7/27/2019 Diels, Hermann_Ueber Anaximanders Kosmos_1897_AGPh, 10, 1-4, Pp. 228-237
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XL
lieber Anaximanders Kosmos.V on
H. IMels.
F r die Frage nach der A bh ngigkeit o der Un abh ngigkeit d ergriechischen astronomischen Wissenschaft vo m Orient, als sie im
6. Jahrh. sich aus dem Nebel phantast ischer Kosmologien abzu-scheiden und selbst ndig zu entwickeln begann, kommt haupt-s chlich A n a x i m a n d e r in Betracht. De n n vo n Thaies gab es nurwenige un d we nig zuverl ssige K un d e. Erst A nax ima nd ers Schrift ,vermutlich das erste Prosabuch Griechenlands, gab Aristoteles un dTheophras t die M glichkeit, A uthentisches zu berichten. Da nachTheophrast s ich wahrscheinl ich Niemand die M he genommen hat ,
die noch halb poetisch gefassten Formeln des Milesiers selbst zuentziffern, so sind die Excerpte aus den Φυσικών δ ό ξ α ι nebenAristoteles die einzige Quelle. D an ach ist das kosmische SystemA n ax i m an d e r s in K rze folgendes.
D ie Sonne erhebt sich nich t , wie die kindl iche Anschauungbi sher angenommen hatte, m orgens aus dem M eere , um abendswieder darin zu vers inken, sondern sie beschreibt eine vollst n-dige Kreisbahn, deren e ine H lfte uns freilich unsichtbar bleibt.Erzeugt wird diese constante Kreisbewegung ( ά ί δ ι ο ς κίνησις) durchein grosses rotirendes Rad
1) oder v ielmehr e inen Radkranz, d er
L) Diese Vors tel lung is t wol altarisch. D as S o nne nr a d k e h r t bei den
Kelten, G e r m a n e n un d Indern wieder . S. Oldenburg , Rel . d . Y e d a 88.
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Ueber Anaximanders Kosmos. 229
aus krystallisirter, durchsichtiger Luf t oder D u f t (αήρ) gebildet ist.A n der inneren Seito des Radkranzes bricht wie eine Speiche die
Sonnenflamme hervor» Es ist dies die durch ein Loch des Radeswie durch das Mundst ck eines Blasebalges (πρηστήρ) hinausge-triebene Feuerluft, die sich beim Austritt entz ndet Unterhaltenwird diese Feuerluft durch" die vom Meere aufsteigenden Schwa-den. Verstopft sich das L och , so entsteht eine Sonnenfinsternis.Aehnlich ist die Bahn des Mondes und der brigen Gestirne zudenken. Auch die Phasen des Mondes erkl ren sich durch ganze
oder teilweise Verstopfung der Radoffnung.Nach unsern etwas kurzen Berichten ist die Stellung dieser
Kranze so eingerichtet, dass die Sonne den grossten Kreis be-schreibt, also im Zenith am h chsten unter allen Gestirnen steht,
dann der M o n d , und in einem dritten Kreis (wir wissen leidernichts genaueres) Fixsterne und Planeten angeordnet sind
2). Es
kann wol keinem Zweifel unterl iegen, dass die Helligkeit desFeuers zu dieser Rang ordnung die V eranlassung gab. D enn ur-spr nglich umgab die Erde eine zusammenh ngende Waberlohe,welche alles umfasste wie die Rinde den -Baum, nach seinemeigenen Ausdrucke. Dann zerriss diese R inde und das Feuer wardin die einzelnen Ringe eingeschlossen. So ist es begreiflich, dassder dem ursprungl ichen umschliessenden Firmamente am n chsten
stehende H imm elsk rper am meisten seine urspr ngliche Feuer-n a tu r bewahrt hat, also am hellsten erscheint, und hnliche Er-w gungen linden sich auch bei Sp teren z. B. Parmenides wieder.D ie geistreiche Hypothese von Gomperz , die A nor dnu ng der Ge-stirne aus der Fliehkraft zu erkl ren
3), kann ich mir nicht zu
^ W e n n AetiusII,
15,5 in dem C.περί
της των αστέρων φ οράςχ α ΐ
χινή-σα ος genau spricht: *Αναςί^αν$ρος & ζ ό των χ ά χ λ ω ν χ α ΐ τω ν σφαιρών εφ* ων
!χ23τχ £ifo*t φίρισθαι, dur f te man annehmen, dass die Fixsterne nicht jedereinzelne »einen Ring, sondern zusammen ihre σφαίρα ha t t e n , die gleichsamal* unteres festes, aber durchsichtiges Gew lbe, Himmel und Erde, τ ά ς ι ς und<rra;te pythagoreisch geredet , schied. D ann ko nnt en natur l ic h Fixsterne undPlane t en (wenn er ?on diesen gesprochen) nicht in einer Bahn liegen.
*) G r. De n ke r L 44: « D e r Feuerkrcis aber sollte einst geborsten sein,sicherlich durch Abscbleuderungeo, deren Annahme an die Laplace-Kant'scbe
Theorie erinnert. D as W alten der Fliehkraft konnte unser Weiser im Spiel
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230 H.
eigen machen, da diese Vorstellung wol auf die Theorie des 5. JahrL,
die Gestirne als ausgeschleuderte glühende Massen ( ) anzu-
sehen, passen w ürd e, nicht aber auf die ätherischen aus Feuer und
Luf t gebildeten Kränze des Anaximander und Parmenides.
M an sieht in diesem System der 'Gestirnringe unschwer die
erste4), wenn auch noch unvollkommene Andeutung der geocen-
irischen Sphärontheorie, welche die Astronomie des Altertums und
Mittelalters beherrscht hat, und man ist in der Regel der Meinung,
dass Anaximander zu dieser für seine Zeit grossartigen Anschauung
auf Grund seiner mathematischen Studien gekommen sei. In der
That, wer sich die Richtung der ionischen Schule von Thaies bis
Pythagoras vor Augen hält und dazu nimmt, dass Anaximander
den Gnornon angewandt und die erste Erdkarte gezeichnet hat,
w as er nur mit speculativer Zusammenfassung der nautisch-astro-
nomischen Einzel-Erfahrung seiner Landsleute zu Wege bringen
k o n n t e , der sieht, dass. die Mathematik hierbei die Lehrmeisterin
gewesen ist. W en n man nun aber hierfür besonders die Distanz-zahlen geltend macht, die er seinen Himmelsringen geliehen hatte,
und begierig nach der mathematischen Erklärung dieser geheimnis-
vollen Arithmetik forscht, so ist man, glaube ich, auf einem Irrwege.
Gerade jene Zahlen scheinen m ir vielmehr dafür zu sprechen,
dass diese junge ionische Wissenschaft noch sehr stark in dem
mystisch-poetischen Zauber befangen w ar , den sie selbst durch
ihren Rationalisinus zu zerstreuen versuchte.Ich will die mannigfachen Notizen der Theophrastischen Ex-
cerpte üb er die Grosse des Sonnen- und M ondrin ges nicht im Ein-
zelnen discutiren. Die Hauptsache ist:
der Kinder, sowohl als in der kriegerischen Verwendung von Schleudersteinen
beobachten. Hierbei musste er wahrnehmen, dass der am Ende eines Seils
befindliche um herg eschle uderte Stein eine um so grossere Zugkraft ausübt, jegrösser und schwerer er ist. Augenscheinlich darum nahm er an, dass die
grosse Sonnenmasse am weitesten abgeschleudert worden sei , ihr zunächst
sich die geringere Mondmasse, der Erde als dem Weltmittelpunkte aber am
nächsten die kleinen Gestirne befinden, d.h. die Planeten sowohl als die
Fixsterne".4) Plinius VII. 203 sphaerarn in ea (astrologia), Miksius Anax imander (ad-
iecit).
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Ueber Anaximanders Kosmos. 231
1) Der SonnenriDg (κύκλος) ist 28mal so gross als die Erde.Aet . II. 20,1.
2) Dio Sonne selbst ist so gross wie die Erde. Ihr Ri ngaber, von dem s ie ausstr m t (d. h. d ie innere K r m m u n g desRadkranzes), ist 27 mal so gross als die Erde. Aet II. 21,1.
3) Der Mondring ist 19inal so gross als die Erde. Aet. II,
25, 1.
4) Das n. 2 entsprechende Capitel ber die Grosse des M on-des enthalt nichts ber Anaximander .
5) Der Sonnenring ist 27 m al so gross als der M ond . Hippo-lytus (c. G. 560,4).
W as zun chst den letzten Zeugen angeht, der eine recht guteEpi tome benutzt hat , so k a n n sein nur in jungen Handschr i f tenerhaltener Text, der έπτακαιεικοσαπλασίονα τ ης σελήνη; gibt, nichtgegen Act ius aufkommen , de r i n zwei verschiedenen Capiteln und
beidemale durch zwei bis drei Zeugen (Plutarch, Theodoret , Sto-baeus) die Lesart της γης verb rgt So scheidet also n. 5 aus. D iesonderbare Abweichung aber , die zwischen n. l und 2 in der Zahlvorliegt, ist doch wohl m it Recht so erkl rt worden, dass Anaximan-der die Zahl 28 angab, wo er die ussere Peripherie des Sonnen-kranzes meinte, 27 dagegen, wo es sich um den eigentlichen Ortder Sonne , das Feuerloch hande l t , aus dem sie wie aus dem
Schwalche herausgeblasen wird. Erg nzen wir nun danach dieentsprechende zuf llig in der Ueberlieferung ausgefallene Notiz
ber den Mond (n. 4 oben), so wird der innere Radkranz 18 malso gross sein als die Erde. M an hat also unter diesen Zahlen dielichte Weite dieser Reifen zu verstehen. In anderen Worten , derDurchmesser des inneren Sonnenreifes ist gleich 27 Erddurch-
me^sern, der des Mondes gleich 18 Erddurchmessern. Erg nzenwir nach diesem Verh ltnis die dritte der Erde zun chst stehendeSph re, die der Fixsterne (und Planeten?), so ergibt sich ein har-monischer Abstand von 9 Erddurchmessern5). We n n nun der
* ) VgK Xeub user, A n a x i m a n d e r (Bonn 1883) 396 ff . P. T a n n e r y , PourrbUto i r e de Ja Science Hellene (Paris 1887) S* 91, B u r n e t , Early G r. Fhi lo-*opby (Lcnd. 1892) S. 70.
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232 H. D i o l s ,
Sonnenk ranz aussen 28, i nnen 27, der Mondkranz aussen 19, innen
18 Erddurchmesser enthäl t , so ist die Breite dieser Ringe auf
e inen Erdrad ius zu veranschlagen. Vortrefflich st immt nun mi t
diesen .Proportionen, dass Anaximander die Erde, die er als eine
flache Walze (wie von e iner Säulentrommel) betrachtet, Y 3s°
hoch als breit sein lässt; s, Plut. Strom. 2 (579,12).
Wer diese Zahlen überbl ickt , kann unmöglich der Ansicht
sein, dass das ernsthafte, durch den Augenschein nahe gelegte, oder
gar durch geometrische Constructionen gewonnene Abmessungen
der Gestirnentfernungen darstellen sollen. W er daran festhält,
wird wie Zeller (225) au sführt, ga nz and ere M aasse für den Sonnen-
abstand und wie mich dünkt , auch für den Mondabstand erwarten.
In Wirklichkeit is t diese ganze Zahlenspeculation nur eine
dichter ische V eranschaulichung, de ren Eleme nte w ir , we nn ich
nicht ir re , noch nachweisen können. Die voranaxirnandrisdie Kos-
mologie unterscheidet — das ist der wesentliche Differenzpunkt — *
nur oben und unten. Ueber der Erde wö lbt sich der Himm el,unter der Erde der Tartaros. In der Ilias Anf. droht Zeus
j eden ungehorsamen Got t in den nebligen Tartaros zu werfen, der
so tief unter dem Tiefsten der Erde (dem Aides) liegt, wie der
Himmel über der Oberfläche. Also die Erde bildet wie natürlich
den gegebenen Mit te lpunkt , von dem aus die Abmessung erfolgt.
Genauere Maasse gibt die Speculation des boeotischen Sängers
(Theog. 722): Ne un Nächte und Tage w ür de ein ehern er Ambossbrauchen , w e n n er vom Himme l zu r Er de fiele, und wiederum
neun Nächte und Tage, wenn er von da in den Tar ta ros kommen
wo llte. M an sieht die Nqunzah l steckt hier eine ung efäh re Zahl
ab. Die heil ige Neun is t .eine Verstärkung der uralten heiligen
D reizahl. D ie Abm essu ng besagt also nicht viel m eh r, a ls wenn
die Inder drei V ischnuschlitte vo n der E rde zum Himm el rechnen.
W en n die Dreizahl die erste ru n de Zahl einer urältesten Cultur-
stufe ist, welche nur drei Quantitäten Singular , Dual und Plural
zu unterscheiden pflegte und alles über 3 Hinausgehende m it der-
selben Zahl der Unendlichkeit belegte6), wie die Späteren dafür
6) Dies scheint Aristoteles bei se iner Erklärung der heil igen Dreizahl de
caelo A 1. 268a
16 vorgeschwebt zu haben.
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Ueber Anaxitoanders Kosmos . 233
das Hu nder t , das Tausend, die Myriade erfanden, so begreift sich
der uralle und weitverbreitete Cultus der Dreizahl und ihrer Viel-
fachen, der Neun und der 27.Dieser Cult findet sich am ausgeprägtesten bei den Ariern und
zwar ohne Ausnahme allen, von den Kelten bis zu den Indern,
m it Vorliebe überall an den Totencult , dann überhaupt an chtho-
nisch-agrarische Ceremonien angeknüpft.V on den Ariern haben die Finnen und Tataren diesen Cult
überno m m en und m it besonderer Energie ausgebildet, ebenso dio
Etrusker , nicht aber die Semiten, die mit der 6 und 7 Zahlahnl iche Gedanken verbanden1)· Ob die Aegyptischen Enneaden 8)selbständig sind oder mit der arischen Cultur zusammenhängen ,
weiss ich nicht zu sagen. D er ganze Gegenstand ist weder demMateriale noch der wissenschaftlichen Bearbeitung nach bisher an-nähernd erschöpfend dargestellt und bedarf dringend einer zu-
sammenfassenden cultur- und religionsgeschichtlichen W ürd igu ng ,Wie eng nun aber religiöse Anschauung und Ceremonie m it
der Kosmologie zusammenhängt , was man in der Regel bei derkosmologischen Lit teratur der Hellenen zu leicht vergisst, weil
diese dem homerischen Epos entsprechend das eigentlich Religiöse
zu verwischen pflegt, das zeigt noch in greller Deutlichkeit dasfinnische Epos Kalewala , das noch jetzt die Nähte deut l ich auf-
zeigt , m it den en die uralten Zau berspruche und kosmologischenSpeculationen m it heroischer Action verbunden sind, das zeigt vorallem das Schamanen tu rn , das ursprungl ich bei allen östlichen
Zweigen der ural-altaischen Völkerfamilie verbreitet war, jetzt aber
nur noch bei den Tungusen blüht*). D as religiöse Drama, dasder Schamane d. h. der durch Gebur t der Zaubererkaste angehörige
Beschwörer auf führ t , hat zwei verschiedene Zielpu nkte. En tw ederführ t die Exsta.se den Schamanen in den Himmel oder zur Hölle.
~ ) Ueber die 3 und 9 TgL meine Sibyll. Blätter S. 4L Robde, P*yche 213.Spiege l , Er. Altert. II. 191. Kaegi, Xeun*ahl bei d. Ostariern Philol Ablt.
/ Schwittr-Sidltr yew. Zur . 1891. Leist, Altar. Ju* g. S « 270. Finnen: Castran/T«» iVÄ« U j f t h . 147 u. öfter». Etrusker t. b. Plin. 2,182. S. Wolff l in , Archiv
f. L Ltxic. IX 353. Usener xu Tbeodosios S. 135.·} Vgl. M A * j x ? r o fon* Je* lUKyiom* X V I I I . 25 3 u. X I X .^ ) R*iloff f Au* Sibirien II, 3 ff .
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234 H. D i e l s ,
D ie verschiedenen Stadien dieser Himmels- und H öllenfahrt sind
in jen en dramatisch vorg efüh rten Visionen m it grosser Anschau-
l ichkeit entwickelt und so erfahren wir, dass über der Erde in17 Schichten das Reich des Lichtes sich ausdehnt, während unter
der Erde in neun Schichten das Reich der Finsternis sich dehnt,
wo Erlik der Urmensch als verstossener Titane haust
D ie Aufgabe des Schamanen besteht nun darin, in seiner
Himmelfahrt eine Schicht nach der ändern zu durchbrechen und
so möglichst hoch vorzudringen, um von dort die Wahrheit, die
Orakel zu holen, um dere ntwillen de r D ienst des Zauberers be-gehrt w ird. Ebenso bei der H öllenfahrt, welche den Zweck hat,
die noch im H ause irrende Seele eines V erstorbenen in der Unter-
welt richtig abzuliefern. Bei der strengen Anwendung der hei-
ligen Neun im Schamanenritus ist es klar, dass der Kosmos von
oben nach unten in 3 9 Schichten geteilt wird. Die Er$e wird
noch der oberen Schicht zugerechnet und bildet die erste Etappe
des Lichtreiches, dann folgen zu im m er höhe rem Lichte steigend17 Himmelsschichten
10). Auf der höchsten thront der allergütigste
Himmelsgott Kaira Kan. Unter der Erde beginnt der Tartarus in
neun Schichten11
).
Es ist unmöglich, die grosse Aehnlichkeit dieser kosmologischen
Anschauung mit der Anaximanders zu verkennen und doch wird
es Niemand einfallen wollen, uralte Beziehungen zwischen den
Zauberern am Altai und de m Physiker in Milet zu ersinnen. D ie
kritiklose Ableitung occidentalischer Weisheit aus dem Orient, die
seit Creuzer i m m e r und immer wieder auftaucht, wird durch die
sich ausbreitende M ethod e der vergleichenden Religionswissenschaft
von selbst im m er seltener w erd en , je me hr man in die Genesis der
Ideen eindringt und in die Urgedanken der Menschheit sich psycho-
logisch vertieft. N iem and wird die Völker , welche der absurden
10) Aus dieser Verwendung ist dann erst die typische Geltung der 17
(17 Chane) abgeleitet.n) W e n n daneben auch 7 Schichten v o rk o m m e n , so ist semit ischer Ein-
fluss klar , da sowohl der Islam als das Christentum in neuerer Zeit ober-
flächlich eingewirkt haben. Schon in der babylonisch-assyrischen Höllenfahrt
der Istar k o m m e n die 7 Stationen der Un terwelt vor.
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Ueber Anaxitnanders Kosmos. 235
Sitte der Couvade huldigen, in eine historische Verbindung bringenwollen, Niemand wi rd das Nirwana des Buddha aus dem gleich-zeitigen Pessimismus der Orphiker herleiten, Niemand wird umge-kehrt den Heralditischen Logos auf das Tao des etwa 100 Jahre
fr her lebenden Laotse, das allerdings die allergr sste Aehnlichkei tzeigt, beziehen oder diesen wiederum aus dem Brahmanentum ab-leiten wollen. Da die menschliche Seele berall gleich ist und
berall hnliche Culturentwickelungen eintreten m ssen, so ist dasZusammentref fen hnlicher oder identischer Ideen das normale .
Historische Beziehungen d rfen daher nur da vermutet werden, wosie auch sonst im Z usam m enhan ge nachweisbar s ind.
In unserem Falle hat es gar nichts verwunderliches, dass in
dem Jahrhunder t der Myst ik, das ein vision res Schamanentumauch bei den Hellenen zu vorher und nachher n ie wieder erlebterBluthe gebracht ha t , hnliche kosmologische Phantasien i n An-kn pfung an die hesiodischen R u d im en te ausgebilde t w orden s ind.A ls dann An a x ima n d er aus wissenschaftlichen G r nden seinen ro-t i renden Kosmos aufgestell t hatte, verband sich ihm die poetischeSchichtung der kosmologischen Volksvors te l lung zu einer Himm els-karte
12), die genau so aus Wahrheit und Dichtung zusammenge-
setzt ist wie seine Erdkarte, die der alles umkreisende Okeanoseinschloss, deren M it te lp un kt der heilige Nabel in Delphoi bildete
18).
W as Simplicius vom Stil des A u a x i m a n d e r sagt m it R ck-sicht auf die orphische Lehre von der Strafe, die der Einzelne f rsein egoistisches Heraustreten aus der Gesammthe i t zu zahlenhabe, ττ ο ιτ ,τιχωτε ο ο ις ο ύ τ ω ς £νόμ«ιν αυτά λέγω ν , das gilt von dergesammten Speculation dieser Zeit. Das *Ατ:ειρο ν selbst ist einurpoet ischer Gedanke, wie ihn der jugendliche Schiller in seiner
Weltenfahr t („Die Grosse der Welt14
) ahnlich getr umt hat Dil-
they sagt (in seiner Einl . in die Geistesw. 184) von diesem Hinein*ragen der mythischen Vorstellungen in die Principien der altenPhys ike r , sie enthielten gleichsam die Fussspuren der Gotter inihrem Wirken. Das bezieht sich aber nicht blos auf die G tter-
15) S. die Slizze auf der beigef gten Tafel.
") Agalhem. I 2 (G. M, II. 471,10)* Berger, Guck. d. n, Erdk. l 85.
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236 H. D i e l s ,
kraf t , welche Thaies und seine Nachfolger dem Ür-Wasser und
den anderen Principien geliehen haben, es bezieht sich nicht blos
auf das Erbteil überkommener Anschauung, welche die ionische
Historie mit dem ionischen Epos gemein hat, sondern noch mehr
auf die damals ganz moderne mystische Sphäre, an der die
Religion wie die Wissenschaft des 6. Jahrh. gleichmässig ge-sogen hat.
Eines hat diese religiös-poetische Mystik der Hellenen vor
den oft zum Verwechsein ähnlichen Gestaltungen der anderen N a-
tionen voraus, das Moment der Schönheit. Der Begriff
selbst entspringt einer ästhetischen Anschauung. Wer die Himmels-
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Ueber Anaximanders K o sm o s . 237
karte des Anaximander betrachtet , vrird an Schillers Worte er-
innert, m it denen er das Erwachen der hellenischen Wissenschaft•
in den Künstlern feiert (284ff.)·*In selbstgefälliger, jugendlicher Freude
Leiht er den Sphären seine Harmonie,
U nd preiset er das Weltgebäude,
So prangt es durch die Symmetrie.
In der That hat die poetische Abmessung der Anax iman-
drischen Sphären vielleicht mehr wert als die bewundernswürd igen
exacteren Berechnungen des Aristarch von Samos. Dem Dichter-Philosophen ist aufgegangen, was den wissenschaftlichen Ast ronomen
des Alter tums verborgen blieb, dass der Kosmos durch ein Gesetz
zusammengehalten wird, das sich in symmetrischen Zahlen-Verhält-
nissen anschaulich darstellt. An die somnia Pythagorea hat Coper-
nicus bew usst angeknöpft und A n a x i m a n d e r steht dein Kosmos K epp-
ler's näher als Hipparch und Ptolemaios. Die hellenische Wissenschafthat eben m eines Erachtens da rum so ausnahmsweise viel geleistet,
weil sie auch der Phantasie in der Wissenschaft ihr Recht gab:
W as w ir als Schönheit hier empfunden,
Wird einst als Wahrhei t uns entgegengehn.
A r r U i r C . Ct*ctici»t« u. PbilowpMe, X. . \"
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