Beznau: Welche Sicherheitsdefizite verletzen
zwingende Mindestvorschriften
Beznau-Hearing· 24.6.2014 · Markus Kühni · Dipl. Ing. ETH · energisch.ch
Überblick: Nukleare Sicherheit
WAS? Schutz für Bevölkerung/Umwelt
WANN? Bewilligungs-/Aufsichtspraxis
WIE? Methoden der Überprüfung
SONST? Ausserbetriebnahme, Nachrüstung, Nichterteilung / Entzug Bewilligung Heute nicht Thema
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Schutz Bevölkerung/Umwelt
• Strahlenschutzgesetzgebung
• Schutz Bevölkerung vor zu hoher Strahlendosis
• Schutzziele bestimmen Störfallvorsorge
• Kein Schutz der Umwelt an und für sich
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Schutz Bevölkerung: Fukushima
• Inwiefern ist die Bevölkerung bedroht?
• Zum Vergleich: Fukushima
© Air Photo Service Co. Ltd., Japan 4
Schutz Bevölkerung: Fukushima
• 30-Kilometer Zone und zusätzliche Gebiete weitgehend rechtzeitig evakuiert
• 30-Kilometer Zone: ca. 150’000 Personen, keine grossen Zentren
• Karten zeigen nur Freisetzungen an Land, Warum?
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Schutz Bevölkerung: Fukushima
• Der über-wiegende Teil radioaktiver Stoffe ging aufs Meer nieder
• Vgl. Schweiz!
Quelle: A. Stohl et al. 2011, (spezieller Ausschnitt)
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Schutz Bevölkerung: Beznau
8
Bevölkerung: Gesundheit, Lebensgrundlagen, Durchführbarkeit Evakuation von Zentren Quelle: Ständige Wohnbevölkerung, Bundesamt für Statistik BFS, 2009
30 Kilometer
50 Kilometer
Schutz Bevölkerung: Beznau
30-Kilometer Zone:
• Über 1 Million Einwohner / Grossraum Zürich
• Über 2.2 Millionen Arbeitsplätze (nur CH)
50-Kilometer Zone:
• Über 3 Millionen Einwohner
• Über 4.7 Millionen Arbeitsplätze (nur CH)
• Ein Drittel der Schweiz
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Quellen: Ständige Wohnbevölkerung, Arbeitsstätten und Beschäftigte; Bundesamt für Statistik BFS, 2008, 2009.
Center for International Earth Science Information Network (CIESIN), Columbia University; International Food Policy Research Institute (IFPRI); the World Bank; and Centro Internacional de Agricultura Tropical
(CIAT). 2011. Global Rural-Urban Mapping Project, Version 1 (GRUMPv1): Population Density Grid. Palisades, NY: Socioeconomic Data and Applications Center (SEDAC), Columbia University. Available at
http://sedac.ciesin.columbia.edu/data/dataset/grump-v1-population-density (accessed 14.4.2011)
Schutz Bevölkerung: Beznau
• In anderen Ländern hätten AKW so nah an Bevölkerungszentren gar nicht gebaut werden dürfen
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Quelle: Roland Naegelin, Direktor Atomaufsicht 1980-1995, «Geschichte der Sicherheitsaufsicht über die schweizerischen Kernanlagen
1960-2003», 2007, Seite 136
Schutz Bevölkerung: Beznau
«Anrecht auf Schutz im Notfall»?
• Nicht erfüllt!
• Es darf einfach nichts passieren!
• Schutzniveau anderer Länder nicht übertragbar
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Überblick: Nukleare Sicherheit
WAS? Schutz für Bevölkerung/Umwelt
WANN? Bewilligungs-/Aufsichtspraxis
WIE? Methoden der Überprüfung
SONST? Ausserbetriebnahme, Nachrüstung
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Bewilligungs-/Aufsichtspraxis
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Bewilligungspraxis Befristete Bewilligung Unbefristete Bewilligung Beispiele Länder USA, Grossbritannien, Canada,
Finnland
CH, Frankreich, Spanien, Schweden
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Voraussetzung Bewilligung Umfassende
Sicherheitsüberprüfung
Umfassende
Sicherheitsüberprüfung
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Sicherheitsüberprüfung Periodisch, nach Ereignissen Periodisch, nach Ereignissen
Gefährdungsannahmen
(Erdbebenstärke, etc.)
Bewilligungsgrundlagen Laufend an neue Erkenntnisse
angepasst [Art. 13 SR 732.112.2]
Sicherheitsmarge gering Nachrüstung bei
Verhältnismässigkeit
Nachrüstung bei
Verhältnismässigkeit
Mindestanforderung
nicht erreicht
Nachrüstung bei
Verhältnismässigkeit
Entzug Bewilligung [Art. 67 SR 732.1]
Ausserbetriebnahme [Art. 3 SR 732.114.5]
Besitzstandsschutz Umfassend Begrenzt
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Besitzstandsschutz Keinerlei Besitzstandsschutz
Investitionen an Befristung
ausgerichtet
Verlängerung: Neue umfassende
Überprüfung nach neuen Regeln
und Gefährdungsannahmen
erforderlich
Kein «nachher»,
Besitzstandsschutz unbefristet
Schadenersatzanspruch bei
«politischer» Begrenzung auch bei
längst amortisierten Anlagen
Alle Angaben Theorie. In der Praxis werden
teilweise vermischte und relativierte Modelle
angewendet (je nach Land).
Siehe auch: ENSI,
«Laufzeit Schweizer Kernkraftwerke: Die
Sicherheit ist entscheidend, nicht das
Alter», 16. Februar 2012
Bewilligungs-/Aufsichtspraxis
Darstellung ENSI:
Folie Referat Dr. Hans Wanner,
Direktor ENSI
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Bewilligungs-/Aufsichtspraxis So macht es Sinn:
Graue ist Linie «weich», federt Nachrüstforderungen ab, Umsetzung bei Weiterbetrieb.
In diesem Bereich: «Stand der Wissen-schaft und Technik» nur soweit verhältnis-mässig und «üblich» (=Stand der Nachrüst-technik, NRT)
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Aber irgendwo muss Schluss sein mit «weich»…
Bewilligungs-/Aufsichtspraxis So macht es Sinn:
Die rote Linie muss eine «harte Linie» sein: das absolute Sicherheitsminimum.
Wird dieses unter-schritten, muss unver-züglich abgeschaltet werden.
Ist die Behebung des Mangels zu teuer, wird das AKW stillgelegt.
Keine Investition/Nachrüstung
Ausserbetriebnahme Die unbefristete Bewilligung hat ihr Ende genau hier:
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Überblick: Nukleare Sicherheit
WAS? Schutz für Bevölkerung/Umwelt
WANN? Bewilligungs-/Aufsichtspraxis
WIE? Methoden der Überprüfung
SONST? Ausserbetriebnahme, Nachrüstung
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Methoden der Überprüfung
• Die zwei «Linien» im Gesetz:
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Überblick: Nukleare Sicherheit
WAS? Schutz für Bevölkerung/Umwelt
WANN? Bewilligungs-/Aufsichtspraxis
WIE? Methoden der Überprüfung
SONST? Ausserbetriebnahme, Nachrüstung
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Überprüfung Nachrüstpflicht
• Die «graue Linie» im Gesetz:
• Prognose Häufigkeit Kernschmelze bestimmt Nachrüstpflicht
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Überblick: Nukleare Sicherheit
WAS? Schutz für Bevölkerung/Umwelt
WANN? Bewilligungs-/Aufsichtspraxis
WIE? Methoden der Überprüfung
SONST? Ausserbetriebnahme, Nachrüstung
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Überprüfung der Auslegung
• Die «rote Linie» im Gesetz:
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Überprüfung der Auslegung
• «Überprüfung der Auslegung»?
• Nachweisführung nach dem Konzept der «gestaffelten Sicherheitsvorsorge»
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Überprüfung der Auslegung
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• «Gestaffelte Sicherheitsvorsorge»?
• Ein uraltes Konzept
Castelgrande, Bellinzona, 13. bis 15. Jahrhundert Foto: © Wikimedia Commons
Überprüfung der Auslegung
• Dimensionierung der Sicherheitssysteme = Auslegung
• Überprüfung der Auslegung = Überprüfung «rote Linie»
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Qualifizierte Sicherheitssysteme
interner Notfallschutz (mobile Ausrüstung, etc.)
externer Notfallschutz (Evakuation, etc.)
Gefährdungsannahme (z.B. Stärke Erdbeben)
Ganzer Vortrag zum Thema auf
energisch.ch
Konzept der «gestaffelten Sicherheitsvorsorge»:
Weitere Ebenen: nicht im «Rahmen der Auslegung»
Überprüfung der Auslegung
• Methode zur Überprüfung der Auslegung:
• Deterministische Störfallanalyse
• Klare, feste «Spielregeln»: Methodik, Randbedingungen, Auslegungsgrundsätze (Einzelfehlerprinzip, etc.)
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Qualifizierte Sicherheitssysteme
Gefährdungsannahme (z.B. Stärke Erdbeben)
Deterministische Störfallanalyse
Überprüfung der Auslegung
• Falls Sicherheits-Kriterien nicht eingehalten:
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Überblick: Nukleare Sicherheit
WAS? Schutz für Bevölkerung/Umwelt
WANN? Bewilligungs-/Aufsichtspraxis
WIE? Methoden der Überprüfung
(nach den Methoden der Vollzug)
SONST? Ausserbetriebnahme, Nachrüstung
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Nachrüstungen: Beznau
• Das AKW Beznau nennt Nachrüstkosten an erster Stelle als «Beleg» für seine Sicherheit
• Frage: wo steht Beznau wirklich?
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Nachrüstungen: Beznau
Zur Erinnerung:
• Prognose Häufigkeit Kernschmelze bestimmt Nachrüstpflicht
• Wie sieht es bei Beznau aus?
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Nachrüstungen: Beznau
• Zwanzig Jahre lang war Beznau extrem unsicher
• Analyse 1986: Risiko Kernschmelze 180-fach ggü. «grauen Linie»!
• Risiko Kernschmelze über die Zeit bei mind. 1:30 je Block
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Quellen: Roland Naegelin, Direktor der HSK (heute ENSI) 1980 bis 1995 in “Geschichte der Sicherheitsaufsicht über die schweizerischen Kernanlagen 1960 – 2003″; Tabelle 6.5-3: Kernschadenshäufigkeiten CDF für das KKW Beznau, S. 321; ENSI Sicherheitstechnische Stellungnahme zum Langzeitbetrieb des Kernkraftwerks Beznau, Block 1 und 2, Seite 42. Noch nicht berücksichtigt sind noch höhere Risiken vor TMI-Nachrüstungen, neue Erdbebengefährdung (PEGASOS).
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Beznau Nachrüstungen
• Nachrüstungen waren (und sind) in keinster Weise «Luxus», sondern dringend geschuldet!
• Auch nach allen (teuren) Nachrüstung wird die «graue Linie» heute nicht erreicht
• Sowohl Kernschmelzrisiko als auch Freisetzungsrisiko zu hoch
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Überblick: Nukleare Sicherheit
WAS? Schutz für Bevölkerung/Umwelt
WANN? Bewilligungs-/Aufsichtspraxis
WIE? Methoden der Überprüfung
SONST? Ausserbetriebnahme, Nachrüstung
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«Für die Nuklearaufsicht gibt es
keinen politischen Ermessensspielraum.»
Ausserbetriebnahme: Theorie
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Ausserbetriebnahme: Theorie
• Beim Vortrag war die Aussage des ENSI-Direktors klar:
• «Wenn die Sicherheit unter diese rote Linie geht, dann…!»
• Unbefristeten Bewilligung definiert Laufzeit der AKW als «solange wie sicher»
• Zentrale Bedeutung der Ausserbetriebnahmekriterien!
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Ausserbetriebnahme: Beznau
• Soweit die Theorie.
• Und die Praxis?
• Gibt es bei Beznau Sicherheitsdefizite, welche die «rote Linie» unterschreiten?
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Ausserbetriebnahme: Beznau
• Ja!
• Die Sicherheitsdefizite «durchwachsen» Beznau an kritischen Stellen
• Regeln der Auslegung mehrfach verletzt:
• Fehlende Zweitsysteme (sog. Redundanz, Einzelfehlersicherheit), fehlende räumliche Trennung, fehlende Automatisation, etc.
• Warum?
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Ausserbetriebnahme: Beznau
• Man hat das Werk in den sechziger Jahren nach unausgereiften Regeln und Kenntnissen gebaut
• Weder Betreiber noch Behörden hatten die Kenntnisse, um ihre Aufgaben bezüglich Anlagen-sicherheit wahrzunehmen
• Kompetenzen fehlten bei Gesamtübersicht und Systemtechnik
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Quelle: Roland Naegelin, Direktor Atomaufsicht 1980-1995, «Geschichte der Sicherheitsaufsicht über die
schweizerischen Kernanlagen 1960-2003», 2007, Seite 119
Ausserbetriebnahme: Beznau • Nie konsequent nach neuen
Regeln* nachgerüstet
• Im Einvernehmen mit HSK (ENSI):
• NANO: Notstand- und Notstrom-Funktionen «redimensioniert»
• Verzicht auf «Redundanz»!
• Angeblich, weil Projekt nicht «zumutbar» und «überschaubar»
• Ergebnis: «halb-batzige» Zusatzebene («Pflästerli»)
• Schädliche Vermaschung mit alten Systemen
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Quelle: Roland Naegelin, Direktor Atomaufsicht 1980-1995, «Geschichte der Sicherheitsaufsicht über die
schweizerischen Kernanlagen 1960-2003», 2007, Seite 335
Nachrüstung Notstandsystem NANO:
* «neue Regeln» heisst Auslegungskriterien von 1975 bzw. 1978, welche dem Ausland Jahre hinterher hinkten.
…und die Flickerei geht weiter: AUTANOVE
Ausserbetriebnahme: Beznau
Konkrete Sicherheitsdefizite:
• Das ENSI listet sie gleich selber auf (Auswahl):
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Ausserbetriebnahme: Beznau
• Aber: immer wenn Beznau unter die «rote Linie» taucht, behauptet das ENSI, das alles sei «gesetzlich nur für Neuanlagen gefordert»
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Ausserbetriebnahme: à la ENSI
• Das ENSI scheint das Gesetz «verwässern» zu wollen*
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rote Linie jetzt auch «weich» Unterordnung, Verwässerung
* wahrscheinlich wird argumentiert , dass Art. 82 KEV «Übergangsbestimmung» nicht nur nach dessen Wortlaut die «Festlegung des Umfangs von Nachrüstungen» betreffe, sondern auch die Ausserbetriebnahme … vielleicht mit dem haarsträubenden Argument, dass eine Ausserbetriebnahme ja indirekt auch die «Festlegung des Umfangs von Nachrüstungen» bewirke?
Ausserbetriebnahme: à la ENSI
Unterordnung Ausserbetriebnahmekriterien unter «Stand der Nachrüsttechnik»:
• Auch die Eidgenössische Kommission für Nukleare Sicherheit (KNS) hat nachgefragt – Antwort:
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«Abweichungen bei der Umsetzung der Auslegungs-grundsätze […] akzeptiert»
Ausserbetriebnahme: à la ENSI
• Das ENSI will das Füfi und das Weggli für die AKW
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«Abweichungen bei der Umsetzung der Auslegungs-grundsätze […] akzeptiert»
Ausserbetriebnahme: à la ENSI
• «Abweichungen akzeptiert» = Keine harte, rote Linie
• «Sicherheit» nach behördlicher Willkür!
• Auch bekannt als «Politischer Ermessensspielraum»
• Unbefristete Bewilligung ist mit einer solchen Aufsichtsbehörde eine brandgefährliche Angelegenheit
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«Für die Nuklearaufsicht gibt es
keinen politischen Ermessensspielraum.»
Ausserbetriebnahme: à la ENSI
Die Realität
sieht also so aus:
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«Abweichungen bei der Umsetzung der Auslegungs-grundsätze […] akzeptiert»
Überblick: Nukleare Sicherheit
WAS? Schutz für Bevölkerung/Umwelt
WANN? Bewilligungs-/Aufsichtspraxis
WIE? Methoden der Überprüfung
SONST? Ausserbetriebnahme, Nachrüstung
FAZIT? Das ENSI ist das Problem
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Fazit: ENSI ist das Problem
• Das ENSI handelt nicht nach dem Gesetz
• In ähnlicher Sache läuft zum AKW Mühleberg unser Modell-Gerichtsfall
• Zwischensieg vor Bundesgericht (Urteil vom 11. April 2014)
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Fazit: ENSI ist das Problem
• Beznau weist ein zu hohes Kernschmelz- und Freisetzungsrisiko auf
• Beznau weist Auslegungsfehler auf, Ausserbetriebnahmekriterien mehrfach erfüllt
• Das ENSI zieht die Konsequenzen nicht
• Das Problem sitzt hier in Brugg
• Helfen Sie uns, es anzugehen!
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