicht-priesterschriftlicher Schöpfungsbericht“ bezeichnet.

Im Gegensatz zum priesterschriftlichen Schöpfungsberichtschildert diese Erzählung die Erschaffung der ersten Menschenund deren Geschick relativ ausführlich und anschaulich. Un-mittelbar nachdem JHWH die trockene Urwelt durch das Em-

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porsteigenlassen des Grundwassers zum fruchtbaren Ackerlandgemacht hat (Gen 2,4b–6), erfolgt die Erschaffung des erstenMenschen. Wenn der Urstoff dieses Wesens „Staub vom Erdbo-den“ ist und zudem das hebräische Verb „yazar“ verwendet wird,das häufig in Verbindung mit dem Werk des Töpfers steht, sowird deutlich, dass JHWHs Handeln hier tatsächlich einem sol-chen Töpfer gleich vorgestellt wird. Im hebräischen Text sind dieAusdrücke für „Mensch“ und „Ackerboden“ lautähnlich: „ha-adam“, derMensch, wird von „ha-adama“, der Erde, genommen.Somusste der hebräischeHörer in demWort „Mensch“ etwaswie„Erdling“ mit heraushören. Lebendig wird dieser Erd- oderLehmkloß aber erst dadurch, dass Gott ihm den Lebensatem(hebr. nishmat-chajim) einhaucht. Ein ähnlicher Ausdruck,nämlich ruach-chajim wird in Gen 7,22 auch für die Lebenskraftder Tiere gebraucht, ohne freilich auf eine göttliche Behauchungzu verweisen. Am Anfang der menschlichen Existenz steht somitdie Grundbeziehung zwischen Mensch und Gott; Gott ist derSchöpfer und Geber allen Lebens, der Mensch als lebendigesWesen besteht nur durch seine Beziehung zu Gott.

Im Anschluss daran erzählt unsere Überlieferung von derEinrichtung eines Lebensraumes für diesen Menschen, wenn esnun heißt, dass „Gott der Herr einen Garten in Eden gegen Ostenhin“ pflanzte und den Menschen dort hineinsetzte. Dabei be-deutet „Garten Eden“ wörtlich „Garten der Wonne“ (zu „Eden“u. a. Jer 51,34; Ps 36,9), wobei der Begriff auch als Gegenpol zur„Wüste“ oder „Ödnis“ erscheinen kann (vgl. Jes 51,3; Joel 2,3).Die Septuaginta, die griechische Übersetzung der HebräischenBibel, die im3. Jh. v.Chr. im ägyptischenAlexandria entstand, hatdas hebräische „gan eden“ dann mit „paradeisos“ übersetzt.Dieser Begriff ist eigentlich ein persisches Lehnwort (vgl. „par-des“ in der Bedeutung von Garten in Hld 4,13 und Koh 2,5); überdas lateinische „paradisus“ ist das Wort schließlich in die deut-sche Sprache aufgenommen worden.

Jeder, der dies liest, möchte natürlich wissen, wo dieses LandEden liegt, und so existieren auch zahlreiche Versuche, die Lagedieses Ortes zu bestimmen. Wie Manfred Dietrich in seinemAufsatz „Das biblische Paradies und der babylonische Tempel-garten. Überlegungen zur Lage des Gartens Eden“ deutlich ge-

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macht hat, existiert sogar im heutigen Irak nahe dem Zusam-menfluss von Euphrat undTigris in derNähe desOrtes Qurna einalter heiliger Baum, an dem die muslimische Tradition das Pa-radies lokalisiert. Ob der Erzähler dieser Geschichte einen sol-chen konkreten Ort jemals im Sinne hatte, ist allerdings fraglich,da ja im Text gerade auf die Entlegenheit dieses Ortes hinge-wiesen wird.

Nach der kurzen Notiz von der Versetzung des Menschen indiesen Garten holt unsere Erzählung zu einer ausführlichen Be-schreibung aus, wenn sie nun den Lebensraum des Menschenbeschreibt. Allerlei Bäume, die – so die Lutherübersetzung –„verlockend anzusehen und gut zu essen“ waren sowie „denBaumdes Lebensmitten imGartenunddenBaumderErkenntnisdes Guten und Bösen“ ließ Gott in diesem Garten für den Men-schen wachsen (Gen 2,9). Der Satz wirkt beim ersten Lesen etwasholprig, und da im Folgenden dann auch fast nur vom „BaumderErkenntnis von Gut und Böse“ die Rede ist, haben viele Auslegervorgeschlagen, den „Baum des Lebens“ hier als eine sekundäreErgänzung anzusehen. Dieser Eindruck mag für deutsches oderenglisches Sprachgefühl durchaus richtig sein. Allerdings liegthier – wie der Mainzer Alttestamentler A. Michel in einer ein-gehenden syntaktischen Untersuchung gezeigt hat – gutes Bi-belhebräisch vor. Es handelt sich nämlich um die Form der „ge-spaltenen Koordination“: Die Ortsangabe „in der Mitte desGartens“ steht zwischen den koordinierten Objekten, d.h zweiBäume stehen in der Mitte des Gartens nebeneinander. Unab-hängig von der Frage, ob einer der Bäume tatsächlich sekundär inden Text eingefügt wurde, kann somit allgemein festgestelltwerden, dass die Syntax des hier vorliegenden Textes im He-bräischen durchaus sinnvoll ist.

Traditionsgeschichtlich handelt es sich hier um zwei ganzunterschiedliche Komplexe: Der „Baum des Lebens“ ist ikono-graphisch belegt. Ein verbreitetes altorientalisches Motiv zeigteinen Baum, häufig eine Zedernart, in dessen Schatten rechts undlinks Tiere, meist Kapriden, stehen, die von dessen Blätternfressen; eine andere Version stellt einen Baum dar, von demStröme ausgehen. Ein solcher Baum symbolisiert Fruchtbarkeitund die Anwesenheit göttlicher Macht.

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Verwandt mit dieser Vorstellung ist das „Kraut des Lebens“,dem in der Handlung des Gilgamesch-Epos eine wichtige Rollezukommt. Gilgamesch, König der Stadt Uruk und derHeld dieserErzählung, hat seinen Freund Enkidu verloren und ist von einergroßen Trauer erfasst. Da er weiß, dass am Rande der Welt derHeld der Sintflut Utnapischtim wohnt, der von den Göttern mitdem ewigen Leben beschenkt wurde, macht er sich auf den Weg.Von ihm will er sich Auskunft erbitten, welches Mittel zu einemdauerhaften Leben ohne Tod führt. Es ist ein langer Weg, undGilgameschmuss viele Abenteuer bestehen, bis er schließlich vonUtnapischtim von einer Pflanze erfährt, welche auf dem GrundedesMeeres wächst undwelche die Kraft besitzt, denMenschen zuverjüngen. Zumindest dieses Kraut ewiger Jugend möchte sichGilgamesch erwerben, und so taucht er zumMeeresboden hinab,findet tatsächlich die richtige Stelle und macht sich mit derWunderpflanze auf den Heimweg. Als er sich dabei in der Hitzedes Tages an einem Brunnen erfrischen will, passiert das Un-glück: Eine Schlange kriecht aus ihrem Loch hervor und stiehltdas kostbare Kraut, das Gilgamesch am Brunnenrand hat liegenlassen. So vermag sie sich häutend zu verjüngen, während derMensch weiterhin Alter und Tod ausgesetzt ist. Gilgamesch aberbleibt nichts anderes übrig, als mit leeren Händen in seine Hei-matstadt zurückzukehren. Das Epos endet damit, dass Gilga-mesch als Erbauer einer mächtigen Stadtmauer vorgestellt wird.

Während es für das Motiv des Lebensbaumes auch außerhalbder Hebräischen Bibel in verschiedenen altorientalischen Quel-len Belege gibt, konnte die Vorstellung von einem „Baum derErkenntnis von Gut und Böse“ außerhalb Israels bislang nichtnachgewiesen werden. Im Hinblick auf die Klärung, was mit derErkenntnis von Gut und Böse gemeint ist, sind einige andereBelege, in denen diese Wendung ebenfalls erscheint, recht hilf-reich. So besaß Salomo einen verständigen Geist und die Fähig-keit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden (1Kön 3,9), wo-hingegen kleinen Kindern dies noch nicht möglich ist (Dtn 1,39;Jes 7,15 f). 1QSa 1,10 f zeigt, dass diese Fähigkeit geradezu denErwachsenen vom Kind unterscheidet, wenn es hier heißt :„Wenn er ein Alter von zwanzig Jahren erreicht hat, wenn er dieErkenntnis von Gut und Böse hat …“ So wird also deutlich, dass

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diese Wendung auf das Vermögen des Menschen anspielt, ver-nünftige und verantwortliche Entscheidungen zu treffen, d.h. –um die Worte Erhard Blums zu wählen – die „Unterscheidungzwischen Lebensförderlichem und Lebensabträglichem, die Be-fähigung zu einer eigenverantwortlichen Lebensorientierung,also die Urteilsfähigkeit des mündigen Menschen“ (Blum, Got-tesunmittelbarkeit, 21). Auf diese Zusammenhänge hat bereitsJulius Wellhausen in seinen „Prolegomena zur Geschichte Isra-els“ (1. Auflage 1878; s. 6. Auflage 1927, 301) hingewiesen. Vordiesem Hintergrund kann man durchaus von praktischer Weis-heit sprechen, die zunächst einmal für die Bewältigung des All-tags unabdingbar ist. Andere Ausleger – so z.B. Hans-PeterMüller – nehmen an, dass unter der „Erkenntnis von Gut undBöse“ ursprünglich die „Erfahrung mit Lust und Leid der Liebe“zu verstehen gewesen sei. DieWendung sei dann später im Sinneeines magischenWissens und schließlich im „epistemologischenSinne als Erkenntnis des Wirklichkeitsganzen“ verstanden wor-den (Müller, Drei Deutungen des Todes, 119).

Nach diesen Ausführungen zum Paradiesgarten wendet sichder Erzähler der Beschreibung der Paradiesesflüsse (Gen 2,10–14) zu. Wenn von diesem Garten aus vier Flüsse entspringen undin die Welt hineinfließen, so wird deutlich, dass dieser die Le-bensquelle für den ganzen Erdkreis darstellt. Erst im Anschlussdaran kommt unsere Geschichte wieder auf den erstenMenschenzu sprechen, wenn sie weiß, wie Gott nun den Menschen in denGarten Eden setzt. Die Aufgabe des Menschen ist es, den Gartenzu bebauen und zu bewahren; somit ist es seine Pflicht, dasgöttliche Schöpfungswerk fortzusetzen. Wenn der Mensch denAuftrag zur Bebauung der Erde bekommt, dann ist hier eineweitere Grundbeziehung, nämlich die von Mensch und Erde,angesprochen, die sich mit dem Auftrag des Menschen zur Be-arbeitung der Erde verbindet (Gen 2,15).

Außerdem spricht Gott nun ein Gebot an den Menschen aus,dessen Beachtung sich zunächst ganz einfach anhört, dann abereine ganz eigene Dynamik entwickeln wird. Der Mensch darfnämlich von allen Bäumen des Gartens essen; ausgenommen istnur der „Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen“; an demTage nämlich, da er von ihm isst, soll er des Todes sterben (Gen

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2,16–17). Eine Begründung für dieses Gebot wird im vorlie-genden Kontext nicht gegeben; Gott setzt auf jeden Fall eineGrenze und macht so seine Souveränität geltend. Hier stellt sichnun eine ganz grundsätzliche Verständnisfrage, an der sichletztlich die Interpretation des gesamten Abschnittes entschei-det. Bedeutet diese Aussage eine generelle Einführung des Todes?Kommt der Tod also durch die Übertretung des Gebotes in dieWelt? Oder handelt es sich hier um eine punktuelle Strafandro-hung, die voraussetzt, dass der Mensch bereits als sterblichesWesen geschaffen wurde, sodass dem Menschen hier die Todes-strafe angedroht würde? Wir werden später nochmals auf dieseProblematik zu sprechen kommen.

Das Leben des Menschen im Paradies ist nicht perfekt, viel-mehr bedarf dieses Wesen noch der Einbindung in eine sozialeGemeinschaft. Die Übersetzung der Lutherbibel ist dabei etwasirreführend, wenn hier davon die Rede ist, dass Gott dem Men-schen eine Gehilfin machen möchte. Im hebräischen Text istzunächst nur die Rede von einer „Hilfe“, welche erschaffenwerden soll. Der hebr. Begriff „ezer“ ist grammatikalischesMaskulinum, zudem hat der Begriff nicht diesen etwas subor-dinierten Nebenklang, wie dies im deutschen „Gehilfin“ mit-schwingt. Wie aus verschiedenen Psalmen (so Ps 20,3; 27,9; 46,2;74,12; 121,1 f u.ö.) hervorgeht, ist der Begriff „Hilfe“ in der he-bräischen Vorstellungswelt nämlich durchaus positiv konnotiert,da Gott hier selbst als Hilfe derMenschen vorgestellt wird.Wie esdie kurze hebräische Wendung „kenegdo“, wörtlich: „ungefährihm gegenüber“, „ungefähr ihm entsprechend“ anklingen lässt,scheint es wichtig zu sein, dass diese Hilfe sich gleichsam „aufAugenhöhe“ des Mannes bewegt.

So erschafft Gott zunächst einmal „alle Tiere auf dem Feldeund alle Vögel unter dem Himmel“; sie werden zum Menschengebracht, welcher die Tiere daraufhin benennt.Wenn derMenschdurch die Tiere auch Hilfe erfahren kann –man denke nur an dieFeldarbeit oder an die Kleidung –, so ist der Versuch dennoch alsmisslungen zu bezeichnen, da diese Tiere dem Menschen un-terlegen sind. Mit der Benennung der Tiere kommt zum Aus-druck, dass diese der Herrschaft des Menschen unterstellt sind.In jedem Falle wird nun aber deutlich, dass der Mensch nach

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seiner Beziehung zu Gott und zur Erde in einer weiterenGrundbeziehung steht, nämlich in der Relation zu den Tieren(2,18–20).

Weil die Tiere dem Menschen keine wirkliche Gemeinschaftbieten können, erschafft Gott nun die Frau; Gott lässt den Men-schen in einen hypnoseähnlichen Tiefschlaf fallen und entnimmtihm eine seiner Rippen. Manche Ausleger wollen den hebr. Be-griff „zälca“ auch im Sinne von „Seite“ deuten. Dann wären dieseAussagen dahingehend zu verstehen, dass Gott eine der Seitendes Menschen genommen habe, um daraus die Frau zu schaffen.Dieser Bericht von der Erschaffung der Frau würde so an dieErzählung Platos über die Entstehung der Geschlechter erinnern.Die Frau, die aus diesem Teil des Mannes geformt ist, wird dar-aufhin dem Menschen zugeführt. Der Mensch reagiert daraufgeradezu euphorisch, wenn er die Frau – um hier nochmals dieLutherübersetzung zu zitieren – mit folgenden Worten begrüßt :„Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinemFleisch; man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne ge-nommen ist“ (Gen 2,23). Im Hebräischen wird diese enge Be-ziehung durch die ähnlichen Begriffe „ish“ (Mann) und „isha“(Frau) deutlich gemacht; Luther hat in seiner Übersetzung diesdurch das von ihm geprägte Wort „Männin“ zum Ausdruck zubringen versucht. Rein formal handelt es sich hier um eine Na-mensätiologie, welche die Bezeichnung „isha“ mit ihrer Ähn-lichkeit zu „ish“ erklären möchte. Entscheidend in diesem Kon-text ist es, dass dieser Bericht von der Erschaffung der Frau nichtdahingehend zu interpretieren ist, dass die Frau gleichsam einsekundäres, vomMenschen abgeleitetesWesen darstellt, sonderner will vielmehr die enge Verbindung zwischen dem Mann undder Frau zeigen.

Schließlich, am Ende des Abschnittes, erfolgt eine weitereÄtiologie, nämlich für die Ehe zwischen Mann und Frau. EinMann soll Vater und Mutter verlassen und sich seiner Frau an-schließen (Gen 2,24). Diese Formulierung hat manche Auslegerzu der Vermutung veranlasst, dass wir es hier mit einer altenmutterrechtlichen Bestimmung zu tun haben. Wahrscheinlicherist freilich, dass es sich um einen Reflex der alten israelitischenSozialordnung handelt: Mit der Eheschließung erst wird der

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Mann voll mündig und verlässt das väterliche Zelt bzw. Haus, umeinen eigenen Hausstand zu gründen. Der Mensch wird hier nunin eine weitere Grundbeziehung gestellt, nämlich die zwischenMann und Frau. So sind es also insgesamt vier Grundbeziehun-gen, in denen der Mensch steht: zu Gott, zur Erde, zu den Tierenund zur Frau.

Der folgende Vers, wonach Mann und Frau nackt waren undsich nicht schämten (Gen 2,25), schließt diesen ersten Teil derErzählung ab und leitet gleichzeitig zum nächsten über. Nun sollsich alles ganz schnell ändern, wenn jetzt von der Übertretungdes göttlichen Gebotes und seinen Folgen erzählt wird. Rechtunvermittelt setzt Gen 3,1 ein, wo die Schlange erscheint, die alsein Tier charakterisiert wird, das klüger oder listiger als alleanderen Tiere des Feldes war. Es folgt ein Gespräch zwischen derFrau und der Schlange, das – so Odil Hannes Steck – ein meis-terhaftes Stück hebräischer Erzählkunst darstellt. Die Schlangenämlich spricht eigentlich kein falsches Wort; aber es gelingt ihr,„mit winzigen Umakzentuierungen, mit Halbwahrheit undDoppelsinnigkeit den arglosen Partner soweit zu bringen, dass ervon sich selbst in ihrem Sinne mitspielt und agiert, wie sie eshaben will“ (Steck, Paradieserzählung, 91). Die Schlange beginntmit einer harmlosen Frage und gibt sich ganz naiv, wenn sie sagt:„Ja, sollte Gott gesagt haben: ihr sollt nicht essen von allenBäumen im Garten?“ Wenn es in Gen 2,16 hieß: „Du darfst essenvon allen Bäumen imGarten, aber von demBaumder Erkenntnisdes Guten undBösen sollst dunicht essen“, so liegt in denWortender Schlange nur eine kleine Abweichung, die in der Sache aberdurchaus schwerwiegend ist, denn nun wird das Gebot, das nureine kleine Einschränkung enthielt, in ein Verbot verwandelt.Wenn dann noch darauf hingewiesen wird, dass das Essen derFrucht mitnichten zum Tod führt, sondern vielmehr gottgleichmacht, dann erscheint JHWH als der Missgünstige, der denMenschen etwas vorenthalten möchte. Da die Frau sieht, dass„der Baum gut zu essen wäre und lieblich anzusehen und be-gehrenswert, um Einsicht zu gewinnen“, nimmt sie von derFrucht des Baumes und isst davon; zudem gibt sie auch demManne von der Frucht des verbotenen Baumes. Das Resultat istüberraschend: Die erste Erkenntnis, die den beiden zuteil wird,

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ist die Erkenntnis ihrer Nacktheit. Da sie sich nun voreinanderschämen, flechten sich die beiden ersten Menschen eine ArtBekleidung aus Feigenblättern (Gen 3,1–7).

Wenn das Gespräch zwischen Eva und der Schlange auch de-tailliert wiedergegeben wird, so bleiben doch viele Fragen beidieser Geschichte offen. Hier wäre zunächst die Rolle derSchlange zu bedenken. Wieso kommt es zu einer Störung deranfänglichen Harmonie zwischen Gott, Mensch und Natur? Undwarum ist es gerade die Schlange, die aus der Ordnung dergöttlichen Schöpfungswelt ausbricht? Diese Frage wird wederhier noch an einer anderen Stelle in dieser Geschichte beant-wortet. So wird zwar erzählt, dass Falschheit und Ungehorsam indie Welt des Menschen einbrechen; worin diese negative Größeaber ihren Grund hat und woher dieses destruktive Elementletztlich kommt – diese Antwort bleibt der Text uns schuldig.Man kann darüber spekulieren, warum gerade die Schlange undkein anderes Tier diese negative Rolle in unserer Geschichtespielt. Hier wird nur gesagt, dass sie listiger oder schlauer als dieanderen Feldtiere war. Das Motiv ist sicherlich vor dem Hinter-grund der Erfahrungswelt des bäuerlichen Menschen zu verste-hen, in welcher die Schlange mit ihrer heimtückischen Art jabesonders gefährlich ist. Vielleicht liegen auch Einflüsse vonanderen Mythen vor, denn auch im Gilgamesch-Epos, auf dasvorhin bereits verwiesen wurde, spielt die Schlange ja eine ganznegative Rolle, da sie Gilgamesch das Kraut des Lebens stiehlt.

Offen bleibt auch, warum die Frau doch relativ schnell demWort der Schlange nachkommt und tatsächlich vom Baum isst.Hier gehen die Meinungen der Ausleger auseinander. Odil Han-nes Steck sieht den menschlichen Willen zur Autonomie hinterdemHandeln der Frau und denWunsch, wie Gott entscheiden zukönnen, was dem Leben förderlich ist; der Mensch glaube nichtmehr an die Fürsorge Gottes; er wolle sein eigener Herr sein undsage sich daher von Gottes Gebot los. Erhard Blum dagegendeutet diese Episode anders. Für ihn ist das gesamte GesprächAusdruck naiver Unbekümmertheit. Bislang hätten sich dieerstenMenschen überhaupt nicht umdas Gebot gekümmert, erstdurch die Schlange sei Eva auf den Baum aufmerksam gewordenund jetzt gefiele ihr die Frucht des Baumes einfach. Da sie weder

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wisse, was der Tod bedeute noch was Erkenntnis sei, so greife sieeinfach zu. Es sei daher wohl eher Schusseligkeit und naiveKindlichkeit, die sie zu ihremHandeln führten, als das Begehren,Gott gleich zu werden.

Nun, nach dem Übertreten des Gebotes, empfindet derMensch aber nicht nur Scham, sondern auch Angst, und er ver-steckt sich vor seinem Schöpfer. Das bedeutet wiederum, dass dieerste Grundbeziehung, nämlich das Verhältnis zwischen demMenschen und Gott, durch die Ereignisse berührt und verändertwird. Es gelingt Gott, den Menschen zu finden. Wenn der Mannbei dem Gespräch mit seinem Schöpfer die Schuld der Frau zu-schiebt und diese wiederum die Schlange für alles verantwortlichmachen möchte, so kommen auch die anderen Grundbeziehun-gen des Menschen, nämlich das Verhältnis zwischen Mann undFrau sowie die Beziehung zwischenMenschundTier in denBlick.Nun ist nichts mehr so, wie es vorher war, denn Schuldzuwei-sungen und Versuche, sich der Verantwortung zu entziehen,beherrschen nun das Gespräch (Gen 3,8–13).

Nachdem bereits das Verhalten des Mannes und der Frau denBruch zwischen der Zeit vor dem Essen der Frucht und danachdeutlich gemacht hat, werden im nächsten Abschnitt konkreteweitere Daseinsbeschneidungen von Gott formuliert (3,14–19).Die Schlange, die Frau und derMannwerden nunvon Gott direktangesprochen, und mittels dieser Worte greift er ganz entschie-den in deren Existenz ein.

Als erstes wendet sich Gott der Schlange zu. Zur Strafe musssie fortan auf demBauche kriechen, zudem setzt Gott Feindschaftzwischen sie und den Menschen. Hier finden wir gleich zweiÄtiologien vor, wenn sowohl die andersartige Gestalt derSchlange als auch ihre Beziehung zum Menschen erklärt wird.Noch einmal wird die dritte Grundbeziehung, das Verhältniszwischen Mensch und Tier, tangiert.

Dannwendet sich Gott an die Frau.Wie die Untersuchung vonCarol Myers gezeigt hat, ist das Fluchwort an die Frau ganzwörtlich so zu interpretieren, dass Gott der Frau viele mühseligeSchwangerschaften sowie die Schmerzen der Geburt auferlegt;zudem wird der Frau das Verlangen nach dem Manne gleichsam„eingestiftet“. Der Begriff „Verlangen“ – hebr. tesukah – erscheint

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außer an dieser Stelle nur noch im Kontext der Erzählung vonKain und Abel (Gen 3,16b) sowie im Hohenlied (Hld 7,11) undverweist auf den Wunsch nach tiefer Zusammengehörigkeitzweier Menschen. Wenn es nun heißt, dass der Mann künftigüber die Frau „herrschen“ soll, wird zudem eine Hierarchiezwischen Mann und Frau begründet, die freilich auch die Ver-antwortung des Mannes für die Frau mit einschließt. So hat dieBeziehung der Frau zum Mann etwas zutiefst Ambivalentes.Wenn der Erzähler sowohl die Vielzahl der Schwangerschaften,die Schmerzen der Geburt und – modern gesprochen – das Pa-triarchat erklärt, erfolgen an dieser Stelle somit gleich dreiÄtiologien. Dabei muss betont werden, dass die hier vorliegendeÜberlieferung die Verhältnisse nicht legitimieren möchte; siesind vielmehr Ausdruck einer geminderten Schöpfungsordnung.Noch einmal wird, wie bereits in dem Gespräch zwischen Mannund Frau, deutlich, dass die Grundbeziehung zwischen Mannund Frau eine tiefgreifende Veränderung erfahren hat.

Das abschließende Wort JHWHs gilt dem Mann, dessenkünftiges Los in unendlichmühseliger und harter Arbeit besteht.Mit der Verfluchung des Ackerbodens und der sprichwörtlichgewordenen Aussage, sich künftig „im Schweiße seines Ange-sichts“ zu ernähren, erfolgt unverkennbar einRückbezug aufGen2,9, wo von der komfortablen Austattung des Gartens die Redewar. Statt der köstlichen Bäume soll der Erdboden jetzt Unkrauttragen; nicht mehr die herrlichen Paradiesfrüchte, die wie vonselbst wachsen, geben demMenschen fortanNahrung; jetzt musser sich von den selbst angebauten Nutzpflanzen nähren und istdamit für seine Existenz und seinen Unterhalt selbst verant-wortlich. So wird in dem Fluchwort gegen die Erde die zweiteGrundbeziehung, die Beziehung zwischen Mensch und Erdeangesprochen; auch sie hat nun, wie all die anderen Grundbe-ziehungen, die das Leben des Menschen bestimmen, einegrundlegende Änderung erfahren.

Mit Gen 3,20–23 endet unsere Erzählung. Die Frau wird nun„h˙awa“ genannt und zur Mutter aller Lebendigen erklärt. Die

Etymologie dieses Namens ist nicht definitiv geklärt; hier wirdauf jeden Fall eine Beziehung des Wortes zu der hebräischenWurzel „haya/h

˙awa“ eröffnet, deren Grundbedeutung „Leben“

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ist. Zudem bekleidet JHWH den Menschen, indem er ihm einenSchurz aus Fellen macht. Da die Gefahr besteht, dass der Menschdie Hand nach dem Baum des Lebens ausstrecken und das ewigeLeben erlangen könnte, entfernt Gott den Menschen aus demGarten Eden; zwei Keruben, engelartige Wesen mit einem Feu-erschwert, bewachen fortan den Baum des Lebens.

Wie dieser Durchgang durch den Text deutlichmacht, lässt dieErzählung viele wichtige Fragen offen. Vor diesem Hintergrundüberrascht es nicht, dass in der Forschung zahlreiche unter-schiedliche Versuche einer Gesamtinterpretation dieser Erzäh-lung existieren. Die Sachlage erfährt dadurch noch eine größereKomplexität, damanche Ausleger auch das diachroneMoment inihre Überlegungen einbeziehen. Wenn man davon ausgeht, dassdie Paradiesgeschichte ältere Überlieferungen in sich aufge-nommen hat, so besteht zumindest theoretisch die Option, beider Erklärung der Erzählung motivgeschichtlich bzw. literarkri-tisch zu argumentieren. So wäre es wichtig darauf hinzuweisen,dass das Motiv des Lebensbaumes und des Staubs als Materie fürdie Menschenschöpfung nur relativ lose in der Erzählung ver-ankert sind. Da aber, so Konrad Schmid, selbst wenn der Textnicht einheitlich wäre, mit einer reflektierten Endredaktion ge-rechnet werden muss, ist der Ausleger in keinem Fall seinerAufgabe enthoben, den Sinnzusammenhang des Textes auf syn-chroner Ebene darzulegen (Schmid, Die Unteilbarkeit der Weis-heit, 26).

Relativ eindeutig kann zunächst festgestellt werden, dassdieser Erzählung die Funktion zukommt, die gegenwärtige con-dition humaine desmenschlichen Lebens – Bedrohung durch dieSchlange, die harten Lebensbedingungen der Frau und desMannes – zu erklären. Diese Sicht auf den Menschen ist dabeidurch die landwirtschaftliche Lebensweise der palästinischenBauern und durch patriarchale Verhältnisse geprägt.

Des Weiteren wurde die Paradieserzählung auch als eine Art„Entwicklungsmythos“ interpretiert. Wie sich dies im Einzelnengestaltet, hängt wiederum davon ab, wie man den Ausdruck„Erkenntnis von Gut und Böse“ auffassen möchte. Deutet mandiese Wendung speziell auf die geschlechtliche Erkenntnis, sokann diese Erzählung als eine Art – um einen Begriff von Hans-

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Peter Müller aufzunehmen – „Adoleszenzmärchen“ verstandenwerden; der Tod als Folge des Essens vom Baum der Erkenntniswäre dann nicht willkürlich, sondernwürde vielmehr den auch inanderenMythen reflektierten Zusammenhang von Eros und Todwiderspiegeln“ (Müller, Drei Deutungen des Todes, 118). Un-mittelbar auf das Erwachen der Geschlechtlichkeit folgt dannauch die Entdeckung der Nacktheit, die Scham und die Beklei-dung. Geschlechtlichkeit und Tod können dabei ganz unter-schiedlich aufeinander bezogenwerden: So ist – nachHans-PeterMüller – mit „einem primitiven Zusammenhang von Erkenntnisund Verfehlung“ zu rechnen: „Da ,dasWissen um das Geheimnisder Zeugung und des Gebärens … etwas Göttliches ist‘, verletztder Mensch durch das Erwachen zur bewußten Geschlechtlich-keit ein Tabu; aber die Verfehlung ist versehentlich, allenfallstragisch, kann er doch gar nicht anders als auf diese Weise dieUnsterblichkeit verscherzen“ (Müller, Erkenntnis und Verfeh-lung, 197). Des Weiteren kann diese Erzählung aber auch kul-turgeschichtlich gedeutet werden, da sich hier derÜbergang vomGartenbau in Oasen zum Regenfeldbau widerspiegelt. Schließ-lich, um noch eine weitere Interpretationsmöglichkeit anzufüh-ren, hat man die Paradiesgeschichte auch im Sinne einer „zwei-stufigen Anthropogonie“ verstanden, in welcher der Übergangdes Menschen von einem Natur- zu einem Kulturwesen thema-tisiert werde.

Strittig ist in der Forschung, welche Rolle das Motiv des Todesin diesem Gesamttableau einnimmt. Ist die Sterblichkeit desMenschen gleichsam schöpfungsbedingt? Oder enthält die Er-zählung auch eine Ätiologie des Todes, der die Folge für dieÜbertretung des Gebotes darstellt? Und wenn dem so ist, worinliegt dann der tiefere Grund für diese Konsequenz aus derÜbertretung? Ist der Tod die göttliche Strafe für den menschli-chen Ungehorsam gegenüber Gott oder gleichsam die logischeFolge für dieMissachtung desVerbots, vomBaumder Erkenntnisvon Gut und Böse zu essen?

Auf eine schöpfungsbedingte Sterblichkeit des Menschen,wonach der Tod vonAnfang an zumWesen desMenschen gehört,deutet die Aussage, dass der Mensch aus dem Staub von der Erdeerschaffen wurde (Gen 2,7), die dann im Strafwort gegen den

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