Download - Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

Transcript
Page 1: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

DeutschesSchauSpielHausHamburgUnterwerfung

Page 2: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

Uraufführung

Unterwerfung(Soumission)von Michel Houellebecq in einer Fassung von Karin Beier und Rita Thiele

Es spielt Edgar Selge

Regie Karin BeierBühne Olaf AltmannKostüm Hannah PetersenMusik Daniel RegenbergDramaturgie Rita ThieleLicht Rebekka DahnkeInspizienz Annette EndmannSoufflage Renate ProzeskyRegieassistenz Eliana WesselBühnenbildassistenz Kerstin NarrKostümassistenz Aurelia StegmeierDramaturgieassistenz Bastian LomschéRegiehospitanz Hannah Greve

Page 3: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

Technische Direktion: Reiner Darr / Technische Assistenz: David Wrobel / Technische Einrichtung, Theatermeister: Matthias Morys / Bühnen- und Fahrtechnik: Holger Lehmann / Beleuchtung: Jürgen Eikhof, Marion Schünemann / Ton: Hans-Peter »Shorty«Gerriets, André Bouchekir / Leitung Maske und Haartrachten: Susan Kutzner / Maskenbildnerin: Isabel König / Leitung des Kostüm wesens: Geseke Brandis, Susanne Günther-Müller / Gewandmeisterinnen: Pia Reifenrath-Sacher, Anne Scheerer / Requisite: Wolfgang Lütters, Jörn Woisin / Werkstattleitung: Thorsten Großer / Projekt leitung: Jan Franke, Jakob Kerscher / Malsaal: Raphael Schierling / Deko rations abteilung: Elisabeth Schultz / Tischlerei: Johanna Nölker / Schlosserei: Mattis Speck / Theaterplastik: Sabine Kanzler

Uraufführung: 6/2/2016 / SchauSpielHausSpieldauer: 2 Stunden, 40 Minuten Eine Pause

Aufführungsrechte: François Samuelson / Intertalent Paris DuMont Verlag Köln

Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im Jahre 2022: In den Élysée-Palast zieht Frankreichs erster mus-limischer Präsident ein. Die Kultur und Tradition der Aufklärung, wie wir sie kennen, kollabiert. Auf individueller Ebene wird dieser Zusammenbruch von Houellebecqs Protagonist François, einem abgehalfterten Literaturwissenschaftler an der Sorbonne, verkörpert. Er, der keine feste Bindung eingegangen ist, ist verführbar für eine umfassende Wende. „Mein Roman ist zutiefst zwiespältig, man kann ihn wie eine verzweifelte oder wie eine hoffnungsvolle Geschichte lesen“, sagt Houellebecq. Mit großer Ernst haftigkeit, aber auch virtuoser Ironie, beschreibt er, wie im Westen, angeleitet von einem Bild der Welt, das von der Idee des Ichs beherrscht wird, soziale Bindungen zunehmend verfallen. Und damit Fluchtversuche aufkommen, die versprechen, das ökonomische, soziale und moralische Desaster zu lösen.

54

Page 4: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

Der Roman »Unterwerfung« erschien am 7. Januar 2015 in Frankreich. Am selben Tag ermordeten zwei Terroristen – sie beriefen sich auf al-Qaida – in der Redaktion des Satire magazins »Charlie Hebdo« elf Menschen. Die Ausgabe, an der gerade gearbeitet wurde, trug eine Karikatur Houellebecqs auf der Titelseite. Bernard Maris, der für den Innenteil eine Rezension des Romans verfasst hatte, gehörte zu den Todesopfern. Mehrere Anwesende wurden verletzt. Auf ihrer Flucht töteten die Terroristen einen Polizisten. Am 9. Januar erschossen Sicherheitskräfte beide Täter in Dammartin-en-Goële. Am 8. Januar wurde im Süden von Paris eine Polizistin von einem anderen schwerbewaffneten Täter erschossen. Am Tag darauf überfiel dieser den Supermarkt Hyper Cacher für koschere Waren im Pariser Osten, tötete vier Menschen und nahm weitere als Geiseln. Der Täter bekannte sich telefonisch zum Islamischen Staat und erklärte, sein Vorgehen stehe in Verbindung mit dem Anschlag auf »Charlie Hebdo«. Er wurde bei der Erstürmung des Supermarktes erschossen.

Am 13. November 2015 folgten weitere Terroranschläge in Paris sowie in der Vorstadt Saint-Denis. Nach Angaben der französischen Regierung wurden hundertdreißig Menschen getötet, dreihundert-zweiundfünzig verletzt. Außerdem starben sieben der Attentäter in unmittelbarem Zusammenhang mit ihren Attacken. Zu den Anschlägen bekannte sich die terroristische Organisation Islamischer Staat.

Das hier abgedruckte Interview mit Michel Houellebecq wurde am 23. Januar 2015 in der ZDF Sendung »aspekte« in gekürzter Form gesendet. Am 19. Januar hatte Houellebecq seinen Roman »Unterwer-fung« im Rahmen der Lit. Cologne vorgestellt. Wir danken Daniel Böhm, dem Autor des Interviews, und Achim Zeilmann von der ZDF-Redaktion »aspekte«, das Gespräch in kompletter Länge abdrucken zu dürfen.

„Ich bin ja kein Intellektueller. Ich nehme keine Position ein, ich verteidige keinerlei Regime. Ich lehne jede Verantwortung ab, ich beanspruche sogar völlige Unverantwortlichkeit. Es sei denn, ich spreche in meinen Romanen von Literatur, dann engagiere ich mich als literarischer Kritiker.“

Houellebecq

6 7

Page 5: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

Verwirrte Zeiten

Daniel BöhmIch habe Ihr Buch mit großem Vergnügen gelesen. Was mich besonders interessiert hat: Ihr Buch erzählt eine doppelte Geschichte: Sowohl die Gesellschaft, als auch eine einzelne Person sind auf der Suche nach Erlösung. Woher kommt die­se Suche Ihres Protagonisten François nach Erlösung?

Michel HouellebecqDas ist eine gute Frage. Man könnte sich ebenso fragen, wie sie bei dem Schriftsteller Huysmans entsteht. Sein Leben ist einigermaßen merkwürdig. Er beginnt als Naturalist, als Freund von Zola, und schreibt mit »A Rebours« ein sehr sonderbares, dekadentes Buch, auf das man sich so keinen Reim bilden kann; und schließlich bekennt er sich zum Katholizismus. Ich würde sagen, dass mein Protagonist François dem Autor Huysmans stärker ähnelt, als er es selbst annimmt. Wenn man versucht zu erklären, warum jemand zu einem Glauben über-tritt, oder warum er nach einer Erlösung strebt, dann wird es verwirrend. Man könnte vermuten, bei François liegt es daran, dass sein Vater stirbt. Das lässt ihn an den Tod denken, an das Ende der Menschheit. Oder daran, dass seine Freundin ihn verlässt. Das Phänomen der Suche nach dem Glauben ist sehr schwierig zu erklären. Vielleicht könnte man auch sagen, dass François von dieser Suche beeindruckt ist, weil er vierundvier-zig Jahre alt ist und Huysmans eben auch im Alter von vierund-vierzig zu einem anderen Glauben konvertiert ist. Ich würde sagen, ich erzähle auch in einem anderen Sinne eine doppelte Geschichte: Von einer Gesellschaft auf der Suche nach Erlösung und eine Art politische Fiktion, in der Protagonisten

von Machtspielen fasziniert sind. Einer zum Beispiel ist so eine Art graue Eminenz der Identitären (Lempereur), sicherlich mit anderen Europäern in Verbindung stehend, ein anderer ein alter Mann aus dem Reich der Schatten, also vom Geheimdienst Tanneur). All diese Leute sind letztendlich fasziniert von Macht - spielen die sich hinter einer Fassade verbergen. Und andere, Rediger oder Ben Abbès, haben starke politische Ambitionen.

Ich fand Rediger sehr interessant, ich hatte den Eindruck, dass er ein typischer Vertreter des engagierten Intellektuellen ist. Er sucht nach etwas Identitätsstiftendem, passt sich aber sehr gut an die neue Ordnung an.

Sagen wir es mal so, es ist eine Figur aus unruhig gewordenen, verwirrten Zeiten. Es gibt da so einen erratischen Werdegang, der mir typisch modern oder postmodern zu sein scheint. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, jedenfalls nähert sich Rediger erst den Katholiken an, denjenigen, die sich stark mit der ka-tholischen Identität identifizieren und dann urplötzlich, als die Jugendstilbar Metropol in Brüssel zumacht, sagt er sich, dieser Weg ist eine Sackgasse. Und zwei Tage später konvertiert er zum Islam. Es gibt sehr häufig diese rasant schnellen Wen-dungen in unseren Lebensläufen. Das ist für unsere Epoche charakteristisch. Gut, vielleicht ist Rediger für dergleichen be-sonders anfällig, weil er Nietzsche gelesen hat, aber dennoch ist sein Werdegang auf ganz merkwürdige Weise sonderbar.

Den Figuren in Ihrem Buch verleiht der Islam eine gewisse

Stabilität, das gilt auch für Menschen unserer Gesellschaft. Warum hat in Ihrem Buch der Islam diese Kraft und nicht das Christentum?

Zunächst: Ich bin mir gar nicht sicher, ob das wirklich so stimmt. Rediger kommt zu dem Schluss, die Zeit des Christentums sei vorüber – er kann sich aber auch irren. Allerdings gibt es nichts Schwierigeres als eine Rückkehr in die Vergangenheit. Ich kann zwar nicht erklären warum, aber die Tatsache, dass der Islam etwas ist, das es im Abendland als Tradition nicht gegeben hat, kann möglicherweise zur Folge haben, daraus abzuleiten, er könne sich in Zukunft zutragen und das Chris-tentum gehöre der Vergangenheit an. Dabei glaube ich, das Christentum kann auch wieder auftauchen, aber in einer ganz anderen Form. Ehrlich gesagt, das kann ich nicht wirklich erklären, dieses Mysterium. Und es sind ja nicht generell die Franzosen, es sind eher Menschen aus dem Maghreb, die erneut den Islam für sich entdecken und damit zurückgreifen auf etwas, das ihnen mehr Zuversicht gibt. Denn die Gesellschaft erscheint ihnen, als ginge sie sie gar nichts an. Das macht ihnen Angst. Das Merkwürdigste sind westliche Menschen, die zum islamischen Glauben übertreten. Gut, im Grunde weiß ich es auch nicht zu erklären. Aber man kann durchaus einen Roman schreiben, ohne die Motivationen seiner Romanfiguren vollständig offen-zulegen. Man spürt, dass Kräfte agieren, man versucht das zu verschriftlichen, aber man kann nicht unbedingt sagen, man würde das selbst verstehen. Bei jeder religiösen Handlung ist auch immer etwas nicht Nachvoll ziehbares dabei.

98

Page 6: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

Als ich mir das Buch bei meinem Buchhändler gekauft habe, habe ich einen muslimischen Senegalesen getroffen und der hat mir gesagt, er habe ihren Roman so gelesen, als sei er Ihr persönliches Geständnis zum Übertritt zum Islam. Er war überzeugt, dass Sie heimlich im Begriff seien, ein Moslem zu werden. Was haben Sie für einen Bezug zur Religion? Be­trachten Sie sich als einen gläubigen Menschen? Zumindest ein wenig? Nein, ich halte mich – ehrlich gesagt – klar und deutlich für agnostisch, das heißt, ich bin ganz und gar nicht überzeugt, dass hinter allem ein organisierendes Prinzip steht. Aber … im Grunde bin ich mit der Reaktion des Senegalesen zufrie-den, denn ich wollte, dass der recht langwierige Übertritt von Rediger überzeugend wirkt. Die Reaktion dieses Senegalesen beweist, dass Rediger überzeugend ist, wenn er spricht. Aber ich selbst, ich bin wirklich agnostisch. Ansonsten werde ich zunehmend älter und es stimmt: Je älter man wird, desto häufi-ger sterben im eigenen Umfeld Leute und da erweist sich eine agnostische Gesinnung zunehmend als schmerzlich. Das sage ich ganz offen. Mit jedem Menschen, den man sterben sieht, wird es schwieriger weiterhin Atheist zu bleiben.

In Ihrem Roman wird der Islam zu so etwas wie einer Staats­religion in Frankreich. Darüber hinaus scheint er noch andere Anziehungskräfte auszuüben. Ist der Islam wegen der Mög­lichkeit der Polygamie besonders attraktiv für Männer?

Das kommt darauf an. In manchen muslimischen Ländern sind die Menschen der Polygamie doch relativ überdrüssig, denn sie sorgt oft für Komplikationen. Häufig verbünden sich die Frauen gegen den Mann, und das ist nicht besonders attraktiv. Aber gut, die Polygamie mag eine gewisse Anziehungskraft ausüben. Doch das ist nicht unbedingt das Hauptargument, das Rediger anführen würde. Er hat eine Anstellung an der Sorbonne, einen Manager ganz für sich allein, der ihm die lästigen Arbeiten abnimmt, er hat seinen eigenen Stolz als Intellektueller, sein Lebensstil wirkt angenehm. In erster Linie gelingt es ihm, für sich einzunehmen. Man hat bei ihm nicht unbedingt den Eindruck, er sei wahnsinnig sexbesessen. Aber er ist auch jemand, der, wenn man ihm eine einfache Lösung anbietet, sogleich zuschlägt. Ich wollte keine Figur schaffen, die man bedingungslos bewundert. Aber auch keine, der man ganz und gar nicht über den Weg trauen kann.

In Ihrem Roman wird Frankreich islamisch und die Gesell­schaft leistet im Großen und Ganzen überhaupt keinen Widerstand. Ein kleines bisschen widersteht die Linke und natürlich gibt es den Front National, aber im Grunde gibt es kaum Widerstand – gerade in den Kreisen der Intellektuellen. Man hat sogar den Eindruck, Frankreich ist erleichtert, als es endlich so weit kommt.

Ja, das stimmt. Aber da kommen mehrere Faktoren zusammen,darunter der unwiderstehliche Rückgang der Arbeitslosigkeit. Und der starke Rückgang der Kriminalität, das spielt auch eine

Rolle. Zudem erwacht ein französischer Stolz, in Hinblick auf Europa und den Mittelmeerraum, wo Frankreich eine Schlüs-selrolle übernimmt. Ja, es stimmt, in meinen Roman gibt es nicht wirklich Widerstand.

Ist das auch eine Kritik an den französischen Intellektuellen? Sie haben in der Vergangenheit gesagt, die französischen Intellektuellen hätten eine Neigung dazu, Stalin und Mao zu bewundern. Oder das Beispiel Sartre, der in den 70er Jahren den Terroristen Andreas Baader besuchte.

Da gibt es überhaupt keinen Zweifel, unter französischen Intel-lektuellen gibt es in der Tat eine Neigung zur Bewunderung für alles, was stark und diktatorisch anmutet.

Haben Sie eine Idee, woher das kommen könnte?

Das ist schwer zu sagen, doch das Konzept einer offenen Ge sell-schaft hat sich unter französischen Intellektuellen nie so richtig durchsetzen können. Das ist im Grunde ein Konzept, das sie nicht sonderlich mögen. Das ist eher ein angelsächsisches Konzept. Es gab auch Bewunderung für Ayatollah Khomeini, vor allem seitens des französischen Intellektuellen Foucault, oder für Pol Pot. Ich bin zwar absolut nicht intellektuell, aber das fällt mir auf.

Sie sprechen in Ihrem Buch auch über den Zusammenbruch des politischen Systems in Frankreich. Das System des republikanischen Modells, das sich auf die Aufklärung stützt, auf Werte der Modernität. Ist der Zusammenbruch des politi­schen Systems zugleich symbolisch für das Ende und für die Niederlage all dieser Werte? Das Problem ist sehr viel dringlicher, fast unglaublich. Viele Jahre lang hat das Modell, das wir alle gut kennen, gar nicht schlecht funktioniert: Mitte Links, Mitte Rechts, mit Verbün-deten auf der Linken für Mitte Links und Verbündeten auf der Rechten für Mitte rechts. Aber niemand hat vorausgeahnt, dass der Front National so viele Stimmen bekommen würde.Und das schafft eine Lage, die extrem merkwürdig ist, denn der Front National ist die Partei in Frankreich, die die meis-ten Stimmen bekommt, aber nicht in der Regierung vertreten ist, was komisch ist. Darüber kann man lachen, sofern man das möchte. Frankreich ist ein Land, das immer stärker nach rechts abrutscht und wird 2017 möglicherweise erneut einen linken Präsidenten bekommen. Das ist durchaus möglich. Ja, das ist besorgniserregend. Und dafür gibt es überhaupt keine Lösung. Im Sinne der Repräsentanz der Wählerstimmen funktioniert das politische System nicht mehr. Was die Werte der Modernität anbelangt, da gibt es verschiedene Phasen: Der Laizismus war wichtig, was Huysmans übrigens sehr bekannt war, denn er gehörte einer Mönchsgemeinde an, die sich in alle Himmelsrichtungen auflöste. Der Laizismus ist aber etwas, dem der Islam nie wirklich ausgesetzt war. Der Islam hat es mehrmals geschafft, sich mit Katholiken zu einigen, sei

1110

Page 7: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

es in der Mehrheit oder in der Minderheitsposition. Beides hat es gegeben. Mit dem Laizismus hingegen funktioniert eine Einigung schlecht, wirklich sehr schlecht. Folglich gibt es da einen Konflikt. Und was die Werte der Aufklärung betrifft, im Grunde bleibt nur ein Wert, mit dem die Franzosen sich nach wie vor ver-bunden fühlen: die Meinungsfreiheit. Es gibt aber nieman-den, der vom Atheismus wirklich begeistert wäre. Ich sehe in meinem Umfeld keinen militanten Atheisten. Und es gibt in der Tat eine wahre Rückkehr des Katholizismus. Wir durch-queren generell eine Zeit, die für Religionen günstig ist. Die befreiende Aufklärung, die Unabhängigkeit der menschlichen Vernunft, all das begeistert nicht mehr. Das kann man nicht leugnen. Da gibt es etwas, das finden viele einfach nur zum Verzweifeln.

Dieser Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch Ihr Werk…Doch ich finde Ihr Buch auch optimistisch. Es ist überhaupt nicht apokalyptisch. Mit dem Ende des Bürgerkriegs wird die Apokalypse gestoppt. Könnte man nicht sogar sagen, Sie zeichnen ein positives Bild vom Islam...?

Sagen wir mal so: Es gibt verschiedene Wege, den Islam zu be-trachten: Der erste besteht in dem Versuch, den Koran zu lesen und sich ganz in die Schriften zu vertiefen. Und da kommt man dann in der Tat eher zu einer positiven Schlussfolgerung. Diese Deutung des Korans entspricht aber nicht derjenigen, die die Djihadisten vornehmen.

Der zweite Weg ist, sich anzuschauen, was in der Geschichte passiert ist, sich anzuschauen, ob der Islam zu einer Koexis-tenz fähig gewesen ist, mit den Christen und mit den Juden. Und auch da hat es sehr gelungene Beispiele des Mitein-anders gegeben. Wobei – im Fall der Juden – der israelisch-palästinensische Konflikt wie ein ständiger Abszess ist, eine Quelle für Konflikte, die so schnell nicht versiegen wird. Aber vor allem die Koexistenz zwischen dem Islam und dem Katholi-zismus hat mehrere Male in der Praxis nicht schlecht geklappt. Was für den Islam neu ist, ist die Konfrontation mit dem Laizismus, das hatten die Muslime sich so nie vorstellen kön-nen. Zur Zeit der Entstehung des Koran konnten sie nicht mit dem Atheismus rechnen. Der ist einfach nicht eingeplant und in dem Fall sieht man, dass es mit dem friedlichen Miteinander schwer sein wird.

Wenn man sich Frankreich anschaut, was haben Sie derzeit für einen Eindruck von dem Land?

Keinen guten. Es gibt einen Graben zwischen der Bevölkerung und der herrschenden Klasse, auch in Bezug auf den Front National. Das führt dazu, dass die offiziell zulässigen Meinungen stark eingeschränkt sind, auch in den Medien. Und es gibt zugleich eine schwere politische sowie wirtschaftliche Krise.Es gibt jede Menge Gründe dafür, dass es derzeit eher schlecht ums Land bestellt ist.

Wenn man sich die Titel in Bahnhofsbuchhandlungen ansieht, gibt es in Deutschland vor allem Krimis und Bücher für Frauen. In Frankreich Bücher über das Ende der Republik.

Es gibt seit vierzig Jahren den Aufstieg des Front National. Seit vierzig Jahren steigt die Arbeitslosigkeit. Es sind nun vierzig Jahre des Verlustes der industriellen Struktur. Allerdings bin ich niemand, der das Ende predigt. Damit bin ich nicht einverstanden. Was doch verwunderlich ist, ist die sehr gute Geburtenrate in Frankreich. Es ist eben kein Land, das ver-fällt, sondern ein Land, das mit seinen politischen Führern in keinem Punkt mehr derselben Meinung ist. Es gibt in der Tat das Problem der Vertretung des Volkes auf politischer Ebene. Ich muss nicht an all die Leute erinnern, die den Wahlen fern bleiben und deren Zahl zunehmend steigt. Ich nenne das eine schwerwiegende politische Krise. Und die hängt auch mit der wirtschaftlichen Krise zusammen. Die Leute haben den Eindruck, sie hätten politische Führer, die nie das machen, was eigentlich angebracht wäre.

Von außen betrachtet hat man den Eindruck, dass all die Versammlungen nach dem Terroranschlag auf »Charlie Hebdo« ein Wiederfinden der französischen Gemeinschaft signalisieren. Man hat sich verbündet, man ging für die Republik auf die Straße, auch wenn man sonst auf verschie­denen Seiten stand. Meinen Sie, dass sich das schnell wieder auflösen wird?

Die sind auf die Straße gegangen, weil es der größte An-griff auf die Meinungsfreiheit war, den es in der Geschichte Frankreichs je gegeben hat. Zudem hat es Leute getroffen, zum Beispiel Cabu und Wolinski, die waren jedem bekannt. Und was erschwerend hinzukam war, dass es eine Vorankündi-gung gegeben hatte. Der Mord war vorher angekündigt worden, die Drohungen waren keineswegs neu. Die Menschen haben reagiert, nicht, um die Republik zu retten, sondern die Meinungs-freiheit, die hier ganz schön etwas wegstecken musste. Mit dieser Botschaft „Je suis Charlie“ wollte man den Zeichnern sagen, wir sind ganz auf eurer Seite, macht weiter, das war für mich die Botschaft. Weiter sollte man hier in der Interpretation nicht gehen.

Wie haben Sie diese beiden Wochen erlebt? Das muss ein ziemlicher Schock gewesen sein.

Ich habe das nur schlecht weggesteckt. Einer meiner Freunde (Bernard Maris) ist in der Redaktion umgebracht worden. Und alles, was man derzeit zu Lesen bekommt, ist äußerst beun-ruhigend. Die Anzahl der potentiellen Mörder ist sehr hoch, es ist anscheinend kinderleicht sich heutzutage Kriegswaffen zu besorgen. Sehr beunruhigend, ohne jeden Zweifel. Aber ich bin eher jemand, der Warnungen ausspricht, mehr als dass ich den Untergang predigen würde, wenn ich das so sagen darf. Und ich glaube nicht, dass ich meine Warnungen zu Unrecht ausspreche. In Anbetracht der derzeitigen Umstände gibt es Grund genug, Warnungen auszusprechen. Wenn man dann

1312

Page 8: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

noch hinzufügt, dass es selbstverständlich materiell betrach-tet schier unmöglich ist, alle jüdischen Orte zu schützen, in Anbetracht der großen Anzahl, die es davon in Frankreich gibt: die Geschäfte für koschere Nahrung, die Synagogen – nichts weist darauf hin, dass sich das wieder in Ordnung bringen lässt.

Haben Sie Angst, es könne noch schlimmer kommen?

Das ist zumindest das Ziel der dschihadistischen Bewegungen.Ich habe auch den Eindruck, dass es ihnen dazu an Mitteln nicht fehlt.

Es gibt eine Theorie, die lautet, dass der Dschihadismus letztlich nur der letzte Ausläufer eines extremen Islamismus sei, der aber bereits Wandlungen durchlaufe.

Ich kenne die Länder nicht, in denen die Ursprünge hierzu sich befinden. Ich habe jedenfalls nicht den Eindruck, wir hätten es hier mit einem Phänomen zu tun, das bereits in den letzten Zügen liegt.

Sie waren in Frankreich, als die Anschläge stattgefunden haben und anschließend zwei Wochen lang von der Bildfläche verschwunden. Sie haben sich dennoch dazu entschlossen, (für die Lesung von »Unterwerfung« am 19.1.2015 im Rahmen der Lit. Cologne) nach Deutschland zu kommen. Gab es hier­

für einen besonderen Grund?

Nein, nein, das hat sich so entwickelt, ich wollte nur abwarten, bis ich mich nach der Beerdigung von Bernard Maris wieder etwas besser fühlte. Die Beerdigung war letzten Donnerstag und dann bin ich nach Deutschland gekommen.

Als Sie am Montag nach Köln gekommen sind, da standen Sie plötzlich in einem überfüllten Saal. War das Stress für Sie? Ach, man hatte mich ja gewarnt. Das ging deshalb, kein Problem. Ich kann gut verstehen, dass die Deutschen – unabhängig von mir – Lust haben, eine französische Perspektive kennenzulernen. Dieses Mal wurden wir attackiert, aber vielleicht seid ihr das nächste Mal dran. Wenn ihr gute Karikaturisten habt, ich weiß das nicht so genau... Das mit »Charlie Hebdo« begann im Grunde mit dem Wiederaufgreifen der in Dänemark veröffentlichten Karikaturen. Damit nahmen die Probleme ihren Lauf. Ich kenne auch persönlich Leute, die so drauf sind: Ach so, wir bekommen das verboten! Na, da werdet ihr schon sehen, wir haben noch mehr drauf…

Fühlen auch Sie sich manchmal so?

Ja, ja, ich kann das gut verstehen. Es reicht allein, dass man mir etwas verbieten will und schon bekomme ich Lust, es erst recht zu machen.

Bei der Lesung haben Sie gesagt: „Ich habe die Schnauze voll davon, immer wieder erklären zu müssen: Es gibt Islamo­phobe und die haben das Recht dazu sich so zu äußern.“ Was hat Sie zu dieser Erklärung getrieben? Haben Sie davon die Schnauze voll, dass Sie selbst immer in diese Ecke gedrängt werden?

Nein, vielleicht hätte ich den Punkt weggelassen, wenn es nicht zu den Attentaten gekommen wäre. Das hat genau damit zu tun… Ich wollte an das Recht erinnern, bestimmte Dinge sagen zu dürfen, an das Recht der Meinungsfreiheit.

Ich habe mir die Kritiken zu »Unterwerfung« durchgelesen und auch die Interviews in Frankreich. Was ich wirklich sonderbar finde, ist, dass die Franzosen Sie so häufig in eine Skandalecke rücken wollen. Ich verstehe nicht so recht, warum. Regt Sie das nicht auf? Sie schreiben wundervolle Bücher, die eine große Debatte durchaus verdient haben, Bücher, die meiner Meinung nach große literarische Werke sind. Und dann hat man den Eindruck, in Frankreich geht es immer nur um den Kitzel des Skandals. Geht Ihnen das auf den Geist?

Ja, das ist in der Tat nervig. Was da in letzter Zeit veranstaltet wird, ist keine Debatte, sondern ein Lauern darauf, dass es zu einem Ausrutscher kommt. Um dann sagen zu können, das sei völlig inakzeptabel. Der Freiraum des Denkens hat in Frankreich einige Einbußen hinnehmen müssen. Und der

Gefallen an Skandalen, an Polemik hat in der letzten Zeit sehr stark zugenommen. Die Franzosen stehen nun mal auf so etwas, doch all das hat inzwischen Ausmaße angenommen, die auch unabhängig von mir unglaublich sind. Das heißt auch, dass man sich selbst sehr stark unter Kontrolle halten muss, denn die Versuchung ist groß, auf Polemik aus zu sein, einfach nur, um damit die Leute zu ärgern. Andererseits kann man aber auch nicht von vornherein jedem Thema ausweichen, das möglicherweise eine Polemik nach sich ziehen könnte. Das ist schwer auszutarieren. Und dann muss man ja schließlich auch noch gute Bücher schreiben.

Ich habe den Eindruck, dass die Deutschen Sie mögen. Wie nehmen Sie das wahr? Bemerken Sie einen Unterschied in der Art, wie hier Ihre Bücher besprochen werden?

Insgesamt sind die Leute friedlicher. Es ist in Frankreich zu er-staunlichen Zwischenfällen gekommen. Da ist beispielsweise ein Typ in die Fernsehsendung von Edwy Plenel gekommen, um dem Moderator, der mich für den darauffolgenden Tag zum Sender eingeladen hatte, zu sagen, dass das absolut nicht zu akzeptieren sei. Ich habe das Video gesehen, die waren kurz davor, aufeinander loszugehen. Das Klima ist sehr angespannt. Deshalb sind die Beurteilungen auch banaler. Ich habe keiner-lei Hoffnung, dass sich das wieder von selbst einrenkt. Wirklich gar keine.

1514

Page 9: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

Ich habe mit anderen darüber gesprochen, warum die Wahr­nehmung in Deutschland und Frankreich so unterschiedlich ist und unter anderem wurde gesagt, das läge an Deutsch­lands Vergangenheit. Man nehme hierzulande Schriftsteller eben nur als Schriftsteller wahr. Die schreiben Bücher, man diskutiert dann über die Bücher und nimmt sie nur als Künst­ler wahr, anders als in Frankreich, wo es den Universalintel­lektuellen gibt, der auf allen Ebenen in Erscheinung tritt, auf der künstlerischen, der politischen, der soziologischen, in TV Shows und alles, was er sagt, erfährt je nach Kontext die unterschiedlichsten Deutungen…

Es gibt eine Entwicklung, die im Grunde recht alarmierend ist. Nur ein Detail, das jedoch relativ bedeutsam ist. In meinem Buch gibt es einen Senegalesen, der ist Wächter an einer Universität. Und diese Romanfigur stellt sich die Frage, ob sie vielleicht besser zum Islam übergetreten wäre. Dazu hat mir der Lektor gesagt, dass 80% der Senegalesen Moslems seien. Er hat das als Einwand vorgebracht. Doch meine Romanfigur weiß das nicht. Mich selbst hat das auch überrascht. Das Beispiel zeigt aber, dass der Roman wie eine Dokumentation verstanden wird. Und das ist neu in Frankreich und wirklich deprimierend. Da schreibt man, dass jegliche Ähnlichkeit mit real lebenden Personen rein zufällig ist, aber keiner glaubt es. Man glaubt nicht mehr, dass es Romane gibt. Der Sinn für Fiktion ist verloren gegangen. Das ist wirklich neu, denn beim letzten Buch hatte der Lektor die Fakten nicht so strikt überprüft, so als handle es sich dabei um reale Fakten. Verstehen Sie? Man tat so, als hätte ich eine Dokumentation verfasst, nicht aber eine Fiktion.

Hätten Sie sich dieselbe Romanhandlung auch für Deutsch­land vorstellen können?

Nein, nein… das liegt letztlich an der besonderen politi-schen Situation in Frankreich mit dem Front National. Zudem beruht die Geschichte auf einer merkwürdigen Hypothese, die aber dennoch durchaus denkbar wäre, nämlich die der Wiederwahl von François Hollande im Jahre 2017. Das fühlt sich natürlich nicht gut an, das wäre ja auch nicht plausibel: Ein Land, das noch stärker nach rechts abdriftet, während der Präsident von der Linken gestellt wird. Dadurch käme es zu einer Beschleunigung von Entwicklungen, in denen ein Bürgerkrieg keimt. Also meine Hypothese basiert auf dem Grundgedanken, dass bestimmte Leute vom Front National, von der Rechten des Front National, darüber verzweifeln, dass es dem Front gar nichts nützt, die meisten Stimmen zu erringen, dass sie über Wahlen nichts bewerkstelligen kön-nen und deshalb zu Waffen greifen. Das sind Dinge, die man für Frankreich nicht ausschließen kann, die scheinen mir für Deutschland aber ziemlich weit hergeholt. In Frankreich sitzen wir diesbezüglich in einer politischen Falle, aus der wir derzeit keinerlei Ausweg sehen.

Glauben Sie, dass es dafür eine Lösung gäbe?

Nein, ich wüsste ich nicht wie, dafür sehe ich ganz und gar keine Lösung.

Vielleicht wäre der moderate Islam, so wie Sie ihn in Ihrem Buch beschrieben haben, letztlich das Allerschönste... Ja, aber im Moment sehe ich wirklich keine Lösung. Jetzt rede ich ja von der realen Zukunft, so wie ich sie für am wahrschein-lichsten halte. Das Problem der politischen Falle wird sich in den kommenden Jahren eher weiter verschärfen. Die Entste-hung einer großen muslimischen Partei wird letztlich schwierig sein, denn die Moslems in Frankreich, vielleicht anders als in Deutschland, die sind absolut nicht homogen. Es gibt sehr unterschiedliche Bewegungen, die aus unterschiedlichen Ländern stammen und die verstehen sich untereinander nicht immer gut. Derzeit stellt das noch das größte Hindernis dar. Aber das kann sich vielleicht mit einem sehr geschickten, begabten Politiker noch zurechtrücken.

Ja, einen wie Ben Abbès, der vielleicht so etwas wie die Figur des Jahrhunderts ist. Ich finde sie sehr interessant und musste auch über den Vergleich zwischen ihm und François Bayrou, seinem Premierminister, lachen. Für Bayrou verwenden Sie sogar ein deutsches Wortes, Hanswurst, um ihn zu beschreiben. Abbès dagegen ist eine große napoleonische Figur…

Ja, in der Tat, Napoleon. Es gibt ein Gerücht, dem zufolge Napoleon in Ägypten zum Islam übergetreten ist. Das wäre ihm jedenfalls durchaus zuzutrauen gewesen. Wenn er den Eindruck hatte, dass ihm etwas bei seinen militärischen Vorhaben weiter-bringen könnte, hat er sich auf keinen Fall einschüchtern lassen..

Der Islam erscheint in Ihrem Buch als eine Religion, die relativ pragmatisch ist und Macht ausübt. Durch die Islamisierung wird auf eine bestimmte Art Ordnung geschaffen in einem Land, das gespalten ist. Das ist durchaus plausibel.

Nun, es gibt durchaus auch mystische islamische Strömungen.Aber mehr als im Christentum geht es im Islam auch um die soziale und die politische Ordnung. In diesem Sinne ist der Islam pragmatisch. In anderer Hinsicht ist diese Religion aber alles andere als pragmatisch: sie hat keine Autorität, was ein großer Nachteil ist. Das öffnet extremistischen Auslegungen Tür und Tor, denn es gibt keine übergeordnete Autorität wie den Papst, der Fehltritte bestrafen würde.

Mit der letzten Frage komme ich noch einmal zum Anfang Ihres Schreibens. Was hat Sie zum Schreiben dieses Buches bewegt? Was war Ihre ursprüngliche Motivation?

Das waren die ersten Seiten… Ich konnte mir den Protagonisten François gut vorstellen. Eine Person, die sich für Huysmans interessiert und ihm sein Leben widmet. Ich konnte sein Studentenleben äußerst zügig runterschreiben, und das gefiel mir. Dann habe ich mehrere Monate lang nicht weiter-geschrieben. Meine ursprüngliche Idee war, François zum Katholizismus übertreten zu lassen. Daraus hätte auch ein sehr amüsantes Buch entstehen können. Denn wenn er sich zum Katholizismus bekehrt und dabei aus denselben ästheti-schen Beweggründen heraus wie Huysmans gehandelt hätte,

1716

Page 10: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

dann wäre er wahrscheinlich sehr enttäuscht worden. Schon bei Huysmans wird manchmal langatmig erklärt, dass ein Ritus nicht so, sondern ganz anders auszuüben wäre, dass man auf keinen Fall so, sondern vielmehr so singen solle. Der Roman wäre dann zu einer amüsanten Auseinandersetzung darüber geworden, dass der Katholizismus, so wie François ihn sich als Leser von Huysmans vorstellt, den Vergleich mit dem realen Katholizismus aushalten muss, der doch stark vom Protes-tantismus beeinflusst worden ist. Das war am Anfang mein Vorhaben. Deshalb sollte der Roman auch erst »Konversion« und nicht »Unterwerfung« heißen.

Mit Blick auf Ihr gesamtes Werk habe ich den Eindruck, dass es auch hier um die Geschichte des Untergangs des westlichen Modells geht.

Ja, ja, das stimmt für »Elementarteilchen«, für »Plattform«, für »Die Möglichkeit einer Insel«, das stimmt auch für »Karte und Gebiet«. Immer geht es um Dinge, die nicht mehr funktionieren und um Fluchtversuche. Und das gilt auch für »Unterwerfung«.

18

Page 11: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

Der verliebte Meister einer fiktiven Herausforderung Bestätigt weder noch leugnet er in seinem unsichtbaren Zentrum Er schafft Bedeutung, macht jede Zukunft möglich Er errichtet, gestattet ein positives Schicksal.

Spüre in deinen Organen das Leben des Lichts!Atme umsichtig, genussvollDer Mittelweg ist da, ergänzend zur Handlung,Er ist das dem Innersten der Materie eingeschriebene Phantom

Ist die Schnittmenge der emotionalen Vielfachen In einem unsagbaren, bläulichen Kern der Leere Ist die Huldigung der absoluten Klarheit Die Wurzel der Liebe, das wahrnehmende Herz.

Le maître énamouré en un défi fictif N'affirme ni ne nie en son centre invisible Il signifie, rendant tous les futurs possibles Il établit, permet un destin positif.

Ressens dans tes organes la vie de la lumière! Respire avec prudence, avec délectation La voie médiane est là, complément de l'action, C'est le fantôme inscrit au cœur de la matière

Et c'est l'intersection des multiples émotifs Dans un noyau de vide indicible et bleuté C'est l'hommage rendu à l'absolue clarté La racine de l'amour, le cœur aperceptif.

Page 12: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im
Page 13: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

Die Nacht ist nicht vorbei, Und die Nacht steht in Flammen Wo ist das Paradies? Wo sind die Götter hin?

La nuit n'est pas finie Et la nuit est en feu Où est le paradis? Où sont passés les dieux?

Page 14: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

Wenn die Nacht sich zerteilt zu verlangsamten Vögeln Und die Tage keinerlei Alternative mehr bieten Muss man aufhören zu leben, ohne Verzug und ohne Lärm Das Nichts bietet uns relativen Frieden

Es sei denn, man stellte sich vor, dass wir weiterleben Weiterleben ohne Bewusstsein, dass unsere idiotischen Atome Redundant und rund wie Kugeln beim Lotto Sich neu zusammensetzen wie die Seiten eines Buches

Das ein Arschloch schreibt Und das Schwachköpfe lesen.

Quand la nuit se découpe en oiseaux ralentis Que les jours n'offrent plus aucune alternative Il faut cesser de vivre, sans retard et sans bruit Le néant nous propose une paix relative

A moins d'imaginer que nous allons revivre Revivre sans conscience, que nos atomes idiots Répétitifs et ronds comme des billes de loto Vont se recombiner comme les pages d'un livre

Écrit par un salaud Et lu par des crétins.

Page 15: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

VolksfeindeMichel Houellebecq aus: Ein Schlagabtausch mit Bernard-Henri Lévy

Nihilist, Reaktionär, Zyniker, Rassist und verabscheuungswür-diger Frauenfeind: Es wäre für mich zu viel der Ehre, wenn man mich der wenig appetitlichen Familie der rechten Anarchis-ten zuordnen würde; eigentlich bin ich nichts weiter als ein Spießer. Als stilloser Autor platter Bücher bin ich nur durch eine Reihe unwahrscheinlicher geschmacklicher Fehlurteile zu literarischer Berühmtheit gelangt, die verwirrte Kritiker vor einigen Jahren abgegeben haben. Glücklicherweise ist man meiner kurzatmigen Provokationen seither überdrüssig geworden.Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen 47. Geburtstag. Mir fehlten nur noch wenige Meter bis zum Berggipfel, und ich ver-mochte mir ungefähr vorzustellen, woraus der lange Abstieg besteht, der den zweiten Lebensabschnitt bildet: aus dem alterungsbedingten zunehmenden Verfall und schließlich dem Tod. Mehrmals drängte sich mir, so unwillkürlich wie bohrend, der Gedanke auf, dass mich nichts dazu zwingt, diesen zweiten Abschnitt zu leben; dass ich ohne weiteres das Recht hätte, ihn zu schwänzen. Ich habe es nicht getan, und ich habe den Abstieg in Angriff genommen. Nach einigen Monaten begriff ich, dass ich dabei war, in einen unsicheren Bereich ohne fes-ten Grund vorzudringen, und dass es Geduld brauchte, um dort wieder herauszukommen. Ich spürte ein (mal kürzeres, mal längeres) Nachlassen des Wunsches, Missfallen zu erregen, den ich gegenüber der Welt hegte. Es ist mir unangenehm, es zugeben zu müssen, aber ich empfand immer häufiger den Wunsch, geliebt zu werden. Wie ein Sportler oder Sänger ein-fach nur von allen geliebt zu werden, in einen verwunschenen Raum ohne Anschuldigungen, Sticheleien oder Auseinander-

setzungen einzudringen. Wenn ich nur ein wenig nachdachte, wurde mir natürlich jedes Mal klar, wie absurd dieser Traum war; das Leben ist begrenzt und Vergebung unmöglich. Doch das Nachdenken änderte nichts daran, dass der Wunsch fort-bestand – und ich muss zugeben, dass er bis jetzt fortbesteht.Mein Wunsch zu missfallen kaschiert einen unsinnigen Wunsch zu gefallen. Doch ich möchte gefallen, „wie ich bin“, ohne zu verführen, ohne das zu verbergen, was an mir schänd-lich sein mag. Es mag durchaus vor gekommen sein, dass ich mich der Provokation hingegeben habe; das bedauere ich, denn es entspricht nicht meinem tiefsten inneren Wesen. Ich nenne denjenigen einen Provokateur, der, unabhängig davon, was er denken oder sein mag, auf den Satz oder die Haltung spekuliert, die bei seinem Gesprächspartner ein Höchstmaß an Missfallen oder Verlegenheit hervorruft; und der dann das Ergebnis seiner Berechnung planmäßig anwendet. Viele Hu-moristen der zurückliegenden Jahrzehnte waren bemerkens-werte Provokateure.Im Gegensatz dazu ist mir eine Art perverse Aufrichtigkeit zu eigen: Beharrlich und verbissen suche ich danach, was ich Schl echtes an mir haben könnte, um es dann dem Publikum ganz aufgeregt vor die Füße zu legen – so wie ein Terrier sei-nem Herrchen einen Hasen oder einen Pantoffel vor die Füße legt. Ich tue das nicht, um irgendeine Form von Erlösung zu erfahren; allein die Vorstellung ist mir fremd. Ich möchte nicht trotz des Schlechten an mir geliebt werden, sondern aufgrund dieses Schlechten. Ich gehe sogar so weit, mir zu wünschen, dass das, was ich Schlechtes an mir habe, genau das ist, was man an mir mag.

2928

Page 16: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

EpilogWer verdient: das ewige Leben? Bernard Maris

Erzählt Houellebecq von der Wirtschaft?Nein, werden Sie sagen. Und Sie haben recht. Wie jeder große Schriftsteller erzählt er davon, wovon alle Dichter oder Ro-manautoren erzählen, seit es Worte beziehungsweise Schrift gibt. So wie Homer in der »Ilias«, wie Ronsard in seiner »Ode à Cassandre« oder Proust in »Auf der Suche nach der verlore-nen Zeit« spricht er von der Unumkehrbarkeit der Zeit. „Wenn es nun aber auch nur einen einzigen Gedanken gibt, der alle meine Romane durchzieht – sodass man fast von einer Obses-sion sprechen kann –, dann ist es wohl der von der absoluten Unumkehrbarkeit jedes Verfallsprozesses, der einmal einge-setzt hat.“Die liberale Wirtschaft dagegen basiert, ebenso wie die newtonsche Mechanik, auf dem Postulat der Nichtexistenz des Zeitpfeils, das heißt auf der Umkehrbarkeit der Zeit. Die Preise steigen, doch das Gesetz von Angebot und Nachfrage lässt sie wieder fallen. Die Arbeitslosenzahl steigt, doch die Absenkung der Löhne lässt sie wieder sinken und so weiter. Am Ende kommt alles immer wieder in Ordnung. Die Ressour-cen gehen zu Ende? Die Produktivität wird das Problem lösen. Die Gattungen verschwinden? Der Mensch erschafft neue.

Alles mündet letztlich in ein Gleichgewicht, so wie auch die Kugel, die man in eine Schale wirft, sich nach einigen Auf- und Abbewegungen, die dem Spiel von Angebot und Nachfrage entsprechen, zum Stillstand kommt.Houellebecq erzählt also von der Wirtschaft, indem er den Ökonomen widerspricht, für die ein wie auch immer gearteter Verfall oder eine Unumkehrbarkeit nicht vorstellbar sind. Das leere Gerede vom Ende der Geschichte eines Fukuyama oder von der Reproduktion eines Bourdieu nötigt ihm ein müdes Lächeln ab. Die Entropie betrifft die menschliche Spezies selbst, die mit ihrer Zivilisation den Prozess des Verfalls und der zunehmenden Unordnung eingeleitet hat. Und sie betrifft natürlich den Kapitalismus.Mit dem Altern erlebt jeder Einzelne seinen ganz persönlichen Verfallsprozess. Es gibt keine zweite Chance. Was vorbei ist, ist für immer vorbei. Das Leben serviert einem die Speisen nicht zweimal.Ist dieser Verfallsprozess der Ursprung der Gemeinheit und des Bösen, das die Männer in die Welt getragen haben? Ohne jeden Zweifel. Es sind die Frauen, die die Gewalt, die Qualen, die Schläge erleiden, so wie alle Schwachen, so wie auch Bruno, der kleine Internatsschüler in »Elementarteilchen«, der in seinem Schlafsaal die Quälereien durch die kleinen Nazis und das abscheuliche Gelächter der Peiniger ertragen muss. Hohngelächter und Zynismus sind die Zitzen unserer Zivilisa-tion.Diese Welt, unsere Welt versinkt im Schrecken und in Unord-nung, trotz der stetig steigenden Lebenserwartung – dieser Augenwischerei, die lediglich die verkorksten Leben in die

Länge zieht und damit den Antifaltencremes vergleichbar ist, die vorgeblich die Falten auseinanderziehen. Werdet immer zahlreicher, häuft immer mehr an, lebt länger, trödelt auf dieser Erde herum! Am Ende eures Verfallsprozesses werdet ihr doch wieder zu Elementarteilchen werden. Houellebecq erklärt unmissverständlich, dass er es geradezu als eine Art Mission empfindet, den Zustand unserer Welt zu beschreiben: „Ich habe immer schon die Poesie bevorzugt, ich habe es immer verabscheut, Geschichten zu erzählen. Allerdings habe ich hier von Anfang an eine Art Verpflichtung gespürt: Ich war aufgefordert, die Phänomene zu retten.“Gewiss, auch im Kapitalismus gibt es Momente des Friedens, und unser Dichter ist froh, dass er in einer vorübergehend befriedeten Welt lebt, in der für ihn der Verzicht auf physische Gewalt als allgemein anerkannter Grundsatz bei der Regelung von Konflikten einer der wenigen Vorteile des Übergangs ins Erwachsenenalter zu sein scheint. Ein Glück für die Sanftmüti-gen. Ein Glück für die Schwachen. Ein Glück für diejenigen, die Nietzsche als „Menschen des Ressentiments“ oder „Anhän-ger der Sklavenmoral“ bezeichnete, für die ein Mensch, der sich als Gott ausgab, das Martyrium der Sklaven erlitt, die Kreuzigung.Aber Michel Houellebecq ist kein Christ, weil man nicht ver-geben kann. Der Hass der anderen, seiner Mutter, der Folter-knechte im Schlafsaal, des Jungen, der mit dem Mädchen tanzt, das er begehrt, das Leiden, die Tränen waren ewige Brandmale und der Nährboden seiner Poesie. Die Unmenschen haben ihn gelehrt, sich selbst ebenso wenig zu lieben wie das Leben. „Lernen, Dichter zu werden, heißt verlernen zu leben.“

Der Kapitalismus verspricht das ewige Leben. Das hatte Keynes, der einzige Wirtschaftswissenschaftler, dessen Name es verdient, in Erinnerung zu bleiben, ganz genau begriffen, denn für ihn besaßen Kunst und Literatur einen höheren Stellenwert als alles andere, insbesondere als die Unterneh-mer, die er gern verspottete („Sie waren nicht dazu in der Lage, Künstler zu werden“).Der Kapitalismus richtet sich an Kinder, deren Unersättlichkeit, deren Verlangen nach ungebremstem Konsum einhergehen mit der Verneinung des Todes. Aus genau diesem Grund ist er morbide. Die ungezügelte Gier nach Geld, die nichts anderes ist als der Wunsch, die Zeit zu verlängern, ist kindlich und schädlich zugleich. Sie lässt uns das wahre Begehren verges-sen, das einzige verehrungswürdige Begehren, das Begehren nach Liebe. So wie Midas, dem, da alles, was er berührte, sich in Gold verwandelte, der Tod durch Verhungern und Ver-dursten drohte, richtet auch die einzig auf Konsum bedachte Führungskraft die Welt zugrunde, indem sie sich bereichern will.Die Käufer, die sich selbst für unsterblich halten, die sich verjüngen möchten, indem sie konsumieren, und die im Tinnef ertrinken, haben in Houellebecqs Romanen die Rolle des Chors inne: Sie sind das „gedämpfte Geräusch der sozialen Beziehungen“ im Ozean, in dem sich Tisserand, Bruno, Michel, Daniel, Jed und so weiter und vor allem Annabelle, Olga, Valérie und so weiter bewegen.„Sie sah nach unten, sie sah recht“, lässt Céline eine der Personen in »Tod auf Kredit« sagen. Bei Houellebecq geht es um das Leben auf Kredit, und die Verzweiflung seiner Figuren

3130

Page 17: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

steht derjenigen der Figuren des verdrehten Arztes aus Meu-don in nichts nach.Durch die menschenleeren Straßen von Rouen ziehen Jugend-banden, deren Mitglieder Analphabeten, unsympathisch und durchaus gewalttätig sind, während sich in den Aufzügen in La Défense gestresste, hektische, unglückliche und trotz ihrer Excel-Tabellen völlig ahnungslose Führungskräfte drängen, die ihren Unternehmen, ihren Chefs und ihren Bezügen treu erge-ben sind; am Fuße der im Sonnenlicht glänzenden Gebäude der Geschäftsviertel liefern sich Stadtstreicher Schlägereien; alte Männer kaufen junge Geschlechter, während Jugend-liche einen noch jüngeren Jugendlichen peinigen und eine Hippie-Frau ihren Sprössling in seinen Exkrementen zugrunde gehen lässt; »Snuff-Filme« zeigen Akte von unbeschreiblicher Grausamkeit, die sich Teilnehmer von Sexorgien ansehen; und diese ekelerregende Welt bemäntelt sich mit Begriffen der Ökonomie: Wachstum, Wettbewerb, Handel, Exporte. ... Was für ein Mumpitz!Traut euch zu sehen, was ihr seid: kleine, wohlgenährte Skla-ven. Traut euch zu sehen, in welches Verderben euer Weg euch führt. Wie die Schweine in der Bibel stürzt ihr euch im Wett-bewerb den Abgrund hinunter. Traut euch, euren kollektiven Selbstmord zu sehen! „Habt keine Furcht vor dem Glück, denn das gibt es nicht.“ Es sei denn... Ja, es sein denn, bei dem Wort „Liebe“ gehen euch die Augen auf.Ach was! Um euch zu erniedrigen, wurden Pornofilme, Swinger-clubs und FKK-Anlagen erfunden. Nichts, rein gar nichts wird euch retten.

Euer Leben ist nicht mehr wert als ein Wurf Katzen, der ersäuft werden soll.Nein. Ihr öffnet eure Augen nicht. Ihr werdet niemals den Staub der Zahlen, der Werbung, der Sprüche wegwischen, der euch daran hindert zu sehen, was ist, zumal ihr eure Augen nicht einmal mehr zu öffnen vermögt. Ihr seid wie die bedauerns-werten Pferde, denen man das Augenlicht nahm, bevor man sie unter Tage brachte.Und das ist gut so. Auf den Abraumhalden gedeiht die Vegeta-tion...

32

Page 18: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

Bibliografie

Michel Houellebecq wurde 1958 geboren. Seine Bücher werden in über vierzig Ländern veröffentlicht.

Ausweitung der Kampfzone, Wagenbach Verlag Berlin 1999Die Welt als Supermarkt. Interventionen, DuMont Verlag Köln 1999Elementarteilchen, DuMont Verlag Köln 1999Suche nach Glück. Gedichte. Französisch-Deutsch, DuMont Verlag Köln 2000 Lanzarote. Erzählung, DuMont Verlag Köln 2000Gegen die Welt, gegen das Leben. H. P. Lovecraft, DuMont Verlag Köln 2002Der Sinn des Kampfes. Gedichte. Französisch-Deutsch, DuMont Verlag Köln 2001Wiedergeburt. Gedichte. Französisch-Deutsch, DuMont Verlag Köln 2001Plattform, DuMont Verlag Köln 2002Die Möglichkeit einer Insel, DuMont Verlag Köln 2005Lebendig bleiben, DuMont Verlag Köln 2006Volksfeinde. Ein Schlagabtausch (mit Bernard-Henri Lévy), DuMont Verlag Köln 2009 Ich habe einen Traum. Neue Interventionen, DuMont Verlag Köln 2010 Karte und Gebiet, DuMont Verlag Köln 2011. Ausgezeichnet mit dem »Prix Goncourt«.Gestalt des letzten Ufers. Gedichte. Französisch-Deutsch, DuMont Verlag Köln 2014 Unterwerfung, DuMont Verlag Köln 2015

Nachweise

Texte: Zitat Houellebecq aus einem Gespräch mit Silvain Bourmeau, www.welt.de/literarischewelt/article135972657Michel Houellebecq, »Gestalt des letzten Ufers«, Gedichte. DuMont Buchverlag Köln 2014Michel Houellebecq in »Volksfeinde – ein Schlagabtausch« mit Bernard-Henri Lévy, DuMont Buchverlag Köln 2009Bernard Maris »Michel Houellebecq, Ökonom.« DuMont Buchverlag Köln 2015Zitat Rückseite, Michel Houellebecq, »Lebendig bleiben. Leitfaden« DuMont Buchverlag Köln 2006

Die in der Inszenierung verwendeten Chansons »Présence humaine« (rezitierte Poesie) von Michel Houellebecq sind einem Album mit Arrangements von Bertrand Burgalat entnommen. Veröffentlicht im April 2000 bei Tricatel.

Bilder:Probenfotos von Klaus Lefebvre

Für das Make-Up der Darsteller werden Produkte von verwendet.

Folgen Sie uns auf Twitter: @schauspielHHaus

Impressum: Neue Schauspielhaus GmbH V.i.S.d.P: Geschäftsführung: Intendantin Karin Beier, Kfm. Direktor Peter F. Raddatz / Redaktion: Rita Thiele, Bastian Lomsché / Konzept: velvet.ch / Gestaltung: Julian Regenstein / Druck: Langebartels & Jürgens GmbH

34

Page 19: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Unterwerfung€¦ · Michel Houellebecq erzählt in »Unterwerfung« von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in sehr naher Zukunft. Paris im

52

Der Dichter ist ein heiliger Parasit; ähnlich wie die Skarabäen des alten Ägypten kann er auf dem Körper reicher und in Verwesung befindlicher Gesellschaften gedeihen. Aber er hat auch seinen Platz im Herzen von Gesellschaften, die asketisch und stark sind.