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Page 1: Castortransporte!

| Der Radiologe 9·98

Essay

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O. Krauss · Zentrale Einrichtung Strahlenschutz und Dosimetrie,

Deutsches Krebsforschungszentum, Heidelberg

Castortransporte! Gefahren für uns alle durch den Transportverbrauchter Brennelemente aus deutschenKernkraftwerken?

Ein Zwischenruf

gernis liegt darin, daß „völlig sauber ge-putzt, gemessen, kontrolliert und ge-meldet“ eben nicht überall völlig sau-ber war. Zu „völlig sauber“ sei hier aneine Backstube erinnert, wo – auchnach mehrmaligem Putzen – das Wi-schen mit dem Finger im entlegenstenWinkel doch noch einen Rest Mehl-staub ans Licht bringt.

Welches Resümee ist nun sachge-recht? Meine Antwort: Bei Begleitper-sonal und Anwohnern an Bahnstreckenund bei allen weiteren unbeteiligtenPersonen wurden von den Transportenkeine Personendosen verursacht. Men-schen, unbeteiligte Sachen und die Um-welt wurden nicht kontaminiert. DasArgument, die Strahlung von den Be-hältern, und sei sie noch so gering, mußdort, wo sie auftrifft, eine Dosis ma-chen, ist zwar theoretisch richtig, rich-tig ist aber auch, daß derart kleineStrahlendosen von den Schwankungender natürlichen Strahlenexposition beiweitem übertroffen werden. In keinemFall können derart kleine Strahlendo-sen ein Unwohlsein oder eine Krank-heit bei einer bestimmten Person ver-ursachen. Die Strahlung von den Be-hältern und die seltenen und geringenradioaktiven Restverunreinigungen ge-

unter dem Zulassungswert für die Be-hälter liegt. Meßergebnisse an belade-nen Castorbehältern ergaben Ortsdo-sisleistungswerte von ca. 6 bzw. 3 Mi-krosievert pro Stunde in den Abstän-den von 10 bzw. 20 Metern. Daß dieseOrtsdosisleistungswerte zu keinen Per-sonendosen führen, hat z. B. ein Groß-einsatz der Polizei mit mehr als tausendPersonendosimetern gezeigt. Alle diesePersonendosimeter ergaben keinenPersonendosiswert2. Diese Ergebnissewurden auch erwartet, weil die Ortsdo-sisleistungen, die von den Behälternausgehen, sehr klein sind.

Kritiker und Gegner der Kernener-gie stellen nun die Restverunreinigun-gen durch radioaktive Stoffe an einigenTransportbehältern, die für die Trans-porte zu den Wiederaufarbeitungsanla-gen in Frankreich und in England ein-gesetzt werden, als große Gefährdungfür die Bevölkerung dar, wie wir es alledurch die Inszenierung in den Medienmiterlebt haben3. Der Sachverhaltbringt jedoch keine Gefahr mit sich, erist höchstens ein Ärgernis. Die Restver-unreinigungen können weder weitereSachen noch beteiligte oder unbeteilig-te Personen außerhalb der Spezialwag-gons kontaminieren. Sie liefern auchkeinen Beitrag zur Ortsdosisleistung,die ausschließlich von den radioaktivenStoffen in den Behältern kommt. Des-halb können sie auch keinen Beitrag zueiner Personendosis leisten4. Das Är-

EssayRadiologe1998 · 38:764–765 © Springer-Verlag 1998

In den letzten Maiwochen und An-fang Juni dieses Jahres hielten immerneue Meldungen zu Transporten von„verstrahlten“ Castorbehältern1 diedeutsche Öffentlichkeit in Atem, bisdann mit dem unerwarteten Zugun-glück bei Eschede die Angstgefahr„Castorbehälter“, die weder Tote nochVerletzte, nur vermeintlich Körperge-schädigte mit sich brachte, durch einwirkliches Unglück mit allzuvielen To-ten und Verletzten und mit seinem un-sagbaren Leid für die Betroffenen ab-gelöst wurde.

Warum wird die deutsche Öffent-lichkeit immer so stark verschreckt,wenn Fernsehen, Radio und PresseMeldungen mit dem Wort „Castor“bringen? Liegt es daran, daß uns seitJahren eingehämmert wird, diese Be-hälter seien „radioaktiv verstrahlt“, wasimmer das heißt. Im Zweifelsfall heißtdas, die Behälter machen uns krank. Zufragen ist, ob es für diese Behauptungeine sachliche Grundlage gibt: WelcheStrahlendosen gehen von den Trans-portbehältern aus? Können diese Strah-lendosen gefährlich sein?

Zum Sachverhalt: Die Behälter ent-halten große Aktivitäten verschiedenerradioaktiver Stoffe. Durch die dicke Ab-schirmwand kommt noch eine Rest-strahlung hindurch, die jedoch deutlich

Dipl. Phys. O. KraussDeutsches Krebsforschungszentrum, INF 280,

D-69120 Heidelberg&/fn-block:&bdy:Fußnoten stehen im Anhang

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fährden niemanden und machen auchnicht krank5.

Die nun geforderten weiteren Ver-schärfungen der Sicherheitsvorschrif-ten im Strahlenschutzbereich – alsoauch im Bereich der Forschung und der

Eisenbahnüberführungen sollten einesolche Spannweite und Höhe haben,daß entgleisende Zugwagen nicht ge-gen die Pfeiler prallen können, oder...Weiteren Sicherheitsforderungen sindkeine Grenzen gesetzt.

Medizin – entwickeln sich zu irrealenForderungen. In anderen Bereichen un-serer Lebenswirklichkeit werden ver-gleichbare Forderungen nicht gestelltund wären auch nicht zu realisieren.Man denke nur daran, nach Eschedewürde sich die Forderung erheben, alle

Anhang

Fußnote 1

Der Castor-Behälter ist ein Transport-und Lagerbehälter; Transporte mitCastor-Behältern, die mit verbrauchtenBrennelementen gefüllt sind, gehen bisheute nur in die deutschen Zwischenla-ger in Ahaus und in Gorleben. DieTransporte in die Wiederaufarbei-tungsanlagen in Frankreich und inEngland mit verbrauchten Brennele-menten werden mit Transportbehäl-tern, die Bezeichnungen wie TN 17/2oder NTL 11 tragen, durchgeführt

Fußnote 2

Die Auswertung der Personendosime-ter durch eine amtliche Meßstelle ergabkeinen Personendosiswert. Für die Do-simeter bei dieser Überwachungsakti-on war, wegen des großen politischenInteresses, die Nachweisgrenze durchein aufwendiges Auswerteverfahren auf30 Mikrosievert herabgesetzt worden

Fußnote 3

Die Restkontaminationen an kleinenBereichen von Transportbehältern beiwenigen der vielen Transporte lagenbei einigen 10 bzw. 100 Becquerel proQuadratzentimeter. In einem Fall wurdein der Wanne des Spezialwaggons aneiner einzelnen Stelle eine Aktivität von13400 Bq gemessen. Der Grenzwert

für radioaktive Kontaminationen beiTransporten ist auf 4 Bq/cm2 festgelegt.Ein wesentlicher Grund für diesenniedrigen Grenzwert liegt darin,Verun-reinigungen so gering wie möglich zuhalten und großflächige Verschmut-zungen durch künstlich erzeugte radio-aktive Stoffe auszuschließen. Gegen die-ses Prinzip des Ausschlusses von Ver-schmutzungen wurde von den Kern-kraftwerken nicht verstoßen

Fußnote 4

Anmerkung zur Personendosis: Diemittlere natürliche Personendosis inDeutschland beträgt pro Person undJahr ca. 2500 Mikrosievert. Diese natür-liche Strahlendosis setzt sich aus eineräußeren und einer inneren Strahlenex-position zusammen. Die äußere wirddurch Strahlung aus dem Weltall, ausdem Erdboden und den Wänden derGebäude hervorgerufen; die inneredurch die im Körper enthaltenen natür-lichen Radionuklide wie z. B. Kalium-40 und Radon in der Atemluft. Wegendes Bezugs zu Kontaminationen undzur Personendosis, soll hier nur nochnäher auf das Kalium-40 eingegangenwerden. Kalium ist ein lebenswichtigesElement für den Stoffwechsel. Beim Er-wachsenen beträgt die Kalium-Konzen-tration ca. 2 Gramm pro KilogrammKörpergewicht; folglich sind ca. 150Gramm Kalium im Körper vorhanden.Jedes Gramm Kalium enthält natürli-cherweise 30 Becquerel an Kalium-40.Somit finden im Körper eines Erwach-senen unvermeidbar ca. 4500 Zerfälle

pro Sekunde (Bq) statt, ohne daß diesezu einer gesundheitlichen Schädigungführen. Diese Aktivität erzeugt eineKörperdosis von etwa 180 Mikrosievertpro Jahr. Kleine zusätzliche Aktivitätenim Bereich von einigen 10 Bq bis einige100 Bq, die einmal oder wenige Male inden Körper gelangen, verschwinden imRauschen der natürlichen Aktivitäts-schwankung und erhöhen somit dieKörperdosis nicht

Fußnote 5

Der Zusammenhang zwischen Perso-nendosis und Tumorkrankheit mit demüblichen Zahlenwert von 5 % pro Sie-vert, d.h. 5000 Krebserkrankungen sindzu erwarten bei der Bestrahlung von100000 Personen mit einer Dosis von 1Sievert, hat bei diesem Sachverhalt keineAnwendungsberechtigung, da es umsehr kleine Strahlendosen geht, die un-ter 1 % der natürliche Strahlendosis beiwenigen Mikrosievert liegen. WeitereForderungen nach noch weniger Strah-lung und noch größerer Reinheit ent-wickeln sich zur Strahlenphobie undbringen durch ihre Unverhältnismäßig-keit zusätzliche Probleme mit sich, aufdie z. B. der schwedische Physiker undinternational renommierte Strahlen-biologe Gunnar Walinder mit seinemBuch „Has Radiation Protection be-come a Health Hazard?“ hinweist (ISBN91-630-3492-1)