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VII.

Aus der inneren Abteilung des st/idt. Krankenhauses zu Wiesbaden, Oberarzt: Prof. Dr, W e i n t r a a d .

Beitrag zur Kenntnis tier Urobilinurie. Von

Dr. med. ~ ' r a n z S e h m i d t .

Gegenwiirtig wird allgemein die enterogene Entstehung dee Urobilins angenommen. Man wei% dal~ das Bilirubin der Galle dureh Bakterienwirkung in den tieferen Darmabsehnitten zu Uro- bilin reduziert wird, und da[~ dae so entstandene Urobilin, soweit es znr Resorption gelangt, in bestimmten Fifllen ale solehes oder als Urobilinogen, im Urin ausgesehieden wird.

Auf die Frage~ warum trotz der regelmiil~igen Anwesenheit yon reiehliehen Urobilinmengen im Dal'me die Urobilinurie keine kon- stante Erseheinung ist, fehlt noeh eine absehlieSende Antwort.

Die Ursaebe k6nnte im Dart0 g'elegea sein 7 sei es, dM~ die Resorptionsverh/iltnisse daselbst weehselnde sind, sei es, dab der Darmwand normMerweise die F~higkeit eige~ let, das resorbierte Urobilin zu zerstSren und dab ihr in gewissen pathologisehen F~tllen diese Eigensebaft verloren geht.

Die kliaieehen Beobaehtungen weisen mehr darauf bin, dal,i StSrungen der L e b e r funktion bei der Urobilinurie eine Rolle epielen: Urobilin finder eieb im Ham namenttieb bei soleben Krankheiten, bei denen die Leber unraittelbar oder mittelbar betroffen ist, und sei es aueh nur, dal% wie im Fieber, dureh den vermehrten Unter- gang toter Blutk6rperehen an eine bedeutsame Leberfunktion, die Gallenfarbstoffbereitung, besonders groSe Anfordernngen geetellt werden.

Fi~r die Annahme fl-anzSsiseber Autoren, dab iu solehen 1~llen die ineuffiziente Leberzelle Urobilin an Stelle yon Bilirubin bilde, stehen die Beweise aus.~) Da aber bekannt ist, dab yon dem aue

t) Die ausschlief]lich enterogene Natur des Urobilins ist u. a. durch Ar- beiten yon F i s c h l e r in Frage gestellt worden; in seiner letzten Mitteilung

Beitrag zur Kenntnis der Urobilinurie. 131

dem Darmkanal resorbierten Urobilin immer kleine Mengca in der Galle wieder erscheinen, w/~hrend nach experimentellen Untel'sueh- ungen tier Leber in weitem Umfange die F~higkeit innewohnt, im Blutstrom ihr zugeftihrtes Urobilin in Gallenfarbstoff zm'Uckzuver- wandeln, so w~re in den F/tllea yon Urobilinurie eine Leberiu- suffizienz auch in dem Siune denkbar, dal~ diese Zuriiekverwandelung des aus dem Darmkaual resorbierten Urobilins ausbleibt, und so dureh Vermittelung der Galle Urobilin in gr56erer Menge neben Bilirubin~ in die oberen Darmabschnitte "gelangt, aus welcben es nach den Untersuchangeu von Ladage - - viet leiehter reso~'biert und in den Urin Ubergeft~hrt wird.

Diese ErklarungsmSgliehkeit, die W e i n t rau d in seiner Bearbei- tung der StoffweehselstSrungeu bei Leberkrankheiten in v. hToordeus I-Iandbueh derStoffweehselpathologie neuerdings vorgetrageu hat, kanrt aber jedenfalls eine allgemeine Giltigkeit beanspruehen. In einer yon W e i n t r a u d selbst gemaehten (noch nieht publizierten) Beobaehtung liel~ sieh bei starker Urobilinurie in dem massenbaftea galligen Er- broeheneu kein Urobilirt naehweisen. Die Galle war hier also frei yon Urobilia, und trotzdem erschien solches reiehlieh im Urin.

Damit ist yon neuem die Aufforderung gegeben, die die Uro- bilinurie auslSsenden Momente bei Annahme einer Entstebung des ttarnurobilins im Darmkanal zu studieren.

Die Tatsachen, auf die sich die Annahme der enterogenen Eat- stehung des l:Iarnurobilins st~itzt uud deren Kenntnis wit im wesent- lichen den Untersuehungen Friedrieh Mi i l l e r s verdanken, sind fol- gende: Bei vollst~udigem Gallengangsversohlul~ versehwindet alas Urobilin g~tnzlich aus dem Kot and auch aus dem Harn, and es erscheint at~ beiden Stellen wieder, sobatd dutch Verftitterung wieder Galle in den Darmkanal getangt ist. Ebenso sinkt es im Hunger bei verminderter Galleubereitung im Kot und Urin ab and nimmt bei reiehlieher Gallenfarbstoffproduktion (BlutkSrperehenzer- fall) oder bei reichliehem ~bertritt yon Galle in den Darm (aaeh LSsung eines bestaudenert Gallengangsversehlusses) betraohtlich zu. Der Urin und Kot yon Neugeborenen ist ur0bilinfi'ei.

Angesiehts dieser Abh~ngigkeit der Urobilinurie vom Sterkobilin im Darmkanal durfte man erwarten, daft eine chronisehe Urobili- nurie zum Schwinden gebraeht werden kSnnte dureh Mitt@ welche die Reduktion des Bilirubins im Darme hernmen. Ein solehes MitteI

(I-/oppe-Sylers Zeitschrift far physiol. Chemie. Bd. XLVIH. S. 419--24) gelangt er indessen zu ahnlichen Anschauungen, wie die bier angeffihrten.

9*

:[32 V]l SC~DT

T a b e l l e 1.

Vortage

3 real 0,2 Calomel

Naehtage

1

3

8

9

Urinmenge i

1600

1250

1500

800

680

1400

2250

Urobilin in

l~roz.

0.01007

0.01539

0.009884

0.004435

0,014646

0.006156

0.008186

Tagesmenge

des

Urobilins

0.16112

0.19257

0.14826

0.~50 t75

0.02548

0.0995928

0.086184

Urobilin der F~ces in

den elnzelnea Ferloden

0,126

0.126

0.158

J 0.2218 0158

0.1841625

0.066

II

12

1080

1560

i0~0

1340

1340

0,001924

.002095

0006224

0.001095

0.009090

I

i'

0,0207792

0.0328915

0.2383 0.066

0,06224 ]

0.014673 0.104

0.133856

0.21077 0.10~

Beitrag zur Kenntnis der Urobilinurie. 133

T a b e l l e I I

Vortage

3 real 0,2 Calomel

Urinmenge

( 4 I

6

Nachiage / 1~ l l

12

1 1100

2 1800

3 850

4 1500

900

2000

2150

1150

800

1250

1550

1700

1600

Urobilin in

Proz.

0.005785

0.007864

0.004291

0.009102

0.005763

0.008622

0.009174

0.004555

0.002423

0.002652

0.004863

0.004692

0.006942

Tagesmenge

des

Urobilins

0.063685

0.141552

0.0364753

0.t36530

0.37824

0.051867

0.172440

0.197241

Urobilin der Fi~ces in

den einzelnea Perioden

t 0.088

I

0.088

0.089

0.4215 0.089

0.0523825

0.01938]0

0.0331375

Ioo7 0.1049 0.027

0.0752765

0.0797640

0.1110720

0.039 / 0.2601 0.039

134 VII. Sc~mD~

ist das Calomel, nach dessen Verabreiehung bekanntlieh grtine urobilinarme Faces entleert werdea.

Auf Anregung yon Herrn P ro f . .We in t r aud stellte ieh deshalb die folgenden Versuehe an, bei welehen dureh quantitative Uro- bilinbestimmungen im Ham und Kot die Abhi~ngigkeit der Uro- bilinurie yon dem Sterkobilingehalt kontrolliert wurde.

Die Versaehe warden in der Weise ansgeftihrt, dal~ der Calomel- verabreiehung 3 bis 4 Vortage voranfg'ingen und 6 Naehtage folgten. Das Calomel wurde wN~rend dreier Tage zu tgl. 3real 0,2 verabfolgt, gleiehzeitige Opiummedikation hemmte, wenn nStig, die stSrendeNeben- wirkung auf die Peristaltik. Zur Analyse benutzte ieh die yon }I4hu angegebene 5lethodik, welehe aueh D. G e r h a r d , s in seiner Arbeit ~,Uber Hydrobilirubin und seine Beziehung'en zum Ieterus" (Diss. Berlin I889) verwertet hat. Der Gang" der Analyse ist kurz folgender: Ausfiillen der stSrenden Farbstoffe (in Urin oder Kot) dureh Barytmisehung, Filtration, Entfernung' des iibersehtissigen Baryts dureh Zusatz gesltttigter Glaubersalzl6sung, noehmaliges Filtrieren; in dem Filtrate wird das Urobilin naeh Ans~uern mit Sehwefelsiiure dutch S~tttigung mit Ammonsulfat gefiillt, auf einem kleinen Filter g'esammelt und in Alkohol gelSst. Die Konzentration dieses alkohol. Extraktes wird dureh spektrophotometr. Untersuehung ermittelt. Bentitzt wurde ein Vierordtsehes doppelspalt. Spektro- photometer, das uns freundlieher Weise yon Herrn Prof. H e n r i e h zur Verffigung" gestellt war.

Ieh setze die Ergebnisse zweier Versuehe die an Lebereirrho- tikern angestellt warden, tabellariseh geordnet auf Seite 132/33.

Die Tabellen lassen zunitehst erkennen, da[5 die beabsiehtigte und wesentliehe Versuehsbedingung, die tferabsetzung des Urobilin- gehaltes der Fitees, in den Calomeltagen selbs~ aberhaupt niebt er- reieht worden war. Im ersten Versueh enthalten die F~ees w~hrend der Versuehsperiode sogar eine wesentlieh grSl~ere Menge yon Uro- bilin als in den Vortagen. Dagegen tritt iibereinstimmend in den F~ees tier Naehperiode eine deutliehe Verminderung der Urobilin- ausseheidung hervor; sie erstreekt sieh in dem ersten Versueh auf die drei ersten Naehtage, im zweiten ist sie in den drei weiteren Naehtagen fast noeh ebenso stark zu erkennen. Der eigentliehe Zweek der Calomeldarreiehung, ganz urobilinarme Stuhlentleerungen zu erzielen, war abet nie eingetreten; dementspreehend wurden wi~hrend des Versuehes aueh nie ganz griine Stuhle entleert.9

1) Bei einem Pat. mit Bleikolik wurde die sehr betr~chfliche Urobilinurie

Beitrag zur Kenntnis der Urobilinurie. 135

Die t~gliche Urobilinausscheidung im Urin zeigt sowohl in den Vortagen wie naeh Eintritt in den eigentlichen Versueh groBe Sehwankungen.

Man zieht deshalb zur Beurteilung besser die Urobilinaus- scheidung der einzelnen Periden and nieht diejenige der einzelnen Tage heran.

Es ergibt sich dann insofern eine deutliehe Proportionalit~t zwischen Urobilinaussoheidung im Urin und F~ees, als in den beiden Versuchsreihen w~hrend der Naehperioden entspreehend dem ver- minderten Urobilingehalt der F~ces ~uch die Urobilinausseheidung im Urin geringer ist. Namentlieh im Versuch II tritt ein Parallelis- mus deutlich hervor.

Die grofien Schwankungen in den Tagesausseheidungen des Harnurobilins sind jedenfalls dureh die Sehwankungen der Itarn- menge mitbeding~. Wenn die Urinmenge stark ansteigt~ sinkt der prozentisehe Gehalt des Harns an Urobilin verh~ltnism~l~ig nur wenig ~b; deshalb folgen den Tagen mit grol~er Diurese und reieh- licher Urobilinausseheidung meist nur so]ehe mit geringem pro- zentualen Urobilingehalt des Urins.

Das zeigt auch ein Versuch, in dem lediglieh dureh vermehrte Fltissigkeitsznfuhr die Harnmenge gesteigert worden war. In der Versuehsperiode steigt mit der Wasserausscheidnng die ausgeschie- dene Menge des Hzrnurobilins auf mehr als das Doppelte an.

(Siehe TabelIe III Seite 136.)

Die Deutnng der Versuehsergebnisse ist dadureh nat~irlich er- schwert. Auger dem einen wesentliehen Faktor, der durch die C~lomeldarreichung allein ver~ndert werden sollte, dem Urobilin- gehalt der F~ces, spielt als Calomelwirkung ein zweites Moment~ die weehselnde Wasserauss~heidung, mit hinein. Sie verursacht an den Tagen mit reichlicher Diurese eiffe Urobilinaussehwemmung und damit eine Urobilinverarmung des KSrpers~ der mSgiicherweise eine Retention folgt.

Aul~erdem miissen aber noeh ganz andere Einfitisse der Calomel- darreichung in Erwagung gezogen werden.

Die vermehrte Urobilinausseheidung in den F~tees der Calomel- periode (ira Versneh I) die znstande kam, ohne dab Durehf~tlle eine stErkere Ausranmung des Darmes herbeigeftihrt hatten~ kSnnte

schon w&hrend der Calomelverabreichung f~st ganz zum Schwinden gebracht; leider konnten in diesem Falle keine quantitativen Bestimmungen vorgenommen werden.

136 VII. SCIIMIDT

T a b e l l e I I I .

Vortage

Vermehrte Fllissigkeitszufuhr (ca. 3 1 pro die)

~achtage

Urobilin in Urinmenge Proz.

l:

2100

1550

1800

3800

2050

1800

2500

2100

0.002150

0.002412

0.003041

0.002704

0.005842

0.004554

0.002054

0.08632

Tagesmenge des

Urobilins

0.045150

0.037386

0.054~38

0.137

0.102752

0.109761

0.082512

0.295

0.050810

0.18~272

darauf hinweisen~ dag als Calomelwirkung Steigerunff der Galten- sekretion mit vermehrtem Ubertritt yon Gallenfarbstoff in den Darm stattgefunden hat. Bevor die reduktionshemmende Wirkung des Calomels im Darmkanal zustande kam, die eine Verminderun~ des Harnurobilins bewirken mubte, konnte eine eholagoge Wirkung des Calomels eine f)bersehwemmung des Darmkanals mit Gallenfarbstoff herbeiftihren, die auf das Harnurobilin einen entgegengesetzten Ei~- fluil austiben mubte.

Dem entsprieht aber nieht, dab ia dem ersten Versueh, wo die Calomelperiode vermehrten Farbsr der Fiiees aufweist, das l~arnurobilin gegentiber den Vortagen sehon wesenflieh vermindert ist, und daft im zweiten Versueh, wo die Farbstoffauseheidung in den Faces nieht beriihrt ist, dutch die Calomeldarreiehung', eine Steig'e- rung der Harnurobilinausseheidung (infolge der Diurese?) beobaehtet wurde.

Mehr als eine eholagoge Wirkung des verabreiehten Ca!omel, die naeh den Versuehen yon P i n e t und Prevos t aueh wenig wahr- seheinlieh ist, und aueh mehr als eine einseitig vermehrende Wit-

Beitrag zur Kenntnis der Urobilinurie. 18~

kung auf den Gallenfarbstoffgehalt der sezernierten Galle (Pleio- chromie infolge ~ermehrten BlutkSrperchenzerfalls) verdient abet noeh ein weiterer, fl-eilieh hypothetischer Einflu~ des Calomels auf die Leber erSrtert zu werden, der sich darin ~ul~ern kSnnte, dal~ dureh Calomel die herabgesetzte funktionelle Leistung der kranken Leberzelle gebessert wird, eine Anschauung, zu der auch O. Re sen- b~oh auf Grund kliniseher Erfahrungen gelangt ist.~) Mag die in- suffiziente Leberzelle wirklich, wie die franzSsisehen Autoren an- nehmen, Urobilin an Stelle yon Bilirubin bilden, oder mag sie nur in ihrer F~higkeit, Urobilin in Bilirubin zurfiekzuverwtmdeln, be- eintr/~ehtigt sein, jede vom Calomel angeregte Steigerung der nor- malen funktionellen Leistung wfirde eine Verminderung des aus der Leber austretenden Urobilins zur Folge haben. De1" Kre~slauf des- selben, der beim Zustandekommen der Urobilinurie wahrseheinlich eine Rolle spielt, w~re dadurch nntelbrochen. Damit w~re aueh ftir die Nachhaltigkeit des Einflusses der Calomelwirkung, die in beiden Versuehen zu Tage trat und die sieh welt fiber die Zei~ der Calomelverabreiebung erstreekte, eine Erkl~rung gefunden.

Bei tier Kompliziertheit der dargelegten Verh~ltnisse ist dutch die Calomelverabreichtmg in tier ang'egeben Versuehsanordnung eine Kl~rung nieht zu erzielen gewesen; ich mul~te leider aus ~ul~eren Grfinden yon ferneren Versuehen in dieser Riehtung" Abstand nehmen; weitere Untersuehungen sind im Laboratorium des Herrn Prof. W e i n t r a n d im Gange.

1) O. tLosen b a c h ,,Uber die Behandlung derLLeberaffektionen mit Queck- silber usw." Therapie der Gegenwart, M~rz 1903 und ,,Quecksilber als Heilmittel bei gewissen Formen tier Lebererkrankungen% Therap. d. Gegenwart. Juni 1904.