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Page 1: Bibel und Literatur

Bibel und Literatur

Vorlesung am 17.11.08

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Kohelet =Prediger [Salomonis]Ecclesiastes

Koh 1,2-4:Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz

eitel. Was hat der Mensch für Gewinn von aller seiner Mühe, die

er hat unter der Sonne? Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde aber

bleibt ewiglich.Koh 12,7f.:Denn der Staub muß wieder zu der Erde kommen, wie er

gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.

Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, ganz eitel.

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Ludwig Tieck: Franz Sternbalds Wanderungen

„Darum sage ich, daß nichts besser sei, denn daß ein Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit, denn das ist sein Teil.“ = Koh 3,22

„So gehe hin, und iß dein Brot mit Freuden, trink deinen Wein mit gutem Mut, denn dein Werk gefällt Gott. Laß deine Kleider immer weiß sein, und deinem Haupte Salbe nicht mangeln. Brauche des Lebens mit deinem Weibe das du liebhast, solange du das eitel Leben hast, das dir Gott unter der Sonnen gegeben hat, solange dein eitel Leben währet, denn das ist dein Teil im Leben, und in deiner Arbeit, die du tust unter der Sonnen. Alles was dir vorhanden kommt zu tun, das tue frisch, denn in dem Tode, da du hinfährst, ist weder Werk, Kunst, Vernunft noch Weisheit.“ = Koh 9,7-10

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(Neu-)Stoiker

• Cicero: De officiis, De legibus, Paradoxa Stoicorum

• Seneca (gest. 65 n. Chr.): De tranquillitate animi. Tragödien

• Justus Lipsius: De Constantia in malis publicis. 1575

Apathia, Ataraxia (Fühllosigkeit, Unbeweglichkeit) → Constantia (Standhaftigkeit)

Stoische Philosophie und Vanitas-Erkenntnis sind nicht identisch, sondern komplementär.

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Biblische Ergänzungen zum Vergänglichkeitsgedanken

• Jes 40, 6-7: Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt;

• Ps 102, 12 Meine Tage sind dahin wie ein Schatten und ich verdorre wie Gras.

• Ps 102, 4: Denn meine Tage sind vergangen wie ein Rauch, und meine Gebeine sind verbrannt wie ein Brand.

• Ps 103, 14-16 Denn er kennt, was für ein Gemächte wir sind; er gedenkt daran, daß wir Staub sind. Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Feld; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr.

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David Bailly: Selbstportrait mit Vanitassymbolen. 1651

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Michael Franck (1609-1667)1.Ach wie flüchtig,Ach wie nichtigIst der Menschen Leben!     Wie ein NEBEL bald entstehetUnd auch wieder bald vergehet,So ist unser LEBEN, sehet!

2.Ach wie nichtig,Ach wie flüchtigSind der Menschen Tage!     Wie ein Strohm beginnt zu rinnenUnd mit lauffen nicht helt innen,So fährt unsre Zeit von hinnen!

3.Ach wie flüchtig,Ach wie nichtigIst der Menschen Freüde!     Wie sich wechseln Stund und zeiten,Licht und Dunckel, Fried und streiten,So sind unsre Fröligkeiten !

     

4.Ach wie nichtig,Ach wie flüchtigIst der Menschen Schöne!     Wie ein Blümlein bald vergehet,Wenn ein rauhes Lüfftlein wehet,So ist unsre Schöne, sehet!

5.Ach wie flüchtig,Ach wie nichtigIst der Menschen Stärcke!     Der sich wie ein Löw erwiesen,Überworffen mit den Riesen,Den wirfft eine kleine Drüsen!

6.Ach wie nichtig,Ach wie flüchtigIst der Menschen Glücke!     Wie sich eine Kugel drehet,Die bald da, bald dorten stehet,So ist unser Glücke, sehet!

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7.Ach wie flüchtig,Ach wie nichtigIst der Menschen Ehre!     Über den, dem man hat müssenHeüt die Hände höflich küssen,Geht man morgen gar mit Füssen!

8.Ach wie nichtig,Ach wie flüchtigIst der Menschen Wissen!     Der das Wort kunt prächtig führenUnd vernünfftig discurriren,Muß bald alle Witz verlieren!

 9.Ach wie flüchtig,Ach wie nichtigIst der Menschen Tichten!     Der, so Kunst hat lieb gewonnenUnd manch schönes Werck ersonnen,Wird zu letzt vom Todt erronnen !

10.Ach wie nichtig,Ach wie flüchtigSind der Menschen Schätze!    

 Es kan Gluht und Fluth entstehen,Dadurch, eh wir uns versehen,Alles muß zu trümmern gehen!

11.Ach wie flüchtig,Ach wie nichtigIst der Menschen Herrschen!     Der durch Macht ist hoch gestiegen,Muß zu letzt aus unvermügenIn dem Grab erniedrigt ligen!

12.Ach wie nichtig,Ach wie flüchtigIst der Menschen Prangen!     Der im Purpur hoch vermessenIst als wie ein Gott gesessen,Dessen wird im Todt vergessen!

13.Ach wie flüchtig,Ach wie nichtigSind der Menschen Sachen!     Alles, alles, was wir sehen,Das muß fallen und vergehen:Wer GOtt fürcht, wird ewig stehen!

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Georg Philipp Harsdörffer: Das Leben deß Menschen Das Leben istEin Laub/ das grunt und falbt geschwind.Ein Staub/ den leicht vertreibt der Wind.Ein Schnee/ der in dem Nu vergehet.Ein See/ der niemals stille stehet.Die Blum/ so nach der Blüt verfällt. Der Ruhm/ auf kurtze Zeit gestellt.Ein Gras/ so leichtlich wird verdrucket.Ein Glas/ das leichter wird zerstucket.Ein Traum/ der mit dem Schlaf aufhört.Eine Schaum/ den Flut und Wind verzehrt.Ein Heu/ das kurtze Zeite bleibet.Die Spreu/ so manchen Wind vertreibet.Ein Kauff/ den man am End bereut.Ein Lauff/ der schnauffend schnell erfreut.Ein Wasserstrom/ der pfeilt geschwind.Die Wasserblaß/ so bald zerrinnt.Ein Schatten/ der uns macht schabab.Die Matten/ so gräbt unser Grab.

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Was ist die Lust der Welt? Nichts als ein Fastnachtsspiel,So lange Zeit gehofft, in kurtzer Zeit verschwindet, Da unsre Masqven uns nicht hafften, wie man wil,Und da der Anschlag nicht den Ausschlag recht empfindet. Es gehet uns wie dem, der Feuerwercke macht,Ein Augenblick verzehrt offt eines Jahres Sorgen; Man schaut, wie unser Fleiß von Kindern wird verlacht,Der Abend tadelt offt den Mittag und den Morgen. Wir fluchen offt auf dis, was gestern war gethan,Und was man heute küst, muß morgen eckel heissen, Die Reimen, die ich itzt geduldig lesen kan,Die werd ich wohl vielleicht zur Morgenzeit zerreissen. Wir kennen uns, und dis, was unser ist, offt nicht,Wir tretten unsern Kuß offt selbst mit steiffen Füssen, Man merckt, wie unser Wuntsch ihm selber wiederspricht,Und wie wir Lust und Zeit als Sclaven dienen müssen. Was ist denn diese Lust, und ihre Macht und Pracht?Ein grosser Wunderball, mit leichtem Wind erfüllet. Wohl diesem, der sich nur den Himmel dinstbar macht,Weil aus dem Erdenkloß nichts als Verwirrung quillet.

Hoffmann von Hoffmannswaldau: Lust der Welt

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Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Der Tod

Wann, Friedensbothe, der du das Paradies Dem müden Erdenpilger entschließest, Tod, Wann führst du mich mit deinem goldnen Stabe gen Himmel, zu meiner Heymath?

O Waßerblase, Leben, zerfleug nur bald! Du gabest wenig lächelnde Stunden mir, Und viele Thränen, Quaalenmutter Warest du mir, seit der Kindheit Knospe

Zur Blume wurde. Pflücke sie weg, o Tod, Die dunkle Blume! Sinke, du Staubgebein, Zur Erde, deiner Mutter, sinke Zu den verschwisterten Erdgewürmen.

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Dem Geiste winden Engel den Palmenkranz

Der Überwinder. Rufet, o Freunde, mich

Nicht wieder auf das Meer, wo Trümmer,

Thürmende Trümmer das Ufer decken.

Wir sehn uns, Theure, wieder, umarmen uns,

Wie Engel sich umarmen, in Licht gehüllt,

Am Throne Gottes, Ewigkeiten

Lieben wir uns, wie sich Engel lieben.

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Höltys elegischer und hoher Stil

• Antikes Strophenschema: Jambisch, 2 Elfsilbler, 1 Neunsilbler, 1 Zehnsilbler

→ alkäische Ode

• Entfernung von Alltagssprache

• Thematik

• Bildlichkeit

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Wann, Friedensbothe, der du das Paradies Wortstellung im Satz!

Dem müden Erdenpilger entschließest, Tod, Wortwahl

Wann führst du mich mit deinem goldnen prezios

Stabe gen Himmel, zu meiner Heymath?

O Waßerblase, Leben, zerfleug nur bald!

Du gabest wenig lächelnde Stunden mir,

Und viele Thränen, Quaalenmutter Zeilensprung

Warest du mir, seit der Kindheit Knospe Str.-Enjambement

Zur Blume wurde. Pflücke sie weg, o Tod,

Die dunkle Blume! Sinke, du Staubgebein,

Zur Erde, deiner Mutter, sinke

Zu den verschwisterten Erdgewürmen. Krasse Metaphorik

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Dem Geiste winden Engel den Palmenkranz Wort- u. Lautspiele:

Der Überwinder. Rufet, o Freunde, mich Annominatio

Nicht wieder auf das Meer, wo Trümmer,

Thürmende Trümmer das Ufer decken. Metathese des r

Wir sehn uns, Theure, wieder, umarmen uns, Wiederholung

Wie Engel sich umarmen, in Licht gehüllt,

Am Throne Gottes, Ewigkeiten

Lieben wir uns, wie sich Engel lieben.

Page 16: Bibel und Literatur

Wann, Friedensbothe, der du das Paradies

Dem müden Erdenpilger entschließest, Tod,

Wann führst du mich mit deinem goldnen

Stabe gen Himmel, zu meiner Heymath?

O Waßerblase, Leben, zerfleug nur bald!

Du gabest wenig lächelnde Stunden mir,

Und viele Thränen, Quaalenmutter

Warest du mir, seit der Kindheit Knospe

Zur Blume wurde. Pflücke sie weg, o Tod,

Die dunkle Blume! Sinke, du Staubgebein,

Zur Erde, deiner Mutter, sinke

Zu den verschwisterten Erdgewürmen.

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Nikolaus Lenau: Vanitas

Eitles Trachten, eitles Ringen Frißt dein bißchen Leben auf, Bis die Abendglocken klingen,

Still dann steht der tolle Lauf. Gastlich bot dir auf der Reise Die Natur ihr Heiligtum; Doch du stäubtest fort im Gleise,

Sahst nach ihr dich gar nicht um.

Blütenduft und Nachtigallen, Mädchenkuß und Freundeswort

Riefen dich in ihre Hallen; Doch du jagtest fort und fort.

Eine Törin dir zur Seite Trieb mit dir ein arges Spiel, Wies dir stets ins graue Weite: »Siehst du, Freund, dort glänzt

das Ziel!«

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War es Gold, wars Macht und Ehre, Was sie schmeichelnd dir verhieß: Täuschung wars nur der Hetäre, Eitel Tand ist das und dies. Sieh! noch winkt sie dir ins Weite, Und du wardst ein alter Knab! Nun entschlüpft dir dein Geleite, Und du stehst allein - am Grab. Kannst nicht trocknen mehr die Stirne, Da du mit dem Tode ringst; Hörst nur ferne noch der Dirne Hohngelächter - und versinkst!

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Vanitas-Bildlichkeit in der Restaurationszeit

• verblühende Rose, • verfließendes Wasser, • Ruine, Grab und Friedhof • Verwelken, Verlust, Verschwinden, Verderben• Leere und mechanische Wiederkehr, Enui

Vgl. Lenau: „Eitel nichts“. Mörike: „An eine Äolsharfe“. Büchner: Leonce und Lena. Danton

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Durs Grünbein: Metapher „Zerplatzen aber müssen sie alle“, scherzt LukianMit der Stimme des Charon. Vor LachenKaum halten kann der sich, auf Erden zu Gast.

Gemeint sind die Blasen, alle die Menschenleben,Wie Schaum unterm Wasserfall aufgeworfen. Ein Bild für die Gotter, dies ihr quirliges WerdenUnd Vergehn binnen kürzester Zeit.

Manche sind klein und zerplatzen sofort, mancheÜberdauern länger, so höhnt er. Sie fließenMit andern zusammen, bilden luftige Herden.

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Chimären aus Luft sind sie alle, die vielen Leben,Groß die einen, die andern verschwindend gering.Aufgebläht sind sie, zeitlebens BeschwerteVon Schwerkraft, all diese Nichtse.

Zum Beispiel die Gräber der Helden von Troja – „Groß sind sie ja nicht gerade“, spottet der FährmannAm hiesigen Ufer. Mit Waffen und PferdenBegraben, blieb nichts als ein grüner Hügel zurück.

Ninive, Babylon, Ilion, Mykene: zeig mir die Städte,Ruft er dem Hermes zu. Alle verschwunden,Beschämend die Reste, erwidert der Göttergefährte.

So hat sich sein Ausflug gelohnt. Was für ein LebenSie führen, die Armen, vom Unglück Versehrten.„An Charon denkt keiner“, resümiert er verstört.

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Lukian: Charon (Übersetzung von Chr. M. Wieland)

Soll ich dir also sagen, Hermes, wie mir die Menschen und ihr ganzes Leben vorkommen? Du musst ja wohl oft die Blasen in einem mit Gewalt hervorsprudelnden Wasser gesehen haben, aus deren Zusammenhäufung der Schaum entsteht? Von diesen Blasen sind die meisten so klein, dass sie augenblicklich wieder zergehen und verschwinden; andere etwas länger, und indem mehrere kleine mit ihnen zusammenfließen, blähen sie sich auf und steigen mit großem Schwulst , zerplatzen aber doch bald wieder so gut wie jene, weil es ihrer Natur nach nicht anders sein kann. Gerade so kommt mir das Leben der Menschen vor. Alle werden auf kurze Zeit mit Lebensgeist angeschwellt, die einen mehr, die anderen weniger; bei vielen hat diese Aufblähung einige wohl sehr kurze Dauer, andere verschwinden schon im Entstehen, zerplatzen aber müssen sie alle.

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Melchior de Hondecoeter: Raubvogel über Hühnerhof