DIPLOMARBEIT
Titel der Diplomarbeit
„Thomas Bernhard und die Komödie.Die Untersuchung von Schock und Komik in den Dramen
Die Macht der Gewohnheit, Immanuel Kant und Der Theatermacher.“
Verfasserin
Daniela Riedl, B.A.
angestrebter akademischer Grad
Magistra der Philosophie (Mag.phil.)
Wien, 2013
Studienkennzahl: A 332
Studienrichtung: Deutsche Philologie
Betreuer: Ao. Univ.-Prof. Dr. Franz M. Eybl
Danksagung
Die prekären Umstände, die die Abfassung der vorliegenden Diplomarbeit bis zum
Ende hin begleitet haben, machten es nicht immer leicht nach vorne zu blicken.
Deshalb gilt besonderer Dank meinen Eltern, die mir meine ganze Studienzeit lang,
aber vor allem in dieser Phase voller Höhen und Tiefen, mit Rat und Tat zur Seite
standen und immer ein aufmunterndes Wort für mich hatten.
Bedanken möchte ich mich auch bei meinem Betreuer Prof. Dr. Franz Eybl, der mich
stets durch anregende Kommentare und Ideen unterstützte.
Vielen lieben Dank auch an Tamara und Raphael für den immerwährenden
emotionalen Beistand.
Daniela Riedl
Wien, 30. Jänner 2013
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung..................................................................................................................... 1
2. Begriffsdefinition..........................................................................................................5
2.2 Komik, eine Überblicksgeschichte...................................................................... 5
2.3 Das Absurde und das Theater.............................................................................. 9
2.4 Grotesk...............................................................................................................12
3. Theorie der Komödie..................................................................................................14
3.2 Gattungskonventionen....................................................................................... 14
3.3 Die Komödie im 20. Jahrhundert.......................................................................18
4. Die Komik – ein erklärbares Phänomen ?..................................................................23
4.2 Die objektiven Bedingungen der Komik........................................................... 27
4.3 Die subjektiven Bedingungen der Komik..........................................................30
4.3.1 Komische Sprachverwendung....................................................................33
5. Komik im ästhetischen Sinn.......................................................................................36
5.2 Komik und Schock............................................................................................ 39
6. Die Elemente des Schocks und der Komik in Thomas Bernhards Dramen
Die Macht der Gewohnheit, Immanuel Kant und Der Theatermacher .....................41
6.2 Die Wirkung des Schocks.................................................................................. 41
6.2.1 Drastik.........................................................................................................41
6.2.2 Verdichtung................................................................................................. 50
6.2.3 Ereignis....................................................................................................... 53
6.3 Die Wirkung der Komik..................................................................................... 58
6.3.1 Der Text als Bühne......................................................................................58
6.3.2 Theatralische Figuren..................................................................................59
6.3.3 Verfarcung................................................................................................... 61
6.3.4 Performatives Sprechen.............................................................................. 66
6.3.5 Paradoxien...................................................................................................71
7. Sind es Komödien ? ...................................................................................................75
7.2 Formale Kriterien................................................................................................76
7.3 Inhaltliche Kriterien............................................................................................80
8. Schlussbetrachtung..................................................................................................... 86
9. Bibliographie.............................................................................................................. 88
9.2 Primärliteratur.....................................................................................................88
9.3 Sekundärliteratur.................................................................................................88
9.4 Lexika................................................................................................................. 92
10. Anhang......................................................................................................................93
10.2 Abstract............................................................................................................. 93
10.3 Lebenslauf.........................................................................................................95
1. Einleitung
Die vorliegende Diplomarbeit befasst sich mit der Komik, der Komödie und Thomas
Bernhard – auf den ersten Blick drei unvereinbare Begriffe, die so unbedarft im selben
Satz genannt werden. Das mag wohl daran liegen, dass zwar immer mehr Aufarbeitung
im Sinne einer komischen Wirkung in den Texten Bernhards geschieht, die sich jedoch
erst sehr langsam hervorhebt und meist nicht das gesamte Werk betrifft. Die Rezeption
Thomas Bernhards, einer der „produktivsten und wohl erfolgreichsten zeitgenössischen
deutschsprachigen Bühnenautoren“1, stürzte sich in ihren Anfängen besonders auf „die
dunkle Seite“ des Autors.
Durch die nahezu durchgehende Etikettierung Thomas Bernhards als „Düstermann“ und als Dichter von Krankheit, Verfall, Zerstörung und Tod ist ein Werkverständnis in Umlauf geraten, das in seiner konsequenten Einseitigkeit zu klischeehafter Reduktion und Verzerrung geführt hat und wahrscheinlich dafür verantwortlich ist, daß die facettenreiche Dimension des Komischen im dramatischen Schaffen Bernhards in der Literaturkritik kaum Beachtung gefunden hat.2
Die Verarbeitung dieser negativ besetzten Themen kann in keinster Weise geleugnet
werden, aber durch die gezielte Anwendung komischer Elemente ergibt sich eine
Veränderung der bisher tristen Stimmung. In diesem Zusammenhang entsteht im Laufe
der Komik-Rezeption auch die fragwürdige Bezeichnungen Bernhards als „Humorist“,
der er allerdings nicht gerecht wird. Unter dem Bewusstsein dieser konträren
Auffassungen und Meinungen der Literatur, möchte ich mit dieser Arbeit einen
weiteren Zugang zur komischen Wirkung im Werk Bernhards eröffnen.
Der erste Teil beschäftigt sich mit den Begriffen der Komödie und der Komik, die
schon in ihrer genaueren Spezifizierung Probleme aufzeigen. Ein Überblick über die
Theorie der Komik soll zeigen, wie eine unterschiedliche Wahrnehmung der
Theoretiker diese von Beginn an prägt und somit auch die Schwierigkeit der weiteren
Verarbeitung bestimmt. Eine Abgrenzung zu den ähnlich eingesetzten Wörtern
1 Barthofer, Alfred: Vorliebe für die Komödie: Todesangst. Anmerkungen zum Komödienbegriff bei Thomas Bernhard. In: Linz. Adalbert-Stifter-Institut. Vierteljahresschrift. Jg 31. 1982. Folge ½. S.77.
2 Ebd. S.78
1
„absurd“ und „grotesk“ erscheint deshalb wichtig, da sie im allgemeinen
Sprachgebrauch oftmals als Synonyme verwendet werden, jedoch in ihrer Definition
grundlegend verschiedene Ansichten ausdrücken.
Weil die Komik sehr oft in Zusammenhang mit der Komödie genannt wird, und
dahingehend eine Verbindung bestehen muss, widmet sich das nächste Kapitel dieser
Untersuchung. Es setzt sich aus der Bestimmung der traditionellen Konventionen der
Gattung und ihrer Veränderungen im Zuge der Umbrüche des 20. Jahrhunderts
zusammen. Es wird sich zeigen, dass eine genaue Abgrenzung zu anderen Gattungen
schnell eine ungewollte Einschränkung bewirkt und dahingehend keine eindeutige
Definition sinnvoll ist.
Ähnlich verhält es sich mit der Bestimmung der Komik, bei der sich zu Beginn die
Ursachen und Gründe, warum und worüber wir lachen, der genaueren Betrachtung
unterziehen. Die präzise Erklärung der Komik bereitet deshalb solche Schwierigkeiten,
da sie eigentlich als ein vorliterarisches Phänomen existiert und sich von Mensch zu
Mensch, abhängig von Faktoren wie Alter, Kultur, Erziehung, Tradition und viele
andere, unterscheidet. Trotzdem bestimmt beispielsweise András Horn3 objektive und
subjektive Bedingungen der Komik, die als Voraussetzungen bestehen müssen, damit
Komik entsteht. Darauf bezieht sich das vierte Kapitel.
Einen Schritt weiter weg von der herkömmlichen Theorie wagt sich der nächste
Abschnitt der Arbeit, der die Komik als etwas Ästhetisches beschreibt. In der Reaktion
des betreffenden Subjekts auf die komische Wirkung äußert sich dieses ästhetische
Charakteristikum. Clara Ervedosa4 schafft hierbei mit ihrem Prinzip der Komik als
Schock einen Zugang, weshalb ihr Modell auch in der Analyse Verwendung findet.
Der zweite Teil der Arbeit befasst sich dann mit der Analyse der Schock- und Komik-
Elemente in Bernhards Dramen Die Macht der Gewohnheit, Immanuel Kant und Der
Theatermacher. Die Auswahl erfolgte auf Grund der Entstehungszeit der Werke,
weshalb jeweils eines der Früh-, Mittel- und Spätphase des Autors herangezogen
wurde. Dies dient am Schluss dem Überblick über Veränderungen oder sich
3 Horn, András: Das Komische im Spiegel der Literatur. Versuch einer systematischen Einführung. Würzburg: Königshausen & Neumann 1988.
4 Ervedosa, Clara:„Vor den Kopf stoßen“. Das Komische als Schock im Werk Thomas Bernhards. Bielefeld. Aisthesis Verlag 2008
2
wiederholender Muster im Schreiben des Autors. Die Analyse konzentriert sich auf die
besondere Wirkung der Dramen, die sie beim Rezipienten erzeugt und eben gerade
nicht auf den Sinn, der bisher immer wieder in der Sekundärliteratur versucht wurde zu
entschlüsseln. In den Werken gerät das Vertraute aus den Fugen, der Rezipienten soll
einen physischen Schock verspüren, gleich ob damit ein positiv oder ein negatives
Affekt gemeint ist. Wie man sich das vorstellen soll, veranschaulicht vielleicht
folgendes Zitat aus dem Interview Bernhards mit Kurt Hofmann:
Aber irgendwie, irgendwo ist da Abenteuer weg. Jetzt sucht man Ausflüchte und schreibt halt Stücke oder konstruiert eine Prosa, die die Leute langweilt, weil sie sagen: „Das ist mir zu blöd, drei Seiten ein Satz.“ Und das ist doch der Reiz, daß die dann sagen „bäääh“. Und das ist noch ein Reiz, daß man was macht, was die Leute ablehnen und ihnen Widerstände macht. Das ist vielleicht vergleichbar mit einem Kind, das immer in der Früh die Großmutter erschreckt und auch seinen Genuß hat. Vielleicht ist das ein Ersatz, weil das ja nicht mehr möglich ist. Als Kind, da war so ein Vorhang, vor einer kleinen Besenkammer, und da hab` ich mich hineingestellt, mit der Hand oben, und wenn meine Großmutter vorbeigegangen ist, habe ich die Hand herunterfallen lasse. Die ist zu Tode erschrocken, immer! Aber nicht jeden Tag. Wenn ich das Gefühl gehabt habe, jetzt hat sie die Sache vergessen, jetzt kann ich`s wieder machen, hat`s immer gewirkt. Und das kann man nicht mehr, ist ja auch keine Großmutter mehr da, aber dann sind`s eben solche Sachen. Oder daß jemand sagt: „Kommen Sie zu uns, lesen Sie vor“, und ich sag` nein. Da hab` ich meinen Mordsspaß. Da denk` ich mir zwar, Gott bist du blöd, das Geld, alles ist weg, aber der Spaß ist dann vielleicht noch größer.5
Diese Passage erscheint mir ein gutes Beispiel um die Wirkung der Dramen zu
erklären. Sie ähneln der Hand des Kindes und warten nur darauf, dem Publikum einen
Schock einzujagen. Der Zuschauer muss den Effekt spüren, und nicht versuchen, sich
mit der Literatur zu identifizieren. Dies soll aus der Analyse hervorgehen.
Das letzte Kapitel der Arbeit stellt dann noch die Frage, ob dieses wirkungsorientierte
Schreiben Bernhards einen neuen Zugang zur Gattungszugehörigkeit eröffnet. Der
oftmals zitierte Titel der Erzählung „Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?“ und
auch die verwirrenden Aussagen des Autors selbst über diese Abgrenzung, verursachen
in der Sekundärliteratur die Trennung zweier Fronten, ähnlich der Bezeichnung
Bernhards als „Düstermann“ oder eben als „Humorist“. Auch viele seiner Dramen
beziehen sich auf diese Opposition, wie der folgende Auszug aus Die Jagdgesellschaft
5 Hofmann, Kurt: Aus Gesprächen mit Thomas Bernhard. Erw. Ausg. Wien: DTV 1991. S.33
3
zeigt:
[…] Wie Sie das letztemal dagewesen sind / haben Sie gerade eine Komödie geschrieben / oder sagen wir besser etwas / das Sie selbst als eine Komödie bezeichnen / ich selbst empfinde nicht als Komödie / was Sie als Komödie bezeichnen / Eine Komödie ist ja doch ein ganz und gar feststehender Begriff / damit hat was Sie schreiben nichts zu tun (JG 236)6
Den Begriff der Tragödie behandelt die vorliegende Arbeit aber nicht und deshalb
möchte ich auch die Frage nach dieser in Bezug auf die Dramen nicht stellen. Im
letzten Kapitel soll regelrecht untersucht werden, ob auf Grund des erweiterten Blicks
hinsichtlich der Wirkung der Dramen eine Zugehörigkeit zur Gattung Komödie
möglich ist oder nicht. Besonderen Einfluss dabei nimmt die Theorie Bernhard
Greiners7, der die Komödie als Theatergeschehen erfasst.
Die Schlussbetrachtung schließt die Arbeit und gibt einen abschließenden Überblick
über die Ergebnisse der Analyse.
ANMERKUNG
Da auf Grund der Häufigkeit der Verwendung „Rezipient“ ermüdende Wiederholungen entstünden, werden die Begriffe „Leser“, „Zuschauer“ und „Publikum“ als Synonyme verwendet. Dies scheint mir auch angesichts der Behandlung der Werke als Theaterstücke begründet. Es ist also nicht zwingend nur der Leser des Dramas gemeint, sondern immer gleichzeitig auch der Zuschauer während der Theatervorstellung und umgekehrt.
Im Rahmen der Diplomarbeit sind sämtliche personenbezogene Bezeichnungen geschlechtsneutral zu verstehen, auch wenn aus Gründen der leichteren Lesbarkeit und Verständlichkeit die männliche Form verwendet wird.
Die Zitierweise der Primärliteratur im Text lehnt sich an die gängigen Abkürzungen der Sekundärliteratur an:
Die Macht der Gewohnheit – MdGImmanuel Kant – IKDer Theatermacher – TM
6 Bernhard, Thomas: Stücke 1. Ein Fest für Boris. Der Ignorant und der Wahnsinnige. Die Jagdgesellschaft. Die Macht der Gewohnheit. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988. S.236
7 Greiner, Bernhard: Die Komödie. Eine theatralische Sendung: Grundlagen und Interpretationen. 2.akt.u.erg. Aufl. Tübingen und Basel: Francke Vlg 2006.
4
2. Begriffsdefinition
2.2 Komik, eine Überblicksgeschichte
Komik, Komisch: Gegenstände, Ereignisse, Sachverhalten und Äußerungen, die Lachen verursachen; bzw. die Eigenschaft, die diese Wirkung erzeugt. […] Die Wörter komisch/Komik stammen vom griech. Κωμικός [komikós] „zum Lustspiel gehörig“, „scherzhaft“ ab, abgeleitet von κϖμοϛ [kómos] „Festzug“, „Gelage“ und später aus dem Griech. ins Lat. übernommen (comicus). In der uns geläufigen Bedeutung werden sie jedoch erst spät gebraucht […]. Im dt. Sprachgebrauch erhält das Wort seine allgemeine Bedeutung im 17. Jh unter dem Einfluß von frz . comique. Die Zuordnung entsprechender fremdsprachlicher Begriffe ist schwierig. Im Lateinischen wird das betreffende Phänomen etwa als ridiculum bezeichnet.8
Im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft durchzieht ein widersprüchlicher
Komikbegriff die Geschichte der Begriffserklärung. Das Lachen selbst signalisiert
einen Ausdruck der Freude, wobei der Gegenstand des Lachens meist negativ
konnotiert ist. Das historische Wörterbuch der Rhetorik stellt die Komik und Tragik in
Beziehung zueinander. Deren Gemeinsamkeit ist der auszutragende Konflikt, ihr
Unterschied liegt jedoch in der Auflösung, nämlich dem Lachen, anstatt des Weinens.
Die Komik scheint ein schwer erklärbares Phänomen zu sein, das schon lange die
Aufmerksamkeit der Theoretiker auf sich zieht und unter vielen unterschiedlichen
Aspekten untersucht wird. Einige Ansätze sollen hier kurz erläutert werden:
In der Antike, beginnend mit Platon, bestimmt dieser das Komische als etwas
Schlechtes. Durch seine Argumentation, dass Lachen auf Grund des Übels anderer
entsteht, wird die Komik zu einem moralisch bedenklichen Phänomen und
unterscheidet sich nicht von der Lächerlichkeit.
Der widersprüchlich erscheinende Zusammenhang zwischen dem Lachen und den Merkmalen des komischen Gegenstands läßt als eine Affirmation der moralischen Norm begreifen, die aus bedenklichen Motiven erfolgt, aber ebenso als eine heimliche Unterminierung der Geltung dieser Norm beschreiben. Damit zeichnet sich eine fundamentale Ambivalenz aller Komik ab, die man später als „Kipp-Phänomen“ analysieren wird.9
8 Fricke, Harald (Hrg): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 2 H-O. Berlin. New York Walter de Gruyter 2000. S.289.
9 Ebd. S.290.
5
Auch Aristoteles verbindet die Komik mit etwas Hässlichem, einem Fehler, der jedoch
keine Folgen trägt. Er meint damit stets die unschädliche Nachahmung des Hässlichen,
die auch wiederum die Lächerlichkeit mit der Komik verbindet. Andererseits erwähnt
er ihre nützliche Wirkung für die alltäglichen Mühen, die die Tugend dem Menschen
abverlangt und durch Spiel und Scherz aufgewogen werden können. Auch in der
Rhetorik soll sich der Redner der Komik bedienen, jedoch nicht als
Überzeugungsmittel, sondern um das Publikum für sich einzunehmen. Sie widerspricht
den Erwartungen oder durchbricht eine Norm, genauso erzeugt der Witz durch die
Erwartungsdurchbrechung einen Lerneffekt, der sogar Vergnügen bereitet. Zusätzlich
kann ein Witz einen Gegner beschädigen und durch Lachen seinen Ernst zunichte
machen oder zumindest in Frage stellen.
Cicero wiederum konzentriert sich in seiner Rhetorik auf die Darstellung der Komik.
Auch hier bleibt sie etwas Schändliches, wobei erst durch die Art und Weise wie sie
präsentiert wird, und das darf keinesfalls hässlich sein, der Mensch über sie lacht. Der
Redner brilliert durch seine rhetorischen Fähigkeiten, wenn er es schafft, Komik auf
eine nicht anstößige Weise zu erzeugen. Quintilian setzt genau hier ein, meint jedoch,
dass gerade durch die Schändlichkeit oder Hässlichkeit das Lachen erst hervorgerufen
wird.
Aus dem Mittelalter kennt man keine eigenständige Theorie der Komik und lehnt sich
deshalb weitgehend an die antiken Formen an. Zusätzlich dienen auch Überlieferungen
aus der Bibel als Tadel sich nicht zur Komik und gleichzeitig zum Lachen hinreißen zu
lassen, „da sich ein solcher Ausdruck der Freude für einen unerlösten Menschen nicht
zieme.“10 Im späteren Mittelalter stützt man sich teilweise auf die Theorie im Sinne
Aristoteles und rechtfertigt so die Komik als Erholung des Menschen.
In der Renaissance findet eine weitgehende Veränderung der Auffassung des
Komischen statt. Immer noch werden antike Vorbilder, wie Aristoteles, zur Theorie
herangezogen, jedoch positiviert beispielsweise Maggi den zuvor negativen
Gegenstand des Lachens.
Verwunderung wie Bewunderung lösen Dinge aus, die wir nicht verstehen und die deshalb dazu auffordern, ihnen auf den Grund zu gehen. Diese Wirkung
10 Fricke: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. S.291.
6
erklärt Maggi zum bestimmenden Merkmal alles Komischen. Komik geht mit dem novum einher, das einen Lerneffekt erzeugt und deshalb Freude auslöst. Anders als bei Aristoteles kommt eine solche novitas nicht mehr durch die Technik des Redners zustande, sondern bildet eine Eigenschaft des Komischen selbst.11
In weiterer Folge lässt sich nur mehr schwer eine einheitliche Tendenz über die
Theorien der Komik feststellen. „In der Aufklärung bis zum Ende des 19. Jahrhundert
beruht der Diskurs über das Komische im wesentlichen auf der Feststellung von
Kontrast und Inkongruenz“12, bei dem vor allem der von Hobbes geprägte Begriff der
Überlegenheits-Komik eine zentrale Rolle spielt. Es entsteht ein Glücksgefühl bei der
Wahrnehmung der Komik, die aus dem Vergleich mit sich selbst und dem Fehler des
anderen resultiert.
Gottscheds normative Regelästhetik ist Dreh- und Angelpunkt der deutschen Komik-
Theorien des 18. Jahrhunderts. Während er die Komödie als Nachahmung einer
lasterhaften Handlung bestimmt, möchte er die Figuren wie Hanswurst oder Arlequino
vollkommen von der Bühne verbannen. Die Komödie soll den Dichtern zu Nutze
werden, um den Menschen zu belehren.
Mit Schiller und im Zuge der Aufklärung richtet sich die Komödie vorrangig an
Vernunft und Gefühl. „Besonders Die Tugendlehre der Komödie behandelt das
Komische als didaktisches Instrument und mündet in eine „Komödie ohne Komik“, die
sich mehr durch Rührung als durch Gelächter auszeichnet.“13
Kant bezieht sich in seiner Kritik der Urteilskraft mehr auf den Affekt des Lachens, der
durch die Verwandlung einer gespannten Erwartung ins Nichts, ausgelöst wird. So
argumentiert er auch den Wortwitz, den er auf eine „enttäuschte Erwartung zurückführt,
die jedoch Erstaunen und damit einen lusterzeugenden Lerneffekt bewirkt“14. Bei Kant
steht nun nicht mehr die komische Wirkung im Vordergrund, sondern der wichtige
Ausgangspunkt der nachfolgenden Theorien ist die Physiologie. Das Vergnügen wird
laut Kant durch den Affekt ausgelöst, der das Zwerchfell bewegt und nicht durch den
intellektuellen Witz.
11 Fricke: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. S.291.12 Veding, Gert (Hrg): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd.: Hu-K. Tübingen: Niemeyer Verlag
1998. S.1168.13 Veding: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. S.1170.14 Fricke: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. S.292.
7
Weiters beschäftigte sich beispielsweise Schopenhauer mit der Komik, die durch die
Trennung eines Teils vom Ganzen entstehe. Die komische Situation ergibt sich durch
die paradoxe Subsumtion, egal ob diese durch Worte oder Taten hervorgerufen wird.
„Die plötzliche Reduktion grundverschiedener Objekte auf einen Begriff oder die
überraschende Unterordnung des Abstrakten unters Anschauliche offenbaren den
komischen Widerspruch.“15
Neues Interesse erweckt Bergson im 20. Jahrhundert mit seiner Theorie der Komik,
denn seiner Meinung nach beinhaltet Lachen eine soziale Funktion. Es ist ein Affekt,
der sich auf die menschliche Sphäre bezieht und sich an den Intellekt wendet. So muss
sich also in einer Gruppe jemand finden, dem alle Beteiligten ihre Aufmerksamkeit
schenken und gemeinsam ihren Intellekt spielen lassen, damit Komik entstehen kann.
Helmut Plessner lehnt sich an Bergsons Auffassung an, beschreibt jedoch Lachen und
auch das Weinen als einen Verlust der Beherrschung des Menschen. Der Mensch
verliert die Kontrolle über die Funktionen des Körpers und damit schwindet die
Harmonie zwischen ihm und seiner physischen Existenz.
In weiterer Folge werden die Komik-Theorien umfangreicher und erweitern sich um
Begriffe wie das Absurde oder auch das Groteske, deren Abgrenzung voneinander
immer wichtiger erscheint. Auch in dieser Arbeit soll noch auf diese Unterscheidung
näher eingegangen werden.
15 Veding: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. S.1171.
8
2.3 Das Absurde und das Theater
Im etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache von Kluge findet sich folgende
Erklärung für „absurd“: „Adj „widersinnig“ std. (16.Jh.). Entlehnt aus l. absurdus
(eigentlich „misstönend“), das zu einem lautmalerischen l. susurrus „Zischen“ gestellt
wird. Früher vor allem üblich in der Sprache von Philosophie und Logik (vlg. ad
absurdum führen).“16
Wenn widersprüchliche Meinungen oder Thesen ad absurdum geführt werden, wie es
in der Philosophie oft verwendet wird, heißt das nichts Anderes, als dass sie keinen
Sinn ergeben, weil sie unlogisch erscheinen. Es bedarf somit keiner weiteren
Untersuchung, man legt sie beiseite. Schwieriger erscheint jedoch die Verwendung des
Absurden in der Literatur und im Bereich des Theaters. Es sind nicht vorwiegend
Widersprüche, die unerklärt bleiben, sondern der Mensch selbst steht im Widerspruch
mit sich selbst und der Welt. Albert Camus charakterisiert in seinem Essai sur l
´absurde die Stellung des modernen Menschen als das Absurde, wodurch auch eine
neue philosophische Grundlage für das Theater entsteht. Entfremdung und
Sinnlosigkeit sind die zentralen Begriffe der absurden Weltsicht des Menschen. Seine
Existenz wird in Frage gestellt, sie erscheint absurd. Die Gründe des berechtigten
Daseins schwinden, denn dem Menschen fehlt der Schlüssel zur Sinnstiftung. Daraus
folgen die weiteren Themenschwerpunkte des Theaters, wie „Kommunikationslosigkeit
und Isolation, dadurch das Bewusstsein der Einsamkeit und des Verlusts der
Identität.“17 Die Auflösung der traditionellen Gattungsmuster ist ein weiteres
Charakteristikum des absurden Theaters, wodurch sich keine klaren Grenzen mehr,
beispielsweise zwischen Komik und Tragik, ziehen lassen. Das eine kann plötzlich in
das andere umschlagen, so ist gerade diese Kombination oder Vermischung aus beiden
ein wichtiges Merkmal des Absurden.
Wenn man von einer tragischen Komödie oder komischen Tragödie spricht […]
16 Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb.v. Elmar Seebold. 25.durchgesehene u. erw. Auflage. Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2011. S.10.
17 Platz-Waury, Elke: Drama und Theater. Eine Einführung. 5., vollst. überarb. u. erw. Aufl. Tübingen: Narr 1999. S.208.
9
kommt das nicht nur einer Sinnverwischung, sondern einer Sinnentleerung der traditionellen Gattungsbezeichnungen gleich, und damit wird auch ihre Verwendung widersprüchlich und sinnlos, also absurd.18
Die absurden Theaterstücke präsentieren den absurden Zustand der Welt szenisch,
erklären ihn aber nicht. Dadurch scheint es oft schwierig, solche Dramen zu deuten
oder zu entschlüsseln. Dem Publikum soll eine existentielle menschliche Situation vor
Augen geführt werden, das den Effekt erzielt, dass es sich mit seiner eigenen
Absurdität konfrontieren muss. Ähnlich, wie im vorigen Kapitel angeführt, erscheint
auch hier der Affekt des Lachens als die verstandene Absurdität. „Wenn die Zuschauer
die Absurdität des Lebens klar erkennen, werden sie in die Lage versetzt, die
Sinnlosigkeit zu bewältigen, indem sie darüber lachen.“19
Die absurde Existenz ist jedenfalls nicht in irgendeiner Form umkehrbar. Der
permanente Zustand dieser Sinnlosigkeit des Daseins bestimmt auch in gewisser Weise
die Handlungsstruktur. In den meisten absurden Dramen lässt sich keine Handlung als
solche, also kein plot, erkennen. „Die Handlungen der Figuren sind eine bunte Folge
von Aktivitäten.“20 Sie verfolgen kein Ziel, die Aktionen drehen sich im Kreis, wodurch
sich Wiederholungen ergeben, die wiederum zu keinem Schluss führen können. Dass
absurde Dramen meist nur aus ein oder zwei Akten bestehen, untermalt ebenfalls die
Unveränderlichkeit der Situation. Zeit und Ort lehnen sich an die klassizistischen
Regeln an, wodurch allerdings das Beklemmende und Unausweichliche der Situation,
in der sich die Figuren befinden, besonders deutlich präsentiert wird. So stimmt die
dargestellte Zeit mit der Aufführungszeit und der Darstellungszeit meist überein.
Den Dramatikern des Absurden stellt sich die paradoxe Aufgabe, Zeitlosigkeit durch eine Abfolge zeitlicher Abläufe bewußt zu machen, ebenso wie die Handlungslosigkeit durch die Sukzession von Einzelhandlungen verdeutlicht werden muß. Der Zeitbegriff wird jedoch sinnlos, wenn weder Vergangenheit, noch Gegenwart und Zukunft genau zu erfassen sind und die Zeit nur als Endzustand erfahren wird […].21
Die Figuren fungieren nur als Funktionshüllen, die wiederum auf die Sinnentleerung
des Daseins verweisen. Dies fängt bei den Allerweltsnamen oder auch nur kargen
18 Platz-Waury: Drama und Theater. S.210.19 Ebd. S.212.20 Ebd. S.214.21 Ebd. S.215.
10
Bezeichnungen, die auf ein eventuelles Geschlecht hinweisen können, an und erstreckt
sich bis hin zur fehlenden Persönlichkeit, die insgesamt gleichzeitig auf den Verlust der
Identität verweist. Mehr als agierende und sprechende Figuren darf sich das Publikum
nicht erwarten und sogar bei diesen zwei Phänomenen wird es kompliziert. Des
Weiteren charakterisiert die Unfähigkeit der Kommunikation oder auch die Sprachkrise
das absurde Theater. Die Sprache steht im Widerspruch zur Wirklichkeit und die
Wörter haben ihren Stellenwert verloren. Die Figuren sprechen aneinander vorbei
anstatt miteinander, oder geben unsinnige Wörter von sich. Sie können nicht auf die
andere Person reagieren und füllen die Leere des Daseins mit Unsinn. „Die Figurenrede
besteht meist aus mechanisch verwendeten klischeehaften Wendungen oder aus
Sprachspielereien, die weder mit den Sprechern noch der Situation etwas zu tun
haben.“22 Wiederholungen, Pausen oder unvollständige Sätze sind ein oft verwendetes
Zeichen für die Sinnlosigkeit der Sprache. Mit dem Schweigen gelangt das Drama an
das Ende seiner Entwicklung. Es bleibt nur mehr das Theater. Darüber hinaus können
Mimik und Gestik die Sprachkrise überwinden. Jegliche Ausdrücke des Körpers
übernehmen die Funktion der Sprache und vermitteln somit nun die Gefühle und
Sachverhalte. Die Gestik erfährt dabei eine starke Aufwertung und stellt sich über das
Wort. Alle Merkmale des absurden Dramas sollen ein beklemmendes Unbehagen im
Zuschauer auslösen, weswegen es auch mit einem Albtraum vergleichbar wird.
„Insofern als sich die absurden Dramatiker der Überzeichnung, Verzerrung und parodistischen Übertreibung zur Darstellung ihrer Weltsicht bedienen, ist ihr Drama „Deformationskunst“, weshalb ihre Werke immer wieder als grotesk charakterisiert wurden.“23
Auf das Groteske soll noch genauer eingegangen werden, denn auch hier ist es wichtig,
eine Unterscheidung zu treffen, da beide Begriffe in wesentlichen Punkten nicht
übereinstimmen. Vorweg genommen soll schon einmal werden, dass sich das Groteske
in gewisser Weise immer auf eine rational erklärbare Realität bezieht, während das
Absurde den Sinnzusammenhang schon a priori negiert. Das Absurde bezeichnet den
schon immer da gewesenen Zustand der Welt und ist nicht erst das durch den
Menschen produzierte Produkt.
22 Platz-Waury: Drama und Theater. S.218.23 Ebd. S.221.
11
2.4 Grotesk
Wie schon zuvor erwähnt, bezieht sich die Bezeichnung des Grotesken auf eine rational
erklärbare Realität. Man trifft damit eine Aussage über eine Beschaffenheit der
Wirklichkeit. Der Betrachter ist gleichzeitig entsetzt und belustigt über das, was er sieht
und kann das Gefühl daher auch schlecht einordnen.
Nicht eine Laune der Natur gilt uns grotesk, sondern solche Entstellung, die das Schreckliche und das Lächerliche auf die Spitze, zum unerträglichen Widerspruch treibt: die produzierte Entstellung des Menschen, die von Menschen verübte Unmenschlichkeit.24
Die Kombination oder Vermischung der Gefühle von Lachen und Grauen entsteht
durch die eigentliche Unvereinbarkeit der Vorstellung. Der Mensch bleibt nicht er
selbst, sondern wird zum Gegenstand. Die Entstellung wirkt lächerlich, somit belustigt
plötzlich das Entsetzliche. Es handelt sich hier nicht um etwas von der Natur
Gegebenes, sondern etwas wird künstlich produziert. Der Mensch fungiert als Produkt,
erscheint also als Sache, wodurch eine tiefgreifende Entfremdung entsteht. Obwohl das
Groteske vorerst immer abstoßend wirkt, fesselt es jedoch auf die Dauer und eröffnet
dem sich Schauernden einen neuen Zugang zur Weltsicht. Die Welt, in der sich der
Mensch befindet, wirkt allerdings unheimlich, weil er sich ihrer nicht bemächtigen
kann, sie nicht versteht und sich somit entfernt.
Ähnlich der Komik muss dem Publikum eine Erwartung angeboten werden, die es
annehmen kann, die schlussendlich jedoch gebrochen wird. Auch hier wirkt ein Werk
nur grotesk, wenn sich die Zuschauer diesen Erwartungen und ihrem Scheitern bewusst
werden. Es ist jedoch wichtig, dass das Werk weder zu wenig noch zu viel dem
entspricht, was man sich vorstellen kann, sonst erscheint es entweder harmlos oder
abstoßend.
Im grotesken Werk müssen Zerstörung und Erhaltung des Erwartungshorizontes in gespanntem Gleichgewicht stehen; nur so kann es die dem Grotesken oft zuerkannte Wirkung erzielen, anzuziehen und zugleich abzustoßen. Das bedeutet auch, daß die Form, die das Werk erwarten läßt, nie ganz, aber immer
24 Heidsieck, Arnold: Das Groteske und das Absurde im modernen Drama. 2. unv. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer Verlag 1971. S.17.
12
etwas zerstört sein muß: sie muß, paradox gesprochen, Form im geformten Zustand ihrer Auflösung sein.25
Hier lässt sich auch gut der Unterschied zum Absurden festhalten. Das groteske Werk
erscheint nämlich als Mittel zur Erfahrung, beispielsweise sozialer Missstände, das
absurde Werk an sich kann dies jedoch nicht zeigen, da es jeglichen Sinn negiert. Es
entstünde ein Widerspruch in sich selbst. „Im Grotesken wird etwas erfahren, es ist ein
Bewußtseinsvorgang, das Absurde dagegen wird selbst erfahren, es ist ein
Bewußtseinsinhalt.“26 Das Groteske also kritisiert oder greift einen bestimmten Sinn an,
jedoch kennzeichnet das Absurde gerade das Ausbleiben des Sinnes. Während das
Absurde das Publikum an einem Ort gefangen halten will, kann das Groteske es über
die dargestellte Welt hinaustreiben. Das Groteske erweist sich als realistisches
Gestaltungsprinzip, da es auf etwas Wirkliches verweist, nämlich auf den
Erwartungshorizont oder das, was sich diesem widersetzt. Grauen und Lachen
gleichzeitig sind fixer Bestandteil des Grotesken und haben auch den selben Grund
ihres Entstehens. Das Ich muss auf einen Angriff seiner Weltorientierung reagieren, das
sich auf unterschiedliche Weise, je nach eigener Haltung, äußern kann. Das Lachen
fungiert auch als eine Art Selbstschutz vor der Bedrohung und dem Grauen. Es wird
dadurch Distanz gewonnen, um das Grauen erträglich zu machen.
Die Verbindung dieser zwei gegensätzlichen Gefühle unterscheidet das Groteske von
dem Komischen. Aus diesem resultiert ein befreiendes Lachen, wenn der komische
Widerspruch gelöst wurde und der Rezipient sich in seiner gewohnten Weltordnung
wieder sicher fühlen kann. Genau diese Sicherheit, durch eine selbstverständliche
Situation ausgelöst, greift jedoch das Groteske an und Grauen mischt sich dem Lachen
bei. „Es kann nur dort auftreten, wo bisherige Weltorientierungen zerbrechen oder zu
zerbrechen beginnen und bekämpft werden, aber noch nicht durch neue ersetzt sind.“27
25 Pietzcker, Carl: Das Groteske. In: Das Groteske in der Dichtung. Hrg.v. Otto Best. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1980 (Wege der Forschung. Bd. CCCXCIV). S.88.
26 Ebd. S.92.27 Ebd. S.98.
13
3. Theorie der Komödie
3.2 Gattungskonventionen
Der Gattungsbegriff der Komödie ist ähnlich schwer zu behandeln wie die Geschichte
des Wortes komisch. Die Abgrenzung zu anderen Gattungen bewirkt schnell eine
ungewollte Einschränkung ihrer Ausdehnungsfähigkeiten, weshalb auch nur die
essentiellen Merkmale genannt werden sollen, die auch für die spätere Analyse wichtig
werden. Aristoteles, dessen Dramentheorie erst durch Brecht ihre Umwälzung erfährt,
bezieht sich in seiner Vorliebe für die ernste Dichtung nur auf die Definition der
Tragödie. Gleichermaßen verhält es sich auch mit späteren Ansätzen, die ihren
Schwerpunkt jedenfalls nicht in den humoristischen Dramen sehen. Dies hängt mit der
geringeren Wertigkeit des Lachens gegenüber den ernsten, sozialen Affekten
zusammen, die von der Tragödie erregt werden. So treten Komödie und Tragödie
oftmals als Gegensatzpaar auf, durch deren spezifische Details ihre Abgrenzung
erfolgt.
Im deutschsprachigen Raum findet man Begriffe wie „comedia“, „comedie“, „comedi“
ab dem 15. Jahrhundert, wobei im 16. Jahrhundert die Bezeichnung „comedia“ keine
gezielte Bedeutung einnimmt, sondern jede Art von Drama meint. „Das gute Ende“28
eines Stückes zählte als frühes Charakteristikum der Komödie, wobei damit auch im
moralischen Sinne der Tod eines Bösewichtes gemeint sein kann. Dadurch kommt es
vor, dass damals bezeichnete Komödien heute nicht mehr zu dieser Gattung zählen.
Andrea Bartl schlägt folgenden Versuch einer Definition von Komödie vor:
Die Komödie ist eine dramatische Gattung, deren Konflikte, Figuren, Form und Stil beim Leser bzw. Zuschauer maßgeblich komische Wirkung, Lachen, erzielen. Dem sind verschiedene formale wie inhaltliche Merkmale beigeordnet.29
28 Schulz, Georg-Michael: Einführung in die deutsche Komödie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007. S.10.
29 Bartl, Andrea: Die deutsche Komödie. Metamorphosen des Harlekin. Stuttgart: Reclam 2009. S.29.
14
Sie nennt weiters den niederen Stil und die volkstümliche Sprache als Merkmale der
Komödie und betont dabei, dass dies nicht die Artistik des Werks negiert, sondern die
breit gefächerten Möglichkeiten der Sprachverwendung aufzeigt.
Diese Gattung bewegt sich zwischen hoher Kunst und Volksfest, und viele Komödien meistern diesen Spagat auf innovative Weise. Davon zeugen die Integration unterschiedlichster Kunstformen wie Tanz, Akrobatik, Songs, Pantomime sowie Improvisationstheater und die sprichwörtliche Doppeldeutigkeit komödiantischen Sprechens.30
Die Form, in der sich jene Möglichkeiten präsentieren, setzt sich entweder aus einer
episodischen Reihung von Einzelszenen zusammen oder aus einem Drei-, manchmal
auch Fünfakter. Auch Mischformen können auftreten, bei denen die Wiederholung, von
der die Komik lebt, charakteristisch ist. „Die wiederkehrenden Einzelelemente
bestehen in gleichberechtigter Form oder ordnen sich in komplexer Vernetzung dem
Ende des Textes unter, das auf ein Ziel (eine Pointe oder eine Lösung der Verwicklung,
ein Happy End)“31 ausgerichtet ist.
Aristoteles und nachher auch Gottsched erheben zum wesentlichen Merkmal der
Komödie, dass diese nicht handlungsbestimmt ist. Viel mehr richtet sich das
Augenmerk auf Figuren und deren Fehler, die psychologisch wenig ausdifferenziert
sind. Die Komödie lebt von typisierten, festen Charakteren, wie beispielsweise dem
Harlekin. „Aus diesen Figuren und ihren Fehlern erwächst die komische Handlung
bzw. der komische Konflikt.“32 Dieser wird jedoch nicht vertieft oder zur Katastrophe
geführt, sowie das für die Tragödie bestimmend wäre, sondern durch die komische
Handlung aufgelöst. „Dem dienen Elemente der Verwechslung, des Zufalls oder der
komischen Intrige, des Rollentausches und Maskenspiels, der Verkehrung und
Vertauschung.“33 Topisch repräsentiert die Komödie damit die verkehrte Welt. Das
damit zusammenhängende Spiel zeigt hohe Relevanz in ihrer Bestimmung. Für Rainer
Warning34 ergibt sich eine Affinität von Spiel und Heiterkeit, die sich in der
Körperreaktion des Lachens äußert. Es gehe in der Spielsituation darum, das
30 Bartl: Die deutsche Komödie. S.29.31 Ebd. S.30.32 Ebd. S.31.33 Ebd. S.31.34 Warning, Rainer: Die Theorie der Komödie. In: Theorie der Komödie – Poetik der Komödie. Hrg.v.
Ralf Simon. Bielefeld: Aisthesis Verlag 2001. (Aisthesis Studienbuch. Bd.2).
15
Körperverhältnis gegenständlich zu machen und die innere Distanz zu erfahren. Die
verschiedenen Spielformen, wie
Verkleidungs-, Verkörperungs-, Maskierungsspiel, sodann Agon, also alle Formen spielerischen Wettstreits und dann Alea, d.h. Spiele, deren Ausgang nicht vom Spieler selbst abhängt und schließlich Ilinx, d.h. Traumspiele, Spiele, die abzielen auf lustvoll erfahrbare physische wie psychische Destabilisierung35
und ihre Kombinierbarkeit sind nach Warning Beleg für die Commedia dell´arte. Da,
wie zuvor schon erwähnt, die Figuren, aber auch das Handlungsgerüst, stereotyp sind,
entwickelt sich die Improvisation zum wesentlichen Bestandteil des Spiels. Immer
noch liegt der Schwerpunkt jedoch darauf, wie Rollen- und Handlungsvorgaben
ergriffen und verarbeitet werden.
In der Commedia dell´arte würde dann so etwas wie ein anthropologisches Substrat der Komödie greifbar, [womit] ein Spielbetrieb [gemeint ist], der elementare Struktur- und Rollenvorgaben in Dienst nimmt für ein „Spielen des Spiels“, für eine sich in die Darstellung mit einbringende Performanz. 36
Die Performanz erhält eine wichtige Rolle für die Frage der Funktion bei komplexeren
Formen der Komödie. Das durch den Text gestützte Spiel in der Komödie besetzt das
freie, improvisierte Spiel der Commedia dell´arte semantisch, womit die Bezugnahme
des Spiels zu einem sozialen Kontext gemeint ist. So können die Figuren
beispielsweise Repräsentanten des Bürgertums sein, deren familiäre, private Ordnung
durch den komischen Konflikt gestört wird. Die Varianten der Ausbreitung des
Konflikts nehmen unterschiedliche Größen ein. So betrifft die Erschütterung oftmals
nicht nur den familiären Raum, sondern überträgt sich auf größere Ordnungen der Welt.
„Die Themen beziehen sich auf die Gegenwart, gespeist mit unmittelbarer Aktualität,
und sind durch Gegensätze wie Ideal und Realität, Norm und Normverletzung,
Ordnung und Pervertierung der Ordnung bestimmt.“37 Wie die Antithesen aufgelöst
werden, ist von Text und Geschichte abhängig, wobei der durch das gute Ende
entstehende Hang zum Optimismus meist relativiert wird. Im Unterschied zur Tragödie
wird der Konflikt in der Komödie in Bezug auf seinen Verursacher und dessen
Umgebung als ein harmloser bestimmt. Diese Harmlosigkeit soll auf das Episodische
35 Warning: Die Theorie der Komödie. S.36.36 Ebd. S.36/37.37 Bartl: Die deutsche Komödie. S.31.
16
der komischen Handlung zielen.
Episodisch ist sie einmal in temporaler Hinsicht, d.h. sie erschöpft sich in der kurzen Zeitspanne des Aufbaus und der lachenden Beantwortung eines komischen Effekts, und episodisch ist sie sodann hinsichtlich der Konsequenzlosigkeit des komischen Fehlgriffs.38
Durch den episodischen Charakter entwickelt sich nur schwer eine umfassende
Komödienhandlung, woraus sich auch das Grundproblem vieler Komödientheorien
ergibt. Das Prinzip der Wiederholung und Reihung der komischen Handlung kann
somit als wichtiges formales Merkmal der Komödie bestimmt werden.
Die Komödien leben vielfach davon, dass sie Bezug auf bereits vorliegende Texte
nehmen. Sie variieren dadurch ein gängiges Repertoire „lustiger Figuren,
humoristischer Situationen und komischer Konflikte“39, wodurch beim Zuschauer ein
Wiedererkennen bekannter Muster und Strukturen eintritt. Das Vertraute erweckt beim
Publikum einen Lustgewinn und wird gleichzeitig in seinen Gewohnheiten bestärkt.
Durch das Neuarrangement gewisser Elemente entsteht aber auch eine Art
Verfremdung beim Zuschauer, die sich durch Irritation oder Lust am Neuen auswirken
kann.
Die Komödie arbeitet mit Mitteln der Verdichtung und Verschiebung. Sie verwendet vorgefundenes Material und kombiniert es neu, bis ein Effekt von Verschiebung und Widersinn entsteht. Er provoziert den Zuschauer, vom normalen Denken abzuweichen und einen Denkfehler (im Sinne des gesellschaftlich normierten Denkens) zuzulassen.40
Die Komödie verbindet die Begriffe delectare (erfreuen) und prodesse (nützen), wobei
es dem Dichter freigestellt bleibt, in welche Richtung sich das Drama gestaltet. Das
Gefühl der Distanz und Überlegenheit, das beim Publikum ausgelöst wird, kommt
sowohl der moralischen Belehrung und Gesellschaftskritik entgegen, dient aber durch
das ästhetische Spiel auch dem Selbstzweck der Erheiterung. Die Tendenzen schließen
einander nicht zwingend aus, sondern können auch nebeneinander bestehen.
Die Gegensätze von Geist und Körper finden in der Komödie ihre Bezugnahme.
Während der Intellekt durch ein artistisches Sprachspiel gereizt wird, erfasst die
38 Warning: Theorie der Komödie. S.39.39 Ebd. S.32.40 Freud, Sigmund: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. Frankfurt: Fischer 1970. S.9-219.
17
burleske Sinnlichkeit den Leib. Figuren wie der Harlekin unterstützen die dialogische
Interaktion mit dem Zuschauer. „In jedem Fall soll die Komödie befreiende Wirkung
erzielen; sie wird zum Medium des Druckausgleichs, das in der spielerisch erprobten
Subversion den Überdruck abzubauen sucht, der durch Repression von außen erzeugt
wird.“41 In der Komödie werden Hierarchien und bekannte Ordnungssysteme auf den
Kopf gestellt, wodurch sich dem Zuschauer Raum für verbotene Wünsche und
ausgefallene Gedankenexperimente eröffnet. Sie überschreitet damit verankerte
Grenzen, in denen statt schwarz-weiß Gegensätzen nur mehr Grauzonen existieren.
3.3 Die Komödie im 20. Jahrhundert
Im 20. Jahrhundert findet eine starke Veränderung der Gattung Komödie statt, man
könnte auch sagen, dass das Gattungsschema regelrecht zu einem Problem wird. Schon
mit dem Aufkommen des Begriffs des Lustspiels, der mit dem der Komödie nicht
ausdifferenziert wird, vermischen sich die „Gattungsbezeichnungen“ immer mehr,
anstatt sie klar voneinander abzugrenzen. Das 19. Jahrhundert bestimmt dann die
Komik als wesentlichen Bestandteil einer Komödie.
Vom Ende des 19. Jahrhunderts an treten dann jedoch Tragikomisches (nunmehr mit einem Ineinander, nicht nur Nebeneinander von komischen und tragischen Momenten) Absurdes, Grotesken – Letzteres meist mit satirischer Tendenz – in den Vordergrund und verdrängen nicht selten das Nur-Komische.42
Die Opposition Komödie/Tragödie verliert zunehmend an Bedeutung. Daraus ergibt
sich eine Aufwertung des Begriffes der Tragikomödie, den beispielsweise Karl
Guthke43 näher zu erklären und zu bestimmen versucht. Die eher dürftigen und im
41 Bartl: Die deutsche Komödie. S.36.42 Schulz: Einführung in die deutsche Komödie. S.77.43 Guthke, Karl S.: Geschichte und Poetik der deutschen Tragikomödie. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1961.
18
ernsten Ton geschriebenen Komödien in Deutschland sind für ihn ein Hinweis darauf,
wie es bei Gattungszuordnungen wie Komödie, Tragödie oder auch Lustspiel, keiner
genauen Unterscheidung mehr bedarf und erklärt so ihre Gleichsetzung. Die
Schwierigkeit, die sich des Weiteren daraus ergibt, ist eine einheitliche Definition der
Tragikomödien zu finden. Die Definition findet Karl Guthke nicht in der Opposition
der Komödie und Tragödie, sondern in ihren Gemeinsamkeiten.
[…] immer sind Tragödie und Komödie auf eine Ordnung bezogen. Und zwar handelt es sich in beiden Gattungen um die Störung einer solchen normhaften Ordnung durch ein Ungewöhnliches, oft durch den zentralen Helden, der sich in Auflehnung oder im Ausweichen über sie hinwegsetzen möchte; und hier wie dort behauptet sich schließlich die Ordnung als unerschütterliches Weltgesetz.44
Der Mensch steht also immer im Spannungsverhältnis zu einer politischen, religiösen,
sozialen oder ähnlichen Ordnung und muss in dieser alles umfassenden Welt einen
Konflikt, sei er harmlos (typisch für die Komödie) oder nicht (charakteristisch für die
Tragödie), austragen.
Die gattungsspezifischen Merkmale für die Komödie werden in Folge also weitgehend
aufgelöst und mit anderen vermischt, übrig bleibt jedoch neben dem auszutragenden
Konflikt auch das „Happyend“45.
Helmut Arntzen fasst die Problematik über die Veränderung des Gattungsbegriffes nach
der Romantik folgendermaßen zusammen:
1. Tragödie bzw. Trauerspiel unterscheiden sich von der Komödie dem Range nach, wobei mehr an eine Differenz der metaphysischen als der ästhetischen Qualität gedacht wird;
2. in der deutschen Literatur gibt es nur wenige auf längere Zeit lebendig gebliebene Komödien;
3. diese wenigen deutschen Komödien sind bei genauerer Prüfung in Wahrheit Tragödien oder Tragikomödien oder Dramen, die nicht näher zu charakterisieren sind.46
Weiters sagt er Folgendes über die Komödie: „Die problematische Situation des
Einzelnen wie der Gesellschaft macht auch die Komödie problematisch.“47 Der
44 Guthke: Geschichte und Poetik der deutschen Tragikomödie. S.1345 Vgl Begriff bei Kraft, Stephan: Zum Ende der Komödie. Eine Theoriegeschichte des Happyends.
Göttingen: Wallenstein Verlag 2011.46 Arntzen, Helmut: Die ernste Komödie. Das deutsche Lustspiel von Lessing bis Kleist. München:
Nymphenburger Verlagshandlung 1968. S.9.47 Ebd. S.19.
19
Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert ist vom historischen Aspekt betrachtet durch
gesellschaftliche Umbrüche geprägt, die auch die Veränderungen in der Literatur
erklären. Neue philosophische Konzepte, wie beispielsweise Nietzsches Wertnihilismus
oder Freuds Konzept der Tiefenpsychologie, erschüttern tradierte Sicherheiten und
feste Strukturen von Familie, Arbeit und Gesellschaft. Damit geht der „Zerfall der
Erkenntnissicherheit, Erfahrungswirklichkeit, aber auch des Ichs als Selbstbewusstsein
einher“.48 Dieser manifestiert sich in Strategien der Entgrenzung und
Desillusionierung49, die beispielsweise im literarischen Schaffen Arthur Schnitzlers ihre
Wirkung finden. Auch Hugo von Hofmannsthal setzt sich mit den Veränderungen
seiner Zeit auseinander und sieht im Unbewussten der Komödie den Zugang zum
Sozialen im Drama. So spiegeln sich die Neuerungen im Zeichen der Selbstzersetzung
wider und man versucht sich von den traditionellen Formen loszulösen.
„Wegen des anstehenden Endes der Geschichte der Klassenkämpfe, wegen der
Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts oder auch wegen der allgemein
dissoziierenden Entwicklung der Moderne“50 verliert die Tragödie ihre Funktionalität,
wodurch die Komödie wieder mehr in den Mittelpunkt rückt. Stephan Kraft nennt zwei
unterschiedliche Versuche im deutschsprachigen Raum, die Komödie als Ausweich-
oder Ersatzmodell zu verwenden, nämlich „eine an Karl Marx anschließende
Entwicklung einer sozialistischen Komödientheorie“51 mit Peter Hacks als Vertreter aus
der DDR und bei dem Schweizer Friedrich Dürrenmatt „eine genaue Umkehrung
dieses sozialistischen Geschichtsoptimismus“52, da nur mehr die Komödie einen
Umgang mit der Moderne und ihren Katastrophen ermöglicht.
Ein Paradigmenwechsel des Komischen, eine Um- und Aufwertung, macht sich vor allem im 20. Jahrhundert immer stärker bemerkbar: dessen Umschlag in Bitterkeit, Zynismus, dessen Grenzüberschreitung zur Parodie, Satire und Farce, zur Groteske und zur Tragik, mit der Tragikomödie als Paradigma.53
Die Komik zeichnet sich vor allem durch ihre Doppelbödigkeit und Ambivalenz aus,
48 Vgl. Greiner: Die Komödie. S.322.49 Ebd. S.322.50 Kraft, Stephan: Zum Ende der Komödie. S.379.51 Ebd. S.380.52 Ebd. S.380.53 Georgeta, Vancea: Humor und Komik in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. In: Vom
Scheitern. Hrg.v. Ralf Schnell. Stuttgart.Weimar: Metzler 2000. (LiLi. Jg. 30. Hf.119). S.143.
20
die durch die Brechung der Stimmung schnell sichtbar wird. Jedoch finden nicht mehr
Situations- und Charakterkomik ihre komische Verarbeitung im Drama, sondern
Darstellungsart und Gestaltungsprinzipien erlangen die neue Aufmerksamkeit. „Vor
allem Erzähl- und Sprachtechnik fungieren als Komiksignale und Mittel humoristischer
Wirkung.“54 Auch hier tritt nun wieder die Vermischung der komischen und tragischen
Elemente in den Vordergrund, womit auch Lachen und Grauen ineinandergreifen und
das provokative Kontrastmoment potenzieren. Die Themen beziehen sich jedoch auch
auf Gewalt und Schrecken und die Bereiche des Ernsten und der Unterhaltung sind
kaum noch zu trennen. Umso mehr wirkt das Lachen anstößiger, bizarrer, gleichzeitig
aber auch wird es zweideutig, manchmal sogar absurd. Es entwickelt sich eine spezielle
Form, mit den zeitlichen Geschehnissen umzugehen.
Der leichte Ton und der ausgeprägte Sinn für das Tragi-Komische, die Komisierung des Unheils, der zeitgeschichtlichen und existentiellen Katastrophen, die Tendenz, das Fatale in Witz und Unernst zu ziehen, der respektlose Umgang mit Mythen und Klassikern prägen den Stil, doch sind sie etwas mehr als ein Darstellungsduktus.55
Die Welt unterliegt einem empfundenen Chaos, in der das Komische die Position als
Kehrseite des Bösen einnimmt. Durch die Komik wird Distanz gegenüber politischen
Grenzen gehalten, wodurch sie ihr Autonomie erlangt und gleichzeitig als „befreiende
Lebens- und Darstellungskunst mit emanzipatorischen Spiel- und
Tendenzcharakter“56erscheint. So ermöglichen die komischen Normverletzungen Tabus
zu problematisieren und zu sprengen. Das Lachen spielt hier eine wichtige Rolle, denn
es fungiert als Zusammen-Lachen mit all denen, die mit den Spielregeln der Kunst
vertraut sind und kann dadurch „Betroffenheit und Unterhaltung, Tiefe und
Karnevalisierung als integrale Bestandteile unserer Gesellschaft“57 miteinander
versöhnen. Georgeta Vancea beschreibt dieses Phänomen, über das Ernste lachen zu
können, als „Lachphilosophie“58, die Überlegenheit und Sieg über das Scheitern
ausdrückt, aber auch ihre Zweideutigkeit, also das „oxymoronische Wesen“59 der
54 Georgeta: Humor und Komik in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. S.143.55 Ebd. S.144.56 Ebd. S.144.57 Ebd. S.144.58 Ebd. S.144.59 Ebd. S.144.
21
Komik. Sie schafft es, das Vertraute und Akzeptierte zu hintergehen, ein weiterer
Grund, warum humoristische Formen förmlich zum Kunstprogramm werden,
um Problematisches zu vermitteln, denn sie verfügen über eine subversive Dynamik und ein regenerierendes psychisches Potential – sie untergraben die Verbindlichkeiten der Geschichte, die existenziellen Ängste und die Hemmschwellen der ernsten Hochkultur.60
So wie Komik und Tragik, verschmelzen auch die Ausdrücke des Lachens und des
Weinens miteinander.
Das Lachen ist tragisch wie komisch und in dieser paradoxen Simultaneität ist die fundamentale Ambivalenz und Offenheit, das Gegensatzpotential des Komischen zu erkennen, in dem auch ein zweideutiges Lebens- und Zeitgefühl pulsiert: der Humor als eine Art modernes Ethos, das aggressive Negation und versöhnende Bejahung vereint.61
Es zeigt sich dadurch auch die Dynamik der Komik und ihr gleichzeitig behaftetes
innovatives Wahrnehmungsphänomen, da durch einen plötzlichen Umschlag unsere
Aufmerksamkeit auf unterschiedliche Blickwinkel gelenkt werden kann.
Die Komik lässt sich als ein inhaltliches Element der Komödie bestimmen, setzt es
aber nicht zwingend voraus. Das Komische existiert als lebensweltliche Erscheinung,
weshalb die literarische Komik daher nur ein Teilgebiet der Komik an sich ist. Es muss
also zwischen dem vorliterarischen Phänomen der Lebenswelt und der literarischen
Schreibweise unterschieden werden. „Literarische Komik ist immer intendiert und
erfüllt eine kommunikative Funktion.“62 Sie wird als Gestaltungsprinzip eingesetzt und
lässt sich eben nicht an ein Gattungsprinzip binden. Die Möglichkeiten Komik zu
erfassen, werden in den nächsten Kapiteln genauer erläutert.
60 Georgeta: Humor und Komik in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. S.144.61 Ebd. S.145.62 Kost, Jürgen: Geschichte als Komödie. Zum Zusammenhang von Geschichtsbild und
Komödienrezeption bei Horváth, Frisch, Dürrenmatt, Brecht und Hacks. In: Epistemia. Würzburgerische Wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft. Würzburg: Königshausen & Neumann 1996. S.18.
22
4. Die Komik – ein erklärbares Phänomen ?
Was Komik nun genau ist, konnte noch nicht klar definiert werden. Warum wir lachen
und welcher Zusammenhang zwischen dem Grund und dem verlachten Objekt besteht,
soll in diesem Kapitel genauer untersucht werden. „Komik ist alles, was zum Lachen
anregt, jedoch nicht umgekehrt“63, ist eine in der Sekundärliteratur häufig zitierte
Übereinstimmung. Es scheint zu allererst nicht von Bedeutung zu sein über welche
Dinge oder aus welchen Gründen gelacht wird, wichtig ist nur, dass nicht alles komisch
ist, was uns zum Lachen reizt. Freude, Glück, Verzweiflung, Hysterie sind
unterschiedliche Gefühlsregungen, die durch Lachen eine Möglichkeit des Ausdrucks
finden, aber keinen Bezug zu Komik herstellen.
Wie auch die zu Beginn angeführte Wortgeschichte zeigt, bleibt der Begriff „komisch“
bis heute im alltäglichen Sprachgebrauch in seiner unterschiedlichen Verwendung.
Etwas ist komisch bedeutet nicht nur, dass wir etwas für amüsant oder erheiternd
empfinden, es geht auch mit der Konnotation des Ungewohnten, Seltsamen oder
Absonderlichen einher. Der Zugang zur Empfindung dieses „Komischen“, gleich in
welchem Sinne, erscheint besonders wichtig. Es regt sich ein Gefühl in uns, das sich
auf verschiedene Weise äußern kann. Durch beispielsweise kulturelle Unterschiede
bricht in einer witzigen Situation bei einigen Menschen schallendes Gelächter aus,
während andere nur durch ein Schmunzeln dem Geschehen ihre Aufmerksamkeit
beipflichten. Das Lachen an sich unterliegt einer schwer einteilbaren Ordnung und für
Theorien wurde dieser Affekt oft abgewehrt. Denn Lachen ist ein Ausdruck, der nicht
in Worte zu fassen ist. Dies wäre ein Widerspruch in sich. Das Lachen zum logos
machen, erscheint unmöglich. Der Ausdruck der inneren Regung ist jedenfalls kein
Hinweis auf die Intensität der Komik. Als immer gleicher Ausgangspunkt erweist sich
das empfundene, erquickende Gefühl, das nicht externalisiert werden muss, uns aber
einen Hinweis auf die verstandene Komik gibt.
Folglich ist der Satz „Alles komische reizt zum Lachen“ folgendermaßen zu
63 Vgl. Horn: Das Komische im Spiegel der Literatur. S.14.
23
verstehen: Alles Komische erregt ein Gefühl in uns, das zumindest die Tendenz zum Lachen bei sich führt und das Lachen in uns zumindest aufkeimen läßt.64
Um aber eben diese Gefühlsregung zu empfinden, muss die Komik zuvor erst
verstanden werden. Dies weist also darauf hin, dass die Komik zuerst durch einen
intellektuellen Vorgang entschlüsselt wird und sich danach erst die Lust im Menschen
regt, darauf zu reagieren. Das Komische wird hier somit als ein intellektueller und
zugleich physischer Vorgang charakterisiert.
Clara Ervedosa zieht die Inkongruenztheorie, eine der ältesten Komiktheorien, als
Grundlage heran, bei der der Hauptauslöser des Komischen in der „Inkongruenz
zwischen Erwartung und Wirklichkeit“65 liegt. Die Kollision zwischen Sein und Sollen,
die sie genauer noch als Schock beschreibt, ergibt die Komik. Der Rezipient wird dabei
durch den Eintritt einer unerwarteten Situation aus seiner gewohnten Umgebung
herausgerissen. Damit setzt sie die Inkongruenztheorie mit der Schocktheorie gleich.
Ein Schock betrifft unmittelbar die kognitive und sinnliche Ebene des Menschen und
stellt für diesen, nach Helmut Plessner, auch eine „Grenzerfahrung“66 dar, weil die
gewohnte Ordnung außer Kontrolle gerät. Natürlich führt nicht alles Unerwartete zur
Komik, sondern nur überraschende Gegensätze, die sich als inkongruent mit dem zuvor
Gedachtem erweisen. Clara Ervedosa nennt drei Formen dieser Art von Kollision:
Sie kann das Aufeinanderprallen zweier semantischer Ordnungen umfassen. Sie kann aber auch Kollision zwischen einer semantischen Ordnung und einer nicht semantischen Ordnung bestehen. Oder sie kann […] sogar die Form einer Kollision und der daraus entstandenen Bewegung zwischen zwei nicht semantischen Ordnungen annehmen. Vor allem in den letzten beiden kommt der nicht hermeneutische und ästhetische Charakter des Komischen zum Vorschein.67
Im ersten Fall bezieht sich dies häufig auf ein Herabsetzen von einem höher
eingestuften zu einem niedriger eingestuften Sinn. Eine Kollision kann aber auch durch
die Abwesenheit von Sinn entstehen oder durch das Aufeinandertreffen von Sinn und
Nicht-Sinn, welches meist als Witz bezeichnet wird. Gerade dieser lebt vom Nicht-Sinn
64 Horn: Das Komische im Spiegel der Literatur. S.1465 Ervedosa:„Vor den Kopf stoßen“. S.68.66 Plessner, Helmut. Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen menschlichen
Verhaltens. Bern: Francke Verlag 1950. S.117.67 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.70.
24
und den damit zusammenhängenden Strukturen. Dieter Henrich ist der Meinung, dass
Komik auch durch absichtlich eingesetzte Satzmodelle hervorgerufen werden kann und
bezeichnet diese als „freie Komik“68. Passend dazu erklärt auch das historische
Wörterbuch der Rhetorik die Möglichkeiten auf diese Weise Komik zu erzielen:
Zu den rhetorischen Techniken zur Erzielung komischer Kontrast- und Inkongruenzeffekte zählen im Bereich der Argumentation die überraschende Vermischung von Plausibilität und Absurdität, etwa durch parodistischen Umgang mit fehlerhaften Syllogismen, ferner der offenbare oder versteckte Kontrast zum normativ oder satirisch gesetzten common sense sowie in der elocitio allgemein die konterkarierende Verletzung von innerem und äußerem aptum bei sprachlicher Gestaltung, Stilhöhe und Adressatenbezug.69
Das Aufeinanderprallen verschiedener Kollisionen definiert die Komik als Bewegung,
da sie nicht aus dem jeweiligen außer Kraft gesetzten Kontexten resultiert, sondern aus
den Vorgängen dazwischen. Es macht also das Zusammenspiel oder eben gerade die
Inkongruenz der Ordnungen aus, die die Bewegung und somit auch die Komik „zum
Rollen“ bringt.
In Zusammenhang damit soll auch das Scheitern erwähnt werden, das Jenny Schrödel70
als notwendige Dimension der Komik bestimmt.
Stolpern, Sich-Versprechen oder Fallen, jene Missgeschicke, die sich konträr zu avisierten Handlungen und Intentionen verhalten und zugleich eine Fremdbestimmtheit offenbaren, ob sie nun bewusst inszeniert oder unfreiwillig geschehen, gelten geradezu als Paradebeispiele des Komischen. Das Scheitern stellt aber nicht nur einen zentralen Topos des Komischen dar, sondern mit dem komischen Geschehen wird auch eine Verletzung und Kritik von sozialen, ästhetischen, moralischen und anderen Normen und Vorstellungen verbunden, also ein momentanes Aussetzen oder Versagen von normativen Werten.71
Doch das Komische selbst kann nicht nur das Scheitern aufzeigen, sondern selbst auch
in eine Krise geraten. Das Lachen als Reaktion auf die verstandene Komik kann
absichtlich verweigert werden, während sogar das eigentlich Komische manchmal ins
Unkomische kippt. Dabei entsteht eine Unsicherheit über die verlachte Situation, die
68 Henrich, Dieter: „Freie Komik“. In: Das Komische. Hrg.v. Wolfgang Preisendanz u Rainer Warning. München: Fink 1976. (Poetik und Hermeneutik VII). S.385.
69 Veding: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. S.1168/1169.70 Schrödel, Jenny: Vom Scheitern der Komik. In: Komik. Ästhetik. Theorien. Strategien. Hrg.v. Hilde
Haider-Pregler, Brigitte Marschall, u.a. Köln.Weimar: Böhlau Verlag. 2006. (Maske und Kothurn. Jg. 51. Heft 4). S.30.
71 Ebd. S.30.
25
somit die Komik in Frage stellt. Wie bereits erwähnt, stellt das Lachen keine
Notwendigkeit der Komik dar, sondern kann eine von mehreren Reaktion auf diese
sein. Wolfgang Iser bezeichnet die Wechselbeziehung zwischen Komik und Lachen als
„Kipp-Phänomen“72, also ein dynamisches Geschehen, „das sich durch Momente des
Zusammenbruchs von Positionen, Orientierungen, Wahrnehmungs- und
Erkenntnisweisen auszeichnet.“73 Für ihn ist das Lachen ein Anzeichen einer Krise,
aber auch ihre Verarbeitung und Überwindung. Das Komische zeichnet sich hier
dadurch aus, dass zwei oder mehrere Positionen aufeinandertreffen, die sich eigentlich
gegenseitig in Frage stellen oder sogar ausschließen. Der inkongruenztheoretische
Ansatz wird hier radikalisiert, indem das Phänomen als eines der wechselseitigen
Negation auftritt. Das bedeutet, dass die Bereiche einander gegenseitig zum Kippen
bringen und zu allererst nicht die an sich negativ oder an sich positiv besetzten
Positionen existieren. Das Kippen des einen Geschehens bewirkt eine neue Ansicht auf
das andere, das ein weiteres Kippen durch die neue Sichtweise des Geschehens
bewirkt. Dadurch wird die Dynamik zu einem wesentlichen Charakteristikum der
Komik. Der Rezipient darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, da der Umschlag
der Ereignisse die Unterbrechung seiner Wahrnehmung auslöst. Es öffnet sich eine
Leerstelle und er verliert dabei die Übersicht, da der Rezipient mehreren Bereichen
gleichzeitig ausgesetzt ist. Das Lachen kann eine Reaktion auf die Überforderung
darstellen, die Helmut Plessner als „Krisenantwort des Körpers“74 bezeichnet. Es
entwickelt ebenfalls eine Doppeldeutigkeit, nämlich als Zeichen der Verarbeitung der
Krise, aber auch ihrer Bestätigung. Der Körper reagiert noch, wenn der Verstand es
nicht mehr kann. Wo nichts mehr zu sagen bleibt, weil der Mensch nicht mehr versteht,
bleibt trotzdem die Antwort des Körpers.
Im Lachen lässt das Subjekt kurzzeitig los, wird vom Körper ergriffen und erlebt lust- und genussvoll, manchmal auch schmerzhaft, seine eigenen Körperlichkeit, was man als eine Erfahrung der Nähe und Teilhabe von Körper und Welt bezeichnen könnte.75
72 Iser, Wolfgang: „Das Komische: Ein Kipp-Phänomen.“ In: Das Komische. Hrg.v. Wolfgang Preisendanz und Rainer Warning. München: Fink 1976. (Poetik und Hermeneutik VII) S.399
73 Ebd. S.399.74 Plessner: Lachen und Weinen. S. 117.75 Schrödel: Vom Scheitern der Komik. S.32.
26
Das Lachen fungiert auch als Loslösung oder Distanzierung zum Betreffenden und das
chaotische Prinzip muss dabei nicht ernst genommen werden. Diese Art der Reaktion
verweist auf eine Möglichkeit der Verarbeitung der wahrgenommenen Krise.
Das Interessante dabei für die spätere Analyse ergibt sich aus der Bewegung des
Vorganges der Veränderung von einem Zustand in den anderen und die damit in
Zusammenhang stehende Reaktion des Rezipienten. Einerseits ist es wichtig zu
erkennen, wie das Kippen der unterschiedlichen Geschehnisse ausgelöst wird und
andererseits, wie und warum der Rezipient darauf antwortet. Daraus folgt, dass dies
eine genaue Untersuchung der Komik beinhaltet, wie diese entsteht und verstanden
wird.
4.2 Die objektiven Bedingungen der Komik
Die Komik steht in einer Verbindung mit dem Rezipienten, ohne den sie nicht
funktioniert. Anne Thill beschreibt die Komik vor allem als „Reaktionsphänomen“76
und verweist damit auf ihre speziell nur auf den Rezipienten ausgerichtete Produktion
und gleichzeitig ihre Abhängigkeit auf dessen Erfahrungshorizont. Dies unterstreicht
einmal mehr einen subjektiven Charakter der Komik. Das würde bedeuten, dass es das
Komische an sich nicht gibt, weil es vom lachenden Subjekt abhängig ist, ob die
Komik verstanden wird, oder nicht. Horn bezeichnet das Komische als „sekundäre
Qualität“77, und vergleicht es mit Farben, die nicht existieren würden, wenn es uns
Menschen nicht gäbe und verweist damit auf die kognitive Funktion des Komischen,
weil die Natur nicht komisch sein kann. Im Gegensatz dazu kann jedoch eine komische
76 Thill, Anne: Die Kunst, die Komik und das Erzählen im Werk Thomas Bernhards. Textinterpretationen und die Entwicklung des Gesamtwerks. In: Epistemata. Würzburgerische Wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft. Bd 738 – 2011. Würzburg: Königshausen & Neumann 2011. S.20.
77 Horn: Das Komische im Spiegel der Literatur. S.18.
27
Situation nur dann lustig sein, wenn sie in Zusammenhang mit dem Ganzen gesehen
wird. Ein Moment kann gleichzeitig komisch oder tragisch empfunden werden und
steht demnach in Abhängigkeit zu seinem Kontext. Darum ist das Komische sowohl
vom Objekt als auch vom aufnehmenden Subjekt her bedingt. Diesen Schluss zieht
man daraus, weil sonst nicht erklärbar wäre, warum über gleiche komische Stoffe über
kulturelle Grenzen hinaus gelacht wird. So unterscheidet beispielsweise András Horn,
aber auch Karlheinz Stierle, zwischen objektiven und subjektiven Bedingungen des
Komischen. Damit das Scheitern einer Handlung als Komisch bezeichnet werden kann,
müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein:
Objektive Voraussetzung für Komik ist, daß das Scheitern einer Handlung sinnfällig wird als Fremdbestimmtheit eines Handelns. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die durch ein plötzliches Moment der Störung zur Unhandlung gewordene Handlung dennoch den Schein der Handlung bewahrt, und zwar als einer abgelenkten oder fehlgerichteten.78
Stierle zieht als Beispiel den Film Modern Times von Charly Chaplin heran und erklärt,
dass die mechanische Fortsetzung der Bewegung der Hände des Fließbandarbeiters
nach seiner täglichen Arbeit deshalb komisch wirkt, weil sie fremdbestimmt und
sinnfällig ist, nämlich durch den Umstand, dass er zuhause, wie durch Zwang, diese
ruckhaften Vorgänge weiterführt. Das Subjekt scheint gefangen in sich selbst und
diesen mechanischen Bewegungen zu sein und setzt die Fließbandarbeit ohne
Fließband, also eigentlich kontextlos, fort. „Fremdbestimmtheit des Handelns wird da
erst sinnlich evident, wo sie nicht einfach ein anderes Handeln bewirkt, sondern eines,
das zur Handlungsintention sich konträr verhält.“79 Das Subjekt, der Zweck und die
Mittel der Handlung, sowie das Handlungsschema sind die Momente der Handlung, die
eine entsprechende Fremdbestimmtheit zulassen und somit mögliche Formen des
Komischen sind.
Für das Subjekt ergibt sich eine große Vielfalt an Möglichkeiten der
Fremdbestimmtheit, die sich sowohl auf die natürliche, als auch auf die künstliche
Konstitution beziehen kann. Von ersterem spricht man beispielsweise beim
Rollentausch von Mann und Frau. Es wirkt komisch, wenn sich ein Mann wie eine
78 Stierle, Karl-Heinz: Komik der Handlung, der Sprachhandlung, der Komödie. In: Das Komische. Hrg.v. Wolfgang Preisendanz und Rainer Warning. München: Fink 1976. S.238/239.
79 Ebd. S.240.
28
Frau verhält oder umgekehrt. Auch die Komik des Stolperns gehört gleicher Kategorie
an, bei der uns komisch erscheint, dass die Füße ein gewisses Eigenleben entwickeln
und das Ganze plötzlich zum Objekt eines Teils wird. Für die kulturelle
Fremdbestimmtheit steht zum Beispiel das Verhältnis zwischen Herr und Diener, wobei
der Untergebene dabei die Position des Herrn einnimmt oder umgekehrt. Unter
Berücksichtigung des konkreten Falls kann man zusammenfassend sagen, dass alles,
was von der Norm abweicht, für uns unter Komik subsumiert werden kann.
Für András Horn sind „der Unverstand, die Erniedrigung, das Übermaß, sowie das
Mechanische die wichtigsten objektiven Bedingungen des Komischen.“80
Der Unverstand wirkt auf unterschiedliche Weise komisch, je nachdem ob er
sich auf eine Person oder einen Gegenstand bezieht. In beiden Fällen wird
jedenfalls gegen alltagspragmatische Erwartungen verstoßen. So führt dies zu
Selbst-, Sprach- oder Weltverkennen einer Person, oder zu Unsinn oder
Paradoxem in Bezug auf einen Vorgang oder Gegenstand.
Die Niedrigkeit wird dann komikfähig, wenn sie sich beispielsweise durch
Grobheit, Starrheit oder soziale, wie seelische Insuffizienz ausdrückt. Alles, was
außerhalb der akzeptierten Normalität steht, repräsentiert sie. Ein Anzeichen
dafür ist vor allem das Absteigen vom Geistigen ins Körperliche, wie auch der
Vergleich des menschlichen Körpers mit der Tierwelt.
Mechanik und Wiederholungen wirken komisch, weil sie dem organischen Lauf
des Lebens widersprechen, was schon zuvor am Beispiel des Chaplin-Films
erklärt wurde.
Plötzlichkeit und Anschaulichkeit bilden die zentralen Begriffe, um den komischen
Charakter der zuvor beschriebenen Merkmale überhaupt wirksam zu machen. Ein Satz
allein kann nicht komisch sein, denn der Kontext fehlt. Je klarer und begreifbarer, also
anschaulicher, die Situation zuvor dargestellt wurde, umso besser führt dies zum
Verständnis oder Erkennen der Komik. Abstraktheit und Dauer sind hier also Fehl am
Platz. Die Plötzlichkeit geht mit dem anfangs erwähnten durchbrochenen
Erwartungshorizont einher. Das Durchbrechen der Norm wirkt aber nur dann, wenn es
plötzlich und unerwartet geschieht.
80 Horn: Das Komische im Spiegel der Literatur. S.21/22.
29
4.3 Die subjektiven Bedingungen der Komik
Wie zuvor bereits erwähnt, ist der Rezipient notwendig, damit Komik überhaupt
entstehen kann. Daraus ergibt sich das Problem, dass die Wirkung nicht in ein starres
System einzuteilen ist, da die Komik unter anderem vom Bewusstsein des Subjekts
abhängt. Das bedeutet weiters, dass nicht jeder Mensch Komik in gleicher Weise
empfindet, sondern beispielsweise auf den Kontext bezogen kulturelle Unterschiede
bedacht werden sollten.
Die Definition des Begriffs ´Komik` muß bezogen werden auf Kommunikationspartner und Kommunikationssituationen, die prinzipiell sozial und historisch gedacht werden müssen. Was für wen aus welchen Gründen komisch wirkt, kann nur unter Rekurs auf konkrete Kommunikationspartner und Kommunikationssituationen bestimmt werden.81
András Horn nennt trotzdem formale Bedingungen82, die seitens des Subjekts gegeben
sein müssen, damit Komik entsteht. Um die Normabweichung erkennen zu können,
bedient sich der Mensch seines Intellekts. Der Verstand vergleicht das komische Objekt
mit seinen bekannten Begriffen und stellt gegebenenfalls den Widerspruch fest. Horn
nennt hier die Distanz als subjektive Bedingung des Komischen. Es darf keine
Identifikation stattfinden, sonst kann der komische Effekt nicht erzielt werden. Sobald
Gefühle den Verstand in den Hintergrund verdrängen, empfinden wir beispielsweise
Verachtung oder Mitleid. Der Zuschauer achtet demnach nicht mehr auf die
Normabweichung oder Paradoxie, sondern fühlt sich moralisch an der Situation
beteiligt. Emotionale Teilhabe und Lachen lassen sich hier aber nicht vereinen. Das
Empfinden sorgt für die Identifikation, für das Mitfühlen mit den Personen und entfernt
sich damit vom „Empfinden“ der Komik. Die Sympathie, die sich zuvor schon zu einer
Person entwickelt hat, ist deshalb nicht verschwunden, sondern im Moment des
Lachens nur ausgeblendet. Der Schmale Grad, der zwischen dem Verlachen eines
Verprügelten und dem Mitfühlen desselbigen durchwandert wird, hängt auch von der
81 Schmidt, Siegfried J.: Komik im Beschreibungsmodell kommunikativer Handlungsspiele. In: Das Komische. Hrg.v. Wolfgang Preisendanz und Rainer Warning. München: Fink 1976. (Poetik und Hermeneutik VII). S.168.
82 Horn: Das Komische im Spiegel der Literatur. S.153/154.
30
zuvor gegeben Information über die Situation ab. Je mehr oder genauer das Publikum
über die Figur Bescheid weiß, desto weniger kann es über diese lachen. In den
Komödien kann eine Bedrohung dann komisch wirken, wenn sie am Schluss
abgewendet wird.
Als Gegenbeispiel dafür nennt Horn den schwarzen Humor, der den Ernst der Situation
nicht ausklammert, die Aspekte des Entsetzlichen jedoch ausspart und dadurch
verharmlost.
Etwa: „Mama, ich habe Papa gefunden,“ ruft der Bub und kriegt zur Antwort: „Kind, du sollst nicht dauernd im Garten graben!“ - Oder: „Mama, ich mag meinen kleinen Bruder nicht!“ - „Sei still. Du ißt, was auf den Tisch kommt!“83
Die Anschaulichkeit ist hier nicht gegeben, eines der Kriterien, damit Komik
funktioniert, denn die Opfer werden nur erwähnt, um Identifikation und Einfühlung zu
vermeiden. Das eigentlich Nicht-Komische, worunter Themen wie Tod oder Krankheit
fallen, darf also nicht anschaulich dargestellt werden. So ergibt sich paradoxerweise,
dass beide – die Anschaulichkeit des Komischen und die Nicht-Anschaulichkeit des
Nicht-Komischen, zu den Bedingungen des komischen Effekts zählen. Anders
formuliert bedeutet das, dass der Rezipient die Situation als harmlos oder auch als Spiel
einstufen muss und sie ihm nicht bedrohlich erscheinen darf, so dass der Zugang zur
Komik damit frei wird.
Die Situation, die sich aus den obigen Witzen ergibt, wird durch ihre Verfremdung auch
nicht ernst genommen. Man kann sich nicht vorstellen, dass diese Gespräche wirklich
stattfinden sollen. Es erweckt den Anschein, dass es sich hier um einen absurden
Kontext handelt. Der schwarze Humor greift Themen auf, mit denen der Mensch oft
nicht recht umzugehen weiß und gibt dadurch die Möglichkeit darüber zu reflektieren.
Worüber gescherzt wird, wirkt harmlos und setzt somit den Zugang zur Komik frei.
Der Rezipient erkennt die Situation als Spiel und stuft sie in seinem
Wahrnehmungsvermögen als ungefährlich ein, wodurch es zum Affekt des Lachens
kommt. Wer also über tragische Themen, wie Tod oder Krankheit lacht, muss nicht
gleichzeitig ein furchtbarer Mensch sein, sondern das zeigt nur, dass das Thema für ihn
verfremdet wurde und es somit gleichzeitig zu keiner Identifikation kommt.
83 Horn: Das Komische im Spiegel der Literatur S.156.
31
Die zweite wichtige formale Bedingung ist die Erwartung. Die Normabweichung
entsteht nämlich erst durch die Enttäuschung der zuvor konstruierten Erwartung. „Der
komische Held ist nicht an sich selbst, sondern vor einem Horizont bestimmter
Erwartungen, mithin im Hinblick darauf komisch, daß er diese Erwartungen oder
Normen negiert.“84 Auch diese kann wiederum von Mensch zu Mensch unterschiedlich
ausfallen und Horn versucht dahingehend eine Gruppierung vorzunehmen. „Diese
Disparatheit des Belachenswerten besagt im Grunde, daß faktisch unsere Urteile über
Komik abhängig sind […] davon, wie jung, wie dumm und wie roh wir sind.“85 Alter
und Intelligenz stehen somit in Zusammenhang mit den erlernten Normen, sowie mit
der Erfahrung im Umgang mit ihnen. Die Eigenschaften, sensibel oder roh auf etwas zu
reagieren, sind jedoch auf der Gefühlsebene verankert und bilden demnach den
Kontrast zu den kognitiven Voraussetzungen. Hier zeigt sich erneut, dass Komik sich
aus einem intellektuellen und einem physischen Vorgang zusammensetzt,
[…] denn Komik ist ein Resultat von Interaktion und Interferenz, ein duales Phänomen. Einerseits ist Lachen eine universale anthropologische Konstante, emotionell und intellektuell, interkulturell vermittelbar und gattungsübergreifend; andererseits ist Komik ein relationales Kontextphänomen, durch Anspielungen auf Vorwissen und Normen angewiesen und kulturell verankert, personen- und zeitgebunden.86
Im späteren Verlauf der Arbeit bleibt leider kein Raum für die Untersuchung, ob
beispielsweise der Altersunterschied eines Rezipienten positiv dazu beiträgt, dass die
Komik in Bernhards Dramen verstanden wird. Dies stört aber den Verlauf der Analyse
nicht, weil besonders die Wirkung der Komik in das Blickfeld der Betrachtung rückt
und nicht ihre hermeneutische Erfassung.
Das nächste Kapitel befasst sich kurz mit Voraussetzungen im Aufbau eines Textes,
damit der Rezipient ihn als komisch wahrnehmen kann.
84 Jauss, Hans Robert: Über den Grund des Vergnügens am komischen Helden. S.105.85 Horn: Das Komische im Spiegel der Literatur. S.162.86 Vancea: Humor und Komik in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. S.134.
32
4.3.1 Komische Sprachverwendung
Es treten Ähnlichkeiten in Mustern auf, wie ein komischer Text beschaffen sein muss,
damit der Rezipient ihn auch als komisch interpretieren kann. Charakteristisch dafür ist
jedenfalls, dass der Text etwas meint, was er jedoch nicht explizit sagt. Susanne
Schäfer bezeichnet dieses Nicht-Gesagte mit dem Begriff der „Uneigentlichkeit“87.
Wichtig für die entstehende Komik dabei ist die intensive Spannung zwischen dem
Gesagten und Ungesagten.
Die Uneigentlichkeit komischer Texte findet man im wesentlichen realisiert bei Anspielungen, Andeutungen, rhetorischen Fragen (oft die Pointe eines Witzes), komischen Metaphern und (besonders in narrativen Texten) bei der Ironie. Alle uneigentlichen Formen auf der Ebene der Rhetorik, Stilistik oder Poetik haben dabei Verweischarakter bzw. sind nur über ihre pragmatische Anbindung interpretierbar.88
Der Sprechakt besteht aus zwei Teilen, die jedoch in Diskrepanz zueinander stehen,
nämlich die sprachliche Äußerung und ihre eigentliche Bedeutung. Interessant dabei
ist, dass sie sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern sich durch ihre dynamische
Struktur kennzeichnen, ohne die die Komik ausbleiben würde. Beide Teile sollten im
Bewusstsein des Rezipienten sein, denn nur dieser kann das Eigentliche, das nicht
gesagt wird, durch die Spannung beider Ebenen interpretieren. Eine der
Voraussetzungen besteht jedoch darin, dass Text und Rezipient bei nicht
konventionellen Zusammenhängen über ein gemeinsames Kontextwissen verfügen,
welches sich auch durch außersprachliche Informationen widerspiegeln kann. Eine
mögliche Variante wäre der situative Kontext, der die Aussage durch redebegleitende
Gestik oder Mimik unterstützt, welcher oft in Zusammenhang mit der Ironie verwendet
wird. Der Rezipient muss also aktiv interpretieren, um den Sinn zu verstehen. Die
Komik steht hier im Gegensatz zur Täuschung, die eine ähnliche Interpretation des
Nicht-Gesagten verlangt. Bei der Komik wird die Absicht der Irreführung nicht
verheimlicht und die trügerische Intention bei Zeiten aufgedeckt, während die
Täuschung gerade das zu vermeiden versucht. Die Lüge will die Täuschungsabsicht
verbergen und verlangt eigentlich nach einer Wahrheitsprüfung. Bei einem komischen
87 Schäfer: Komik in Kultur und Kontext. S.107.88 Ebd. S.107/108.
33
Text wird vom Rezipienten jedoch nicht verlangt, dass er alles ernst nimmt, was man
ihm aufdrängt.
Schäfer spricht von einer „kommunikativen Anomalie“89 in Bezug auf die Komik, die
dadurch entsteht, dass eine Äußerung gegen ihren anerkannten Gebrauch in einer
Kommunikationssituation verwendet wird. Sie stellt gleichzeitig einen Vergleich zur
Metapher her, die auch durch die semantische Inkompatibilität den Rezipient dazu
zwingt, über das Gesagte oder eben nicht Gesagte zu reflektieren. Der Text entwickelt
damit eine Appellfunktion, damit man die Bruchstelle interpretiert. Dabei wird
vorausgesetzt, dass der Mensch grundsätzlich bereit und bemüht ist, den
Sinnzusammenhang verstehen zu wollen. Die kommunikative Anomalie bringt eine
Irritation mit sich und ergibt dadurch einen Bruch in der fiktiven Welt, wodurch der
Rezipient aufgefordert wird, neue Referenzzusammenhänge zu suchen.
Die semantische bzw. kommunikative Anomalie ist also eine Art Komiksignal, das dem Rezipienten zu erkennen gibt, daß es sich um einen komischen Text handelt. Der Text weist aus sich hinaus und fordert den Rezipienten auf, mit ihm zu kommunizieren und ihn verstehend zu interpretieren.90
Es handelt sich dabei um textinterne Komiksignale, die den Rezipient auffordern, über
den Text zu reflektieren und ihn gleichzeitig nicht ganz so ernst zu nehmen. Es zeigt
sich gelegentlich als schwierig, die Interferenz und die damit zusammenhängende
Komik zu erkennen und sie dann auch noch aufzulösen, besonders im interkulturellen
Transfer. Auch hier trägt der Kontext einen wesentlichen Bestandteil zur Wirkung von
Komik bei.
In seiner pragmatischen Bestimmtheit lebe es [das Komische] zu einem nicht unbeachtlichen Teil von der Referenz auf konkretes außertextliches Kontextwissen, das auf praktischen Erfahrungswerten, kulturellem Weltwissen und logischen oder assoziativen Verknüpfungen aufbauen kann.91
Susanne Schäfer spricht daher auch von „expliziten Komiksignalen“92, die sozusagen
den Rahmen setzen und gleichzeitig anzeigen, dass sich der Rezipient nicht mehr in
einer ernsten Situation befindet. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie durch ihre
89 Schäfer: Komik in Kultur und Kontext. S.111.90 Ebd. S.112.91 Ebd. S.131.92 Ebd. S.131.
34
Auffälligkeit - sei es linguistischer, mimischer, oder gestischer Art - eine
Interpretationshaltung aktivieren. Als Signale dienen beispielsweise Dialekte oder auch
Soziolekte, mit denen die Sprache der komischen Figur eingefärbt ist und stehen damit
im Gegensatz zur Hochsprache der nicht-komischen Personen. Zu den nonverbalen
Auffälligkeiten zählen auch sich wiederholende Gestik, übertriebene Mimik,
offensichtliche Verkleidungen oder auch ein seltsames Äußeres.
Bisher widmete sich die Arbeit nur den formalen Kriterien, wie Komik erzeugt wird
und welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit der Rezipient sie auch
erkennt. Im weiteren Verlauf unterliegt nun die Reaktion der verstandenen Komik der
Analyse.
35
5. Komik im ästhetischen Sinn
Bei Clara Ervedosa bildet das Physische eines ihrer zentralen Merkmale, die in
Verbindung mit der Komik stehen. Sie bezeichnet die Bewegung vom intellektuellen
Verstehen der Komik ins Nichts als ein Übergehen in das lustvolle Gefühl und
gleichzeitig auch in den lustvollen Schock, welches sich auf unterschiedliche Weise,
vor allem körperlich, äußern kann. Beispielsweise folgt daraus ein Lachen, das Helmut
Plessner als Zustand beschreibt, in den man sich fallen lassen muss. Daraus erschließt
sich, dass der Körper zuvor in einer Starrheit gefangen ist, aus der er durch das
plötzliche Gefühl des Lachens herausgerissen wird. Jenes Empfinden des Loslachens
spürt der Mensch manchmal so stark, dass er sich dagegen wehrt, damit es nicht
überraschend herausplatzt. Dabei verliert die Person die Kontrolle, den eigenen Körper
zu beherrschen.
Dieses Ins-Lachen- und -Weinen-Geraten und -Verfallen zeigt, zumal im Hinblick auf den eigentümlich selbständigen Prozeß, der dann einsetzt und sich häufig der Dämpfung und Steuerung bis zur völligen Erschöpfung entzieht, einen Verlust der Beherrschung, ein Zerbrechen der Ausgewogenheit zwischen Mensch und physischer Existenz.93
Dieser Verlust kennzeichnet jedoch als Reaktion die Antwort auf eine entsprechende
Situation. Das Lachen führt zwar zur Entzweiung der Einheit zwischen Körper und
Seele, ist jedoch die letzte mögliche Form der Äußerung auf die zuvor beispielsweise
nicht beantwortbare Lage und fungiert als Zeichen, dass Komik verstanden und
gleichzeitig darüber reflektiert wurde. „Wer nicht weiß, oder erkennt, was ein
bestimmter komischer Held negiert, braucht ihn nicht komisch zu finden.“94 Das
Lachen versteht sich als Ausdruckscharakter, der unartikuliert, denn es ist eben kein
Wort, durch Lautwerden etwas erwidern kann.
Zeugt dies auf der einen Seite für den eruptiven Einsatz, die einschneidende Tiefe der Desorganisation und für die Ungehemmtheit des körperlichen Geschehens, so auf der anderen Seite für die nicht zu übersehende soziale
93 Plessner: Lachen und Weinen. S.86.94 Jauss, Hans Robert: Über den Grund des Vergnügens am komischen Helden. In: Das Komische.
Hrg.v. Wolfgang Preisendanz und Rainer Warning. München: Fink 1976. (Poetik und Hermeneutik VII). S.105.
36
Komponente, die mit der Funktion des Signals zwar nicht ganz falsch, aber doch sicher zu eng gefaßt ist.95
Das Lachen findet sich hier als Ausdruck von etwas Positivem oder Optimistischem
wieder. Die Komik wird als „Freude an der Befreiung aus der eingefahrenen Enge“96
interpretiert und bringt eine angenehme physiologische Wirkung mit sich. Jedoch
gewann diese optimistische Perspektive der Komik erst seit Mitte des 17. Jahrhunderts
und vor allem im 18. Jahrhundert durch die Sensualismusdebatte an Bedeutung. Davor
fand nur eine pessimistische Sichtweise des okzidentalen Denkens weiten Anklang, wie
auch anfangs bei Platon und Aristoteles kurz erwähnt. Vertreter dieser Richtung in der
Neuzeit sind vor allem Thomas Hobbes und Henri Bergson. Sie reflektieren jedoch
über das Verlachen anderer Personen und das damit verbundene Überlegenheitsgefühl
dem Verlachten gegenüber. Diese Empfindung entsteht aber nur dann, wenn sich die
Person außerhalb der lächerlichen Situation befindet und dadurch nicht unmittelbar
betroffen ist. Gleich einer komischen Situation findet hier das Durchbrechen des
Erwartungshorizontes statt, nur dass in diesem Fall eine Person eine Norm nicht einhält
oder eben bestimmte Erwartungen nicht erfüllt.
Kant schränkt das Überlegenheitsgefühl etwas ein, indem er näher bestimmt, wann
dieses auftritt, denn eigentlich sieht er im Lachen die Freude am Verpuffen von Sinn.
Es fügt sich also einem einheitlichen Verständnis, wenn derjenige uns komisch erscheint, der für seine körperlichen Leistungen zu viel und für seine seelischen Leistungen zu wenig Aufwand im Vergleich mit uns treibt, und es ist nicht abzuweisen, daß unser Lachen in diesen beiden Fällen der Ausdruck der lustvoll empfundenen Überlegenheit ist, die wir uns ihm gegenüber zusprechen. Wenn das Verhältnis sich in beiden Fällen umkehrt, der somatische Aufwand des anderen geringer und sein seelischer größer gefunden wird als der unsrige, dann lachen wir nicht mehr, dann staunen und bewundern wir.97
Durch die entstehende Verbindung zwischen über etwas lachen und jemanden
verlachen, ergibt sich somit ein Zusammenhang zwischen Komik und Lächerlichkeit.
András Horn unterscheidet deshalb zwei Arten der Komik: „Das Lächerliche als der
komische Gegenstand und das Lustige als Produzent des Komischen. Das heißt: Das
Ausgelachte, der komische Gegenstand, ist vor allem lächerlich; derjenige, dank dem
95 Plessner: Lachen und Weinen. S.89/90.96 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.80.97 Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. S.182.
37
wir lachen, der Produzent des Komischen, vor allem lustig;“98
Der Lachende amüsiert sich über den Umstand, dass sich derjenige, über den er lacht,
aus eigener Schuld in einer Situation falsch und damit für ihn gleichzeitig komisch
verhält. Zu Missinterpretationen kommt es dann folglich, wenn der Betrachter nicht
weiß, dass der Verlachte nicht aus freien Stücken so handelt und sich dadurch in seiner
Position angegriffen und verletzt fühlt. Beide Personen befinden sich im Moment des
Lachens auf unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen, wodurch sich erklären lässt, dass
eigentlich nicht das Individuum an sich verlacht wird, sondern „das chaotische
Prinzip“99, das der Verlachte verkörpert. „Wer lacht, tritt aus dem
Kommunikationszusammenhang des Handelns heraus und wird zum Betrachter, und
nur solange er auf das handelnde Eingreifen verzichtet, kann sich ihm das komische
Faktum als dieses repräsentieren.“100 Dabei darf nicht vergessen werden, dass die
Situation als harmlos eingestuft werden muss und dass der Zuschauer sich klar vor
Augen führt, dass es sich um eine nicht reale Szene handelt, damit Komik entsteht.
Da das Komische das allgemein Anerkannte und das Vertraute zu hintergehen scheint, läßt sich das Verhältnis des Rezipienten zu dieser Erscheinung psychologisch vielleicht so erklären, daß jener die komische Abweichung so lange verlacht, wie er sie nicht als Bedrohung empfindet und sich noch in Sicherheit glaubt.101
Das vorgetäuschte Spiel ist notwendig, damit der Betrachter die Distanz dazu erhält
und sich in einer sicheren Umgebung fühlt, die ihn nicht direkt betrifft. So eröffnet sich
ihm auch später die Möglichkeit über das dargestellte Prinzip zu reflektieren und
erklärt gleichzeitig, warum über einen Menschen gelacht werden kann - im Sinne des
Überlegenheitsgefühls – und warum gerade dies auch die Empfindung über die
Befreiung der Fesseln der Ordnung signalisiert. „Wenn die Komödie das Spiel im Spiel
sucht, so gerade aus dem Grunde, daß so der Realitätseffekt des im Spiel erscheinenden
´Nichtspiels` komisch ausgenutzt werden kann.“102
Daraus zeigt sich mehrfach die Bestätigung, warum in komischen Gattungen die
98 Horn: Das Komische im Spiegel der Literatur. S.17.99 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.85.100 Stierle: Komik der Lebenswelt und Komik der Komödie. S.372.101 Schäfer, Susanne: Komik in Kultur und Kontext. In: Studien Deutsch. Hrg.v. Dietrich Krusche und
Harald Weinrich. Bd.22. München: Iudicium Verlag. 1996.S.17.102 Stierle: Komik der Lebenswelt und Komik der Komödie. S.373.
38
Figuren nur typisiert werden, anstatt sie durchgängig zu charakterisieren. Die
Charaktere bleiben unentwickelt, damit keine Identifikation stattfindet. Dem Publikum
wird vermittelt, dass es sich nicht um eine Abbildung einer realen Lebenssituation
handelt, damit es die Distanz zu den gezeigten Funktionshüllen hält und das
vorgespielte Lebensprinzip „von außen“ zu betrachten, anstatt sich „einzufühlen“.
5.2 Komik und Schock
Clara Ervedosa vergleicht die Komik, die als eine Folge der Unterbrechung der
Erwartungshaltung definiert ist, mit dem Schock. Dieser wird nicht als negatives
Ereignis bestimmt, sondern meint nur das unerwartete Durchbrechen eines
„Perzeptionsprozesses“103. Dieses Innehalten ist wertneutral zu betrachten und erhält
erst durch den jeweiligen Kontext und der Erwartung des Rezipienten eine negative
oder positive Konnotation. Sie bestimmt vier dem Schock inhärente Eigenschaften, die
hier kurz erläutert werden sollen, weil sie nachher auch in der Werkanalyse ihre
Verwendung finden.
Als erste Erscheinung bestimmt sich die Peripetie des Schocks und meint damit das
Umschlagen von einem Zustand in den anderen. Er wird dadurch als eine Bewegung
charakterisiert, die jedoch plötzlich erfolgen muss. Daraus ergibt sich die zweite
Eigenschaft, die der Schock mit sich bringt, nämlich der Plötzlichkeitsmodus. Die
Wahrnehmung des Rezipienten wird unerwartet, also von einem Moment auf den
anderen, durchbrochen, geht so mit einem Überraschungsmoment einher und tritt
gleichzeitig in Form eines besonderen Ereignisses auf. Die dritte Qualität ist somit die
Konnotation des Schocks mit der momentanen Erfahrung. Als letzte Eigenschaft
erweist sich die Intensität. „Der Schock ist dramatisch in dem Sinne, dass seine Energie
103 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.89.
39
sich gebündelt an einem Punkt niederschlägt.“104 Er kann sich zeitlich nicht ausdehnen
und entfaltet seine Wirkung erst durch seine „geballte Ladung“.
Clara Ervedosa entwirft eine Definition der Literatur, die sich durch die zuvor
beschriebenen Qualitäten des Schocks charakterisiert:
Schockliteratur meint also eine Literatur, die sich über Diskontinuitäten definiert, d.h. die fortlaufend Inkongruenzen zwischen dem Sein und dem Sollen aufbaut, die Wahrnehmungsgewohnheiten der Leser/Zuschauer herausfordert.105
Es zeigt sich, dass das Gefühl des Schocks und das der Komik nicht weit auseinander
liegen, da sie auf ähnlichen Themen und auch Kompositionsweisen beruhen. Beide
setzen voraus, dass in einem Überraschungsmoment die Erwartungshaltung des
Rezipienten, abhängig von dessen Erfahrung in Verbindung mit dem jeweiligen
Kontext, erschüttert beziehungsweise seine Wahrnehmung durchbrochen wird und je
nach Anschaulichkeit und Intensität der gegebenen Situation eine Regung entsteht, die
auf ganz unterschiedliche Weise geäußert werden kann. Ob der Schock oder die Komik
die Reaktion auf das Dargestellte ist, entscheidet sich dann durch die gelungene oder
absichtlich vermiedenen Identifikation mit der Figur und/oder der dargestellten Szene.
„Auch die Akzentuierung und Intensivierung der theatralischen und künstlichen
Dimension der Sprache und des Textes“106 entscheiden über eine komische oder
schockartige Wirkung.
Die Begriffe Schock oder Komik werden hier benutzt, um eine mehr oder weniger
intensive Wirkung zu erzielen und sollten demnach nicht mehr hermeneutisch, sondern
ästhetisch erfasst werden, woraus sich jedoch ihre Schwierigkeit ergibt.
Im weiteren Verlauf der Arbeit erfolgt nun die Analyse der ausgewählten Dramen
Thomas Bernhards. Die Untersuchung betrachtet besonders, wie die Effekte Schock
und Komik im Werk funktionieren, welche Voraussetzungen erfüllt sind, und welche
Mittel herangezogen werden, um Wirkung zu erzielen.
104 Ebd. S.91.105 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.92.106 Ebd. S.261.
40
6. Die Elemente des Schocks und der Komik in Thomas Bernhards Dramen Die Macht der Gewohnheit, Immanuel Kant und Der Theatermacher
Clara Ervedosa teilt Thomas Bernhards Schreiben in zwei voneinander getrennte
Phasen ein, in denen seine Werke entweder auf die Wirkung des Schocks oder auf die
der Komik ausgelegt sind. Die Dramen zählen ihrer Meinung nach zur späteren Periode
und erzielen deshalb einen rein komische Effekt beim Publikum. Bei näherer
Betrachtung fällt jedoch auf, dass Techniken unterschiedlicher Art bestimmt werden
können, die einerseits Schock und andererseits Komik zur Folge haben. Unabhängig
von der Zeit, in denen die Werke entstanden sind, treten somit beide Phänomene
gleichwertig auf und ergänzen einander. Dass sie auf eine Wirkung abzielen,
unterstreicht vor allem den ästhetischen Charakter der Dramen, „bei denen es jedenfalls
nicht darum geht, Sinn mitzuteilen“107.
Im folgenden Kapitel soll nun anhand des Modells von Clara Ervedosa gezeigt werden,
welche Techniken in den Werken ihre Anwendung finden, um beim Rezipienten eine
Wirkung, sei es die des Schocks, oder eben die der Komik, auszulösen,
6.2 Die Wirkung des Schocks
6.2.1 Drastik
Das Thema an sich hat von Beginn an großen Einfluss darauf, wie sich der Leser dem
Text gegenüber verhält. Motive, „wie Krankheit, Wahnsinn, Tod, die Gemeinheit und
Geistlosigkeit der Mitmenschen, die Beschränktheit der Österreicher und die
107 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.275.
41
vergebliche Suche nach Vollkommenheit“108, die dem gängigen Repertoire Thomas
Bernhards angehören, sind negativ konnotierte Begriffe, mit denen zweifellos eine
Erschütterung erzielt werden kann.
In den ausgewählten Dramen Die Macht der Gewohnheit (MdG), Immanuel Kant (IK)
und Der Theatermacher (TM) rückt für die von Krankheit geplagten Protagonisten vor
allem die Frage nach dem Sinn ihrer Existenz in den Mittelpunkt des Geschehens.
Caribaldi, Kant und Bruscon verkörpern drei Künstlerfiguren, die ihren selbst
auferlegten Ansprüchen des Lebens nicht gerecht werden. Brüchig in ihrer physischen
Gestalt, sowie zerrüttet in ihrer psychischen Verfassung, quälen sie sich und ihre
Mitmenschen durch den Alltag. Viel erfährt der Leser über die Figur nicht, doch das
Erscheinungsbild lässt sich in den Dramen ähnlich zusammenfügen. Die Einführung
der Figuren erfolgt auf vergleichbare Weise. Zu Beginn erfährt der Leser zwar nichts
über das Aussehen des Protagonisten, sein Leid wird jedoch sofort zur Schau gestellt.
In Die Macht der Gewohnheit weist der Jongleur auf die altersbedingte Schwäche des
Zirkusdirektors Caribaldi hin, dem regelmäßig auf Grund seiner ungeschickten Finger
das Kolophonium aus der Hand fällt.
CARIBALDI den Bogen gleichmäßig mit dem Kolophonium einstreichend Alle Augenblicke fällt mir / das Kolophonium / aus der Hand / und auf den BodenJONGLEUR Die Fingerschwäche / Herr Caribaldi / möglicherweise / altersbedingt (MdG 260)
Auch das Spielen auf dem Cello vollzieht der Zirkusdirektor eigentlich nur, damit sich
keine Konzentrationsschwäche bemerkbar macht, die durch das voranschreitende Alter
entstehen könnte.
CARIBALDI Das Forellenquintett / übe ich / zwanzig Jahr / Eine Therapie / müssen Sie wissen / Spielen Sie ein Instrument / ein Saiteninstrument / hat mein Arzt gesagt / Damit Ihre Konzentration nicht nachläßt (MdG 261)
Doch nicht nur kleine Gebrechen, wie „fatale Rückenschmerzen“ (MdG 264), die mit
der Zeit in Erscheinung treten, sondern auch sein Holzbein charakterisieren Caribaldi
als gebrochene Figur. Anfangs hat es den Anschein, als würde die physische Schwäche
nur durch andere Mitglieder der Gruppe bemerkt werden, doch sogar der
Zirkusdirektor selbst gesteht sich im Laufe des Dramas seine körperlichen Mängel ein.
108 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.263.
42
Sehr ähnlich verhält es sich auch mit Bruscon, der Figur aus Der Theatermacher, die
ich wegen der gleichartigen Präsentation vorziehen möchte, obwohl zeitgemäß das
Drama Immanuel Kant früher einzureihen wäre. Diese Figur wird zwar nicht von
altersbedingten Leiden geplagt, doch auch hier stehen die Gebrechen einer
empfindlichen Person an der Tagesordnung.
BRUSCON […] andererseits erkälte ich mich / ziehe ich den Mantel aus / Alle Augenblicke von Husten gequält / von Halsschmerz gepeinigt / in Schweiß gebadet / Wirt will ein Fenster öffnen / BRUSCON herrscht ihn mit hochgeschleudertem Stock an / Unterstehen Sie sich / dann sitze ich ja in der Zugluft / kauert sich zusammen (TM 17)
Sogar seine Frau quält sich mit der Krankheit des „Kopfschmerz“ (TM 19), während
Bruscon unter einer „Nierengeschichte“ (TM 19) leidet. Auch die Regieanweisung
„erhebt sich wieder mühselig“ (TM 19) unterstreicht seine schlechte Befindlichkeit.
Mit dem Voranschreiten der Handlung intensiviert sich auch der elende Zustand der
Figur, Bruscon benennt sich selbst sogar als „Schmerzensmensch“ (TM 52).
In Immanuel Kant erträgt der Protagonist die schlimmste Situation. Er kann seinen
Körper zwar noch bewegen, jedoch muss ihm ständig zum Hinsetzten oder wieder
Aufstehen Hilfe geleistet werden. Die ganze Handlung erstreckt sich auch
dahingehend, dass er sich auf Grund seines Augenleidens auf der Schiffsreise nach
Amerika befindet. Die Sehkrankheit bestimmt auf erdrückende Weise das Geschehen.
KANT geht zu seinem Klappstuhl […] setzt sich in den Klappstuhl / Achnein / will wieder auf, es gelingt ihm aber nicht allein / Frau Kant und der Steward helfen ihm / Manchmal scheint mir / ich höre auch schon schlecht / Andererseits höre ich / je schlechter ich sehe / desto besser / ein einziger Wettlauf / um das Augenlicht / Amerika / meine einzige Hoffnung (IK 258/259)
Jede dieser Figuren muss also entsprechende Beeinträchtigungen in ihrer Gesundheit
ertragen, wie auch Leonhard Fuest formuliert: „Die Bernhardsche Welt hat einen
tödlichen ´Knacks`. Sie schwankt und hinkt, befindet sich in permanenter Lebensgefahr
und Aufruhr.“109 Die Krankheiten und Leiden der Figuren stehen in zwingendem
Zusammenhang mit ihrer Existenz. Die Protagonisten selbst erfassen ihr kränkliches
Gemüt jedoch als nichts rein Negatives. Denn je mehr sich der elende Zustand
109 Fuest, Leonhard: Kunstwahnsinn Irreparabler. Eine Studie zum Werk Thomas Bernhards. In: Beiträge zur Literatur und Literaturwissenschaft des 20.Jhd. Hrg.v. Eberhard Mannack. Bd.20 Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang Vlg 2000. S.41.
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intensiviert, desto besser aktiviert sich ihr Geist. Verstand und Krankheit stehen in einer
Wechselwirkung, bei der ein Ausgleichsverfahren stattfindet. Durch geistige
Anstrengung können die körperlichen Fehler kompensiert werden. So stellen die
Figuren die Ansprüche an sich selbst und ihr Leben utopisch hoch, weshalb diese auch
unerfüllbar bleiben. Es scheint sich daraus ein unaufhebbarer Kreislauf zu ergeben,
dem weder Caribaldi, noch Bruscon oder Kant entkommen können. „Die Leiden der
Protagonisten sind außerdem als Ausdruck ihres Verfalls Indiz für den allgemeinen
Lebensprozeß als Verfallsprozeß, dem diese trotz Denkens nicht ausweichen
können.“110 So erfährt auch in den Dramen das Thema der Krankheit besonderen
Zuspruch, da der verstörende Effekt für den Leser eben besonders durch diese
Unvereinbarkeit des Leidens mit den verfolgten Lebensansprüchen entsteht. Eine
Figur, die sich einerseits durch körperliche Schwächen in eine Opferrolle positioniert,
und andererseits ihre Mitmenschen als Mittel zum Zweck benutzt, wirkt erschütternd.
Auf diese Weise entstehen unterschiedliche Machtstrukturen zwischen den Personen,
aus denen keiner zu entkommen weiß. „Aus Angst vor Hilflosigkeit, aus Angst, im
Elend zurückgelassen zu werden, vollzieht der Verkrüppelte einen Akt der
Bemächtigung eines Gesunden mit dem Ziel, ihn vollkommen an sich zu ketten.“111
In Die Macht der Gewohnheit bewirkt die Fingerschwäche des Zirkusdirektors das
Fallenlassen des Kolophoniums, das der Jongleur immer wieder bereitwillig für seinen
Arbeitgeber aufhebt. Auch die Tochter von Bruscon massiert ihrem Vater ohne
Widerwillen die Füße (TM 52), der sich von der Anstrengung der Szenenproben
erholen muss. In Immanuel Kant trägt Ernst Ludwig seinem Herrn den Vogel hinterher,
der dafür aber wenigstens bezahlt wird. Die Nebenfiguren stehen aber nicht nur in
einem Machtverhältnis, sondern zugleich auch in einem starken
Abhängigkeitsverhältnis. Dieses könnte ein wenig durch die physischen Gebrechen der
Machtfigur geschmälert werden, aber auf Grund der bereitwilligen Unterwerfung der
Gegenspieler entstehen keine Zweifel an den unterschiedlich gewichteten Positionen.
110 Schiefer, Bettina: Die Künstlerfigur in Thomas Bernhards Schriften „Frost“, „Das Kalkwerk“, „Die Macht der Gewohnheit“, „Über allen Gipfeln ist Ruh“ und „Der Untergeher“. Diplomarbeit. Univ. Wien 1991. S.26.
111 Schneider, Franz: Plötzlichkeit und Kombinatorik. Botho Strauß, Paul Celan, Thomas Bernhard, Brigitte Kronauer. Frankfurt am Main: Lang Verlag 1993. (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur; Bd.1411). S.135.
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Alle drei Protagonisten spiegeln Figuren wider, die die Menschen in ihrer Umgebung
unterdrücken und ihnen ihren Lebensstil aufzwingen wollen. Mit Leichtigkeit scheint
dieses Vorhaben jedoch erfüllbar zu sein, da sich die Nebenfiguren der Dramen kaum
dagegen auflehnen. So wie sich Caribaldi, Bruscon und Kant nicht von ihren
Krankheiten lösen können, gibt es kein Entkommen aus den Machtverhältnissen für
ihre Untergebenen.
Trotzdem treten Figuren auf wie der Jongleur, sowie auch der Dompteur, die
versuchen, dem Abhängigkeitsverhältnis zu entrinnen, wobei Ersterer dabei kläglich
scheitert. Der Jongleur droht Caribaldi förmlich mit dem „französischen Brief“ (MdG
273), der ihn aus der Abhängigkeit zu Caribaldi lösen soll, weil er ihm ein neues
Geschäftsverhältnis bietet. Doch der Zirkusdirektor entlarvt den Brief als Fiktion und
so auch die Möglichkeit des Jongleurs zu entkommen.
CARIBALDI […] und Ihr Brief von dem Direktor des Sarrasani / ist einer jeder Hunderte von gefälschten Briefen / die Sie mir in den ganzen zehn oder elf Jahren / die Sie bei mir sind / schon unter die Nase gehalten haben / Zeigen Sie mir das Angebot / Zeigen Sie mir das Angebot / zupft ein paarmal kurz die Saiten und hält den Cellobogen fest, wie zum Spiel / Jongleur tritt einen, dann noch einen Schritt zurück (MG 286)
Der Zirkusdirektor zwingt seine Truppe zum Üben an den Instrumenten, aber auch zum
Verbessern ihrer Zirkusnummern und dirigiert ständig ihr Leben. Es lässt sich schnell
erkennen, „[…] daß es sich bei der regelmäßigen Quintettprobe in Caribaldis
Wohnwagen um einen rituellen Akt der Unterwerfung handelt.“112 Die einzelnen
Mitglieder der Zirkustruppe des Direktors werden nicht wie Menschen behandelt,
sondern von Gleichem instrumentalisiert, um die Wunschvorstellung, das perfekte
Forellenquintett einzustudieren, zu erfüllen. So wie die Musiker, die eigentlich
Zirkusakteure sind, ihre Instrumente unter Kontrolle halten sollten, taktiert sie
Caribaldi mit seinem Cellobogen. Sie dienen als „Marionetten“ (MdG 283), dessen sich
beispielsweise der Jongleur bewusst ist, versuchen jedoch nicht sich dagegen zu
wehren.
112 Jürgens, Dirk: Das Theater Thomas Bernhards. In: Historisch-kritische Arbeiten zur deutschen Literatur. Hrg.v. Herbert Kraft. Bd. 28. Frankfurt am Main: Lang Verlag. 1999. S.191.
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JONGLEUR […] Durch diese Tür / kommen Ihre Opfer herein / Herr Caribaldi / Ihre Instrumente / Herr Caribaldi / Nicht Menschen / Instrumente (MdG 269)
Die Enkelin von Caribaldi wird gezwungen dessen Tochter und Frau, die beide bei
einer Seiltanznummer ums Leben kamen, zu ersetzen und stürzt dabei zwar nicht vom
Seil, aber in ihr eigenes Unglück. Ihr Alltag ist bestimmt durch die auferlegten
Übungen und Anweisungen, die ihr der Zirkusdirektor kommandiert.
Enkelin stellt sich vor Caribaldi auf und macht auf sein Kommando eine Übung, die darin besteht, daß sie einmal auf dem rechten, einmal auf dem linken Bein steht, auf den Fußspitzen; steht sie auf dem rechten, hebt sie das linke Bein usf.: […] CARIBALDI mit dem Cellobogen taktierend / Einszwei / Einszwei / Einszwei / Einszwei / Einszwei / Einszwei / Einszwei / Einszwei / Einszwei / Einszwei / Einszwei / Einszwei / Einszwei / Einszwei / Einszwei / Einszwei / Einszwei / So halt / Enkelin hört auf, erschöpft / Caribaldi befiehlt / Äpfel schälen / Schuhe putzen / Milch abkochen / Kleider bürsten / Und pünktlich zur Probe / verstehst du / Du kannst gehen (MdG, 284)
Doch nicht nur Caribaldi dirigiert das Machtverhältnis zu seiner Truppe, auch innerhalb
dieser zeichnen sich bestimmte Rangordnungen ab. Der Dompteur stellt den
Spaßmacher in Abhängigkeit zu sich und füttert ihn ähnlich einem Tier mit Fleisch, das
er ihm auf den Boden wirft. Als Gegenleistung stellt er dem Dompteur immer ein
frisches Bier auf das Klavier und ärgert damit gleichzeitig den Direktor. Der Dompteur
erlangt dadurch eine Sonderstellung in der Zirkustruppe. Er ist auch der einzige, der
regelmäßig die Quintettprobe sabotiert und sich somit gegen die Regeln des Caribaldi
auflehnt. Am Schluss wirkt der Dompteur als die treibende Kraft, warum der Anspruch
Caribaldis nicht erfüllt werden kann und sein Vorhaben kläglich scheitern muss.
Sehr ähnliche Machtstrukturen existieren in Der Theatermacher. Bruscon steht an der
Spitze der Rangordnung und nimmt gleichzeitig den Platz des Patriarchen in der
Familie ein. Sowohl seine Frau, seine Tochter, als auch sein Sohn unterstehen seinen
Anweisungen und haben diesen sorgsam zu folgen. Doch zusätzlich im außer-
familiären Bereich verteidigt Bruscon mit Überzeugung seine Machtposition. Da er
sich selbst, und seine Tochter ihren Vater unter Zwang, als „de[n] größte[n]
Schauspieler aller Zeiten“ (TM 65) bezeichnet, verlangt er aus diesem Grund vom Wirt
des Gasthofs und sogar von der Feuerwehr des Dorfes eine besondere Behandlung.
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BRUSCON […] Faßbinder und Feuerwehrhauptmann / Daß es das noch gibt / Gehen Sie hin / und sagen Sie wer ich bin / und sagen Sie ihm / daß seine Familie selbstverständlich / freien Eintritt hat / […] er bekommt ein Exemplar meines Stückes / mit meiner Unterschrift / […] schließlich ist eine solche von mir gegebene Unterschrift / eines Tages ein Vermögen wert / wenn ich nicht nur als Schauspieler / sondern auch als Dramatiker als der große Bruscon erkannt bin (TM 27)
Ähnlich wie Caribaldi dirigiert Bruscon das Leben seiner Familie. Sein Anspruch, das
selbst geschriebene Theaterstück aufzuführen, kann nur erfüllt werden, wenn seine
Schauspieler genau das verwirklichen, was Bruscon im Sinne hat. Auch hier fungieren
die Mitglieder seiner Familie als Marionetten, an deren Fäden er schlussendlich zieht.
Der „Theatermensch“ (TM 24), als den er sich selbst auch bezeichnet, leidet natürlich,
wie auch Caribaldi, an der Unfähigkeit der Schauspieler, der er versucht durch seine
ständige Kontrolle eine Ende zu setzen.
BRUSCON […] Tatsächliche Ferruccio / wir haben nichts zu lachen / stell dich dahin / zeigt mit dem Stock an, wo sich Ferruccio hinstellen soll / Ferruccio stellt sich hin / BRUSCON Ja dort / Es stört mich immer / wenn du dich zu tief verneigst / wenn Napoleon hereinkommt / schließlich bist du der König von Sachsen / vergiß das nicht / Also bitte die Verneigung / Ferruccio verneigt sich / BRUSCON Ja / verneigen ja / aber nicht unterwürfig / königlich mehr oder weniger / streckt den Oberkörper ganz vor, um Ferruccio besser beobachten zu können / Ferruccio verneigt sich (TM 78)
In einer anderen Szene verhält es sich mit der Tochter von Bruscon ähnlich, die ihren
Monolog eher leise vortragen soll, denn „heute wird in den Komödien geplärrt“ (TM
62) und das gefällt ihm nicht. Sarah und ihre Mutter wirken als unterwürfige Figuren,
stehen aber schlussendlich für jene, die sich gegen die Macht des Mannes auflehnen.
Die Mutter liegt krank in ihrem Zimmer und verhustet immer wieder die wichtigen
Monologe, während sich seine Tochter Späße in den Proben erlaubt, die fast zur
völligen Erschöpfung Bruscons führen.
BRUSCON zu Sarah Du glaubst / ich sehe nicht / daß du mir die Zunge zeigst / Ein billiger Effekt / um den Vater zu verärgern / darauf gehe ich gar nicht ein / zu Ferruccio / Nun gut / zieh den Vorhang wieder zu / daß ich dieses häßliche Kind / nicht mehr sehen muß / sinkt erschöpft auf dem Sessel zusammen / Ferruccio zieht den Vorhang zu (TM 73/74)
In diesem Drama tragen die umstehenden Figuren nicht die Schuld am Misslingen des
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Theaterstücks, zu dessen Aufführung es gar nicht erst kommen kann, da durch den
entstandenen Brand die Zuschauer aus dem Gasthaus flüchten müssen. Jedoch ähnelt
ihre Auflehnung gegen das Machtverhältnis zu Bruscon jener, die die Figuren in Die
Macht der Gewohnheit vollziehen.
In Immanuel Kant existiert ein „echtes“ Dienstverhältnis zwischen Kant und Ernst
Ludwig, dessen Aufgabe darin besteht, den Vogelkäfig mit dem Papagei Friedrich
hinterher zu tragen, ihn zu füttern und seine Decke zu richten. Obwohl Ernst Ludwig
schon seit Jahren im Haus der Familie Kant arbeitet, wird er nicht wie ein Mensch
behandelt. In der folgenden Szene unterstreichen die unterschiedlichen
Körperpositionen der beiden Männer ihre Beziehung zueinander. Obwohl Kant sitzt
und damit eigentlich schon eine niedrigere Augenhöhe vorgibt, drückt Ernst Ludwig
durch die kniende Haltung deutlich erkennbar den unterworfenen Diener aus. Mit der
drohende Gebärde des Stocks, die durch die Berührung sogar vollzogen wird, macht
Kant seine übergeordnete Stellung deutlich.
KANT Glaubst du / ich bezahlt dich umsonst / Ernst Ludwig vor Kant auf den Knien, Kants Füße in die Decken einwickelnd / Kant mit dem Stock Ernst Ludwig berührend / Alle diese Kreaturen wie du / werden für die Faulenzerei bezahlt / Wir haben dich als Diener verpflichtet / ich und Friedrich / wir beide / aber wir bezahlen einen Dummkopf / du bist nicht einmal die Kopfstücke wert / die ich dir in den fünfundzwanzig Jahren gegeben habe / die du bei uns bist (IK 265/266)
Auch an dieser Stelle wird erneut hervorgehoben, dass die untergebenen Figuren keine
„artgerechte“ Behandlung als Menschen verdienen, sondern ähnlich einem Tier
gehalten oder zumindest so angesprochen werden.
Zwischen Kant und seiner Frau erscheint das Verhältnis ein wenig merkwürdig. Zu
Beginn des Dramas wirkt es so, als würde er, ähnlich wie Bruscon und auch Caribaldi,
die höhere Machtstellung einnehmen. Er dirigiert zwar nicht ihr Leben, jedoch fühlt er
sich ihr intellektuell überlegen und lässt sie dadurch teilweise dumm oder naiv
erscheinen. Das Verhältnis arrangiert sich so, dass sogar sein Haustier, der Papagei,
über seiner Frau positioniert ist.
KANT […] Kein Mensch hat sich jemals getraut / meine Frau getraute sich Friedrich / herabzusetzen / In Zoppot hat meine Frau / Friedrich herabgesetzt / aber ich habe meine Frau / vor Friedrich / zur Rechenschaft gezogen / sie mußte
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sich bei Friedrich entschuldigen (IK 278)
Gegen Ende hin ergibt sich jedoch eine Wende für die Verhältnisse der Figuren. Da
Kants Frau und die anderen Reisenden auf dem Schiff nur vorgaben den Anweisungen
zu folgen, ist eigentlich sie diejenige, die dieses Mal die Fäden des Marionettentheaters
in der Hand hat. Frau Kant schafft es, ihren Mann zu täuschen und ihn den Pflegern der
Irrenanstalt zu überlassen.
Die Themen und Motive wirken zu Beginn nicht so drastisch wie vergleichsweise jene
der Prosa Thomas Bernhards, die Clara Ervedosa als Beispiel für die Drastik wählt,
doch ist die trotzdem ihre Ernsthaftigkeit nicht zu übersehen. Die Protagonisten, die
eigentlich von Schwäche auf Grund ihrer Krankheiten durchdrungen sind und dennoch
ihre Mitmenschen unterjochen, weil sie für die Erfüllung ihrer Lebensziele brauchen,
wirken schnell durchtrieben von Wahnsinn. Auch die Mitspieler bleiben davon nicht
unbelastet.
JONGLEUR: […] Der Kranke und der Verkrüppelte / beherrschen die Welt / alles wird von den Kranken / und von den Verkrüppelten beherrscht / Eine Komödie ist es / eine böse Erniedrigung (MdG 272)
In allen drei Dramen existiert kein Grund für das Leben an sich. Die Protagonisten
klammern sich verzweifelt an ihren persönlichen sinnstiftenden Lebensdrang, sei es die
„Quintettprobe“ (MdG), das „Licht der Vernunft“ nach Amerika zu bringen (IK) oder
„das Rad der Geschichte“ zu spielen (TM).
Die vollkommen isolierten „Geistesmenschen“ arbeiten mit höchsten Ansprüchen an ihren Projekten, treten mit Hohn und Trotz der Fachwelt entgegen und sind dem Wahnsinn ausgeliefert, einem Wahnsinn, der ihnen einerseits Fluch ist und Grund für ihr Scheitern, andererseits ihre Genialität beglaubigt.113
Die Protagonisten geben den Menschen ihrer Umgebung angesichts ihrer Unfähigkeit
die Schuld an ihrem Scheitern, weshalb sie jedoch nicht damit aufhören, weil sie es
nicht können. Ohne einem Ziel vor Augen gäbe es keinen Grund mehr für das weitere
Leben.
[…] die ¸Spiel-Stückeʼ Bernhards [werden] zu Spiegeln, die der Autor seinem Publikum vorhält, um allgemein-menschliches Verhalten in einem entblößenden
113 Fuest: Kunstwahnsinn Irreparabler. S.134.
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Licht erscheinen zu lassen;114
Wie schon zu Beginn des Kapitels erwähnt sind die Werke nicht dazu da Sinn zu
vermitteln, sondern um den Leser zu schockieren. So steht auch nicht die Absicht
hinter dem Text „über die Erschütterung reflektierende Gedanken anzustellen, sondern
diese literarisch als Erschütterung zu präsentieren“115. Um die Wirkung des Schocks
beim Rezipienten schlussendlich zu erzielen, bedarf es notwendigerweise mehr als rein
das Thema. Welche Strategien zur Vorbereitung und Intensivierung des Moments
beitragen, soll in den folgenden Kapiteln erläutert werden.
6.2.2 Verdichtung
Die dramatische Gestaltung der Werke Thomas Bernhards spielt eine wichtige Rolle
bei die Wirkung des Schocks oder der Erschütterung. Das Interessante dabei ist, dass
der Autor keine Welten entwirft, sondern gerade das Fehlen dieser epischen Elemente
den Text auszeichnet. Die Konzentration auf die Handlung, die Zeit und den Raum und
deren fehlenden Variationen führen zur Intensivierung des Schockgefühls.
Die dramatische Kondensierungstechnik Bernhards äußert sich vor allem in der „Einheit“ der Handlung, der Zeit und der Norm. Mit „Einheit“ wird zwar auf die aristotelischen Regeln der drei Einheiten angespielt, dies meint jedoch nicht eine strenge und bewusst programmatische Einhaltung der Norm, sondern die Durchschlagskraft, die aus der Konzentration auf einen Ort, auf einen abgeschlossenen Zeitraum und auf ein Geschehen anstehen kann.116
Durch die Fokussierung auf die jeweiligen Elemente entsteht der Eindruck von
Geschlossenheit. So gibt es in den drei Dramen keinerlei Ortswechsel, sondern die
Figuren bewegen sich allenfalls nur von einem Raum in den anderen.
In Die Macht der Gewohnheit ist Caribaldis Wohnwagen der zentrale Punkt des
114 Koch, Tine: Das Leben ein Spiel, die Welt ein Theater? Spielformen des Welttheaters in den dramatischen Werken Samuel Becketts und Thomas Bernhards. In: Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. Bd. 306. Heidelberg: Universitätsverlag 2012. S.74.
115 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.275.116 Ebd. S.276.
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Geschehens, den auch keine der Figuren verlässt. Bedrückend erscheint die Enge, die
durch die fehlende örtliche Bewegung ihre Wirkung erzielt. Hinzu kommt, dass
besonders zu Beginn des Dramas immer über eine Reise nach Augsburg gesprochen
wird, die eine Veränderung jedoch nur andeutet. Denn der Ausdruck „Morgen
Augsburg“ (MdG 255), der als Leitspruch Caribaldis fungiert, bleibt eben nur ein
intendiertes Vorhaben. Dass sich die Figuren in einem Wohnwagen befinden, weiß
jedoch nur der Leser, aus einer Bühnensituation geht dies nicht hervor. Auch die
laufende Zirkusvorstellung, die neben dem gezeigten Geschehen läuft, erschließt sich
erst viel später aus den Reden der Figuren. Diese Nebenhandlung bewirkt ein reges
Auf- und Abgehen der einzelnen Artisten, die Caribaldi zu ihren Nummern in die
Manege schickt. „[...] das Bühnengeschehen im Wohnwagen [erhält] durch das off
stage einen Spiel-im-Spiel-Cahrakter, da sich die Zirkuswelt als reale Welt gegenüber
der Orchesterprobe verhält.117 Dass der Theaterbesucher aber nur das Bild des einen
einzigen Raumes erhält und die Abgeschiedenheit nach außen somit noch verstärkt
wird, hebt diese eingefahrene Enge hervor, die dem Publikum vermittelt werden soll.
Ähnlich verhält es sich in Der Theatermacher, wobei hier die Reise schon vollzogen
wurde. Der Leser erfährt, dass die Familie von Stadt zu Stadt zieht um „Das Rad der
Geschichte“ (TM 15) aufzuführen. Angekommen nun in Utzbach im Gasthof
„Schwarzer Hirsch“ (TM 13) verändert sich der Ort des Geschehens nicht mehr.
Lediglich in der Schlussszene befinden sich Bruscon und seine Mitspieler „Hinter dem
Vorhang“ (TM 106).
In Immanuel Kant entsteht eine interessante Situation durch die angetretene
Schiffsreise, die das Drama ganzheitlich bestimmt. So befinden sich die Figuren bis
zum entscheidenden Finale „Auf hoher See“ (IK 254) und umgeben sich mit der
gefährlichen Sphäre des Meeres.
MILLIONÄRIN […] Schrecklich / ich denke immerzu an die Eisberge / ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen / nach der Erzählung des Kardinals / einerseits habe ich zugehört / andererseits fortwährend Whisky getrunken (IK 294)
Die Unberechenbarkeit und Kraft, die das Meer umgibt, kommt hier klar zum
117 Jang, Eun-Soo: Die Ohn-Machtspiele des Altersnarren. Untersuchungen zum dramatischen Schaffen Thomas Bernhards. Frankfurt am Main: Lang Verlag 1993. (Europäische Hochschulschriften: Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur. Bd.1417) S.66.
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Ausdruck und wirkt bedrohlich auf die Figuren. Der unschöne Gedanke mit dem Schiff
unterzugehen, versetzt auch den Zuschauer in eine unangenehme, erschütternde
Situation. Eine Bewegung zwischen den Szenen auf dem Schiff findet jedoch statt,
bewirkt aber keine Dynamik des Geschehens. Sie wirkt sogar der Bühnenhandlung
entgegengesetzt. Während das Schiff sich dem Ziel nähert, erinnert der Raumwechsel
vom „Vorderdeck“ (IK 255) zum „Mitteldeck“ (IK 293) ins „Hinterdeck“ (IK 317)
mehr an einen Rückzug der Figuren, der das Ende, also die „Landung“ (IK 339), noch
etwas hinauszögern soll. Die eigentliche Progress, nämlich die Fahrt nach Amerika ins
Land der Hoffnung, wird durch die räumliche Rückwärtsbewegung der Figuren
deutlich gebremst und vergrößert damit auch den Spannungsbogen zwischen der
Handlungslosigkeit der Figuren und der plötzlichen Wende des Geschehens.
Der Eindruck des Raumes bleibt auch bestehen, wenn die Figuren Spaziergänge unternehmen. Obwohl die Iteration von einem Ort zum anderen Raumzerstreutheit implizieren müsste, sorgt der zirkuläre und reiterative Charakter des Gehens für den gegenteiligen Effekt.118
Die bedrückende Wirkung der Räume verstärkt sich durch die beinahe Einheit der
Erzählzeit und erzählten Zeit. Sowohl in Die Macht der Gewohnheit als auch in Der
Theatermacher erstreckt sich die Handlung nur über wenige Stunden. In Letzterem
erfährt der Leser durch die Regieanweisung ganz genau, wie viel Zeit zwischen den
Szenen vergangen ist – „Ein halbe Stunde später“ (TM 62/90). Das Publikum sieht also
förmlich die Zeit vor seinen Augen verstreichen ohne dabei bedeutende Sprünge über
Tage beachten zu müssen. In Immanuel Kant erfolgt die Einteilung der erzählten Zeit
ein wenig diffuser als bei den anderen Dramen. Ein zu berücksichtigender Aspekt ist
jedenfalls die Schiffsreise von Deutschland nach Amerika, die unmöglich nur wenige
Stunden andauern kann. Der Tag, an dem die erzählte Handlung einsteigt, liegt jedoch
weit nach dem Moment des Ablegens, wie beispielsweise die Reden der Millionärin
beweisen, die sich „täglich vom Schiffsmasseur massieren“ (IK 295) lässt. Der
Moment der Ankunft - „Dienstag laufen wir ein“ (IK 267) – erscheint wie ein fern in
der Zukunft liegendes Ereignis und wirkt für den Rezipienten deshalb auch eher nicht
irritierend. Dass jedoch am nächsten Morgen das Ziel schon erreicht ist, bewirkt einen
118 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.279.
52
überaus überraschenden und schockierenden Effekt. Dadurch dass keine weitere
Bühnenhandlung zwischen der letzten Szene und dem Abführen Kants durch die
Pfleger der Irrenanstalt liegt, erscheint der Moment der Wende unvorhergesehen.
Die Bindung an eine abgeschlossene Zeitspanne ist essentiell für den Effekt der Einheit
der Zeit. „Die Fokussierung des Erzählten bzw. des Dargestellten auf eine einzige und
kurze Handlung bzw. auf ein Ereignis sowie auf ein sehr reduziertes Personal bildet mit
der Einheit des Raumes und der Zeit eine wirkungsvolle Symbiose.“119 Gleichzeitig
stellt diese Geschlossenheit jedoch auch die Abgeschlossenheit der Figuren damit in
Zusammenhang, wie auch schon Alfred Barthofer bemerkt.
In allen bisher veröffentlichen Dramen Thomas Bernhards wird die menschliche Wirklichkeit durch räumliche Begrenztheit charakterisiert. Wenn auch die Grundsituation („Krüppelasyl“, „Künstlergarderobe“, „Jagdhaus“, „Wohnwagen“ oder „Gefängnis“) ständig variiert wird, das Abgeschnittensein des Menschen wird immer wieder hervorgehoben und unterstrichen. Flucht nach außen und Hilfe von außen (oben?) ist nicht möglich.120
Dem Element der Handlung folgt nun ein eigenes Kapitel, da es zentralen Einfluss auf
die Konzentration des Textes hat.
6.2.3 Ereignis
Das Ereignis erweist sich als bedeutendes Element für die Wirkung des Schocks, denn
es bestimmt grundlegend sowohl die Textentfaltung als auch den Textaufbau. „[…] ein
unerwartetes Ereignis, das den „normalen“ Lauf der Dinge unterbricht und die
Brüchigkeit der Existenz drastisch zum Vorschein bringt, [fungiert] meistens als
Auslöser der Handlung.“121 Wann genau es in Erscheinung tritt, entspricht keiner fixen
Regel, jedoch wirkt das Ereignis selbst schon als Schock, da es eine herausragende
119 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.280.120 Barthofer, Alfred: Das Cello und die Peitsche. Beobachtungen zu Thomas Bernhards „Die Macht der
Gewohnheit“. In: Sprachkunst. Wien: Vlg der österr. Akademie der Wissenschaften VII (1976). S.295.
121 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.280.
53
Phase im Leben der Figur zeigt. Alle weiteren Handlungen, Reden und Reflexionen der
Protagonisten stellen dazu eine Verbindung her. Dieses erste Ereignis resultiert dann in
der Erschütterung am Ende des Stückes, die für den Leser völlig unerwartet eintritt.
Da dieses zweite Ereignis einen „explosiven“ Effekt entfaltet, bleibt der Leser am Ende der Lektüre bzw. der Aufführung meistens verwirrt und orientierungslos, d.h. mit einem (hermeneutischen) „Nichts“ zurück. […] Somit wird das Geschehen in Bernhards Texten von zwei Ereignissen, einem am Anfang als Handlungsauslöser und einem am Ende als Handlungsabschluss, umrahmt.122
In den ausgewählten Dramen ist die erschütternde Wirkung am Ende des Werkes
gänzlich vorhanden, während zu Beginn der Schock-Effekt noch zurück gehalten wird.
Hinzu kommt, dass zwar nur ein zentrales Ereignis die Handlung voranschreiten lässt,
dass aber ähnlich bedeutende Nebenereignisse existieren, die ebenfalls den
Handlungsverlauf begründen. Da Clara Ervedosa die duale Ereignisstruktur bei
Bernhard hervorhebt, soll dieser Charakter der Dramen vorerst untersucht werden,
wodurch sich gleichzeitig die duale Schockstruktur zeigt.
Der programmatische Spruch „Morgen Augsburg“ (MdG 255) leitet das Werk Die
Macht der Gewohnheit stimmungsvoll ein und beendet es mit gleichen Worten. Die
Anfangsszene deutet auf ein erschütterndes Finale hin, von dem der Leser aber zu
diesem Zeitpunkt noch nichts weiß. „Das Forellenquintett auf dem Boden“ (MdG 255)
lautet die Regieanweisung bevor noch jemand zu sprechen beginnt. Beide
Lebensansprüche werden durch den ersten Satz des Jongleurs vereint.
JONGLEUR tritt ein / Was machen Sie denn da / Das Quintett liegt auf dem Boden / Herr Caribaldi / Morgen Augsburg / nicht wahr CARIBALDI Morgen Augsburg (MdG 255)
Sowohl die Reise, als auch die Musikprobe, bestimmen das weitere Handlungsmuster.
So sind auch beide Motive im finalen Schock vereint und bewirken den erschütternden
Effekt beim Rezipienten. Die Vereinigung des Quintetts gelingt nicht und Caribaldi
sinkt erschöpft, nachdem er alle anderen Mitspieler des Raumes verwiesen hat, nach
hastigem Aufräumen der Instrumente in seinem Fauteuil zusammen. „Morgen
Augsburg“ (MdG 349) bilden seine letzten Worte, danach erklingt das Forellenquintett
122 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.281.
54
im Radio. Das Überraschungsmoment ist perfekt. Alleine bleibt der vom Wahnsinn
befallene Zirkusdirektor zurück, „läßt den Kopf sinken“ (MdG 349) und verweilt in
resignativer Stellung. Was noch übrig bleibt ist schließlich die Musik aus dem
Rundfunkgerät, die wie als Ironie des Schicksals nach der misslungenen Probe ertönt.
Gleichzeitig hebt dieses finale Moment den Akt des Scheiterns des Protagonisten
hervor, gibt keinen Ausblick auf Versöhnung oder Veränderung, sondern setzt mit dem
Effekt der Erschütterung ein drastisches Ende.
Sehr deutlich lässt sich erkennen, wie beide Ereignisse einen Rahmen um das restliche
„Geschehen“ bilden und somit die duale Schockstruktur bestätigen. Dazwischen sind
kaum narrativ entwickelte Ereignisse festzumachen, denn der Fokus liegt auf dem zu
Beginn eingeführten Motiv, das „sprachlich unteleologisch und obsessiv umkreist und
entfaltet [wird], ohne dass sich daraus Fortschritte im narrativen Sinne ergeben“.123
Durch den effektvollen Schluss wird eine Peripetie freigesetzt, die nicht nur unerwartet
kommt, sondern die das Umschlagen des bisher Dargestellten ins Unbekannte bewirkt.
Clara Ervedosa bezeichnet dies als „Technik des Auslöschens“124, die verhindert, dass
der Leser das Ereignis in ein Sinnganzes zu stellen vermag. Deshalb „handelt es sich
um keinen hermeneutischen Moment und um keine hermeneutische Erfahrung, sondern
um einen Augenblick ästhetischer Intensität“125. Auf Grund der Negation des bisher
Dargestellten durch das zweite schockartige Ereignis, verändert sich das Erzählte zum
Ereignis selbst. Dadurch zeigt sich der episodische Charakter der Werke Bernhards, die
von einer Augenblickskunst bestimmt sind. Das Erzählte zwischen den beiden
Ereignissen verneint jeglichen Verweis auf zukünftige Ansprüche, wodurch „der Text
selbst insgesamt zur Episode [mutiert]“126.
In Immanuel Kant spannt sich der Ereignisbogen bis hin zum überraschenden Moment
am Ende des Dramas, das den Leser völlig unerwartet durch den Effekt der
Erschütterung mitreißt. Die intendierte Fahrt nach Amerika, um dort die
Augenoperation Kants durch die Hand der besten Ärzte vorzunehmen, dient
ausschließlich dazu, den verrückten, alten Mann den Pflegern der Irrenanstalt zu
123 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.287.124 Ebd. S.287.125 Ebd. S.287.126 Ebd. S.288.
55
übergeben. Die Überraschung für den Leser liegt darin, dass jegliche dargestellten
Ereignisse rund um diese Reise und das Leben Kants ein vorgetäuschtes Spiel sind. Die
Irritation erfolgt deshalb so stark, da bis zum Zeitpunkt der Übergabe Kants in die
Hände der Ärzte diese Scheinwelt nicht durchbrochen wird. Nur die Bühnenanweisung
„Wartende an Land, darunter Ärzte und Pfleger eines New Yorker Irrenhauses“ (IK
339) klärt den Leser des Missverständnisses auf und zurück bleibt erneut die
vollkommene Leere und Verständnislosigkeit des Rezipienten. Anfangs- und
Schlussszene ähneln einander in diesem Drama nicht und die einrahmenden Ereignisse
sind nicht klar einzureihen. Ein möglicher Hinweis dafür begründet sich im
Täuschungsspiel um Kant, das der Leser nicht von Beginn an als solches identifizieren
kann.
Der Theatermacher beginnt mit der Ankunft im Gasthof Schwarzer Hirsch im Dorf
Utzbach, die an sich kein schockartiges Ereignis bezeichnet, jedoch gleich zu Beginn
als solches durch Hinweise auf eine unangenehme Atmosphäre eingeführt wird.
BRUSCON […] Was hier / in dieser muffigen Atmosphäre / Als ob ich es geahnt hätte / […] nicht einmal zum Wasserlassen / habe ich diese Art von Gasthäusern betreten / Und hier soll ich / mein Rad der Geschichte spielen / […] Trostlos / […] Absolute Kulturlosigkeit / trostlos (TM 13)
Seine Komödie will Bruscon eigentlich nicht in diesem verkommenen, kläglichen
Wirtshaus spielen, das Unbehagen ist auch vom Leser unvermittelt zu spüren. Das
Ereignis der erzielten Aufführung bestimmt jede weitere Entwicklung der Handlung, an
der, wie auch schon in Die Macht der Gewohnheit oder Immanuel Kant, kein narrativer
Fortschritt zu erkennen ist. Der laute und fulminante Schluss des Dramas endet im fast
physischen Schock. Bevor die Schauspieler die Bühne überhaupt noch betreten können,
entsteht ein Brand im Pfarrhof, vor dem das Publikum fliehen muss. Den Rahmen
bilden hier zwar nicht die Worte des Protagonisten, doch die fehlgeschlagene
Aufführung führt zur „Auslöschung“ der bisherigen Ereignisse. Ohne Publikum gibt es
keine Komödie, ohne Komödie ist das Theater Spielen sinnlos, ohne dem Schauspiel
besteht kein Grund mehr, der das Leben befürwortet. Während bei Kindern und Frau
die Erleichterung förmlich zu spüren ist, bleibt dem großen Staatsschauspieler Bruscon
nichts Anderes mehr als die Resignation.
56
SARAH ihren Vater umarmend, ihn auf die Stirn küssend, sehr zärtlich […] bringt ihm einen Sessel, auf dem er zusammensinktBRUSCON nach einer Weile, in welcher sich Donnergrollen und Regen bis zum Äußersten verstärkt haben / Als ob ich es geahnt hätte / Vorhang (TM 116)
Dass die unterschiedlichen Überraschungsmomente am Ende der Dramen eine
Wirkung beim Publikum auslösen sollen, und eben nicht hermeneutisch auf einen Sinn
ausgerichtet sind, konnte effizient nachvollzogen werden. Ob diese effektvolle Wende
nun Schock oder Komik im Rezipienten auslöst, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Die Ereignisstruktur und der damit zusammenhängende schockartige Schluss der Texte durch das zweite Ereignis kann verwirren, verstören und irritieren […]. Diese Technik kann aber auch einen zentralen Baustein des Komischen bilden, wenn es in einem spielerischen Kontext ausreichend verfremdet vorkommt […].127
Da das Gefühl des Schocks jedoch nicht rein negativ zu werten ist, besteht die
Möglichkeit einer Überleitung des einen Affekts in den anderen. Ein Brand in einem
Gasthof, aus dem sich Menschen schreiend entfernen, wirkt jedenfalls zunächst einmal
als Erschütterung und kann sich dann unter Berücksichtigung eines zuvor spielerisch
entwickelten Kontextes zu einem erquickenden Gefühl – der Komik – verändern. Die
nächsten Kapiteln widmen sich deshalb der komischen Elemente der Dramen.
127 Ervedosa: S.288/289.
57
6.3 Die Wirkung der Komik
6.3.1 Der Text als Bühne
Anschaulichkeit wie auch Harmlosigkeit des Dargestellten, fungieren als wichtige
Voraussetzungen, damit Komik funktioniert. So lässt sich erklären, warum ähnliche
Elemente der Dramen zugleich schockartige, aber eben auch komische Effekte
auslösen. Wenn die Bedrohlichkeit der Situation nicht gegeben ist und der Kontext
zuvor dem Rezipienten ausreichend anschaulich dargelegt wurde, kann die eigentlichen
Erschütterung in eine komische Reaktion mutieren.
Die Verdichtung von Zeit, Raum und Handlung und der daraus erzielte Eindruck der
Geschlossenheit, führen zu einer unangenehmen, eingeengten, bedrohlichen
Einordnung des Geschehens. Da jedoch der Schauplatz an sich und die Bestimmung
der Zeit als alltäglich und familiär einzuordnen sind, bleibt die Wirkung der
Erschütterung aus. Eine Zirkusgruppe in einem Wohnwagen, eine Schauspielerfamilie
in einem Gasthof und eine verwirrter Philosoph auf einem Schiff repräsentieren Räume
mit Hang zum Burlesken. Auf das Gasthaus in Der Theatermacher bezogen, äußert sich
Eun-Soo Jang folgendermaßen: „Er wirkt mit seiner provinziellen Stimmung, die durch
Schweinegrunzen und Misthaufen konnotiert wird, eher komisch-karikierend.“128 Was
sich jedoch nicht ändert, ist der bedrückende, erschütternde Einfluss auf den Leser
hinsichtlich der Geschlossenheit dieser Elemente. Diese darf nicht mit der Wahl und
der zusammenhängenden Wirkung des Schauplatzes verwechselt werden. Auch dass
die Zeitdimension durch Anspielungen auf eine alltägliche und historische Zeit
greifbarer und zugleich zuordenbar wird, äußert sich positiv für den Effekt der Komik.
Wie im Kapitel zuvor anschaulich erläutert, ist eine Doppelereignisstruktur in den
Dramen zu erkennen, die vor allem eine Reaktion des Schocks beim Rezipienten
auslöst. Die nicht narrativ ausgearbeitete Handlung führt jedoch deshalb auch zu einer
komischen Wirkung, weil sie bis zum Ende hin übertrieben entwickelt wird.
128 Jang: Die Ohn-Machtspiele des Altersnarren. S.73.
58
[…] dass Zeit und Raum in den 70er und 80er Jahren alltäglicher werden, trägt dazu bei, dass der dramatisch konstruierte Text nicht nur verdichtend und verstörend, sondern zunehmend spielerischer, theatralischer und performativer wirkt. Dies in Verbindung mit der weiterhin bestehenden Geschlossenheit des Raumes und der Zeit sowie dem Ereignischarakter des Geschehens lassen die Texte zunehmend zu „Bühnen“ mutieren […].129
Die Protagonisten nutzen ihren Raum als Bühne des Lebens, in dem sie mit ihren
Reden theatralisch auftreten, während so die restlichen Personen einem stummen
Inventar gleichen. Darauf bezieht sich das nächste Kapitel.
6.3.2 Theatralische Figuren
Die folgende Szene aus Der Theatermacher soll die Bühnensituation veranschaulichen,
bei der die Figurendisposition durch Binarität theatralisch gestaltet ist.
BRUSCON […] Mit den Frauen hat es die größten Schwierigkeiten / auf dem Theater / sie haben nichts begriffen / Sie gehen nicht bis zum Äußersten / sie gehen nicht in die Hölle in die Theaterhölle hinein / alles ist halbherzig was sie machen / Halbherzigkeit verstehen sie / diese Halbherzigkeit aber / ist der Tod des Theaters / Aber was wäre eine solche Komödie wie die meinige / ohne weibliche Darsteller / wir brauchen sie / Will unsere Komödie aufblühen / brauchen wir Frauen in unserer Komödie / das ist die Wahrheit / ist sie auch noch so bitter / Wenn Sie wüßten was es mich gekostet hat / meiner Frau die primitivsten Grundregeln des Theaterspielens beizubringen / jede Selbstverständlichkeit ein Martyrium auf Jahre / einerseits brauchen wir weibliche Darsteller / andererseits sind sie tödlich für das Theater (TM 28/29)
Unterdessen der Geistesmensch130 sich durch unermüdliche Reden selbst als
Schauspieler inszeniert, verweilen die Nebendarsteller als passive Zuhörer an der Seite.
Dergleichen hält Bruscon hier endlose Redekaskaden, während beispielsweise der Wirt
neben ihm nur als stummer Statist fungiert. Doch auch die Kinder Bruscons oder seine
Frau nehmen eine ähnliche Position ein. Sie erhalten die Funktion eines Publikums, das
dem Protagonisten den Raum zur Entfaltung bietet. „Diese Konstellation wirkt so, als
129 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.296.130 Ebd. S.296.
59
ob der Protagonist eine Bühne betreten würde, um eine langen Vortrag zu halten,
währenddessen der Zuhörer auf der Bühne die passive Funktion eines Publikums
übernimmt.“131 Das Theaterstück schafft in diesem Sinne den direkten Eindruck dieser
Figurendisposition, da die Zuschauer das Geschehen physisch wahrnehmen, ohne dass
eine Erzählinstanz sie erst über die Umstände aufklären muss.
In Immanuel Kant fungiert die Schiffsreise auch ähnlich einer Bühne für Kant und
seinen Vogel. Vor allem in der ersten Szene hält der Professor endlose Vorträge über
sein geliebtes Haustier und dessen unausgesprochen heikle Fürsorge. Das
Schiffspersonal gehört dem fixen Bühneninventar an, klärt Kant wiederholend über die
Windsituation auf und wirkt daher zusätzlich sehr mechanisch.
STEWARD Haltung annehmend / Alles in Ordnung / auf Hoher See KANT setzt sich wieder, nachdem sein Klappstuhl gerichtet worden ist, dann / Ich muß / die Ideallinie haben / befeuchtet seinen rechten Zeigefinger und hält ihn hoch in die Luft / West Nordwest / IdeallinieSTEWARD Haltung annehmend / West Nordwest / IdeallinieFRIEDRICH Ideallinie Ideallinie (IK 259)
Die Aufgabe der Bordcrew besteht darin, eine Bühnensituation zu schaffen und dem
Geschehen zu lauschen. Auch Ernst Ludwig übernimmt die passive Statisten-Rolle als
Diener an Kants Seite. In der zweiten Szene verändert sich die Figurendisposition ein
wenig, da der Protagonist anfangs fehlt und nur Kants Frau und die Millionärin das
Geschehen voran treiben. Als er sich wieder in die Szene einfügt, finden zwar
zwischenmenschliche Gesprächssituationen statt, die Selbstinszenierung und das
performative Sprechen Kants enden dabei jedoch nicht.
In Die Macht der Gewohnheit fungiert die Zirkusgruppe nicht als rein passives
Publikum, insbesondere der Jongleur führt zu Beginn des Dramas ausgiebige
Diskussionen mit Caribaldi. Diese anfangs ausgeglichene Sprechsituation ändert aber
nichts an der Übermachtstellung des Zirkusdirektors, der besonders gegen Ende des
Stückes durch seine überlauten Befehle und Wutausbrüche die Theatralisierung erst
initiiert. „Bei ihrem „Auftritt“ verhalten sich die unermüdlich redenden
Geistesmenschen fast wie Richterinstanzen, die mit ihrem radikalen und
schonungslosen Urteilen ihre Mitmenschen und ihre Umwelt zugrunde richten.“132
131 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.296.132 Ebd. S.298.
60
CARIBALDI Das ist eine Unverschämtheit / die Haube fallen zu lassenJONGLEUR Eine ganz bestimmte Kopfbewegung / und die Haube fälltCARIBALDI zeigt mit dem Cellobogen auf den Kopf des Spaßmachers / Und die Haube fällt / fällt die Haube […] Eine Unverschämtheit / eine Unverschämtheit […] Sie lachen zu sehen / Sie nicht nur lachen / zu hören / Sie lachen zu sehen / bei diesem widerwärtigen Anlaß / Jongleur lacht jetzt vollkommen frei und laut vor sich hin / Es gibt nichts Abstoßenderes / als das unmotivierte Lachen / eines intelligenten Menschen (MdG 326)
Diese Szene gewinnt auf Grund der Verschmelzung der sinnlosen, sprachlichen
Einwürfe Caribaldis mit den Slapstick-Elementen des Spaßmachers und der Wirkung
der Bühne durch den Jongleur als Kommentator und der Enkelin als Zuschauerin eine
farcenhafte Dimension. Wie die Figuren sprechen und ihre Reden entfalten, bedarf
dabei genauerer Untersuchung, da gerade die Inszenierung der Sprache essentiell zur
Wirkung der Komik beiträgt.
6.3.3 Verfarcung
Clara Ervedosa hebt die Konkretisierung des Semantischen in den Dramen Thomas
Bernhards besonders hervor, da diese für sie elementar die Komik der Werke bestimmt.
Themen und Motive aus der gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Wirklichkeit werden immer stärker herangezogen: Institutionen wie Kirche, Justiz, Schulen, Regierung, aber auch Parteien, Ärzte, Akademiker, Vertreter des Kunstbetriebs sowie zum Kanon gehörende Schriftsteller, Philosophen […] kommen häufiger in den Texten Bernhards vor.133
In Der Theatermacher beharrt der Protagonist Bruscon auf das unabdingbare
Ausschalten des Notlichts, damit seine Komödie auch wirklich funktioniert und nicht
zu einer Tragödie wird. Bei der Uraufführung 1972 von Der Ignorant und der
Wahnsinnige bei den Salzburger Festspielen diskutierte man über das selbe Problem.
Thomas Bernhard brüskierte sich über die Situation, dass ein Publikum keine zwei
133 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.299.
61
Minuten Dunkelheit ertragen könne134. Der Autor verarbeitet so ein Stück seiner
Vergangenheit und greift es als Thema für ein neues Drama auf. Im Detail ist es nicht
meine Intention autobiographische Ansätze zu diskutieren, die in den Theaterstücken
möglichen Verweischarakter bieten, sondern schließe mich Clara Ervedosa an, dass es
Thomas Bernhard einfach verstand
Anspielungen auf Institutionen, gesellschaftspolitische Ereignisse und Personen einfließen zu lassen, auch wenn er keine politischen Werke im aufgeklärten und engagierten Sinne etwa des Dokumentartheaters verfasste. Weder zielen die Anspielungen auf die Abbildung der Wirklichkeit, noch stellen sie Bestandteile einer zu rekonstruierenden einheitlichen Botschaft dar. Eher dienen sie als „Munition“ für die Demontagen.135
Die Dramen besitzen durch potentielle Andeutungen auf die Wirklichkeit beachtliches
Provokationspotential, da der Leser zum Geschehen eine Verbindung herstellen kann.
Essentieller Bestandteil der Verfarcung sind die Elemente „niedriger“ Realität, die als
Gegensatz zur Welt des Geistes stehen. Der Fokus liegt dabei auf dem Somatischen,
also auf dem Körper, „der traditionell für eine anarchische, antizivilisatorische und
daher auch provokative Seite der menschlichen Natur steht“136. Der Körper wirkt
zudem nicht mehr nur als kranker, alter Körper, sondern erzielt damit gleichzeitig einen
komischen Effekt.
In Die Macht der Gewohnheit sticht die Hauben-Szene als Slapstick-Element hervor.
Die Zirkusnummer des Spaßmachers ist so aufgebaut, dass ihm in unerwarteten
Momenten seine Haube vom Kopf rutscht. Caribaldi bringt dies jedoch zur
Verzweiflung, obwohl der Geniestreich sogar seine Idee war. Die Komik entfaltet ihre
Wirkung gerade im Zusammenfall der Wut des Zirkusdirektors über das Rutschen der
Haube und seine verzweifelten Versuche, den Scherz durch das Befestigen zu
unterbinden. Die unzähligen Male, die die Haube vom Kopf rutscht, intensivieren den
Effekt.
CARIBALDI zum Spaßmacher / Du machst mich wahnsinnig / wenn du die Haube / mit beiden Händen / an deinem Kopf festhältst / Spaßmacher nimmt die Hände weg vom Kopf, die Haube fällt / Caribaldi ruft aus / Ein Alptraum /
134 Vgl. Sandra-Michaela Risska: „Möglicherweise wird gesagt, ich selbst sei in meinem Theater....“. Die Selbstinszenierung Thomas Bernhards als Kunstfigur. Diplomarbeit. Univ. Wien 2008. S.119.
135 Ervedosa. „Vor den Kopf stoßen“. S.301.136 Mack,Gerhard: Farce. Studien zur Begriffsbestimmung und Gattungsgeschichte in der neueren
deutschen Literatur. München: Fink 1989. S.36.
62
ein Alptraum / Spaßmacher setzt sich die Haube wieder auf (…) Caribaldi, die Haube des Spaßmachers untersuchend, zum Jongleur / Vielleicht ist es / nur eine Frage / des Stoffes […] Seide ist es […] Muß es Seide sein / Es muß nicht Seide sein / Leinen / Leinen / gestärktes Leinen (MdG 327/328/329)
Das komische Potential der viel zu bauschigen Haube, die auf dem Kopf des
Spaßmachers bleiben muss, wird vollkommen ausgeschöpft. Caribaldi schreit zum
Schluss nur noch von Wahnsinn getrieben herum und merkt dabei nicht, dass gerade
diese Reaktion die Komik immer weiter vorantreibt. Eine eigene Binnenszene „Über
die Haube“ (MdG 336) hebt dieses Slapstick-Element außerordentlich hervor, reizt das
Komikpotential vollkommen aus und weist in gewissem Maße auch auf eine
Übertreibung von Caribaldis Kontrollfunktion hin. Er erklärt dem Spaßmacher ganz
genau, wann und wie er die Kopfbedeckung zu befestigen hat, damit „die Haube zum
richtigen Zeitpunkt / vom Kopf fällt“ (MdG 341).
Eine ähnliche Szene, jedoch viel kürzer und prägnanter, findet sich in Der
Theatermacher. Bruscon hält gerade eine seiner endlosen Redekaskaden im völlig
ernsten und pathetischen Ton, während hinter seinem Rücken sein Mantel von Hand zu
Hand gereicht wird. Es wirkt fast wir eine geheime Aktion der Umstehenden, von der
er selbst nichts wissen darf. Seine Rede entgleitet ihm dadurch natürlich nicht und
verweist so erneut auf diese Vermischung des Ernsten mit dem „unabsichtlich“
Komischen.
BRUSCON […] zu Sarah / Wenn du mir nun endlich meinen Mantel / ausziehen würdest / erhebt sich, Sarah hilft ihm aus dem Mantel BRUSCON Opfer unserer Leidenschaft / sind wir alle / gleich was wir tun / wir sind die Opfer unserer Leidenschaft /Sarah nimmt den Mantel und gibt ihm Ferruccio, der gibt den Mantel an den Wirt weiter, der ihn auf den Arm nimmt BRUSCON Wir sind todkrank / und tun so / als lebten wir ewig[…] (TM 53/54)
Die auffällig eingesetzten Geräusche, die das Geschehen der Bühne untermalen, dienen
als ein weiteres Motiv der „niedrigen“ Realität. Das „Schweinegrunzen“ (TM 94)
begleitet wie eine Art Hintergrundmusik das gesamte Drama. Besonders intensiv ertönt
es bei der Szenenprobe von Bruscon und seinem Sohn Ferruccio. Der Text den dieses
Geräusch begleitet, könnte nicht noch ironischer gestaltet sein. Beide Personen spielen
so, als würden diese unüberhörbare und wahrscheinlich auch störenden Tierrufe nicht
existieren.
63
In Immanuel Kant gibt es zwar keine Tierlaute, die den Text begleiten, jedoch erscheint
das Geräusch der Dampfpfeifen mindestens genauso auffällig. Es untermalt die Reden
Kants und intensiviert sich gegen Ende des Dramas. Bevor Kant von den Pflegern
entgegengenommen wird, ertönen sie wie Warnrufe.
In der gekonnten Verschränkung von lärmendem Schiffshintergrund (ständiges Pfeifen), mechanischem Zeremoniell, mit ungeschickt-lächerlicher Unterwürfigkeit, banal-trivialem Party-Geschwätz, quasi professoralem Gefasel und senil-tyrannischer Präpotenz zeichnet Bernhard eine Situation, welche durch die an Dürrenmatt erinnernde Doppeldeutigkeit (Wahnidentität oder Wirklichkeit) und mit der abschließenden Zwangsabführung Kants durch das Personal einer New Yorker Irrenanstalt ins Grotesk-Komische umkippt.137
Ein weiteres Thema, das in Bernhards Dramen immer wieder aufgegriffen wird, ist das
Motiv des Essens und der damit in Verbindung stehende komische Effekt. Schon in der
antiken Tradition ist es üblich über Figuren und ihre Sorge um ihr leibliches Wohl zu
berichten, welche Esskulte sie pflegten oder welche Geräte man dazu verwendete.
Hungrige Sklaven fungierten als fixer Bestandteil komödiantischen Theaters und
erzeugen so situationskomische Effekte. Auch Thomas Bernhard bedient sich dieser
Methodik der volkstheatralen Komik,
die schon in den deftigen Komödien der Antike, im Mimusspiel, später dann in der Commedia dell´arte, in den Wandertruppenspektakeln, den Hanswurstiaden und der Altwiener Komödie Gelächter garantiert hatten, ehe die Theaterreformer der bürgerlichen Aufklärung das Stegreiftheater als solches und insbesonders die offenherzige Darstellung körperlicher Bedürfnisse als zotenhaft verteufelten.138
Besonders auffällig erscheint die Situation in Die Macht der Gewohnheit, in der der
Dompteur Rettich auf dem offenen Klavier isst und dazu Bier trinkt. Den Gestank des
Rettichs, der Caribaldi so sehr anwidert, kann er nicht ignorieren.
CARIBALDI Das ist ja nicht auszuhalten / dieses verstimmte Klavier / und dieser entsetzliche Gestank / vom Rettich […] Das Klavier als Biertisch / als Unterlage für das Verzehren / das unaufhörliche Verzehren / von Rettich […] Immer ist dieser entsetzliche / dieser grauenhafte Rettichgeruch / in der Luft / Alles stinkt nach Rettich JONGLEUR Nach RettichENKELIN Nach Rettich (MdG 332/333)
137 Barthofer: Vorliebe für die Komödie. S.90138 Haider Pregler, Hilde und Birgit Peter: Der Mittagesser. Eine kulinarische Thomas-Bernhard-
Lektüre. Wien. München: Deuticke Verlag 1999. S.26.
64
Ebenfalls burlesk eingesetzt ist das Motiv des Essens in der zweiten Szene, als der
Dompteur mit einbandagiertem Arm am offenen Klavier sitzt und dem Spaßmacher
mehrmals abgerissene Stücke Brot, Wurst und Rettich zu Boden wirft, der sie sogleich
verspeist. Der Spaßmacher erinnert dabei an ein Tier, dem die Reste des eigenen Mahls
als „Leckereien“ hingeschleudert werden.
In Der Theatermacher und Immanuel Kant existieren zwei unterschiedliche
Verarbeitungen dieses Motivs. Während Bruscon mit seiner Familie im Gasthof die
köstliche Frittatensuppe genießt und dies der einzige Moment der vereinten Stille und
Glückseligkeit zu sein scheint, ist das Mahl der Schiffsreisenden alles andere als ein
leiser, inniger Moment. Die Tanzmusik, der Alkohol und das Lampionfest vereint mit
Kants Vortrag, führen zur übertriebenen zur Schau Stellung des Vogels. Er ist der
Ehrengast des Tisches, „das größte Kunstwerk der Welt“ (IK 338). Die Ekstase ergreift
auch Kant, der trotz seiner zuvor dargestellten Gebrechen zum Schluss mit der
Millionärin zum Donauwalzer tanzt.
Einen irritierenden, aber durchaus komischen, Charakter erlangt die Szene der
Fütterung des Papageis. Auf Grund vergangener Ungeschicklichkeiten des Dieners
kostet Kant die Körner der Tiernahrung. Besondere Aufmerksamkeit liegt dabei auf
dem Kauprozess, der in der Regieanweisung durch hervorgehobene Deutlichkeit und
Geräusche präsentiert wird.
KANT Ernst Ludwig will den Sack zumachen, Kant hindert ihn daran und entnimmt dem Sack eine Körnerprobe […] steckt das Korn in den Mund und zerkaut es (…) kaut wieder deutlich sichtbar […] plötzlich ausspuckend, laut (IK 271/272)
Aber auch in Der Theatermacher führt das Essen nicht nur zu wohliger Stimmung,
sondern erzielt gleichsam komische Effekte. Die Frittatensuppe, „sozusagen unsere
Existenzsuppe“ (TM 40) - natürlich ohne „Riesenfettaugen“ (TM 14) - ist das einzige,
das in Utzbach gegessen werden kann und die Verwendung des Wassers muss zuerst
einer strengen Kontrolle unterzogen werden.
BRUSCON Gewöhnliches Wasser / Leitungswasser / hier in Utzbach / hier wo alles verseucht ist / wo alles eine Kloake ist […] Römerquelle habe ich gesagt / Mineralwasser / Mineralwasser unter Verschluß (TM 74)
65
Was die Protagonisten in Bernhards Dramen mit mehr oder weniger Begeisterung zu
sich nehmen, darf keinesfalls als unwichtiges, szenisches Beiwerk gesehen werden.
„Speisen lassen sich für Disziplinierungsmaßnahmen, Machtdemonstrationen und
Demütigungsrituale gebrauchen, Lebensmittel ermöglichen Kommunikation und
Interaktion.“139 So bekommt beispielsweise die Enkelin Caribaldis als Strafe nur mehr
„Kartoffelsuppe“ (MdG 324) zu essen. Wie in der beschriebenen Szene oben aus Der
Theatermacher kann das gemeinsame Mahl aber auch der sinnlichen Erfahrung dienen.
Groteske Elemente finden ebenfalls ihre Verwendung in den Dramen. Sie sollen kurz
erwähnt werden. Während die Familie in Der Theatermacher am Tisch zusammensitzt
und isst, betritt die Tochter des Wirten die Szene. Obwohl sie stumm bleibt, bricht sie
den kurz idyllisch wirkenden Moment der Familie: „Erna fängt heftig zu kehren an und
wirbelt / ungeheuren Staub auf / Alle fangen zu husten an“ (TM 62). Die Szene wirkt
entsetzlich und lustig zugleich. Es ist unvorstellbar das in einem Gasthof jemand zu
kehren anfängt, wenn Gäste gerade beim Essen sitzen.
Ähnlich verhält es sich in der Situation in Immanuel Kant, wenn die Millionärin
beschreibt, dass auch „der Papagei mit zwei Lampions hereinkommt“ (IK 299) und
dem festlichen Treiben beiwohnen soll.
Insgesamt verwehren die Elemente der „niedrigen“ Realität durch ihre Präsenz den
Ausblick auf eine höhere Realität und tragen deshalb essentiell zum Effekt der Komik
bei.
6.3.4 Performatives Sprechen
Wie in den ersten Kapiteln schon erwähnt, zeichnen sich die Dramen nicht gerade
durch ihre vielzähligen, nur schwer durchschaubaren Handlungsstränge aus, weshalb
das Hauptaugenmerk an einem anderen Punkt angesetzt werden muss. Die endlosen
Redekaskaden der Protagonisten sind ein Hinweis darauf, wie Sprache selbst zum
139 Haider-Pregler und Peter: Der Mittagesser. S.25.
66
Ereignis mutiert. Gestik, Mimik oder auffällige körperliche Tätigkeiten wirken nicht
gerade handlungsbestimmend, sondern sind eher eine Ausnahmeerscheinung einzelner
Figuren. Wichtig also erscheint, die Inszenierung der Sprache zu untersuchen, da diese
von Intensität und Gewalt getragen wird. Clara Ervedosa bezeichnet die Sprache selbst
als Protagonist des Werkes.
Die Sprache gibt zwar nicht die dominante Rolle auf, welche sie schon immer in der europäischen Theatertradition hatte. Jedoch verwandelt sie sich erheblich, indem sie nicht nur als Mittel zum Zweck bzw. Sinnträger fugiert, sondern sich selbst inszeniert und in den Mittelpunkt stellt.140
Die Sprache manifestiert sich nicht nur in Worten, sondern fungiert gleichzeitig als
Körpersprache und steht deshalb in Verbindung mit Bewegung und Intensität. „Diese
Somatisierung der Sprache manifestiert sich deutlich in Formen des exaltierten
Sprechens wie vor allem in den Übertreibungen, den Wiederholungen, den
Schimpftiraden, den unsinnigen Reden und den Kursivstellen in manchen Texten.“141
Da eine Aufzählung aller sprachlich komischen Elementen nur zu einer ermüdenden
Aneinanderreihung führen würde, sollen nur die wichtigsten übergreifenden Beispiele
der Dramen kurz zur Veranschaulichung dienen.
Die Wiederholung ist ein besonders stark eingesetztes Mittel der performativen
Sprache der Dramen. Besonders auffällig erscheint die Reiteration durch Verrücken
unterschiedlichster Gegenstände.
[…] Sarah und Ferruccio mit rechter Gipshand kommen mit der großen Maskenkiste hereinBRUSCON Da kommt die Maskenkiste hin / dahin / sie tragen die Maskenkiste dahin, wo Bruscon sie hingestellt haben willBRUSCON Dahin habe ich gesagt / zeigt es mit dem Stock / Dahin / Doch nicht dahin / die Maskenkiste wird aufgehoben und wieder hingestelltBRUSCON Dahin / dahin die Kiste / die Maskenkiste dahin / dahin / dahin wo ich gesagt habe / Wirt kommt auf das Podium und hilft die Maskenkiste tragenBRUSCON Ich sagte doch / dahin / sie stellen die Kiste ab (TM 50)
In ähnlicher Variation, eventuell kürzer und prägnanter, taucht diese Form der
Wiederholung immer wieder auf, jedoch Bezug nehmend auf unterschiedliche
Gegenstände. Sogar in Der Theatermacher lassen sich noch weitere Szenen dieser Art
140 Ervedosa: „Vor den Kopf stoßen“. S.307.141 Ebd. S.307.
67
finden. Natürlich stellt immer Bruscon die befehlende Figur dar, während
beispielsweise der Wirt und die Wirtin versuchen einen Wäschekorb an den richtigen
Platz zu stellen (TM 70). Kurz darauf muss Ferruccio eine Probe über sich ergehen
lassen, bei der ihn sein Vater mit dem mehrmaligen Hin- und Herschieben des
Vorhangs (TM 72) und dem Suchen der nützlichen Stelle für den Paravent quält.
Mit selbigem Motiv wird in Immanuel Kant eine komische Wirkung erzielt. Der Käfig
des Papageien muss in der Ideallinie (IK 256) mit Kant selbst stehen, die natürlich
nicht auf Anhieb gefunden werden kann. Auch wie genau und in welcher
Geschwindigkeit Ernst Ludwig die Decke des Käfigs entfernt (IK 258), bedarf genauer
Anweisung des Professors. Doch nicht nur sein treuer Begleiter auch Kant selbst
benötigt die richtige Position des Klappstuhls (IK 305), während seine Frau die
Versorgung mit Decken unter Beobachtung stellt (IK 282).
Caribaldi versteht es, den Jongleur mit der Auswahl des korrekten Cellos (MdG 273)
für die jeweilige Tageszeit zu überfordern und überprüft immer wieder seine
Unterwerfung, indem er das Kolophonium fallen lässt (MdG 259), das ihm der
Jongleur wie ein Hund apportiert (MdG 297).
So wie der Text an sich sind auch die Wiederholungen nicht auf einen Sinn gerichtet
und wirken deshalb nicht ergebnisorientiert, sondern sogar den Sinn negierend und
verwirrend. Diese Schreibweise führt zu keiner narrativen Entwicklung, sondern kreist
um sich selbst. „Die zahlreichen Wiederholungen und Variationen zeugen von einem
exzentrischen Umgang mit Sprache, der nicht primär den Gesetzen der Vermittlung von
Inhalten folgt, sondern performativ neue Wege und Techniken ausprobiert.“142
Als übergreifendes, vereinheitlichendes Beispiel für die Übertreibungen in Bernhards
Dramen fungieren die unzähligen Schimpftiraden seiner Protagonisten über die
Mitmenschen, über Österreich an sich, oder die Kunst. „Durch den superlativischen Stil
erhalten Meinungen und Sichtweisen eine verabsolutierende Qualität, die keinen
Mittelweg und keinen Ausgleich zuläßt.“143 Der hyperbolische Stil bestärkt zusätzlich
den Eindruck des Unechten und damit auch die Distanzierung des Realitätsbezugs.
BRUSCON ein Tirolerisches in meinem Wesen / auch etwas Perverses / Österreich / grotesk / minderbemittelt / ist das richtige Wort /
142 Ervedosa. „Vor den Kopf stoßen“. S.313.143 Ebd. S.314.
68
unzurechnungsfähig / ist der richtige Ausdruck / Mozart Schubert / widerwärtige Präpotenz / Glauben Sie mir / an diesem Volk ist nicht das geringste / mehr liebenswürdig / Wo wir hinkommen / Mißgunst / niederträchtige Gesinnung / Fremdenfeindlichkeit / Kunsthaß / nirgendwo sonst begegnen sie der Kunst / mit einer solchen Stupidität (TM 32/33)
Da die Übertreibung jegliche Möglichkeiten der Themen und Motive ausschöpfen kann
und auf ihnen dadurch zugleich eine starke Fokussierung liegt, bieten sie großes
Potential an Intensität der Komik. Umso „lauter“ oder eben intensiver sich das Thema
präsentiert, desto mehr verliert es an Glaubwürdigkeit und Realitätsbezug. Clara
Ervedosa hebt besonders diesen Charakter der Intensität der Übertreibung hervor, da er
sich ideal für die Performisierungszwecke144 eignet. Die Schimpftiraden bringen immer
einen ausdrucksstarken Affekt mit sich, weil sich der Sprecher in einem Zustand von
geballter Intensität befindet, die er versucht zu äußern. Nicht nur der Intellekt, sondern
auch der Körper nimmt an der Sprache teil und „der „ganze“ Mensch [verwandelt sich]
so in Ausdruck“145. Die Sinnfunktion steht dabei nicht mehr in Zusammenhang mit der
Sprache, die stark an Körperlichkeit gewinnt und somit als intensives Ausdrucksmittel
fungiert.
Die Schimpftiraden erweisen sich außerdem als ideal für die Lust am Experimentiern mit den sprachlichen Möglichkeiten, weil die Sprache darin nicht der Disziplin und Ökonomie des diskursiven Gebrauchs unterworfen ist. Stattdessen kann sie in unendlichen langen Sätzen wiederholend und luxuriös um sich selbst kreisen, ihre Grenzen erproben, neu Wege suchen und sich in exzentrischen Ausdrucksweisen ostentativ inszenieren.146
Die Szene in der sich Bruscons Tochter hinter dem Vorhang versteckt und ihrem Vater
gelegentlich die Zunge entgegenstreckt, während ihr Bruder versucht den Anweisungen
richtigen Vorhangziehens zu folgen, fällt in die Kategorie „Blödeln und Unsinn“.
Genauso wie die Slapstick-Elemente verstärken jene Motive die Lust am Unsinn oder
auch dessen spielerische Entfaltung. Bei solchen Szenen rücken Ausdruck und Präsenz
in den Mittelpunkt des Geschehens und maximieren „die performative Dimension der
Sprache“147.
144 Ervedosa. „Vor den Kopf stoßen“. S.315.145 Ebd. S.315.146 Ebd. S.317.147 Ebd. S.318.
69
Direkt auf die Ausdrucksform bezogen schafft es Thomas Bernhard zusätzlich mit
Neologismen und Wortspielen die komische Wirkung zu entfalten. Verschiedenste
Kalauer wie „Utzbach wie Butzbach“ (TM 13) oder das Missverständnis der
„Seekrankheit mit der Sehkrankheit“ (IK 208) durchziehen die Dramen.
Neologismen oder unbekannte Wortkomposita legen das Spiel der Überschreitung der
Grenzen offen und bereiten einen Weg um ein Thema noch mehr aufzubauschen.
Gleichzeitig stehen sie jedoch für den Versuch neue Sprachmöglichkeiten zu entfalten
oder auch bisher konträre Bereiche zu verbinden und so die Konventionen auf den
Kopf zu stellen. „Gerade in ihrer Neukombination, in ihrer unteleologischen
Bewegung, in Virtuosität und Artistik und dem dadurch gewonnenen Reichtum liegt ihr
performatives, sinnliches bzw. musikalisches Potential.“148 So verstärkt es den
Ausdruck, wenn Bruscon sich darüber ärgert, dass seine Frau die Komödie „verhustet“
(TM 37) oder die Schweine jene „zergrunzen“ (TM 57). Die „Wändescheußlichkeit,
Deckenfürchterlichkeit, Türen- und Fensterwiderwärtigkeit“ (TM 35) betont wohl den
übertrieben Frust des großen Staatsschauspielers, in welch „schauerlichem Utzbach“
(TM 35) er da sein Theaterstück spielen muss. Sowohl in Der Theatermacher, als auch
in Immanuel Kant sorgen verwirrend beantwortete Fragen, wie „an was ist sie
gestorben – an der Gartenschaufel“ (IK 277) oder – „an der Gastronomie“ (TM 34) für
wirksame Effekte der Komik.
Diese Auszüge stellen nur einen winzig kleinen Teil der komischen Sprachverwendung
in Thomas Bernhards Dramen dar und sollten nur der Veranschaulichung der Idee
dienen, wie der Autor es schafft, auch auf dieser Ebene auf unterschiedliche Weise eine
komische Wirkung zu entfalten.
148 Ervedosa. „Vor den Kopf stoßen“. S.321.
70
6.3.5 Paradoxien
Der rote Fade, der sich durch die Dramen zieht, ist das unermüdliche Streben der
Protagonisten nach ihren utopischen Lebensansprüchen. An diesem Punkt entwickelt
sich die Ironie des Textes. Je mehr und intensiver sie ihr Ziel vor Augen haben, desto
mehr sind sie zum Scheitern verurteilt. Es ergibt sich daraus eine unaufhebbare
Paradoxie, die eine Notwendigkeit für die komische Wirkung darstellt. Die Figuren
stellen Fragen und Überlegungen über sich und ihre Existenz an, gelangen jedoch zu
keinem Ergebnis.
Der Titel Die Macht der Gewohnheit erweist sich als programmatisch. Caribaldis
Versuch die Zirkustruppe zu einer Musikprobe zusammenzuführen und dabei das
Forellenquintett perfekt zu spielen, scheitert jedes Mal. Aus dem Text geht hervor, dass
diese Unterfangen kein einmaliges Ereignis, sondern ein 22-jähriges unerfülltes
Vorhaben darstellt. Der Arzt verschreibt Caribaldi die Musik als „Therapie“ (MdG
2561), jedoch bleibt fragwürdig, ob seine Zirkusgruppe nicht genau das Gegenteil
bewirkt. Es scheint mehr Gewohnheit zu sein, warum diese Probe überhaupt noch
stattfindet, als Lust am Musizieren. Hinzu kommt, dass der Zirkusdirektor der Wahrheit
nicht ins Auge blicken will.
CARIBALDI […] Die Letzte Probe / ist ein Skandal gewesen / Das möchte ich nicht mehr / erleben / spielt des tiefsten Ton lange / Einen betrunkenen Dompteur / dem es Mühe macht auf den Beinen / einen Spaßmacher dem fortwährend / die Haube vom Kopf fällt / eine Enkelin die mir durch ihre Existenz allein / auf die Nerven geht / Die Wahrheit ist ein Debakel (MdG 263)
Keiner befürwortet das Zusammentreffen zur Probe, offensichtlich nicht einmal
Caribaldi selbst. Paradox wirkt dadurch das Festhalten an diesem ewig bestehenden
Lebensanspruch „das Forellenquintett / fehlerfrei / […] als ein Kunstwerk / zu Ende zu
bringen“ (MdG 264), was bisher auch noch nie gelang. „Caribaldi deklariert die Kunst
als alleinige sinngebende und identitätsstiftende Instanz, weshalb es für ihn keine
andere Möglichkeit gibt, zu leben, als weiterhin an der täglichen Quintettprobe
beziehungsweise an dem Versuch zu derselben festzuhalten.“149
149 Thill: Die Kunst, die Komik und das Erzählen im Werk Thomas Bernhards. S.152.
71
Je weiter das Drama voranschreitet, desto mehr verändert sich das Bild von Caribaldi.
Jener, der die ganze Zeit über den positiven Einfluss der Musik auf den Menschen
philosophiert, legt in einem schwachen Moment dann doch die Wahrheit offen.
CARBALDI […] Die Wahrheit ist / ich liebe das Cello nicht / Mir ist es eine Qual / aber es muß gespielt werden / meine Enkelin liebt die Viola nicht / aber sie muß gespielt werden […] Wir wollen das Leben nicht / aber muß gelebt werden / zupft am Cello / Wir hassen das Forellenquintett / aber es muß gespielt werden […] Nichts vormachen / kein Selbstbetrug […] Was hier ohne weiteres / als eine musikalische Kunst bezeichnet werden kann / ist in Wirklichkeit / eine Krankheit (MdG 279)
Durch die ständig geäußerten Widersprüche der Figur verlieren ihre Aussagen an
Glaubwürdigkeit und Wahrheitsgehalt, weshalb der Rezipient sich auch nicht mit dieser
identifiziert, sondern von ihr distanziert. Der komische Effekt wird so erzielt, dass der
Protagonist sich immer mehr in seine Redekaskaden und Paradoxien verschraubt und
das Publikum von außen nur mehr eine vom Wahnsinn getriebene Figur damit
verbindet, aber dem Gesagten keinen Wert mehr zuspricht. „Der Wahnsinn aber ist
beredt, er taucht immer schon im sprachlichen Gewand auf, ereignet sich in den Texten
und beherrscht ihre Thematik und Gestalt.“150 Dass sich Caribaldi von seinen Ideen
über das perfekte Kunstwerk in 22 Jahren nicht hat abbringen lassen und immer noch
andere dazu zwingt, mitzuspielen, zeigt von erstaunlicher Willenskraft. Da er aber
selbst für die Dinge gar nicht einsteht, die er verfolgt, tritt die komische Wirkung
hervor.
[…]; denn bei Bernhard resultiert die Komik oftmals gerade daraus, dass die Protagonisten den von ihnen selbst gesetzten, also objektiv im Text verankerten Normvorstellungen zuwiderhandeln und sich dessen entweder nicht bewusst sind, oder aber trotz der Einsicht in die Inkongruenz von ihrem eigenen Anspruch und der Wirklichkeit weiterhin verbissen an ihrem Tun festhalten.151
Bruscons Entwicklung in Der Theatermacher funktioniert auf sehr ähnliche Weise.
Auch sein utopischer Anspruch ist es, ein Kunstwerk im höchsten Maße zu schaffen.
Im Verlauf des Dramas würde man sein Scheitern, wie in Die Macht der Gewohnheit,
den Mitspielern zusprechen. Hier wirkt jedoch die Kraft von außen, das Gewitter als
finaler Auslöser zum Fehlschlag. Das Theaterspielen begeistert den Staatsschauspieler
150 Fuest: Kunstwahnsinn Irreparabler. S.64.151 Thill. Die Kunst, die Komik und das Erzählen im Werk Thomas Bernhards. S.23.
72
nicht, denn es macht für ihn keinen Sinn, so wie das Leben an sich auch nicht. Das
führt zum einzigen widerspruchslosen Ergebnis, nämlich zum Selbstmord. Dies scheint
aber auch nicht die optimale Lösung zu sein, deshalb wählt er den Ausweg in die
Ausweglosigkeit, also in die Paradoxie. „Den Sinn als Sinnlosigkeit, die Wahrheit als
Irrtum aufzufassen – und umgekehrt -, konstituiert ein zentrales philosophisches
Movens der exaltierten, leidenschaftlichen Reflexionen der Bernhardschen
Protagonisten.152 Bruscon befindet sich im Dilemma zu existieren, obwohl nichts dafür
spricht.
BRUSCON […] Tatsächlich habe ich einmal Gastwirt werden wollen […] Aber ich bin Schauspieler geworden / freiwillig in die Strafanstalt hineingegangen / auf lebenslänglich (TM 100)
Die Berufung als Schauspieler empfindet Bruscon als Gefängnisstrafe „Der
Lebenprozeß ist ein Einüben in den Tod. Niemand ist von der Todeskrankheit
ausgenommen, auch der Geistesarbeiter nicht.“153
In Immanuel Kant sticht neben den ständigen Sprüngen in Kants Reden vor allem die
Paradoxie der Reise nach Amerika hervor.
KANT zu Frau Kant / Ich glaube / ich komme / zu dem richtigen Zeitpunkt / nach Amerika / Im Grunde bin ich / ein Feind des Amerikanismus / Ich habe Amerika immer gehaßt / Jahrzehntelang habe ich mich geweigert / jetzt gehe ich nach Amerika / in diesem Falle geht jeder / Der Amerikanismus / ist schuld am Weltende (IK 287)
Die Analyse der einzelnen Elemente im Text hat gezeigt, dass Schock und Komik im
Werk Thomas Bernhards überlappende Phänomene sind, die das Publikum, besonders
am Ende, durch ihre Wirkung ergreifen sollen. Während die Themen, ihre Einbettung
in Raum und Zeit und ihre Ausführung mit rein ereignishaftem Charakter,
Erschütterung auslösen, erzielen die Gestaltung der Figuren an sich und ihre Sprache
besonders den komischen Effekt.
152 Fuest: Kunstwahnsinn Irreparabler. S.177.153 Schiefer, Bettina: Die Künstlerfigur in Thomas Bernhards Schriften „Frost“, „Das Kalkwerk“, „Die
Macht der Gewohnheit“, „Über allen Gipfeln ist Ruh“ und „Der Untergeher“. Diplomarbeit. Univ. Wien 1991. S.24.
73
Die objektiven Kriterien, wie Mechanik, Übertreibung, Wiederholung, Elemente der
niedrigen Qualität, die in den Kapiteln vor der Analyse als Voraussetzung für die
Wirkung der Komik genannt wurden, finden eben hier in den Werken Thomas
Bernhards ihre Anwendung. Das Modell, das ich von Clara Ervedosa für die Dramen
übernommen habe, orientiert sich also an den traditionellen Mustern zur Schaffung von
Komik, genauso wie auch Thomas Bernhards Dramen. Besonders dabei ist aber die
Gestaltung der unterschiedlichen Kriterien im Text selbst, wie schon die Analyse
zeigte.
Distanz, Harmlosigkeit der Situation und Erwartungsdurchbrechung der Norm wurden
als subjektive Bedingungen des Komischen bestimmt und auch die sind, wenn nicht
immer ganz durchgängig, erfüllt. Die Handlung in den Werken den Ereignischarakter
erhält, stört es nicht, dass zwischendurch der Zuschauer nicht vollständig
Harmlosigkeit und Distanz zum Objekt empfindet, wie beispielsweise in Die Macht
der Gewohnheit. Meiner Meinung nach erzielen die Dramen gerade durch diese
Wechsel in der Empfindung des Publikums ihre volle Wirkung. Es fühlt sich in der
gewohnten Umgebung sicher und spürt den überraschenden Effekt der Verfremdung
dadurch umso drastischer. Die Werke Thomas Bernhards schaffen Situationen, in denen
sich der Leser oder Zuschauer wohl fühlt und vielleicht sogar amüsiert. Im
entscheidenden Moment werden jene dann durch die plötzliche Brechung der
Erwartung oder Normverletzung überraschend herausgerissen. Die Komik in den
Dramen erzeugt somit klar eine Wirkung, anstatt Sinn zu vermitteln. Der Inhalt fungiert
als Schockmaterial und liefert dem Leser keine festen Aussagen.
Ob die Zusammenwirkung von Schock und Komik einen neuen Ansatz auf die
Bestimmung der Gattungszuordnung eröffnet, findet im nächsten Kapitel genauere
Betrachtung.
74
7. Sind es Komödien ?
Nachdem nun die Analyse der erschütternden und komischen Wirkung in Thomas
Bernhards Dramen abgeschlossen ist, stellt sich die Frage nach der Möglichkeit der
Einordnung in ein gewisses Gattungsschema. Die Meinungen der Theoretiker über
dieses Thema könnten unterschiedlicher nicht sein und erstrecken sich von der
Zuordnung zur Tragödie über die Tragikomödie bis hin zur Komödie. Da auch der
Autor selbst irreführende Aussagen über die Trennung zwischen Komödie und
Tragödie trifft, scheint dies jedoch nicht verwunderlich. In diesem Kapitel behandle ich
keine Unterscheidung oder Abgrenzung der Begriffe, sondern in Verbindung mit den
Ergebnissen der Analyse möchte ich Überlegungen anstellen, ob hinsichtlich der
komischen Wirkung in den Dramen ein Rückschluss auf die Komödie möglich ist.
Eines der ersten Kapitel der Arbeit beschäftigt sich mit den Gattungskonventionen der
Komödie, an das nun angeknüpft wird.
Ausgehen möchte ich von der Idee Bernhard Greiners, der die Komödie als
Theatergeschehen erfasst, die die „Hierarchisierung von Text und Theater, von
Zeichen- und Körper-Bewegung verweigert und so der Doppelrolle des Menschen in
seinem Verhältnis zu seinem Körper in besonderer Weise gerecht wird“154. Das Theater
veranschaulicht dies auf spezielle Weise, da der Mensch seinen Körper als Instrument
auf der Bühne für die Darstellung von Zeichen benutzt und zugleich sich selbst aber als
Schauspieler vorführt. „Vergegenwärtigt die Tragödie aber beide Aspekte in eindeutig
hierarchischer Ordnung – den Führungsanspruch des Logos bekräftigend -, so
verweigert sich die Komödie eben dieser Hierarchie.“155 Dies trifft allerdings nur zu,
wenn die Komödie als Theatergeschehen gefasst wird, bei dem der Text nur einen
kleinen Teil einnimmt. Der Schauspieler präsentiert eine dramatische Figur und weist
aber gleichzeitig von sich weg. Das Publikum nimmt dabei eine grundlegende
Bedingung in der Theatersituation ein. Zusätzlich steht auf Grund der Anwesenheit der
Zuschauer das Spielen nicht einfach nur für sich, sondern erhebt Anspruch auf mehr.
„Spieler wie Zuschauer sind in diesem Zusammenwirken ebenso Produzenten wie
154 Greiner, Bernhard: Die Komödie. S.4.155 Ebd. S.5.
75
Produkte des theatralen Ereignisses, Teil der Wirklichkeit und Abbild der Wirklichkeit
[…].“156 In der Tragödie unterwirft sich der Körper strikt einem Zeichensystem,
während in der Komödie die Grenzen der Ordnung verschwimmen. Das Interessante
dabei ist die Zweideutigkeit, die das Gemeinte und das Ausgeschlossene verbindet.
So besteht die Komödie darin, dass die ausschließende Macht selbst (die z.B. auf Ordnung und Vernünftigkeit, auf dem Logos-Aspekt des Menschen besteht) das aussprechen muss, was sie ausschließt, das Chaotische, das Unvernünftige, die Körperlichkeit des Menschen.157
Die Komödie ist also jenes Genre, das hierarchische Strukturen negiert und auf diese
Weise die Grenzen zwischen „Spieler und gespielter Bedeutung, zwischen Leben und
Kunst, Wirklichkeit und Imagination“158 überschreitet.
In Bezug auf Thomas Bernhards Dramen erscheint mir das deshalb wichtig, da gerade
seine Texte nicht von Gegensätzen wie schwarz oder weiß konstatiert sind, sondern
versuchen, über die Grenzen hinauszugehen.
BRUSCON […] Und natürlich spielt Metternich / eine entscheidende Rolle / in meiner Komödie / die in Wahrheit / eine Tragödie ist / wie sie sehen werden (TM 15/16)
Die folgende Analyse der Dramen teilt sich auf Grund der Bewahrung eines besseren
Überblicks in formale und inhaltliche Kriterien zur Gatungsbestimmung.
7.2 Formale Kriterien
Von den ausgewählten Dramen Die Macht der Gewohnheit, Immanuel Kant und Der
Theatermacher bezeichnet der Autor selbst die ersten beiden als Komödien. Inwiefern
dies einen leichteren Zugang zu dem Gattungsbegriff eröffnet und letzteres Drama sich
dann eventuell diesem verschließt, soll sich in der folgenden Analyse zeigen.
Betrachtet man die formalen Aspekte, sprechen vorerst keine fundierten Argumente
156 Greiner: Die Komödie. S.5.157 Ebd. S.6.158 Ebd. S.6.
76
gegen die Zuordnung zur Gattung Komödie. Die Macht der Gewohnheit als 3-Akter
mit endender Binnenszene, Immanuel Kant als 5-Akter, wenn man die Landung vom
restlichen Geschehen absetzen möchte nur als 4-Akter, so wie auch die Anzahl in Der
Theatermacher, widersprechen sie keinem gängigen Modell. Der niedere Stil und die
volkstümliche Sprache können insofern bestätigt werden, als dass in diesen
Theaterstücken nur Figuren bürgerlichen Standes auftreten, die sich auch jenem gemäß
verhalten.
Der Theatermacher Bruscon verkörpert […] die Kehrseite des aus der Aufbruchsphase des Bürgertums im 18. Jahrhundert überkommenen Kunstverständnisses, des bürgerlichen Geniekults, von dem am Ende des 20. Jahrhunderts nur noch Dilettanten, Haustyrannen und Schwadroneure übriggeblieben sind.159
Fragwürdig sind die Verhältnisse der Figuren in Immanuel Kant, die allein durch die
Namensgebung – Millionärin, Admiral, Kunstsammler – auf eine höher Schicht der
Gesellschaft schließen lassen. Die Sprache, die im Kapitel zuvor schon ausgiebig von
unterschiedlichen Blickwinkel analysiert wurde, zeichnet sich durch eine typisierte
Sprache Thomas Bernhards aus, weshalb ein Erfassen in ihrer Volkstümlichkeit daher
schwierig erscheint. Trotzdem evoziert sie keine Brüche, beispielsweise im Bild der
Nebenfiguren, sondern verhält sich angepasst an das standesgemäße Milieu. Gerade in
den Dramen Die Macht der Gewohnheit und Der Theatermacher zeichnet sich die
Sprache durch das Nebeneinander der teils sehr pathetischen, teils von Schimpftiraden
geprägten Ausdrucksweise der Protagonisten und der, wenn nicht vollkommen im
Schweigen vernichtete, Volkstümlichkeit der Nebenfiguren aus.
Weiters bekräftigt die kurze Zeitspanne der dargestellten „Handlung“, die sich durch
ihren Ereignischarakter auszeichnet, die Gattungszugehörigkeit zur Komödie. Dass die
Handlung nicht an einfachen oder sich kompliziert überlagernden Strängen
festgemacht werden kann, liegt an der möglichen Form der episodischen Reihung und
begründet einmal mehr das Auftreten der Wiederholung einzelner Elemente in den
Texten. Dafür ist schon der Begriff der Komödie an sich ein Beispiel, der immer
wieder in den verschiedenen Dramen thematisiert wird. Auch die unterschiedlichen
Lebensansprüche der Protagonisten wiederholen sich leitmotivisch in den
159 Jürgens: Das Theater Thomas Bernhards. S.185.
77
Theaterstücken.
Die typisierten Figuren, die beim Publikum einen Wiedererkennungseffekt bekannter
Muster auslösen sollen, scheinen auf den ersten Blick bei Bernhard im „klassischen“
Sinne nicht durchgängig vorhanden zu sein. Bei näherer Betrachtung finden sich
jedoch durchaus einzelne Elemente, die Parallelen zur famosen Hanswurst-Figur
zeigen.
Die Veränderungen in der Rolle Kants, die sich gegen Ende auffallend hervorheben,
spiegeln besonders seine Loslösung vom Geistigen ins Körperliche wider und zeichnen
daher immer stärker den Charakter einer komödiantischen Figur. Alfred Barthofer
beschreibt Kant folgendermaßen:
Ein verbitterter, altgewordener Kasperl mit einer recht transparenten Maske der Würde und Respektabilität, dessen bramarbasiernde Selbstgefälligkeit unschwer durchschaubar ist. In der Hingabe an übermäßiges Essen und Trinken […] spiegelt Kant sogar Hanswurstzüge. Trotzdem ist er […] ein Equilibrist, ein Wanderer auf einem dünnen Grat zwischen anspruchsloser Clownerie und clownhafter Tragik.160
Der Theatermacher Bruscon trägt außerordentlich hanswurstiade Züge in seinem
Aussehen, das aus der Bühnenanweisung gleich zu Beginn des Stückes hervorgeht.
„Mit einem breitkrempigen Hut auf dem Kopf, in einem knöchellangen Mantel und mit
einem Stock in der Hand“ (TM 13), vereint er die wichtigsten Merkmale dieser Figur,
die so dem Publikum die Möglichkeit der Wiedererkennung bieten. Dass er statt einem
hölzernen Schwert einen Stock (aus Holz) bei sich hat, mindert keinesfalls die
komische Situation, die gleich am Anfang der Szene, bevor überhaupt noch jemand
gesprochen hat, entsteht. Auch in seinem „Rad der Geschichte“ vereint er „Personen
der Weltgeschichte, die […] offenbar wie in der commedia dell´arte auftreten sollen –
Tyrannen (Nero, Caesar, Napoleon, Hitler, Stalin) und Wissenschaftler (Einstein,
Madame Curie)“161.
Bei Caribaldi sind keine Züge typisierter, komödiantischer Figuren zu finden, was
jedoch angesichts seiner anfangs bedrohlichen Wirkung, nicht verwundert. Den
Cellobogen, vielleicht erneut als Hinweis auf das hölzerne Schwert, setzt der
160 Barthofer: Vorliebe für die Komödie. S.93.161 Scherer, Stefan: Einführung in die Dramen-Analyse. In: Einführungen Germanistik. Hrg.v. Gunter E.
Grimm und Klaus-Michael Bogdal. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2010. S.140.
78
Zirkusdirektor öfter als drohende Gebärde ein. Wenn er, „weil er sich unbeobachtet
weiß, den rechten Hosenfuß noch höher hinauf[zieht] und […], während der Jongleur
das Kolophonium sucht, mit dem Cellobogen über das Holzbein [streicht]“ (MdG 284),
nimmt Caribaldi stark die Eigenschaften einer grotesk-lächerlichen Gestalt an.
Dennoch bleibt das Drama nicht frei von der Hanswurst-Figur, die beispielsweise im
Dompteur, aber auch im Spaßmacher gesehen werden kann. Natürlich bringen Akteure
der Zirkuswelt als Grundvoraussetzung eine gewissen komischen Effekt mit sich,
jedoch sieht das Publikum sie nicht bei ihrer Vorstellung. Die Figuren nehmen
demnach ihre komischen Züge mit in die „normale“ Welt, außerhalb des Zirkuszeltes.
Das ist schlussendlich auch mit ein Grund, warum die Musikprobe des
Forellenquintetts von Beginn scheitern muss.
Insgesamt ergibt sich eine Typisierung innerhalb der Dramen Thomas Bernhards. Seine
Protagonisten sind in ihrer Ausstattung - verkrüppelt, krank, vom Wahnsinn getrieben,
zum Scheitern verurteilt, vom utopischen Anspruch zerstört – um nur ein paar der
hervorstechendsten zu nennen, sehr ähnlich. So gesehen, scheint dem Publikum auch
hier ein Wiedererkennen möglich, auch wenn es sich dabei um eine Mikroebene der
Beobachtung handelt. Der „Bernhard-Zuschauer“ findet sich mit den gezeigten
Mustern der Figuren zurecht, empfindet dadurch den gewünschten Lustgewinn und
fühlt sich in seinen Gewohnheiten bestärkt.
Die Analyse der formalen Kriterien zeigt, dass eine Zuordnung zur Gattung Komödie
auf den ersten Blick vielleicht nicht einwandfrei erfolgen kann, bei genauerer
Untersuchung aber nur mehr wenige Argumente dagegen sprechen. Dass sich die
Konventionen über die Jahre immer ein wenig verändert haben, sollte hier ebenfalls in
Betracht gezogen werden. So erscheint es schlüssig, dass sich die Typisierungen der
Figuren verändern, traditionelle Muster zwar zulassen, aber sie nicht mehr vollkommen
übernehmen.
Das nächste Kapitel widmet sich nun dem zweiten essentiellen Teil zur Bestimmung
der Komödie, der Analyse der inhaltlichen Kriterien. Erst danach ist die vollständige
kritische Auseinandersetzung abgeschlossen und es kann vielleicht eine Antwort darauf
gegeben werden, ob es sich nun bei Bernhards Dramen wirklich um Komödien handelt.
79
7.3 Inhaltliche Kriterien
Das Thema der Komödie ist im „klassischen“ Sinne ein harmloser Konflikt, der sich
um die Hochzeit der Liebenden entwickelt und sich schlussendlich in einer komischen
Handlung auflöst. Bei Thomas Bernhard äußert sich dies jedoch auf eine andere Weise.
Vergleicht man die Grundstruktur der Bernhardschen „Komödien“ mit jener der „klassischen“ deutschen Komödie, in deren Mittelpunkt die mit Hürden und Schwierigkeiten verbundene und auf gesellschaftliche Revitalisierung ausgerichtete Sanktionierung einer Liebesbeziehung steht […], die in der Regel in eine Generationen und gesellschaftliche und private Spannungen versöhnende Hochzeit mündet, was schon den aufgeklärten Gottsched veranlaßt hat, sich indigniert zu fragen, ob denn Fröhlichkeit und Glück in der Welt immer nur durch „Hochzeitmachen“ gesichert werden könnte, so fällt sofort auf, daß bei Bernhard Figurenkonstellationen und Grundproblematik völlig anders gelagert sein.162
Will man also auf den „klassischen“ Themenstrukturen beharren, erschwert dies die
Zuordnung beträchtlich. Trotzdem finden sich beispielsweise in Die Macht der
Gewohnheit Andeutungen auf eine Liebesbeziehung zwischen der Enkelin und dem
Spaßmacher, die jedoch thematisch nicht weiterentwickelt wird. Durch die
Konzentration auf die Figur des Caribaldi und die Darstellung der Welt aus seiner Sicht
bleibt keine Möglichkeit der Entfaltung dieses weiteren Handlungsstranges.
CARIBALDI […] zum Spaßmacher direkt / Hast du denn keine Haube / die dir nicht fortwährend / herunterrutscht / kaum sitzt er da / rutscht ihm die Haube herunter / Enkelin lacht / Caribaldi zum Jongleur / darüber lacht sie natürlich / schreit die Enkelin an / Lachst du / zum Jongleur / Dieses entsetzliche Lachen / meiner Enkelin […] (MdG 323)
Rückt man jedoch den harmlosen Konflikt in den Mittelpunkt der Betrachtung, der aus
der Figur erwächst, trifft diese Themenstruktur sehr wohl auf Thomas Bernhards
Dramen zu. Er besteht einerseits in der Unvereinbarkeit der Lebensansprüche der
Haupt- und Nebenfiguren, jedoch hauptsächlich in der nicht erfüllbaren Suche nach
dem Sinn des Lebens. Der Konflikt ergibt sich gleichsam aus dieser Paradoxie des
immer weiter Strebens nach dem utopisch hoch gesteckten Ziel, das für die einzige,
sinngebende Aktivität im Leben steht, und dem damit verbundenen Scheitern.
162 Barthofer: Vorliebe für die Komödie. S.87.
80
CARIBALDI […] Jahrzehnte spiele ich / gegen den Stumpfsinn das Cello / Aber es ist kein Ende abzusehen / kein Ende abzusehen […] Der Kopf ist von der Kunst / die einer macht / nicht mehr in Ruhe gelassen / hört er auf / ist er tot / sich mit dem Bogen / in den Tod / hineinstreichen (MdG 319/320)
Caribaldi, so wie auch Bruscon, streben beide nach der Vollkommenheit ihres
Kunstwerks und sehen gleichzeitig darin den Sinn ihrer Existenz. Dadurch scheint das
zwingende Festhalten an diesen absurden Vorstellungen gerechtfertigt, betrachtet man
die Umstände, ist dies aber nicht verständlich. Der Konflikt entwickelt sich durch die
Figur und ihre Fehler, die sich zur Kunst gezwungen fühlt und sich von ihr trotzdem
nicht abwenden kann. Diese Gegensätze fungieren als Elemente der Komik.
[…] „Die Macht der Gewohnheit“ mündet in zurückhaltend-subtiler Andeutung an den Anfang, d.h. in die Perpetuierung einer erdrückend engen, sinnentleerten, monoton-mechanischen Existenzform, deren erstrebte Überwindung durch die Kunst als groteske Illusion demaskiert wird. Die bühnen-wirksame dramatische Durchgestaltung dieser Einsicht beruht durchgehend auf burlesk-komischen Strukturelementen, die der Ausweglosigkeit und Trostlosigkeit der Situation mit Grimasse und Gelächter begegnen wollen.163
Die Suche nach dem Sinn des Lebens beschäftig auch Kant und seine Mitreisenden auf
dem Schiff nach Amerika, der sich vor der konkreten Frage dann auch verschließt.
MILLIONÄRIN […] Sagen Sie Herr Professor Kant / worauf begründet sich die mehr oder weniger permanente Todesfurcht / die Angst vor dem EndeKANT aufbrausend / Sagen Sie nicht das Wort EndeMILLIONÄRIN ratlos / Achja ein jeder Mensch hat sein Ziel (IK 307)
Diese regelrechte Abwehr der Frage zeigt die Hilflosigkeit Kants und „demonstriert das
klägliche Scheitern der Vernunft in diesen Augenblicken echter Existenzbefragung“164.
Durch Ernsthaftigkeit stechen die Themen des Konflikts hervor, in ihrer Gestaltung
wirken sie allerdings durch die bewusst eingesetzten, komischen Elemente eher
harmlos, ist dies ja gerade eine der Grundvoraussetzungen, damit Komik entsteht.
Der Konflikt löst sich der Tradition nach durch die komische Handlung auf und zielt
auf ein gutes Ende ab. Bei Bernhard erfährt dies eine gewisse Modifikation.
Bernhards Drama unterläuft freilich schon diese Grundbestimmung des Komischen im Gesamtzusammenhang der Komödie, indem eben kein positiver
163 Barthofer:Vorliebe für die Komödie. S.89/90.164 Ebd. S.93.
81
Schluß, kein glücklicher Ausgang, keine „Besserung“ der Hauptfigur, sondern eine Parodie auf ein glückliches Ende vorliegt.165
Die Dramen bieten keine Lösungen der gezeigten Konflikte, da sie, wie auch in der
Analyse schon erwähnt, nicht auf Sinn ausgerichtet sind, sondern eine Wirkung beim
Publikum erzielen sollen. So bleibt auch das gute Ende aus, das in jedem Fall
Ergebnisse oder zumindest Vorschläge für mögliche Antworten bringen müsste. Die
effektvolle Wirkung würde dadurch wohl verloren gehen, die die Theaterstücke so stark
charakterisiert. Die Macht der Gewohnheit, Immanuel Kant und Der Theatermacher
enden im komischen Effekt, wenn auch das auslösende Ereignis zuerst als Schock
wahrgenommen wird. Das gute Ende, das sich hier auf andere Art und Weise
präsentiert, setzt sich daher der Tradition gemäß im Lachen des Publikums fort.
Der Konflikt und die dadurch entwickelte Handlung sollen einen Bezug zur Gegenwart
aufzeigen, der bei jenen Dramen schon aufgrund der Anspielungen und Erwähnung
bekannter historischer Personen, wie beispielsweise „Casals“ (MdG 274), „Leibniz“
(IK 274) oder „Hitler“ (TM 41) gegeben ist. Auch die Namen C[G]aribaldi166 oder
Kant, so wie Theatermacher Bruscon als Synonym für Thomas Bernhard167 sprechen
für sich. An den Themen selbst lässt sich ebenfalls unschwer ein Gegenwartsbezug
begründen, die trotz alledem eine gewissen Eindruck zur Allgemeingültigkeit
erwecken.
Hierarchien auf den Kopf stellen, wie schon in der Einführung diese Kapitels erwähnt,
ist ein typisches Merkmal der Komödie. Bernhard setzt dies in seinen Dramen nicht
einfach nur um, sondern äußert sich auch sprachlich dazu.
In Die Macht der Gewohnheit entsteht neben der gewaltsamen Unterwerfung der
Zirkusakteure unter Caribaldi, eine weitere Rangordnung unter jenen Opfern. Der
Dompteur, der Neffe des Zirkusdirektors, behandelt besonders den Spaßmacher nicht
wie eine gleichgestellte Person, sondern eher wie eines seiner Raubtiere, das er zähmen
und füttern muss. In der willkürlich verursachten Sabotage der Musikprobe bekräftigt
sich die Sonderstellung des Dompteurs, die eine Auflehnung gegen die
165 Huber, Martin: Rettich und Klavier. Zur Komik im Werk Thomas Bernhards. In: Komik in der österreichischen Literatur. Hrg.v. Wendelin Schmidt-Dengler. Berlin: Schmidt Vlg 1996. (Philologische Studien und Quellen. Heft.142.). S.279.
166 Vgl. Thill: Die Kunst, die Komik und das Erzählen im Werk Thoma Bernhards. S.161.167 Vgl. Greiner: Die Komödie. S.485.
82
Machtverhältnisse Caribaldis darstellt.
Auch in Immanuel Kant erscheint die Rangordnung der „Familie“ aus den Fugen
geraten. Der Diener Ernst Ludwig erfährt schon auf Grund seines Berufes eine
niedrigere Stellung im Gesellschaftssystem, dass er jedoch ähnlich einem Tier
behandelt wird, überschreitet die Grenzen. Hinzu kommt, dass Kants Vogel Friedrich,
„das größte Kunstwerk der Welt“ (IK 337), einen besonderen Platz in seinem Leben
einnimmt und sogar mehr für ihn bedeutet als seine Frau.
Auf sprachlicher Ebene sind es vor allem die endlosen Redekaskaden der
Protagonisten, die sich vor allem durch ihre Sprunghaftigkeit und Paradoxien
auszeichnen. Die schnellen Wechsel der Themen bewirken nicht nur einen
überraschenden Effekt, sondern bringen dem Publikum den beredten Wahnsinn der
Figur näher.
KANT Alles was ist / alles was nicht ist / ist nicht / Die Welt ist die Kehrseite / der Welt / Die Wahrheit die Kehrseite / der Wahrheit (IK 280/281)
Caribaldi verweist in seiner Rede sogar über die Grenzen des Theaters hinaus, wenn er
den Dompteur als „Ein[en] abstoßende[n] Mensch[en] / in der Rolle / eines
abstoßenden Menschen“ (MdG 345) bezeichnet. Die Komödie bzw. das Theatermachen
verschmelzen hierbei zu untrennbaren Begriffsoppositionen.
„Von Beginn an hieß Theatermachen, Illusionen der Wirklichkeit vor Augen zu stellen,
um sich zu unterhalten und die Zeit zu vertreiben, um die Götter zu besänftigen und
sich für die Jagd und die Schlacht zu wappnen“168. Im teils übertragenen Sinne
orientieren sich die Dramen Bernhards an diesen Mustern. Die Auffassung der
Komödie als Theatergeschehen gewinnt daher wieder mehr an Bedeutung und bestärkt
den Verlust der eindeutigen Grenzen der strengen Opposition – Komödie/Tragödie.
Die Begriffsopposition >Komödie – Tragödie< verliert bei Bernhard allerdings auch dadurch an Schärfe, dass Komödie primär nicht poetologisch als Gattungsbegriff, sondern ontologisch im Sinne von >Etwas Vormachen< gebraucht wird. Komödie hat den Gehalt von Schein, ist die Welt des Als ob, dieses aber ist die Welt, womit >Komödie< und >Theater< nahe zusammenrücken, gleichzeitig der Topos von der Welt insgesamt als Theater immer nahe liegt.169
168 Scherer: Einführung in die Dramen-Analyse. S.139.169 Greiner: Die Komödie. S.479.
83
Im Raum des Theaters ist somit alles nur vorgemacht und die Welt selbst wird zur
Komödie. Auch Bruscon spricht von seiner Komödie (die ja die Welt ist)170, das „Rad
der Geschichte“, „in der alle Komödien enthalten sind“ (TM 99). In der vorangegangen
Analyse der komischen Elemente in den Dramen hat sich gezeigt, dass auch hier das
Verfahren, fixe Positionen aufzuheben, einen positiven Einfluss auf die Wirkung des
angestrebten Effekts hat. Die Loslösung von Oppositionen bedeutet aber ein
Bewusstsein der Gleichwertigkeit aller Dinge.
Das Zerfallen des Prinzips der Unterscheidung eröffnet aber auch die […] Perspektive, dass die fixierende Macht der Gegenstände wie eines verfestigten Weltbezugs aufgebrochen wird, dass eine Befreiung stattfindet aus einer Welt fixer Bestimmungen.171
Das Zerfallen fixierter Bestimmungen der Welt greift weiter auf das Theatergeschehen
ein, welches somit nicht mehr einfach nur dargestellt werden kann, sondern
performativ ergriffen werden muss. So beharrt auch Bruscon in Der Theatermacher auf
das Ausschalten des Notlichts. Das Publikum soll den Reden der Protagonisten nicht
nur lauschen, sondern das komplette Geschehen muss auf den Zuschauer wirken.
BRUSCON […] ist es am Ende meiner Komödie / nicht absolut finster / ist mein Rad der Geschichte vernichtet / Wenn das Notlicht nicht gelöscht wird / verkehrt sich ja meine Komödie / gerade ins Gegenteil (TM 16)
Das Gegenteil, das die Tragödie meint, unterwirft sich strikten Regeln und besonders
unter den fixierten Text. Mit der Komödie hingegen geht das Wirken der Schauspieler
über die Grenzen der Sprache hinaus. So erstrebt Bruscon einen Effekt, der über den
Text hinaus zielt und die Erwartung des Zuschauers sprengt. Das Resultat liegt damit
im „Gewinnen eines offenen, spielerischen Bezugs zur Welt“172 und legt gleichzeitig
eine Orientierung an neuen Mustern offen.
So scheinen nun auch die letzten Gattungskonventionen der Komödie bejaht, die in
Zusammenhang mit dem Publikum stehen. Auf Grund des Auftreffens des geballten
performativen Effekts am Ende der Theaterstücke, besonders durch die Loslösung von
den bekannten Ordnungsmustern, entsteht im Zuschauer eine befreiende Wirkung. Der
Raum für verbotene Wünsche und für extravagante Gedankenexperimenten ist eröffnet.
170 Vgl. Greiner. Die Komödie. S.482.171 Ebd. S.484.172 Ebd. S.487.
84
Die Analyse der formalen und inhaltlichen Merkmale der Komödie haben gezeigt, dass
in vielen Punkten auf Grund traditioneller Muster keine eindeutige Zuordnung der
Gattung möglich ist. Andererseits gibt es für viele Voraussetzungen eine Basis in den
Texten, die dann eventuell noch leichter Abwandlung vorliegt, aber mit den
Komödienkonventionen übereinstimmt. Die jedoch meiner Meinung nach essentiellen
Argumente für die Bestimmung der Bernhardschen Dramen Die Macht der
Gewohnheit, Immanuel Kant und Der Theatermacher als Komödien liegen in ihrer
Verbindung zum Theatergeschehen. Die Texte erzielen Wirkung, von der das Publikum
erschüttert werden soll. In der Erfassung des Werkes als Theatergeschehen
verschwimmen die Oppositionen zwischen „Spieler und gespielter Bedeutung,
zwischen Leben und Kunst, Wirklichkeit und Imagination“173 und der physische
Schock ist das, was bleibt174.
173 Greiner: Die Komödie. S.6.174 Außer Acht gelassen wurde der Aspekt der musikalischen Sprache Thomas Bernhards, die damit in
Zusammenhang auch ein Hinweis auf ein völlig anderes Gattungsmuster sein könnte. Die Frage stellt sich dabei nach der Tradition der Oper, und ob die Dramen dieser Form unterliegen. Auf Grund des begrenzten Platzes ist es unmöglich diese Untersuchung hier weiterzuführen, die den Rahmen der Diplomarbeit sprengen würde.
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8. Schlussbetrachtung
Komik, Komödie und Thomas Bernhard – die zu Beginn der Arbeit in Frage gestellte
Kombination der Begriffe erscheint nun nach Abschluss der Analysen nicht mehr so
abwegig. Die Arbeit befasste sich ausführlich mit den Elementen des Schocks und der
Komik in Thomas Bernhards Dramen Die Macht der Gewohnheit, Immanuel Kant und
Der Theatermacher. Der Unterschied zu den bisherigen Theorien über die Komik im
Werk des Autors liegt darin, dass der Effekt im ästhetischen und nicht hermeneutischen
Sinn erfasst wurde. Die Dramen zielen damit rein auf eine Wirkung ab, anstatt Sinn zu
präsentieren. Natürlich negieren sie nicht jeglichen Sinn, geben aber auch keine
Antworten oder schlagen Lösungen für die präsentierten Probleme vor.
Mit dem Modell von Clara Ervedosa wurde jedoch auch gezeigt, dass keine klare
Trennung der Phasen von Erschütterung und Komik vorliegt, so wie sie das definiert,
sondern dass beide Phänomene gleichzeitig in den Theaterstücken ihre Anwendung
finden. Die drastische Essenz der Themen, die Verdichtung der Raum- und Zeitstruktur
und die Reduktion der Handlung zum Ereignis bewirken eine Verstörung gegenüber
dem Text oder dem Bühnengeschehen. Dass dieser Effekt nicht nur der Prosa zu
Grunde liegt, konnte anhand der ausgewählten Dramen deutlich gezeigt werden.
Dagegen tragen die theatralischen Figuren und ihr performatives Sprechen, sowie ihr
Denken und Agieren in Paradoxien und die Verfarcung durch Elemente „niedriger“
Realität zur gänzlich komischen Wirkung der Texte bei. Aus diesem Ineinandergreifen
beider Effekte resultiert der totale Schock am Ende der Dramen.
Dieser besondere Fokus der Wirkung in den Theaterstücken Bernhards hat die Frage
nach der Zugehörigkeit zur Gattung Komödie aufgeworfen und konnte nach der
Analyse der formalen und inhaltlichen Kriterien auch bejaht werden. Die Komödie
fungiert als jenes Genre, dass hierarchische Strukturen negiert und die Grenzen der
Bedeutung überschreitet. Im Sinne eines Theatergeschehen muss es performativ
ergriffen werden und verweist damit auf einen Zusammenhang zur erschütternden und
auch komischen Wirkung der Dramen. Auch die besondere Stellung des Schauspielers,
seine Inszenierung und sein Verweischarakter über seine Person hinaus, scheinen ein
bekräftigendes Argument in der Stimmigkeit der Theaterstücke Bernhards. Dass nicht
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alle traditionellen Kriterien für die Zugehörigkeit zur Gattung Komödie erfüllt sind,
bestätigt meiner Meinung nach die Veränderungen durch die Zeit. Mit immer neuen
Möglichkeiten der Inszenierung, vor allem im Bereich des Theaters, scheint es nicht
verwunderlich, dass sich die traditionellen Merkmale der Gattungen ein wenig
modifizieren und die Abgrenzungen der Gattungen zueinander immer schwieriger wird.
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9. Bibliographie
9.2 Primärliteratur
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Bernhard, Thomas: Stücke 4. Der Theatermacher. Ritter, Dene, Voss. Einfach kompliziert. Elisabeth II. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988.
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91
9.4 Lexika
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Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb.v. Elmar Seebold. 25.durchgesehene u. erw. Auflage. Berlin. Boston: De Gruyter 2011.
Veding, Gert (Hrg): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd.: Hu-K. Tübingen: Niemeyer Verlag 1998.
92
10. Anhang
10.2 Abstract
Die vorliegende Arbeit untersucht in Thomas Bernhards Dramen Die Macht der
Gewohnheit, Immanuel Kant und Der Theatermacher die Wirkung des Schocks und der
Komik.
Der erste Teil beschäftigt sich mit den Definitionen der Begriffe Komödie und Komik.
Ein Überblick über die Theorie der Komik soll zeigen, wie diese durch die
unterschiedliche Wahrnehmung der Theoretiker von Beginn an geprägt ist. Eine
Abgrenzungen zu den im Sprachgebrauch oftmals synonym gebrauchten Wörtern wie
„absurd“ oder „grotesk“ erleichtert die Verwendung in der Arbeit. Das nächste Kapitel
befasst sich mit der Komödie und ihren traditionellen Konventionen, sowie
Veränderungen durch die Umbrüche des 20. Jahrhunderts. Dies bietet die Grundlage
für den zweiten Teil der Analyse. Besondere Betrachtung erlangt danach die
Untersuchung der Komik als literarisches Phänomen. Es soll nach Gründen gesucht
werden, warum wir lachen und wie diese konkret gesteuert werden können. András
Horn, der objektive und subjektive Voraussetzungen für die Komik bestimmt, bietet
hierbei die Grundlage der Theorie.
Der zweite Teil der Arbeit befasst sich dann mit der Analyse der ausgewählten Dramen,
die sich auf die Verwendung der Elemente des Schocks und der Komik konzentriert.
Wie diese im Werk eingesetzt werden und welche Wirkung sie dabei erzielen, bilden
die zentralen Fragestellungen. Mit dem Modell von Clara Ervedosa soll sich zeigen,
dass Komik und Schock im Werk Thomas Bernhards als Wirkungselemente eingesetzt
werden, die das Publikum erschüttern wollen, anstatt nur Sinn zu präsentieren. Daraus
entsteht eine Verbindung zur Komödie als Theatergeschehen, das performativ wirksam
sein will und die Grenzen der hierarchischen Strukturen durchbricht. Nach der Analyse
formaler und inhaltlicher Kriterien traditioneller Gattungskonventionen, sowie auch die
Untersuchung der Komödie als Theatergeschehen, wurde die Zugehörigkeit Bernhards
Dramen zur Gattung Komödie bejaht.
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10.3 Lebenslauf
Persönliche Daten
Vorname: Daniela
Zuname: Riedl
Akadem. Grad: BA
Schulausbildung
September 1994 – Juni 2006 St.Ursula Wien - Matura
Studienverlauf
Oktober 2008 – September 2011 Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft
Erlangung des Grades BA
Oktober 2006 – April 2013 Studium der Deutschen Philologie
Erlangung des Grades Mag.Phil.
Auslandsaufenthalt
September 2010 – Februar 2011 LLP Erasmus – Universidad de Granada
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