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VON ANDRÉ AMMER

Das Mail-Postfach quillt über, in zehnMinuten findet die nächste Bespre-chung statt, und jetzt steht auch nochder Chef mit einer umgehend zu erledi-genden Zusatzaufgabe im Zimmer. An-gesichts hoher und gleichzeitig wech-selnder Anforderungen würden vieleMenschen ihren Arbeitsalltag gernebesser an die eigenen Bedürfnisse an-passen. Genau das sollten sie laut Wis-senschaftlern der Universität Erlangen-Nürnberg mit Hilfe des sogenanntenJob Crafting tun.

NÜRNBERG — Das englische Verb„to craft“ steht für „etwas von Handfertigen“ beziehungsweise „gestal-ten“ oder „basteln“, und so fordertColin Roth die Teilnehmer seiner Se-minare dazu auf, ihren Job als ihr eige-nes „Handwerk“ odereine „Baustelle“ anzu-sehen. Die Menschensollen ihre Arbeit sogestalten, dass siemehr Engagement ver-spüren und kreativersowie innovativer anihre Aufgaben heran-gehen, erklärt derWirtschaftspsycholo-ge der Friedrich-Alex-ander-Uni (FAU).

Roth leitet auch einBeratungsunterneh-men, das eine Schnitt-stelle von Forschungund Praxis bilden soll.„Unsere Produkte ha-ben ihren wissenschaftlichen Staubabgeschüttelt“, betont der Geschäfts-führende Gesellschafter der Black-Box/Open GmbH, die auch das Nürn-

berger Traditionshotel Victoria beider Umsetzung neuer Management-Ideen beraten hat. Unter anderemwurden die Mitarbeiter aller Abteilun-gen stärker in die Verantwortunggeholt, damit sie sich noch mehr mitihrem Arbeitsplatz identifizieren. Ausdiesem Prozess des Job Crafting ent-stand auch ein Ideen-Wettbewerb zurGestaltung der 120-Jahr-Feier desHotels.

Wenn Colin Roth und sein Team po-tenzielle Job Crafter auf das Trainingeinstimmen, ist der Begriff „Proaktivi-tät“ ein wichtiges Stichwort. Gemeintsind damit Eigeninitiative und voraus-planendes Handeln als Alternative zuabwartendem und rein reaktivem Ver-halten. Ein Beispiel: Die Firmenlei-tung weitet die Kernarbeitszeit in eini-gen Abteilungen aus, die Spätschichtmuss nun eine Stunde länger präsent

sein, obwohl die Tages-arbeit dann schonabgeschlossen ist. „Indiesem Fall würde ichmir leichtere Arbeitenwie Mails beantwor-ten oder Unterlagenordnen für den Abendaufsparen und diesenLeerlauf ganz bewusstdafür nutzen“, rät derpromovierte Wirt-schaftspsychologe.

„Die Mitarbeitermüssen sich Arbeits-weisen überlegen, diefunktionieren und diederen Arbeit verbes-sern, anstatt über Din-

ge nachzudenken, die ihnen im Wegstehen oder ihnen das Leben schwermachen“, ergänzt Wirtschaftswissen-schaftlerin Sabrina Ulrich, die zusam-

men mit Roth entsprechende Veran-staltungen organisiert. Dabei sollennicht nur Produktivität und Kreativi-tät der Teilnehmer gesteigert werden,es geht beim Job Crafting auch dar-um, das Wohlbefinden am Arbeits-platz zu erhöhen und unnötige Belas-tungen zu reduzieren.

Bisher ist unser Arbeitsalltag davongeprägt, dass Führungskräfte eine Rei-he von Aufgaben an ihre Mitarbeitervergeben, die diese innerhalb einesbestimmten Zeitraums und auf einebestimmte Art und Weise in Zusam-menarbeit mit ihren Kollegen erledi-gen sollen. Die Folge: Manche Mitar-beiter sind unmotiviert, jammernüber bestimmte Aufgaben oder das inihren Augen zu hohe Arbeitspensum,machen immer wieder die gleichenFehler oder lehnen Veränderungenkategorisch ab.

Job Crafter wieder-um schlagen neue We-ge vor, eine Aufgabeanzugehen, und wennihre Ideen auf positiveResonanz beim Vorge-setzten stoßen, neh-men Mitarbeiter lautden Untersuchungender Wirtschaftspsycho-logen ihre Arbeit be-wusster wahr und sindauch widerstandsfähi-ger gegen Stress.

Ein weiterer wichti-ger Baustein des JobCrafting ist der Ein-klang von Arbeits-und Privatleben.Wenn Colin Roth und Sabrina UlrichFirmenteams trainieren, gehen sieauch auf die speziellen Bedürfnissedes Einzelnen – zum Beispiel einer

alleinerziehenden Mutter – ein. Undnicht zuletzt soll jeder Teilnehmer dieindividuelle Balance zwischen Lange-weile und Engagement, zwischen Apa-thie und Burnout finden.

„Die meisten Menschen haben lautSabrina Ulrich viele kleine Frühwarn-systeme, wenn die Arbeitsbelastungdauerhaft ein ungesundes Maßannimmt. „Bei Menschen, die ausbren-nen, fehlen diese Filter.“ Motivationam Arbeitsplatz kann zudem angeregtwerden, indem Mitarbeiter an derFestlegung von Aufgaben sowie ander Festlegung von Leistungskriterienbeteiligt werden. Colin Roth verweisthier auf ein weiteres Verfahren mitdem sein Team arbeitet, das „Producti-vity Measurement and EnhancementSystem“, kurz ProMES, mit dem manVeränderungen bei der Produktivität,bei der Zufriedenheit und beim Be-

triebsklima mithilfewissenschaftlicher Da-ten auch zahlenmäßigbelegen kann.

Anfang 2017 willdie FAU Erlangen-Nürnberg in Zusam-menarbeit mit derTechnischen Universi-tät Eindhoven undBlackBox/Open eineFeldstudie durchfüh-ren, in der ProMESund Job Crafting kom-biniert werden. DieWissenschaftlersuchen dafür nochUnternehmen, die sichfür den Einsatz der

Methoden interessieren und in ihrenArbeitsteams einführen möchten. DasProjekt erstreckt sich über einen Zeit-raum von 100 Tagen.

VON KIRSTEN WALTERT

Neue Antibiotika gegen Problemkei-me zu finden ist ein mühsames, aberlebenswichtiges Unterfangen. Dennlangsam werden die verfügbaren wirk-samen Substanzen gegen bestimmtekrankmachende Bakterien knapp. Wirhaben Ursachenforschung betrieben,wie es zu dieser Antibiotika-Lückekommen konnte und wie die Wissen-schaft, sie zu schließen versucht.

Ungefähr 8000 „Bakterien-Killer“sind momentan bekannt. Wie vieledavon sind derzeit im Einsatz?

Rund 80 Antibiotika werden in derklinischen Praxis verwendet, um bak-terielle Infektionskrankheiten, wieHarnwegsinfekte, Lungenentzündun-gen oder Tuberkulose, zu behandeln.Auf dem Markt sind Breitband-Anti-biotika, die gegen zahlreiche Bakteri-enarten helfen, und Schmalspektrum-Antibiotika, die nur bei bestimmtenInfektionen eingesetzt werden. Verfüg-bar sind zudem Reserve-Antibiotika,die erst benutzt werden, wenn andereWirkstoffe versagt haben.

Warum nutzt man die übrigenbekannten Substanzen nicht?

Manche der Stoffe — Stichwort:Toxizität — würden dem Menschenmehr schaden als helfen und werdendaher nicht verwendet. Ein weiteresProblem sind Antibiotikaresistenzen.Während der Behandlung mit Antibio-tika können sich spontan auftretendeBakterienmutanten im Körper ver-mehren, die gegen die Wirkung deseingesetzten Mittels unempfindlich

geworden sind. Mitunter kommt eszur Entwicklung und Ausbreitungmultiresistenter Bakterien, gegen dieverschiedene Antibiotika nicht hel-fen. Scheiden immer mehr von ihnenfür die Therapie aus, entsteht im Lau-fe der Zeit eine Lücke.

Wie wirkt sich diese Lücke aus?Bis zu 4000 meist abwehrge-

schwächte Menschen sterben ge-schätzt allein in Deutschland jedesJahr an den Folgen einer durch multi-resistente Erreger ausgelösten Kran-kenhausinfektion.

Wodurch werden Resistenzen geför-dert?

Antibiotikaresistente Bakterienbreiten sich in erster Linie durcheinen unangemessenen Einsatz vonAntibiotika in Human- und Tiermedi-zin aus. Ein Beispiel ist, wenn Antibio-tika bei Krankheiten verschriebenund eingenommen werden, gegen diejene nicht helfen (können), etwa imFalle einer durch einen Virus ausgelös-ten Erkältung oder Grippe. Problema-tisch ist es auch, wenn Antibiotika vor-beugend in der Tiermast eingesetztwerden.

Weshalb hat sich die Pharmaindus-trie in den vergangenen zehn Jahrenkaum in der Antibiotikaforschungengagiert?

Mit Antibiotika lässt sich nurschwer Geld verdienen. Die Entwick-lung eines neuen Medikaments dauertmindestens acht bis zehn Jahre. DieKosten dafür betragen etwa eine Milli-arde Euro. Die Erfolgsrate, das Medi-

kament bis zur Marktreife zu bringen,liegt bei unter einem Prozent. Zudemist die Suche nach neuen antibioti-schen Substanzen schwierig.

Warum fällt die Suche schwer?Die leicht zu findenden Substanzen

hat man schlicht schon entdeckt. Nungilt es, ökologische Nischen auf derSuche nach neuen antibiotischen Sub-stanzen zu erforschen, etwa den Mee-resboden oder Höhlen. Ziel ist es, mög-lichst solche Antibiotika zu finden,

gegen die Bakterien nur infolge zahl-reicher genetischer Veränderungenresistent werden können.

Wie läuft die Suche ab?Ein Ansatzpunkt ist das „genome

mining“, also das Aufschlüsseln gene-tischer Infos der Bakterien, die manunschädlich machen will. Das Wissensetzt man bei der Entwicklung neuerStoffe oder der Abwandlung bekann-ter Substanzen gegen die krankma-chenden Mikroorganismen ein.

Haben die Wissenschaftler in jüngs-ter Zeit neue vielversprechende Sub-stanzen gefunden?

Ja. Kürzlich wurden zwei grundsätz-lich neue Substanzen beschrieben: Tei-xobactin, ein Stoff, der aus einem imBoden lebenden Bakterium isoliertwurde, und Lugdunin, das von einerBakterienart produziert wird, die alsTeil der Bakterienflora in der Nasemancher Menschen vorkommt. Teixo-bactin hilft — das zeigen Experimente— gegen eine breite Palette sogenann-ter Gram-positiver Pathogene, alsokrankmachender Bakterien ohne äuße-re Membran. Lugdunin wirkt eben-falls selektiv gegen solche Bakterien,einschließlich multiresistenter Kran-kenhauskeime.

Quellen: Prof. Christian Bogdan,Direktor des Instituts für KlinischeMikrobiologie, Immunologie undHygiene am Uni-Klinikum Erlangen,Prof. Tanja Schneider, Leiterin desInstituts für Pharmazeutische Mikro-biologie an der Uni Bonn, DeutscheMedizinische Wochenschrift 2016

Weshalb selbst 8000 Antibiotika zu wenige sindDie Suche nach neuen Wirkstoffen gegen resistente Bakterien ist dringlich, lohnt sich aber für Pharmafirmen kaum

. . .und ihr Kollege Colin Rothvon der Universität Erlangen-Nürnberg. Fotos: Ammer

Beraten Firmen in Sachen JobCrafting: Wirtschaftswissen-schaftlerin Sabrina Ulrich . . .

Redaktion Forschung und Wissen:

Kirsten Waltert (0911/216-2433)Christine Thurner (0911/216-2405)Lorenz Bomhard (0911/216-2412)

E-Mail: [email protected]

Foto: colourbox.de

VON PATRICK SCHROLL

Dem amerikanischen Thriller-Autoren Dan Brown gelang mit„Illuminati“ ein Bestseller, der vorMythen und Verschwörungstheo-rien strotzt. Acht Millionen Mal istdie 700 Seiten starke Jagd nachder vermeintlichen Wahrheit derkatholischen Kirche gedruckt wor-den. An Fakten statt Fiktion orien-tiert sich hingegen ein For-schungsprojekt der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Überaus span-nend ist das aber auch.

ERLANGEN — Professor KlausHerbers vom Lehrstuhl für Mittel-alterliche Geschichte und Histori-sche Hilfswissenschaften derFAU will einen Teil europäischerGeschichte rekonstruieren. Einvierköpfiges Forscherteam unterseiner Leitung ist auf akribischerSuche nach päpstlichen Schrei-ben aus den Jahren vor 1198.

Von mindestens 32000 Schrif-ten gehen die Forscher aus. Wasdie römischen Päpste in der Zeitdavor an Herrscher, Bischöfeoder Klöster in ganz Europa perBoten entsendeten, ist nur seltenerhalten und zentral nie erfasstworden. Erst nach dem Jahr 1198sicherte sich die Kirche Kopienvon der Korrespondenz im Vati-kan.

„Das Christentum war eine ver-bindliche Klammer für den Konti-nent“, erklärt Herbers KolleginViktoria Trenkle. Der Papst warin jener Epoche nicht nur geistli-ches, sondern auch weltlichesOberhaupt, Land und Leute rich-teten sich nach seinen Worten.Sie baten den obersten Hirten umRat und Rechte, die er schriftlichniederlegte. „Das war in ganzEuropa anerkannt und stand überköniglichen Privilegien“, sagtTrenkle.

So erklärt sich, warum es fürdie Krönung zum römischen Kai-ser den obersten geistlichenSegen aus Rom brauchte, undwarum sich von den Schriften einwesentlicher Teil europäischerGeschichte ableiten lässt.

Mühevolle DetektivarbeitSchriftstücke aus der Zeit vor

dem Jahr 1198 schlummern ineinigen europäischen Archiven.Sie sind in meterhohen und kilo-meterlangen Regalen verstreutund nur unzureichend dokumen-tiert. Die mittelfränkischen For-scher können sie nur in mühevol-ler Detektivarbeit finden.„Manchmal ist es nur eine kleinehandschriftliche Notiz, die sicham Blattrand versteckt, der wirnachgehen“, berichtet Herbers.Die Spuren, die schnell zu überse-hen sind, verlaufen manchmalauch im Sand.

Die Akademie der Wissenschaf-ten zu Göttingen und Forscher inganz Europa unterstützen dieArbeit des FAU-Teams. Zwarmacht die Digitalisierung denZugriff auf internationale Archi-ve vom heimischen Schreibtischaus möglich, dennoch blättern dieForscher Bestände auch per Handdurch. Jüngst ging es für sie des-halb in Archive auf der Iberi-schen Halbinsel sowie nach Rom.

Über 3000 SchriftstückeBisher haben die Forscher die

Schriften von Petrus, dem erstenPapst, und seiner Nachfolger bisins Jahr 604 analysiert. Das Teamhat auf 600 Seiten 3100 päpstli-che Schreiben inhaltlich zusam-mengefasst. Neun Jahre hat dasgedauert. Weitere sechs veran-schlagt Forschungsleiter Herbers,um die Schriftstücke zwischenden Jahren 605 und 1198 aufzufin-den und auszuwerten.

Die Arbeit der FAU-Forscherschließt an die Recherchen desdeutschen Historikers PhilippJaffé an. In seinem im Jahr 1851erschienen „Regesta PontificumRomanorum“ hat er erstmalspäpstliche Dokumente zusammen-gestellt. Auch die Neuauflage desStandardwerkes ist in Latein ver-fasst, der anerkannten Wissen-schaftssprache der Historiker.Das macht die Arbeit für dasTeam nicht leichter.

Von den verfügbaren Antibiotika mussfür die Behandlung einer bakteriellenInfektion je nach Erregertyp das passen-de gewählt werden. F.: colourbox.de

Arbeitsplatznach MaßWenn Mitarbeiter ihren Jobauf die eigenen Bedürfnisse zuschneiden

Den Päpstenauf der SpurErlanger Forscher wertenalte Schriftstücke aus

Seite 8 Montag, 14. November 2016F O R S C H U N G U N D W I S S E N