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  • Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie Abschlussarbeit für die Ausbildung in Logotherapie und existenzanalytischer Beratung und Begleitung Mai 2008 Eingereicht bei: Frau Chistine Wicki, CH-6314 Unterägeri Frau Therese Jones, CH-3032 Hinterkappelen Angenommen: am am Vorgelegt von: Ernst Bai Mattenstrasse 74 CH-8330 Pfäffikon Burnout – aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai.

  • Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie Zusammenfassung / Abstract Ausgehend von einer persönlichen Erfahrung mit Burnout, geht es zunächst um

    grundlegende Gedanken zur Existenzanalyse und Logotherapie, speziell in Bezug

    auf Burnout. Nebst den vier Grundmotivationen, werden Definition und Symptome

    von Burnout unter allgemeinen und existenzanalytischen Gesichtspunkten

    dargestellt. Es wird aufgezeigt, wie es aus existenzanalytischer Sicht zur

    Erschöpfung und zum Erfüllungsdefizit kommen kann. An einem Praxisbeispiel wird

    deutlich, wie bei einem Burnout alle vier Grundmotivationen betroffen sind. Bei der

    Beratung und Prophylaxe geht es zunächst um verhaltenstherapeutische

    Massnahmen, dann um die existenzanalytische Behandlung von Burnout. Wichtige

    Aspekte sind dabei: Sinnerfüllung und Werteverwirklichung, Leben mit Zustimmung,

    Stimmigkeit und innerer Erfüllung. Am Schluss wird hingewiesen auf die

    psychotherapeutische Methode der Personalen Existenzanalyse (PEA), mit deren

    Hilfe die Ressourcen der Person unmittelbar mobilisiert werden.

    Schlüsselwörter: Burnout. Existenzanalyse und Logotherapie. Der Burnout-Prozess. Grundmotivationen. Nicht-existentielle Lebenshaltung. Erfüllungsdefizit vs.

    Erfüllung. Hingabe. Existentieller Sinn. Existentielles Vakuum. Beratung und

    Prävention. Verhaltensorientierte Massnahmen. Sinnerfüllung und

    Werteverwirklichung. Leben mit Zustimmung. Stimmigkeit. Innere Erfüllung.

    Abstract Based on a personnel experience with burnout issues need to be considered first the

    fundamental ideas about Existential Analysis and Logotherapy, especially how they

    relate to burnout situations. In addition to the four fundamental motivations,

    definitions and symptoms of Burnout are defined in general and Existential Analysis

    perspective. It is from this perspective how physical depression and deficit in

    fulfillment can be explained. A practical experience is used to show how in burnout

    situations all four fundamental motivations are involved. The goals of counselling and

    prevention are first behavioral measures, then an Existential Analytical treatment of

    burnout. Important aspects are: Meaningful life and realization of values, living in

    accordance with the inner self, congruency and inner fullfillment. In closing it is

    Burnout – aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai.

  • shown how psychotherapeutic methods of the Personal Existential Analysis (PEA),

    will be used to mobilize the resources of the person himself. Key Words: Burnout, existential Analysis and Logotherapy, The Process of Burnout, Fundamental

    Motivations, non-existential attitude in life, Fullfillment vs. Deficit in Fullfillment, inner

    commitment, Existential Meaning, Existential Vacuum, Counselling and prevention,

    Behavioural Measures, Meaningful life and realization of values, Living in accordance

    with the inner self, Congruency, Inner Fullfillment.

    ___________________________________________________________________

    Gedicht von Eugen Roth "Ich geh' in meinen Pflichten auf!"

    Doch bald darauf, nicht mehr so munter,

    geht er in seinen Pflichten unter!

    Burnout – aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai.

  • Inhaltsverzeichnis

    Seite: 1. Einleitung: Was mich zu diesem Thema motivierte 1

    2. Vorbemerkungen: Grundlegende Gedanken zur Existenzanalyse und

    Logotherapie, speziell in Bezug auf Burnout 2 3. Definition und Symptome von Burnout unter allgemeinen

    Gesichtspunkten 5 4. Definition und anthropologische Hinweise von Burnout unter

    existenzanalytischen Gesichtspunkten 7 5. Wie kommt es aus existenzanalytischer Sicht zur Erschöpfung,

    zum Erfüllungsdefizit? 8 5.1. Hergabe statt Hingabe 8

    5.2. Zweckgerichtetheit statt Erfüllung 9

    5.3. Schein-Sinn statt existentiellem Sinn 9

    5.4. Das existentielle Vakuum 10

    5.5. Defizite im Bereich der vier Grundmotivationen 11

    5.6. Praxisbeispiel: Herr Xaver 12

    6. Beratung und Prophylaxe 14 6.1. Verhaltensorientierte Massnahmen 14

    6.2. Existenzanalytische Behandlung von Burnout 15

    6.2.1. Sinnerfüllung und Werteverwirklichung 15

    6.2.2. Leben mit Zustimmung 17

    6.2.3. Stimmigkeit und innere Erfüllung. (Authentisch leben) 17

    7. Schlussbemerkung 18 8. Literaturverzeichnis 20

    Burnout – aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai.

  • 1. Einleitung: Was mich zu diesem Thema motivierte Es sind zwei Gründe, die mich zu diesem Thema motiviert haben. Zunächst werde

    ich in meiner Tätigkeit als Lebensberater, die ich im Kontext der ERF Medien1

    ausübe, immer wieder mit diesem Thema konfrontiert. Im Weiteren ist es eine

    Burnout-Erfahrung, die ich selber vor etlichen Jahren gemacht habe. Die

    herausfordernde und jahrelange Aufgabe als Pfarrer in einer freikirchlichen

    Gemeinde hat mich mehr beansprucht als ich wahrhaben wollte. Ich liebte meine

    Arbeit. Den nahen Kontakt zu den Gemeindegliedern erlebte ich einerseits als schön

    und erfüllend. Anderseits gab es gewisse Anzeichen von Erschöpfung, die ich jedoch

    kaum beachtete. Ich war ja gesund und trieb regelmässig Sport. Zudem gab es

    Erfolge bei der Arbeit. Das spornte mich an, mein Bestes zu geben. Es war der

    positive Stress (Eustress), der mich antrieb. Diese Art von Stress erlebte ich, wenn

    ich eine Situation als Herausforderung ansah. Und Herausforderungen gab es in

    meinem Beruf viele. Dabei meinte ich die Dinge im Griff zu haben. --- Im Gegensatz

    zum Eustress2 steht der Distress. Er wird als der negative Stress bezeichnet, der uns

    schadet und zur Krankheit führt. Dieser Stress entsteht in jenen Situationen, die wir

    gemäss unserer Einstellung nicht unter Kontrolle haben, also dann, wenn uns die

    Situation im Griff hat. Ziel wäre nun, vom negativen zum positiven Stress zu

    kommen. Aber Achtung! Auch der positive Stress ist nicht nur positiv. Er kann sich

    ebenfalls negativ auswirken. Auf Dauer werden auch hier die Reserven erschöpft und

    es kann zum Burnout und zur Krankheit kommen. Das ist mir zugestossen. Im Alter

    von 39 Jahren erlitt ich einen Herzinfarkt. Waren dafür die Erschöpfungssymptome

    verantwortlich? Habe ich mich zu sehr verausgabt? Hatte ich ein Burnout aufgrund

    aufgebrauchter Ressourcen, oder waren es mehr die genetischen Faktoren, die dazu

    geführt haben? (Bereits mein Vater hatte mit massiven Herzproblemen zu kämpfen,

    und starb dann auch an einem Infarkt.) Letzte Fragen bleiben offen. Die vorliegende

    1 ERF (Evangelium in Radio und Fernsehen). ERF Medien umfassen in der Schweiz die grösste Fachredaktion im Bereich Glaube und Gesellschaft. Als internationales Medienunternehmen produzieren sie TV- und Radiobeiträge für das In- und Ausland zu Themen rund um den christlichen Glauben. ERF Medien betreibt das Kabelradio Life Channel. 2 "Wie auch die Stressforschung (u.a. Mitterauer und Harrer 1983) zeigt, haben wir zwischen "Eustress" und "Distress" zu unterscheiden. Während ersterer lebenserhaltend und lustvoll wirken kann, die Vigilanz und damit die Leistungsfähigkeit erhöht (die auch nötig ist, um Ziele und Werte zu verwirklichen), wirkt der "Distress" leistungshemmend und wird als Unlustgefühl wahrgenommen" (Längle, Probst 1993, 68).

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 1

  • Arbeit, und damit die Auseinandersetzung mit dem Thema Burnout aus

    existenzanalytischer Sicht, haben mich sensibilisiert für einen noch aufmerksameren

    Umgang mit den eigenen Ressourcen auf mögliche Überlastungen und

    Überforderungen, sowie auf eine nicht-existentielle Lebenshaltung.

    2. Vorbemerkungen: Grundlegende Gedanken zur Existenzanalyse und Logotherapie, speziell in Bezug auf Burnout. Existenzanalyse (EA) wird erlebnisbezogen definiert als „ein psychotherapeutisches Verfahren, das zum Ziele hat, den Menschen zu befähigen, mit innerer Zustimmung

    zum eigenen Handeln und Dasein leben zu können" (Längle 2001, Lehrbuch 1, 10).

    Der Mensch erlebt sein Leben als erfüllt, wenn er es mit Zustimmung leben kann. Mit

    Hilfe der EA soll der Mensch seinen Platz im Leben finden, damit er seine

    Fähigkeiten optimal entfalten kann. Er soll sich fühlen können, wie ein Fisch im

    Wasser. Das erleichtert ihm die Zustimmung zu dem, was er tut und letztlich zum

    Leben selbst. Kriterium der Existenz ist es somit: "sich in das Leben hineingeben zu

    können, sich einlassen und engagieren zu können, mit Hingabe leben zu können, die

    Sache zu seiner machen zu können, wie Karl Jaspers es formulierte" (Längle 2001,

    Lehrbuch 1, 10). Wie aber kommt es zu einem erfüllten Leben, zu einer erfüllten

    Existenz? Dazu nötig ist der dialogische Austausch mit der Welt. "Ein gutes (erfülltes)

    Leben hat man nicht aus sich heraus, aber auch nicht ohne sich"… "Existenz kann

    also als erfüllt angesehen werden, wenn der Mensch mit seiner Welt in einem

    dialogischen Austausch steht und auf der Grundlage dieses Austausches sich so

    verhält und handelt, dass er zu sich selbst und zu seinem Tun eine innere

    Zustimmung geben kann" (Längle 2001, Lehrbuch 1, 16f). Was sind die

    Voraussetzungen für eine erfüllte Existenz? Sie lassen sich durch vier einfache

    Fragen feststellen, die zugleich die Zugänge zu den vier Grundmotivationen von

    A. Längle beschreiben:

    "Kann ich (so) leben? (Warum nicht? Was fehlt? Was bräuchte ich? Was habe ich?)

    Mag ich (so) leben? (Fragen wie oben)

    Darf ich (so) leben? Ist es richtig? (Fragen wie oben)

    Soll ich (so) leben? Will ich so leben? (Fragen wie oben)" (Längle 2001,

    Lehrbuch 1, 18). Aufgabe der Existenzanalyse ist es, die existentielle Wirklichkeit des

    Menschen zu erhellen. Analyse meint „Erhellung, Klärung der Lebensumstände auf

    lebenswerte Möglichkeiten hin. Ihre Verwirklichung nennen wir Existenz" (Stumm,

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 2

  • Wirth 1994, 187). Im Zentrum der EA steht der Mensch, der für das Gelingen der

    verschiedenen Lebensbereiche selbstverantwortlich ist. Die Existenzanalyse ist von

    daher ein wirksames Instrument, um Haltungen und Lebenseinstellungen bewusst zu

    machen, die zu einem Burnout führen können. Zugleich verhilft sie dazu, mit

    Zustimmung leben zu können. Sie ist Analyse auf ein lebenswertes Leben hin.

    Logotherapie (LT) (logos = Sinn) ist Begleitung und Mithilfe in der Sinnsuche. Logotherapie darf deshalb nicht verwechselt werden mit "Logopädie", einem

    Sprachheilverfahren. „Frankl bezeichnete die Logotherapie als ‚Sinnlehre gegen die

    Sinnleere’“ (Längle, Probst 1993, 13). Logotherapie ist demnach "sinnzentrierte

    Psychotherapie" (Frankl); (Stumm, Wirth, 1994, 188). Heute gilt die Logotherapie als

    Spezialgebiet der Existenzanalyse. Viktor Frankl, dem Begründer der LT, lag diese

    Therapieform besonders am Herzen. Er betonte besonders stark die noetische3

    Dimension des Menschen. Die Stärke der LT liegt in der Hilfe für die Bewältigung von

    Krisen, zum Beispiel bei Burnout, belastenden Lebenssituationen, unheilbaren

    Krankheiten und schweren Verlusten (Todesfall). Angewandt wird sie aber auch in

    verschiedenen Lebensphasen: Pubertät, Midlife-Crisis, Pensionierung. Ein grosses

    Anwendungsgebiet ist die Prophylaxe psychischer Störungen und Sinnverluste, wie

    zum Beispiel bei Burnout und existentiellem Vakuum.4 Die theoretischen

    Ausführungen zur Logotherapie sind an Frankl selbst hart erprobt worden. „Er wurde

    als Jude von den Nazis in vier Konzentrationslager verschleppt. Nur knapp entkam er

    mehrmals dem Tod, verlor aber seine ganze Familie bis auf eine Schwester. Dass

    Frankl überlebt hatte, war auf seinen unbedingten Lebenswillen und seinen

    unerschütterlichen Sinnglauben zurückzuführen“ (Längle, Probst 1993, 14). Trotz der

    äusserst harten Lebensbedingungen hat Frankl erfahren, dass sein Leben dennoch

    sinnvoll sein kann, weil er ein „Wofür“ zum Leben hatte. „So fand der Satz von

    Nietzsche seine Bestätigung 'Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie’

    – ein Leitmotiv der Logotherapie“ (Längle, Probst 1993, 14). --- "Kurz gesagt, geht es

    in der Existenzanalyse um ‚Lebensfindung’ und in der Logotherapie um ‚sinnvolle

    Lebensgestaltung’“ (Längle 1999a, 42). Die lebenspraktische Definition von

    EA und LT:

    EA: „Das Ja zum Leben finden.“ LT: „Trotzdem Ja zum Leben sagen.“ (Längle, Lehrbuch 1, 11) 3 Gemeint ist die geistige Dimension, die den Menschen über das Tier erhebt. (Vgl. dazu Pkt 4. S. 7) 4 Das existentielle Vakuum ist ein tiefes Sinnlosigkeitsgefühl. (Vgl. dazu Pkt 5,4. S. 10)

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 3

  • Theoretisch stützt sich diese Abschlussarbeit auf das Konzept der Existenzanalyse

    und Logotherapie nach V. Frankl, sowie deren Weiterentwicklung durch A. Längle.

    Durch ihn wurde das Konzept von V. Frankl ausgestaltet, die Grundbedingungen

    erfüllter Existenz systematisiert und Methoden für die praktische

    psychotherapeutische Arbeit entwickelt. Gemäss A. Längle hat Existenz im

    eigentlichen Sinn vier Grundbedingungen. Sie werden auch bezeichnet als die vier

    existentiellen Grundmotivationen des Menschen. Die folgenden vier Punkte sind

    zitiert aus dem Buch (Längle, Sulz 2005, 46-51):

    1. Grundfrage der Existenz (Dasein-Können) "Ich bin - kann ich sein?" Die Frage zielt darauf ab, ob wir unter diesen Bedingungen und mit diesen Möglichkeiten in "unserer Welt" überhaupt Platz nehmen können? Dafür braucht der Mensch Schutz, Raum und Halt. - Fehlen diese, entstehen Unruhe, Unsicherheit, Angst. Durch die Erfahrung von Schutz, Raum und Halt erhalten wir Vertrauen in die Welt, aber auch in uns selbst, vielleicht sogar in Gott.

    2. Grundfrage des Lebens (Wertsein-Mögen) "Ich lebe - mag ich aber leben?" Ist es gut, dazusein? Es sind nicht immer nur die Belastungen und Leiden, die die Lebensfreude nehmen. Oft sind es die Flachheit des Alltags und die Unachtsamkeit der Lebensführung, die das Leben schal machen. Um das Leben mögen zu können, um es lieben zu können, brauchen wir wiederum dreierlei: Beziehung, Zeit und Nähe. --- Das Erleben von Nähe, Zeit und Beziehung bringen ein Schwingen mit der Welt und mit sich selber, in der die Tiefe des Lebens spürbar wird. Diese Erfahrungen bilden den Grundwert des Daseins, das tiefste Gefühl für den Wert des Lebens.

    3. Grundfrage des Personseins (Sosein-Dürfen) "Ich bin ich - darf ich so sein?" Habe ich das Recht, so zu sein, wie ich bin, und mich so zu verhalten, wie ich mich verhalte? Es ist die Ebene der Identifikation, der Selbstfindung und Ethik. Um sie zu bewältigen braucht der Mensch Beachtung, Rechtfertigung und Wertschätzung. - Fehlt ihm dieses, so entstehen Einsamkeit, sich Verstecken hinter der Scham, und es entwickelt sich Hysterie. - Hat der Mensch diese drei Bedingungen, dann findet er zu seiner Authentizität, zu Trost und Selbstrespekt.

    4. Sinnfrage der Existenz (Den Sinn finden) "Ich bin da - wofür ist es gut?" Dafür braucht der Mensch dreierlei: Ein Tätigkeitsfeld, einen Strukturzusammenhang und einen Wert in der Zukunft. - Fehlt uns dies, so entstehen Leere, Lebensfrustration, sogar Verzweiflung und nicht selten eine Sucht. Ist es da, ist man fähig zur Hingabe und zum Handeln, schliesslich zu einer Form von Religiosität. Die Summe dieser Erfahrungen machen den existentiellen Sinn des Lebens aus, führen zur Lebenserfüllung.

    Der Mensch ist stets bemüht, sich diese vier Grundbedingungen zu erhalten, weil er

    ohne sie einen Verlust an Existentialität (und Lebensqualität) erfährt. Kommt es in

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 4

  • diesen Bereichen zum Defizit, so kann dies zu einem Burnout führen. Vergleiche

    dazu Pkt. 5,5 Seite 11 (Defizite im Bereich der vier Grundmotivationen.)

    3. Definition und Symptome von Burnout unter allgemeinen Gesichtspunkten Es war der deutschstämmige amerikanische Psychoanalytiker Herbert

    Freudenberger, der 1974 in einem Aufsatz den Begriff "Burnout" prägte. Dieser

    Begriff wurde darauf hin in den USA rasch populär. Freudenberger wurde auf eine

    Problematik aufmerksam, die sich hauptsächlich auf professionelle Helfer bezog. Er

    beobachtete, wie aus opferbereiten, pflichtbewussten und engagierten Helfern häufig

    Mitarbeiter wurden, die den Klienten gegenüber leicht reizbar und zynisch wurden.

    Besonders auffallend waren die Symptome der Erschöpfung. Diese Veränderung

    wurde als "Burnout" (= "Ausbrennen") bezeichnet. Er beschrieb Burnout als „einen

    Energieverschleiss, eine Erschöpfung aufgrund von Überforderungen, die von innen

    oder von aussen – durch Familie, Arbeit, Freunde, Liebhaber, Wertsysteme oder die

    Gesellschaft – kommen kann und einer Person Energie, Bewältigungsmechanismen

    und innere Kraft raubt“ (Freudenberger, North (1992, 27). Zum Burnout kann es

    kommen, "wenn sich der Betroffene auf einen Fall, eine Lebensweise oder eine

    Beziehung einlässt, die den erwarteten Lohn nicht bringt" (Freudenberger, Richelson

    1983, 34). Es handelt sich also nicht um eine gewöhnliche Arbeitsmüdigkeit, sondern

    um eine tiefgreifende chronische Erschöpfung. Burnout tritt da ein, wo ein Mensch

    über lange Zeit zu viel Energie abgibt bei ungenügendem Energienachschub. Es ist

    wie bei einem Auto, bei dem die "Batterie" nicht nachgeladen wird. Irgendwann geht

    das Licht aus, das Radio, die Scheibenwischblätter und alle möglichen Funktionen

    versagen ihren Dienst. Ein Warnlicht macht den Fahrer auf den Mangel aufmerksam.

    Da beim Menschen ein solches Warnlicht fehlt, merkt er oft lange Zeit nicht, dass

    seine Batterie nicht ausreichend nachgeladen wird. Stattdessen arbeitet er immer

    weiter, zerrt von den noch vorhandenen Reserven und beutet diese aus. Betroffene

    merken zwar, dass irgendetwas nicht stimmt und es ihnen nicht gut geht. Aber sie

    denken, durch vermehrte Kraftanstrengung wieder alles in den Griff zu bekommen.

    Und irgendwann ist dann der Punkt erreicht, wo nichts mehr geht. Idealismus,

    Arbeitseifer und Begeisterung verwandeln sich in einen Zustand chronischer

    Erschöpfung. Das geschieht oft über die Jahre hinweg. Gekennzeichnet ist der

    Erschöpfungszustand durch Antriebs- und Leistungsschwäche,

    Gedächtnisstörungen, Niedergeschlagenheit und Müdigkeit. Hinzu kommt eine

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 5

  • erhöhte Anfälligkeit für Infektionen und verschiedene psychosomatische

    Beschwerden. Prof. Dr. M. Burisch (2005), einer der Burnout-Experten im

    deutschsprachigen Raum, hat die Symptome in sieben Gruppen zusammengefasst: 1. Warnsymptome der Anfangsphase

    • Gesteigerter Einsatz für Ziele, Zunahme der Überstunden. Erschöpfung oder vegetative Überreaktion.

    2. Reduziertes Engagement

    • Reduzierte soziale Interaktion, negative Einstellung zur Arbeit, Konzentration auf den eigenen Nutzen.

    3. Emotionale Reaktionen

    • Insuffizienzgefühle, Pessimismus, Schuldzuschreibung an Andere bzw. an „das System“.

    4. Abbau und Verflachung

    • Abbau von kognitiven Fähigkeiten, Motivation, Kreativität und Differenzierungsfähigkeit. Verflachung des emotionalen und sozialen Lebens und kognitiver Interessen.

    5. Psychosomatische Reaktionen

    • Spannung, Schmerzen, Schlafstörungen. In der Freizeit ist keine Erholung mehr möglich, Veränderte Essgewohnheiten. Medikamentmissbrauch.

    6. Existentielle Verzweiflung

    • Gefühl von Sinnlosigkeit, negative Lebenseinstellung, Depression, Suizidgedanken oder -absichten.

    Diese Auflistung kann als Werkzeug für die Selbstreflexion von Arbeitsbelastungen

    und Ressourcen dienen: Sehe ich gewisse Anzeichen bei mir? Wie oft kommt das

    vor? In welchen Situationen? Aus welchen der beschriebenen Phasen stammen die

    Anzeichen, die ich bei mir wahrnehme? Weiterführend kann überlegt werden, welche

    Strategie zur Reduktion der Belastungen führen könnte. --- Zusammenfassend kann

    gesagt werden: Zum Burnout-Syndrom gibt es weder ein einheitliches Verständnis,

    noch eine abschliessende Definition. Und was die finanziellen Folgen anbetrifft

    macht das Seco folgende Angaben.5

    5 Gemäss einer Studie des Staatssekretariates für Wirtschaft (Seco), kommen Burnout und Stress die Schweiz teuer zu stehen. Das Seco schätzt die volkswirtschaftlichen Kosten auf 4,2 Milliarden Franken pro Jahr. Darin enthalten sind 2,4 Milliarden für Arbeits- und Produktionsausfall, 1,4 Milliarden für Arztkosten und 0,4 Milliarden für Medikamente (Bilanz).

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 6

  • 4. Definition und anthropologische Hinweise von Burnout unter existenzanalytischen Gesichtspunkten. "Unter Burnout verstehen wir einen arbeitsbedingten anhaltenden

    Erschöpfungszustand" (Längle 1997, 12). Heutige Definitionen werden weiter

    gefasst. Nebst den Helferberufen, zeigt sich Burnout in allen Berufsarten und

    Beschäftigungsstufen. Als gefährdet gelten Personen, deren Tätigkeit ein hohes

    Mass an Kommunikation und menschlicher Zuwendung erfordert. Dazu zählen unter

    anderem Ärzte, Pflegende, Sozialarbeiter, Lehrer, aber auch Familienfrauen und

    berufstätige Mütter. Auch die Angst vor Arbeitsplatzverlust fördert Stress- und

    Burnoutsymptome. Die Ursachen sind vielfältig, z.B. Unter- oder Überforderung, zu

    wenig Lob für Leistungen, das Gefühl ungerecht behandelt zu werden, Verlust des

    Gemeinschaftserlebens, Erleben von Kontrollverlust oder Wertekonflikte. Von der

    Erschöpfung betroffen ist zunächst das eigene Befinden, und in unmittelbarer Folge

    das Erleben, und dann auch die Entscheidungen, Einstellungen, Haltungen und

    Handlungen. Betroffen sind alle drei Dimensionen des Menschseins, wie sie Frankl

    (1959) in seiner Anthropologie beschrieben hat:

    Somatische Dimension: körperliche Schwäche, funktionelle Störungen (z.B. Schlaflosigkeit) bis zu Krankheitsanfälligkeiten. Psychische Dimension: Lustlosigkeit, Freudlosigkeit, emotionale Erschöpfung, Reizbarkeit. Noetische Dimension: Rückzug von Anforderungen und Beziehungen, entwertende Haltungen zu sich und zur "Welt". --- Unter dem Noetischen versteht Frankl die geistige Dimension des Menschen, und zwar "die Dimension der spezifisch menschlichen Phänomene" (Frankl 1987, 230). Konkret gehören dazu, das Streben nach Sinn, die Freiheit und Verantwortlichkeit, die Fähigkeit des Menschen, Stellung zu beziehen und aus dieser heraus in Beziehung treten zu können. Weil der Mensch ein geistiges Wesen ist, ist er in seinen Handlungen nicht festgelegt. Person ist somit „das Freie im Menschen“ (Frankl 1990, 226). --- Das Noetische ist nicht zu verwechseln mit dem Intellekt. Bei anhaltender Störung zeigt sich eine verminderte Lebenskraft, die einhergeht mit

    einem Gefühl der inneren Leere und einer geistigen Orientierungslosigkeit. Zur Leere

    hinzu, kommt früher oder später ein Sinnlosigkeitsgefühl, das sich auf das ganze

    Leben auswirken kann, also auf Arbeit, Freizeit und Privatleben. Schliesslich wird das

    ganze Leben davon erfasst.

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 7

  • 5. Wie kommt es aus existenzanalytischer Sicht zur Erschöpfung, zum Erfüllungsdefizit? Allgemein gesehen, wird Burnout oft mit einer Überlastung oder Überforderung

    erklärt. Und das führt dann zur emotionalen Erschöpfung, zur Versachlichung der

    Beziehung und zum Verlust des Selbstvertrauens, verbunden mit einer

    Leistungseinbusse. „Existenzanalytisch fragen wir natürlich nach der spezifischen

    Haltung dem Leben gegenüber, die sich dahinter findet“ (Längle 1997, 15). Egal ob

    uns die Haltung bewusst oder unbewusst ist, sie zeigt die subjektive Auffassung dem

    Leben gegenüber. Die Überforderung geschieht also nicht von ungefähr, sondern

    aufgrund der Haltung und des Lebensentwurfes. Die folgenden Punkte sollen diesen

    Sachverhalt verdeutlichen.

    5.1. Hergabe statt Hingabe Unter "Existenz" verstehen wir das wirklich vollzogene "ganze" Leben. "Ganz" ist der

    Mensch gemäss Existenzanalyse nicht aus sich selbst. „Ganz Mensch ist der

    Mensch eigentlich nur dort, wo er ganz aufgeht in einer Sache, ganz hingegeben ist

    an eine andere Person“ (Frankl 1987, 201). „Darin unterscheidet sich das

    Menschenbild der EA von jenen psychotherapeutischen Menschenbildern, die diese

    existentielle Dimension des Menschseins ausblenden" (Stumm, Wirth 1994, 187).

    Leben mit Hingabe bedeutet, dass ich mich „hin“ gebe, es ist lokalisierbar. Es ist

    auch das Wort „Gabe“ darin enthalten. Ich gebe mich hin, zum Beispiel der Natur, der

    Musik, dem Kochen oder Wandern. Ich weiss wo ich bin, und wo ich mich hingebe.

    Es ist aktiv. Ich unterwerfe mich den Bedingungen der Situation. Ich nehme das

    Risiko auf mich. Ich setze mich ein, und damit auch aus. Und zwar mit dem Risiko

    verkannt und verletzt zu werden. Im Gegensatz dazu steht die Hergabe. Ich tue

    dabei etwas, vielleicht der Sache zuliebe, aber ohne innerlich wirklich dabei zu sein.

    Ich tue etwas ohne meine innere Überzeugung, vielleicht weil ich dazu überredet

    worden bin oder weil es von mir erwartet wird. Oder weil ich dazu instrumentalisiert

    worden bin. Solche Arbeit bereitet einem keine Freude. Ich gebe her, und gehe dabei

    leer aus. Ich bin passiv, innerlich nicht wirklich dabei, und darum macht es mich leer,

    weil ich mich verliere. Die Folge davon kann ein Burnout sein.

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 8

  • 5.2. Zweckgerichtetheit statt Erfüllung Es liegt im Trend unserer Zeit, dass alle über Ziele sprechen, die es zu erreichen gilt.

    Grundsätzlich ist nichts gegen eine zielgerichtete Lebensorientierung einzuwenden.

    Problematisch wird es jedoch da, wo die Zielgerichtetheit vor der Wert-Orientierung

    steht. Viele meinen, es komme im Leben nur auf das Erreichen von Zielen an, und

    nur dann sei das Leben wertvoll und lebenswert. Was für eine Illusion. Wer nur

    seinen Zielen nachjagt, geht am eigentlichen Leben vorbei, verliert den Blick für die

    erfüllenden Werte seiner Existenz. Es geht dann nicht mehr um bewusst erlebte

    Inhalte, sondern nur noch um das Erreichen von gesteckten Zielen, die durch den

    Mangel an innerer Beziehung ohne Leben sind. Und so verliert das eigene Leben an

    Lebenswert. Es kommt zur reduktionistisch zweckorientierten Lebenseinstellung.

    Fazit: Die Tätigkeit wird Mittel zum Zweck, längst bevor die Burnout-Symptome

    sichtbar werden. Der Eigenwert wird zum Nutzwert. Die Freude an der Arbeit geht

    verloren. Es ist die zielorientierte, nicht existentielle Lebenshaltung, die einen

    innerlich unerfüllt lässt, und den "emotionalen Tod" zur Folge hat. Die Arbeit wird

    zwar getan, aber ohne inneren Bezug. Sie wird "erledigt", um sie weg zu haben.

    Vielleicht ist sie auch Ersatz für die fehlende Nähe und das Berührtsein von Werten.

    Und so wird der Mensch leblos, leer. Der eigentliche Schaden ist die

    Beziehungslosigkeit, den die Person sich selbst und der Umgebung zufügt. Es

    kommt zu einem Verlust an Lebens-Werten, und mündet ein in die Depression.6

    5.3. Schein-Sinn statt existentieller Sinn „Logotherapeutisch betrachtet, kann das Burnout mit einem Defizit an echtem,

    existentiellem Sinn erklärt werden. Ein existentieller Sinn hat nämlich die

    Charakteristik, dass er zu innerer Erfüllung führt“ (Längle 1997, 13). Doch, was

    verstehen wir unter existentiellem Sinn? Es ist das, was unser Leben erfüllt, was uns

    eine tiefe innere Befriedigung gibt. Trotz Müdigkeit und Erschöpfung hält diese

    Befriedigung an, weil sie von uns als wert- und sinnvoll empfunden wird. Im

    Gegensatz dazu steht das Leben, das nur einem scheinbaren Sinn nachgeht. Dazu

    gehört zum Beispiel das Verfolgen der eigenen Karriere, sozial anerkannt und

    akzeptiert werden usw. Wer auf dieser Schiene fährt, geht erlebnismässig in die

    6 "Ein echtes Burnout" sagt Wulf Rössler, Leiter des Lehrstuhles für klinische und soziale Psychiatrie an der Universität Zürich "lässt sich kaum von einer Depression unterscheiden" (Bilanz, S. 82).

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 9

  • Leere. Ein solches Leben wird kräfteraubend und stressig. Statt Freude und innere

    Erfüllung über das Geschaffene wird bestenfalls Stolz über die Leistung empfunden.

    Stolz aber wärmt und nährt nicht. Selbst Erholung und Entspannung ersetzen dann

    die Leere nicht, in die man sich immer wieder neu hineinmanövriert.

    Logotherapeutisch gesehen, fehlt der existentielle Sinn für sein Handeln. "Was zu

    kurz kommt, ist die personale Erfüllung. Burnout kann daher als eine Störung der

    Befindlichkeit bezeichnet werden, die aus einem Erfüllungsdefizit entsteht“ (Längle

    1997, 13).

    5.4. Das existentielle Vakuum Frankl schreibt, dass der heutige Patient nicht mehr so sehr wie zur Zeit von Alfred

    Adler an einem Minderwertigkeitsgefühl leidet, sondern an einem abgründigen

    Sinnlosigkeitsgefühl.

    "Dieses Sinnlosigkeitsgefühl geht nun mit einem Leeregefühl einher, das ich

    als "existentielles Vakuum" bezeichnet habe" (Frankl 1987, 202).

    Wir leben in einer Zeit der Individualisierung, wo sich uns eine Fülle von

    Möglichkeiten und Freiheiten anbieten. Nur schon das Freizeitangebot ist enorm, und

    wir stehen vor der Qual der Wahl. Welches Ferienziel soll ich wählen? Und was soll

    ich dort machen? Wir sind zwar frei zu entscheiden, aber ohne zu wissen "wozu"

    diese Freiheit gut sein soll, kommen wir auf die Dauer zu einem unerträglichen

    Leeregefühl, das zur Qual werden kann. Frankl sprach in diesem Zusammenhang

    von der "Sonntagsneurose", "Weekenddepression", die dann zum Vorschein kommt,

    wenn die berufliche Betriebsamkeit für eine gewisse Zeit zum Stillstand kommt.

    Frankl hat dieses Leeregefühl, das gepaart ist mit einem abgründigen

    Sinnlosigkeitsgefühl, "existentielles Vakuum" genannt. Davon betroffen sind auch

    Jugendliche und Arbeitslose, die trotz grosser Bemühungen keinen Job finden. Sie

    geraten leicht in eine existentielle Frustration. Es ist gerade die Not, in der der

    Mensch vermehrt nach dem Sinn fragt. Das frustrierende Leeregefühl hat auch zu

    tun mit dem Rückgang an religiösen Bindungen und Traditionen, mit dem Verlust von

    konstanten Beziehungen (Familie).

    "Im Gegensatz zum Tier sagen dem Menschen keine Instinkte, was er muss,

    und im Gegensatz zum Menschen von gestern sagen dem Menschen von

    heute keine Traditionen mehr, was er soll. Nun, weder wissend, was er muss,

    noch wissend, was er soll, scheint er oftmals nicht mehr recht zu wissen, was

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 10

  • er im Grunde will. So will er denn nur das, was die anderen tun -

    Konformismus! Oder aber er tut nur das, was die anderen wollen -

    Totalitarismus" (Frankl 1985, 13; zitiert in Längle 1987, 29).

    Das existentielle Vakuum ist zwar keine Krankheit. Hält es jedoch an, findet der

    Mensch über längere Zeit keinen Sinn, so wirkt sich das krank machend aus. Es

    kann zum Burnout führen.

    5.5. Defizite im Bereich der vier Grundmotivationen Grundlegende Entstehungsbedingung für ein Burnout ist eine nicht-existentielle

    Lebenshaltung, die meistens in einem Defizit personal-existentieller

    Fundamentalstrebungen gründet. Es geht um eine latente Bedürftigkeit im Bereich

    der vier Grundmotivationen.7

    1. GM: Dasein-Können. Aus dem erlebten Mangel an Raum, Halt und Schutz entstehen die Gefühle von Verunsicherung und Bedrohung. Eine Folge davon kann

    sein, dass jemand überangepasst lebt, verbunden mit der Tendenz zu erhöhter

    Gehorsamsbereitschaft. So funktioniert z.B. der Mechaniker völlig widerspruchslos

    an seinem Arbeitsplatz. Er ist empfänglich für starr gewordene Tätigkeiten. Er findet

    seinen Halt im Angenommensein durch das System. Er klammert sich an die

    geordneten Tätigkeiten, um darin Halt zu finden, und sich diesen "gesicherten

    Lebensraum" erhalten zu können.

    2. GM: Wertsein-Mögen. Der hier empfundene Mangel führt zu Beziehungsangst und blockierter Emotionalität. Selbst bei emotionaler Überlastung fühlt man sich

    verpflichtet. Es zeigt sich ein starkes Verantwortungsgefühl, wie es oft vorkommt bei

    Menschen in helfenden Berufen. Eigene Bedürfnisse werden hinten angestellt. Man

    spürt sich und den eigenen Wert nicht mehr. Anstelle der Hingabe an eine Sache, an

    eine Aufgabe, kommt es zur Hergabe und zum Helfersyndrom. Was dabei fehlt, ist

    das innere Ja zum Tun und zum Leben, das der Mensch führt. Diese

    Beziehungslosigkeit führt in die Leere.

    3. GM: Sosein-Dürfen. Der Mangel in diesem Bereich tangiert die Anerkennung des

    Eigenen. Die Rechtfertigung der eigenen Existenz vor sich und Anderen gerät in

    Gefahr, ebenso der Selbstwert. Daraus erwächst die Bereitschaft, auf

    selbstwertsteigernde Angebote einzugehen, also z.B. Karriere zu machen, viel Geld

    zu verdienen, sich nebenberuflich oder ehrenamtlich zu betätigen. Mangel an

    7 Grundlegende Informationen zu den vier Grundmotivationen: Seite 4

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 11

  • Selbstwert kann den Menschen in eine Sucht nach Anerkennung treiben, was zu

    Distress oder Eustress führen kann. Ziel ist es, die eigene Existenz vor sich und

    Anderen zu rechtfertigen. Bei Fremdbestimmung und Unfähigkeit zur Abgrenzung,

    und wenn Entscheidungen nicht gewissenhaft getroffen werden, wird die personale

    Sinnfindung verhindert. Daraus resultiert das von Frankl beschriebene "existentielle

    Vakuum“ (Frankl 1987, 31ff). Die in unserer Zeit zunehmenden Sinnlosigkeitsgefühle,

    "hängen oft mit Störungen der Ich- und Selbstbildung bzw. Selbstwertbildung"

    zusammen (Längle 1999b). „Defiziente Selbstfindung, Selbstentfremdung, fehlende

    Identifikation und mangelnde Authentizität führen zu innerer Leere“ (Petzold, Orth

    2005, 6). Diese Probleme werden als Grundlage für das „existentielle Vakuum“

    angesehen.

    4. GM: Den Sinn finden. Kommt es zur Bedürftigkeit in diesem Bereich, der ja die drei vorangehenden Grundmotivationen zur Voraussetzung hat, so versteht der

    Mensch den übergreifenden Kontext nicht, in den er eingebunden ist. Es droht die

    Gefahr, sich einem Scheinsinn oder Sinnersatz zuzuwenden, also zum Beispiel

    Modeströmungen, gesellschaftlich anerkannten Zielen, Ideologien usw. Apathie und

    Verzweiflung können die Folge sein, wie sie etwa auch Freudenberger & North

    (1992) für die letzten Stadien des Burnout-Zyklus beschrieben haben.

    5.6. Praxisbeispiel: Herr Xaver Ein körperlich behinderter Mann (Xaver, 50) kommt in die Beratung, weil er - wie er

    selber sagt - an psychosomatischen Störungen leidet. Von seinen Eltern wurde er

    nicht gerade liebevoll behandelt. Körperkontakt gab es kaum. Bei aller Pflege, die er

    brauchte, wurde er kalt und distanziert behandelt. Musste er zu einem Arztbesuch,

    wurde er in den Bus gesteckt, ohne Begleitung. Sein Vater sagte mehr als einmal zu

    ihm „Du bist uns eine Last.“ Der Vater war zudem sehr fordernd. Er setzte ihn immer

    wieder unter Druck. "Gib dir Mühe, sonst schaffst du es nicht. Du musst…" In der

    Schule musste er Bestleistungen erbringen, was ihm trotz allen Bemühungen nicht

    gelang. Und so ist das Leben dieses Mannes ein ständiger Kampf ums Dasein. Er

    entwickelte überhöhte Ansprüche an sich, so neigte er zum Perfektionismus. Obwohl

    er behindert ist, arbeitet er zu 100%, und verzichtet bewusst auf eine IV. Er ist

    überaus aktiv und tüchtig. Er gönnt sich kaum Ruhe. Er hat das Gefühl, dauernd

    schuften und arbeiten zu müssen. "Ich muss mehr leisten, um auf den gleichen Level

    wie die Gesunden zu kommen." Er arbeitet auch am Feierabend. Aus Angst, seine

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 12

  • Stelle verlieren zu können, nimmt er jeweils Arbeitsunterlagen mit nach Hause, um

    bis in die Nacht hinein daran zu arbeiten. In seinen Ferien besucht er oft

    Tagesschulen und Weiterbildungskurse. Dabei hat er sich überfordert. Eine weitere

    Überforderung zeigt sich bei ihm darin, dass er sich am Arbeitsplatz nicht abgrenzen

    kann. Er wird zum Helfer für jedermann, auch was persönliche Anliegen und Sorgen

    der Mitangestellten betrifft. Damit fühlt er sich überfordert. Er wird krank und zeigt

    psychosomatische Störungen. Alles deutet auf ein Burnout hin. Es ist, als wäre ein

    Sklaventreiber in seinem Innersten, der ihn dauernd zu Höchstleistungen antreibt,

    und ihm keine Ruhe gönnt. Aber wer nie zur Ruhe kommt, wer nicht Sein kann, und wer nicht Sein-lassen kann, lebt gefährlich (1. GM). Betrachten wir dieses Beispiel anhand der 4 Grundmotivationen, so sind alle vier

    Grundmotivationen tangiert:

    1. GM: Raum, Schutz und Halt hat Xaver in seiner Kindheit nur mangelhaft erfahren. Er wurde weitgehend sich selber überlassen. Weil er nicht Sein kann, nicht Dasein

    kann, kommt er innerlich nicht zur Ruhe. Sichtbar wird ein Aktivismus, der zum

    Perfektionismus führt und der ihm Halt vermittelt. Es folgt die Überforderung, und

    schliesslich das Burnout.

    2. GM: Betroffen ist auch der Lebenswert. Er entsteht durch Zuwendung und Nähe, wodurch die emotionelle Wärme im Subjekt entsteht. Störungen auf dieser Ebene

    zeigen sich in blockierter Emotionalität, in Beziehungsangst und emotionaler

    (depressiver) Überlastung. Solche Menschen sind empfänglich für helfende Berufe.

    Burnout ist die Sinnkrise der Helfenden. Xaver meint, allen Mitarbeitenden helfen zu

    müssen (Helfersyndrom). Als Folge kommt es zur Überforderung. Ersichtlich wird

    zudem eine mangelhafte Ausbildung des Grundwertes. Niemand gab ihm je das

    Gefühl "Es ist gut, dass es dich gibt."

    3. GM: In diesem Bereich geht es um die Anerkennung des Eigenen, des Selbstwertes und der Rechtfertigung der eigenen Existenz vor sich und Anderen.

    Xaver vergleicht sich ständig mit den Gesunden, und kann nicht zu sich und seinen

    Grenzen stehen, kann sich nicht schätzen. Es wird deutlich: Wie ich bin, ist es nicht

    gut. Als Folge davon, strengt sich Xaver über die Masse an, um diese Anerkennung

    einzufordern.

    4. GM: Hier geht es um das Finden von Sinn, um die Einordnung des eigenen Lebens in einen grösseren Zusammenhang, in dem man sich selbst verstehen kann.

    Xaver erlebte seine Bemühungen weitgehend als sinnlos. Er zweifelte an sich, an

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 13

  • den Mitmenschen und an Gott. Er kann die 4. GM nicht leben. Voraussetzung dazu

    wäre, dass die GM 1-3 erfüllt sind.

    Fazit: "Hinter jedem Burnout steht eine Dynamik, deren Wurzeln existenzanalytisch mit den personal-existentiellen Grundmotivationen im Zusammenhang stehen.

    Dadurch sind die Voraussetzungen für ein existentielles Leben nicht gegeben, und

    der Mensch kann nicht mit innerer Zustimmung leben. (Ein solches Leben bringt

    Stress mit sich). Beschreibt man Stress existentiell, so liegt ihm allemal ein fehlendes

    Einverständnis mit der unmittelbaren Tätigkeit zu Grunde. Dies ist existenzanalytisch

    die tiefste Wurzel von Stress: etwas zu tun, ohne es wirklich zu wollen und mit dem

    Herzen dabei zu sein ("dis-konkordantes Leben")“ (Längle 1997, 16).

    6. Beratung und Prophylaxe 6.1. Verhaltensorientierte Massnahmen Als Grundregel kann genannt werden:

    1. Auf seinen Körper hören

    Das bedeutet ausreichend schlafen, gesund essen, sich häufig bewegen (wandern,

    joggen, schwimmen usw.), Pausen während der Arbeit einlegen und lernen „Nein-zu-

    Sagen.“ Als hilfreich erweisen sich meditative Praktiken oder Entspannungsübungen.

    Entspannen heisst nicht irgend etwas tun, sondern nichts tun, sich loslassen,

    innehalten und verweilen können. Sich auf sich selbst besinnen, bei sich ankommen,

    stille werden. Die Muskeln entspannen, den Atem ruhig werden lassen. Bei sich, bei

    einem inneren Bild oder Wort verweilen. Das Wort wiederholen, das Bild meditieren.

    2. Abwechslung und soziale Kontakte

    Abwechslung und soziale Kontakte verhelfen zu einem ausgewogenen Spannungs-

    und Entspannungserlebnis.

    3. Klare Abmachungen im Bezug auf die Arbeitssituation. Zeitmanagement.

    Zur Verbesserung der Arbeitssituation sollen klare Abmachungen getroffen werden

    (Stellenbeschrieb), Aufklärung über die Geschäftsgänge), dies verhindert Über- oder

    Unterforderungszustände. Spekulationen über einen eventuellen Arbeitsverlust

    können so zum Vornherein ausgeräumt werden. --- Zeit und Arbeit sorgfältig planen,

    sind weitere Massnahmen. Viele Menschen haben eine Abneigung gegen das

    Verplant-Sein. Aber nur sorgfältiges Planen ermöglicht es, sich Erholungsräume

    freizuhalten, und sich die Zeit für Reflexion zu nehmen. Je hektischer der Alltag,

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 14

  • umso wichtiger sind Phasen der Ruhe. Dadurch lassen sich die Dinge aus einer

    souveränen Distanz betrachten.

    6.2. Existenzanalytische Behandlung von Burnout Zunächst werden, wie oben erwähnt, die verhaltensorientierten Massnahmen

    angewendet. In einem weiteren Schritt werden die Defizite im Bereich der

    Grundmotivationen erhellt und behandelt. "Damit verlagern wir die Aufmerksamkeit

    von den äusseren Bedingungen auf die Haltung zum Leben und auf die Sinnstruktur,

    nach der das subjektive Leben ausgerichtet wird" (Längle 1997, 18). Konkret geht es

    um die Anleitungen zu einem sinnvollen, authentischen Leben. In erster Linie arbeitet

    die Existenzanalyse an existentiellen Haltungen und situativen Einstellungen. In

    diesem Zusammenhang sind folgende Aspekte wichtig:

    6.2.1. Sinnerfüllung und Werteverwirklichung Wie bereits ausgeführt, ist es gerade die mangelnde Sinnerfüllung, die ein Burnout

    auslösen kann.8 Umgekehrt gilt: Sinnerfüllung ist die beste Prophylaxe vor Burnout.

    Wichtige Voraussetzung zur Sinnerfüllung ist jedoch, dass die GM 1-3 erfüllt sind.9

    Bei der Prävention und Behandlung von Burnout geht es darum, die Lebenshaltung

    und die Einstellung zum Leben genauer unter die Lupe zu nehmen. Dabei

    wegweisend sind die typischen existenzanalytischen Fragen:

    • Wozu mache ich das?

    • Mag ich das tun? Erlebe ich, dass es gut ist, so dass ich es gerne tue?

    • Gibt mir die Tätigkeit auch jetzt etwas?

    • Will ich dafür leben – will ich dafür gelebt haben? (Längle 1997, 18)

    Bei einem Radio-Interview10 zum Thema Burnout fragte ich Dr. med. René Hefti, ob

    er vielleicht selber von einem Burnout-Syndrom betroffen sein könnte. Er antwortete:

    "Ich habe leichtere Burnout-Phasen erlebt, bei denen ich mich erschöpft gefühlt

    habe. Ein schweres Burnout habe ich bis heute nicht entwickelt, und es ist mir nicht

    klar, weshalb nicht. Ich habe meine Frau gefragt, warum das so ist, und sie

    antwortete spontan: 'Du hast immer noch Spass an deiner Arbeit'. Damit hat sie

    recht, sie hat den Punkt getroffen, und vor allem sehe ich auch einen Sinn dabei." An 8 Vgl. S. 9, Pkt. 5.3. Schein-Sinn statt existentieller Sinn 9 Vgl. S. 12: 4. GM: Denn Sinn finden 10 Radiosendung auf Life Channel

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 15

  • diesem Beispiel wird deutlich, wie Prävention von Burnout aussehen kann: Zunächst

    ist es der Spass, also die Freude an der Arbeit. Damit soll nicht gesagt werden, dass

    Arbeit immer - und unter allen Umständen - Freude bereiten muss. Längle (1997, 18)

    stellte dazu die Faustregel auf: "Wer mehr als die Hälfte der Zeit mit Dingen

    beschäftigt ist, die er nicht gerne tut, wo er nicht mit dem Herzen bei der Sache ist

    oder woran er keine Freude hat, der muss früher oder später mit einem Burnout

    rechnen." --- Zurück zum Beispiel von oben: Zur Freude hinzu kommt der Sinn. Wer

    die Frage nach dem Sinn seines Tuns beantworten kann, der hat schon viel getan

    gegen Burnout. Dieses Ziel erreicht man jedoch nicht durch ein paar

    Entspannungsübungen, sondern über Wachstumsprozesse. Viktor Frankl, der

    Begründer der sinnzentrierten Psychotherapieform, hat mit Nachdruck darauf

    hingewiesen, dass Sinn oder Glück nicht "gegeben" oder "verschrieben" werden

    kann, sondern sich ereignet und einstellt, wenn persönliche Werte verwirklicht

    werden. Frankl spricht von der "Vollzugswirklichkeit" absichtlichen Handelns. "Erst

    die gefühlsmässige Intention von Werten kann dem Menschen wahre Freude

    machen" (Frankl 1987, 72). Es hängt letztlich vom Menschen selbst ab, ob sein

    Leben existentiellen Sinn hat. Frankl beschreibt in der Logotherapie drei

    "Hauptstrassen" zum Sinn. Er weist darauf hin, dass der Mensch in allen

    Lebenssituationen und unter allen Bedingungen Sinn finden kann. Allen "Strassen"

    gemeinsam ist, dass es sich um Werte handelt.

    1. Schöpferische Werte Bei den schöpferischen Werten, geht es um das „Setzen einer Tat oder Schaffen eines Werkes“ (Längle 2001, 234). Damit kann vieles gemeint sein, wie zum Beispiel für jemanden eintreten, eine Arbeit ausführen, ein Bild malt, einen Kuchen backen usw. Im Vordergrund steht die konkrete Tat. Wenn der Mensch erlebt, dass dadurch etwas Wertvolles entsteht, dann erlebt er Sinn. 2. Erlebniswerte Bei den Erlebniswerten geht es um die Hingabe an die Schönheit von Natur, Kunst oder Musik. Was wir als schön, wertvoll, packend und beglückend erfahren, empfinden wir in der Regel als sinnvoll. Dazu gehört auch der Kontakt zu anderen Menschen, und damit verbunden die Liebe, beides macht für uns Sinn. 3. Einstellungswerte Um eine konstruktive Einstellung zum Leiden, um die Haltung wie Tapferkeit im Leiden, geht es bei den Einstellungswerten. Bei unheilbarer Krankheit, Tod von Angehörigen, vollzogene Trennung vom Partner usw. stehen wir in der Gefahr, alles als sinnlos zu bezeichnen. Diese Haltung kann überwunden werden durch eine veränderte Einstellung dazu. Durch sie soll das Unglück eingedämmt werden, damit es nicht noch mehr Schaden anrichtet. Nicht mehr

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 16

  • Arbeit oder Erleben ist hier gefragt, sondern einzig die Haltung zum Leben. Wie gehen wir mit dem Leid um? Und für wen kann es noch von Bedeutung sein? --- Diese drei "Hauptstrassen" bilden die grundsätzlichen Möglichkeiten des Menschen, Sinn im Leben zu finden (Frankl 1987, 81ff).

    6.2.2. Leben mit Zustimmung Wie bereits erwähnt, geht es bei der EA darum, den Menschen zu befähigen, dass er

    mit innerer Zustimmung leben und handeln kann.11 Die Realität des Lebens zeigt

    jedoch, dass es immer wieder Situationen gibt, wo wir ohne innere Zustimmung

    leben. Vielleicht tun wir gewisse Dinge aus übersteigertem Pflichtbewusstsein, oder

    wir können nicht Nein sagen. Es besteht dabei die Gefahr, dass wir uns selber

    übergehen. Die Folge ist eine nicht-authentische Lebensweise. Ich mache etwas,

    damit es gemacht ist, damit die Sache "erledigt" ist. Aber wer viel erledigt, ist bald

    einmal selbst "erledigt". Es ist ein Leben ohne Hingabe.12 Ich bin passiv, innerlich

    nicht wirklich dabei, und darum macht es mich leer, weil ich mich verliere. "Die

    Entleerung, das Erfüllungsdefizit, die psychische Bedürftigkeit und der Verlust des

    Lebensgefühls haben existenzanalytisch gesehen einen gemeinsamen Ursprung. Sie

    entstehen letztlich, weil ohne innere Zustimmung13 zum Inhalt der realen Tätigkeit

    gelebt wird. Burnout und Stress entstehen durch ein Leben ohne innere Zustimmung

    zum Inhalt der Tätigkeit" (Längle 1997, 16).

    6.2.3. Stimmigkeit und innere Erfüllung. (Authentisch leben) Mit Stimmigkeit meint die Anthropologie der EA zunächst ein Handeln, das in

    Übereinstimmung steht mit sich selbst. "So ist es in meinen Augen richtig - das passt

    zu mir. Es ist der schöpferische Akt des sich selbst Schaffens in der je konkreten

    Situation" (Längle, 1999b, 24). Es geht um die Abstimmung auf das eigene Wesen.

    Zweitens geht es auch um die Stimmigkeit im Bezug auf die anderen Menschen. Wie

    verhalte ich mich ihnen gegenüber? Wie würden sie an meiner Stelle, in meiner

    Situation entscheiden? Würden sie dasselbe als richtig ansehen, wie ich? Es geht

    um subjektive Gewissheit, "sich mit seiner Entscheidung und seinem Verhalten in der

    Gemeinschaft mit den anderen Menschen zu wissen" (Längle, 1999b, 24). Drittens

    geht bei der Stimmigkeit um eine Über-ein-stimmung zwischen mir und den situativen

    Anfragen des Lebens. --- Je häufiger es einem Menschen gelingt, mit innerer

    11 Vgl. S. 2. Pkt. 2: Vorbemerkungen: Grundlegende Gedanken zur EA und LT 12 Vgl. S. 8. Pkt. 5.1.: Hergabe statt Hingabe 13 Vgl. S. 14: Fazit: Hinter jedem Burnout steht eine Dynamik…

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 17

  • Stimmigkeit zu leben, desto stabiler kann seine psychische Verfassung werden. Und

    desto weniger gerät er in ein Burnout. Burnoutprophylaxe beginnt also dort, wo wir

    einem Menschen dazu verhelfen, ganz bei sich zu sein, still zu werden, mit sich im

    Gespräch zu sein. Nötig ist zudem die Arbeit an der Lebenshaltung, zum Beispiel,

    dass man es sich wert ist, für sich einzutreten, seine Wünsche und Ansprüche zu

    leben. Wo mit Stimmigkeit gelebt wird, kommt es zu einer authentischen,

    existenziellen Haltung. Und damit zu einem erfüllten Leben.

    7. Schlussbemerkungen Zum Schluss will ich noch auf die psychotherapeutische Methode der Personalen

    Existenzanalyse (PEA) hinweisen. Mit Hilfe der PEA können die Ressourcen der

    Person unmittelbar mobilisiert werden, was im Zusammenhang mit Burnout von

    besonderer Bedeutung ist. Die EA sieht die Grundvoraussetzung für ein gelingendes

    Leben darin, dass der Mensch in einer guten Beziehung zu sich selbst und zur Welt

    um ihn herum lebt. Im Fokus stehen somit zwei Bereiche, mit denen der Mensch

    ständig im Dialog steht. Die "Eigenwelt" und die "Aussenwelt". Zur "Eigenwelt"

    gehören der Leib, Selbstbezug, Identität, Gefühlswelt (Psyche), und die

    Lebensgeschichte. Zur "Aussenwelt" gehört alles, was auf uns zukommt, was uns

    fordert und herausfordert, eine bestimmte Arbeit oder Aufgabe. Ziel der PEA ist es,

    den Menschen in einen offenen und dialogischen Austausch zu führen mit den

    jeweiligen Gegebenheiten, also mit sich selbst und mit seiner "Aussenwelt". Die

    folgende Skizze soll dies verdeutlichen.

    2. Stellungnahme

    Person

    1. Eindruck 3. Ausdruck 1) Im Zentrum steht die Person. Sie ist erreicht durch den Eindruck, von dem sie berührt ist. Sie ist ansprechbar (Eindrucksebene). 2) Die Person wird erkennbar in der Stellungnahme, die sie zu den sie berührenden Eindrücken trifft. Sie ist verstehend (Ebene der Stellungnahme). 3) Die Person ist erlebbar in dem, was sie zum Ausdruck bringt, wie sie antwortet (Ausdrucksebene).

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 18

  • Beispiel: Jemand fühlt sich ständig unter Stress, ist verärgert über sich und den

    Arbeitgeber, weil dieser zu viel fordert.

    1. Eindruck: Hier geht es darum, Fühlung zu sich aufzunehmen. Was für Gefühle

    bekommen Sie dabei? Was ärgert Sie? Warum ärgert Sie das eigentlich?

    2. Stellungnahme: Verstehen Sie, was Sie so ärgert und stresst, warum sich der

    Arbeitgeber so verhält? Was halten Sie davon, was er tut und wie Sie reagieren?

    Finden Sie es richtig, wie Sie damit umgehen? Was wollen Sie tun?

    3. Ausdruck: Was könnten Sie konkret tun? Und wie können Sie das realisieren? Mit

    welchen Mitteln können Sie es umsetzen? Wann? Wie viel auf einmal?

    (Fragestellungen aus Lehrbuch der EA 4, 116).

    Mit Hilfe der PEA wird die Person zu einem authentischen und eigenverantwortlichen

    Verhalten mobilisiert. Wenn die Person das tut, wird sie sich selbst. Die PEA ist somit

    eine effiziente Methode, um an die eigenen Ressourcen zu gelangen. Zudem kann

    sie auf Lebenseinstellungen und Haltungen einwirken und diese verändern.

    Seelische Gesundheit, ein sinnerfülltes und gutes Leben wird durch ein

    authentisches Handeln bewirkt. Sowohl die PEA als auch die EA wollen dazu

    verhelfen, dass der Mensch aus vollem Herzen auch zu dem stehen kann, was er tut.

    Und das sind wichtige Voraussetzungen, um ein Burnout zu vermeiden.

    __________________________________________________________________

    Das Schreiben dieser Abschlussarbeit hat mir Freude gemacht. Ich genoss es, mich

    nochmals vertieft mit dem Inhalt der EA und LT auseinander zu setzen. Mein Leiden

    begann dort, wo ich beim Schreiben feststellte, dass ich zu viel „Stoff“ hatte. Es blieb

    mir nichts anderes übrig, als mir wichtig scheinende Passagen wegzulassen. Das

    Positive dabei: Ich musste mich auf das Wesentliche beschränken, die

    Kernaussagen beachten und entsprechend einbringen. Sollte dennoch etwas

    Wichtiges fehlen, so sei an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt, dass ich keinen

    Anspruch auf Vollständigkeit erhebe.

    Beeindruckend war für mich die Feststellung, wie hoch relevant die ausgeführte

    Thematik für meine Beratungstätigkeit ist. Immer wieder stosse ich auf Menschen

    (vergleiche Beispiel von Herr Xaver), die an einem Erfüllungsdefizit leiden und starke

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 19

  • Burnot-Symptome zeigen. Die theoretischen Ausführungen konnte ich somit immer

    gleich in der Praxis erproben. Das empfand ich als besonders hilfreich.

    Hilfreich war für mich auch, während dem Schreiben nochmals gründlich meine

    eigene Lebenssituation reflektieren zu können. Dabei habe ich bemerkt, wie schnell

    ich dazu geneigt bin im Pflichtbewusstsein aufzugehen, und dabei mich selber zu

    übergehen. Die nicht-existentielle Lebensweise ist mir bekannt. Im Alltag habe ich

    mir selbst immer wieder mal über die Schultern geguckt und mir gesagt: "Was

    machst du gerade? Wie geht es dir dabei? Wie kommst du damit zurecht?" Diese

    Übung der Selbstwahrnehmung hat mich sensibilisiert auf mögliche Überlastung und

    Überforderung. Ich denke, dass ich heute aufmerksamer und sorgsamer mit mir

    umgehe. Ich habe gelernt, vermehrt auf meine Stimmigkeit zu achten und öfters auch

    Nein zu sagen. Und damit hat sich erfüllt, was ich mir schon ganz am Anfang meiner

    Ausbildung in EA und LT gewünscht habe: Eine bessere Lebensqualität!

    8. Literaturverzeichnis Bücher: Burisch M (2005): Das Burnout-Syndrom. Theorie der inneren Erschöpfung. Springer-Verlag: Berlin. Frankl V (1987): Aerztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main. Frankl V (1990): Der leidende Mensch. Anthropologische Grundlagen der Psychotherapie. Piper, München. Freudenberger H, Richelson G (1983): Mit Erfolg leben. München, Heyne Freudenberger H., North G (1992): Burn-out bei Frauen. Über das Gefühl des Ausgebranntseins. Krüger-Verlag. Längle A (1987): Sinnvoll leben. Logotherapie als Lebenshilfe. Herder spektrum. Längle A (2001): Viktor Frankl. Ein Porträt. Piper Artikel in Büchern: Längle A, Probst Ch (Hrsg) (1993): Süchtig sein. Entstehung, Formen und Behandlung von Abhängigkeiten. Erweiterter Tagesbericht 1/1993 der GLE. A. Längle: Das Ja zum Leben finden. Wien. 13-32).

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 20

  • Längle S, Sulz M (Hrsg) (2005): Das eigene Leben. Ein Lesebuch zur Existenzanalyse. A. Längle: Spiritualität in der Psychotherapie? 41-56. Petzold H G, Orth I (Hrsg) (2005): Sinn, Sinnerfahrung, Lebenssinn in Psychologie und Psychotherapie. Bd. II. Bielefeld/Locarno: Aisthesis, pp. 403-460. A. Längle: Das Sinnkonzept V. Frankls - ein Beitrag für die gesamte Psychotherapie. 1-36. Stumm G, Wirth B (Hrsg) (1994): Psychotherapie, Schulen und Methoden. Eine Orientierungshilfe für Theorie und Praxis. A. Längle: Existentiell orientierte Ansätze. Wien: Falter-Verlag, 2. überarb. Auflage. 185-192. Artikel in Zeitschriften: Längle A (1997): Burnout – Existentielle Bedeutung und Möglichkeiten der Prävention. Originalarbeiten. In: Existenzanalyse GLE 2/97, 11-19. Längle A (1999a): Existenzanalyse – Die Zustimmung zum Leben finden. Psychotherapeutisches Seminar. In: Fundamenta Psychiatrica. Schattauer Verlagsgesellschaft. 37-44. Längle A (1999b): Die anthropologische Dimension der Personalen EA (PEA). In: Existenzanalyse GLE 1/99, 18-25. Längle A, (2001): Lehrbücher der Existenzanalyse und Logotherapie, 1-4. Bilanz (19/2007): In "Das Schweizer Wirtschaftsmagazin". Spezial, Stress/Burnout, 82-89. Audio-CD: Radiosendung Life Channel www.lifechannel.ch vom 5.3.2007 zum Thema "Burn-out - am Ende der Kraft". Ernst Bai im Gespräch mit Dr. med. René Hefti.

    Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 21

    http://www.lifechannel.ch/