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Prof. Dr. Heiner Rindermann Identität und Entwicklung – Die Bedeutung praktischer LernerfahrungTU Chemnitz Interdisziplinäres Symposium, Prof. Dr. Udo Rudolph,Professur für Pädagogische Kunst und Tanzprojekt „GROW UP!“
und Entwicklungspsychologie Samstag, 30. April 2011, 9.00 bis ca. 16.00 Uhrwww.tu-chemnitz.de/~hrin [HR: 9.15-10.00 Uhr; 45 min inkl. Kommunikation]
www.allpsy2.de/symposium.phpZentrales Hörsaal- und Seminargebäude (Orangerie), Hörsaal N113,
Reichenhainer Str. 90
Heiner Rindermann
Bildungschancen und Herkunft:Was wir wissen und was wir tun können
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Gliederung
1 Bildungs- und Erziehungsziele ....................................................3
2 Von was hängt das Erreichen dieser Ziele ab? ............................... 10
3 Was können und sollten Eltern tun? ........................................... 14
4 Was können und sollten Institutionen und Pädagogen tun?............... 16
5 Was können Förderangebote tun? ............................................. 18
6 Was kann man selbst tun?....................................................... 22
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1 Bildungs- und Erziehungsziele
Bildungs- und Erziehungsziele, Entwicklungsziele allgemein, sindnormativ, wertend, bedürfen einer Begründung.
Erziehung
Erziehung ist eine absichtliche Beeinflussung von Personen durchandere, meist jüngerer (Kinder) durch ältere Personen (Eltern undandere mit Autorität versehene Personen).
Bildung
Bildung wird als in formalen Einrichtungen (Schulen, Hochschulen)stattfindender und stärker auf Wissen, Geistiges und Hochkulturelleszielender Prozeß verstanden.
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Bildungs- und Erziehungsziele
Gesundheit und psychomotorische Fähigkeiten.
Persönlichkeit.
Sozialverhalten.
Nichtkognitive Kompetenzen.
Wissen.
Kognitive Kompetenzen.
Präferenzen und Geschmack.
Interessen und Handlungsbereitschaften.
Ethik.
Geistig-seelische Haltung.
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Hubig, Ch. & Rindermann, H. (Sommer 2011).Bildung und Kompetenz. Göttingen:Vandenhoeck & Ruprecht.
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Gesundheit und psychomotorische Fähigkeiten
Ernährung und Bewegung. Impfungen. Vorsorge.Drogen (weiche wie harte).Ausgleich, Entspannung, Freude, Teamgeist.Angemessenes Gewicht (Gesundheit, Ästhetik).Fitneß und Technik (inkl. Schwimmen und Fahrradfahren).Freude an Sport und Bewegung. Erfolgsgefühle. Wettbewerb. Regeln.
Persönlichkeit
Selbstregulation. Zielorientierungen.Selbst-(Disziplin). Gewissenhaftigkeit. Fleiß.Interessiertheit. Motivation.Stabilität. Ausgeglichenheit.Offenheit. Toleranz.Psychische Gesundheit.Frustrationstoleranz. Anstrengungsbereitschaft. Durchhaltevermögen.
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Sozialverhalten
Soziale Kompetenz. Andere verstehen und legitim beeinflussen.Freundlichkeit, ausgleichend, Teamfähigkeit, Gruppen führen.
Nichtkognitive Kompetenzen
Motorik.Emotion.Soziales.Musik. Kunst.Lebensführung.
Wissen
Kenntnis relevanter Wissensinhalte:Sprachen; Mathematik; Naturwissenschaften; in Sozial- undGeisteswissenschaften; in Kunst und Musik; in Wirtschaft und Recht;und Alltags- und Weltwissen.
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Kognitive Kompetenzen
Fähigkeit, zu denken.Fähigkeit, relevante Wissensinhalte zu erwerben, zu verstehen, in einsinnvolles Ganzes zu bringen, zu bewerten, anzuwenden undinnovativ zu verändern.
Präferenzen und Geschmack
Schönes, Ästhetisches und Wichtiges von Nichtschönem,Unästhetischem und Unwichtigem unterscheiden zu können.
Interessen und Handlungsbereitschaften
Interesse für Bildungsinhalte und Kultur.
Ethik
Ethische Grundhaltung gegenüber anderen, anderem und sich.Z. B. Lebensführung (vgl. Wilhelm Schmid, 2000).Mediennutzung.
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Geistig-seelische Haltung
Nachdenklicher Umgang mit den Prinzipien und Phänomenen derKultur und des Lebens.Reflexion und Selbstreflexion.Sich im Denken orientieren.
Breitenbildung und Spitzenbildung
Für Durchschnitt, Schwächere, Stärkere.Teiladaptiv.Realistisch und halbgut ist besser als schwach oder nichts(Reiter, 2011).
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2 Von was hängt das Erreichen dieser Ziele ab?
Basis-Wohlstand und Gesundheit – Entwicklungsländer
Beispiel: Umzug aus Favela in Mittelschichthaushalt in Brasiliafördert Intelligenz und Körpergrößenwachstum (Paine et al., 1992),aber auch Body-Maß-Index, Kinder werden relativ dick.
In Kenia fördert Fleischkonsum in einer experimentellen Studie dieIntelligenz von Kindern (Whaley et al., 2003).
Hohe Preise für Säuglingsnahrung schlagen sich in den PhilippinenJahre später in Entwicklungsrückständen nieder (Glewwe & King,2001).
Preiswerte Behandlung gegen Parasiten steigert in AfrikaSchulbesuchsrate um 25% (Glewwe & Kremer, 2006).
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Methodenexkurs: Korrelation (r)
Maß der Enge und der Richtung eines Zusammenhangs.r= -1r= 0r=+1 In der Regel gilt für Korrelationen:
r=.10 (klein)r=.30 (mittel)r=.50 (groß)
Methodenexkurs: Pfadkoeffizient (ββββ)Maß der Enge und der Richtung eines Zusammenhangs auf Zielgrößerelativ zu anderen Merkmalen auf diese Zielgröße.
Bei richtiger Theorie und in richtigem Modell kausal interpretiert.
A
B C
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Bildung und Erziehung – Industrieländer
Kogn. Kompetenz
mit
(ASVAB) 14-22 Jahren
Eltern Einkommen
Bildungs-niveau Eltern
Erziehungs-Bildungs-Verhalten
in Familie(Zeitung, Bücherei)
Einkommen Kind mit
28-37 Jahren
Bildungsniveau des Kindes mit 28/30
.49 (.49)
.70
.70
.28 (.46)
.30 (.48)
.23 (.45)
.13 (.30)
.29 (.48)
.26 (.46)
.31 (.31)
.16 (.31)
.45 (.56)
US-amerikanische Längsschnittstudie NLSY (1980ff., N=12.686, NationalLongitudinal Survey of the Youth, Armed Services Vocational AptitudeBattery)
→ Entscheidend: Bildung und Bildungsverhalten, nicht elterlicherWohlstand.
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Vorlesen und Lesen in der Familie als Beispiel
.27 (.27)
.35 (.35) .12 (.21)
.88.37 (.37) -.09 (.05)
.19 (.23)
.07 (.19)
.40 (.51)
.14 (.24)
.39 (.39)
.14 (.38)
.27 (.42)
Bildung Eltern
vollständige Familie
Familien-einkommen
Kognitive Kompetenz (CFT)
Kinder lesen selbst
Eltern lesen Kindern vor
Bücherzahl in der Familie
Österreichische Grundschulstudie (2009, N=118)
→ Selber Lesen, Vorlesen und das Aufwachsen in vollständiger Familie.
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3 Was können und sollten Eltern tun?
Wohlstand und Einkommen sind in entwickelten Ländern kaumrelevant.
Wichtiger für gelingende Erziehungs- und Bildungsprozesse:
― Elterliches Bildungsverhalten.
― Bücher lesen, Bücher ausleihen, Kindern vorlesen, Kinder zumLesen anregen.
― Autoritativer Erziehungsstil: Regeln und Wärme, Struktur und Liebe.+ Begründen.
― Leben in einer vollständigen Familie.
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― Nicht rauchen (nicht Passivrauchen, nicht in Schwangerschaft).
― Mäßiger Alkoholkonsum.
― Gesundheitserziehung (Ernährung, Bewegung, Hygiene etc.).
― Ärztliche Betreuung.
― Kindergartenbesuch. Krippenbesuch.
― Ganztagsschule (bei Eltern mit weniger Bildung oder weniger Zeit).
― Unterstützung der Schule (falls möglich: Hausaufgabenkontrolle;in jedem Fall: Lehrersprechstunde, Elternabend, regelmäßigerSchulbesuch).
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4 Was können und sollten Institutionenund Pädagogen tun?
1. Kindergartenbesuch aller.
2. Disziplin, schul-positives Verhalten.
3. Leistungstests und Zentralprüfungen.
4. Unterrichtsumfang und Bildungsumfang.
5. Frühe Einschulung oder woanders Bildung.
6. Angemessen große Klassen.
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7. Direkte Instruktion und alternative Unterrichtsformen.
8. Klassenwiederholung als Einzelmaßnahme kaum effektiv.
9. „Lebensfächer“ (Ernährung, Gesundheit, Finanzen, Recht,Ethik).
10. Ganztagsschule und Nachmittagsbetreuung.
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5 Was können Förderangebote tun?
Denktraining
– Training induktiv-schlussfolgernden Denkens von Karl Josef Klauer(1989ff.).
– Drei Versionen, für Kinder von 5 bis 8 Jahren,von 10 bis 13 Jahren undfür kognitiv schwache Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren.
– 10 Sitzungen, 120 Aufgaben.
– Effektivität d=0,60 auf Intelligenz, auch auf Schulleistungen,Sprachentwicklung, Konzentration,bei kognitiv schwachen Kindern sind die Effekte besonders groß(Schüler in Sonderschulen d=0,83), auch langfristig (d=0,72).
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Elterntraining
Z. B. Triple P, Positive Parenting Program (Matt Sanders et al., 2003;Kuschel et al., 2000).
– Positive Beziehung Eltern-Kind (wertvolle Zeit, freundliches Reden,Zuneigung, Ermutigung, beschreibendes Lob).
– Sichere und anregende Umgebung.
– Lob, Verstärkung und Anregung für günstiges Verhalten, Verstärkerpläne.
– Lernen am Modell: Vorbild, beiläufiges Lernen im Alltag.
– Regeln formulieren, leichte Verstöße ignorieren, Ansprache bei Verstoß,kohärente Konsequenzen wie Auszeit („Assertive Discipline“).
– Einfache, klare Anweisungen („Ask, Say, Do“).
– Selbständigkeit, Familienselbststeuerung, Eltern eigene Zeit.
– +Breitenbildung und Kurzberatung.
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Soziale und emotionale Kompetenz
– Gruppentraining sozialer Kompetenzen(Hinsch & Pfingsten, 2007),für Kinder, Jugendliche, Erwachsene,Menschen mit Behinderungen, Strafgefangene.
– Trainings von Franz Petermann und Ulrike Petermann (2006ff.).
– Bei Stopp ist Schluss! (für Lehrer; Grüner & Hilt, 2010).
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– Kommunikation, Initiierung von Kommunikation.
– Angemessene Durchsetzung legitimer Anliegen.
– Beziehungsbildung.
– Sympathie wecken.
– Gefühle erkennen.
– Methoden: Rollenspiele, Mimik und Gestik interpretieren, Einzel-und Gruppentrainings.
– Methoden: Verhaltenstraining, Verstärker, Lernen am Modell.
– Gruppen führen.
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6 Was kann man selbst tun?
― Fleiß. Anstrengung. Arbeit.
― Lesen.
― Denken.
― Auswahl angemessener Umwelten (einschließlich sozialer).
― Selbstorganisation. Planung.
― Selbst-Disziplin.
― Zeiteinteilung.
― Ernährung. Mäßiger/kein Drogenkonsum.
― Bewegung.
― Selektiver Medienkonsum.
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Grüner, Th. & Hilt, F. (2010). Bei Stopp ist Schluss! Werte und Regeln vermitteln.Lichtenau: AOL.
Hinsch, R. & Pfingsten, U. (2007). Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK). Weinheim:PVU/Beltz.
Hubig, Ch. & Rindermann, H. (2011). Bildung und Kompetenz. Reihe Philosophie undPsychologie im Dialog, herausgegeben von Gerd Jüttemann & Christoph Hubig. Göttingen:Vandenhoeck & Ruprecht.
Klauer, K. J. (1989). Denktraining für Kinder I. Ein Programm zur intellektuellen Förderung.Göttingen: Hogrefe.
Klauer, K. J. (Hrsg.) (2001). Handbuch kognitives Training. Göttingen: Hogrefe.Kuschel, A., Miller, Y., Köppe, E., Lübke, A., Hahlweg, K. & Sanders, M. R. (2000).Prävention von oppositionellen und aggressiven Verhaltensstörungen bei Kindern: Triple P– ein Programm zu einer positiven Erziehung. Kindheit und Entwicklung, 9(1), 20-29.
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Petermann, F. & Petermann, U. (2008). Training mit aggressiven Kindern. Weinheim: Beltz.Petermann, F. & Petermann, U. (2010). Training mit Jugendlichen. Förderung von Arbeits-und Sozialverhalten. Göttingen: Hogrefe, 6. Auflage.
Reiter, M. (2011). Lob des Mittelmaßes. Warum wir nicht alle Elite sein müssen. München:Oekom.
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Schmid, W. (2000). Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst. Frankfurt: Suhrkamp.Whaley, S. E., Sigman, M., Neumann, Ch., Bwibo, N., Guthrie, D., Weiss, R. E., Alber, S. &Murphy, S. P. (2003). The impact of dietary intervention on the cognitive development ofKenyan school children. Journal of Nutrition, 133(11-2), 3965-3971.
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