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    Aristoteles und Heidegger.Eine geschichtliche Besinnung auf das Phnomen Sprache

    Matthias Flatscher, Wien

    Not Nichtun deux trois er he leder ahn

    die dhStood(apparition.) Bare(erscheinung.)1

    VorspielWas soll mit diesem doch recht eigenartigen Motto angezeigt werden? Was ha-ben die Philosophen Aristoteles und Heidegger mit dem Dichter Cummings undseinem bersetzer Bonn zu schaffen? Auf den ersten Blick wohl nichts odervielleicht doch?

    Das mit der bersetzung und der implizierten Interpretation ist immer eineheikle Sache, auf die bereits ein berhmtes italienisches Sprichwort hinweist;durch das Wortspiel vontraditore und tradutore wird die bersetzungsttigkeitkurzerhand mit einem Betrug gleichgesetzt. Im bersetzen, das stets notwendigist, wo etwas Fremdes (es braucht nicht zwingend eine Fremdsprache zu sein) inden eigenen Auslegungshorizont, die eigene Sprache bertragen und somit zuverstehen versucht wird, kann so manches verschleiert, einiges aber auch ent-deckt werden. Es ist stets mehr als ein einfacher, unproblematischer Transfer.Dieser berschuss der bersetzung verdunkelt zuweilen Passagen, da mehr, an-ders oder weniger interpretiert wird, als der Ausgangstext zu sagen beabsichtigt;manchmal zeigt sich jedoch in ihm das Original in einer neuen, erhellendenWeise, da in der bersetzenden Auslegung allererst etwas sichtbar wird, das ineiner flchtigen Lektre des Originals nicht oder nicht in der Weise aufscheint.

    So waren fr mich anfangs die Verse Cummings nichtssagend, ja geradezustumm. Erst in der bertragung von Bonn, die auf selbstschpferische Art dieZeilen neu entwirft, habe ich einen Weg gesehen, wie die Verse gelesen werdenknnen. Einige Anmerkungen hierzu.

    Bonn bersetzt den englischen Ausdruck Not mit Nicht noch wrtlichins Deutsche. (Ob damit nur ein englisches not im Sinne von nicht gemeintist, wird durch die folgenden Zeilen noch in Frage gestellt; vielleicht schwingthier, da Cummings augenscheinlich mit mehrsprachigen und mehrstimmigen

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    Edward E. Cummings: 39 Alphabetisch. Ausgewhlt und aus dem Amerikanischen bersetztvon Mirko Bonn. Engeler: Basel u.a. 2001, W [ViVa] / XXXIX // 10 & 19, V. 11-15.

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    Varianten spielt, auch das deutsche Substantiv Not mit.) Danach erhalten aberdie deutschen Zeilen ein merkwrdiges Eigenleben. Der zweite Vers, der auf Franzsisch die ersten drei Zahlwrter (un deux trois) anfhrt, wird offen-sichtlich in ein vielsprachiges er he le bertragen, wobei aufflligerweise aber wohl nicht ganz unbegrndet das franzsische Personalpronomen aus derReihe tanzt (le und nicht il). Die bei Cummings angefhrten franzsischenNumeralia kehren aber unerwartet wenn auch um das dritte Glied gebracht in lautmalerischen Abwandlungen in den nchsten Zeilen (ahn / dh) wieder.Sie sind jedoch alles andere als eine einfache bertragung der beiden deutschenArtikel (der / die), die bei Bonn wohl eher mit der zweiten Zeile zu korres-pondieren scheinen. Es stellt sich natrlich die Frage, warum sich der bersetzerfr diese chiasmatische Variante entscheidet. Wird dadurch etwas Erhellendes gezeigt, wie der Imperativ der Zeile zwei im Deutschen (er he le!) auch

    nahe legen knnte? Wahrlich erhellend lassen sich dann die Zeilen ber denUmweg der deutschen bersetzung lesen, wenn auf Cummings und Bonnsakribische Genauigkeit bei der Einrckung der Verse geachtet wird und nur dieAnfangswrter betrachtet werden: Aus dem Cummingschen Not / un / der / Stood wir im Deutschen das kongeniale Nicht / er / ahn / Bare, das dann inder letzten Zeile als die Bare(erscheinung.) als das selbstreferentielle Auf-gehen der Sprache des Verskomplexes der Leserschaft, zumindest derdeutschsprachigen, ins Auge springt mehr wohl als das englische OriginalStood(apparition.). In der Eigendynamik von Bonns bertragung gewinnen

    die Zeilen von Cummings an Bewegung. Auf eine merk-wrdige Weise wirdhier erst in der bersetzung das ersichtlich, was im Original mitschwingt.Vielleicht trifft Analoges auch auf Heidegger zu, der sich oft auf hnlich un-

    orthodoxe Art zumindest fr die meisten klassischen Philologen an die Grie-chen gehalten hat, aber gerade durch diese bertragungsversuche und Ausle-gungsvorschlge die antiken Texte in einer nachhaltigen Weise zum Sprechenbringen konnte, sodass Heraklit oder Aristoteles nicht wie berbleibsel auslngst vergangenen Zeiten, sondern als adquate Gesprchspartner und wichtigeIdeengeber auftreten.

    Im Folgenden soll eines dieser mglichen, tatschlich aber nie in der Weisestattgefundenen Gesprche zwischen Aristoteles und Heidegger re/konstruiertwerden, um die Fruchtbarkeit dieses Dialoges aufzuzeigen.

    Die Notwendigkeit einer geschichtlichen Besinnung fr HeideggerWie viele andere Denker im 20. Jahrhundert hat sich auch Heidegger mit demPhnomen Sprache auseinander gesetzt. Heideggers Selbstverstndnis nach un-terscheiden sich jedoch seine Annherungen an die Sprache von anderen Zugn-gen dadurch, dass er sich von den sprachphilosophischen berlegungen derabendlndischen Tradition bis hin zur Gegenwart, die fr ihn unwissentlich dasErbe der Antike tradierten, zu distanzieren gedachte; so greifen fr ihn analyti-

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    sche, aber auch semiologische Anstze in einer opaken und verschrften Weiseauf das von den Griechen bereitgestellte Fundament der metaphysischenSeinsauffassung zurck. Heidegger geht daher von der provokanten These aus,dass die gesamte Philosophiegeschichte von den Einsichten der Vorsokratikerabgesehen das Phnomen Sprache verfehlte. Analog zu Heideggers Verdiktder Seinsvergessenheit kann man mit Hans-Georg Gadamer in diesemZusam-menhang von der Sprachvergessenheit des abendlndischen Denkens2 spre-chen. Die tradierte Sprachphilosophie, welche dieSprache stets als einen geson-derten Gegenstandsbereich zu umgrenzen trachtete3 und sie als Ausdrucksmitteldes menschlichen Subjekts verstand, mit deren Hilfe Sachverhalte reprsentier-bar sind, ging dabei nie auf die Eigenheiten derSprache als Sprache ein, son-dern betrachtete von einem anthropozentrischen Blickwinkel aus in erster Linieden instrumentellen und somit abknftigen Charakter der Sprache.

    Eine erneute Besinnung auf das Walten der Sprache erfllt nach Heideggergerade nicht den Zweck, nun ein weiteres wichtiges Themengebiet abzuhandeln,sondern impliziert eine fundamentale Kritik an der in der abendlndischen Me-taphysik leitend gewordenen Seinsauslegung. Das Anliegen von HeideggersAnnherungen an die Sprache bekundet sich darin, demvor-stellenden Denken,das alles nicht-menschliche Seiende als quantifizierbaren und somit beherrsch-baren Gegenstand betrachtet, seine Grenzen und stillschweigenden Voraus-setzungen aufzuzeigen. Sprache ist das, was sichals Ganzes einer umfassendenVergegenstndlichung entzieht: Sprache istals Sprache nicht zu verobjektivie-

    ren. Von dieser Einsicht gelenkt, wird die Souvernitt eines absoluten Subjekts,das Heideggers Interpretation zufolge dadurch ausgezeichnet ist, dass es allesSeiende auf sich zuzustellen vermag, in Frage gestellt. Eine abermalige Ann-herung an das Phnomen Sprache fhrt nicht nur zur Errterung eines einzigenBereichs, sondern zu einem grundlegenden berdenken des ontologischen Ge-schehens und zu einer Neuverortung der Seinsweise des Menschen. Auf diesemWeg der Sprachbetrachtung wird die in der Tradition leitende Ontologie derVorhandenheit und Verfgbarkeit von jeglichem Seienden fr ein Subjekt zu de-struieren beabsichtigt.

    Heidegger weist in Der Weg zur Sprache dezidiert auf diese durch die ber-lieferung tradierten Bedingtheiten der heute gngigen Sprachbetrachtung hin:Jede Sprache ist geschichtlich, auch dort, wo der Mensch die Historie im neu-zeitlich-europischen Sinne nicht kennt. Auch die Sprache als Information ist

    2 Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzge einer philosophischenHermeneutik. Band 1. Tbingen: Mohr (Siebeck)61990 (GW I), 422.3 Wenn wir also die Sprache einer Sprachphilosophie zuweisen, so sind wir sofort schon ineiner ganz bestimmten Auffassung festgehalten. Das Fragen nach der Sprache ist im Grundeschon unterbunden. Denn vielleicht ist es ein Vorurteil, die Sprache sei neben Kunst, Reli-

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    nicht die Sprache an sich, sondern geschichtlich nach dem Sinn und den Gren-zen des jetzigen Zeitalters, das nichts Neues beginnt, sondern nur das Alte,schon Vorgezeichnete der Neuzeit in sein uerstes vollendet. (GA 12, 253)Heidegger vertritt folglich die These, dass die gegenwrtig vorherrschendeSprachauffassung geschichtlich bedingt ist, ohne sich aber ihrer eigenen Ge-schichtlichkeit bewusst zu sein, da ihre ursprngliche Herkunft verdeckt odervergessen ist. Von dieser Einsicht geleitet scheint fr ihn eine genaue Aus-einandersetzung mit den philosophiegeschichtlichen Weichenstellungen fr dieheute gngige Sprachauffassung unumgnglich zu sein. Ausgehend von diesergeschichtlichen Besinnung ist es erst mglich, tradierte und mittlerweile selbst-verstndlich gewordene Denkgewohnheiten zu hinterfragen und sich von dortaus Alternativen aufgeben zu lassen, die sich laut Heidegger immer am Phno-men selbst ausweisen lassen mssen.

    Heidegger geht es bei seiner Auseinandersetzung mit dem griechischen Den-ken nicht um eine historische Rekonstruktion der Texte bzw. eine gelehrige Kri-tik an deren Auffassungen, sondern um eine geschichtliche Besinnung, die auf unser jetziges Denken rckwirkt und fr unser zuknftiges leitend wird, indemsie auf die Herkunft der immer noch gngigen Vorstellungen hinzuweisen suchtund uns die Augen dafr ffnet, washeute eigentlich geschieht (GA 34, 10).Heidegger ist nicht nur bereit, etwas ber, sondern auch von den Griechen zulernen. In der bewusst gesuchten Konfrontation mit den klassischen Positionenist es Heidegger folglich nicht darum zu tun, die denkerischen Einsichten der

    Tradition als historischen Ballast zu verwerfen, sondern er mchte im Gegenzugauf unausgesprochene Vorannahmen der berlieferten Annherungen an dasPhnomen Sprache aufmerksam machen, um von dort aus auf Einschrnkungenund Unterlassungen der tradierten Fragestellungen und ihre Fortentwicklungenbis in das 20. Jahrhundert hinzuweisen. Die Auseinandersetzungen werden zwarweitgehend auf historischem Boden gefhrt, aber dies geschieht stets in Hin-blick auf Engfhrungen in gegenwrtigen Sprachkonzeptionen. Das Ende dergegenwrtigen und fr Heidegger zutiefst metaphysischen Art der Philoso-phie wird von ihm an ihrem Anfang festgemacht.

    Der fr die Sprachbetrachtung entscheidende Entwurf, auf den alle weiterensprachphilosophischen Annherungen explizit oder implizit zurckgreifen, voll-zog sich laut Heidegger bei den Griechen, genauer gesagt bei Aristoteles, dessenEinsichten fr die gesamte abendlndische Tradition prgend geworden sind.

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    Heideggers ambivalenter Rckgriff auf die aristotelische Sprachbetrach-tungDie Bezugnahme Heideggers insbesondere ab den 30er Jahren4 auf Aristote-

    les ist aber keine einfache, sondern eine auf auffllige Weise mehrfach gebro-chene. Ohne allzu sehr ins Detail gehen zu knnen, scheint mir Aristoteles ge-rade in dieser Zeit ein Hauptgesprchspartner fr Heidegger in der Aus-einandersetzung mit der metaphysischen Tradition zu sein, da er sich teils expli-zit, ber weite Strecken jedoch implizit an den aristotelischen Grundeinsichtenabarbeitet und von dort aus gerade in einer, zumeist unausgesprochenen, pro-duktiven Anverwandlung des in der Wirkungsgeschichte verkrzt berkomme-nen auch alternative Denkmglichkeiten entwirft. Auf diese AmbivalenzHeideggers in der Relektre von Aristoteles gilt es aufmerksam zu machen: Einerseits gilt Aristoteles fr Heidegger als Urvater des metaphysischen Den-kens, der fr die Verengung des Geschehnisses der Unverborgenheit (a0lh/qeia)zur Urteilswahrheit in einem hohen Mae als mitverantwortlich zu nennen ist.Aristoteles suggeriert somit dem abendlndischen Denken die Auffassung vonSeiendem als bestndig Anwesendem und drngt die Sprache in die Auslegungs-bahn der Logik. Gerade in Heideggers Vorhaben einer Verwindung der Meta-physik (GA 9, 414) ist Aristoteles ein fester Bezugspunkt, anhand dessen sichdas Wesen der Metaphysik verdeutlichen (GA 9, 416) lsst. Bei Aristoteleshat sich die Grundlegung der abendlndischen Metaphysik mit der Leitfragenach dem Seienden als solchen vollzogen, ohne jedoch dieUnverborgenheit selbst , das Lichtungs- (und Verbergungs-)Geschehen berhaupt eigens zu be-denken. Indem sie [die Metaphysik] das Seiende als solches denkt, streift siedenkenderweise das Sein, um es auch schon zugunsten desSeienden zu berge-hen, zu dem sie zurck- und bei dem sie einkehrt. Darum denkt die Metaphysikzwar das Seiende als solches, aber dasals solches selbst bedenkt sie nicht. Imals solches wird gesagt: das Seiende ist unverborgen. (GA 6.2, 317) Der Fra-gehorizont deso1n h| [ o1n wird nicht hinsichtlich des Seins weiter bedacht, sondernhinsichtlich der letzten Ursachen und obersten Grnde, sodass fr Heidegger inder Folgezeit die ontologische Differenz zugunsten einer Ontifizierung der

    a0rxa_i und ai0ti/ai vernachlssigt wurde (vgl. Met., 1003 a). Diese aristotelischeFragestellung, die Heidegger als Onto-Theo-Logik5 bezeichnet, gab auch denzuknftigen und beraus wirkmchtigen Rahmen fr die christliche Theologieund ihre Hinwendung zu einemsummum ens und damit den Leitfaden derSeinsvergessenheit ab. Mit dem Satz vom Widerspruch, den Aristoteles das si-

    4 In den Vorarbeiten zu und im Umfeld vonSein und Zeit (1927) scheint mir eine weitaffirmativere Aristotelesrezeption bei Heidegger vorzuliegen, in der die hier konstatierteDoppeldeutigkeit noch nicht in dem Mae zum Tragen kommt, da es Heidegger in erster Li-

    nie um eine phnomenologische Interpretation des griechischen Denkers ging.5 Martin Heidegger: Identitt und Differenz. Pfullingen: Neske91990, 50.

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    cherste unter allen Prinzipien (Met., 1006 a 5) nannte, wurde fr Heidegger derSatz vom Sein (GA 6.1, 544) formuliert, der nunmehr fr eine Ontologie derVorhandenheit grundlegend wurde. Das Anwesendsein d. h. das, was wider-spruchsfrei, im Sinne von sicher und bestndig, fr den Menschen vorliegt wird als die leitende Bestimmung genommen, die den Mastab fr das Sein unddie Auslegung von Seiendem vorgibt: Der Name Metaphysik wird hier unbe-denklich zur Kennzeichnung der ganzen bisherigen Geschichte der Philosophiegebraucht. [...] Der Name soll sagen, da das Denken des Seins das Seiende imSinne des Anwesend-Vorhandenen zum Ausgang und Ziel nimmt fr den ber-stieg zum Sein, der zugleich und sogleich wieder zum Rckstieg in das Seiendewird. (GA 65, 423)

    Andererseits hat Aristoteles noch aus einer Erfahrung gedacht, die Heideggerdem vor-stellenden Denken entgegenzusetzen trachtet und beispielsweise in sei-

    nem Physis-Aufsatz von 1939 (GA 9, 239-301) auch in spteren Jahren zu wr-digen wusste. Bisweilen differenzierte Heidegger zwischen Aristoteles und ei-nem Aristotelismus, dessen schulmetaphysische Tendenzen Heidegger nichtAristoteles selbst, sondern der hellenistischen (vgl. GA 12, 234) und in weitererFolge der christlichen Adaption seines Denkens zuschrieb. Mitunter und dieseThese soll im Folgenden noch untermauert werden spielt Heidegger die Wir-kungsgeschichte des Aristotelismus so gegen Aristoteles aus, dass leicht berse-hen werden kann, dass Heidegger selbst eine Reihe von wesentlichen Einsichtengerade von seiner Relektre des aristotelischen Opus bezogen hat.

    Diese ambivalente Stellung gegenber Aristoteles setzt sich gerade in seinerAuseinandersetzung mit der Fundierung der metaphysischen Sprachkonzeptionauf markante Art und Weise fort. Auf die fr die Sprachbetrachtung relevanteStelle aus Peri Hermeneias kommt Heidegger in mehreren Anlufen zurck.Schon in einer frhen Freiburger Vorlesung (GA 63) setzt er sich mit der aris-totelischen Abhandlung ansatzweise auseinander; weitere Spuren der Beschfti-gung finden sich noch in den Marburger Vorlesungen (vgl. GA 21, 163-170).Bevor er sich inUnterwegs zur Sprache auf die aristotelische Bestimmung derSprache einlsst (GA 12, 192 ff. und 232 ff.), finden sich in der VorlesungGrundbegriffe der Metaphysik (GA 29/30, 442 ff.) in Rckgriff auf Peri Hermeneias lngere berlegungen zum aristotelischen Symbolbegriff. Heideg-ger widmet dem Passus jedoch nie eine durchgngige Interpretation, sondernbegngt sich zumeist mit kleinen Hinweisen. Die Ambiguitt in der Aus-einandersetzung mit dieser Stelle wird zustzlich dadurch unterstrichen, dassHeidegger inUnterwegs zur Sprache gleich zweimal auf die zentrale Passagezurckkommt und sie in signifikant unterschiedlicher Weise ins Deutsche ber-setzt. Zunchst soll aber die herkmmliche, schulmetaphysische Interpretationder aristotelischen Textstelle expliziert werden.

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    Die schulmetaphysische Lektre von Aristoteles Peri Hermeneias Aristoteles hat im Gegensatz zu Platon keine eigene Abhandlung ber die Spra-che verfasst. Bemerkungen zur Sprache finden sich verstreut in mehreren seiner

    Werke; so steht dabei neben derPoetik, Rhetorik oder den beidenAnalytiken immer wieder die SchriftPeri Hermeneias (oder De interpretatione) im Brenn-punkt des sprachphilosophischen Interesses.6 Dort wird aber nicht in erster Li-nie die Sprache im Allgemeinen untersucht, sondern es werden die Regeln zurBildung eines Satzes sowie die Verbindung von Satzteilen zu Urteilen beleuch-tet. Aristoteles schreibt: Zuerst mssen wir feststellen, was Nomen [o1noma]und was Verbum [r(h=ma], dann, was Verneinung [a0po/fasij ], Bejahung[kata/fasij ], Aussage [a0po/fansij ] und Rede [lo/goj ] ist. (De int., 16 a 1)Dieser logisch-grammatikalische Kontext ist sicherlich fr die metaphysischeAuslegungstendenz mitverantwortlich, dass die Sprache fortan vornehmlich vondiesem verengten Blickwinkel des wahrheitsfhigen Aussagesatzes (logoja0popantiko/j ) aus betrachtet wurde.

    Die Grundlegung der vorherrschenden Sprachauffassung in der abendlndi-schen Tradition vollzieht sich nach Heidegger in dem knappen, aber umsowirkmchtigeren zweiten Absatz der genannten Abhandlung. Die dort vorge-nommene Bestimmung der Sprache, die in einer verkrzten Auslegung fr einenGroteil der abendlndischen Sprachphilosophie prgend wirkte, gibt aufgrundihrer Dichte immer wieder Anlass zu neuen, sehr divergierenden interpretatori-schen Anlufen.7 Anhand der einschlgigen bersetzung dieses Passus von Eu-gen Rolfes ist es mglich, die schulmetaphysischen Auslegungstendenzen nach-zuzeichnen, die um es nochmals zu wiederholen Heidegger nicht Aristotelesselbst, sondern der hellenistischen Interpretation zuschrieb (vgl. GA 12, 234):

    6 Fr Xiropaidis steht hinter dem Faktum, dass Aristoteles der Sprache keine durchgehendeAbhandlung widmete, eine tiefreichende philosophische berlegung, dass Sprache aufgrundihrer universalen ontologischen Rolle nicht ontifiziert und in einen gesonderten Bereich abge-schoben werden drfe: [D]ie sprlichen Bemerkungen des Aristoteles ber die Sprache[implizieren] nicht unbedingt eine naive Haltung gegenber dem so entscheidenden Phno-men der Sprache [...], sondern eher ein Wissen davon, da die Sprache nicht so ins Themagehoben werden kann wie ein Seiendes oder ein Gebiet des Seienden, da also die Frage nachder Sprache in das Fragen nach dem Sein hineingehrt. (Georgios Xiropaidis: Einkehr in dieStille. Bedingungen eines gewandelten Sagens in Heideggers Der Weg zur Sprache. Univ.Diss. Freiburg i. Br. 1991, 114)7 Stellvertretend fr viele vermerkt etwa Ackrill im Nachwort der Oxford-Ausgabe zuPeri Hermeneias die interpretatorische Unsicherheit: This account of the relation of the things inthe world, affections in the soul, and spoken and written language is all too brief and far fromsatisfactory. (John L. Ackrill: Aristotles Categories and De Interpretatione. Translatedwith Notes by J. L. Ackrill. Oxford: Clarendon Pr.81985, 113) Einen guten berblick ber

    die diversen Auslegungstendenzen gibt Henningfeld (Jochem Henningfeld: Geschichte derSprachphilosophie. Antike und Mittelalter. Berlin, New York: de Gruyter 1994, 71-103).

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    Es sind also die Laute, zu denen die Stimme gebildet wird, Zeichen[su/mbola] der in der Seele hervorgerufenen Vorstellungen [th| = yuxh| = paqh/maton], und die Schrift ist wieder ein Zeichen [su/mbola] der Laute. Undwie nicht alle dieselbe Schrift haben, so sind auch die Laute nicht bei allen[Menschen, M. F.] dieselben. Was aber durch beide [Verlautbarungen undSchrift, M. F.] an erster Stelle [prw/twn ] angezeigt wird [wrtl.: wofr sie Zei-chen [shmei=a ] sind, M. F.], die einfachen seelischen Vorstellungen [paqh/matath=j yuxh=j ], sind bei allen Menschen dieselben, und ebenso sind es die Dinge,deren Abbilder [o(moiw/mata ] die Vorstellungen sind. (De int., 16 a 3-8)8

    Bei einer der metaphysischen Tradition verpflichteten Interpretation dieserTextstelle lsst sich festhalten, dass Aristoteles in seiner Sprachbetrachtung zwi-schen drei voneinander getrennten Bezirken unterscheidet: einer an sich seien-den Wirklichkeit, den innerseelischen Vorgngen des Menschen und dem Zei-

    chensystem der Sprache, wobei die reale Welt und der mentale Bereich nichtsprachlich verfasst sind. Die Sprache als gesonderter Gegenstandsbereich stehtfr etwas, das sie gerade selbst nicht ist; ihre Bedeutung erhlt sie nachtrglichin Bezug auf das, was sie in (materieller) Form von stimmlicher Verlautbarungoder geschriebenen Buchstaben reprsentiert. Wie sind diese fr sich getrenntenBereiche miteinander verbunden? Fr Aristoteles lsst sich die Sprache offen-sichtlich ber ein mehrfaches Abbild-Verhltnis, genauer ber Zeichenrelatio-nen erklren: Die Schrift fungiert als Zeichen fr die Verlautbarung, die Lautesind Zeichen fr die (subjektiven) Vorstellungen der Seele und diese sind wie-

    derum Zeichen fr die real existierenden Dinge. Die Sprache als Stimme oderals Schrift wird als Endprodukt einer doppelten Zeichenrelation innerhalb dieserAbbildungskette angesehen und ist augenscheinlich durch diese zwei ineinanderverschachtelten semiotischen Dreiecke von Gegenstand, Mensch, Wort bzw.Gegenstand, Mensch, Schrift hinreichend charakterisiert.9 Die Sprache fungiertsomit lediglich als Zeichen fr intelligible Inhalte von innerseelischen Vorgn-gen, die wiederum von der Auenwelt affiziert werden und diese reprsentieren.Die Textstelle evoziert gerade ein Modell eines kausalen Nacheinanders der Be-reiche Welt, Subjekt und Sprache. Eine Trennung zwischen (verlautbartem oderverschriftlichtem) Zeichen auf der einen Seite und der wahren intelligiblen Be-deutung auf der anderen wird anscheinend bei Aristoteles nachhaltig unter-

    8 Aristoteles: Organon II. Lehre vom Satz. Peri hermeneias, in: Philosophische Schriften insechs Bnden. Band 1. bers. v. Eugen Rolfes. Hamburg: Meiner 1995 [Lizenzausgabe derWissenschaftlichen Buchgesellschaft].9 In der fr den deutschen Sprachraum mageblichen Ausgabe Aristoteles. Werke in deutscher bersetzung im Akademie-Verlag, in der Hermann Weidemann neben der diffizilen bertra-gung von Peri Hermeneias einen erhellenden Kommentar liefert, wird dieser interpretatori-sche Ansatz des semiotischen Dreiecks (unverstndlicherweise) unkritisch bernommen (vgl.

    Aristoteles: Peri Hermeneias. bers. und erl. v. Hermann Weidemann. Berlin: Akademie1994, 149).

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    strichen. Damit einhergehend vollzieht sich bei ihm auch eine starke Einschrn-kung der Erkenntnisfhigkeit der Sprache, da sich zwar alle Menschen auf die-selbe Realitt beziehen und davon auch adquate Vorstellungen besitzen, diesesich aber auf unterschiedlichste Art und Weise ansonsten wre ja die Sprach-vielfalt nicht zu erklren in Wort und Schrift niederschlagen. Somit wurdeAristoteles immer wieder eine konventionalistische Sprachauffassung zuge-schrieben. Die Sprache erhlt hierbei, als sekundres Produkt des menschlichenIntellekts, eine stark erkenntnisrelativierende, ja erkenntnisstrende Schlagseite.Die eigentliche Einsicht in das Wesen der Dinge muss sich zwangslufig in ei-nem sprachnackten Denken vollziehen. Die Sprache selbst wird primr alsakustische Verlautbarung verstanden, Schweigen oder Hren werden in dieserSprachkonzeption berhaupt nicht bercksichtigt und somit in der Folgezeit alsdefizitre Modi charakterisiert.

    Bewusst wurde die bersetzung von Eugen Rolfes gewhlt, um sichtbarer zuTage treten zu lassen, wie Aristoteles (miss-)verstanden wurde und wird.10 Auf-fallend ist hierbei die undifferenzierte Wiedergabe der griechischen Terminisu/mbola, shmei=a und o(moiw/mata als Zeichen bzw. Abbilder, ohne diese Syn-onymsetzung bzw. den Zeichen-, Symbol- oder Abbildcharakter der Spracheweiter zu klren. Vorschnell werden die Begriffe wieSymboloder Zeichen mitherkmmlichen Bedeutungen berfrachtet und diepaqh/mata als mentale Ein-drcke der an sich seienden Wirklichkeit verstanden, da diese Auslegungsten-denz gut in unser herkmmliches Schema von Sprache passt.

    Wie zuvor erwhnt, vollzieht sich diese Grundbestimmung der Sprache beiAristoteles im logischen Kontext. Einzig den beschreibend-darstellenden Stzenwird Wissenschaftlichkeit zugestanden, da sie die Abbildungsfunktion erfllen.So untersucht Aristoteles inPeri Hermeneias in erster Linie nur noch den Aus-sagesatz (lo/goj a0popantiko/j ), der wahr oder falsch sein kann, und nicht dasmannigfache Walten der Sprache. Aristoteles weist zwar darauf hin, dass esnoch andere Weisen des Sprechens gibt, wie beispielsweise das Bitten (vgl. Deint., 17 a 4), aber auch das Fragen, Wnschen oder das Befehlen; diese werdenaber weder in der genannten Schrift noch in den mageblichen sprachphiloso-phischen berlegungen der sptantiken oder mittelalterlichen Tradition unter- 10 Die Rolfessche bersetzung wurde nicht nur deshalb gewhlt, weil sie auf eine markanteWeise Aristoteles vor einem metaphysischen Hintergrund interpretiert, sondern weil sie auchdie weitest verbreitete ist, da sie in derPhilosophischen Bibliothek des Meiner-Verlags abge-druckt wurde. Noch deutlicher tritt das metaphysische Grundverstndnis in der bersetzungvon Zekl zu Tage: Es ist nun also das zur Sprache GekommeneAusdruck von Vorgngen iminnern Bewutsein, so wie das Geschriebene (Ausdruck) des Gesprochenen. Und so, wienicht alle die gleichen Buchstaben haben, ebenso auch nicht die gleichen Lautuerungen;wovon allerdings, als seelische Ersterfahrungen, dies die Ausdrcke sind, die sind allengleich, und die Tatsachen, deren Abbilder diese sind, sind es auch. (Aristoteles: Kategorien.

    Hermeneutik oder vom sprachlichen Ausdruck (De interpretatione). Griechisch deutsch.Hg., bers., mit Einl. und Anm. versehen von Hans Gnther Zekl. Meiner: Hamburg 1998)

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    sucht. Diese Entscheidung war fr Heidegger dafr mitverantwortlich, dassSprache nunmehr aus der verengten Perspektive der Logik und innerhalb desHorizonts des folgerichtigen Denkens und der korrekten sprachlichen Abbildungbetrachtet wurde.11

    Neben dieser Reduktion der Pluralitt von Sprechweisen auf den Aussagesatzweist Heidegger noch auf eine weitere Verengung der Sprachauffassung hin, in-dem jede ontologische Tragweite der Sprache zugunsten der vergegenstndli-chenden Sichtweise der Sprache als Grammatik aufgegeben wurde. Die Seins-weise der Sprache wird auf ihren vorliegenden Bestand reduziert. Insofern wirdauch Heideggers pauschale Ablehnung der griechischen Sprachkonzeption ver-stndlicher:

    [D]ie Griechen fassen auch die Sprache als etwas Seiendes und somit imSinne ihres Verstndnisses des Seins. Seiend ist das Stndige und als solches

    sich Darstellende, das Erscheinende. Dieses zeigt sich vorwiegend dem Sehen.Die Griechen betrachteten die Sprache in gewissem weiten Sinne optisch, nm-lich vom Geschriebenen her. Darin kommt Gesprochenes zum Stehen. Die Spra-che ist, d. h. sie steht im Schriftbild des Wortes, in den Schriftzeichen, in denBuchstaben,gra/mmata. Darum stellt die Grammatik die seiende Sprache vor.(GA 40, 68 f.)

    Von diesen Einsichten geleitet, zieht Heidegger folgenden in seiner unifor-men Kritik sehr provokativen Schluss, der seiner Auffassung nach fr die ge-samte abendlndische Sprachphilosophie gilt:

    Man sieht leicht, da das eineungeheure Vergewaltigung der LeistungderSprache ist; man vergleiche ein Gedicht oder ein lebendiges Gesprch vonMensch zu Mensch; Stimmart, Tonfhrung, Satzmelodie, Rhythmik und so fort.Zwar hat man spter und in der Gegenwart versucht, zu ergnzen und den Vor-rang der logisch-grammatischen Fassung der Sprache zurckzudmmen dochist die alte grammatisch-logische Vorstellung geblieben ; und sie wird bleiben,solange 1. die Art des Denkens und Vorstellens bleibt, wie sie mit der Logik derGriechen in das abendlndische Denken eingegangen ist, 2. solange nicht end-lich die Frage nach dem Wesen der Sprache von Grund auf entwickelt wird.Diese Aufgabe aber lt sich nur durchfhren unter gleichzeitigem Abbau dergrammatisch-logischen Vorstellungsart, d. h. unter Zurckfhrung derselben auf

    11 Kurz: die Grammatik kommt unter die Herrschaft der Logik , und zwar einer ganzbestimmtengriechischen Logik , der eine ganz bestimmte Auffassung des Seienden berhauptzugrundeliegt. Diese Grammatik aber beherrscht die Art und Weise des Vorstellens der Spra-che. Und damit erwchst die mehr oder minder ausdrckliche Vorstellung von der Sprache,als sei sie in erster Linie und eigentlich dieVerlautbarung des Denkens im Sinne destheoreti-schen Betrachtens und Beredens der Dinge. (GA 36/37, 103 f.) Mit der Reduktion auf denlogoj a0popantiko/j als richtiges oder falsches Urteil, das ja seit Aristoteles als Ort der

    Wahrheit fungiert, geht laut Heidegger auch ein Wandel des Wesens der Wahrheit einher (vgl.GA 12, 234).

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    ihren bestimmten, begrenzten Ausgang, d. h. unter Erschtterung der grammati-schen Vorstellung von der Sprache. (GA 36/37, 104)

    Eine Rehabilitierung des aristotelischen Sprachverstndnisses scheint nachdieser gezielten Kritik kaum mehr mglich zu sein. Zu gewichtig sind Heideg-gers Argumente gegen die herkmmliche Betrachtungsweise der Sprache. Umeinen Weg fr eine Modifikation oder gar Korrektur der griechischen Sprachauf-fassung aufzuzeigen, soll nun Heideggers wiederholter Bezugnahme auf Aris-toteles nachgegangen werden und anschlieend dieser selbst zu Wort kommen.

    Heideggers wiederholte Bezugnahme auf Aristoteles Peri Hermeneias Heidegger selbst hat inUnterwegs zur Spracheden Passus gleich zweimal ber-setzt und darber hinaus noch markante Abnderungen angebracht. Diese Ab-weichungen der beiden bertragungen, die erneut das zuvor angesprocheneChangieren Heideggers gegenber Aristoteles unterstreichen, haben mich ver-anlasst, den Abschnitt bei Aristoteles selbst noch einmal einer Lektre zu unter-ziehen und mit Heidegger, aber auch ein Stck weit gegen ihn, dem aristoteli-schen Sprachverstndnis nachzugehen und eine simple Einordnung Aristotelesin die metaphysische Auslegungstendenz in Frage zu stellen.

    Heideggers erste bersetzung in dasWesen der Sprache (1957/58) unter-scheidet sich nicht mageblich von der bertragung Rolfes. Auch hier wird derUnterschied zwischenshmei=on und su/mbolonverwischt und auf den Zeichen-charakter der Sprache rekurriert: Es ist nun das, was in der stimmlichen Ver-

    lautbarungvorkommt (die Laute), Zeichen von dem, was in der Seele an Erleid-nissen vorkommt , und das Geschriebene (ist) Zeichen der stimmlichen Laute.Und so wie die Schrift nicht bei allen die nmliche ist, so sind auch die stimmli-chen Laute nicht die nmlichen. Wovon aber diese (Laute und Schriftzeichen)erstlich Zeichensind, das sind bei allen die nmlichen Erleidnisse der Seele, unddie Dinge, wovon diese (die Erleidnisse) die angleichenden Darstellungen bil-den, sind gleichfalls die nmlichen. (De int., 16 a 3-8; bers. v. Heidegger inGA 12, 192; Herv. v. M. F.)

    Auch in der anschlieenden Interpretation weicht Heidegger nicht von dergngigen zuvor skizzierten Auslegungstendenz dieser Stelle ab und distan-ziert sich in seinen eigenen Ausfhrungen klar von dieser metaphysischenSprachkonzeption. Umso auffallender ist in seiner zweiten bersetzung in Der Weg zur Sprache (1959) die Zurckweisung des Zeichencharakters der Spra-che, den Heidegger nunmehr vom Zeigen her verstanden wissen will und aufsEngste mit der Unverborgenheit zusammenbringt. Sprache ist dabei nicht mehrnachtrgliches Zeichen fr etwas, sondern ein Zeigen, durch das und in dem et-was allererst erffnet wird. In dieselbe Kerbe schlgt auch die Modifikation desVorkommens (als bestndiges Vorliegen) in ein Geben (sich begeben, es gibt)der Sprache, wodurch ein Stck weit auch eine Ontologie der Vorhandenheit zu-rckgenommen wird, indem der ereignishafte Charakter der Sprache denn erst

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    in der Sprache geschieht ein Erscheinenlassen und somit die Vorgngigkeitvon Sprache angezeigt wird: Es ist nun das, was in der stimmlichen Verlautba-rung (sich begibt ), ein Zeigenvon dem, wases in der Seele an Erleidnissengibt ,und das Geschriebene istein Zeigen der stimmlichen Laute. Und so wie dieSchrift nicht bei allen (Menschen) die nmliche ist, so sind auch die stimmlichenLaute nicht die nmlichen. Wovon indes diese (Laute und Schriftzeichen)erstlichein Zeigensind, das sind bei allen (Menschen) die nmlichen Erleidnisseder Seele, und dieSachen, wovon diese (die Erleidnisse) angleichende Darstel-lungen bilden, sind gleichfalls die nmlichen. (De int., 16 a 3-8; bers. v. Hei-degger in GA 12, 233; Herv. v. M. F.)

    Im Anschluss an diesen zweiten bersetzungsanlauf nimmt Heidegger aus-drcklich Stellung zu seinem Versuch, den er noch als unzureichend empfindet,da die mannigfachen Implikationen dieses Passus noch nicht in voller Tragweite

    ausgelotet wurden: Die bersetzung versteht dieshmei=a(das Zeigende), diesu/mbola (das Zu-einander-haltende) und dieo(moiw/mata (das Angleichende)durchgngig vom Zeigen her im Sinne des Erscheinenlassens, das seinerseits imWalten der Entbergung (a0lh/qeia) beruht. Dagegen bergeht die bersetzungdie Verschiedenheit der angefhrten Weisen des Zeigens. (GA 12, 233) Um inAnschluss daran und hier wird die zuvor hervorgehobene ambivalente StellungHeideggers zu Aristoteles besonders deutlich wieder zu konstatieren, dass sichdie metaphysische Grundlegung der Sprache nun doch mageblich bei Aristo-teles vollzieht: Der Text des Aristoteles enthlt das abgeklrt-nchterne Sagen,

    das jenes klassische Baugefge sichtbar macht, worein die Sprache als das Spre-chen geborgen bleibt. Die Buchstaben zeigen die Laute. Die Laute zeigen dieErleidnisse in der Seele, welche Erleidnisse die sie be-treffenden Sachen zei-gen. (GA 12, 233)

    Heidegger selbst deutet zwar Mglichkeiten einer anderen Interpretation alsder so genannten metaphysischen bei Aristoteles an, zieht selbst aber nicht dieKonsequenzen aus dieser in seinen bersetzungen selbst aufgewiesenen Doppeldeutigkeit, da er sich in erster Linie von der Tradition abzugrenzen ge-denkt und nicht blo Tendenzen der Wirkungsgeschichte revidieren mchte.Aristoteles bleibt fr ihn letztlich der Grndervater der abendlndischen unddas heit in diesem Fall metaphysischen Sprachauffassung.

    Destruktion der Wirkungsgeschichte ber setzen und ber setzenBei einer Relektre der aristotelischen Sprachauffassung geht es mir darum,Heideggers interpretatorische Verfahren in gewisser Weise auch gegen ihn fr eine neuerliche und vielleicht adquatere Bezugnahme auf den aristoteli-schen Passus zu adaptieren. Im Umgang mit philosophischen Texten ging es ihmnie um eine einfache Rekonstruktion des Gedachten, sondern zunchst um eineDestruktion der berkommenen Auslegungstendenzen. Destruktion bedeutet indiesem Zusammenhang jedoch nicht ein willkrliches Zerstren des Tradierten,

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    sondern mit der bersetzung der Texte den darin unausgewiesen enthaltenenVerstehenshorizont sowie die meist nicht weiter reflektierten Voraussetzungenzu hinterfragen und wirkungsgeschichtlich bedingte Verfremdungen aufzuzei-gen. Dabei ist es Heidegger nicht darum zu tun, das eigentlich bei AristotelesGedachte zu Tage zu frdern, sondern er bleibt sich dessen bewusst, dass jedeAneignung immer schon eine bersetzung in den eigenen Verstehenshorizont,der vom eigenen Vorverstndnis durchsetzt ist, bedeutet: Man meint, dasbersetzen sei die bertragung einer Sprache in eine andere, der Fremdspra-che in die Muttersprache oder auch umgekehrt. Wir verkennen jedoch, da wirstndig schon unsere eigene Sprache, die Muttersprache in ihr eigenes Wortbersetzen. Sprechen und Sagen ist in sich ein bersetzen, dessen Wesen kei-neswegs darin aufgehen kann, da das bersetzende und das bersetzte Wortverschiedenen Sprachen angehren. In jedem Gesprch und Selbstgesprch

    waltet ein ursprngliches bersetzen. (GA 54, 17) Diese vermittelnde Ttigkeitdes bersetzens ist laut Heidegger nicht zu umgehen, sondern bei jeder Aneig-nung am Werk, wo gesprochen und verstanden wird und nicht nur bei offen-sichtlichen bertragungen. Auch wenn Heidegger in einer provokanten Formdavon spricht, dass es [u]nserem heutigen Denken [...] aufgegeben [ist], dasgriechisch Gedachte noch griechischer zu denken (GA 12, 127), bedeutet dasnicht, dass es eine bessere Interpretation gemessen an einem absoluten Ma-stab von seiner Seite aus gibt, sondern dass es stets um die jeweilige Anver-wandlung des Gedachten geht, indem von einem geschichtlichen Blickwinkel

    aus das dort Ungedachte, d. h. das dort (implizit) Angelegte und fr die Folge-zeit (Nicht-)Wirksame, versucht wird mitzubedenken. Heideggers Vorgehens-weise stellt somit keine simple Rekonstruktion des griechisch Gedachten dar, daein solch neutraler Rckgang nicht mglich ist, sondern er ist sich dessen be-wusst, dass in der jeweiligen Interpretation die eigenen Fragestellungen denRahmen fr die Auslegung mitabgeben. Heidegger geht es folglich darum,Aristoteles so zu interpretieren, dass er seinem eigenen Denken neue Sichtwei-sen aufzeigen kann.

    Von philologischer Seite hat Heideggers hermeneutischer Ansatz und seineKritik an einer neutralen Rekonstruktion des ursprnglichen Textes zahlreichePolemiken hervorgerufen. Stellvertretend dafr mchte ich Werner Beierwaltesanfhren: In diesem durchaus anfechtbaren hermeneutischen Zirkel, der dasGriechische noch griechischer zu denken suggeriert, hat Heidegger, so meineich, die griechischenUrsprnge der Philosophie in ihrer Authentizitt undFremdheit uns kaum nher gerckt, sondern sie durch die excessive Nutzung dersprachlichen Wnschelrute des Deutschen in vielfltiger Hinsicht eher verhngtund verfremdet [...].12 Beierwaltes markiert scheinbar zielsicher den fragilen

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    Werner Beierwaltes: Heideggers Rckgang zu den Griechen. Mnchen: Verlag derBayrischen Akademie der Wissenschaften 1995, 30.

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    Punkt in Heideggers Beschftigung mit den Griechen (und es wrde sich lohnen,seine Kritik Punkt fr Punkt ernst zu nehmen und von Heidegger her zuentkrften zu versuchen), den Heidegger jedoch bewusst nicht auf ein sicheresFundament stellt. Beierwaltes Schlussfolgerung aber, dass HeideggersAuseinandersetzung mit antiken Texten mehr verschleiert denn erhellt, kann inkeinster Weise zugestimmt werden; im Gegenteil: von Heidegger her lassen sichdie Griechen auf eine neue und fruchtbare Art philosophisch lesen, indem darauf hingewiesen wird, dass diese Texte Einsichten enthalten, die uns gerade heutewesentliche Denkanste liefern knnen. Wichtig erscheint mir, dass sich die jeweiligen Interpretationsversuche jedoch noch am Text selbst ausweisen lassenbzw. diesen in welcher Hinsicht auch immer zu erhellen suchen. HeideggersUmgang ist daran zu messen, ob er produktive Interpretationsanstze bereithlt oder nicht.

    Heidegger spricht auch davon, dass die Auseinandersetzung mit den berlie-ferten Texten stets einbersetzen sei. Gemeint ist damit aber nicht (nur) einbersetzen im gelufigen Sinn, dass ein Text von einer Sprache in eine andere in diesem Fall ein griechischer ins Deutsche bertragen wird, sondern einber setzen im Sinne von: ich setze auf ein anderes Ufer ber mit weitrei-chenden Konsequenzen: Der Wechsel in der Wortwahl ist bereits die Folge da-von, da sich uns das, was zu sagen ist,ber gesetzt hat in eine andere Wahrheitund Klarheit oder auch Fragwrdigkeit. Diesesber setzen kann sich ereignen,ohne da sich der sprachliche Ausdruck ndert. [...] Das sogenannte bersetzen

    und Umschreiben folgt immer nur dember setzen unseres ganzen Wesens inden Bereich einer gewandelten Wahrheit. (GA 54, 17 f.) bertragungen imSinne Heideggers sind stets gewagte bergnge von vertrauten Bereichen hin zueinem neuen Ufer, das kaum bekannt ist und jenseits eines breiten Stromesliegt (GA 55, 45). Diese Art der berfahrt um in Heideggers Diktion zu blei-ben hat nicht nur stets etwas Gewaltsames an sich, da sie sich anmat, altbe-kannte Gefilde zugunsten unentdeckter Landstriche zu verlassen, sondern birgtin sich auch die Gefahr, Schiffbruch zu erleiden.

    Der Rckgang zu den Griechen ist fr Heidegger nie reiner Selbstzweck imSinne einer blo historischen Reminiszenz, sondern es gilt, in jeder Auseinan-dersetzung mit Gedachtem die Implikationen fr das zuknftige Denken aufzu-spren. Die geschichtliche Besinnung ist somit stets auch richtungsweisend frzuknftiges Denken: Denken wir aus der Eschatologie des Seins, dann mssenwir eines Tages das Einstige der Frhe im Einstigen des Kommenden erwartenund heute lernen, das Einstige von da her zu bedenken. (GA 5, 327)

    Eine Relektre von Aristoteles Peri Hermeneias In diesem letzten Abschnitt wird der Versuch unternommen, mit Hilfe der spr-lichen Hinweise von Heidegger sowie der seinem Denken stark verpflichteten

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    Arbeit von Xiropaidis13, der hervorragenden Studie von Wieland14 und des gro-en (und groartigen) Kommentars von Picht15 zu De anima den mittlerweilevielfach zitierten Abschnitt ausPeri Hermeneias neu zu lesen. Diese Interpreta-tion vollzieht sich aus einem hermeneutisch-phnomenologischen Blickwinkelund versucht von diesem Standpunkt aus, dem von Aristoteles Ausgefhrten imwortgetreuen Sinne nachzudenken.

    a) Um dem auf die Spur zu kommen, was Aristoteles unter Sprache verstanden ha-ben knnte, lohnt es sich, mit Heidegger dem griechischen Verstndnis der an-gefhrten Grundworte nachzugehen. Was versteht Aristoteles untersu/mbolon?Sein Verstndnis vonsu/mbolonist nach Heidegger strikt zu unterscheiden vonder uns gelufigen Bedeutung des Symbols als materiellem Zeichentrger, der

    aufgrund von Konventionen im Gegensatz zu natrlichen Zeichen auf ande-res, zumeist nicht sinnlich Darstellbares, verweist. So fungiert beispielsweise dieWaage als Symbol fr die Idee der Gerechtigkeit.

    Das griechische Verbsumba/lleinbedeutet wrtlich so viel wie zusammen-werfen oder zusammen-fgen, aber nicht im Sinne eines regellosen Anhu-fens, sondern eines Zusammenhaltens von etwas mit etwas anderem, insofern esmit diesem bereinstimmt: su/mbolonist das, was, zusammengehalten, zuein-ander pat, dabei als zueinandergehrig sich erweist. (GA 29/30, 445) So ver-wendet Platon den Terminus imSymposion, um das Einheitsstreben des durchZeus von seiner anderen Hlfte getrennten Menschen anzuzeigen, der um der ur-sprnglichen Ganzheit willen seinen komplementren Partner wiederzufindentrachtet (vgl. Symp., 191 d). Als Symbol wurde beispielsweise bei den Griechenauch eine in zwei Hlften geteilte Mnze verstanden, die als zuknftiges Erken-nungszeichen zwischen (Gast-)Freunden oder auch ihren Kindern dienen sollte,insofern die beiden Einzelteile wieder zusammenpassen. Im Zusammenhaltender beiden Teile und nicht vorher oder nachher zeigt sich fr die Nachkom-men die Freundschaft der Eltern. Das Beispiel hat leider auch etwas Irrefhren-des: es soll nicht in erster Linie die in Vorzeiten geschlossene konventionellebereinkunft betont werden, sondern vielmehr, dass imsu/mbolondie Manifes-tationsweise das Zusammenhalten der beiden Mnzhlften und das Manifes-tierte die Freundschaft in ein und demselben Geschehen zusammenfallenund nicht voneinander abtrennbar sind. Imsu/mbolon (und nicht neben oder au-

    13 Georgios Xiropaidis: Einkehr in die Stille. Bedingungen eines gewandelten Sagens inHeideggers Der Weg zur Sprache. Univ. Diss. Freiburg i. Br. 1991.14 Wolfgang Wieland: Die aristotelische Physik. Untersuchungen ber die Grundlegung derNaturwissenschaft und die sprachlichen Bedingungen der Prinzipienforschung bei Aristoteles.Gttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1962.15

    Georg Picht: Aristoteles De anima. Mit einer Einfhrung von Enno Rudolph und hg. v.Constanze Eisenbart. Stuttgart: Klett-Cotta 1987.

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    er ihm, sondern nur in ihm) wird das bereingekommensein offenkundig. Indiesem bereingekommensein wird nicht der Stiftungsakt des bereinkommensbetont, sondern dass je schon eine bereinkunft bestanden hat und diese als be-stehende zu Tage tritt. Fr die Interpretation des angefhrten Passus ausPeri Hermeneias kann dies dann bedeuten, dass die uerungen der Stimme (fwnh/)oder das Geschriebene (grafo/mena) nicht fr sich allein zu nehmen sind undihnen dann nachtrglich in einem zweiten Akt Bedeutung verliehen wird, son-dern dass sie mit denpaqh/mata th=j yuxh=j , den Widerfahrnissen der mensch-lichen Seele, in einem symbolischen Geschehen zusammenzudenken sind. DieSprache verweist nicht auf die Erleidnisse der Seele und stellt diese auch nichtin einem nachtrglichen Akt dar, sondern das menschliche Wort, das fr Aris-toteles als lo/goj shmantiko/j immer schon bedeutungshaft ist, geschieht alsWiderfahrnis der Seele. Menschliches Reden vollzieht sich nur in diesem Zu-

    sammenhalten dessu/mbolon. Die paqh/mata und die Sprache bildenein Ge-schehen. So schreibt Aristoteles auf die Sprachgebundenheit des Denkens hin-weisend, dass das, was wir (beim Sprechen) mit der Stimme uern, dem ent-spricht, was (dabei) in unserem Denken vorgeht [toi=j e0n th| =dianoi/a ] (23 a 32f.; bers. Weidemann). Aristoteles widerspricht somit der gngigen Auffassungder Trennung von Sprache und Denken. Nicht ist zuerst Denken, dem dann diesprachliche Artikulation folgt, sondern Denken ist nach Aristoteles folglich keinsprachnackter Vorgang, sondern immer schon sprachlich verfasst. Aus diesemsymbolischen (und damit sprachlichen) Geschehen knnen dann worthafte Laute

    oder Buchstaben entwachsen.b) Was knnte Aristoteles unter denpaqh/mata th=j yuxh=j , den Erleidnissen derSeele, verstanden haben? Schnell werden diese als mentale Vorstellungen oderals inneres Bewusstsein eines Subjekts wie es die Rolfessche und Zeklschebersetzung nahe legt interpretiert, die als der Auenwelt entgegengesetzt be-trachtet werden mssen. Unser Vorverstndnis ist so stark von der neuzeitlichenWirklichkeitsauffassung geprgt, dass die Einteilung in einen Dualismus vonresextensa, die Welt mit ihren physischen Objekten, und vonres cogitans, die sub- jektive Innensphre mit psychischen Bewusstseinszustnden, auch an die anti-ken Texte herangetragen wird. Der Mensch wre demnach in der Lage, sich vonder real existierenden Auenwelt nachtrglich innere Abbilder zu machen. Auchhier scheint Aristoteles ein kausales Abbildmodell zu vertreten, das dem bis datovorgeschlagenen Interpretationsansatz widerspricht.16

    16 Explizit erteilt Heidegger beispielsweise in seiner Vorlesung Logik. Die Frage nach der Wahrheit einem kausalen Abbildmodell eine Absage: es [sei] ein Vorurteil [] zu meinen,Aristoteles habe eine Wahrheitstheorie vertreten im Sinne einer Abbildtheorie, als bestnde

    Wahrheit darin, da Vorstellungen in der Seele ein Seiendes drauen nachbilden. (GA 21,162)

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    Doch was versteht Aristoteles unteryuxh/? Das Wort Seele erscheint im phi-losophischen Kontext des 21. Jahrhunderts mehr als problematisch, denn esweckt eine Reihe von Assoziationen meist theologischer oder psychologischerArt, mit denen man philosophisch nicht so recht etwas anzufangen wei. Dochdie yuxh/ nimmt bei Aristoteles eine zentrale Stelle ein, was allein schon da-durch ersichtlich wird, dass er ihr eine ganze Abhandlung widmet, auf die ersich in De interpretatione (16 a 8 f.) ausdrcklich bezieht. In De anima17 betontAristoteles, dass er nicht nur dem Menschen, sondern allem Lebendigen, alsoauch den Pflanzen und Tieren, eine Seele zuschreibt; er kritisiert sogar die Den-ker, die nur dem Menschen eine Seele zuerkennen wollen (De an., 402 b 3-5).Im Widerspruch zu einem herkmmlichen Verstndnis von Seele, das sie alsGegensatz zum Krper begreift, vermeidet Aristoteles bei seinen Ausfhrungenden gewohnten Dualismus von Materie und Geist, indem er die leiblich-seeli-

    sche Verfasstheit als eine Einheit unterstreicht.18

    Die Seele ist nicht dadurch ge-kennzeichnet, dass sie der immaterielle Gegenpol zum Leib ist, sondern frAristoteles ist die Seele das, was das Lebendigsein des Lebendigen ausmachtund dem Leib die lebendige Einheit gibt. Das Andere der Seele, wenn man schon in komplementren Denkmustern bleiben will, wre dann das Leblose.19 Insofern kann er auch den lebendigen Tieren und Pflanzen eine Seele zuspre-chen. In der Bestimmung der menschlichen Seele wird das Menschsein desMenschen zu erfassen versucht.

    Ohne auf die Unterschiede zwischen vegetativen, animalischen und menschli-

    chen Seelenteilen nher eingehen zu wollen, da hinsichtlich der aristotelischenSprachauffassung nur die menschliche Seinsweise von Relevanz ist, muss imFolgenden gezeigt werden, inwiefern sich Aristoteles gegen die Interpretationdes Menschen als Subjekt, das zunchst in einer Innensphre verweilt und nach-trglich zur Welt kommt, verwehrt. Normalerweise gehen wir von den absolutenEntitten Subjekt auf der einen und Objekt auf der anderen Seite aus. DieserDualismus wird von Aristoteles mit aller Vehemenz zurckgewiesen.

    Die Abhandlung kulminiert in philosophischer Hinsicht in der Aussage, dadie Seele in gewisser Weise [pw/j ] das Seiende ist (De an., 431 b 21). Der Satzist mehr als befremdlich: die Seele (oder die menschliche Seinsweise in ihrer

    17 Die im Folgenden angefhrten deutschen Passagen von De anima folgen (beinahe) niewrtlich den bersetzungsvorschlgen von Willy Theiler (Aristoteles: ber die Seele, in:Philosophische Schriften in sechs Bnden. Band 6. bers. v. Willy Theiler. Hamburg: Meiner1995 [Lizenzausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft]), sondern sind zumeist modi-fiziert, da sich diese ohne dies im Detail immer zu belegen hnlich wie die bertragungvon Rolfes von De interpretatione gerade in den Schlsselpassagen als ungeeignet fr denhier vorgelegten Interpretationsansatz erweisen.18 Da also die Seele nicht abtrennbar vom Krper ist [...], erweist sich deutlich. (De an.,413 a 4; vgl. 403 a ff.)19

    [D]enn es scheint umgekehrt vielmehr die Seele den Krper zusammenzuhalten. Wenn sie(von ihm) herausgeht, dann verflchtigt er sich und verfault. (De an., 411 b 8-10)

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    leiblich-seelischen Gesamtheit) soll laut Aristotelesta_pa/nta o1nta, alles Sei-ende, sein. Wichtig ist zu bemerken, dass Aristoteles nicht einfachhin von einerGleichsetzung spricht (er schreibt nicht, die Seele ist das Seiende; er schreibtaber auch nicht, dass die Seele das Seiende widerspiegelt oder abbildet), sonderndie Aussage wird dahingehend auf eine merkwrdig offene Art nher bestimmt,dass die Seele pw/j, d. h. in gewisser Weise, das Seiende ist.20 Durch dieBercksichtigung despw/j wird die Problemlage alles andere denn geklrt.Welche Weise ist damit gemeint und warum betont Aristoteles diesespw/j ?Dass er nmlich daspw/j mit Nachdruck hervorhebt, scheinen mir eine Reihevon weiteren Stzen zu belegen, die Aristoteles gleichfalls im dritten Teil derAbhandlung anfhrt. Dort ist zu lesen: berhaupt aber ist die Vernunft [nou=j ]in ihrem Im-Wirken-Sein [kat e0ne/rgeian ]21 die Dinge. (De an., 431 b 17)Wie im zuvor angefhrten Zitat hebt auch hier wiederum Aristoteles in einer ge-

    radezu emphatischen Weise die Identitt von Mensch und Seiendem hervor;aber er zielt nicht auf eine einfrmige, kongruente Deckung von Subjekt undObjekt ab, sondern das zuvor unbestimmtepw/j wird nun von ihm dahingehendspezifiziert, dass er nunmehr von einer Identittkat e0ne/rgeian 22 hinsichtlichdes Im-Wirken-Seins als Vollzug spricht. Darber hinaus unterstreicht Aris-toteles in aller Deutlichkeit durch eine zweimalige wrtliche Wiederholung dieSelbigkeit des Vollzugs von Vernehmen (im weitesten Sinne) des Menschen undvon Sein der Welt: Im-Wirken [kat e0ne/rgeian ] ist das Wissen [e0pisth/mh]mit dem Gegenstand das Selbe [to_dau0to/]. (De an., 430 a 19 f.; 431 a 1 f.) Im

    Gegensatz zu einem Zusammenfall von einem fr sich seienden Ich und den frsich seienden Gegenstnden lsst Aristoteles nur eineenergetische Identitt vonMensch und Welt gelten; mit aller Schrfe spricht er sich gegen eine Gleichheit

    20 Einen anderen Interpretationsansatz vertritt Frede: Wegen dieser vlligen Ungebundenheitdes Denkens an uere, physische Gegebenheiten meint Aristoteles auch, die Seele sei ingewissem Sinn alle Dinge: sie kann die intelligiblen Formen aller Dinge beliebig aufnehmenund miteinander verknpfen. (Dorothea Frede: Aristoteles ber Leib und Seele, in: ThomasBuchheim u. a. (Hg.): Kann man heute noch etwas anfangen mit Aristoteles? Hamburg: Mei-ner 2003, 85-109; 101) Hier soll im Gegenzug nicht der Seele die Fhigkeit abgesprochenwerden, sich Dinge ohne deren unmittelbare Prsenz zu vergegenwrtigen; kritisiert wird je-doch die Ausklammerung der Inblicknahme des Erscheinenknnens von Dingen fr den Men-schen. Dieses ontologische Grundgeschehen soll im Folgenden mit Aristoteles nherhin be-leuchtet werden.21 Theiler bersetzt daskat e0ne/rgeian mit der Wirklichkeit nach und unterschlgt derdeutschen Leserschaft den verbalen Akzent vone0ne/rgeia . Mit Picht (Georg Picht: Aristote-les De anima. Mit einer Einfhrung von Enno Rudolph und hg. v. Constanze Eisenbart.Stuttgart: Klett-Cotta 1987, 38 ff.), der vom Im-Werk-Sein spricht, und Welte (BernhardWelte: Meister Eckhart. Gedanken zu seinen Gedanken. Mit einem Vorwort von Alois M.Hass. Freiburg u.a.: Herder 1992 [Neuauflage], 110 ff.), der noch deutlicher mit Im-Wirken-Sein bertrgt, mchte ich ebenfalls den Akzent auf den (energetischen) Vollzug legen.22

    Die Wendungkat e0ne/rgeian findet sich darber hinaus an mehreren zentralen Stellen von De anima, z. B.: 417 b 19, 425 b 28, 426 a 5, 429 a 24, 429 b 6, 430 a 29, 431 a 1.

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    des Bestandes aus: Im Vollzug [des Vernehmens] ist das Vernehmbare und dasVernehmen [des Menschen, M. F.] [h9de_tou=ai0sqhtou=e0ne/rgeia kai/th=jai0sqh/sewj ] ein und dasselbe, aber das Sein / der Bestand [to_dei}nai] ist frsie nicht dasselbe. (De an., 425 b 26 f.)

    Diese Stze sind alles andere als gemeinhin verstndlich, doch Aristotelesscheint nachdrcklich sagen zu wollen, dass die hervorgehobene Identitt zwi-schen nou=j/ yuxh/und pra/gmata / o1nta nicht aus zwei fr sich bestehendenGliedern nachtrglich eine Gleichheit kreiert, in der alle Verschiedenheit in ei-ner undifferenzierten Einheit zum Verschwinden gebracht werden soll, sonderner betont ausdrcklich eine Identitt, bei der eine Nicht-Identitt besteht (ge-nauer bedacht wird man sagen mssen: aus der berhaupt eine Nicht-Identittentsteht). Es geht ihm offensichtlich nicht um eine uniforme Einheit des Bestan-des, sondern um eine Selbigkeit des Im-Wirken-Seins [kat e0ne/rgeian ], d. h.um eine Identitt des Vollzugs. Gegen den gewhnlichen Sinn von Identitt alsGleichheit bzw. Selbigkeit der vorhandenen Seienden hebt Aristoteles somiteine Identitt im Geschehen hervor. Dort und nur dort ist der Mensch und Sei-endes dasselbe: Bei dem, was ohne Materie ist, ist das Anschauende [noou=n]und das Angeschaute [noou/menon] das Selbe. (De an., 430 a 3 f.)

    Normalerweise gehen wir von einem Dualismus der objekthaften Welt unddes Menschen als Subjekt aus; beide Pole bilden fr uns selbstndige und voll-kommen getrennte Bereiche. Wir mgen ja noch zugestehen, dass unser Denkenimmer auf Objekthaftes bezogen bleiben muss, denn das Denken braucht stets

    einen Gegenstand, sonst denkt es gar nicht, aber die Welt besteht immer fr sichund verschwindet nicht, wenn ich nicht denke oder die Augen verschliee undnichts vernehme. Um diese aristotelischen Stze, die um den energetischenVollzug kreisen, zu verstehen, mssen wir die herkmmliche Auslegungsten-denz, uns stets ans Ontischen zu halten und von einer strikten Trennung von ei-nem fr sich seienden Subjekt und einem fr sich seienden Objekt auszugehen,verlassen. Aristoteles mchte mit seiner Betonung der Selbigkeit im Vollzugvon Sein und Mensch nicht anmerken, dass sie zuerst als fr sich genommeneEinzelglieder sind, die dann vom Menschen her oder vom Seienden aus nach-trglich in eine Einheit des Bestandes zusammengefhrt werden, sondern Ver-nehmbares und Vernehmender sind als ontisch Differente aus dieser (ontologi-schen) Identitt des Vollzugs bestimmt. Im Vollzug des Vernehmens, schreibter, sind Vernehmender und Vernommenes identisch. Die Identitt des Vollzugshebt jedoch nicht die Nicht-Identitt von Vernehmen des Menschen und Seinder Welt auf, sondern im Gegenteil, sie ermglicht erst diese Unterscheidung:durch das Vernehmen des Menschen wird das vernommene Seiende allererst of-fenbar, aber auch der Vernehmende gelangt im Vollzug des Vernehmens vonSeiendem zur Selbstoffenheit. Dieser vorgngigen Offenheit vorgngig(nicht in einem zeitlichen Sinne) deshalb, weil diese Offenheit weder vom Men-schen bewerkstelligt noch von den innerweltlichen Seienden produziert wird

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    verdankt sich die Offenbarkeit des Seienden und die Offenstndigkeit des Men-schen. Nicht ist zuerst diese Offenheit, in der dann Mensch und Seiendes herein-stehen, sondern diese Offenheit ereignet sich, wie Aristoteles hervorhebt, erst imVollziehen. So geschieht beispielsweise das Leuchten der Farbe, die Offenbar-keit dieses oder jenes Seienden in seiner Farbigkeit, als das jeweilige Sehen desMenschen; so hat das vom Menschen Gesehene seine Wirklichkeit (e0ne/rgeia )im Leuchten und Aufscheinen. Das Leuchten der Farbe ist aber nicht etwas ne-ben dem Sehen, sondern es ereignet sich als das jeweilige Sehen. Das menschli-che Sehen (als Entsprechen) und das Aufscheinen des Gesehenen (als Zuspruch)sind somit nicht zweierlei, sondern das Selbe: das eine geschieht als das andere.Die Vollzugsidentitt ist nicht nur auf die visuelle oder auditive23 Wahrnehmungbeschrnkt, sondern zeichnet die menschliche Seinsweise berhaupt aus.

    Die energetische Identittist das Hervorgangsgeschehen alles Seienden als

    menschlicher Selbstvollzug und damit die Lichtung oder Offenheit selbst. Indiesem Sinne kann auch Aristoteles behaupten, ohne in einen Subjektivismus zuverfallen, dass die Seele alles ist: Im Austrag der Offenheit durch die Offenstn-digkeit des Menschen ereignet sich die Offenbarkeit von Seiendem. Der Menschist dadurch ausgezeichnet, diese Offenheit auszustehen, ihr entsprechen zu kn-nen.24

    Vor dem Hintergrund dieser kurzen Skizzierung, bei der eine Reihe von ande-ren Bezgeninnerhalb des aristotelischen Gesamtwerks beiseite gelassen wer-den mussten,25 kann auch verstndlich werden, wie nunmehr diepaqh/mata

    th=j yuxh=j verstanden werden knnen. Sie sind keine bewusstseinsimmanentenVorstellungsbilder eines Subjekts, sondern die jeweiligen Vollzge des mensch-lichen Entsprechens auf diesen vorgngigen Anspruch der Offenheit. Diese

    23 Aristoteles bezieht sich in De anima in aufflliger Weise auf das Phnomen des Hrens, dasnoch strker eine Ontologie der Vorhandenheit zurckweist: Wenn aber das zu hren Ver-mgende sich vollzieht, und das zu tnen Vermgende tnt, dann stellt sich zugleich [a3ma]das Gehr in Wirklichkeit [kat e0ne/rgeian] und der Ton in Wirklichkeit [kat e0ne/rgeian ]ein, von denen man das eine Hren, das andere Tnen nennen knnte. (De an., 425 b 29 426 a 1)24 Von diesem Lichtungsgeschehen spricht auch Heidegger: Aber das Auszeichnende desMenschen beruht darin, da er als das denkende Wesen, offen dem Sein, vor dieses gestelltist, auf das Sein bezogen bleibt und ihm so entspricht. Der Menschist eigentlich dieser Bezugder Entsprechung, und er ist nur dies. Nur dies meint keine Beschrnkung, sondern einberma. [...] Das Sein west den Menschen weder nur beilufig noch ausnahmsweise an.Sein west und whrt nur, indem es durch seinen Anspruch den Menschen an-geht. Denn derMensch, offen fr das Sein, lt dieses als Anwesen ankommen. Solches An-wesen brauchtdas Offene einer Lichtung und bleibt so durch dieses Brauchen dem Menschenwesen bereig-net. Dies besagt keineswegs, das Sein werde erst und nur durch den Menschen gesetzt. Dage-gen wird deutlich: Mensch und Sein sind einander bereignet. Sie gehren einander. (MartinHeidegger: Identitt und Differenz. Pfullingen: Neske91990, 18 f.)25

    Wesentliche Aspekte, wie z. B. eine nhere Bestimmung dere0ntele/xeia, der Begriffspaaredu/namij und e0ne/rgeia oder morfh/und u3lh und vieles mehr, wurden hier ausgespart.

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    Vollzge sind nicht etwas, was der Mensch bewerkstelligt oder bewirkt, sondernwas ihm durch einen vorgngigen Anspruch, dem er sich nicht entziehen kannund den er so gleichsam erleidet, zum Vollbringen aufgegeben wird. Dieses An-gegangenwerden wird von Aristoteles durch den Terminuspaqh/mata heraus-gestrichen.26

    c) und Wie bei der Relation zwischen Sprache und Seele ist auch im Verhltnis vonMensch und Welt eine kausale, zeitlich nachgeordnete Verbindung fr die Inter-pretation zurckzuweisen. Der Mensch bildet das Seiende nicht in Form vonmentalen Eindrcken ab, wie es die Rolfessche bersetzung dero(moiw/mata als Abbilder suggeriert. Zu voreilig orientiert man sich an einem mechanischenModell eines physischen Abdrucks, in dem die Dinge in der Seele Spuren hin-

    terlassen, wie eine Fhrte im Schnee.27

    Das Affiziertwerden von der Wirklich-keit geschieht vielmehr als seelisches Widerfahrnis; insofern scheint mir einebersetzung dero(moiw/mata als Angleichungen, oder noch deutlicher alsEntsprechungen dem von Aristoteles Intendierten weit mehr entgegenzukom-men. Nicht ist zuerst das Seiende und dann seine berfhrung in eine menschli-che Innensphre, die anschlieend eventuell noch versprachlicht werden kann,sondern Seiendes zeigt sich nur im menschlichen Entsprechen Weltist nur indiesem Geschehnis. Das Erscheinen von den Dingen ereignet sich als Erschei-nen fr die menschliche Seele. In ihr kommen die Dinge zum Stehen. Dieses ge-schieht nur innerhalb einer sprachlichen Verfasstheit des Denkens. Sprache isthier nicht mehr nur als stimmliche Verlautbarung zu verstehen, sondern als Ho-rizont, innerhalb dessen sich das Affiziertwerden durch Seiendes und dasmenschliche Entsprechen abspielt. Aristoteles weist hier ganz deutlich auf dieIdentitt des Vollzugs vom Angesprochenwerden der Dinge (pra/gmata ) unddem menschlichen Entsprechen im Denken (dia/noia) hin, indem er bezeich-nenderweise den sonst nicht eigens betonten Aspekt des Hrens, das herkmm-licherweise als der Verlautbarung nachgeordnet oder abknftig verstanden wird,hervorhebt und damit die universelle Verfasstheit der menschlichen Seinsweiseherausstreicht: [D]enn jemand, der (ein solches Wort) ausspricht, bringt seinDenken (bei der mit ihm gemeinten Sache) zum Stehen, und jemand, der (es)

    26 Vgl. hierzu auch die Unterscheidung zwischen demnou=j paqhtiko/j (die erleidensfhigeVernunft) und demnou=j poihtiko/j (die hervorbringende Vernunft) bei Aristoteles (De an.,429 b 22 430 a 25).27 Zekl verbaut sich meiner Ansicht nach mit der Vorstellung eines physischen Abdrucks erzieht das platonische Beispiel (vgl. Theait., 191 c ff.) mit der Wachstafel zur Illustration heran den Zugang zu einem adquaten Verstndnis von Aristoteles (vgl. Aristoteles: Kategorien.Hermeneutik oder vom sprachlichen Ausdruck (De interpretatione). Griechisch deutsch.

    Hg., bers., mit Einl. und Anm. versehen von Hans Gnther Zekl. Meiner: Hamburg 1998,272).

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    hrt, kommt (in seinem Denken bei dieser Sache) zum Stillstand. (De int., 16 b21 f.; bers. Weidemann) Die Sprache verweist also nicht auf die realen Dinge,die irgendwo hinter dem Wort liegen, sondern in der Sprache und nicht vorheroder auerhalb ihrer wird die (besprochene) Sache im Denken so zum Stehengebracht, dass wir bei der Sache sind. So knnen wir aus unserer alltglichenSpracherfahrung auch nicht behaupten, dass wir es mit einer Dreiteilung inakustische Verlautbarung als materielle Hlse fr geistige Inhalte, in die intelli-giblen Werte selbst und in eine auersprachliche Realitt zu tun haben, dienachtrglich zusammengefhrt werden mssen, sondern im Gesprch im Mit-einandersprechen und Einanderzuhren kommen die besprochenen Dinge zumStehen, d. h. in der Sprache sind wir immer schon bei den Sachen selbst. Spra-che und ihr Worber sind von unserer lebensweltlichen Erfahrung her gesehennicht zu trennen, sondern in ein und demselben Phnomen gegeben. Im Vollzug

    des Gesprchs, das auf eine gemeinsam geteilte Sprache angewiesen ist, wirdnun das zugnglich, worber gesprochen wird. Das Worber der Sprache, ihrThema, ist also nicht unabhngig vom Gesprch vorfindlich, sondern wird erstim Gesprch offenbar. Wenn wir miteinander sprechen, werden wir nicht auf dieDinge verwiesen, die irgendwie hinter der Sprache liegen, sondern im Ge-sprch sind wir bei der besprochenen Sache. Sprache bildet folglich nicht einenvorgegebenen Sachverhalt ab, sondern dieser wird in und aus ihr allererst sicht-bar. Die beredete Thematik ist somit nur sprachlich da. Das Worber des Ge-sprchs hat nur innerhalb des sprachlichen Horizonts ihren Erscheinungsort. Die

    Manifestation des Gesagten und die Manifestationsweise der Darstellung fallenin ein Geschehen zusammen. Da im Gesprch Besprochenes (Thema des Ge-sprchs) und das Wie (Sprache selbst) zusammenfallen, tritt die Sprache alsSprache jedoch in den Hintergrund. Sie entzieht sich auf eine eigentmliche Art,da sie nicht wie ein Ding unter Dingen gegeben ist. Sie ist in der Weise nicht einSeiendes. Heidegger macht mit Nachdruck auf diesen Umstand aufmerksam:Jedes Etwas, das im Gesprch besprochen wird, ist ein Seiendes. Gleichwohlaber verbirgt sich im Gesprch noch ein Gesagtes, was nicht ein Besprochenesist.28 Eine Reihe von Indizien weisen darauf hin, dass auch Aristoteles derSprache diese nicht zu vergegenstndlichende Seinsweise zubilligt.

    Doch widerspricht nicht Aristoteles dieser Auslegungstendenz? Er sagt jadeutlich, dass die stimmlichen uerungen fr diepaqh/mata an erster Stelle / erstlich (prw/twn ) Zeichen (shmei=a) sind. Heit das, wir haben zuerst einnacktes oder natrliches Zeichen, das dann in einem symbolischen Akt erst Be-deutung erhlt? Oder ist die Sprache in erster Linie ein Zeichen fr die seeli-

    28 Martin Heidegger: Das Wort. Die Bedeutungen der Wrter, in: Zur philosophischenAktualitt Heideggers. Bd. 3. Im Spiegel der Welt: Sprache, bersetzung, Auseinander-

    setzung. Hg. v. Dietrich Papenfuss und Otto Pggeler. Frankfurt am Main: Klostermann 1992,13-16; 15.

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    schen Zustnde und erst in einem zweiten Akt Zeichen fr die Dinge?29 Best-tigt diese Textstelle nicht, dass Aristoteles strikt zwischen Bezeichnendem undBezeichnetem sowie zwischen den Sphren Welt Mensch Sprache unter-scheidet?

    Heidegger betont in diesem Zusammenhang, dass das Zeichen (shmei=on) imSinne des Zeigens, d. h. des entbergend-verbergenden Erscheinenlassens, ver-standen werden muss, in dem sich fr uns immer schon Bedeutung manifestiertund nicht nachtrglich hergestellt wird. Die aristotelische Verwendung des Ter-minus shmei=on versteht Heidegger vomsu/mbolonher. In der hohen Zeit desGriechentums wird das Zeichen aus dem Zeigen erfahren, durch dieses fr esgeprgt. Seit der Zeit des Hellenismus (Stoa) entsteht das Zeichen durch eineFestsetzung als das Instrument fr ein Bezeichnen, wodurch das Vorstellen voneinem Gegenstand auf einen anderen eingestellt und gerichtet wird. (GA 12,

    234)30

    d) Wodurch ist dieser Interpretationsvorschlag bei Heidegger motiviert? Wird denndiese Unterscheidung zwischen einem bedeutungsnackten Zeichen und dem be-deutungshaftensu/mbolonnicht dadurch unterstrichen, dass Aristoteles betont,dass das Wort nicht von Natur aus (o3ti fu/sei, De int., 16 a 27) etwas bedeutet?Jeder Logos ist und darauf weist Aristoteles mit Nachdruck wiederholt hin (Deint., 16 a 19, 16 b 27 und 17 a 1-2) erst bedeutungshaftkata_ sunqh/khn

    nach bereinkunft. Es scheint so, dass Aristoteles in seiner Sprachbetrachtung29 Kretzmann unterscheidet in dieser Hinsicht auch zwischenshmei=on qua natrliches Zeichenoder Symptom und dem auf bereinkunft basierenden Symbol (Norman Kretzmann: Aristotleon Spoken Sound Significant by Conversation, in: John Corcoran (Hg.): Ancient Logic and itsModern Interpretation. Reidel: Dordrecht 1975, 3-21; 7 f., 15 f.) Fr Weidemann bersiehtdiese Interpretation das kontextuelle Umfeld desshmei=on: Wenn Aristoteles an diesen undzahlreichen anderen Stellen von Peri hermeneias das Verb shmai/nein, das Adverbshmantiko/j oder das Substantiv shmei=on in der durch den Ausdruck kata_sunqh/khn zuspezifizierenden Bedeutung gebraucht, in der shmei=on mit su/mbolon gleichbedeutend ist,so ist es hchst unwahrscheinlich, da das Wort shmei=on in dem anfangs zitierten Text desersten Kapitels in der durch den Ausdruck fu/sei (von Natur aus: 16 a 27) zu spezifi-zierenden Bedeutung verwendet wird, wie Kretzmann offenbar annimmt. (Hermann Weide-mann: Anstze zu einer semantischen Theorie bei Aristoteles, in: Zeitschrift fr Semiotik 4(1982), 241-257; 245) 30 Unabhngig von Heidegger vertritt auch der Altphilologe Pohlenz die These, dass die Tren-nung zwischen Zeichen und Bedeutung,fwnh? / und lekto/n, bzw. zwischen dem inneren Wortund dem verlautbarten Wort erst im zweiten Jahrhundert im Zusammenhang mit den Debat-ten ber die Vernnftigkeit der Tiere aufgestellt worden ist (Pohlenz, zit. nach Jochem Hen-ningfeld: Geschichte der Sprachphilosophie. Antike und Mittelalter. Berlin; New York: deGruyter 1994, 105). Die klassische griechische Philosophie bis hin zur alten Stoa kennt folg-

    lich die Ausdifferenzierung der Sprache in materielles Zeichen und geistige Bedeutung nochnicht.

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    auf ein konventionalistisches Sprachverstndnis pocht.31 Doch vielleicht antwor-tet er gar nicht auf die im platonischen DialogKratylos erffnete Alternativevon fu/sij und qe/sij , sondern mchte grundlegender auf die Seinsweise derSprache hinweisen.32 Denn neben der Zurckweisung der natrlichen Affinittzwischen Sprache und Natur lehnt Aristoteles auch ein instrumentalistischesVerstndnis ab: Jedes Wortgefge hat zwar eine Bedeutung nicht nach Arteines Werkzeugs [o1rganon] freilich, sondern, wie schon gesagt, gem einerbereinkunft [kata_ sunqh/khn] [...]. (17 a 1 f.)33 Was heit kata_ sunqh/khn?Das kata_ sunqh/khn kann dahingehend (miss-)verstanden werden, dass derSprache erst durch, also infolge oder aufgrund eines Konventionsakts Bedeutungzugesprochen werden kann. Einem bestimmten Ding wird ein bestimmtessprachliches Zeichen (akustische Verlautbarung oder Schriftzeichen) zugeord-net. Dadurch erhlt das Zeichen diese oder jene Bedeutung. Eine bereinkunft,

    die erst gestiftet werden muss, wrde das Problem aber nur verschieben, da jedeKonvention wiederum Sprache voraussetzt und ohne sie keine bereinkunft zuerzielen ist.34 Aristoteles geht es in dieser Formulierung nicht um den zeitlichen

    31 So scheint dieses fr Zekl ausgemacht zu sein: [E]r [Aristoteles] ergreift eindeutig Parteifr die Konventionstheorie, das ist so klar wie trivial. (Aristoteles: Kategorien. Hermeneutikoder vom sprachlichen Ausdruck (De interpretatione). Griechisch deutsch. Hg., bers., mitEinl. und Anm. versehen von Hans Gnther Zekl. Meiner: Hamburg 1998, XLII)32 Auch Coseriu distanziert sich in seiner Aristoteles-Deutung von einer konventionalistischenInterpretation deskata_sunqh/khnaus zwei Grnden: zum einen verwendet Aristoteles kei-nen der traditionellen Ausdrcke, die ihm sicherlich wohlbekannt waren, wedere1qei nochno/mw|, noch o9mologia| oder cunqh/kh. Da er einen neuen Ausdruck whlt, nmlichkata_ sunqh/khn, deutet darauf hin, da er auch etwas bisher nicht Gesagtes sagen wollte; zum an-dern gebraucht Aristoteles keinen Dativ (sunqh/kh|), was eine kausale Lesart nahe legenwrde, sondern in Verbindung mit demkata_einen Akkusativ. Eine kausale Interpretationwie aufgrund von ist also auszuschlieen. (Eugenio Coseriu: Geschichte der Sprachphilo-sophie. Von den Anfngen bis Rousseau. Neu bearb. und erw. von Jrn Albrecht. Tbingen;Basel: Francke 2003, 75 f.) Nicht zugestimmt werden kann aber Coserius positiver Interpre-tation, daskata_sunqh/khnals geschichtlich-innerzeitliches Datum im Sinne aufgrund histo-rischer berlieferung (ebda., 78) zu deuten; vielmehr muss es in einem ontologischen Sinnals immer schon bereingekommensein verstanden werden.33 Mit Wieland sehe ich eine Distanzierung sowohl gegenber dernatrlichen als auch derkonventionellenRichtigkeit der Sprache. Gegen Wieland wrde ich aber festhalten, dass dieAblehnung der instrumentellen Auffassung mit der Zurckweisung einer herkmmlichenKonventionstheorie gleichzusetzen ist, sodassfu/sei genau nicht der Bestimmung des o1rganon entspricht, sondern dass Aristoteles explizit beide platonischen Extrempositionendes Kratylos zurckweist (vgl. Wolfgang Wieland: Die aristotelische Physik. Untersuchungenber die Grundlegung der Naturwissenschaft und die sprachlichen Bedingungen der Prinzi-pienforschung bei Aristoteles. Gttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1962, 164).34 Eindrucksvoll hat Wittgenstein in denPhilosophischen Untersuchungenauf die Grenzen ei-ner vorsprachlichen, ostentativen Definition hingewiesen: Die Definition der Zahl Zwei Das

    heit zwei wobei man auf zwei Nsse zeigt ist vollkommen exakt. Aber wie kann mandenn die Zwei so definieren? Der, dem man die Definition gibt, wei ja dann nicht, was man

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    Ursprung der Sprache im Sinne einer ontischen Rckfhrung auf den ersten be-deutungsstiftenden Akt. Daskata_ sunqh/khn muss vielmehr als gem einerbereinkunft ins Deutsche bertragen werden, um mit aller Deutlichkeit anzu-zeigen, dass es sich nicht um einen im Nachhinein festgelegten Bedeutungsge-halt handelt, sondern dass wirin der Bedeutungshaftigkeit der Sprache immerschon bereingekommen sind.35 Mit anderen Worten: Sprache und ihre Bedeu-tung sind nicht voneinander ableitbar oder aufeinander rckfhrbar, sonderngleichursprnglich. Es geht nicht um den historischen Ursprung der Sprache imSinne eines ersten bedeutungsstiftenden Akts, sondern um ihre immer schon ge-gebene Sinnhaftigkeit, ber die wir uns nicht erst einigen mssen. Das berein-kommen in der Sprache besteht darin, dass wir berhaupt einander verstehenknnen, wenn wir im Miteinandersprechen etwas verlautbaren. Die Sprache istkein menschliches Machwerk der bereinkunft, sondern die Mglichkeit des

    bereinkommenknnens zwischen Menschen. Auch wenn wir ber dies oder jenes inhaltlich nicht bereinstimmen sollten, knnen wir das nur vor dem Hin-tergrund des vorgelagerten und nicht hintergehbaren bzw. vergegenstndlichba-ren bereingekommenseins; zustimmen oder streiten knnen wir uns ber die-sen oder jenen Sachverhalt, doch dies passiert immer schon innerhalb der

    mit zwei benennen will; er wird annehmen, da du diese Gruppe von Nssen zwei nennst!Er kann dies annehmen; vielleicht aber auch, umgekehrt, wenn ich dieser Gruppe von Nsseneinen Namen beilegen will, ihn als Zahlennamen miverstehen. Und ebensogut, wenn ich ei-nen Personennamen hinweisend erklre, diesen als Farbnamen, als Bezeichnung der Rasse, jaals Namen einer Himmelsrichtung auffassen. Das heit, die hinweisende Definition kann in jedem Fall so oder anders gedeutet werden. (Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersu-chungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp111997, 28)35 Festgehalten soll auch werden, dass Heidegger daskata_sunqh/khnzwar mit aufgrund ei-ner Vereinbarung bersetzt (GA 29/30, 447), sich aber inhaltlich von einem ersturschlichenStiftungsakt distanziert.Wieland weist darauf hin, dass der Terminussunqh/kh aus dem juristischen Kontext stammt.Die gesuchte bereinkunft garantiert nach griechischem Verstndnis ein schriftlich fixierterVertrag. Die Schriftlichkeit spielte auch bei der Sprachauffassung der Griechen eine entschei-dende Rolle, denn die menschliche Sprache ist im Gegensatz zu den Lauten der Tiere dadurchausgezeichnet, dass sie prinzipiell verschriftlicht werden kann: Da daskata_sunqh/khnbeiAristoteles auch auf eine mgliche Schriftlichkeit verweist, wird besonders im Kommentardes Ammonius zude interpretatione [...] herausgearbeitet. Was die stimmliche Verlautbarungzur Sprache qualifiziert, ist nach Ammonius die Tatsache, da sie aufgeschrieben werdenkann [...]. Erst hierin zeigt sich also die Struktur der bereinkunft. Nur auf diese Mglichkeitkommt es an: es ist fr jede echte bereinkunft wesentlich, da man auf sie immer wieder zu-rckkommen kann. (Wolfgang Wieland: Die aristotelische Physik. Untersuchungen ber dieGrundlegung der Naturwissenschaft und die sprachlichen Bedingungen der Prinzipienfor-schung bei Aristoteles. Gttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1962, 169) Hier lsst sichschon die bei den Griechen angelegte Ambiguitt festhalten: Auf der einen Seite wird dieSprache von der schriftlichen Fixierung als sicherer Bestand aufgefasst, was Heidegger immer

    wieder kritisiert, auf der anderen Seite wird aber das nicht ersturschlich gestiftete Zurck-kommen auf eine bereinkunft betont.

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    sprachlichen Strukturen, in denen wir uns miteinander verstndigen und die so-mit stets schon vorausgesetzt werden mssen. Von dieser fundamentalen undnicht weiter rckfhrbaren bereinkunft spricht Aristoteles, wie Heideggernachdrcklich hervorhebt: Die Worte erwachsen aus jenerwesenhaften ber-einkunft der Menschen miteinander, gem deren siein ihrem Miteinanderseinoffen sind fr das sie umgebende Seiende, worber sie im einzelnen berein-stimmen und d. h. zugleich nicht bereinstimmen knnen. Nur auf dem Grundedieses ursprnglichen wesenhaften bereinkommens ist die Rede in ihrer We-sensfunktion, demshmai/nein, dem Zu-verstehen-geben von Verstndlichem,mglich. (GA 29/30, 447 f.)

    Die Sprache ist so verstanden nicht an die akustische Verlautbarung oder dieschriftliche Fixierung gebunden; Sprechen alssinnvolles Artikulieren ist erstvon diesem bereingekommensein her mglich.36 Die Sprache wird somit nicht

    als menschliches Produkt interpretiert, sondern in ihrer ganzen Weite verstan-den: Im Offensein fr Seiendes ist der Mensch in sprachliche Strukturen einge-lassen: Was Aristoteles ganz dunkel und ganz von ungefhr und ohne jede Ex-plikation mit einem genialen Blick unter dem Titelsu/mbolonsieht, ist nichtsanderes, als was wir heute dieTranszendenznennen. Es gibt Sprache nur bei ei-nem Seienden, das seinem Wesen nachtranszendiert. (GA 29/30, 447)

    Transzendenz bedeutet in diesem Zusammenhang nicht einen Rekurs auf eineauerweltliche Jenseitigkeit, sondern weist auf die nicht abschliebare Offenheitder Immanenz hin. Eine Offenheit, die der Mensch nicht bewerkstelligt, sondern

    die uns vorgegeben ist, sodass der Mensch und nur er sie auszustehen undsie zu vollziehen vermag. Aufgrund seines Sprachvermgenskann er in der ge-nuin menschlichen Seinsweise diesem Anspruch des Seins qua Offenheit unddamit dem Gelichtetsein von Seiendem entsprechen. Diese Erffnung des Seinsund die Antwort des Menschen ereignet sich als Sprache.

    SchlussbemerkungAngestoen durch die mehrfachen Bezugnahmen Heideggers auf den Einlei-tungspassus in AristotelesPeri Hermeneias, die nicht nur mit einer Stimmesprechen, sondern unterschiedliche Brechungen aufweisen, wurde eine Relek-tre des klassischen Textes fr die abendlndische Sprachauffassung mit (aberauch ein Stck weit gegen) Heidegger unternommen. Was konnte nun ber denUmweg von Heideggers Auslegung der aristotelischen Schrift fr die Interpre-tation des Phnomens Sprache gewonnen werden? Mit Hilfe einer Nach-besichtigung der zentralen aristotelischen Termini wiesu/mbolon, o(moiw/mata,yuxh/, kata_sunqh/khn musste die in diversen Auslegungen vertretene Theseeines kausalen Abbildverhltnisses zwischen den getrennten Bereichen Welt

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    Aus dem je schon Eingelassensein in eine Sprachgemeinschaft wre auch noch einmal dasMitsein zu berdenken.

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    Bewusstsein Sprache als unhaltbar zurckgewiesen werden. Es gibt keine frsich seiende objektive Realitt der Auenwelt, die nachtrglich in die Innen-sphre eines Subjekts verlagert wird, um dann eventuell diese intelligiblenProdukte in materielle Hlsen sei es nun die akustische Verlautbarung oderdas schriftliche Zeichen zu verpacken. Vielmehr mssen diese Bereiche auseinem Geschehen her verstanden werden, in dem sich das je schon bereinge-kommensein zeigt. Dieses Eingelassensein in ein ontologisches Geschehnismanifestiert sich in der Sprache. Die Sprachfhigkeit ist nach Aristoteles auchdas, was das Menschsein des Menschen auszeichnet. Er und nur er istzw= |onlo/gon e1xon (vgl. Pol. 1253 a).

    Nihil sub sole novum? Nichts Neues also bei Heidegger? Mit Heidegger kn-nen wir nicht nur Aristoteles neu und vielleicht fruchtbarer lesen. Er schenktdarber hinaus dem, wie Sprache als Sprache waltet, insbesondere in seinem

    Sptwerk grte Aufmerksamkeit. Der Anspruch des Lichtungsgeschehens, derden Menschen allererst Mensch sein lsst,ist Sprache. Damit ergibt sich nichtnur ein neues Verstndnis von Sprache, die nie mehr blo als akustische Ver-lautbarung oder als sonstiger ontifizierbarer Bereich fassbar ist, sondern es kn-digt sich auch ein vollkommen neues Selbstverstndnis des Menschen an. Nichter verfgt als subiectum ber Sprache, sondern er verdankt sich diesem Zu-spruch in seinem Entsprechen.37 Dieser Zuspruch wird jedoch laut Heideggerzumeist zugunsten dessen, was sich in diesem Geschehnis lichtet, vergessen; erentzieht sich, indem wir immer schon bei der beredeten Sache, nicht mehr je-

    doch bei der Sprache als die (erffnende) Zeige sind (vgl. GA 12, 245 ff.). ImGegensatz zur gesamten abendlndischen Tradition mchte er gerade auf diesenEntzug als Entzug, d. h. lichtend-verbergenden Zuspruch, der Sprache weisen,um die Mglichkeit fr ein ganz anderes Denken zu erffnen: Die Besinnungauf die Sprache gilt hier als ein entscheidender Weg zum Einsprung in das ganzandere, nmlich seynsgeschichtliche Denken. (GA 85, 5)

    37 Heidegger entwirft hier keine fatalistische Konzeption des Subjekts, sondern versucht dasMenschsein von einer nachtrglichen Responsivitt, deren Antwortenmssen nicht zu umge-hen ist, her zu denken: Der Satz Die Sprache spricht [] ist nur halb gedacht, solange derfolgende Sachverhalt bersehen wird: Um auf ihre Weise zu sprechen, braucht, d. h. bentigt

    die Sprache das menschliche Sprechen, das seinerseits gebraucht, d. h. verwendet ist fr dieSprache in der Weise des Entsprechens []. (GA 75, 201)