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1DER HAUPTSTADTBRIEF

18. Jahr | 5 Euro

DER HAUPTSTADTBRIEF INFORMATIONS- UND HINTERGRUND-DIENST AUS BERLIN136. Ausgabe | 2016

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Werner J. Patzelt: Wer Alternativlosigkeit sät, wird Alternative ernten

Werner Weidenfeld: Wer ratlos ist, kann nicht regieren

Manfred Güllner: Die AfD wählen überwiegend „mittelalte“ Männer

Brun-Hagen Hennerkes: EZB-Geldpolitik macht Panama reich

Gisela Stuart versus Neil Carmichael: Pro und Kontra Brexit

Alternativlos hat ausgespielt, die Karten werden neu gemischt

Die deutsche Demokratie hat Schaden genommen. Zu lange haben die Demokraten einem Spiel zugeschaut, das nur einen Stich kennt.

Und das im Heimatland der Skatspieler, wo jeder weiß, dass manchmal selbst Pik-Sieben sticht.

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WIKIPEDIA; HSB

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3DER HAUPTSTADTBRIEF

DER HAUPTSTADTBRIEF 136 – Inhalt 34 Die Griechenland-Rettung geht weiter –

bald ohne Zustimmung des BundestagsUrsula Weidenfeld: Das Dauerthema der Athener Staatspleite soll aus dem Rampenlicht verschwinden, damit es nicht länger stört

37 Mitteleuropa ist ein Lichtblick in der EUViktor Orbán: Die Schwerpunkte des Kontinents verlagern sich, Ungarn wächst stärker als die meisten EU-Länder

42 Die Briten brauchen einen neuen TraumGisela Stuart: Die supranationale Identität, die für Kontinentaleuropa ein Gewinn ist, ist für die Briten ein Hemmschuh

45 Die Briten fahren besser mit der EUNeil Carmichael: Die Mitgliedschaft in der EU hat viele Vorteile für die Briten. Sie sollten die Union nicht verlassen

48 Inquisition gegen GooglePhilipp Bagus: Die Attacke der EU-Kommission auf Google ist ein feindseliger Angriff auf den Wettbewerb

52 Das kollektive Nein zum Neubau gehört zur Kiez-FolkloreMax Thomas Mehr: In den Szene-Bezirken ist der Widerstand besonders ausgeprägt: Bauen? Klar doch, aber nicht bei uns!

56 Das Kulturforum bricht in die Zukunft aufBarbara Hoidn und Bernhard Schneider: Die Stiftung Zukunft begleitet den Um- und Neubau des Kulturforums

60 Bauen oder nicht bauen, das ist die FrageMatthias Grünzig: Nur wenige Bauvorhaben in Deutschland sind so umstritten wie der Wiederaufbau der Garnisonkirche

64 Zwanzig Berlinerinnen, denen es gelang, die „gläserne Decke“ zu durchbrechenIrena Nalepa: Die Ausstellung „Berlin – Stadt der Frauen“ lässt die Leistungen von 20 Berlinerinnen lebendig werden

5 EditorialDetlef Prinz: Auf dem Wort „alternativlos“ ausruhen geht nicht länger

6 Wer Alternativlosigkeit sät, wird Alternative erntenWerner J. Patzelt: Wie es dazu kam, dass in Deutschland ein politisches Vakuum entstand, das nun die AfD besetzt hat

10 Wer ratlos ist, kann nicht regierenWerner Weidenfeld: Die Zäsur in Deutschlands Parteienlandschaft geht tief – und die AfD profitiert davon

12 Wenn Politik an Selbsttäuschung scheitertAndreas Rödder: Politische Illusionen platzen, weil Realismus von Wunschdenken (Thilo Sarrazin) verdrängt wird

16 Die AfD wählen überwiegend „mittelalte“ Männer Manfred Güllner: Die AfD ist mehrheitlich eine Alternative für Männer – für Frauen ist eher Nichtwählen die Alternative

18 Die AfD liegt konstant vor der LinksparteiDie neuesten forsa-Umfragewerte

20 Wer korrekt Steuern zahlt, muss sich für eine Briefkastenfirma nicht entschuldigenBrun-Hagen Hennerkes: Die Zahl der Briefkastenfirmen in Panama wird noch zunehmen – eine Folge der EZB-Geldpolitik

22 Impressum

24 Keine Zinsen sind gut für Staaten und schlecht für StiftungenPetra Träg: Die Folgen der EZB-Nullzinspolitik für das Gemeinwohl in Deutschland sind sehr nachteilig

30 Im Innersten der Eurozone existiert ein SchattenreichDaniel Hoffmann: Auch der Euroraum hat seinen Darkroom – eine bis vor kurzem geheime Struktur. Ihr Akronym: ANFA

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4 DER HAUPTSTADTBRIEFKPM Königliche Porzellan-Manufak tur Ber lin GmbH FLAGSHIPSTORE BERLIN Wegelystr. 1 10623 Ber lin KPM VERKAUFS-GALERIEN BERLIN Kur fürstendamm 27 10719 Ber lin | Friedrichstr. 158 10117 Ber lin | Hackesche Höfe Hof I I I Rosenthaler Str. 40–41 10178 Ber lin KPM VERKAUFSGALERIE POTSDAM Brandenburger Str. 3 14467 Potsdam | ONLINESHOP: www.kpm-ber lin.com

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Auf dem Wort „alternativlos“ ausruhen geht nicht länger

Ja, nun ist das Staunen groß! Hat man bis vor wenigen Wochen die AfD noch als politische Folklore am rechten Rand betrachten und kommentieren können, so haben die Ergebnisse der drei Landtagswahlen im März 2016 und die empirischen Zahlen der Demoskopie der vergangenen Wochen die Alternative für Deutschland auf die Bühne der ersten Liga in der Politik katapultiert. Jüngste Umfragen trennen sie nur noch wenige Prozentpunkte von der großen Volkspartei SPD.

Dass die CDU statt bei 42 Prozent wie bei der Bundestagswahl nur noch bei 32 Prozent liegt und demnach 10 Prozent in der Wählergunst verloren hat, führt zwar zu verstärktem Gemurre im Hinterzimmer, eine offene und ehrliche Diskussion, warum es so kommen musste, wird aber nicht geführt. Vielleicht beginnt sie, wenn bei der nächsten Umfrage auch bei der CDU eine 2 an erster Zehnerstelle auftaucht. Auch die Prognose für die bevorstehende Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern verheißt für die Volksparteien nichts Gutes. Während sich beide Volksparteien bei zirka 22 Prozent (SPD) bzw. 24 Prozent (CDU) bewegen, werden für die AfD zirka 18 Prozent vorausgesagt – und das im Bundesland der Kanzlerin.

Unsere deutschen Parteien, und damit sind alle im Bundestag vertretenen Parteien gemeint, haben sich zu lange auf dem Wort „alternativlos“ ausgeruht und dem Volk zu wenig die Absichten und Zielsetzungen ihrer Politik vermittelt. Das betrifft die Form der Griechenlandrettung in Milliardenhöhe, die Art und Weise der Flüchtlings- und Migrationspolitik, und es betrifft besonders das politische Gesamtkonzept für die EU, in der die Menschen das Gefühl haben, dass die Nationalstaaten und damit ihre eigene kulturelle Identität und Lebenswirklichkeit ausgedient haben.

Da reicht es nicht aus, obwohl es richtig ist, immer auf die Friedensbotschaft der EU zu verweisen, wenn Kritik an der politischen Realität Europas artikuliert wird. Die Unzufriedenheit der Menschen mit der Art und Weise, wie sie Politik erfahren, wird dadurch größer. Nicht die AfD als Partei wird gewählt, sondern sie ist ein Ventil für das Volk, seinen Unmut zu äußern und gegen die unter dem Deckmantel der „Alternativlosigkeit“ versammelten Parteien zu opponieren.

Unser Autor Prof. Werner Patzelt unternimmt eine methodisch-didaktische Analyse der Situation, und Prof. Werner Weidenfeld benennt die Ursachen der neuen Ratlosigkeit. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz hat schon den Weg gewiesen: Inhaltliche Auseinandersetzungen über Konzept und Weg sind erforderlich!

Abschließend möchten wir es nicht versäumen, unserem Autor Prof. Philipp Bagus sehr herzlich zum Erhalt des Förderpreises 2016 der Ludwig-Erhard-Stiftung zu gratulieren.

Detlef Prinz

Verleger

DER HAUPTSTADTBRIEF 136 – Editorial

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Hochmut kommt vor dem Fall – und die Alterna-tivlosigkeit vor der Alternative für Deutschland (AfD). Zwar ist es nichts Neues, dass eine These ihre Antithese hervorbringt, reiner Konservatis-mus also Revolten. Nur konnten sich viele nicht vorstellen, dass auch Linke und Grüne – schrei-tend Seit‘ an Seit‘ mit der sozialdemokratisierten Union – zu Verfechtern eines alternativlosen Sta-tus quo werden würden. Undenkbar früher auch, dass Studentenrevolutionären von vorgestern je allein die Affirmation des Bestehenden als akzep-tabel erschiene, nicht aber mehr die Kritik seiner Reproduktion. Oder das Zerrreißen jenes Verblen-dungszusammenhangs, der wie eine Naturtatsa-che erscheinen lässt, was doch nichts anderes ist als eine soziokulturelle Konstruktion: die Notwen-digkeit der Eurorettung, die Unvermeidlichkeit von selbstermächtigter Einwanderung nach Deutsch-land, das Aufgehen Deutschlands in der EU.

So wie einst die Eltern der „68er“ ratlos auf jene langhaarigen jungen Leute blickten, die das aus Ruinen auferstandene Deutschland durchaus nicht für der Weisheit letzten Schluss halten wollten, so irritiert sah nun – mitsamt ihren Klügsten – die Bundeskanzlerin auf jene Profes-soren, die den nachhaltigen Sinn ihrer Euroret-

tungspolitik bezweifelten. Und ratlos schauten Minister auf Dresdens kurzhaarige alte Männer, die ihre Heimat durch Zuwanderung und Kultur-wandel bedroht sahen. Tatsächlich erregt sich Deutschlands Zivilgesellschaft nun kaum weniger über Aktive und Sympathisanten von Pegida und AfD als früher über Gammler, Ostermarschierer und die Außerparlamentarische Opposition.

Als dann unter dem Eindruck von Pegidas Echo die AfD ihr Geschäftsfeld erweiterte, also auch die Einwanderungs- und Integrationspolitik ins

Portfolio nahm, da sah man die Lufthoheit über gesitteten Stammtischen in Gefahr, ja die kulturelle Hegemonie in Redakti-onen und Parlamenten, also den Lohn des lan-gen Marsches durch die

Institutionen. Was tun mit diesem rechten Gelich-ter? Ausgrenzen natürlich. Nicht zu Gesprächs-runden einladen. In Talkshows provozieren und dann lächerlich machen. Ihnen das Schellenpaar von Nazismus und Rassismus umhängen. Keine Räume für Parteiversammlungen vermieten – aber dafür Wahlplakate zerstören. Auch mal ein Wahl-kreisbüro von außen umgestalten – oder einem Mandatsträger sein Auto anzünden. Kurzum: den Aufstand der Anständigen praktizieren gegen diese unverschämte Partei. Die es doch wagt, das

Wer Alternativlosigkeit sät, wird Alternative erntenWie es dazu kam, dass in Deutschland ein politisches Vakuum entstand, das nun die AfD besetzt hat – und drei Ansätze, dem zu begegnen | Von Werner J. Patzelt

Der öffentliche Diskurs, geführt von Journalisten, Politikern und Mahnern,

hat sich nach links von normal verschoben.

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Prof. Dr. Werner J. Patzelt ist Gründungsprofessor des Dresdner Instituts für Politikwissenschaft und hat den Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich inne. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit pflegt er regen Austausch mit Vertretern des gesamten politischen Spektrums – von der Linkspartei bis zur AfD. Für den HAUPTSTADTBRIEF diagnostiziert er einen Paradigmawechsel in Deutschland.

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Gewordene nicht für umstandslos gut zu befin-den. Die für starke Familien, Patriotismus und Volksabstimmungen eintritt oder gegen unge-steuerte Zuwanderung sowie öffentlich sichtbaren Islam. Völkischer geht’s nimmer. So etwas wollen nur üble Demagogen (es können auch mal Dem-agoginnen sein), oder wenigstens Witzfiguren.

Und was haben diese Reaktionen bis jetzt gebracht? Die AfD in noch mehr Parlamente. In Sachsen-Anhalt sogar als stärkste Opposi-tionspartei. Anscheinend hält sich der Wähler an Gregor Gysis weisen Rat: In der Wahlkabine kann man sein Kreuz machen, wo man will; da schaut niemand zu. Politische Korrektheit wird dort nicht durchgesetzt. Leider, denken sich da heute viele, und halten es vielleicht gar für an der Zeit, denen das Wahlrecht zu beschränken, die es für falsches Ankreuzen missbrauchen.

Was ist da eigentlich los in Deutschland? Erstens hat sich der öffentliche Diskurs – symbiotisch geführt von Journalisten, Politikern sowie zivil-gesellschaftlichen Mahnern und Warnern – nach links verschoben im Vergleich zu dem, was an den Ess- und Stammtischen des Landes für normal gehalten wird. Der CDU zwang das jahrzehntelang einen Spagat auf zwischen der politischen Mitte, also dem rechtestmöglichen Ort für eine Partei, die als akzeptabel gilt, und jenem Narren- und Kriminellensaum, an dem jedes politische Integ-rieren aufhören muss. Zweitens wurde der CDU dieser Spagat vor einigen Jahren zu anstrengend. Sie wollte ganz und gar zu den Guten in der Mitte gehören, mochte sich von den moralisch besseren Linken nicht mehr als unfortschrittlich ausschimp-fen lassen. Also zog sie sich vom schmuddeligen Integrationsgewerbe am rechten Rand zurück. Dort entstand herrenloses Gelände, besiedelt von

Sie kleiden sich bürgerlich-unauffällig, und viele in ihren Reihen streben an, eine bundesweite CSU zu werden – Journalis-ten, Politiker und zivilgesellschaftliche Mahner und Warner aber ereifern sich über Aktive und Sympathisanten von Pegida und AfD wie früher über Gammler, „68er“ und Ostermarschierer. Dabei gäbe es genügend politische Ansätze, Alternativen zur AfD aufzuzeigen.

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Konservativen und wirklich Rechten, die nie-mand Vernünftiges mehr repräsentieren wollte.

Genau in diese „Repräsentationslücke“ drang – drittens – die AfD nach ihrer Einsicht, dass sie nicht als „bessere FDP“ hochkommen würde, sondern als eine Mischung aus „guter alter CDU“ und „bundesweiter CSU“. Nur eben unter neuem Namen, und mit Antworten nicht mehr zum Streit zwischen Marktwirtschaft und Kommunismus, zwischen Demokratie und Diktatur, sondern zur Auseinandersetzung zwischen denen, die weiter-hin ein Deutschland mit deutscher Kultur wollen, und jenen, die in der Mitte Europas eine multi-ethnische Bevölkerung mit leidlichem Deutsch als Umgangssprache für ein Nonplusultra halten. Von deren Warte aus muss dann die AfD wie von vorgestern und als ganz reaktionär erscheinen.

Doch die Avantgarde von heute ist oft das Alt-modische von morgen. In der Gegenwart aber stört Opposition. Vor allem, wenn man selbst einst Opposition war, es nun aber so herrlich weit gebracht, ja dieses Land nach eigenem Bilde umgestaltet hat. Dankbar also sollten diese Möchtegern-Alternativler sein! Immer-hin ist man auch leidlich tolerant mit ihnen. Ob da nicht das Rollenmodell der restaurativen Elterngeneration unfröhliche Urständ’ feiert?

Das alles ist nicht wirklich gut für unser Land. Schlecht sind Allparteienkoalitionen, weil die sich mitsamt der Opposition auch vom Zwang zum Lernen befreien. Schlecht ist jene helldeutsche Arroganz, mit der man Dunkeldeutschlands Den-ken umstandslos als nazistisch und rassistisch ausgibt – und dabei ganz verantwortungslos den geschichtlichen Nationalsozialismus und Ras-sismus verharmlost. Schlecht ist der Siegeszug des Rechtspopulismus in unserem Land, das zum eigenen Vorteil bislang ohne ihn auskam, dem falsche Politik nun aber Tür und Tor geöffnet hat. Schlecht ist auch der Verlust an Regierungssta-

bilität, den im parlamentarischen Regierungs-system Viel-Fraktionen-Parlamente unweigerlich bewirken. Doch leider haben schon die falschen Reaktionen auf Pegida alle diese falschen Reak-tionen auf die AfD vorgezeichnet. Falschen Diag-nosen folgten falsche Therapien, und allzu viele haben analytisch und politisch zu wenig gekonnt.

Ist der AfD also gar nicht wirksam zu begegnen? Doch. Erstens muss – wie es gegen das Widerstre-ben der deutschen Regierung inzwischen geschah – die Einwanderung in die EU und nach Deutsch-land gedrosselt werden. Zweitens muss eine Integrationspolitik betrieben werden, die nicht auf eine multikulturelle Gesellschaft setzt, son-

dern auf die Integrations-kraft der bundesdeutschen Rahmen- und Leitkultur. Drittens muss man eben auf Fehler der AfD warten: auf mangelnde Abgren-zung zu rechtsradikalen Dumpfbacken, auf skan-dalisierbare Forderungen

wie Minarettverbote und dergleichen, auf unqua-lifiziertes Agieren der AfD-Landtagsfraktionen.

Es fragt sich nur, wie viele solche Fehler die Ex-CDUler in der AfD zulassen werden. Sind es wenige Fehler, so wird sich früher oder später der Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes in einer ähnlichen Situation wiederfinden wie Holger Börner 1985, als er im hessischen Land-tag dem ersten grünen Minister Joschka Fischer, medienwirksam oppositionell in Turnschuhen erschienen, den Amtseid abnahm – nur dass diesmal niemand in Turnschuhen kommen wird, sondern jemand in Anzug oder Kostüm. ◆

In der Gegenwart stört Opposition.

Vor allem, wenn man selbst einst Opposition war,

es nun aber so herrlich weit gebracht hat.

Wissenschaftliche Schwer-punkte unseres Autors Prof. Werner J. Patzelt sind Parla-mentarismusforschung und die politische Kommunikation. Das leidenschaftliche Engagement, mit dem er sich letzterer als Universitätsprofessor wie als Privatmann widmet, spiegelt seine Website wider: www.wjpatzelt.de

MENNEKES in allen Facetten.Mit einem breiten Leistungsspektrum und Lösungen aus den Bereichen Industriesteckvorrichtungen und Elektromobilität.Mehr Informationen unter www.MENNEKES.de

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MENNEKES in allen Facetten.Mit einem breiten Leistungsspektrum und Lösungen aus den Bereichen Industriesteckvorrichtungen und Elektromobilität.Mehr Informationen unter www.MENNEKES.de

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Eine neue Art von Ratlosigkeit erfasst das Land. Da etabliert sich eine neue Partei – und die traditionellen Parteien wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Die Suche nach einer Antwortstrategie scheint sie geradezu zu verzeh-ren, politisch höchst schmerzhaft. Zunächst galt es, das Phänomen zu negieren. Dann versuchte man, es über den Rand des legal Hinnehmbaren zu schieben. Der Verfassungsschutz sollte aktiv werden gegen solche extremistischen Kräfte. Man wollte sich mit diesen merkwürdigen Parteifunk-tionären nicht in den Medien zeigen – den Neuen sollte eine solche mediale Aufmerksamkeit nicht zukommen. Und das alles schadete der neuen Partei nicht. Sie bewegte sich im Gegenteil von Wahl-erfolg zu Wahlerfolg.

Das alte Machtkalkül, mit dem man die Architektur des Parteiensystems bisher vor jeder Wahl antizi-pieren konnte, ist ausgehebelt. Über Jahrzehnte war die politische Landschaft geprägt von zwei Volksparteien und einem kleinen Zünglein an der Waage. Je nachdem, wohin sich die kleine libe-rale Partei neigte, wurde die Regierung gebildet. Mal konnten so die Christdemokraten, mal die Sozialdemokraten den Kanzler stellen. Und in besonderer Ausnahmelage, wenn Verfassungs-änderungen unausweichlich wurden, bildete man eine Große Koalition – aber nur für kurze Zeit.

Soziologisch definierte Gruppen und ihr recht stabiles Einstellungsprofil – Arbeiter, Ange-stellte, Mittelständler, Unternehmer und so weiter – kennzeichneten das politisch-kulturelle Unterfutter der Republik. Stammwähler hielten in diesem System ihrer Partei über Jahrzehnte die Treue. Diese Epoche ist vorbei. Wir erleben eine Zäsur, die die derzeitige ratlose Hilflosig-keit der Traditionsparteien verständlich macht.

Was kennzeichnet diese neue Epoche? Die sozio-logischen Wahlprofile sind abgelöst von Stim-mungsmilieus. Diese Milieus sind viel fluider, viel

instabiler, viel unkalkulier-barer. Entsprechend hilf-los wirken die Parteistra-tegen, die in der alten Zeit – der nun untergegange-nen Epoche – groß gewor-den sind, als sie noch von der „Alternativlosigkeit“

ihrer jeweiligen Position reden konnten. Soll man sich nun nach rechts oder nach links bewegen, mehr populistische Verkürzungen vornehmen oder mehr Emotion ins Spiel bringen? Solche Fragezeichen bestimmen die Tagesdebatten der nach Lösung suchenden Parteioberen. So greift man daneben. Das politisch-kulturelle Unterfutter entzieht sich inzwischen solchen alten Mustern.

Im traditionellen Parteiensystem wäre die Alter-native für Deutschland (AfD) längst kollabiert.

Wer ratlos ist, kann nicht regierenDie Zäsur in Deutschlands Parteienlandschaft geht tief – das politisch-kulturelle Unterfutter entzieht sich den bisherigen, allzu gewohnten Mustern, und die AfD profitiert davon | Von Werner Weidenfeld

Das neue Zeitalter der Komplexität findet

keine Erklärer und Deuter. So rutscht es hinüber in ein

Zeitalter der Konfusion.

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Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld ist Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung der Universität München, Rektor der Alma Mater Europaea der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste (Salzburg) und Autor zahlreicher Europa-Bücher. Für den HAUPTSTADTBRIEF legt er dar, wie es kommt, dass die Traditionsparteien in Ratlosigkeit und Orientierungslosigkeit zu erstarren drohen – und wie problematisch dieser rapide Verfall der alten Muster ist.

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Der Gründer verließ die Partei. Er gründete eine konkurrierende Partei und erklärte bezüglich der AfD, er schäme sich dafür, ein solches Monster auf den Weg gebracht zu haben. Andere Pro-minente verließen mit ihm die Partei. Der Bun-desvorstand will einen ganzen Landesverband auflösen – erst vergeblich, dann mit knapper Parteitagsmehrheit doch. Die Bundesvorsit-zende trennt sich vom Pressesprecher, aber der Bundesvorstand hält zu ihm und beschäftigt ihn weiter. Kurzum: ein parteipolitisches Chaos. Die Zustimmung der potentiellen Wähler jedoch bleibt von diesem Durcheinander unberührt.

Was macht nun die neue Lage der Parteienrepub-lik aus? Es handelt sich um ein Zusammentreffen von Strukturproblemen und Kulturproblemen. Die Strukturprobleme bestehen in Globalisie-rung, Internationalisierung, Europäisierung, Digitalisierung und dem damit verbundenen Machttransfer. Dieses Zeitalter der Komplexität findet keine Erklärer und Deuter. Es rutscht hin-über in das Zeitalter der Konfusion. Und „die da

oben“ kümmern sich ja in der Wahrnehmung der Bürger sowieso nicht um die Basis, ihre Sor-gen, Ängste, Frustrationen. Das so entstandene Stimmungsmilieu zeigt vor allem eine Profillinie: die Distanz zu allen traditionellen Parteien.

Der Verschleißprozess der Traditionsparteien, in unserem Nachbarland Österreich noch weiter fortgeschritten, setzt sich unvermindert von Tag zu Tag fort. Schließlich bietet die Regierungspo-litik ein situatives Krisenmanagement, nicht aber eine strategische Problemlösungsperspektive. Solange die Politik diese Orientierungsleistung nicht erbringt, wird das Stimmungsmilieu bleiben, wie es ist: auf Distanz. ◆

Der Autor des vorstehenden Essays, Prof. Werner Weidenfeld, ist Autor zahlreicher Bücher über die EU. Soeben erschien die 14. Neuauflage des Buchs Europa von A bis Z – Taschenbuch der europäischen Integration, dessen Herausgeber er gemeinsam mit Wolfgang Wessels ist. Nomos-Verlag, Baden-Baden 2016. 520 Seiten, 22 Euro. www.nomos.de

Da etabliert sich eine neue Partei – und die traditionellen Parteien wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Die bishe-rige Architektur der Machtverteilung stützte sich auf zwei Volksparteien und ein Zünglein an der Waage und prägte über Jahrzehnte die politische Landschaft Deutschlands. Im Bild die Parteioberen Sigmar Gabriel (SPD), Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) – ihnen gegenüber bleibt ein neues Stimmungsmilieu, wie es ist: auf Distanz.

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Wer das Buch Wunschdenken von Thilo Sarrazin liest, wird nach wenigen Seiten merken, dass er es mit einem belesenen und klugen Autor zu tun hat. Mit einem leidenschaftlichen Bürger, dem das Gemeinwesen nicht gleichgültig ist und der dies mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein deutlich macht. Wer Wunschdenken liest, merkt ebenso, dass er es mit einem verletzten Autor zu tun hat. Auf der zweiten Textseite bereits sind wir bei Angela Merkel und im Jahr 2010 – als sie ihren Regierungssprecher Steffen Seibert erklären ließ, das Buch Deutschland schafft sich ab sei „nicht hilfreich“ und, so Sarrazin, „meine Entlassung aus dem Vorstand der Deutschen Bundesbank betrieb“. Nach seinem erzwungenen Ausschei-den im September 2010 habe er seine „bür-gerliche Ehre nur mit Mühe retten“ können.

Thilo Sarrazin ist ein Enfant terrible der politischen Debatte – millionenfach verkauft und öffentlich angefeindet. Ausgegrenzt wurde er nicht im buch-stäblichen Sinne; denn öffentlich sagen kann man in Deutschland fast alles. Auch über mangelnde Aufmerksamkeit kann Thilo Sarrazin nicht klagen. Die Ausgrenzung verläuft habituell: über herab-lassend hochgezogene Augenbrauen, sublime moralisierende Stigmatisierung, Rechtspopulis-mus-Stigmatisierung – „nicht hilfreich“ eben.

Nicht hilfreich ist es in Wahrheit, zu tabuisie-ren und auszugrenzen. Die Folge ist, dass die öffentliche Debatte unter einer zunehmenden Sprachlosigkeit der bürgergesellschaftlichen Mitte leidet. Wie recht hatte Ex-Bundespräsident Roman Herzog: „Streitige Debatten“ sind erste Bürgerpflicht! Also beginnt diese kritische Wür-digung des neuen Buches von Thilo Sarrazin mit Kritik – und kommt dann zur Würdigung.

Gleich zu Beginn des ersten Kapitels – „Weshalb einige Gesellschaften Erfolg haben und andere nicht“ – heißt es: „Wir wissen heute, dass nicht

nur die menschliche Intelligenz, sondern auch alle anderen psychischen Eigenschaften erblich sind und fortlaufend durch die natürliche Selektion weiter geformt werden.“ Nun gibt es

aber bekanntlich für alles und jedes eine wissen-schaftliche Studie und Statistik – und ebenso für fast jedes Gegenteil. Deshalb müssen Aussagen wie „Wissenschaftler der Universität XY haben herausgefunden“ zunächst einmal skeptisch machen, ebenso Formeln wie „wir wissen heute“.

Zumal, wenn die Argumentation nicht klar ist: Geht es bei Genetik und Intelligenz um die indi-viduelle Ebene oder um die kollektive? Und wie verhält sich „genetisch“ zu „ethnisch“? Da läuft

Wenn Politik an Selbsttäuschung scheitertPolitische Illusionen platzen derzeit wie Seifenblasen, weil kluger Realismus von verdrängt wird – ein Essay zum gleichnamigen Buch von Thilo Sarrazin | Von Andreas Rödder

Die Folge habituellen Ausgrenzens ist, dass

die öffentliche Debatte unter zunehmender Sprachlosigkeit

der Mitte leidet.

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Prof. Dr. Andreas Rödder ist Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Im HAUPTSTADTBRIEF legt er dar, warum das derzeitige offizielle politische Denken und Sprechen mit Wunschdenken treffend beschrieben ist. So lautet der Titel des neuen Buchs von Thilo Sarrazin, das im Benennen der Bedingungen gelingender Politik einen seiner stärksten Gedanken formuliert.

Wunschdenken

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eindeutig zu viel durcheinander, wenn von „Ras-sen, Ethnien und sozialen Gruppen“ die Rede ist. Natürlich ist es legitim, die Performance unterschiedlicher Gesellschaften zu vergleichen und festzustellen, dass zentrale Indikatoren von Wohlstand etwa in afrikanischen und arabischen Gesellschaften weit zurückliegen. Und natürlich ist es legitim festzustellen, dass muslimische Migranten in Europa aufs Ganze gesehen auf dem Arbeitsmarkt das Schlusslicht bilden. Aber kann man tatsächlich sagen, Kultur und Gene-tik seien nicht voneinander zu trennen, ohne in einen ethnischen Determinismus zu verfallen?

Hier serviert Sarrazin eine Melange aus Kul-tur, Genetik und Intelligenz, ethnischer Her-kunft, Religion und „Entwicklungsstand einer Gesellschaft“. Seine Aussagen bleiben im Ungefähren, sie suggerieren und insinuieren. Diese Argumentation ist nicht seriös, und das ist schade, denn es lenkt von den eigent-lichen Diskussionsgegenständen und den Diskussionsanstößen dieses Buches ab.

Die zentrale These findet sich auf Seite 193 des Buches, zu Beginn des Kapitels „Wie politische Fehler entstehen und was sie bewirken“: „Wesent-liche Gründe für fehlerhaftes politisches Handeln resultieren durchweg aus Fremd- und Selbst-täuschung.“ Sarrazin unterscheidet dabei fünf Formen der Täuschung, die sich freilich kombi-nieren lassen: Täuschung aus Unwissenheit, aus Anmaßung, aus Bedenkenlosigkeit, Täuschung aus Egoismus und Täuschung aus Selbstbetrug.

Beispiel Flüchtlingspolitik: Der Herbst 2015 war paradigmatisch für deutsche Selbsttäuschungen. Die einen meinten – Kategorie Unwissenheit und Selbstbetrug –, alle ankommenden Syrer, bevor sie überhaupt registriert worden waren, seien Ärzte oder Ingenieure, die den deutschen Fach-kräftemangel beheben würden. Die Form der ego-istischen Täuschung betrieben die Wirtschafts-verbände, die ihre Partikularinteressen gewohn-heitsmäßig als Gemeinwohl ausgeben und, wenn es dann doch nicht passt, die Probleme gern dem Staat überantworten. Andere freuten sich auf die

Wunsch und Wirklichkeit: Von Angela Merkels „Wir schaffen das“ ist es nicht weit zum „Wir schaffen das nie“ – zumindest auf diesem Bauzaun am umstrittenen Neubauabschnitt der Bundesstraße B96 in Mecklenburg-Vorpommern.

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Veränderung der Gesellschaft durch neu ankom-mende „Menschengeschenke“ – bis die Illusionen platzten, als sich die tatsächlichen Qualifikati-onsprofile der Eingereisten abzeichneten und als sich nach der Silvesternacht von Köln andeutete, dass unregulierte Massenzuwanderung bisher nicht gekannte Probleme nach sich ziehen könnte.

Die deutsche Flüchtlingspolitik von heute, inzwischen mit deutlichem Abstand von der Euphorie des Herbstes 2015, kommt nicht an der unbequemen Einsicht vorbei, dass, wie Sarrazin schreibt, „ein Asylrecht, welches dem Grunde nach 80 Prozent der Menschen in der Welt in Europa Asyl gewährt, den Untergang Europas, so wie wir es kennen, riskiert“. Ich bin kein Freund von Untergangs-rhetorik. In der Sache aber ist der Befund nicht zu bestreiten.

Darüber hinaus hat die Flüchtlingskrise zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre offen demonstriert, dass die Institutionen des vereinten Europa von Maastricht nicht funktionieren: 2010 die No-Bailout-Klausel und das Verbot monetärer Staatsfinanzierung, nun 2015 das Schengen-Übereinkommen und die Dublin-Verordnung. Und wieder stellt sich heraus, dass die wirt-schaftlichen ebenso wie die politisch-kulturellen Differenzen innerhalb der EU von Anfang an massiv unterschätzt wurden – aus Wunsch-denken. Weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Oder, um es mit Sarrazin zu sagen: Das Sollen wurde auf Kosten des Seins umgesetzt.

Sarrazin ist kein Freund von Utopien. In der Tat: Eine Idee wird immer dann schädlich, wenn sie sich von den Realitäten löst. Das gilt für die großen, fatalen Ideologien – von der klassen-losen Gesellschaft des Kommunismus über die rassereine Gesellschaft des Nationalsozialismus bis zum Gottesstaat der Islamisten. Es gilt aber auch für die Idee einer „immer engeren Union der Völker Europas“, es gilt für eine überregu-lierte Gleichstellungspolitik, für eine moralisch

überhöhte, ideologisch überzogene Diversität ebenso wie für die Idee von der globalen Zivilge-sellschaft ohne Nationalstaaten und Grenzen.

Sarrazin belegt mit vielen Beispielen, wie Poli-tik am Wunschdenken, an Fremd- und Selbst-täuschung scheitert. Wie aber kann sie sich davon freimachen und gelingen? Die Bedingung gelingender Politik liegt, so einer der stärksten Gedanken in Wunschdenken, im Ineinandergrei-fen von belastbaren Institutionen und politischer Kultur. Politische Entscheidungen müssen im Einklang mit institutionellen und kulturellen Rahmenbedingungen stehen. Das aber lässt sich nicht abstrakt und technokratisch verordnen. Denn was hier richtig ist, kann dort falsch sein.

Das heißt: Es gibt keine Patentrezepte – und auch Sarrazin hat sie nicht. Nötig ist kluger Realismus statt utopi-schen Wunschdenkens.

Das ist freilich kein Freibrief für Beliebigkeit, vielmehr legt Sarrazin unter Rückgriff auf den Ideenhaushalt abendländischer politischer The-orien normative Leitlinien politischen Handelns an: das individuelle Wohlergehen in einer poli-tischen Einheit, verbunden mit einem Maximum an Stabilität und einem Optimum an Freiheit und Offenheit. Das erfordert einen permanenten Balanceakt und permanente Abwägungs- und Aushandlungsprozesse. Es wäre zu wünschen, Thilo Sarrazins grundsätzliche Überlegungen über gelingende Politik würden in der Öffent-lichkeit ähnlich breit zur Kenntnis genommen wie jene, die sich als „Abrechnung“ vermarkten lassen. ◆

Der Herbst 2015 war paradigmatisch für deutsche

Selbsttäuschungen – bis die Illusionen platzten.

Dieser Essay unseres Autors Prof. Andreas Rödder basiert auf seinem Vortrag, den er anlässlich der Buchvorstellung von Wunschdenken am 25. April 2016 in Berlin hielt.

Wunschdenken. Europa, Währung, Bildung, Einwanderung – warum Politik so häufig scheitert. Von Thilo Sarrazin. DVA Verlag, München 2016. 570 Seiten, gebunden 24,99 Euro, als eBook 19,99 Euro. www.dva.de

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Page 15: DER HAUPTSTADTBRIEF 136

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16 DER HAUPTSTADTBRIEF

48,2

48,4

47,7

60,7

51,8

51,6

52,3

39,3

Die AfD wählen überwiegend „mittelalte“ Männer Die Alternative für Deutschland ist mehrheitlich eine Alternative für Männer – für Frauen ist eher Nichtwählen die Alternative | Von Manfred Güllner

Prof. Manfred Güllner ist Gründer und Geschäftsführer des Meinungs-forschungsinstituts forsa, aus dessen Dienst „Aktuelle Parteipräferenzen“ DER HAUPTSTADTBRIEF regelmäßig zitiert. Mittlerweile ein Standardwerk ist Güllners Buch Die Grünen. Höhenflug oder Abstieg? Für den HAUPTSTADTBRIEF hat er die Geschlechtertaufteilung bei AfD-Wählern und Nichtwählern verglichen.

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52 Prozent der Wahlberechtigten bei der Bun-destagswahl 2013 waren Frauen, 48 Prozent Männer. Auch unter den Wählern gab es mit knapp 52 Prozent mehr Frauen als Männer. Ent-sprechend war der Frauenanteil auch bei den Nichtwählern höher als der Anteil der Männer. Doch bei denjenigen, die der AfD 2013 ihre Stimme gaben, waren die Frauen mit einem Anteil von nur 39 Prozent in der Minderheit.

Ganz ähnliche Relationen waren bei den Land-tagswahlen im März 2016 zu registrieren. So war bei der Landtagswahl in Baden-Württem-berg am 13. März 2016 der Frauenanteil bei den Wahlberechtigten, den Wählern und den Nichtwählern mit 51 bzw. 53 Prozent größer als der Anteil der Männer. Bei den AfD-Wählern jedoch waren auch in Baden-Württemberg wie schon bei der Bundestagswahl und bei

Bundestagswahl 2013

Männer- und Frauenanteile bei der Bundestagswahl 2013 und der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2016 *

Konstant seit 2013 bis 2016: Rund 61 Prozent der AfD-Wähler sind männlich, 39 Prozent weiblich. Das kontrastiert auffallend mit der Wählerschaft insgesamt: Rund 48 Prozent der Wähler sind männlich, 52 Prozent weiblich.

*) Angaben in Prozent� �Quelle:�Statistisches�Bundesamt,�Statistisches�Landesamt�Baden-Württemberg;�eigene�Berechnungen�von�forsa

Wahlberechtigte

Wähler

Nichtwähler

AfD-Wähler

Männer Frauen

48,6

49,2

47,2

61,1

51,4

50,8

52,8

38,9

Landtagswahl Baden-Württemberg 2016

Wahlberechtigte

Wähler

Nichtwähler

AfD-Wähler

Mehr Frauen als Männer wählen, proportional

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17DER HAUPTSTADTBRIEF

allen anderen Wahlen seit 2013 die Män-ner in der Überzahl (siehe Infografik „Mehr Frauen als Männer wählen, proportional“).

Dementsprechend haben bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg 13 von 100 wahlberechtigten Männern, aber nur 8 von 100 wahlberechtigten Frauen die AfD gewählt. Dabei haben in über-durchschnittlichem Maße die „mittelalten“ Männer der AfD ihre Stimme gegeben: In den beiden Altersgruppen der 35- bis 44-Jährigen bzw. 45- bis 59-Jährigen lag der AfD-Anteil (bezogen auf alle Wahlberechtigten) bei 15,3 bzw. 15,9 Prozent. Sowohl bei den jüngeren, 18- bis 24-jährigen als auch den älteren, über 70-jährigen Männern war der AfD-Anteil mit 7,9 bzw. 9,5 Prozent deutlich geringer als bei den mittleren Altersgruppen.

Bei den Frauen waren die Unterschiede im Stimmenanteil der AfD zwischen den einzel-nen Altersgruppen nicht so groß wie bei den Männern: Während die Differenz zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Stimmenanteil bei den Männern (7,9 Prozent bei den 18- bis

24-Jährigen bzw. 15,9 Prozent bei den 45- bis 59-Jährigen) 8 Prozent-punkte betrug, betrug die Differenz zwischen Minimum und Maxi-mum bei den Frauen nur 4,5 Prozentpunkte

(5,2 Prozent bei den über 70-Jährigen, 9,7 Prozent bei den 45- bis 59-Jährigen).

Der Stimmenanteil für die AfD war in allen Alters-gruppen bei den Männern höher als bei den Frauen – allerdings in unterschiedlicher Höhe. Während im Durchschnitt der Stimmenanteil der

28,7

43,239,2

31,425,7

21,421,0

13,2

7,912,8

15,315,914,2

9,5

Mehr Männer als Frauen wählen die AfD

Nichtwähler beachten: Der Anteil männlicher Nichtwähler ist mehr als doppelt so hoch wie der Anteil männlicher AfD-Wähler, bei den Frauen ist der Anteil Nichtwählerinnen fast viermal so hoch wie der Anteil der AfD-Wählerinnen.

*) in Prozent der Wahlberechtigten Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg; eigene Berechnungen von forsa

insgesamt

18- bis 24-Jährige25- bis 34-Jährige35- bis 44-Jährige45- bis 59-Jährige60- bis 69-Jährige70 Jahre und älter

Nichtwähler Wähler sonstiger Parteien AfD-Wähler

Männer 58,1

48,948,0

53,358,4

64,469,5

30,4

44,338,8

32,425,5

23,629,4

8,0

5,78,28,99,79,2

5,2

insgesamt

18- bis 24-Jährige25- bis 34-Jährige35- bis 44-Jährige45- bis 59-Jährige60- bis 69-Jährige70 Jahre und älter

Frauen 61,6

50,053,0

58,764,867,2

65,4

Statt auf die Erfolge der AfD zu starren,

sollten die ‚etablierten‘ Parteien die unverändert hohe Zahl der Nichtwähler beachten.

Wähler und Nichtwähler bei der Landtagswahl 2016 in Baden-Württemberg *

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18 DER HAUPTSTADTBRIEF

Alle Angaben in Prozent

Die aktuellen Parteipräferenzen im Bund

Die AfD liegt konstant vor der Linkspartei (Nichtw./ CDU/CSU SPD Die Linke Grüne FDP AfD Sonst. Unentschl.)

Umfrage-Werte in Woche …

18. (2.5.-6.5.) 34 21 9 13 8 10 5 (27)17. (25.4.-29.4.) 34 21 9 13 8 9 6 (28)

16. (18.4.-22.4.) 33 22 9 13 8 10 5 (28)

15. (11.4.-15.4.) 34 21 9 13 7 11 5 (29)

14. (4.4.-8.4.) 34 21 9 14 7 10 5 (29)

13. (29.3.-1.4.) 35 21 8 13 7 10 6 (27)

12. (21.3.-24.3.) 36 20 8 13 7 10 6 (29)

11. (14.3.-18.3.) 35 20 8 13 6 13 5 (30)

10. (7.3.-11.3.) 35 22 10 10 7 11 5 (34)

9. (29.2.-4.3.) 35 23 9 11 6 10 6 (33)

8. (22.2.-26.2.) 35 24 10 10 6 9 6 (34)

Bundestagswahl * 41,5 25,7 8,6 8,4 4,8 4,7 4,0

* Amtliches Endergebnis der Bundestagswahl vom 22. September 2013 (Zweitstimmen) Quelle: forsa

Das forsa-Institut ermittelte diese Werte durch wöchentliche Befragung von in der Regel rund 2500 wahlwilligen Deutschen. „Nichtw./Unentschl.“ sind jene Befragten, die angeben, nicht wählen zu wollen oder noch unentschlossen sind, ob und wen sie wählen.

AfD bei den Männern um 5,2 Prozentpunkte höher als bei den Frauen war, betrug die Differenz bei den 18- bis 24-Jährigen nur 2,2 Prozentpunkte. Die größte Differenz zwischen den AfD-Anteilen bei Männern und Frauen gab es bei den 35- bis 44-Jährigen bzw. den 45- bis 59-Jährigen (6,4 bzw. 6,2 Prozentpunkte). Siehe Infografik „Mehr Männer als Frauen wählen die AfD“.

Der Anteil der Nichtwähler war bei Männern und Frauen gleichermaßen am höchsten bei den 18- bis 24-Jährigen (wobei allerdings die Erst-Wähler, also die 18- bis 20-Jährigen, häu-figer zur Wahl gingen als die „Zweit-Wähler“, also die 21- bis 24-Jährigen), und am gerings-ten bei den über 60-Jährigen. Dabei steigt der Nichtwähleranteil bei den über 70-jährigen Frauen – anders als bei über 70-jährigen Män-

nern – im Vergleich zur Gruppe der 60- bis 69-Jährigen wieder an. Dies ist auf die höheren Lebenserwartungen der Frauen und die dadurch häufiger auftretenden physischen Beeinträch-tigungen im hohen Alter zurückzuführen.

Generell ist die Zahl der Nichtwähler – das sollte bei allen Diskussionen über die AfD nicht außer Acht bleiben – in allen Altersgruppen deutlich höher als die Zahl der AfD-Wähler. Bei Männern war die Zahl mehr als doppelt so groß, bei den Frauen sogar rund viermal größer als die Zahl der AfD-Wähler. Statt also nur auf die Erfolge der AfD zu starren, sollten die „etablierten“ Parteien besser die unverändert hohe Zahl der Nichtwähler stärker beachten; denn die und nicht die AfD sind für den Verlust der Bindekraft von Union und SPD überwiegend verantwortlich. ◆

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19DER HAUPTSTADTBRIEF

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20 DER HAUPTSTADTBRIEF

Seit dem Auftauchen vertraulicher Dokumente über Kunden und Nutzer panamaischer Offshore-Gesellschaften beschäftigen sich Öffentlichkeit und Politik wieder verstärkt mit Steuerdelikten. Dabei fällt auf, dass der Begriff „Briefkasten-firma“ bei vielen Bürgern von vornherein negativ belegt ist und meist mit dem Einsatz krimineller Energie verbunden wird. Man muss kein Anhänger von Briefkastenfirmen sein, um diese Ansicht zu korrigieren. Es ist richtig, dass das Verstecken von Geld nicht selten Ausgangspunkt von steuer-lichen Delikten und/oder kriminellen Finanzgeschäf-ten ist. Doch es gibt durch-aus Motive zur Errichtung solcher Konstrukte, ohne dass dies mit deliktischem Handeln einhergeht.

Das zeigt schon die His-torie. Im Zweiten Weltkrieg haben viele jüdische Familien aus Furcht vor völliger Enteignung ihr Vermögen vor der nationalsozialistischen Reichs-regierung versteckt – zu Recht, wie die weitere Entwicklung gezeigt hat. Eine zweite Welle der Intransparenz von Geldanlagen erfolgte im Anschluss an den Mauerbau 1961. Viele wohlsi-tuierte Bürger befürchteten damals einen unmit-telbar bevorstehenden Einmarsch der Sowjets in die Bundesrepublik. Deshalb haben sie ihr

Geld – meist auf völlig legale Weise – jeglicher öffentlichen Transparenz zu entziehen versucht.

Der deutsche Fiskus hat einer damit möglicher-weise verbundenen Steuerhinterziehung durch das 1972 erlassene Außensteuergesetz entge-gengewirkt. Dieses Gesetz hat das in Stiftungen und Zwischengesellschaften versteckte Vermögen so besteuert, als ob es sich weiterhin im Inland befände. Durch den Abschluss von Doppelbe-steuerungsabkommen wurde die notwendige

Transparenz – speziell zur Schweiz und zu Liechten-stein – dadurch hergestellt, dass die dortigen Banken von ihren Regierungen verpflichtet wurden, die hinter den Stiftungen stehenden wirtschaftli-chen Eigentümer in den

Kontounterlagen namentlich zu benennen.

Damit ist der Zugriff des Fiskus in den betreffen-den Ländern leichter geworden, doch auch heute gibt es noch eine Vielzahl von Oasenländern, auf die der Fiskus keinen Zugriff hat. Dass sich unter ihnen auch Länder wie England, Luxemburg und die USA befinden, die sich in der internationalen Öffentlichkeit als steuerliche „Saubermänner“ darstellen, ist eine bedauerliche Tatsache. Da ist

Wer korrekt Steuern zahlt, muss sich für eine Briefkastenfirma nicht entschuldigenUnternehmen und Bürger, die ihrer Steuerpflicht nachkommen, haben gegenüber dem Staat einen Anspruch auf Wahrung ihrer Privatsphäre | Von Brun-Hagen Hennerkes

Was erlaubt ist, bleibt erlaubt,

egal ob jemand sein Geld in einer Briefkastenfirma

verbirgt oder es unter seiner Matratze versteckt.

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Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Brun-Hagen Hennerkes ist Vorsitzender des Vorstands der Stiftung Familienunternehmen. Für den HAUPTSTADTBRIEF legt er dar, warum sogenannte Briefkastenfirmen völlig legal sind, wenn sie nicht der Steuerhinterziehung oder der Geldwäsche dienen, und dass die Zahl der Briefkastenfirmen noch zunehmen wird – als Folge der EZB-Geldpolitik.

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21DER HAUPTSTADTBRIEF

es erfreulich, dass diese Länder von der inter-nationalen Staatengemeinschaft zunehmend stärker unter die Lupe genommen werden.

Der Anspruch auf Anonymität in Vermögens-dingen befindet sich im Spannungsfeld zweier gegensätzlicher Werteprinzipien: Zum einen ist der Wunsch des einzelnen Individuums nach persönlicher Freiheit ein bei uns in Deutsch-land gesetzlich geschütztes Grundrecht, zum anderen ist das Verlangen des Staates nach vollständiger Transparenz der Ertrags- und Vermögenssituation seiner Bürger ein in den letzten Jahren stetig fortschreitender Prozess.

Es ist Aufgabe des Staates, diesen Konflikt inte-ressengerecht zu lösen. Dabei ist der Umfang der von den Beteiligten eingesetzten Aktivität verschieden. Dies rechtfertigt jedoch keine unterschiedliche Behandlung. Was erlaubt ist, bleibt erlaubt, egal ob jemand sein Geld

in einer Briefkastenfirma verbirgt oder ob er es unter seiner Matratze, im Kohlenkeller oder im Haustresor versteckt. Dies alles ist erlaubt, solange das Legalitätsprinzip gewahrt bleibt.

Viele Bürger fürchten zu Recht, dass der Gesetz-geber sich sehr schnell in eine Überwachungs-mentalität hineinbegibt, aus der er später nicht mehr herauskommt. Diese Sorge ist berechtigt. Zu warnen ist deshalb vor einer weiteren Aushöhlung des Bankgeheimnisses. Wenn der Staat auf diesem Weg mehr Transparenz zu schaffen versucht, würde dies nicht nur wohlhabende Privatpersonen und Unternehmen, sondern alle Bürger betreffen. Es ist und bleibt jedoch das Recht jedes Einzelnen, den Wohlstand, den er sich erarbeitet hat, vor ande-ren – auch vor dem Staat – zu verbergen, solange er sich im Rahmen der Gesetze korrekt verhält.

Hieran kann im Einzelfall durchaus ein besonde-res Interesse bestehen. So wird etwa ein Immo-

Hinter den Fassaden der Bürotürme von Panama City sind die sprichwörtlichen Briefkastenfirmen zuhause. Für sich genom-men ist eine Briefkastenfirma nichts Illegales. Es ist und bleibt das Recht jedes Einzelnen, den Wohlstand, den er sich erarbeitet hat, vor anderen und auch vor dem Staat zu verbergen – solange er sich im Rahmen der Gesetze korrekt verhält.

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22 DER HAUPTSTADTBRIEF

Die Stiftung Familienunterneh-men, deren Vorstandsvorsitzen-der unser Autor Prof. Brun-Hagen Hennerkes ist, widmet sich der Förderung, Information, Bildung und Erziehung sowie dem wissenschaftlichen Erfah-rungsaustausch auf dem Gebiet des Familienunternehmertums in Europa. Mehr dazu unter: www.familienunternehmen.de

bilien-Interessent, der ein Grundstück deshalb anonym erwerben möchte, weil er andernfalls eine Erhöhung des Kaufpreises befürchten muss, zu Recht geeignete Wege beschreiten, um unbekannt zu bleiben. Auch mancher Kunst-sammler wird seine Leidenschaft nicht an die große Glocke hängen, wenn sein Wohnsitzland den Eigentumsschutz nur relativ schwach ausge-staltet hat. In solchen Fällen ist Anonymität eine effiziente Absicherung des Eigentums und der persönlichen Integrität.

Die Veröffentlichung der Panama-Papiere hat einen wahren Aufschrei des deutschen Gesetz-gebers ausgelöst. Diese Reaktion ist jedoch rein politisch motiviert; sie ist zudem überzogen und zusätzlich auch noch pharisäerhaft. Was in diesen Panama-Dokumenten steht, davon hat die deutsche Regierung seit langem genaueste Kenntnis, ebenso wie über die interne Handha-bung möglicher Geldverstecke in den verschie-denen Oasenländern. Das Einzige, was neu ist, ist die Nennung konkreter Kundennamen.

Die Finanzverwaltungen der Länder haben die Pflicht, den bekannt gewordenen Verdachts-fällen intensiv nachzugehen. Hierbei gilt es jedoch, nicht über das Ziel hinauszuschießen, sondern die ständige Rechtsprechung des Bun-desfinanzhofs zu beachten. Dieser hat unter Hinweis auf die persönliche Freiheit des Steu-erpflichtigen mehrfach expressis verbis dazu aufgefordert, alle Möglichkeiten zu nutzen, um die Steuerlast auf legalem Wege zu minimieren.

Ein besonderer Bannstrahl der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit den Panama-Papieren betrifft die Banken bezüglich ihrer Mitwir-kung bei der Gründung von Briefkastenfir-men. Diese Mitwirkung ist jedoch so lange legal, als die Banken keinerlei Mittäterschaft oder Beihilfe zu einer hinter der Briefkas-tenfirma stehenden Straftat leisten.

Wie sieht die Zukunft aus? Wir müssen davon ausgehen, dass die Zahl der Briefkastenfirmen weiter wachsen wird. Die Verantwortung hierfür trägt vorwiegend die Geldpolitik der Europäischen Zentral-bank. Solange Mario Draghi die Einlagen aller Sparer

auch in Zukunft zinslos stellt und die Flut des billigen Geldes weiterhin antreibt, wird das Ver-stecken von Geld eher noch zunehmen. Die Staa-tengemeinschaft der Eurozone ist aufgerufen, diese Entwicklung der Geldpolitik zu bekämpfen. Gegen Briefkastenfirmen, die in finanziell krimi-neller Weise Geld bunkern, muss sie strictissime angehen. Aber wo das Legalitätsprinzip gewahrt ist, hat die persönliche Freiheit des Einzelnen den Vorrang. ◆

Anonymität ist eine effiziente Absicherung

des Eigentums und der persönlichen

Integrität.

IMPRESSUM Verleger: Detlef Prinz | Herausgeber: Bruno Waltert | Redaktionsdirektor: Dr. Rainer Bieling Art Director: Paul Kern | Gestaltung und Layout: Mike Zastrow | Bildbearbeitung: Manuel Schwartz Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes: Dr. Rainer Bieling (Redaktion), Janine Kulbrok (Anzeigen), beide c/o Verlag

Verlag: HAUPTSTADTBRIEF Berlin Verlagsgesellschaft mbH | Tempelhofer Ufer 23-24 | 10963 Berlin Telefon 030 - 21 50 54 00 | Fax 030 - 21 50 54 47 | [email protected], www.derhauptstadtbrief.de

Druck: ESM Satz und Grafik GmbH, Berlin | Redaktionsschluss: 10. Mai 2016 | Wiedergabe von Beiträgen nach Genehmigung stets mit der Quellenangabe: © DER HAUPTSTADTBRIEF. Für unverlangte Zusendungen keine Haftung.

DER HAUPTSTADTBRIEF erscheint mit acht Ausgaben im Jahr. ISS

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23DER HAUPTSTADTBRIEF

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24 DER HAUPTSTADTBRIEF

Kredite werden billiger – manche Staaten können mit ihren Schulden mittlerweile Geld verdienen, anstatt dafür zu zahlen. Möglich macht diese absurde Situation die derzeitige Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Kol-lateralschäden tragen die deutschen Sparer, Lebensversicherer, Pensionskassen – aber auch wohltätige Stiftungen. Die negativen Auswirkun-gen für das Gemeinwohl in Deutschland werden jedoch häufig übersehen oder unterschätzt. Denn für viele deutsche Stiftungen wird es zunehmend schwieriger, ausreichende Erträge zu erwirtschaften.

Gemeinnützige Stif-tungen aber helfen mit ihren Erträgen genau dort, wo der Sozialstaat seine Grenzen findet, wo benachteiligte Kinder oder bedürftige oder behinderte Menschen Unterstützung brauchen. Das Sozialkapital hierfür haben meist Privatper-sonen durch eigenen Konsumverzicht erspart und im Stiftungswege für das Gemeinwohl zur Verfügung gestellt. Politischer Wille hinter die-sem Prinzip des Stiftungsgedankens war, das soziale Engagement der Bürger zu fördern.

Durch die Reform des Stiftungssteuerrechts hat sich seit dem Jahr 2000 die Zahl der Stiftungen in

Deutschland auf über 21 000 mehr als verdoppelt. Das Sozialkapital, das sie verwalten, beträgt zirka 100 Milliarden Euro. Nach dem Stiftungsgesetz müssen Stiftungen ihr Stiftungskapital „sicher und wirtschaftlich“ – also ertragreich – anle-gen. Das heißt, es muss ein positiver Ertrag zur Satzungszweckerfüllung erwirtschaftet sowie das Stiftungskapital dauerhaft erhalten wer-den. Deswegen investierten viele Stiftungen überwiegend in erstklassige Anleihen solider Unternehmen und zu geringem Teil in Aktien.

Die EZB-Politik kon-terkariert nun nicht nur die Bemühungen des Staates, mehr private Gelder für Gemeinwohlaufga-ben zu mobilisieren – sie reduziert auch

drastisch die Wirkungskraft des bestehenden Sozialkapitals. Die Grafik „Renditen erstklas-siger Anleihen tendieren gegen Null“ zeigt, wie die Renditen eines 7-jährigen Pfandbriefs gegen Null gedrückt wurden. In Zahlen: Erzielte eine Stiftung mit 100 000 Euro in dieser Anla-geform kurz vor Mario Draghis Amtsantritt als EZB-Präsident noch einen jährlichen Ertrag von 2810 Euro, sind es heute nur noch 320 Euro – und damit 89 Prozent Ertragsrückgang innerhalb von viereinhalb Jahren! Bei weiteren

Keine Zinsen sind gut für Staaten und schlecht für StiftungenDie Folgen der EZB-Nullzinspolitik für das Gemeinwohl in Deutschland sind sehr nachteilig | Von Petra Träg

Die Nullzinspolitik der EZB reduziert nicht zuletzt

auch drastisch die Wirkungskraft des bestehenden

Sozialkapitals.

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Petra Träg verantwortet seit 2003 in ihrer Funktion als Geschäftsführung der SOS-Kinderdorf-Stiftung die Verwaltung und das Anlagemanagement der Dachstiftung sowie der 63 Treuhandstiftungen. Für den HAUPTSTADTBRIEF beschreibt sie, warum die EZB-Geldpolitik den deutschen Stiftungen schadet und das Sozialkapital Deutschlands vermindert – zulasten von Schwachen und Hilfsbedürftigen.

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25DER HAUPTSTADTBRIEF

Anleihekäufen der EZB wird es immer weniger Anleihen mit positiver Rendite geben. Je län-ger die Nullzinspolitik anhält, desto drama-tischer werden die Auswirkungen und desto größer wird der Schaden für das Gemeinwohl.

Auch wenn die EZB ihr Ziel erreicht, die Inflation auf knapp 2 Prozent anzukurbeln, wird die Situ-ation für Stiftungen nicht besser, im Gegenteil: Das Stiftungskapital wird real entwertet, und das Drittel der Erträge, das eine Stiftung zum Inflationsausgleich zurücklegen darf, reicht bei weitem nicht, um dem entgegenzuwirken. Je

größer die Lücke, desto rapider summiert sich der Geldwertverlust über die Jahre. (Siehe Infografik „Auch niedrige Inflationsraten führen zu hohem Geldwertverlust“.) Selbst ein mit dem Inflati-onsanstieg verbundener Zinsanstieg – sofern dergleichen passiert, denn das Ziel ist ja finan-zielle Repression – hilft den Stiftungen zunächst kaum, weil die in der Nullzinsphase gekauften Anleihen dann noch einige Jahre laufen.

Nach einer aktuellen Studie des Wirtschafts-beratungsun-ternehmens Pricewater-houseCoopers

21 301 Stiftungen schütten (2015) die Menge von 17.000.000.000 Euro für satzungsgemäße Zwecke aus, die zu 95 Prozent gemeinnützig sind. Dazu zählen (von links nach rechts) der Umweltschutz, das Gesundheitswesen, Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur und der Sport. Andere gemeinnützige Zwecke sind die Völkerverständigung, der Tierschutz, auch Wissen-schaft und Forschung profitieren von Stiftungszuwendungen.

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26 DER HAUPTSTADTBRIEF

(PwC) ist ein Stiftungssterben kleinerer Stiftun-gen zu erwarten (72,4 Prozent aller Stiftungen haben ein Vermögen von unter 1 Million Euro), sofern diese nicht in risikoreichere Anlagen mit höheren Erträgen umsteigen. Der künstlich niedrige Zins beeinflusst jedoch auch andere Anlageklassen und führte bei Sachwert-anlagen zu Vermö-genspreisinflation. Alternativanlagen mit einem höheren laufen-den Ertrag wie Aktien und Immobilien kön-nen mittlerweile nur zu deutlich gestie-genen Preisen gekauft werden.

Die SOS-Kinderdorf-Stiftung ist derzeit in der glücklichen Situation, dass sie durch Zustiftun-gen die Kapitalbasis trotz der insgesamt ungüns-

tigen Situation deutlich erhöhen konnte – und nur ein größeres Stiftungskapital ermöglicht eine Diversifikation in Direktimmobilien. Das sieht bei den anderen Stiftungen leider ganz anders aus. Die meisten deutschen Stiftungen sind mit einem Stiftungskapital von unter 1

Million Euro ausgestat-tet, und je nachdem, in welchem Bundesland die Stiftung ihren Sitz hat, sind die Möglich-keiten der Diversifika-tion unterschiedlich. Stiftungsrecht ist

Landesrecht, und jede Stiftungsaufsicht regelt selbständig, welches Maß an Diversifikation sie zulässt. Je nach Maßgabe der jeweiligen Stiftungsaufsichtsbehörden kann es etwa einer Stiftung auferlegt sein, ihren Aktien-anteil bei maximal 30 Prozent zu halten.

Die Stiftungen werden ihre gemeinnützige Arbeit nur weiter leisten können,

wenn sie sich unabhängiger von der Geldpolitik machen.

Auch niedrige Inflationsraten führen zu hohem Geldwertverlust

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2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060

Euro Geldwertverlust bei einer Inflationsrate von

2 Prozent4 Prozent6 Prozent8 Prozent

Quelle: Deutsche Bundesbank (2010) | Infografik: MZ © DER HAUPTSTADTBRIEF 2016

2 Prozent Inflation – das scheint wenig zu sein. Auf längere Sicht allerdings führt auch eine vermeintlich niedrige Rate zu hohem Geldwertverlust. 100 Euro des Jahres 2010 sind 10 Jahre später nur noch 80 Euro wert, nach 55 Jahren ist ihr Geldwert auf 40 Euro geschrumpft. In diesem Zeithorizont planen Stiftungen.

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27DER HAUPTSTADTBRIEF

Die Geldpolitik wirkt sich nicht nur auf die Ertrags- und Vermögensentwicklung gemeinnüt-ziger Stiftungen massiv aus. Es gibt weitreichen-dere negative Effekte, die zum Teil noch kaum wahrgenommen werden. Denn die Stiftungsland-schaft selbst verändert sich. Stiftungsneugrün-dungen sind seit Jahren rückläufig und befinden sich inzwischen wieder auf dem Level von 1999. Einige Stifter, die Teile ihres Privatvermögens für das Gemeinwohl zur Verfügung gestellt haben, sind enttäuscht von dem geringen Fördervolu-men beziehungsweise überfordert mit der Kapi-talanlage und möchten sich aus ihrer Stiftung zurückziehen. Ehrenamtlich tätige Nachfolger sind bei diesen Rahmenbedingungen und auf-grund der persönlichen Haftung schwer zu finden.

Um die Einnahmelücke aus den gesunkenen Erträgen zu stopfen, beginnen auch Stiftun-gen, die sich bisher nie über Spenden finanziert haben, Zuwendungen zu akquirieren. Damit machen sie den gemeinnützigen Vereinen Konkurrenz, die ihre Projekte grundsätzlich durch Spenden finanzieren. Kurz: Es findet eine Umverteilung im Spendenmarkt statt.

Die Erschließung anderer Einnahmequellen ist aber unerlässlich, um die Gemeinnützig-keit nicht zu verlieren, denn die nicht ver-meidbaren Verwaltungskosten (wie etwa für Abschlussprüfung, Konto- und Depotgebüh-ren) dürfen einen angemessenen Rahmen von maximal 50 Prozent der zufließenden Mittel

Eine verfehlte Geldpolitik der Deutschen Reichsbank führte 1923 schon einmal zum Ruin vieler deutscher Stiftungen und damit zur Vernichtung eines verglichen mit heute gewaltigen Sozialkapitals. Bereits im Jahr 1900 gab es in Deutschland über 100 000 Stiftungen (bei 53 Millionen Einwohnern).

Mit rund 50 Milliarden Mark verfügten die deutschen Stiftungen 1914 über ein größeres Vermögen als beispielsweise die in England oder in den USA. Hauptsächlich hatten sie in „sichere“ deutsche Staatsanleihen und auf staatliche Verordnung später auch zum Teil in Kriegsanleihen investiert – mit kata-

strophalen Folgen. Ihre Aufgaben erfüllen und Not lindern konnten danach nur noch solche Stiftungen, die nicht nur in Anleihen, son-dern schwerpunktmäßig in Immobilien und Produktiv-kapital investiert hatten.

Schon die Währungsreform 1923 brachte Stiftungen in die Krise

Was 1924 von 1 Million Mark, 1918 investiert, übrigblieb

100 % Renten 70 % Renten30 % Aktien *

je 1/3 Aktien*, Renten, Immobilien **

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* Durchhaltefall bei Entwicklung Deutscher Aktienindex** Berücksichtigung der 15 Prozent Mietzinssteuer

Quellen: Vossische Zeitung; Dub, M; Nölke, J.; eigene Berechnungen PT | Infografik: MZ © HSB 2016

Eine verfehlte Geldpolitik der Deutschen Reichsbank und die Währungsreform 1923 setzen den deutschen Stiftungen jener Zeit hart zu. Diejenigen, die in vermeintlich sichere Staatsanlei-hen („Renten“) investiert hatten, verloren alles. Wer diversifiziert und auch auf Immobilien gesetzt hatte, konnte knapp die Hälfte des Stiftungskapitals retten.

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28 DER HAUPTSTADTBRIEF

nicht überschreiten. Die Nullzinspolitik ver-schlechtert die Verwaltungskostenquote – ohne Verschulden der Stiftungsvorstände.

Deshalb müssen sich Stiftungen durch breitere Anlagediversifizierung unabhängiger von der Geldpolitik machen. Ein Blick in die Geschichte zeigt die Notwendigkeit (siehe Kasten „Schon die Währungsreform 1923 brachte Stiftungen in die Krise“). Auch in der Vergangenheit wurde nach extremen Ereignissen versucht, die schlechte wirtschaftliche Situation des Landes mit Geldpo-litik zu kurieren. Scheiterte dies und kam es nach der Geldverschlechterung zur Währungsreform, waren Stiftungen mit ausschließlich „sicheren“ Anleihen, gerade als ihr Wirken am dringends-ten gebraucht wurde, kaum oder gar nicht mehr in der Lage, in diesen Notzeiten zu helfen.

Fazit: Die aggressive Nullzinspolitik der Europä-ischen Zentralbank hat einen ungewissen Aus-gang für den Bestand des Sozialkapitals – und unter den Folgen dieser Situation haben vor allem Schwache und Hilfsbedürftige zu leiden. ◆

Renditen erstklassiger Anleihen tendieren gegen Null

In den letzten 5 Jahren sind die Renditen erstklassiger Anleihen von der EZB systematisch gegen Null gedrückt worden. Die Zinsstrukturkurve, von der Deutschen Bundesbank gemäß Svensson-Methode ermittelt, zeigt die Entwicklung von Hypothekenpfandbriefen und Öffentlichen Pfandbriefen mit 7-jähriger Laufzeit (Halbjahreswerte in Prozent).

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Quelle: Deutsche Bundesbank (2016) | Infografik: MZ © DER HAUPTSTADTBRIEF 2016

Informationen zu den Stiftun-gen in Deutschland finden sich auf der Website ihres Bundes-verbands, der die Interessen der mehr als 20 000 Stiftungen in Deutschland vertritt unter www.stiftungen.org

Die Studie des Wirtschaftsbe-ratungsunternehmens Pricewa-terhouseCoopers „Fünf Jahre Niedrigzinsphase und kein Ende in Sicht“, auf die unsere Autorin Petra Träg sich in ihrem Beitrag bezieht, ist hier herunterzuladen: www.pwc.de/de/steuerberatung/stiftungen-gehen-wegen-niedriger-zinsen-staerker-ins-risiko.html

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29DER HAUPTSTADTBRIEF

„ Keine anderen Schiffe erreichen zurzeit die hohen Standards, die MS EUROPA und MS EUROPA 2 und ihre Crews setzen.“

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30 DER HAUPTSTADTBRIEF

Am 5. Februar 2016 veröffentlichte die Europäi-sche Zentralbank ein bis zu diesem Tag geheimes Abkommen, das sie mit den Nationalen Zentral-banken des Eurosystems vereinbart hatte. Das Abkommen mit dem Kürzel ANFA, auf Englisch Agreement on Net Financial Assets (zu Deutsch Vereinbarung über Netto-Finanzaktiva oder Netto-Finanzanlagen) ist ein privatrechtlicher Vertrag zwischen den 20 Mitgliedern der Eurosystems, nämlich zwischen der Europäischen Zentralbank (EZB) und den 19 Nationalen Zentralbanken (NZBs) der Mitgliedslän-der des Eurosystems. Der Vertrag regelt, wie viel Zentralbankgeld die NZBs auf eigene Rech-nung zusätzlich – über die kollektiven geldpo-litischen Geschäfte des Eurosystems hinaus – schöpfen dürfen.

Die Deutsche Bundesbank hat nun als erste der 19 NZBs am 21. März in ihrem Monatsbericht für den März 2016 ausführlich zu der Existenz, dem Inhalt und der Absicht der ANFA-Vereinbarung Stellung genommen (Seiten 87 bis 97, der Bericht ist öffentlich auf der Website der Bundesbank verfügbar). Der Leser erfährt, dass das Abkom-men bereits Anfang 2003 geschlossen und seither niemandem außerhalb des Eurosystem-Apparates

bekannt gemacht wurde. Das Verschweigen hielt an, obwohl zuletzt Litauen, das zum 1. Januar 2015 dem Eurosystem beitrat, wie andere Euro-neulinge auch durch seine Zentralbank nachträg-lich ANFA-Vertragspartner wurde. Erst im Novem-ber 2015, nach fast 13 Jahren Geheimhaltung, als der Autor dieser Zeilen seine Dissertation über die Geldpolitik der EZB in der Krise vorlegte und seine Entdeckung der ANFA-Aktivitäten zusammen mit dem Investigativ-Team der Welt am Sonntag veröffentlichte, war die EZB bereit einzuräumen,

dass es eine solche Ver-einbarung überhaupt gebe. Über deren Inhalt bewahrte sie zunächst weiterhin Stillschweigen.

Was hat es mit dem ANFA-Vertrag auf sich und worin

besteht die Schwere des Verschweigens seiner Existenz? Ist die bisherige Nicht-Existenz des Ver-trages für die Öffentlichkeit tatsächlich ein Indiz für die Existenz eines Schattenreichs im Innersten der Eurozone? Um welche illegitime Macht geht es? Ist es die Macht, im Verborgenen Verbind-lichkeiten anzuhäufen, für die Maß und Haftung abhandengekommen sind? Der Reihe nach.

Den konsolidierten Bilanzausweisen des Eurosystems (der „Eurosystem-Bilanz“) ist zu

Im Innersten der Eurozone existiert ein SchattenreichAuch der Euroraum hat seinen Darkroom – eine bis vor kurzem geheime Struktur, die hinter der Fassade der EZB im Verborgenen Verbindlichkeiten eingeht. Insider kennen ihr Akronym: ANFA | Von Daniel Hoffmann

Nach fast 13 Jahren Geheimhaltung war die EZB bereit einzuräumen, dass es

die ANFA-Vereinbarung überhaupt gebe.

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Dr. Daniel Hoffmann ist Experte für Geldpolitik. Von 2011 bis 2015 war er Analyst bei Europolis, einem Thinktank für europäische Ordnungspolitik in Berlin. Im Januar 2015 promovierte er an der Technischen Universität Berlin zur Geldpolitik der EZB und löste mit der Veröffentlichung seiner Ergebnisse die sogenannte „ANFA-Affäre“ aus. Für den HAUPTSTADTBRIEF beschreibt er, worum es geht und wen es angeht: den Steuerzahler.

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31DER HAUPTSTADTBRIEF

entnehmen, dass bislang immer mehr Zentral-bankgeld-Liquidität vorhanden war als durch geldpolitische Geschäfte geschaffen wurde. Die geldpolitischen Geschäfte des Eurosys-tems (Euro-Refinanzierungsgeschäfte, Wertpa-pierankäufe) werden unter den Aktiv-Positionen A.5 und A.7.1 ausgewiesen. Beide Positionen zusammen wiesen zum 31. Dezember 2015 einen Bestand von 1362 Milliarden Euro aus. Die unter den Passiv-Positionen P.1-2 verbuchte Zentralbankgeld-Liquidität betrug hingegen 1852 Milliarden Euro. Es ergab sich demnach ein Saldo von 490 Milliarden Euro. Eben jene Differenz stellt die in Anspruch genommene Höhe der im Rahmen des ANFA-Abkommens geregelten Netto-Finanzanlagen (NFAs) dar.

Wie ich in meiner Dissertation Die EZB in der Krise. Eine Analyse der wesentlichen Sonder-maßnahmen von 2007 bis 2012 zeige, stieg die Summe der überaus intransparenten Eurosystem-Bilanz-Aktivpositionen A.6, A.7.2 und A.9 seit dem Schwelen der Finanzkrise Anfang 2006 bis zum vorläufigen Höhepunkt Ende 2012 um rund 500 Milliarden Euro auf 724 Milliarden Euro an („EZB in der Krise“, Seite 18o ff.). So hielt allein die Banca d’Italia Ende 2014 für rund 120 Mil-liarden Euro Wertpapiere, die sie im Rahmen ihrer – den NZBs insgeheim gestatteten – auto-

nomen Geschäfte erwarb, darunter als größte Position für 108 Milliarden Euro Staatsanleihen.

Spitzenreiter ist aber Frankreich: Die Banque de France hielt Ende 2014 unter diesen ANFA-Brutto-Positionen u.a. Wertpapiere, vermutlich Staatsan-leihen, vielleicht auch Bankpapiere, im Wert von 170 Milliarden Euro, ohne dass nähere Informatio-nen über Zweck oder Zusammensetzung bekannt wurden. (Siehe Infografik „ANFA in Zahlen“.)

Die bislang unbeantwortete Frage ist, in wel-chem Ausmaß es sich um Staatsanleihen des jeweiligen eigenen Landes handelt. Die Bundesbank kommentierte die Frage, ohne eine Antwort zu gebe, in ihrem erwähnten Monatsbericht vom 21. März 2016 so:

„Im Verlauf der jüngsten öffentlichen Diskussion um nicht geldpolitische Wertpapierbestände sahen sich Zentralbanken des Eurosystems teilweise dem Vorwurf der Intransparenz ausgesetzt. So wurden nicht geldpolitische Ankäufe insbesondere von hei-mischen Staatsanleihen durch die jeweiligen nati-onalen Zentralbanken mit einer durch die europäi-schen Verträge verbotenen monetären Staatsfinan-zierung in Verbindung gebracht – insbesondere, soweit die Ausweitung solcher Portfolios parallel zur europäischen Staatsschuldenkrise erfolgte.“

Mario Draghi ist Präsident der Europäischen Zentralbank und Herr eines Schattenregimes, das jahrelang im Verborgenen Verbindlichkeiten eingingt. Im Bild spricht er in offizieller Mission zu den Gästen der Asian Development Bank (ADB), die am 2. Mai 2016 zu ihrem 50. Annual Meeting in Frankfurt zusammenkam. Und zündet eine neue Nebelkerze: Die Niedrig-zinspolitik sei Notwehr – gegen den weltweiten „Exzess des Sparens“ („the global excess of savings”).

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Das Deutsche Insti-tut für Wirtschafts-forschung (DIW) ging in seinem DIW-Wochenbericht 12/13 2016 etwas weiter und stellte fest, es ließe sich „weder schluss-folgern, dass eine verbotene Haus-haltsfinanzierung vorliegt, noch [...], dass sie nicht vorliegt“. Was wissen wir nach der Transparenzof-fensive der EZB mehr als zuvor?

Zunächst einmal ist jetzt bekannt, dass die jähr-lich festgelegten Höhen der Netto-Finanzanlagen (des „ANFA-Saldos“) als Jahresdurchschnitts-werte einzuhalten sind und nach Quoten auf die Nationalen Zentralbanken (NZBs) verteilt werden. Verzichtet eine NZB, wie die Bundesbank dies tut, auf ihren Anteil, wächst dieser anteilig den verbleibenden NZBs zu. Die ausgehandelten Obergrenzen und tatsächlichen Quotenvertei-lungen sind bislang nicht bekannt gegeben.

Weiterhin kennen wir nun die in Artikel 5 des ANFA-Abkommens festgelegten Ausnahmen. Wenn es sich um Notfall-Liquiditäts-Beihilfen an Banken handelt, dürfen die NZBs ihre Quo-ten überschreiten. Ferner erlauben sich die Mitglieder des Eurosystems dies in nicht weiter definierten „Ausnahmefällen“ („exceptional cases“), sofern sie sich verpflichten, die Über-schreitungen nach einem klar spezifizierten Zeitplan zurückzuführen. Die irische Zentralbank rechtfertigte genau mit dieser Ausnahmere-gelung in einer ergänzenden Pressemitteilung zur ANFA-Veröffentlichung ihre 43 Milliarden Euro schwere Finanzierung der Anfang 2013 auf Initiative der irischen Regierung durchge-führten Abwicklung der Krisenbank IBRC.

Prof. Martin Hellwig postulierte in einem Gutachten für den Bundestag bereits im Oktober 2014, dass im Falle der Abwicklung system-relevanter Großban-ken die anvisierte Haftungskaskade der Bankenunion unrealistisch sei und im Zweifelsfall auf den Europä-ischen Stabili-tätsmechanismus (ESM) und „die Zentralbank rekur-riert“ werden wird.

Es scheint so, als sei – kurz vor dem Beginn der Bankenunion Anfang 2015 – die Frage nach Zentral-bank-Finanzierung von Bankenabwicklungen durch das im November 2014 zuletzt erneuerte ANFA-Abkommen bereits beantwortet worden, allerdings ohne dass die Öffentlichkeit davon erfahren hat.

Die halbherzige Transparenzoffensive der EZB lässt Raum für Mutmaßungen. Das ANFA-Abkommen ermöglicht zunächst, dass die NZBs Bankenabwicklungen mit Hilfe von Notfall-Liqui-ditäts-Krediten und Wertpapierkäufen finanzieren können. Die Indizien weisen auf die Existenz eines Schattenregimes im Innersten der Eurozone hin, in dem die Macht, im Verborgenen Verbindlichkeiten anzuhäufen, ausgespielt wird. Verbindlichkeiten, für die Maß und Haftung abhanden gekommen sind – für die Handelnden. Für die Betroffenen, die Gemeinschaft der Euronutzer und Steuerzahler, hingegen gilt: Am Ende haften sie – für alles. ◆

Die Dissertation unseres Autors Daniel Hoffmann, deren Veröffentlichung die in seinem Beitrag behandelte „ANFA-Affä-re“ ins Rollen brachte, liegt seit Oktober 2015 als Book on Demand vor: Die EZB in der Krise. Eine Analyse der wesentlichen Sondermaßnahmen von 2007 bis 2012. 398 Seiten, gebunden, 100 Euro. Erhältlich bei Amazon oder unter www.book-on-demand.de/shop/14601

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gesamt:

ANFA in ZahlenWertpapierbestände der Nationalen Notenbanken *)

*) Wertpapierbestände der NZBs auf eigene Rechnung unter den Bilanz-Positionen A.7.2 und A.11.3 (Stand 31. Dezember 2014, Quelle: Nationale Notenbanken, EZB)

Bis November 2015 geheim: Die Nationalen Notenbanken der Euro-zone dürfen gemäß ANFA-Abkommen Wertpapiere, auch Bank- und Staatsanleihen ihrer Länder kaufen, um Banken und Staat zu retten, bevor die Pleite an der großen Glocke hängt.

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34 DER HAUPTSTADTBRIEF

Der griechische Ministerpräsident hatte eine gute Idee. Er schlug einen Sondergipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs vor. Weil die Euroländer, der Internationale Wäh-rungsfonds und Griechenland sich wieder einmal nicht über Reformfortschritte einigen können, müssten die Staatschefs die Sache wieder ein-mal unter sich regeln, fand Alexis Tsipras.

Doch so schnell der Vorschlag gemacht war, war er auch schon wieder vom Tisch: EU-Ratspräsi-dent Donald Tusk winkte müde ab, der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble schüttelte entnervt den Kopf. Man werde das Problem auf Minister ebene lösen. Am 9. Mai 2016, bei einem Treffen der Finanz-minister. Vorhang auf für den nächsten Akt im griechischen Drama.

Ministerpräsident Tsipras hatte eigentlich vorge-habt, das griechische Reformpaket zuerst auf-, dann um- und schließlich wieder zuschnüren. Neue Maßnahmen seien nicht nötig, doch die im vergan-genen Jahr getroffenen Vereinbarungen müssten gelockert werden, ließ er wissen. Im Anschluss an den von ihm gewünschten Gipfel hätte dann die nächste Tranche aus dem dritten Rettungspaket fließen sollen. Doch mit Um- und Neuschnüren

aber sollte es diesmal nicht getan sein. Das grie-chische Parlament soll nach dem Willen der ande-ren Europäer Vorratsbeschlüsse für einen künfti-gen Automatismus fassen. Danach sollen ab 2017 die Staatsausgaben immer dann zurückgefahren werden, wenn sich die griechische Wirtschaft in den kommenden Jahren nicht so entwickelt, wie es aufgeschrieben wird – und wovon alle ausgehen.

Spielt es eine Rolle, wie die Finanzminister der Eurozone die Reformfortschritte der griechischen Regierung bewerten? Klar ist, dass die Griechen

nichts dagegen gehabt hätten, wenn die Situ-ation vor dem Sommer noch einmal eskaliert. Schließlich braucht man das Geld erst im Juli 2016, wenn ein Milliar-denkredit umgeschuldet

werden muss. Bis dahin, so kalkuliert man in Griechenland, haben die Engländer noch über den Euro abzustimmen, die Spanier müssen neu wählen. Das erhöht den Druck auf die EU. Wenn es also noch einmal Spielraum für Gespräche über Schuldenerleichterungen gibt, dann jetzt.

Aus der Perspektive des Nordens sieht die Rech-nung anders aus. Die Zahl der Migranten, die aus der Türkei über Griechenland nach Europa kommen, sinkt beständig. Damit entfällt aber

Die Griechenland-Rettung geht weiter – bald ohne Zustimmung des BundestagsDas Dauerthema der Athener Staatspleite soll aus dem Rampenlicht verschwinden, damit es nicht länger als öffentliches Ärgernis stört | Von Ursula Weidenfeld

Die Zahl der Migranten, die über Griechenland kommen,

sinkt. Damit entfällt ein Hauptmotiv, Griechenland

entgegenzukommen.

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Dr. Ursula Weidenfeld ist Volkswirtin und Autorin von Wirtschaftsbüchern über Geldpolitik. Für den HAUPTSTADTBRIEF behält sie auch im Jahr 6 den Verlauf den Griechenland-Rettung im Auge; zuletzt beschrieb sie in der Ausgabe 132, wie Griechenland durch die Migrationskrise in den Hintergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit trat. Nun beleuchtet sie die Situation angesichts der wiederkehrenden Frage: Wird es Schuldenerleichterungen geben oder nicht?

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35DER HAUPTSTADTBRIEF

auch ein Hauptmotiv, Griechenland in Stabi-litätsangelegenheiten entgegenzukommen. Zudem wächst die Furcht, dass Portugal im Lauf des Sommers zurück in das Rettungsprogramm muss: Wie soll man den braven Portugiesen Reformen abverlangen, wenn man die säumigen Griechen kurz vorher hat davonkommen lassen?

Ginge es nach den Führungskräften in den deut-schen Chefetagen, wäre jetzt der Zeitpunkt für Härte. Die Finanzmärkte sind ruhig, und die Sorgen Europas richten sich zurzeit vor allem auf England. Knapp die Hälfte der Manager, die von der Tages-zeitung Die Welt und der Unternehmensberatung Roland Berger im April 2016 befragt wurden, würde es denn auch am liebsten sehen, wenn Griechenland aus der Währungsunion ausschei-det, zumindest aber die Reformliste buchstaben-getreu abarbeitet, bevor neues Geld fließen kann. Befragt wurden 147 Manager des Umfrage-Pools „Leaders Parliament“, mit dem die Welt-Gruppe und Roland Berger regelmäßig Meinungsbilder aus der deutschen Wirtschaftselite ermitteln.

Der deutschen Wirtschaft geht die Geduld mit Athen ausSoll Griechenland eine neue Tranche an Hilfsgeldern erhalten?

Nein, die Griechenland-Krise muss ein Ende haben, das Land soll aus der Eurozone ausscheiden

Nein, die Griechen müssen alle Reformauflagen ohne Abstriche erfüllen, sonst dürfen sie keine Hilfsgelder mehr bekommen

Ja, solange die Griechen bei den Reformen guten Willen zeigen und zumindest Teile der Auflagen erfüllen, sollten sie weiter unterstützt werden

Ja, die Auflagen für Griechenland waren von Anfang an zu hart, es muss einen großen Schuldenschnitt für das Land geben

Keine Angaben

Angaben in Prozent Quelle: Roland Berger/Welt-Gruppe, April 2016

In deutschen Chefetagen antwortet knapp die Hälfte der befragten Manager mit Nein, Griechenland solle keine neuen Hilfsgelder erhalten.

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Alexis Tsipras liebt es, wenn sich auf Sondergipfeln wohl-wollend mit der prekären Situation Griechenlands befasst wird. Fürs Erste jedoch wird er auf die große Bühne verzich-ten müssen; denn das Theater um mehr Geld für Griechen-land ist nun auf die Finanzminister ebene delegiert.

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36 DER HAUPTSTADTBRIEF

Ihre Hoffnungen dürften sich nicht erfüllen. Der neue Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Cle-mens Fuest, hat einmal zusammengezählt, wie oft der Maastricht-Vertrag schon missachtet wurde. Fuest zählte insgesamt 109 Vertragsverletzungen, die so schwer waren, dass sie zu einem offiziellen Vertragsverletzungsverfahren führten. Nur: Die Untersuchungen blieben ohne Folgen. Nicht ein einziges Mal wurde eine Sanktion gegen einen der Vertragsbrüchigen ausgesprochen – zu denen übrigens auch Deutschland gelegentlich zählte.

„Es wird für Griechenland keine Schuldenerleich-terungen geben“, hatte Wolfgang Schäuble bei der Frühjahrstagung von Internationalem Währungs-fonds (IWF) und Weltbank gesagt. Inzwischen hat sich seine Position etwas abgemildert: Durch Erleichterungen für Griechenland sollen keinesfalls die Gläubiger schlechter gestellt werden. Wie das gehen kann? Griechenland erklärt seine Bereit-schaft zu automatischen Haushaltskürzungen im

Falle weiterer Rückschläge im Reformprogramm. Im Gegenzug stimmt Deutschland einer internen Umschuldung beim Europäischen Rettungsschirm ESM zu. Würden da die Laufzeiten der Griechenkre-dite zu günstigsten Zinsen verlängert, hätte formal niemand einen Schaden. Der besondere Charme einer solchen Aktion hat selbst den deutschen Finanzminister milde gestimmt: Sie könnte im normalen ESM-Geschäft stattfinden, der Bundes-tag müsste nicht zustimmen – und auch weitere Gipfelwünsche von Alexis Tsipras blieben aus. ◆

Ein Buch unserer Autorin Ursula Weiden-feld, Gelduntergang. Wie Banken und Politik unsere Zukunft verspielen, 2012 zusammen mit Michael Sauga geschrie-ben, ist auch nach vier Jahren noch aufschlussreich, weil die dort analysierte ständig wiederkehrende Beschwörungs-formel der Euroretter „Aber jetzt ist das Schlimmste wirklich überstanden“ so aktuell ist wie je: Griechenland ist immer noch pleite. Bei Piper als E-Book für 5,99 Euro. Download: www.piper.de/buecher/gelduntergang-isbn-978-3-492-95644-4-ebook

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37DER HAUPTSTADTBRIEF

Die Mitte des europäischen Kontinents steht wirtschaftlich so gut da wie nie zuvor. Früher wäre es kaum zu erwarten gewesen, dass Westeuropa wie gegenwärtig stagnieren und das Wirtschafts-wachstum der Europäischen Union im Wesentli-chen aus der Region Mitteleuropa kommen würde. Die dortigen Staaten expandieren derzeit ökono-misch um drei, vier oder sogar fünf Prozent jähr-lich – und dies nicht einmalig, sondern in einer nachhaltigen Entwicklung über mehrere Jahre.

Es zeigt sich, dass sich die Schwerpunkte des Kontinents verlagern: langsam, unauffällig, aber stetig. Frankreich etwa hat 66 Millionen Einwohner, denen 64 Millionen Men-schen in den Visegrád-Staaten (V4) Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei gegenüberstehen. In die-sem Zusammenhang haben die deutschen Investitionen in Frankreich einen geringeren Anteil als jene in Mitteleuropa: Das deutsche Investitionsvolumen liegt in Frankreich bei 42 Milliarden Euro, in Mittel-europa dagegen bei 57 Milliarden Euro. Die deut-schen Einfuhren aus Frankreich betragen 67 Milliar-den Euro, die aus Mitteleuropa 121 Milliarden Euro.

Der Blick zurück ins Jahr 2008 zeigt ein anderes Bild: Ungarn war damals noch „Rettungskandidat“. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die

Europäische Union (EU) mussten Ungarn lange vor Griechenland mit Hilfskrediten in Höhe von insgesamt 14,3 Milliarden Euro wirtschaftlich über Wasser halten, was wiederum mit strengen Auf-lagen verbunden war. Seither und seit Beginn der Regierungszeit der Partei Fidesz im Jahr 2010 hat sich viel geändert. In diesen Tagen hat Ungarn die letzte Rate in Höhe von 1,5 Milliarden Euro an die EU zurückgezahlt, womit sich das Land endgültig von dieser Altlast befreit hat. Dem deutschen und dem europäischen Steuerzahler sind dabei übri-gens keine Kosten entstanden. Man darf also deut-lich sagen, dass Ungarn auf eigenen Beinen steht.

Die Wirtschaftsdaten sprechen eine unmiss-verständliche Sprache: Ungarns Haushaltsdefizit liegt unter zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und erfüllt damit das Maastricht-Kriterium

einer Neuverschuldung von maximal drei Prozent des BIP. Die Staatsschulden haben sich von 85 Prozent der nationalen Wertschöpfung auf 75 Prozent reduziert, und die Arbeitslosigkeit ist um die Hälfte, auf sechs Prozent, gefallen. Ungarn hat 2015 ein Wachstum von 2,9 Prozent erreicht, für das laufende Jahr werden 3 Prozent erwartet.

Bei diesen wirtschaftlichen Erfolgen spie-len auch Deutschlands Firmen eine wich-

Mitteleuropa ist ein Lichtblick in der EUDie Schwerpunkte des Kontinents verlagern sich, Ungarn und die anderen Visegrád-Staaten wachsen stärker als die übrigen EU-Länder. Das liegt an einer Finanz- und Wirtschaftspolitik, die Anreize gibt und Hemmnisse beseitigt | Von Viktor Orbán

Früher hätte keiner erwartet, dass Westeuropa

stagnieren und das Wirtschaftswachstum

aus Mitteleuropa kommen würde.

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Viktor Orbán ist Ministerpräsident von Ungarn und Vorsitzender der Partei Fidesz – Ungarischer Bürgerbund. Im HAUPTSTADTBRIEF stellt er das ungarische Wirtschaftsmodell vor, das auf politischer Stabilität, soliden Staatsfinanzen und einem einfachen Steuersystem basiert. Auch EU-politisch setzt Ungarns Regierung eigene Akzente: gezielte Familienpolitik statt planloser Einwanderung.

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38 DER HAUPTSTADTBRIEF

tige Rolle. Mehr als 6000 Unternehmen mit deutscher Beteiligung sind in Ungarn tätig und beschäftigen 300 000 ungarische Mit-arbeiter. Nimmt man die durchschnittliche Haushaltszahl von vier Personen als Maß-stab, so sichern diese Unternehmen 1,2 Mil-lionen Menschen in Ungarn die Existenz.

Wirtschaftlich besonders eng ist Ungarns pro-duktionszentrierte Wirtschaft mit der „Süd-flanke“ des Standorts Deutschland verwachsen, also Bayern und Baden-Württemberg. Nach meinem Verständnis sind alle Wirtschaftsbe-reiche wichtig, auch der Banksektor und die Dienstleistungen. Dem produzierenden Bereich kommt jedoch eine besondere Rolle zu. Ich glaube nicht an die Stärke eines Wirtschafts-systems, dessen Industrieproduktion nicht bedeutsam ist. Derzeit liegt Ungarn bei der Höhe des Anteils der verarbeitenden Industrie hinter Tschechien und noch vor Deutschland. Wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf besteht aus meiner Sicht beim Bürokratieabbau und bei der Behebung des Fachkräftemangels.

Das ungarische Wirtschaftsmodell basiert erstens auf politischer Stabilität: Ungarn ist eines der wenigen EU-Länder, in denen die Parlamente ihre Legislaturperioden regelmäßig erfolgreich zu Ende bringen. Viele Probleme in anderen EU-Staaten rühren von mangelnder politischer Stabilität her.

Die zweite Säule des Modells ist eine solide staatliche Finanzpolitik: Man soll schlicht nicht mehr ausgeben, als man einnimmt. Damit war auch eine einschneidende Reform des Sozi-alstaats verbunden, die dem Wähler damals nicht einfach zu vermitteln war. Arbeitslosen-hilfe gibt es jetzt nur noch für drei Monate. Wer in dieser Zeit keine Arbeit im Privatsektor gefunden hat, muss eine gemeinnützige Arbeit annehmen, die mit weniger als dem Mindest-lohn, aber mit mehr als dem Arbeitslosengeld honoriert wird. Tut man das nicht, so wird die Arbeitslosenunterstützung gestrichen. Aus-nahmen gibt es hierbei nur für Kranke.

Drittens hat die Regierung Ungarns Steuer-system radikal reformiert und vereinfacht.

Ungarn wächst, blüht und gedeiht: Die Große Markthalle von Budapest als Sinnbild einer gelingenden Marktwirtschaft, die Menschen in Arbeit bringt und ihnen die Früchte ihrer Arbeit lässt, statt sie mit Steuern zu belegen und umzuverteilen. Auf alle Einkünfte gibt es jetzt eine „Flat Tax“ von 15 Prozent, wer drei Kinder hat, zahlt kaum noch Einkommensteuer.

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39DER HAUPTSTADTBRIEF

Auf alle Einkünfte gibt es jetzt eine „Flat Tax“ von 15 Prozent. Die sozialistisch orientierte Opposition war damals dagegen, aber der Erfolg gibt uns Recht. Zudem haben wir die Erbschaftsteuer abgeschafft. Der Aufbau von Vermögen in der Familie muss nicht geför-dert, darf aber auch nicht behindert werden.

Viertens unterstützt Ungarn die Familien steu-erlich. Aktuell schrumpft die ungarische Bevöl-kerung, und dieser demografische Wandel stellt eine Herausforderung dar. Die staatliche Förde-rung besteht darin, dass eine Familie mit drei oder mehr Kindern nahezu keine Einkommen-steuer mehr zu zahlen hat. Der Staat übernimmt auch die Entgeltfortzahlung in der Elternzeit, mit 100 Prozent des Gehalts für drei Monate und 75 Prozent für drei Jahre. Hinzu kommen eine hohe Summe einer nicht zurückzuerstattenden Unterstützung sowie günstige Kredite für den Haus- oder Wohnungskauf für Familien, die drei oder mehr Kinder haben beziehungsweise haben möchten. Diese Familienförderung ent-spricht den ungarischen Wertvorstellungen.

Bei der Bewältigung des demografischen Wan-dels gibt es einen großen Dissens zwischen der ungarischen Regierung und der Europäischen Union. So kursiert in der EU der sogenannte Juncker-Plan, der besagt, dass die demografi-schen Probleme Europas durch Einwanderung gelöst werden müssen. Einzelne Länder können das durchaus tun, wenn sie es für richtig halten. Ungarn jedoch strebt an, sein demografisches Problem mit Familienpolitik zu lösen. Wir lehnen eine Masseneinwanderung ab, für die in Ungarn keine Notwendigkeit besteht. Der ungarische Weg braucht allerdings Zeit: Erst in acht bis zehn Jahren werden sich Resultate der Familien-politik zeigen, während Einwanderung, zumin-dest mathematisch, das Problem sofort löst.

Die derzeit wichtigste Aufgabe der EU nach meiner Ansicht ist es, ihre Errungenschaften zu schützen, zu denen Freizügigkeit und freier Han-del gehören. Dies gelingt aber nur, wenn die EU-Außengrenzen geschützt sind. Sind sie es nicht, werden wieder viele Binnengrenzen von neuem entstehen. Das Schengen-System setzt Kontrolle

Ungarn fährt auf und davon: Die Werkhalle der Audi Hungaria Motor Kft. als Musterbeispiel eines erfolgreichen Investi-tionsprojekts. 2014 startete im ungarischen Györ die Serienfertigung des Audi TT Roadster (vorn) und des Audi TT Coupé (dahinter). Diese Modelle werden komplett in dem neuen Automobilwerk gefertigt – Botschafter ungarischer Exzellenz.

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40 DER HAUPTSTADTBRIEF

und Registrierung der Einwanderer bei der Ein-reise voraus. In der EU hat dies nur ein einziges Land in dieser Form vorgenommen, und zwar Ungarn. Dass wir dafür scharf kritisiert werden, ist völlig absurd – umso mehr, wenn andere Staa-ten quasi freigesprochen werden, die ihre völker-rechtlichen Verpflichtungen nicht erfüllt haben. Ich finde: Verträge müssen im gemeinsamen Europa eingehalten werden. Wenn man die gegen-wärtigen Regeln als nicht sinnvoll betrachtet, müssen sie geändert werden. Aber fortlaufende Rechtsbrüche darf es in Europa nicht geben.

Ebenso wenig sollten EU-Staaten gezwungen werden, ihre innere Sicher-heit aufs Spiel zu setzen. Viele der Menschen, die ohne Kontrolle einge-lassen werden, kommen aus Staaten, mit denen die EU-Mitgliedstaaten auch militärische Konflikte haben. Diese Tatsa-che nutzen unsere Feinde aus: Sie töten unsere Bürgerinnen und Bürger, und sie legen Spreng-sätze in unseren Flughäfen. Dazu, dass sich Migranten, deren Status nicht klar ist, in Europa völlig frei bewegen können, besteht im Übrigen keine Veranlassung. Als 1956 viele Ungarn das Land wegen der sowjetischen Invasion verließen, landeten die meisten von ihnen in Aufnahmela-gern in Österreich, wo sie Asylanträge für unter-schiedliche Länder stellen mussten. Sie durften die Lager nicht ohne weiteres verlassen. Das war damals auch gar nicht umstritten. Unsere Frei-heit zu schützen, heißt, unsere Außengrenzen zu kontrollieren. Dazu gehört auch, illegale Einwan-derer ohne Asylgrund konsequent abzuschieben.

Europas teils ineffektive Reaktion auf die ver-schiedenen Krisen im Inneren und im Äußeren liegt in der Führungsstruktur begründet. Die euro-päischen Gremien und Institutionen können nicht führen, weil in ihnen nur allzu leicht die persönli-che Verantwortlichkeit verwischt wird. Die Schwä-che solcher Gremien fällt in guten Zeiten nicht auf, in Krisen zeigt sie sich aber überdeutlich. Wirklich

führen können nur starke, demokratisch gewählte Politiker auf staatlicher Ebene. Viele EU-Bürger wünschen sich wieder solche Persönlichkeiten.

Als ich in meiner ersten Amtszeit als ungarischer Ministerpräsident 1998 das erste Mal an europäi-schen Gremien teilnahm, waren dort Politiker wie Helmut Kohl, Jaques Chirac, Silvio Berlusconi und José María Aznar. Man kann über diese Personen geteilter Meinung sein, aber es zeichnete sie aus, dass sie ganz klar wussten, was sie für ihr jewei-liges Volk erreichen wollten. Zwölf Jahre später,

im Jahr 2010, nahm ich als Ministerpräsident wieder an europäischen Gesprächs-runden teil. Im zeitlichen Vergleich fiel auf, dass die Stimmung außerordentlich defensiv war und sehr enge rechtliche oder technische Fragen dominierten. Dieser starke Kontrast hat mich

seither immer wieder beschäftigt. Es ist unerläss-lich, auf der Ebene der EU persönliche Führung und Verantwortlichkeit wieder stärker zu verankern.

Persönlich gehe ich davon aus, dass die Flücht-lingskrise in zwei, drei Monaten ausgestanden sein wird. Die Hauptwanderungsrouten sind geschlossen. Für alternative Wege ist das eben-falls leicht möglich, und zudem gibt es das Abkommen mit der Türkei, um die Flüchtlingszah-len zu reduzieren. Die Hoffnung dabei ist, dass sich die EU danach wieder stärker darauf konzen-triert, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und die wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen. ◆

Der Beitrag unseres Autors Viktor Orbán dokumentiert eine Rede, die er im April 2016 in Stuttgart vor 200 Gästen aus der Wirtschaft gehalten hat. Veranstalter waren das ungari-sche Generalkonsulat und die Stiftung Familienunternehmen.

Mehr über die Politik des Ministerpräsidenten und Aktuelles und Wissenswertes über das politische Geschehen in Ungarn findet sich in englischer Sprache auf der Website der ungari-schen Regierung: www.kormany.hu/en

2008 war Ungarn noch ‚Rettungskandidat‘ –

2016 ist die letzte Rate zurückgezahlt,

Ungarn steht wieder auf eigenen Beinen.

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42 DER HAUPTSTADTBRIEF

Wenn wir am 23. Juni 2016 abstimmen werden, ob das Vereinigte Königreich Mitglied der Euro-päischen Union (EU) bleibt, wird sich dieses Referendum deutlich von dem unterscheiden, das im Juni 1975 abgehalten und in dem die Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschafts-gemeinschaft (EWG) bestätigt wurde. Dieses Mal haben sich die vier konstitutiven Teile des Vereinigten Königreichs – England, Schott-land, Wales und Nordirland – sowohl innen- wie außenpolitischen Spannungen in Zusammen-hang mit der Abstimmung im Juni zu stellen.

In Deutschland scheint diese Problematik ver-breitet und verkürzend auf die Frage herunter-gebrochen zu werden: Warum können die Briten nicht so sein wie wir? Die Antwortet lau-tet: Weil wir historisch und geographisch unterschiedlich geprägt sind. Als gebürtige Deutsche, die über zwei Jahrzehnte in der britischen und europäischen Politik aktiv ist, ist mir inzwischen klar, warum das so ist.

Vor 300 Jahren war England beides, See- und Kontinentalmacht. Georg I. war König von England und Kurfürst von Hannover. Der „Act of Union“, das Vereinigungsgesetz von 1707, brachte England und Schottland zusammen. Das schottische Parla-ment wurde aufgelöst, England und Schottland wurden ein Land. Das waren die Anfänge einer

supranationalen Identität mit einem gemeinsamen Staatsvolk. Der Nationalstaat, die Herrschaft des Rechts und die Monarchie mit parlamentarischer Souveränität leisteten den Briten überwiegend gute Dienste. Es war nie in ihrem Interesse, dass eine einzige Macht den Kontinent dominierte.

Ganz anders gestaltete sich die Lage für Deutsch-land. Geographisch im Herzen Europas gelegen, ist es erst seit der Wiedervereinigung 1989 ein Land, in dem alle Deutschen in den Grenzen eines gemeinsamen Nationalstaats leben. Die Deutschen hatten – wie fast ganz Kontinental-europa – Krieg, Flüchtlingswellen, den Kollaps

ihrer Währung und das Versagen des National-staats erlebt, von den Mängeln der demokra-tischen Institutionen ganz zu schweigen. So ist es nicht erstaun-

lich, dass auf dem ganzen Kontinent die Suche nach einer supranationalen Identität, die all das beendete, zum gemeinsamen Anliegen wurde.

Europäisch und deutsch zu sein – das ist für die Nachkriegsgeneration existentiell. Für die Briten gilt das nicht. Britisch und europäisch zu sein ist für sie eine Wahlverwandtschaft, optional, und wenn es nicht klappt, gibt es immer noch den Rest der Welt.

Die Briten bringen grundsätzlich wenig Enthu-siasmus für die EU auf. Aber die Sogkraft, die

Die Briten brauchen einen neuen TraumDie supranationale Identität, die für Kontinentaleuropa ein Gewinn ist, trotz institutioneller Mängel der EU, ist für die Briten ein Hemmschuh | Von Gisela Stuart

Ich werbe für den Austritt, weil ich überzeugt bin, dass wir

im Vereinigten Königreich Besseres liefern können.

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Gisela Stuart ist eine britische Politikerin der Labour Party, seit 1997 Abgeordnete des House of Commons und Vorsitzende von „The Vote Leave Board“, der Dachorganisation der „Vote Leave“-Kampagne, die sich für ein Ja zum „Brexit“ beim Referendum am 23. Juni 2016 einsetzt – also für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Im HAUPTSTADT-BRIEF erläutert sie, warum Großbritannien die EU verlassen soll.

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43DER HAUPTSTADTBRIEF

dafür sorgt, dass Menschen in Krisenzeiten zueinander drängen – wie wenig hilfreich das auch sein mag –, und die Angst vor dem Unbe-kannten sind ebenfalls stark. David Cameron sagte anfangs, er würde nicht zögern, sich für eine Ablehnung des Deals einzusetzen, falls das Reformpaket nicht gut genug sei. Das hat sich rasch zu Feuer-und-Schwefel-Prophezeiungen bezüglich der Konsequenzen eines Ausstiegsvotums gewandelt. War es ihm von Anfang an nicht ernst mit dem Refe-rendum – oder schürt er bewusst Angst?

Ich werbe für den Austritt, weil ich überzeugt bin, dass wir Briten Besseres liefern können und müssen. Die EU als Institution hat die Fähigkeit verloren, einen notwendigen Wandel herbeizufüh-ren. Sie hat zu akzeptieren, dass es hier nicht um eine Reise mit zwei Geschwindigkeiten, sondern um eine Reise zu unterschiedlichen Zielen geht. Einige Staaten haben eine gemeinsame Währung – mit der Erfordernis für tiefere politische und fiskalische Integration –, andere aber nicht. Die institutionelle Struktur der EU hat diese Unter-schiede von Rechts wegen widerzuspiegeln. Ein

Sonderstatus würde bedeuten, dass es immer um die Briten geht, während es um die Länder gehen sollte, die nicht zur Eurozone gehören.

Die EU muss aufhören, einen Konkurrenzkampf mit der NATO zu führen in dem Glauben, sie könne sie ersetzen. Mir fällt kein einziger wichtiger Mili-täreinsatz ein, den die EU ohne NATO-Mittel hätte durchführen können. Die echte Gefahr ist, dass die USA in ihrem Engagement für die europäische Verteidigung nachlassen. Die europäische Militär-kapazität aber wird bislang mehr herbeigeredet, als dass sie tatsächlich erfolgreich existiert.

Die Abstimmung am 23. Juni wird – wie immer sie auch ausgehen mag – Konsequenzen haben. Eine Abstimmung mit „Ja“ für die EU bedeutet, dass eine kurzfristige Korrektur mit einem Referendum verbunden worden ist, wie es gewöhnlich nur einmal in einem Menschenleben vorkommt. Wenn dann ein britischer Premier das nächste Mal für eine britische Sonderrolle plädiert, wird er sich in aller Deutlichkeit daran erinnern lassen müssen, dass sein Volk die Vereinbarung, so wie sie ist, in demokratischer Abstimmung gebilligt hat.

„Vote Leave“ – unter diesem Motto läuft die britische Kampagne pro „Brexit“, deren Vorsitzende unsere Autorin ist.

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44 DER HAUPTSTADTBRIEF

Eine Abstimmung mit „Nein“ aber ist der erste Schritt in einem Entwicklungsprozess – und wir sollten begeistert sein, diesen Schritt zu gehen. Es gibt nichts zu fürchten: Die Britischen Inseln werden nicht zu den Zeiten von Schwarz-Weiß-Fernsehern, warmem Bier und Nylonlaken von Brentford zurückkehren. Wir sind weder Norwe-gen noch Schweden – unser Wettbewerbsvorteil basiert auf Innovation und besseren Produk-ten. Und wer eine anständige soziale Siche-rung und den Mindestlohn haben will, braucht nur für eine Labour-Regierung zu stimmen.

Die britische Labour Party, meine Partei, scheint ihre radikalen Wurzeln irgendwo verlegt zu haben. Wir gehen nicht auf die Barrikaden, nur um den Status quo aufrechtzuerhalten, um die Interessen großer Konzerne zu vertreten und den Schaden, der am Sozialgefüge von Ländern wie Griechenland angerichtet wird, zu ignorie-ren. Wir haben keine Angst vor der Zukunft.

Wir möchten, dass die Welt ein besserer Ort wird. Ich lehne den erdrückenden Konsens des Establishments, der quer durch die politischen Parteien geht, ab. Die EU hat ihren Traum, Krieg zwischen Frankreich und Deutschland zu ver-hindern, wahr gemacht. Sie braucht jetzt einen neuen Traum. Den braucht auch das Vereinigte Königreich. Deshalb stimme ich für den Aus-stieg. ◆

Aktuelles von und über unsere Autorin Gisela Stuart und ihr Engagement für „Vote Leave“ ist über ihren Twitter-Account zu verfolgen: www.twitter.com/GiselaStuart

Mehr zu „Vote Leave“ findet sich auf der Website der Kampagne (auf der fortlaufend aktualisiert die Beiträge in englischen Pfund angezeigt werden, die das Vereinigte Königreich an die EU zahlt): www.voteleavetakecontrol.org

Wachsende Flüchtlingsbewegungen, beängstigendes Erstarken rechter Parteien, fragile Finanz- und Wirtschaftssituation: Der Zusammenhalt Europas ist massiv gefährdet. Wo stehen wir? Welche Fehler werden gemacht? Was müssen wir dringend ändern? Anlässlich der Verleihung des Karlspreises 2016 an Papst Franziskus geben Gestalter der euro-päischen Politik und der Kirchen sowie frühere Träger des Karlspreises wichtige Denkanstöße zur Zukunft unseres Kontinents.

Mit Beiträgen u.a. von: Heinrich Bedford-Strohm, Ulrich Grillo, Jean-Claude Juncker, Helmut Kohl, Annegret Kramp-Karrenbauer, Armin La-schet, Jürgen Linden, Reinhard Kardinal Marx, Angela Merkel, Annette Schavan, Martin Schulz, Thomas Sternberg und Donald Tusk.

EUROPA am Scheideweg

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45DER HAUPTSTADTBRIEF

In den vier Jahrzehnten, seitdem wir durch unse-ren Beitritt zur damaligen Europäischen Wirt-schaftsgemeinschaft (EWG), die jetzt die Euro-päische Union (EU) ist, zu einem Vollmitglied der europäischen Familie geworden sind, haben wir diese Mitgliedschaft zu einem außerordentlichen Erfolg gemacht. Wir haben eine führende Rolle gespielt – um nicht zu sagen die führende Rolle – bei der Schaffung des gemeinsamen Binnen-marktes in den 1980er- und 1990er-Jahren, und wir haben noch immer eine Vorreiterrolle inne. Die britische ist nun die fünftgrößte Wirtschaft weltweit, nicht zuletzt dank der Jahrzehnte des Friedens und des Wohlstands in Europa – und aufgrund des freien Zugangs zum größten Markt der Welt, den unsere Unternehmen genießen.

Unsere Mitgliedschaft in der EU ist eine der größ-ten Erfolgsgeschichten der Moderne. Und unsere Mitgliedschaft in der EU (und vorher in der EWG) war nie nur eine Angelegenheit von Wirtschaft und Handel. Niemand hat sie je nur dafür gehalten. Wenn die Bevölkerung des Vereinigten Königreichs im Referendum für oder gegen den Verbleib in der EU abstimmt, wird nichts weniger als unsere Stellung in der Welt in der Waagschale liegen – und ebenso wird unsere wirtschaftliche Sicherheit auf dem Spiel stehen. Niemand kann eindeutig voraus-sagen, was mit unserer Wirtschaft geschähe, wenn

wir die EU verlassen würden – aber wir können die auf der Hand liegenden Risiken einschätzen, von denen einige potentiell hochgefährlich sind.

Hier ist besonders die Größenordnung unseres Warenaustauschs mit dem Rest der EU hervor-zuheben, der sich 2014 auf 230 Milliarden Pfund Sterling (GBP) beim Export von Waren und Dienst-leistungen (45 Prozent aller Exporte) und auf 289 Milliarden GBP beim Import belief (53 Prozent aller Importe). Der Zugang zum gemeinsamen Binnenmarkt ist mit der britischen Wirtschaft fest verdrahtet, rund 3 Millionen britische Arbeits-plätze stehen mit unserem Handel innerhalb

der EU in Verbindung.

2014 hatte Großbritannien einen Außenhandelsüber-schuss von 17,1 Milliarden GBP mit der EU im Bereich der Dienstleistungen, 16,6 Milliarden GBP davon bei den Finanzdienstleistun-

gen, die 25 Prozent des britischen Dienstleistungs-Exports in die EU ausmachten, mit einem Umfang von 20,2 Milliarden GBP im Jahr 2014. Bei einem „Brexit“ würden unsere Finanzdienstleistungs-Unternehmen den „Pass“ abgeben müssen, der ihnen freie Betätigung innerhalb der EU erlaubt.

Befürworter des „Brexit“ sagen: Nun gut – aber keiner braucht ein Vollmitglied der EU zu sein, um Zugang zum gemeinsamen Binnenmarkt

Die Briten fahren besser mit der EUDie Mitgliedschaft in der Europäischen Union hat so viele Vorteile für die Briten, dass sie schlecht beraten wären, die Union zu verlassen | Von Neil Carmichael

Wenn die Briten für oder gegen den Verbleib

in der EU abstimmen, wird unsere Stellung

in der Welt in der Waagschale liegen.

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Neil Carmichael ist ein britischer Politiker der Conservative Party, Vorsitzender des Bildungsausschusses des House of Commons und der „Conservative Group for Europe“, die sich für den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union einsetzt. Für den HAUPTSTADTBRIEF erläutert er, warum sich die britischen Interessen als ein engagiertes Vollmitglied in der EU am besten vertreten lassen.

Wachsende Flüchtlingsbewegungen, beängstigendes Erstarken rechter Parteien, fragile Finanz- und Wirtschaftssituation: Der Zusammenhalt Europas ist massiv gefährdet. Wo stehen wir? Welche Fehler werden gemacht? Was müssen wir dringend ändern? Anlässlich der Verleihung des Karlspreises 2016 an Papst Franziskus geben Gestalter der euro-päischen Politik und der Kirchen sowie frühere Träger des Karlspreises wichtige Denkanstöße zur Zukunft unseres Kontinents.

Mit Beiträgen u.a. von: Heinrich Bedford-Strohm, Ulrich Grillo, Jean-Claude Juncker, Helmut Kohl, Annegret Kramp-Karrenbauer, Armin La-schet, Jürgen Linden, Reinhard Kardinal Marx, Angela Merkel, Annette Schavan, Martin Schulz, Thomas Sternberg und Donald Tusk.

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46 DER HAUPTSTADTBRIEF

zu haben. Das stimmt. Die EU ähnelt jedoch einem Club, bei dem eine asso-ziierte Mitgliedschaft ohne Mitentschei-dungsrecht unterm Strich teurer kommt als eine Vollmitgliedschaft. In Zusammenhang mit den vermeintlichen Vorteilen eines „Brexit“ sind Schlagworte zu hören wie „die Kontrolle über unsere Grenzen zurückgewinnen“ und „Milliarden an Beitragszahlungen einsparen“. Tatsache ist allerdings, dass jedes Land, das vollen Zugang zum Binnenmarkt hat, auch in den EU-Haushalt einzahlen muss – und dass jedes dieser Länder dem freien Reiseverkehr zuzustimmen hatte.

Jeder, der dem freien Reiseverkehr und den Beitragszahlungen ein Ende machen will, würde damit Großbritannien den Zugang zum Bin-nenmarkt verweigern – mit potentiell ruinösen wirtschaftlichen Konsequenzen. Die vielleicht bösartigste Mär ist die, wir könnten jeden Rück-gang im Handel nach dem „Brexit“ dadurch ausgleichen, dass wir uns statt der EU dem Com-monwealth zuwenden. Dieses Argument ergibt keinen Sinn: Die EU hindert ihre Mitgliedstaaten in keiner Weise daran, bilateral oder multilateral mit Nicht-EU-Staaten wirtschaftliche Beziehungen zu pflegen. So war etwa die britische Mitglied-schaft in der EU von absolut keinem Belang beim

kürzlich beschlos-senen, 9 Milliarden

Pfund Sterling schweren Handelsabkommen zwischen

Großbritannien und Indien.

Kurz, britische Unternehmen liefern rund 45 Prozent ihrer Exporte in die EU – und

unser Handelsvolumen mit dem Commonwealth beläuft sich derzeit auf weniger als ein Viertel dessen. Folglich müsste Großbritannien, um einen Rückgang von 25 Prozent bei den EU-Expor-ten auszugleichen, seine Exporte in den Common-wealth verdoppeln. Und wie glaubhaft wäre das?

Die EU ist eine Zollunion mit einer gemeinsa-men Handelspolitik. Seit unserem Beitritt hat sich diese Handelspolitik gewandelt – nicht zuletzt aufgrund der Führungsrolle Großbri-tanniens. Die EU hat ihren Horizont erweitert, weit über Handelsabkommen mit benachbarten Ländern hinaus. Die EU hat nun Freihandelsab-kommen – oder ist dabei, über Freihandelsab-kommen zu verhandeln – mit rund 90 Prozent der 50 Commonwealth-Länder außerhalb der EU, einschließlich jener 6 Länder, die zusam-mengenommen für mehr als 80 Prozent des britischen Commonwealth-Handels stehen.

Die britischen Exporte in Commonwealth-Länder steigen bereits jetzt um rund 10 Pro-zent jährlich – mit jüngsten Steigerungsraten

Ein Herz und zwei Seelen, so innig verbunden soll das Vereinigte König-reich in der EU bleiben. Das rät die Conservative Group gegen den „Brexit“, deren Vorsitzender unser Autor ist.

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47DER HAUPTSTADTBRIEF

(über 2 Jahre) von 33 Prozent nach Indien, je rund 30 Prozent nach Südafrika und Australien und 18 Prozent nach Kanada. Diese Zuwächse, alle in Zeiten unserer Mitgliedschaft in der EU, haben Tausende von Arbeitsplätzen in Großbritannien geschaffen oder gesichert.

Für sich allein agierend würde Großbritannien zweifellos seine eigene, unabhängige Stimme in der Welt wiedererlangen – theoretisch auch in neuen, weltweiten Wirtschaftsverhandlungen. Nur: Wer würde zuhören? Die EU jedenfalls würde nicht länger in unserem Interesse verhandeln, und es ist erschreckend, sich auch nur vorzustellen, wie schwach unsere Verhandlungsposition tatsächlich wäre gegenüber großen Industrienationen wie China – falls sie sich denn überhaupt noch mit uns an den Verhandlungstisch setzen würden.

Die EU und China sind zwei der größten Han-deltreibenden weltweit. China ist inzwischen

der zweite große Handelspartner der EU, nach den USA – und die EU ist für China der Handels-partner Nummer 1. Derzeit bereitet die EU – mit starker britischer Unterstützung – ein umfas-sendes Handelsabkommen mit China vor. Es ist von enorm hohem nationalen Interesse für uns, dass wir ein Teil dieses Prozesses bleiben, der sich stetig seiner Verwirklichung nähert.

Darüber hinaus spielen viele weitere Faktoren eine Rolle bei der Argumentation für unsere Mit-gliedschaft in der EU. Ich frage meine Landsleute deshalb stets: „Brexit“? Why risk it? ◆

Mehr über die „Conservative Group for Europe“, deren Vorsitzender unser Autor Neil Carmichael ist, findet sich in englischer Sprache auf der Website der EU-Befürworter: www.conservativegroup-foreurope.org.uk

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48 DER HAUPTSTADTBRIEF

Die Inquisitoren ziehen die Daumenschrauben an. Die EU-Kommission will das Wettbewerbsverfah-ren gegen Google verschärfen. Googles Betriebs-system Android kommt bei mobilen Geräten auf einen Marktanteil von 80 Prozent. Die Kommis-sare erheben drei Vorwürfe gegen Google:

• Erstens „zwinge“ Google die Produ-zenten von Handys und Tablets dazu, einige seiner Apps wie Play Store oder Google Maps vorzuinstallieren.

• Zweitens ließe es Google nicht zu, dass Hardwareproduzenten von Dritten entwi-ckelte Android-Versionen installierten.

• Drittens zahle Google den Produzenten bedeu-tende Summen, damit sie exklusiv die Google-Suchmaschine auf ihren Geräten installierten.

In den Augen der Kommis-sion verhindert Google auf diese Weise, dass die Apps, Betriebssys-teme und Suchmaschinen anderer Anbieter mit Google auf völlig ebenem Terrain konkurrieren könnten. Das Sanktionieren Googles könnte 6 Milliarden Euro übersteigen.

Wie konnte es so weit kommen? Grundsätzlich gibt es zwei entgegengesetzte Konzeptionen des Wettbewerbs. Die erste betrachtet den Wettbewerb als einen Prozess der Rivalität von Geschäftsmodellen. Wenn es keine staat-lichen Eintrittsschranken in einen Markt gibt,

bedeutet ein hoher Marktanteil eines Unter-nehmens, dass dieses die Konsumentenwün-sche besser und günstiger befriedigt hat, als es seine Rivalen vermochten. Zumindest bis zu diesem Zeitpunkt. Denn das Unternehmen wird seine Position nur halten können, wenn es ihm weiterhin gelingt, ein besseres Produkt oder Gesamtpaket als seine Rivalen anzubie-ten. Aus Sicht der Konsumenten sollten diese besonders erfolgreichen Unternehmen mit Bundesverdienstkreuzen dekoriert werden.

Dem gegenüber steht die Konzeption des Wettbe-werbs als einer Situation, in der viele Unterneh-

men mit geringen Marktan-teilen das gleiche Produkt zum gleichen Preis anbie-ten. Der Marktprozess wird angehalten und die Situ-ation betrachtet. Hat ein Unternehmen einen sehr hohen Marktanteil, weil es ihm gelungen ist, besser

als seine Rivalen die Konsumenten zu befriedigen, wird ihm nach dieser Konzeption kein Verdienst-kreuz verliehen. Im Gegenteil wird das erfolgrei-che Unternehmen von den „Wettbewerbshütern“ verfolgt. Die inkompetenten Rivalen applaudie-ren. Oft initiieren und forcieren sie die Verfolgung.

Die EU-Kommission hat sich letztere Wettbe-werbskonzeption zu eigen gemacht. So hüten die modernen „Wettbewerbshüter“ die Inkom-

Inquisition gegen GoogleDie Attacke der EU-Kommission auf Google ist ein Angriff auf den Wettbewerb – aus tief verwurzelter Feindseligkeit gegenüber allem Wettbewerb | Von Philipp Bagus

Aus Sicht der Konsumenten sollten besonders

erfolgreiche Unternehmen mit Bundesverdienstkreuzen

dekoriert werden.

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Prof. Dr. Philipp Bagus lehrt Volkswirtschaft an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid. Der Geld- und Konjunkturtheoretiker legte 2011, nach einem Jahr Eurokrise, seine grundlegende Studie Die Tragödie des Euro. Ein System zerstört sich selbst vor. Für den HAUPTSTADTBRIEF macht er auf eine weitere Seite der Selbstzerstörung aufmerksam: auf die Tragödie der EU-Kommission als Wettbewerbskiller.

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49DER HAUPTSTADTBRIEF

petenz. Sie schützen nicht die Konsumenten vor der Ausbeutung. Vielmehr schützen sie kleinere Unternehmen vor der überlegenen Konkurrenz-fähigkeit größerer Unternehmen. Der beste Schutz des Wettbewerbs ist aber nicht, die konkurrenzfähigen Unternehmen anzugreifen, damit die inkompetenten triumphieren, son-dern staatliche Barrieren zu beseitigen, sodass neue kompetitivere Geschäftsmodelle entste-hen können. Anstatt die konkurrenzfähigsten Geschäftsmodelle zu verbieten, sollten staatliche Regulierungen und Privilegien gekappt werden.

Wettbewerb bedeutet das Schaffen eines Leis-tungsspektrums, ja einer ganzen Leistungswelt, die für die Konsumenten zu niedrigeren Preisen mehr Wert generiert als Konkurrenzwelten. Es geht im Wettbewerb nicht darum, homo-gene Produkte zu identischen oder leicht niedrigeren Preisen an den Markt zu bringen. Wettbewerb bedeutet vielmehr, dem Nutzer kontinuierlich ein immer wertvolleres Gesamt-

erlebnis zu geringeren Kosten zu ermöglichen. Unternehmen brauchen Freiheiten, um neue Geschäftsmodelle und Nutzungserlebnisse zu entwickeln und stetig zu verbessern und so ihre Wettbewerbsposition zu stärken.

Die Attacke auf Google ist letztlich ein Angriff auf den Wettbewerb. Man fragt sich, warum Apple eigentlich noch nicht im Fokus der „Wettbe-werbshüter“ steht. Denn auf allen iPhones und iPads wird außer iOS kein anderes Betriebssys-tem zugelassen. Apps wie Safari oder der Online-shop iTunes werden vorinstalliert. Schränkt Apple durch das Verbot alternativer Betriebssysteme und die Installation von iTunes auf seinen Geräten nicht auch den Wettbewerb ein? Wahrscheinlich ist Apple noch nicht ins Visier der Wettbewerbskil-ler geraten, weil sein Marktanteil von 15 Prozent viel geringer als der von Googles Android ist.

Stellen wir uns vor, dass Apple seine Leistungs-welt unverändert lässt, dass die Konsumen-

Die Google-Welt und die Apple-Welt sind ihren jeweiligen Nutzern vertraut und genehm. Es sind ausschließlich kaliforni-sche Unternehmen, die solche digitalen Erlebniswelten schaffen. Kunden in aller Welt lieben sie dafür. Der EU-Kommission ist das ein Dorn im Auge. In ihrem Herrschaftsgebiet liefert kein Unternehmen Vergleichbares. Deshalb versucht sie, zunächst dem Erfolgreicheren der beiden zu schaden: durch Bestrafung von Google.

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50 DER HAUPTSTADTBRIEF

ten beginnen, diese höher zu schätzen und sich massiv der Apple-Welt zuwenden, sodass Apples Marktanteil explodiert und Apple zum dominanten Unternehmen im Handy- und Tab-letmarkt aufsteigt. Dann hätte nach der Logik der EU-Kommission Apple seine dominante Marktposition ausgenutzt und mit wettbewerbs-verzerrenden Maßnahmen Rivalen zum Scha-den der Konsumenten unfair aus dem Markt gedrängt, obwohl Apple gar nichts anderes gemacht hätte, als es heute schon macht.

Apple würde dann von den Kommissaren gezwungen, seine digitale Leistungswelt aus-einanderzuzerren und zu zerstören. Es müsste erlauben, dass auf iPhones und iPads andere Betriebssysteme als iOS liefen, und dürfte keine Apps mehr vorinstallie-ren. Ein Wahnsinn. Denn Applenutzer schätzen ja gerade die einzigartige integrierte Apple-Welt. Die Käufer wollen die Ganzheit des Produktes, Hardware und Software mit ihrer Qualität, Funktionalität und Kohärenz. Wenn die Kunden diese Ganzheit der Apple-Welt schätzen, warum sollen sie sich nicht weiterhin daran erfreuen dürfen – egal ob der Marktanteil 15 Prozent oder 80 Prozent ist?

Warum gilt nicht das Gleiche für Google, das mit den Produzenten verhandelt, sein Betriebs-system und Apps auf der Hardware vorzuins-tallieren, und somit seine Leistungswelt, die Google-Welt, gegen Rivalen verteidigt? Wenn Apple seine Welt komplett abschottet, warum kann Google keine halboffene haben?

Google zerstört durch seine Maßnahmen nicht den Wettbewerb, Google konkurriert. Warum wirft die EU-Kommission den fähigsten Wettbe-werbern Knüppel zwischen die Beine? Weil die Kommissare es nicht ertragen können, dass in der digitalen Ära die US-amerikanischen Unter-nehmen triumphieren und die EU-europäischen auf der Strecke bleiben. Doch statt Facebook,

Twitter, Uber, Amazon und Google durch Geldbu-ßen zu dekapitalisieren und aus dem Markt zu regulieren, sollten sich die Kommissare besser einmal fragen, warum diese Unternehmen in Kalifornien und nicht in Europa entstanden sind. All diese Unternehmen stehen für Silicon Valley. Warum gibt es kein Silicon Valley in Europa? Silicon Valley steht für finanzielle und regulatori-sche Freiheiten ebenso wie für Bildungsfreiheit. Ein freies Bildungssystem, niedrige Steuern, die Sparen und Investieren fördern, und ein Ende erdrückender Regulierungen würden die Wettbewerbsfähigkeit Europas enorm stärken.

Leider ist die Feindseligkeit gegenüber dem Wettbewerb in der EU tief verwurzelt. Sie trifft

nicht nur Unternehmen, sondern auch ganze Staa-ten. Institutioneller Wett-bewerb wird nicht geför-dert, sondern bekämpft. Kompetitivere Staaten mit niedrigeren Steuern, Defiziten, Schulden und Leistungsbilanzüber-

schuss sollen geschwächt werden. So klagen die inkompetenteren EU-Staaten, Deutschland sei zu wettbewerbsfähig. Sie fordern von Deutschland höhere Lohnabschlüsse, höhere Staatsausgaben und Defizite sowie eine Vergemeinschaftung von Schulden und Bankrisiken. Aber auch auf Staa-tenebene gilt: Wettbewerbsfähigkeit und Wohl-stand für alle entstehen in Freiheit und nicht durch eine Inquisition gegen die Fähigsten zum Schutz der Inkompetenten. ◆

Aus Sicht der EU sind kleinere Unternehmen

vor der überlegenen Konkurrenzfähigkeit

größerer Unternehmen zu schützen.

„Anstatt die konkurrenzfähigs-ten Geschäftsmodelle zu verbie-ten, sollten staatliche Regulie-rungen und Privilegien gekappt werden“, sagt unser Autor Prof. Philipp Bagus. Diese ord-nungspolitische Grundhaltung hat ihm nun den Förderpreis für Wirtschaftspublizistik 2016 der Ludwig-Erhard-Stiftung eingebracht. DER HAUPTSTADTBRIEF gratuliert herzlich!

Einzelheiten über die Verleihung am Dienstag, dem 20. Sep-tember 2016, in Berlin finden Sie auf der Website der Stiftung: www.ludwig-erhard-stiftung.de/erhard-aktuell/standpunkt

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51DER HAUPTSTADTBRIEF

BERLIN IST DIE DEUTSCHE HAUPTSTADT! +++ BERLIN IST INTERNATIONAL! +++ BERLIN HAT EINE EIGENE STIMME!

THE BERLIN TIMES – A GLOBAL LOCAL NEWSPAPERDie publizistische Stimme Berlins in englischer Sprache.Die nächste Ausgabe erscheint am 13. Mai 2016.

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52 DER HAUPTSTADTBRIEF

Berlin wächst. Allein in den letzten fünf Jahren um 220 000 Einwohner. Für die Zukunft geht man im Senat von noch mehr Zuzüglern aus. Die Wohnungsreserven sind bereits jetzt auf-gebraucht. Die Mieten steigen rasant, doch der Wohnungsneubau und die Verdichtung kommen nur schleppend voran. Andreas Geisel, sozial-demokratischer Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, hat jetzt zwölf neue Wohnungsbau-standorte, die meisten davon am Rande der Stadt, für insgesamt 100 000 Bewohner vorgestellt, auf denen „ein wichtiger Teil“ des Wachstums stattfinden soll. Bauen sollen die landesei-genen Wohnungs-baugesellschaften, ebenso private Unter-nehmen, aber auch Baugruppen oder Genossenschaften sind aufgefordert, sich zu beteiligen.

Der Senat musste handeln; denn ein Ende des stetigen Bevölkerungswachstums ist nicht abzu-sehen – und auch nicht die zügige Rückkehr derMigranten von 2015 in ihre Heimatländer. Warum aber geht er mit solchen großen Projekten an den Stadtrand? Ein Grund dürfte die Hoffnung sein, dass dort die Widerstände gegen Neubebauung merklich geringer sein werden als in den Innen-

stadtbezirken. Zurzeit scheint der Protest gegen Gentrifizierung und Wohnraumspekulation in den einschlägigen Bezirken wie Kreuzberg oder Fried-richshain zwar in relativ ruhige Bahnen gelenkt. Doch die Regierenden wissen: Diese Bewegung hat starke Wurzeln – sie reichen zurück bis in die Hausbesetzerszene der späten 1970er-Jahre. Der Senator dürfte sich auch noch gut daran erinnern, wie schnell etwa in Sachen Flughafen Tempelhof daraus ein reißender Strom wurde, der seinen Vorgänger Michael Müller als Stadt-

entwicklungssenator wegzureißen drohte.

Einen solchen Konflikt wollen die Verant-wortlichen jetzt wohl vermeiden. Während etwa in München oder

in Freiburg jeder Quadratzentimeter der Innenstadt immer wieder daraufhin abgeklopft wird, ob da nicht doch Wohnungen gebaut werden könnten, kämpft das grünrote Milieu in Berlins gefragten Innenstadtbezirken um jede Pappel und gegen jede Verdichtung. Im einstigen West-Berlin ist der Widerstand besonders ausgeprägt. Ob es um die Randbebauung des Tempelhofer Feldes oder um eine Baulücke am Kreuzberg geht, ob um eine Brache am Kleistpark oder eine Klein-gartenkolonie in Wilmersdorf – wohlgemerkt:

Das kollektive Nein zum Neubau gehört zur Kiez-FolkloreIn den Szene-Bezirken ist der Widerstand besonders ausgeprägt: Es finden sich immer Bürgerinitiativen gegen den Wohnungsneubau. Bauen? Klar doch, aber nicht bei uns! | Von Max Thomas Mehr

Wo sich die Szene früher gegen die Zerstörung

gewachsener urbaner Strukturen wandte, verteidigt sie jetzt

ihren Vorgarten.

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Max Thomas Mehr ist freier Autor. Im Jahr 1977 Mitbegründer der Tageszeitung taz, fühlt der Kreuzberger dem grünroten Milieu seither den politischen Puls. Für den HAUPTSTADTBRIEF beschreibt er, warum die aktuelle Schwerpunksetzung des Senats für den Wohnungsbau, die auf die Entwicklung von 12 zumeist innenstadtfernen neuen Wohnquartieren setzt, es dem Gewohnheitsprotest in Kreuzberg und Friedrichshain zu leicht macht.

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53DER HAUPTSTADTBRIEF

beste City-Lage! – es finden sich immer Bürger-initiativen gegen die Bebauung mit Wohnungen. Und manchmal wird daraus ein Volksentscheid.

Dieses kollektive Nein hat Tradition, es gehört gewissermaßen zur Berliner Kiez-Folklore. Und es treibt zuweilen seltsame Blüten. So formierten sich die Kreuzberger Grünen bis in die 1990er-Jahre hinein im entschlossenen Widerstand gegen den Ausbau von Dachgeschossen nach dem Motto: keine Verdichtung! Anderslautende Ver-waltungsvorschriften wandelten Bezirkspolitiker der Grünen kaltschnäuzig um. So genehmigte das Bauamt etwa Fenster in einer Brandwand – und schrieb damit fest, dass auf dem angrenzenden Blockrandgrundstück in einer Straße am Kreuz-berg kein neuer Wohnraum entstehen kann.

Quer zur südlichen Friedrichstraße beispielsweise gibt es eine Kriegsbrache. In den 1970er-Jahren träumten Berlins Stadtentwickler von einer Stadt-autobahn, die dort parallel zur Mauer gebaut wer-den sollte. Deshalb: Umwidmung in Straßenland. Dank Häuserkampf und behutsamer Stadterneu-erung wurde diese Autobahn nie realisiert – die Brache aber gilt noch immer als Straßenland. Vor dem Krieg standen hier Wohn- und Geschäftshäu-

ser – die Grundmauern der Kellergewölbe sind noch vorhanden. Warum also wurde das Gelände nie in Bauland zurückverwandelt? Unterdessen baut man hier jedoch – einen kleinen Park.

Noch ein Beispiel: das Areal der einstigen Bock-bierbrauerei im beliebten Kreuzberger Chamisso-Kiez. Hier will ein Investor 140 Wohnungen – dar-unter „preisgedämpfte“ Mietwohnungen – bauen. Anwohner protestieren, das grün regierte Bezirks-parlament beeilt sich mit dem Beschluss, das bisherige Mischgebiet in ein reines Gewerbegebiet umzuwandeln und so jeden Wohnungsneubau zu verhindern. Die Einsicht drängt sich auf: Wo sich der Widerstand der Szene früher gegen den Abriss alter Mietshäuser und damit gegen die Zerstörung gewachsener urbaner Strukturen wandte, ver-teidigt man jetzt ganz spießig seinen Vorgarten – oder den freien Blick aus dem Küchenfenster.

Wer heute befriedeter ehemaliger Hausbesetzer ist, Miteigentümer in einer Hausgemeinschaft oder Altmieter einer mit öffentlichen Mitteln sanierten Wohnung mit nach wie vor günsti-ger Miete, kann bequem protestieren gegen Gentrifizierung und Spekulanten. Denn der Protestler von heute schlägt damit gleich zwei

Brachflächen mitten in Berlin gibt es genug. Die wenigsten sind so weithin bekannt wie das Gelände um das ehemalige Kunsthaus Tacheles, auf dem in diesen Tagen, nach Jahren massiven Widerstands, die Bagger anrollen werden. Und etliche Brachen sind noch nicht einmal als Bauland ausgewiesen.

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Fliegen mit einer Klappe: Sein Eigentum wird wertvoller und seine Miete oder Pacht in Rela-tion zu Neuvermietungen günstiger, je knap-per der Wohnraum in der Innenstadt bleibt.

Und am Rand der Stadt soll dafür jetzt geklotzt werden: 50 000 Wohnungen. Dort werden die großen städtischen Wohnungsbaugesell-schaften, aber auch private Investoren mit viel Staatsknete „metern“, wie es in der Baubranche heißt. Allein die Ankündigung der neuen Sied-lungsprojekte hat die Baupreise in ganz Berlin in die Höhe getrieben. Selbstverständlich legt der Senat Wert auf die Feststellung, dass er nicht Banlieues à la Paris zu bauen beabsichtige. Der

Bausenator verkündete, er wolle keine öden Vorstädte hochziehen, sondern die „Garten-stadt des 21. Jahrhunderts“ entstehen lassen.

Das Versprechen eines urbanen Schlaraffenlands am Stadtrand klingt verdächtig nach dem Ver-such einer Quadratur des Kreises. Der Anteil an sozialem Wohnungsbau soll 30 Prozent betragen. Das klingt eher – trotz erkennbar guter Absich-ten – nach zukünftigen Problemvierteln. Denn es gibt an den meisten der geplanten Bebauungs-schwerpunkten keine gewachsenen Strukturen und Anbindungen zur Innenstadt. Die Siedlungen drohen Satelliten am Rande Berlins zu bleiben; denn Urbanität lässt sich nicht aus dem Boden

Nach den aktuellen Senatsplänen sollen an 12 Standorten neue „Stadtquartiere“ entstehen – das kleinste mit 500 Wohnun-gen auf den Buckower Feldern im Süden der Stadt, das größte mit 5000 bis 6000 Wohnungen am Blankenburger Pflaster-weg in Heinersdorf im Nordosten. Ziemlich jottwede, wie der Berliner sagt, sind sie fast alle: janz weit draußen.

Senats-Schwerpunkte beim Wohnungsneubau

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55DER HAUPTSTADTBRIEF

stampfen. Sie ist das Ergebnis zahlloser individu-eller Interessen, zahlreicher persönlicher Versu-che, das eigene Leben durch Arbeit und Investiti-onen zu gestalten. Sie entsteht nicht am Reißbrett – sie entsteht, wo Generationen von Menschen miteinander und in Konkurrenz zueinander Stadt gestalten, Geschäfte eröffnen, Häuser bauen.

Und das Verrückte ist: Genau dafür gäbe es in der Berliner Innenstadt genug Platz. Nur lässt sich dann nicht großflächig bauen, sondern nur kleinteilig, Parzelle für Parzelle, Brache für Bra-che, Dachgeschoss für Dachgeschoss – und, ja, auch über Aufstockung als Mittel des Zugewinns von Wohnraum muss gesprochen werden. Eine solche Stadtentwicklung böte die Chance, zu einer sinnvollen, nachhaltigen Gentrifizierung zu gelangen – auch wenn das zunächst ebenfalls wie eine Quadratur des Kreises anmuten mag. Den-noch: Je mehr Wohnungen es in der Innenstadt gibt, desto günstiger müssten die Mieten werden

– Angebot und Nachfrage, wie eh und je: bezahl-bare Mieten durch Verdichtung in der Innenstadt.

Wenn sich nach den Wahlen im Herbst 2016 eine neue Koalition bildet, dann wäre zu wünschen, dass sie die Verdichtung und den Neubau in der Innenstadt zu einem Kernprojekt der nächsten Legislaturperiode macht. Wollten Grüne da zum Beispiel mitregieren, müssten sie sich selbst und ihre Wähler davon überzeugen, dass bezahlbare Mieten nur durch Wettbewerb, Verdichtung und Neubau in der Innenstadt möglich werden und nicht durch Besitzstandswahrung, Verhinderung und Verteidigung des Status quo. Wenn Politik das langsame Bohren dicker Bretter ist, wie der Soziologe Max Weber einst sagte, dann hat man in Berlin gerade bei den Politikern des grünroten Milieus, die in den innerstädtischen Bezirken das Sagen haben, allzu oft den Eindruck: Sie wollen nur den Bohrer halten – Löcher bohren, Neues schaffen, das wollen sie lieber nicht. ◆

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56 DER HAUPTSTADTBRIEF

Dieser Bau wurde geplant, bevor es die Mauer gab. Er ist den Mitbürgern im anderen Teil entge-gengebaut. Und das wird sich erst recht als richtig erweisen, wenn die Mauer nicht mehr steht.“ So eröffnete der Regierende Bürgermeister Willy Brandt am 20. September 1963 die Philharmonie. Die Berliner Philharmoniker, kultureller Anker-punkt im eingemauerten West-Berlin, hatten wieder ein eigenes Haus, und was für eines! Das Publikum nahm das unerhörte Raumwunder des Architekten Hans Scharoun begeistert in Besitz und liebte es von Anfang an. Fünf Jahre später kam eine weitere Großtat der modernen Architek-tur dazu, die „Galerie des 20. Jahrhunderts“, heute Neue Nationalgalerie, das letzte Werk von Mies van der Rohe. Es folgten wei-tere staatliche Museen und die Staatsbibliothek mit dem Ibero-Amerikanischen Institut. Als bisher letzte Zutat zum Kulturforum wurde 1987 der Kam-mermusiksaal der Philharmonie beigesellt.

19. Jahrhundert und westliche Moderne – das zweipolige Berlin. Willy Brandts Eröffnungsrede von 1963 war bewegt von einer Gründungsidee für ein wiederzuvereinigendes Gesamtberlin. In der Wendung „den Mitbürgern im anderen Teil entgegengebaut“ klingt auch das historische Berliner Grundmotiv der zwei Stadtkerne an.

Es zeigt sich anfangs in den mittelalterlichen Ursprungskernen Berlin und Cölln und prägt später das Gegenüber und Miteinander von his-torischer Stadtmitte um das Hohenzollernschloss und neuem Westen um die Gedächtniskirche.

So findet auch die Museumsinsel in der Stadt-mitte, Anfang des 19. Jahrhunderts als „Freistatt der Künste und Wissenschaften“ begonnen und heute Weltkulturerbe, ihr westliches Pendant im Kulturforum, das seinen Ursprung im Geist westlicher Moderne des 20. Jahrhunderts hat. Sein Gründungsgedanke beschwor angesichts

der Teilung Berlins im Kal-ten Krieg die irgendwann wiedervereinte Gesamt-stadt und manifestierte zugleich den emphatischen Willen zu politischer und kultureller Selbstbehaup-tung der eingemauerten westlichen Teilstadt.

Ein Forum der Hauptstadt – mit nur zum Teil genutztem Potential. Ein tatsächliches Forum, ein kulturell aufgeladener öffentlicher Raum, in dem die Stadt im wörtlichen wie im übertragenen Sinn zusammenkommt, wurde allerdings auch nach dem Fall der Mauer aus dem Areal rund um die Philharmonie nicht so recht. Berlin hat sich dieser für sein kulturel-les Leben und für die Wahrnehmung seiner

Das Kulturforum bricht in die Zukunft aufDem westlichen Pendant zur Museumsinsel stehen unruhige Zeiten bevor, Bauarbeiten werden auf Jahre das Bild bestimmen – die Stiftung Zukunft begleitet den Um- und Neubau | Von Barbara Hoidn und Bernhard Schneider

Die Gründung des Kulturforums

beschwor angesichts der Teilung Berlins die

einst wiederzuvereinende Gesamtstadt.

Barbara Hoidn ist Partnerin im Architekturbüro Hoidn Wang Partner und Herausgeberin des Katalogs

„DEMO:POLIS: Das Recht auf Öffentlichen Raum“ zur gleich namigen Ausstellung in der Akademie der Künste.

Bernhard Schneider ist Architekt und Mitglied im Kuratorium des Vereins Architekturpreis Berlin. Für den HAUPTSTADTBRIEF stellen die beiden Mitglieder der „Initiative Kulturbaustelle“ bei

der Stiftung Zukunft Berlin deren Engagement am Kulturforum vor.

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Hauptstadtfunktion unschätzbaren Ressource bisher nicht so bemächtigt, wie diese einzig-artige Bündelung von Angeboten es verdient hätte – ja, das Kulturforum kam gar als öde „Brachfläche“ in Verruf. Dieser öffentliche Raum, so wie er jetzt ist, verbindet in der Tat seine Einrichtungen und die sie besuchenden Men-schen nicht so recht, er hält sie auf Distanz.

Es tut sich was am Kulturforum – Berlin baut. Nun zeigt auch der Deutsche Bundestag ein gesamtstaatliches Interesse am Berliner Kul-turforum, und der Haushaltsausschuss hat 200 Millionen Euro für ein Museum für Sammlungen der Moderne des 20. Jahrhunderts bereitgestellt, das das vorhandene Angebot ergänzen soll. Zunächst warten jedoch auf die vorhandenen Kultureinrichtungen und ihre Besucher belas-tungs- und entbehrungsreiche Jahre. Die Neue Nationalgalerie wird wegen Sanierungsarbeiten noch für viele Jahre geschlossen bleiben. Die Freiflächen des Kulturforums werden Zug um

Zug umgestaltet werden. Auch die Philharmo-nie trägt sich mit Erweiterungsplänen, und ab 2020 wird die Staatsbibliothek einer Grundsa-nierung unterzogen. Eine Großbaustelle – auch und vor allem wegen des Bauvorhabens für das neue „Museum des 20. Jahrhunderts“ neben der neuen Nationalgalerie in dem Geviert von Potsdamer Straße, Sigismundstraße, Matthäikirchplatz und Scharounstraße.

Das Beste daraus machen – die Initiative Kul-turbaustelle. Die „Initiative Kulturbaustelle“ unter dem Dach der Stiftung Zukunft Berlin will mit kulturellen Aktivitäten und umfassender Information aus dem Handicap der Baustellensi-tuation das Beste und damit bereits im Vorfeld Lust auf das Kulturforum der Zukunft machen. Das findet den Beifall aller umliegenden und von Bauaktivitäten betroffenen Einrichtungen. Auch die Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und für Kultur begrüßen die Initiative und beglei-ten sie in fachlicher und politischer Hinsicht.

Mit der Philharmonie fing alles an. Der markante Scharoun-Bau (rechts im Bild, davor im Anschnitt das Sony-Center) wurde 1963 eröffnet. Es folgten nach und nach unter anderem die Neue Nationalgalerie (oben links, mit Flachdach) und die Gemäl-degalerie. Nun hat auf dem Kulturforum eine Zeit der Sanierung und Neubebauung begonnen – auf dem gelb markierten Areal soll das „Museum das 20. Jahrhunderts“ entstehen.

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Die Baustellen selbst werden freilich nicht viel Aufregendes bieten. Im Unterschied zur viel-beachteten „Schaustelle“ der 1990er-Jahre am Potsdamer Platz geht es hier nicht nur um die Überbrückung misslicher Baustellenjahre, sondern um die grundlegende und nachhaltige Veränderung des Umgangs mit dem Kulturforum der Hauptstadt. Der öffentliche Raum des Kultur-forums ist mit gleicher Intensität neu zu denken und zu planen wie die Bauten selbst. Und das nicht erst, wenn alles fertig gebaut und saniert ist, sondern schon jetzt während der Bauzeit.

Prägnante Merkmale – was Kulturforum und Museumsinsel unterscheiden wird. Die „Ini-tiative Kulturbaustelle“ will zwei prägnante Unterscheidungsmerkmale des Kulturforums gegenüber der Museumsinsel stärker heraus-stellen. Zum einen ist das die große Breite des hier versammelten kulturellen Reper-toires, von den Kunstsammlungen über die

Musik bis zum Universum des Buches und der iberoamerikanischen Welt. Die „Kulturbau-stelle“ soll weitere Kultur- und Kunstsparten wie Tanz, Film, Theater und Performances ins Spiel bringen. Wechselnde temporäre Aktio-nen und Experimente sollen in Dialog treten mit den großen Institutionen am Kulturforum.

Zum Zweiten soll stärker ins öffentliche Bewusst-sein gelangen, wie beträchtlich das Kulturforum seit dem Fall der Mauer seinen Umfang bereits erweitert hat. Um den Potsdamer Platz hat der Film seine Adressen etabliert, nicht nur mit der jährlichen Berlinale, sondern auch mit dem Filmmuseum und großen Kinos. Diplomatische Vertretungen von Kanada bis Japan verstehen sich mit ihren nationalen Kulturinstituten als Partner der deutschen und Berliner Einrichtun-gen am Forum selbst. Auch Vertretungen von Bundesländern können in diesem erweiterten kulturellen Netzwerk um das Kulturforum aktiv

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werden. Eng mit der historischen Dimension des Gebiets verbunden sind schließlich auch die benachbarte Gedenkstätte Deutscher Widerstand und die Gedenkstätte T4 an der Philharmonie.

Die Programme für den öffentlichen Raum zu entwickeln, wird Aufgabe von Kuratoren und eines Eventmanagements sein, das nicht nur Einzeler-eignisse organisiert, sondern in regelmäßigen Abständen und über Jahre das Kulturforum zu einem anregenden Anlaufpunkt für Kulturinteres-sierte machen wird. Wo und wann das zwischen den Baustellen der kommenden Jahre seinen Platz finden kann, wird jeweils vom Stand der Bauar-beiten abhängen. Sie sorgen für Abwechslung.

Rundum-Information – die Zeit des Umbaus aktiv erleben. Angelpunkt der „Initiative Kulturbau-stelle“ soll eine über die gesamten Baustellen-jahre gut sichtbare und gut erreichbare One-Stop-Informationsstelle für das gesamte Kulturforum

werden. Dort können die Besucher alles erfahren, was es über das Kulturforum und alle seine Ein-richtungen zu wissen oder zu fragen gibt. Aktuelle und geplante Angebote, Öffnungszeiten, Tickets, die Geschichte und Zukunft des Ortes – das alles wird hier verfügbar sein. Zumindest elektro-nisch werden Interessierte weiter ungehinderten Zugang zu den unerschöpflichen Schätzen der einzelnen Häuser bekommen. ◆

Die Stiftung Zukunft Berlin, deren „Initiative Kulturbau-stelle“ unsere beiden Autoren angehören, ist ein unabhängi-ges Forum für bürgerschaftliche Mitverantwortung zum Wohle Berlins. Mehr über die Aktivitä-ten der Stiftung unter www.stiftungzukunftberlin.eu

Die Staatlichen Museen zu Berlin haben auf ihrer Website eine Infoseite zum Kulturforum unter www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/kulturforum/home.html

Zu dem geplanten Neubau eines „Museums des 20. Jahrhun-derts“ findet sich Näheres auf der Website der Stiftung Preußi-scher Kulturbesitz: www.preussischer-kulturbesitz.de

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Der totale Krieg, der in Potsdam seinen Aus-gang nahm, fand am Ende in die Stadt zurück. 1945 fielen das Zentrum und in dessen Mitte die Garnisonkirche bei einem Bombenangriff in Trümmer. Seit die freie Rede wieder möglich ist, seit 1990, wird in Potsdam über den Sinn eines Wiederaufbaus der Garnisonkirche kontrovers diskutiert. Nach einem Vierteljahrhundert zeich-net sich ab: Auf der Befürworterseite stehen die „Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam“ und die „Stiftung Garnisonkirche Potsdam“, die sich bislang eher erfolglos für das Projekt engagieren. Zwar fand schließlich 2005 eine feierliche Grundsteinle-gung statt, doch weitere Baumaß-nahmen scheiter-ten an fehlenden Spendeneinnahmen. Stattdessen wurde als Übergangslösung am ursprünglichen Standort der Garnisonkirche eine „Nagelkreuzkapelle“ errichtet.

Auf der anderen Seite stehen die Bürgerinitia-tive „Für ein Potsdam ohne Garnisonkirche“ und die Initiative „Christen brauchen keine Garni-sonkirche“, die sich gegen den Wiederaufbau aussprechen. Dieses Engagement gipfelte 2014 in einem erfolgreichen Bürgerbegehren gegen das Vorhaben. Von dem Nein der Potsdamer Bevölkerung ließen sich die Wiederaufbaube-

fürworter allerdings nicht beeindrucken. Der-zeit findet ein Bürgerbeteiligungsverfahren zur Garnisonkirche statt – der Ausgang ist offen.

Den Hintergrund des Konflikts bilden die Geschichte und die Symbolkraft des Gebäudes. Die kurz vor Kriegsende im April 1945 zerstörte Garnisonkirche war eben keine „normale“ Kirche, sondern sie war schon lange vor dem berüch-tigten „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 und dem Händedruck zwischen Adolf Hitler und Paul von Hindenburg ein politisches Symbol. Die Garnisonkirche war im frühen 20. Jahrhundert der Symbolbau der extremen politischen Rechts-

kräfte schlechthin und übte eine gera-dezu magnetische Anziehungskraft auf nationalistische, antisemitische und demokratiefeindliche Gruppierungen aus.

Das Gebäude galt diesen Organisationen als „Heiligtum Preußen-Deutschlands“, als „heiliger Berg im verflachenden Alltag“, als „Wallfahrtsort von Millionen Deutschen“.

Diese Symbolkraft hatte eine lange Vorge-schichte. Die Garnisonkirche war bereits bei ihrer Einweihung 1735 keine Kirche wie jede andere, sondern sie war die einzige Kirche in Preußen, die direkt dem König unterstellt war. Hier fand eine Form der Religionsausübung statt,

Bauen oder nicht bauen, das ist die FrageNur wenige Bauvorhaben in Deutschland sind so umstritten wie der Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam | Von Matthias Grünzig

Die kurz vor Kriegsende 1945 zerstörte Garnisonkirche

war nie eine normale Kirche, sie war immer

ein politisches Symbol.

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Matthias Grünzig ist Wissenschaftlicher Fachexperte für Architektur, Stadtentwicklung und Denkmalpflege und Verfasser eines Buchs über die Potsdamer Garnisonkirche, das im Herbst 2016 im Berliner Metropol Verlag erscheinen wird. Für den HAUPTSTADTBRIEF gibt er einen Einblick in die Ergebnisse seiner historischen Forschung, die kein gutes Licht auf das Vorhaben eines Wiederaufbaus der Garnisonkirche werfen.

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die bis in das kleinste Detail durch den König geregelt wurde. Diese Unterordnung sollte bis zum Ende des Kaiserreichs Bestand haben. In der Garni-sonkirche verkündeten handverlesene Hof-prediger den bedin-gungslosen Gehorsam gegenüber dem Kaiser und in Kriegen den Kampf bis zum letzten Blutstropfen, den Hass auf andere Völker, vor allem auf die Franzo-sen. Eine wachsende Rolle spielte die Diffa-mierung von demokra-tischen, liberalen und sozialdemokratischen Kräften, die als Mör-der, Brandstifter und Diebe verunglimpft wurden. Diese Pre-digten machten die Garnisonkirche zu einem Identifikations-ort des rechtsextremen politischen Lagers.

Die Novemberrevolution von 1918 ließ das Kaiserreich zusammenbrechen. Doch die Anzie-hungskraft der Garnisonkirche verblasste nicht. Im Gegenteil: Die Symbolkraft des Gebäudes wurde stärker als je zuvor. Denn nun entwi-ckelte sich die Garnisonkirche zu einem wirk-mächtigen Bollwerk gegen die Republik und ihre Symbole. Die junge Republik bezog ihre symbolische Legitimation aus dem Geist der Weimarer Klassik, dem „Geist von Weimar“, und aus der Distanzierung gegenüber der preußisch-deutschen Militärmonarchie. Bereits während der ersten Tagung der Weimarer Nati-onalversammlung am 6. Februar 1919 beschwor Friedrich Ebert den „Geist von Weimar“ als Alternative zur preußischen Militärtradition.

Das republikfeindli-che Lager reagierte auf diese Umbrüche mit einer trotzigen Glorifizierung der preußischen Militär-vergangenheit, die zu einem „Geist von Potsdam“ verdichtet wurde. Dieser „Geist“ war so unscharf und diffus, dass sich Republikfeinde aller Couleur mit ihm iden-tifizieren konnten. Die Garnisonkirche wurde zum Inbegriff dieses „Geistes von Pots-dam“ und entwickelte sich zum Pilgerort für deutschnationale und nationalsozialistische, für deutschvölkische und monarchistische Gruppierungen.

Den Auftakt markierte eine Veranstaltung der Deutschnatio-

nalen Volkspartei am 24. November 1919, die wegen ihrer aggressiven Tonlage deutsch-landweit Aufsehen erregte. Der General Erich Ludendorff bejubelte in seiner Rede den preu-ßisch-deutschen Militarismus, der das ganze deutsche Volk zu „Manneszucht, Pflichttreue und Vaterlandsliebe“ erzogen hätte. Der Pfar-rer und spätere Nationalsozialist Johann Rump hetzte gegen die Demokratie und prophezeite den Sturz der Republik durch eine nationale Erhebung: „Dem Winter deutscher Schmach wird der Frühling deutscher Herrlichkeit folgen.“

Diese Ideen sollten auch in den folgenden Jah-ren die Veranstaltungen der Garnisonkirche bestimmen. Immer wieder versammelten sich die Deutschnationale Volkspartei, der Reichskrieger-bund „Kyffhäuser“, die „Vereinigten Vaterländi-

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Trügerische Idylle: Was hier unschuldig im Sommerlicht steht, war einmal Wallfahrtsort für Dunkeldeutschland. Die Garnisonkirche in Potsdam zog Anhänger des autoritären Staates schon im Kaiserreich magisch an. Im Bild eine Aufnahme von 1904.

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schen Verbände“, der „Bund Königin Luise“ und andere republikfeindliche Organisationen in dem Gebäude. Ein besonders gern gesehener Gast war der „Stahlhelm-Bund der Frontsoldaten“. Der „Stahlhelm“ war eine rechtsradikale Wehr-sportorganisation, die antisemitische Hetze mit einer fast schon obsessiven Verherrlichung des Krieges verknüpfte. Bereits während der Weima-rer Republik propagierte der „Stahlhelm“ Boy-kottaktionen gegen jüdische Gewerbetreibende.

Der „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 machte die Garnisonkirche schließlich weltberühmt. Doch dieser Tag war eben kein „Ausreißer“, sondern nur der Höhepunkt einer langen anti-demokratischen Tradition. Während der NS-Zeit diente die Garnisonkirche als Weihestätte nati-onalsozialistischer Organisationen. Fahnen-weihen, Gautage und Feierstunden der NSDAP wechselten sich nun in rascher Folge ab.

Nach 1945 änderte sich die Situation grundlegend. Die Zivilgemeinde der Garnisonkirche, die sich nun Heilig-Kreuz-Gemeinde nannte, distanzierte sich von den Traditionen der Garnisonkirche. Sichtba-res Zeichen dieser Umkehr wurde das 1974 fertig

gestellte „Heilig-Kreuz-Haus“, das als Ersatz für die Garnisonkirche errichtet wurde. Hier fanden in den 1970er- und 1980er-Jahren Veranstaltungen statt, die dem Frieden und der Demokratie verpflichtet waren. Das „Heilig-Kreuz-Haus“ wurde seinerseits zum Symbol – für eine demokratisch geläuterte Kir-che. Der Anstoß für den Wiederaufbau der Garni-sonkirche kam daher auch nicht aus Potsdam, son-dern aus Iserlohn, wo 1984 die „Traditionsgemein-schaft Potsdamer Glockenspiel“ gegründet wurde.

Die fatale Rolle der Kirche als politische Bühne gibt der Wiederaufbaudebatte eine besondere Schärfe. Verstärkend kommt hinzu, dass die Wiederaufbaubefürworter widersprüchliche Signale aussenden. Einerseits betonen Stiftung und Fördergesellschaft immer wieder, dass an diesem belasteten Ort an die Schrecken von Nationalismus und Krieg erinnert werden soll. Auf der anderen Seite aber wird die Geschichte der Garnisonkirche nach Kräften verharmlost und retuschiert. Zum Beispiel wurde 2014 mit Unterstützung der Stiftung das Buch „Pflugscha-ren zu Schwertern – Schwerter zu Pflugscharen“ herausgebracht. Dieses Buch von Anke Silomon blendet die umfangreiche politische Nutzung der

Über diese Geschichte ist noch kein Gras gewachsen: Seit Juni 2011 steht die „Nagelkreuzkapelle“ (im Hintergrund rechts) auf dem Gelände der einstigen Garnisonkirche, ein temporäres Gebäude mit Blick auf freigelegte Fundamente, vorn im Bild erinnert ein gemauerter Gewölbebogen an die zerstörte Kirche.

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Garnisonkirche während der Weimarer Republik und während der NS-Zeit fast vollständig aus.

2015 fand in der Nagelkreuzkapelle die Premiere des Films „Geheimnisvolle Orte – die Potsdamer Garnisonkirche“ statt. Dieser Film von Joachim Castan behauptet wahrheitswidrig, dass der Händedruck zwischen Hitler und Hindenburg in der Garnisonkirche nicht stattgefunden hätte. Stattgefunden hätte lediglich ein kurzer Hände-druck vor der Garnisonkirche, und dieser wäre auch nur ein flüchtiger Handschlag ohne jede Bedeutung gewesen. In die gleiche Richtung zielt das Buch „Die Garnisonkirche Potsdam – Krone der Stadt und Schauplatz der Geschichte“, das Ende 2015 von der Fördergesellschaft heraus-gegeben wurde. Auch dessen Autor Andreas Kitschke behauptet, dass der Händedruck in der Garnisonkirche am „Tag von Potsdam“ nicht stattgefunden hätte. Hitler hätte am „Tag von Potsdam“ sogar eine „Demütigung“ erfahren.

Der Argwohn gegen das Wiederaufbauprojekt wird durch solche Geschichtsdeutungen nicht geringer. Im Gegenteil: Viele Wiederaufbaugegner haben nun erst recht den Eindruck, dass am Standort der Garnisonkirche eben kein Ort des Gedenkens an die Verbrechen von radikalem Nationalismus und Krieg beabsichtigt ist, sondern dass ein Symbol der Restauration und schleichender Geschichtsre-vision entstehen soll. Potsdam und der totale Staat – im „Geist von Potsdam“ fanden beide zusammen und in der Garnisonkirche ihren Ort, bis der totale Krieg sie zertrümmerte. Die Garnisonkirche, das war Dunkeldeutschland. ◆

Der Widerstand gegen den Wie-deraufbau der Garnisonkirche lässt sich im Internet verfolgen auf den Websites der Projekt-gegner: www.ohnegarnison-kirche.wordpress.comund: www.christen-brauchen-keine-garnisonkirche.deAuch die Befürworter sind netzaktiv: www.garnisonkirche-potsdam.de

+49 30 885 9150, Fasanenstraße 25, 10719 Berlin grisebach.comEm

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In Berlin ist, wie fast überall in der Welt, Geschichte lange Zeit von Männern geschrieben worden. In Politik und Verwaltung, in Wirtschaft und Wissenschaft, in Kunst und Kultur taten sich ganz überwiegend Männer hervor – auf Frauen lastete der politische und gesellschaftliche Zwang, sich auf die drei K aus Küche, Kindern, Kirche zu beschränken. Aber es gab Ausnahmen, besonders in Berlin. Die Ausstellung „Berlin – Stadt der Frauen“ im Ephraim-Palais stellt zwan-zig von ihnen aus den hundert Jahren zwischen 1850 und 1950 vor. Im Gespräch mit Irena Nalepa erläutert Martina Wein-land, Abteilungsdirekto-rin Sammlung des Stadt-museums Berlin, die Hintergründe und High-lights der Ausstellung.

IRENA NALEPA: Wie sind Sie auf die zwanzig por-trätierten Frauen gekommen – und wie schwierig war es, ein so komplexes Thema in einer kultur-geschichtlichen Ausstellung sichtbar zu machen?MARTINA WEINLAND: Das ist tatsächlich schwie-rig gewesen; denn wen wählt man aus und wen lässt man weg? Das Ausstellungsprojekt „Berlin – Stadt der Frauen“ liegt im Grunde genommen auf der Hand; denn jeder zweite Berliner ist eine Frau. Eigentlich hätten wir eine Ausstellung mit und über rund 1,5 Millionen Berlinerinnen machen können. Dafür hätte freilich unsere

Ausstellungsfläche mit immerhin über 700 Qua-dratmetern und 14 Ausstellungsräumen nicht ausgereicht. Zudem hatten wir die Aufgabe, in diesem Zusammenhang an das 150-jährige Jubiläum des Lette-Vereins zu erinnern, der 1866 in Berlin gegründet worden ist mit dem Ziel, als „Verein zur Förderung der Erwerbsfä-higkeit des weiblichen Geschlechts“ zu wirken. Insofern lag es nahe, Frauen auszuwählen, die im Lette-Verein aktiv tätig waren oder ihm nahe-standen. Ferner war uns wichtig, die letzten 150 Jahre abzudecken und mit der Auswahl auch

ein allgemeines Zeitdo-kument vorzulegen.

Beim Ausstellungs-rundgang ertappt man sich in der Rolle des neugierigen Voyeurs.

Die inszenierten Räume und lebendig nachge-zeichneten Lebenswege der couragierten Frauen machen die damalige Atmosphäre und die Wün-sche und Träume der Porträtierten spürbar.Ja, das war auch unsere Intention bei der Ausstel-lung. Wir haben alle „unsere Frauen“ sehr ins Herz geschlossen. Wir wollten nicht nur die Biografien und ihre Pionierleistungen erzählen. Wir haben versucht, in der jeweiligen Biografie die Zäsur, die Krise aufzuspüren und auch darzustellen – also die Momente, in denen bei diesen Frauen der vorgezeichnete Lebensweg, ob durch politische

Zwanzig Berlinerinnen, denen es gelang, die „gläserne Decke“ zu durchbrechenDie Ausstellung „Berlin – Stadt der Frauen“ lässt die Lebenswege und Leistungen von zwanzig bemerkenswerten Berlinerinnen lebendig werden | Von Irena Nalepa

Irena Nalepa (links) ist im Kunsthandel tätig. Sie war Gründerin der Galerie Nalepa und Geschäftsführerin der Galerie Schoen+Nalepa in Berlin. Dr. Martina Weinland

ist Abteilungsdirektorin des Stadtmuseums Berlin. Für den HAUPTSTADTBRIEF sprachen die beiden über die

Ausstellung „Berlin – Stadt der Frauen“ im Ephraim-Palais.

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Frauen wurden erst 1908 zum Universitätsstudium zugelassen und erhielten erst 1918 das Wahlrecht.

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Einflüsse von außen oder durch die persönli-chen Lebensumstände, eine Wendung erfährt.

Es fällt auf, dass alle vorgestellten Frauen aus der bürgerlichen Schicht stammen.Das stimmt, man könnte die Ausstellung auch mit „Emanzipation durch Bildung“ betiteln; denn wir sprechen hier von sehr emanzipierten Frauen. Die Voraussetzungen und Möglichkei-ten dafür, dass sie lesen, schreiben und eigen-ständig denken und handeln konnten, waren

damals vorrangig im Bürgertum gegeben. Nur so konnte es einzelnen Frauen gelingen, die „gläserne Decke“ zu durchstoßen, die den Weg ins Licht der Öffentlichkeit versperrt.

Zu Beginn der Ausstellung zeigen Sie in einer angestrahlten Glasvitrine ein Kor-sett, das beeindruckend und bedrohlich zugleich wirkt. Was hat es damit auf sich?Mit dem Korsett wollen wir auf die zahlreichen Zwänge hinweisen, von denen Frauen sich einge-

Selbstverwirklichung, den gesellschaftlichen und politischen Widerständen zum Trotz: ❶ Fritzi Massary, legendärer Berliner Bühnenstar – ❷ Louise Schroeder, Berlins erste und bisher einzige Bürgermeisterin – ❸ Anni Mittelstädt, Vorsitzende des Klubs der Berliner Trümmerfrauen – ❹ Katharina Heinroth, Berlins erste und bisher einzige Zoodirektorin – ❺ Elly Beinhorn, Flugpionierin – ❻ Jeanne Mammen, Malerin und Bildhauerin.

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schränkt sahen. So wurden etwa Frauen erst 1908 zum Uni-versitätsstudium zugelassen und haben erst 1918 das Wahlrecht erhalten. Diese und weitere Restriktionen gegen Frauen haben wir auf den Korsettstäben festgehalten, bei-spielsweise dass bis 1958 der Ehemann das Recht hatte, den Arbeitsvertrag einer Frau zu kün-digen, oder dass Frauen bis 1962 kein eigenes Bankkonto eröffnen konnten.

Alle zwanzig der porträtierten Frauen haben die gesell-schaftlichen Korsett-stäbe zerbrochen. Sie führten trotz Höhen und Tiefen ein selbstbestimmtes Leben. Welche der Pionierinnen hat Sie am meisten beeindruckt?Ich kann nur sagen: Hut ab vor jeder dieser Frauen. Jeanne Mammen (1890-1976) etwa konnte sich selbständig mit ihrer Kunst ernähren. Doch 1933 will sie mit dem „braunen Pack“ nichts zu tun haben und zieht sich komplett in die innere Emigration zurück. Sie verliert ihre Auftragge-ber und damit ihre Existenzgrundlage. Bis 1945 hält sie sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser – und behält bis zu ihrem Tod 1976 ihre unangepasste Gradlinigkeit bei. Oder Clara von Simson (1897-1983): Sie hat eine kolossale Wis-senschaftskarriere gemacht, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie Direktorin des Lette-Vereins.Eines meiner Lieblingszitate ist das der Schrift-stellerin Hedwig Dohm (1831-1919), deren Motto „Werde die, die Du bist“ aus dem Jahr 1874 einen permanenten Entwicklungsprozess beschreibt und somit bis heute seine Gültigkeit nicht ver-

loren hat. Nicht zu vergessen ist Katharina Heinroth (1897-1989), die erste Zoodirektorin in Ber-lin. Es gelang ihr, in diese Männerdomäne einzudringen, weil es der Stadt nach dem Zweiten Welt-krieg an männlichen Fachleuten mangelte. Das traf auch auf die bisher einzige Oberbürgermeisterin Berlins, Luise Schro-eder (1887-1957), zu.

Verlangt das nicht nach einer Folge-Ausstellung zu den Lebensumständen zeitgenössischer Frauen, da doch auch heute noch Unternehmen und

Chefetagen von „Boy Groups“ dominiert sind?Die Filmemacherin Helge Sander-Brahms hat mich darauf hingewiesen, dass 2018 in diesem Zusammenhang ein interessantes Doppeljubiläum ansteht: das hundertjährige Wahlrecht für Frauen in Deutschland seit 1918 – und vor 50 Jahren der Beginn der Nachkriegs-Frauenbewegung 1968. Das Jahr 2018 gibt also tatsächlich gebührend Anlass, eine weitere Ausstellung über Frauen zu machen, mit anderen Themen und Zeitverläufen – Berliner Geschichte auf der Blickachse der Frauen von heute. ◆

Berlin – Stadt der Frauen. Ephraim-Palais, Poststraße 16, 10178 Berlin. Bis 28. August 2016, geöffnet Dienstag und Donnerstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, Mittwoch 12 bis 20 Uhr. Eintritt 6 Euro, ermäßigt 4 Euro, bis 18 Jahre und jeden 1. Mittwoch im Monat Eintritt frei. www.stadtmuseum.de/ausstel-lungen/berlin-stadt-der-frauen

Selbstbildnis, dem Malverbot zum Trotz: Charlotte Berend-Corinth, Ehefrau des Malers Lovis Corinth, fertigte dieses Selbst-porträt 1921 – heimlich, weil gegen den Willen ihres Mannes. Nach dessen Tod 1925 betreut sie seinen Nachlass, malt und zeichnet und gründet eine Malschule. 1939 geht sie ins ameri-kanische Exil, wo sie weiter künstlerisch erfolgreich ist und eine eigene Malschule betreibt.

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Donnerstag, 21. Juli, 19.30 Uhr

First Night – Die JubiläumsgalaHighlights aus 25 Jahren

In Zusammenarbeit mit dem Rundfunk Berlin–Brandenburg (rbb)

– Großes Feuerwerksfinale –

Freitag, 22. Juli, 19.30 Uhr

Wiener Blut – von Strauß bis Udo JürgensTraummelodien aus Oper, Operette, Musical & Austropop

Samstag, 23. Juli, 19.30 Uhr

Die Welt der Oper in Licht und FeuerDie große Operngala mit Werken von Verdi, Rossini, Wagner, Donizetti, Bizet

Sonntag, 24. Juli, 19.30 Uhr25 Jahre – Das Konzerthausorchester gratuliert

Gershwin, Bernstein & FriendsCameron Carpenter, Ray Chen u.v.m.

Montag, 25. Juli, 19.30 Uhr

Chris de BurghEin Weltstar gratuliert zum 25. Jubiläum

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» ICH WILL IMMER DAS BESTE. «

DIRK NOWITZKI VERTRAUT AUF DIE QUALITÄT VON BAUERFEIND.Der Basketballstar weiß, wie wichtig Gesundheit ist. Seit Jahren schwört er deshalb auf die Wir-kung von Bauerfeind-Produkten. Er trägt die Aktivbandage GenuTrain®. Sie lindert Knieschmerzen, stabilisiert das Gelenk und beschleunigt die Heilung.

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