discussion paper Nr. 40/2018
Juni/2018
discussion paper
Judith Vey
Leben im Tempohome. Qualitative Studie
zur Unterbringungssituation von
Flüchtenden in temporären
Gemeinschaftsunterkünften in Berlin
Unter Mitarbeit von Salome Gunsch und Aryan Sehatkar
2
Impressum
Zentrum Technik und Gesellschaft
Sekretariat HBS 1
Hardenbergstraße 16-18
10623 Berlin
www.ztg.tu-berlin.de
Die discussion paper werden von Martina Schäfer und Gabriele Wendorf
herausgegeben. Sie sind als pdf-Datei abrufbar unter:
http://www.tu-berlin.de/ztg/menue/publikationen/discussion_papers/
3
Zusammenfassung
Der vorliegende Forschungsbericht ist Teil der Studie „Handlungsfähigkeit in
der bundesdeutschen Flüchtlingsunterbringung“ (gefördert durch die Fritz
Thyssen Stiftung, Laufzeit 2016 bis 2019), in der verschiedene
Flüchtlingsunterkünfte auf ihre Auswirkungen auf die Bewohner*innen und
ihre Handlungsmöglichkeiten hin untersucht werden.1 In der hier
vorgestellten Teilstudie stehen temporäre Gemeinschaftsunterkünfte in
Berlin im Zentrum der Analyse, so genannte Tempohomes. Ziel der
Untersuchung war es, die Situation und Probleme der Bewohner*innen zu
verstehen, ihre Bedürfnisse zu identifizieren und daraus
Handlungsempfehlungen für politisch und administrativ Verantwortliche
sowie zivilgesellschaftliche Akteur*innen abzuleiten.
Die Studie zeigt, dass bestimmte Veränderungen und Verbesserungen der
Wohnsituation in den Tempohomes möglich sind, wenn ausreichend
finanzielle Mittel und Ressourcen bereitgestellt werden. Eine qualitative
Verbesserung der Wohn- und Lebenssituation in Form einer adäquaten
Unterbringung und einer selbstbestimmten Lebensführung für Flüchtende ist
jedoch nur durch strukturelle Veränderungen zu erreichen, da sich die
Flüchtenden räumlich wie sozial, ökonomisch, politisch und kulturell von der
deutschen Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Die zentralisierte
Unterbringung in Sammelunterkünften fördert diese gefühlte und reale
Isolation, Segregation, Exklusion und die damit einhergehende
Stigmatisierung und fehlende Selbstbestimmung und Privatsphäre enorm;
sie ist jedoch nur ein Aspekt der Lebensrealität der Flüchtenden in
Deutschland. Die notwendigen strukturellen Veränderungen umfassen
infolgedessen nicht nur die Unterbringungs- und Versorgungssituation,
sondern auch die kontinuierlich restriktiver werdende Asylgesetzgebung und
-umsetzung in Deutschland und Europa.
Die Teilstudie wurde zusätzlich durch die Senatsverwaltung für Integration,
Arbeit und Soziales/den Beauftragten des Senats von Berlin für Integration
und Migration finanziell unterstützt. Salome Gunsch und Aryan Sehatkar
haben im Rahmen eines Praktikums an dem Projekt mitgewirkt und die
Workshops unterstützend begleitet. Ihnen, allen teilnehmenden Flüchtenden
und anderen Interviewpartner*innen, allen Übersetzer*innen und
1 Weitere Teilprojekte sind: „Zufluchtsorte? Eine Kurzstudie zur Unterbringungssituation von
LGBTIQ*-Geflüchteten in Berlin“ (Leitung: Dr. Judith Vey; gefördert durch die Bundesstiftung
Magnus Hirschfeld, Bearbeitung: Vanessa Einbrodt und Wael Mahmoud, Laufzeit Juli 2017 bis
Januar 2018) und „Stadträumliche Kurzstudie zu Partizipationsmöglichkeiten von
Geflüchteten und Menschen mit Migrationsgeschichte/People of Color* im Bezirk Pankow“
(Leitung Dr. Judith Vey und Dr. Dr. Peter Ullrich, TU Berlin, Bearbeitung: Salome Gunsch und
Corinna Trogisch, Laufzeit September 2017 bis Februar 2018). Diese wurde von der
Intergrationsbeauftragten von Berlin – Pankow in Auftrag gegeben.
4
Unterstützer*innen gebührt großer Dank. Besonderer Dank gilt auch Tofigh
Zergani, der mich über ein Jahr lang als Forschungsassistent unterstützt
hat. Ich danke ebenfalls Corinna Trogisch für die Lektüre und Korrektur der
Entwurfsfassung.
Abstract
Living in a Tempohome. A Qualitative Sub Study on the Living
Conditions of Refugees in Temporary Refugee Accommodations in
Berlin
The presented research report is part of a long-term study that began in
2016 and is expected to end in 2019 entitled “Agency in German Refugee
Accommodations” (funded by the Fritz Thyssen Foundation).2 The aim of
this study is to investigate different types of refugee homes and understand
the impacts that these accommodations have on the inhabitants, their
agency and current situations. This report describes results of a sub study
that focuses specifically on temporary refugee homes in Berlin, so called
“tempohomes”. The objective of this research is to gain an understanding of
the situation and problems experienced by the inhabitants of these
tempohomes, in order to identify improvement and action for responsible
actors in administration, politics and civil-society.
The study concluded that some changes and improvements concerning the
living conditions in the tempohomes are possible given sufficient financial
resources. However, experiences reported by the refugees, such as feeling
completely segregated, isolated and excluded from the German society and
a feeling of suffering from the resulting stigmatization and the lack of
agency and privacy, cannot be remedied by financial resources. Although
the centralized accommodations in camps is indeed a major contributor of
reported exclusion, the study points out that it is the broader asylum
system and its reality that drives these problems. For this reason, structural
changes in the type and supply of refugee accommodations and in the
increasingly more restrictive asylum system are indispensable for ensuring
adequate accommodations and the possibility of self-determined lives for
refugees.
2 Dr. Vey is also head of the study "Places of Refuge? A short study on the accommodation
situation of LGBTIQ* refugees in Berlin" (funded by the Federal Foundation Magnus
Hirschfeld, conducted by Vanessa Einbrodt and Wael Mahmoud between July 2017 and
January 2018) and a study on opportunities for participation for refugees and
migrants/people of color* in the district of Berlin – Pankow (together with Dr. Dr. Peter
Ullrich, TU Berlin, Salome Gunsch and Corinna Trogisch between September 2017 and
February 2018), which was funded by the commissioner for integration of Berlin – Pankow.
5
The sub study is partially funded by the Senate Department for Integration,
Labour and Social Services/the Commissioner of the Senate of Berlin for
integration and migration. Salome Gunsch and Aryan Sehatkar contributed
to this study as part of an internship. We would like to thank all
participating refugees and interview partners, all translators and supporters
of this study. A special thanks goes to Tofigh Zergani, who supported me as
a research assistant for over one year. I would also like to thank Corinna
Trogisch for proofreading the draft version.
6
Nicht-akademische Zusammenfassung auf Deutsch
Dr. Judith Vey ist Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin. Sie
leitet dort mehrere Forschungsprojekte zur Flüchtlingsunterbringung in
Deutschland. Der vorliegende Forschungsbericht ist Teil der Studie
„Handlungsfähigkeit in der bundesdeutschen Flüchtlingsunterbringung“, in
der von 2016 bis 2019 die Auswirkungen verschiedener
Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland auf die Bewohner*innen und ihre
Handlungsmöglichkeiten hin untersucht werden.
In der hier vorgestellten Teilstudie wurden Tempohomes in Berlin besucht
und Mitarbeiter*innen und Bewohner*innen befragt. Ziel der Untersuchung
war es, die Situation und Probleme der Bewohner*innen zu verstehen, ihre
Bedürfnisse herauszufinden und daraus Handlungsempfehlungen für Politik
und Verwaltung abzuleiten.
Die Studie zeigt, dass die befragten Bewohner*innen darunter leiden, dass
sie gemeinsam mit Menschen zusammenwohnen müssen, die sie nicht
kennen, dass sie viele wichtige Dinge in ihrem Leben nicht selbst
entscheiden können und dass sie keine eigene Wohnung haben. Zudem
fühlen sie sich zum Teil durch die Heimmitarbeiter*innen kontrolliert und
von der deutschen Gesellschaft ausgeschlossen. Viele erhalten keine Arbeit,
auch der Zugang zu Kindergarten-, Schul- und Studienplätzen ist schwierig.
Gerade in den Tempohomes ist es für Familien und Einzelpersonen zu eng,
viele Dinge des alltäglichen Lebens (wie Küchenutensilien,
Internetverbindung, Freizeitbeschäftigungsmöglichkeiten etc.) fehlen ihnen.
Sie wünschen sich alle einen Umzug in eine eigene Wohnung.
Ergebnis der Studie ist daher, dass bestimmte Veränderungen und
Verbesserungen der Wohnsituation in den Tempohomes möglich sind, wenn
ausreichend finanzielle Mittel bereitgestellt werden. Um die Situation jedoch
wirklich zu verbessern, braucht es größere Veränderungen der Strukturen in
Deutschland.
7
Non-academic abstract in English
Living in a Tempohome. A Qualitative Sub Study on the Living
Conditions of Refugees in Temporary Refugee Accommodations in
Berlin
Dr. Judith Vey is a sociologist and researcher at the Center for Technology
and Society at the Technical University of Berlin. She conducts several
research projects concerning the accommodations of refugees in Germany.
The presented research report describes part of a study entitled “Agency in
German Refugee Accommodation”. The aim of the study is to investigate
different types of refugee homes and understand the impacts that these
accommodations have on the inhabitants and their current situation. The
study began in 2016 and is expected to end in 2019.
In this sub study, Dr. Vey visited inhabitants and staff members of
temporary refugee homes (“tempohomes”) in Berlin. Each participant was
asked to describe their situation, their problems and their needs regarding
their refugee homes. The objective was to identify points of intervention
and action that could lead to improvements for the administration and
policy makers.
The study found that the participating refugees suffer from their living
accommodations in a multitude of ways: they have to live together with
people they don’t know in small apartments; they can’t make important life
decisions by themselves; and they don’t have the option to live in their own
apartments. Furthermore, refugees expressed feeling controlled by the staff
and excluded from German society. Despite an overwhelming desire to
work, most of the participants do not have jobs. Participants described
having difficulties accessing schools, universities and kindergartens, in
addition to, (especially those living in tempohomes) finding sufficient space
for families and individuals. Lastly, the staples of daily life (e.g.
kitchenware, internet connection, possibilities for leisure activities) are
lacking.
Thus, the study concluded that some improvements to the tempohomes can
be achieved with financial resources. However, real and lasting
improvements to the situation experienced by refugees requires broader
structural changes to occur in Germany.
8
Résumé dans un langage non académique
Vivre dans les Tempohomes. Etude qualitative sur la situation des
réfugiés dans des logements communautaires temporaires à Berlin
Dr. Judith Vey est sociologue et collaboratrice de recherche au Zentrum
Technik und Gesellschaft [Centre de recherche de la technologie et la
société] de l'Université Technique de Berlin. Elle y dirige plusieurs projets de
recherche sur l’hébergement des réfugiés en Allemagne. Ce rapport de
recherche fait partie de l’étude « Capacité d’action de l’hébergement des
réfugiés en Allemagne » examinant, pendant la période 2016-2019, les
effets des différents logements de réfugiés en Allemagne sur les résidents
et leurs possibilités d'action.
Dans l’étude partielle présentée ici, les Tempohomes à Berlin ont été visités
et les employés et résidents y ont été interviewés. Le but de l'étude était de
comprendre la situation et les problèmes des résidents, de connaître leurs
besoins et de formuler des recommandations stratégiques à l’intention des
instances politiques et administratives sur la base de ces résultats.
L'étude montre que les résidents interrogés souffrent de devoir vivre avec
des gens qu'ils ne connaissent pas, qu'ils ne peuvent pas décider de choses
importantes de leur vie et qu'ils n'ont pas leur propre logement. En outre,
ils se sentent parfois contrôlés par les employés des foyers et exclus de la
société allemande. Beaucoup ne trouvent pas de travail et l'accès aux
maternelles, aux écoles et aux universités est difficile. Surtout, il y a, dans
les Tempohomes, trop peu de place pour les familles et les personnes
individuelles. Il leur manque beaucoup de choses de la vie quotidienne (tels
que les ustensiles de cuisine, l’accès à l’Internet, les activités de loisirs,
etc.). Ils souhaitent tous pouvoir déménager dans leur propre appartement.
Le résultat de l'étude est donc que certains changements et des
améliorations de la situation du logement dans les Tempohomes sont
possibles si l’on y dédie des ressources financières suffisantes. Mais pour
vraiment améliorer cette situation, des changements majeurs dans les
structures en Allemagne sont nécessaires.
9
Nicht-akademische Zusammenfassung auf Arabisch
دراسة: الحياة في مراكز اإلقامة المؤقتة
دراسة نوعية وضع إسكان الالجئين في مساكن مشتركة مؤقتة في برلين.
الخالصة بلغة غير أكاديمية
التقنية. معة برلين الدكتورة "يومين في" باحثة إجتماعية و مساعدة في البحث العلمي في المركز التقني و اإلجتماعي في جا
تدير هي في الجامعة العديد من البحوث العلمية بخصوص إسكان الالجئين في ألمانيا.
تي تم التطرق فيها إلى إن هذا البحث جزء من الدراسة المعنونة ب"القدرة على التعامل في مركز إيواء الالجئين األلماني"، ال
و ٢٠١٦ا بين عامي مالالجئين و خياراتهم في العمل في الفترة آثار مساكن الالجئين المختلفة في ألمانيا على الالجئات و
٢٠١٩.
لعامالت و المقيمين و افي الجزء اللذي سيتم عرضه من الدراسة تم زيارة مراكز اإليواء المؤقتة في برلين و سؤال العاملين و
يم توصيات بإتخاذ اك إحتياجاتهم و تقدالمقيمات. لقد كان هدف هذه الدراسة فهم وضع و مشاكل المقيمين و المقيمات و إدر
إجراءات تحاكي الواقع للسياسة و اإلدارة.
اعي و عن تكشف هذه الدراسة عن معاناة المقيمين و المقيمات في هذه المساكن بوجوب سكنهم مع أشخاص غرب بشكل جم
م الشخصية.معاناتهم بعدم القدرة على تقرير أمور حياتهم بشكل مستقل، و أنهم ال يملكوان شققه
مجتمع األلماني.باإلضافة أنهم يشعروان بأنهم مراقبين من قبل العاملين و العامالت في المسكن، و أنهم معزولين عن ال
صعب ” الكثيرون ال يجدون العمل ،و أيضا" الحصول على الروضة أو المدرسة أو الجامعة يعتبر أمرا
ني الطبخ اإلنترنت و فراد ألنها تفتقر لمتطلبات الحياة اليومية )مثل أواتعتبر هذه المساكن ضيقة بالنسبة للعائالت و لأل
النشاطات الترفيهية....ألخ(.إن الالجئين في هذه المساكن يحلمون باإلنتقال إلى شقتهم الشخصية.
د مصادر تمويل يجانتيجة البحث: يوجد إجراءات محددة يمكن القيام بها من شأنها تغيير و تحسين وضع السكن، في حال تم إ
كافية.
لتحسين الوضع بشكل فعال يستلزم الوضع تغييرات أكبر في الهيكليات في ألمانيا .
10
Nicht-akademische Zusammenfassung auf Farsi
(Tempohome) تحقیق : زندگی در تِمپوهوم
تحقیق کیفی در رابطه با وضعیت سکون پناهجویان درمحلهای مسکونی جمعی در برلین
خالصه به زبان محاوره
دکتر يوديت فِي جامعه شناس و همکار علمی مرکزتکنيک و اجتماع دانشگاه فنی برلين هستند. DR. Judith
Vey ند. گزارش ايشان انجا مسئوليت تعدادی پروژه در رابطه با مسکن پناهجويان در المان را به عهده دار
مان فدرال ميباشد انمندی دررابطه با سکونت پناهجويان در کشور التحقيقاتِی موجود قسمتی از تحقيقات به نام تو
کنين محل های مختلف سکونت پناهجويان را در المان و تاثيرات ان را روی سا ٢٠١٩تا ٢٠١۶که از سال
وعکس العمل های انها را بررسی ميکند.
تی شد. هدف از ن و ساکنين انجا سواالدر قسمت تحقيقِی معرفی شده، از تمپو هوم های برلين ديدار و از کارمندا
ات اين بررسی، درک وضعيت و مشکالت ساکنين و جستجوی نيازهای انها بود واينکه بدينوسيله پيشنهاد
عملکردی برای سياست و ادارجات حاصل شود.
نمی شناسند، ا رااين تحقيق نشان داد که ساکنيِن مورد سوال از اين که مجبور به زندگی با اشخاصی هستند که انه
يبرند. عالوه بر رنج م از اينکه حق تصميم در رابطه با خيلی چيزها را ندارند واز اينکه خانه ای مستقل ندارند،
د شده اند. خيلی اين انها احساس ميکنند که از طرف کارکنان خوابگاه کنترل ميشوند و اينکه از اجتماع المان تر
لخصوص تمپو ابه مهد کودک، مدرسه و يا دانشگاه دشوار ميباشد. علی ها کار پيدا نميکنند و همچنين دستيابی
، ارتباط با هوم برای خانواده ها و اشخاص تنها خيلی کوچک است. خيلی از چيزهای روزمره ) لوازم اشپزخانه
ه يک خانه مکان ب اينترنت، امکانات استفاده از اوقات فراغت و غيره( برای انها مهيا نيست. همه انها ارزوی نقل
مستقل را دارند.
وضعيت به همين خاطر نتيجه تحقيق اين است که اگر منابع مالی وجود داشته باشد، امکان تغيير و اصالح
اشد.سکونت در تمپو هوم هست. ولی اصالح واقعِی وضعيت مستلزم تغييرات بزرگتری درساختار المان ميب
11
Nicht-akademische Zusammenfassung auf Kurdisch
ژیان له کامپهکان: توێژینهوەیهک لهبارەی دۆخی ژیان له کامپه کاتیهکانی بهرلین
پوختهیهک به زمانی نائهکادیمی
سهرپهرشتی د. يوديت ڤهيی، کۆمهڵناس و توێژەر له سهنتهری تهکنيک و کۆمهڵگه له زانکۆيی تهکنيکی بهرلين،
هی بهردەستان، کۆمهڵێک پرۆژەی توێژينهوە دەکات له بارەی شوێنی مانهوەی پهنابهران له ئهڵمانيا. ئهم پرۆژەي
هوەيان له ران لهسهر ههڵبژاردنی شوێنی مانبهشێکه له پرۆژەيهکی گهورەتر به ناونيشانی "کاريگهری پهنابه
هگشتی له بهردەوام دەبێت. ئهم پرۆژەيه ب ٢٠١٩دەستی پێکردوە و تاکو ساڵی ٢٠١٦ئهڵمانيا،" که له ساڵی
ڕياردانی کاريگهريهکانی کامپهکان لهسهر پهنابهران و شيوازی ژيانيان دەکۆڵيتهوە، ههروەک له توانايی ب
ردنی شوێنی مانهوەی خۆيان. پهنابهرانيش لهسهر ههڵبژا
هران و کارمهندانی لهم بهشهی توێژينهوەکه، ئێمه سهردانی کامپه کاتيهکانمان کردوە و چاوپێکهوتنمان لهگهڵ پهناب
ران باشتر تێبگهين، کامپهکاندا کردوە. ئامانجمان لهو چاو پێکهوتنانه ئهوەبوە که له باردودۆخ و کێشهکانی پهنابه
مانهوەی بزانين و ههندێک پێشنيار به دامهزراوە حوکميهکان بدەين بۆ باشترکردنی شوێنیپێويستيهکانيان
پهنابهران.
دەست ئهوەی که، توێژينهوەکهمان پيشانی دەدات، که ئهو پهنابهرانهی چاو پێکهوتنيان لهگهڵداکراوە دەناڵێنن به
بارەی شتگهلێکی که نايان ناسن، ناتوانن له ماڵی تايبهتی خۆيان نيه و ناچارکراون به ژيانکردن لهگهڵ کهسانێک
ڕێوەبهرانی گرنگی ژيانيان خۆيان بهئازادانه بڕياربدەن. زياتر لهوەش، ئهوان وا ههستدەکهن که لهاليهن به
انه که بۆ ئهو کامپهکانهوە کۆنتڕۆل کراون و کۆمهڵگهيی ئهڵمانيش له خۆيان ناگرێت. زۆربهی پهنابهرەکان، ئهو
باخچهی ساوايان ێکهوتنيان لهگهڵدا کراوە، دەريدەخهن که ناتوانن کاربکهن و دۆزينهوە شوێن لهتويژينهوەی چاوپ
زانهکان به يان قوتابخانه يان کورسی خوێندن له زانکۆ زۆر زەحمهته بۆيان. بۆ پهنابهران به گشتی و بۆ خێ
ی رۆژانهيان به انن ناتوانن چاالکتايبهت ژيان له کامپه کاتيهکان زەحمهته بههۆيی بهرتهسکی شوێنييان که ناتو
ه بهتالهکان باشی ئهنجابدەن ههر وەک خواردن دروستکردن، نهبونی ئينتهرنێت، کهمی هۆکار بۆ پڕکردنهوەی کات
به شێوەيهک که ههمويان حهز به دەرچون لهو کامپانه و دۆزينهوەی ماڵی تايبهتی خۆيان دەکهن.
ەکرێت دۆخی در بێتوو يارمهتی دارايی پێويست تهرخان بکرێت، ئهوا دەرئهنجامی توێژينهوەکهمان ئهوەيه؛ ئهگه
ی به دووبارە ژيان له کامپه کاتيهکاندا باشتربکرێت. بهاڵم له راستيدا، ههر گۆڕانکاريهکی بنهڕەتی، پێويست
دارشتهنهوەی ههيکهلی ههيه له بهڕێوەبردنی کامپه کاتيهکاندا له تهواوی ئهڵمانيا.
12
Nicht-akademische Zusammenfassung auf Kurdisch-
Kurmandschi
Jiyan li kampe demî: Lêkolîn li ser rewša wergahe penaberan li campé demîyén li
Berliné.
Kurtasî bi zimanek zelal
Dr. Yudît Veyî, civaknas û lêkolîner li navenda teknîk û civak a zanîngeha Teknîkîya
Berlînê, serperiştîya gelek projeyên lêkolînê dike di mijara cîhê penaberan a mayînê li
Elmanyayê. Ev proje beşek ji projeyek mezintir e bi sernavê "bandora penaberan li ser
hilbijartina cîhê mayînê li Elmanyayê", ku ji sala 2016'an destpêkirye û heya sala
2019'an wê bidome. Ev proje bi giştî lêkolîn li ser bandorên kampan li ser penaberan û
şêweya jiyana wan dike. her wisa lêkolîn li ser karîbûna penaberan ji bo hilbijartina cîhê
mayînê dike.
Di vê beşa lêkolînê de, me serdana kampên demkî kirye û me hevdîtin bi gelek
penaberan û karmendên kampan re kirye. Armanca me di van hevdîtinan de, ev bû ku
em baştir ji pirsgirêk û rewşa penaberan fêm bikin, pêdivîyên wan bizanibin û hinek
pêşniyaz bidin saziyên hikûmetê ji bo baştirkirina cîhê mayîna penaberan.
Lêkolîna me nîşan dide ku ew penaberên hevpeyvîn bi wan re hatîye kirin, gelek
zehmetî dibînin ji ber ku mala wan a taybet tune ye û hatine neçarkirin ku bi kesên
nenyas re bijîn, nikarin bi awayek azad ji bo tiştên grîng ên jiyana xwe biryar bidin. Ji
vê zêdetir, ew wisa hîs dikin ku ji alîyê rêveberên kampan ve hatine kontrol kirin û
civaka Elmanî jî wan naspêre xwe. Piranîya penaberên ku ji bo vê lêkolînê hevdîtin bi
wan re hatîye kirin, dibêjin ku nikarin bixebitin, dîtina cîh li Zaroxane an dibistan û
kursên xwendinê li zanîngehê gelek zehmete ji wan re. Di serî de ji bo malbatan, Jiyan li
kampên demkî gelek zehmet e ji sedema tengîya cîhên wan ku nikarin bi awayek baş
çalakîyên rojane pêkbînin wekî xwarin çêkirin, nebûna Înternêt, nebûna fersend ji bo
tijekirina wextên vala, bi awayek ku hemû dixwazin ji van kampan derkevin û malek
taybet ji xwe re bibînin.
Encama lêkolîna me ev e; Eger alîkarîyên madî yên pêwîst werin kirin, dibe ku rewşa
jiyan li kampên demkî baştir bibe. Lê di rastî de, her guhertinek bingehî, pêdivîya wê bi
ji nû ve avakirina sîstemek heye ji bo rêvebirina kampên demkî li tevahîya Elmanya.
13
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung .................................................................. 14
2. Flüchtlingsunterkünfte als grundlegend
vorstrukturierter und durch externe Faktoren definierter
Raum ........................................................................... 23
2.1. Externe Bedingungen .............................................................. 23
2.2. Vorstrukturierung des Raumes ................................................. 24
2.3. Fundamentale Machtgefälle zwischen Flüchtenden und allen anderen
Akteur*innen ......................................................................... 24
2.4. Passivierung und De-Subjektivierung der Bewohner*innen als
Ergebnis der rechtlichen, sozialen und räumlichen Anordnung ...... 26
3. Bedarfe der Bewohner*innen von Tempohomes .......... 28
3.1. Unterkunftsunabhängige Bedarfe .............................................. 28
3.2. Unterkunftsbezogene Bedarfe und diesbezügliche
Handlungsempfehlungen ......................................................... 30
3.2.1. Wohneinheiten und Zimmer ............................................ 32
3.2.2. Container ..................................................................... 37
3.2.3. Außenanlagen ............................................................... 39
3.2.4. Infrastrukturelle Einrichtung ........................................... 41
3.2.5. Interaktion und Kommunikation mit den Mitarbeiter*innen . 45
3.2.6. Partizipation .................................................................. 49
3.2.7. Inklusion ...................................................................... 51
4. Fazit: Strukturelle Bedingungen verbessern ................ 53
5. Literatur ...................................................................... 55
14
1. Einführung
Flüchtende3 gelten als eine der schutzbedürftigsten und vulnerabelsten
Gruppen überhaupt. Sie erfahren meist keinerlei Schutz ihres
Herkunftslandes, stattdessen sind sie auf den Schutz anderer Staaten
angewiesen. In Deutschland genießen sie nicht dieselben Rechte wie
deutsche Staatsbürger*innen oder andere Migrant*innengruppen. Zum Teil
haben sie eine jahrelang andauernde Flucht durch verschiedene Länder
hinter sich, bevor sie Deutschland erreichen. Für manche stellt auch dieses
Land nicht der Endpunkt ihrer Flucht dar, stattdessen haben sie als Ziel
eigentlich einen anderen Ort. Nicht wenige litten bereits vor ihrer Flucht
unter einer mitunter Jahre anhaltenden durch Repression und
Diskriminierung geprägten Situation im Herkunfts- und Transitland. Ein
Großteil der in dieser Studie befragten Flüchtenden lebt schon seit zwei
Jahren in verschiedenen Arten von Sammelunterkünften in Deutschland;
viele haben immer noch keinen sicheren Aufenthaltsstatus – sei es aufgrund
einer Ablehnung des Asylantrags oder eines noch nicht entschiedenen
Asylverfahrens.
Der vorliegende Forschungsbericht ist Teil der an der Technischen
Universität Berlin angesiedelten Studie „Handlungsfähigkeit in der
bundesdeutschen Flüchtlingsunterbringung“4, in der über die Dauer von
2016 bis 2019 verschiedene Flüchtlingsunterkünfte auf ihre Auswirkungen
auf die Bewohner*innen und ihre Handlungsmöglichkeiten untersucht
werden. In der hier vorgestellten Teilstudie liegt der Fokus auf temporären
Gemeinschaftsunterkünften in Berlin, so genannten Tempohomes. Ziel
dieser Untersuchung ist es, die Situation und die Probleme der
Bewohner*innen der Tempohomes zu verstehen und ihre Bedürfnisse zu
identifizieren, um auf dieser Basis Handlungsempfehlungen für Politik,
Verwaltung und Zivilgesellschaft zu entwickeln.
Zur Unterbringung von Flüchtenden in Deutschland liegen neben Policy
Papern von Verbänden, Organisationen und Initiativen bereits einige
wissenschaftliche Studien vor. Tobias Pieper hat eine umfangreiche Studie
zur „Gegenwart der Lager“ (2008) vorgelegt, in der er auch nach der
politischen, ideologischen und ökonomischen Funktion der Unterbringung in
Gemeinschaftsunterkünften fragt. Vicki Täubig hat in ihrer Studie die
3 In den vergangenen Jahren wurde im deutschsprachigen Raum viel über den Begriff
„Flüchtling“ debattiert und der grammatikalisch nicht-verniedlichende Begriff „Geflüchtete“ vorgeschlagen. Egal, welcher Begriff verwendet wird, die Situation von Menschen auf der Flucht und deren Wahrnehmung werden sich dadurch kaum ändern. Dennoch erscheint es mir sinnvoller, den Begriff „Flüchtende“ anderen Begriffen vorzuziehen, da hier die auch in Deutschland oft noch Jahre andauernde Fluchtsituation sichtbar gemacht wird. Denn wie Statistiken und diese Studie zeigen, sind für viele Flüchtende die ersten Jahre in Deutschland
durch eine permanente Unsicherheit geprägt. Im Common Sense und der Einordnung von
Menschen mit Fluchtgeschichte wird dieser kleine, aber feine begriffliche Unterschied jedoch kaum eine Rolle spielen.
4 Siehe http://t1p.de/zty4 (11.05.2018).
15
alltägliche Lebensführung in den Gemeinschaftsunterkünften untersucht, die
sie als „organisierte Desintegration“ fasst (2009). Seit 2015 haben die
Forschungstätigkeiten zur Situation von Flüchtenden in Deutschland stark
zugenommen. Schwerpunkt ist hier – neben u.a. dem Bildungs- und
Arbeitsmarktzugang und generellen Aspekten der Inklusion – die Rolle der
Ehrenamtlichen in der Versorgung der in Deutschland neu angekommenen
Menschen (u.a. Graf 2016; Hamann/Karakayali 2016; Karakayali/Kleist
2015 und 2016; Sauer/Vey 2017; van Dyk/Miesbach 2016; Vey 2018;
Vey/Sauer 2016). Auch im Bereich Unterbringung wurden in den
vergangenen Jahren neue Studien erstellt. Hansjörg Dilger und Kristina
Dohrn haben in Zusammenarbeit mit dem International Women Space einen
Sammelband zu den Erfahrungen und Perspektiven von Frauen in deutschen
Flüchtlingsunterkünften herausgegeben (2016). Cordula Dittmer und Daniel
F. Lorenz haben im selben Jahr eine Quick-Response-Erhebung in einer
Berliner Notunterkunft durchgeführt, in der sie Bedürfnisse und
Selbsthilfepotenziale der Bewohner*innen abgefragt haben (2016). Naika
Foroutan, Ulrike Hamann, Nihad El-Kayed und Susanna Jorek haben am
Beispiel von Berlin und Dresden exemplarisch untersucht, wie sich die
Wohnsituation von Frauen in Gemeinschaftsunterkünften und der Übergang
in eine eigene Wohnung gestaltet (2017). Simone Christ, Esther
Meininghaus und Tim Röing haben Konflikte in Unterkünften in NRW
genauer durchleuchtet und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass diese
zumeist strukturelle und nicht primär individuelle Ursachen haben (2017).
In den Studien vom Deutschen Institut für Menschenrechte (2017) und von
UNICEF (2017) stehen die Situation in deutschen Flüchtlingsunterkünften im
Allgemeinen bzw. die von Kindern und Jugendlichen im Fokus. Im Jahr 2018
werde ich in einem Bericht die Ergebnisse einer ethnografischen
Untersuchung der Unterbringung von Flüchtenden in einer Berliner
Notunterkunft publizieren. All diese Berichte geben Einblick in das Leben in
Flüchtlingsunterkünften, machen die Vielzahl primär strukturell bedingter
Menschenrechtsverletzungen sichtbar und bilden eine wichtige Grundlage,
um Empfehlungen für notwendige Veränderungen abzuleiten. Der hier
vorliegende Bericht liefert eine handlungsorientierte, systematische und
differenzierte Analyse der Wünsche, Probleme und Herausforderungen aus
Sicht der Bewohner*innen, aber auch anderer Akteur*innen. Auf dieser
Basis werden detailliert Handlungsbedarfe aufgezeigt.
Finanziert wird die Studie durch die Fritz Thyssen Stiftung, die das
mehrjährig angelegte Gesamtprojekt „Handlungsfähigkeit in der
bundesdeutschen Flüchtlingsunterbringung“ von 2016 bis 2019 fördert. Der
hier vorgestellte Teil der Studie zur Unterbringung in Tempohomes wurde
darüber hinaus finanziell durch die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit
und Soziales/den Beauftragten des Senats von Berlin für Integration und
Migration unterstützt. Ohne diese Zuwendung wäre die Durchführung der
Studie so nicht möglich gewesen.
16
Qualitative Studie in zwei Berliner Tempohomes
Der Fokus dieser Teilstudie liegt auf zwei Tempohomes im Berliner
Stadtraum. Tempohomes sind temporäre, einstöckige Containerdörfer für
Geflüchtete, die auf eine Bezugsdauer von maximal drei Jahren ausgerichtet
sind. Zwei Bewohner*innen bewohnen gemeinsam ein ca. 13qm großes
Zimmer und teilen sich mit den Bewohner*innen eines weiteren
Doppelzimmers ein Bad und eine kleine Pantryküche. Jede Vier-Personen-
Einheit hat einen eigenen Eingang. Zudem gibt es Gemeinschafts- und
Funktionsräume (wie z.B. einen Aufenthalts-, Hausaufgaben-, Kurs- oder
Waschraum).
Abb. 1: Beispiel einer Tempohome-Anlage (Quelle: LAF)
Die Außenanlagen der hier betrachteten Unterkünfte waren zum Zeitpunkt
der Untersuchung – bis auf die geteerten Fußwege – noch nicht
professionell angelegt. Das Gelände ist umzäunt und durch Wachpersonal
gesichert. Das Betreten und Verlassen des Geländes ist nur durch die
Eingangsschleuse erlaubt. Bewohner*innen müssen sich in den meisten
Unterkünften ab- und anmelden, wenn sie die Unterkunft verlassen bzw.
betreten. In manchen Tempohomes müssen Besucher*innen beim Eingang
angemeldet werden, einen Pfand hinterlegen5 und von den Bewohner*innen
persönlich abgeholt werden, der*die wiederum den eigenen Heimausweis
für die Besuchszeit abgeben muss. Die Besuchszeit endet um 22 Uhr.
Übernachtungsgäste sind nicht gestattet.
5 Laut LAF ist das Hinterlegen eines Pfandes unzulässig.
17
Die Bewohner*innen werden von Sozialarbeiter- und Sozialassistent*innen
betreut, oftmals arbeiten auch Pädagog*innen in den Unterkünften, die
Kinderbetreuung anbieten. Zudem gab es bei den untersuchten
Unterkünften einzelne ehrenamtliche Unterstützer*innen oder
Unterstützer*innengruppen, die Beratung oder Aktivitäten, wie Fußball,
Nähen oder Ausflüge, anbieten.
Abb. 2: Beispiel-Tempohome (Quelle: LAF)
Abb. 3: Grundriss einer Wohneinheit für vier Personen (Quelle: LAF)
Viele der Bewohner*innen der Tempohomes sind aus verschiedenen Berliner
Notunterkünften in die neu errichteten Tempohomes umgezogen, als die
Notunterkünfte Ende 2016 leergezogen wurden. Der überwiegende Teil der
befragten Bewohner*innen lebt daher schon seit über zwei Jahren in
(verschiedenen) Sammelunterkünften in Deutschland. Viele sind bereits
mehrfach umgezogen.
Weitere Informationen zu den beiden untersuchten Einrichtungen (wie
Größe, Betreiber*in, Lage, etc.) werden aus Datenschutzgründen nicht
gegeben.
Zum methodischen Aufbau und zur Durchführung der Studie
Forschung über und mit Flüchtenden ist aufgrund ihrer prekären, unsicheren
und durch eine grundlegende Abhängigkeit gekennzeichneten Situation ein
diffiziles Feld und bedarf besonderer Sensibilität und darauf zugeschnittener
Forschungsmethoden. Um Interviewsituationen zu vermeiden, die
möglichen Verhörsituationen im Herkunftsland und der Anhörung beim
BAMF in Deutschland ähneln, und um differenzierte Einblicke in den Alltag in
18
der Unterkunft und dessen Wahrnehmung zu erhalten, wurden offenere und
partizipativere Erhebungsmethoden gewählt, die tendenziell einer normalen
Gesprächssituation entsprechen und in denen nicht nur die Forschende,
sondern auch die Flüchtenden den Verlauf und die Thematik stärker
mitbestimmen können.
Um erste Einblicke in die
Unterkünfte zu erhalten,
wurden teilnehmende
Beobachtungen6
durchgeführt. In diesem
Zusammenhang wurden
zahlreiche informelle
Gespräche mit
Bewohner*innen,
Mitarbeiter*innen und
Ehrenamtlichen geführt.
Alle
Gesprächspartner*innen
wurden über die Studie
persönlich und mittels
eines kurzen Informationszettels in verschiedenen Sprachen informiert.
Darüber hinaus wurden Workshops mit Bewohner*innen durchgeführt. In
diesen haben sie sich mittels z.T. selbstgemachter Fotos über ihre Situation,
ihre Probleme und Wünsche ausgetauscht. Diese wurden stichpunktartig auf
Metaplankarten verschriftlicht und zusammen mit den Fotos zu je drei
Plakaten zusammengeführt (in Anlehnung an die Photo-Voice-Methode).
Den Workshop mit Bewohnerinnen besuchte nur eine Frau. Da die anderen
interessierten Frauen Interviews den Workshops vorzogen, wurden mit
ihnen daraufhin halbstandardisierte, leitfragenbasierte Einzel- oder
Gruppeninterviews (mit einer weiteren Familienangehörigen) geführt. Des
Weiteren wurden mit Männern ebenfalls Interviews in Form von
Gruppeninterviews oder Einzelgesprächen geführt. Während der Interviews
wurde darauf geachtet, dass eine informelle Gesprächsatmosphäre herrscht,
in der sich die Befragten wohlfühlen. Es wurden daher Getränke, Gebäck
und Obst gereicht und die Interviews – wenn gewünscht – in Gruppenform
mit Familienangehörigen oder befreundeten Bewohner*innen geführt. Oft
erzählten die Interviewpartner*innen von sich aus von ihrer Situation und
setzten so eigene Gesprächsschwerpunkte.
6 Die teilnehmende Beobachtung ist eine gängige Methode der qualitativen Sozialforschung, in der die Forscher*innen beobachtend an sozialen Praxen teilnehmen. Ziel ist es, den sozialen
Sinn und Kontext von Handlungen und subjektiven Wahrnehmungen besser nachvollziehen zu können. In diesem Fall umfasste dies z.B. mehrere Besuche in den Unterkünften, Begleitungen im Alltag oder die Teilnahme an Veranstaltungen.
Abb. 4: Workshop mit arabischsprachigen Bewohnern (Foto: S. Gunsch)
19
Ein Bewohner wurde ein Jahr lang im Alltag (z.B. bei Terminen beim
Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) oder bei
Arbeitsberatungen) und zwei weitere Bewohner bei einzelnen Terminen
(Arztbesuch und Besuch der Ausländerbehörde) begleitet (sog.
„Shadowing“). Auf diese Weise konnte ein differenzierteres Bild hinsichtlich
der alltäglichen Herausforderungen und Tätigkeiten erstellt werden.
Flüchtende sehen sich in Deutschland fast überall sprachlichen Barrieren
ausgesetzt; oft können sie nicht adäquat ausdrücken, was ihr Anliegen ist.
Aus diesem Grund waren bei allen Workshops und Interviews
Sprachmittler*innen anwesend, sodass eine differenzierte und adäquate
Darstellung von Problemen, Bedürfnissen und subjektiven Wahrnehmungen
sichergestellt werden konnte. Bis auf ein Interview wurden alle Workshops
und Interviews nach Geschlechtern getrennt durchgeführt und
dementsprechend nur weibliche oder männliche Sprachmittler*innen
eingesetzt. Die Workshops wurden neben der Workshopleitung von den zwei
praktikantischen Projektmitarbeiter*innen begleitet. Einige Bewohner*innen
wurden mehrmals aufgesucht, sodass ihr Werdegang innerhalb eines Jahres
nachgezeichnet werden konnte, andere wurden nur einmalig im Rahmen
von Gesprächen, Interviews oder Workshops getroffen, die gebündelt über
das Jahr 2017 verteilt stattfanden. Ein Bewohner hat als
Forschungsassistent fungiert und Kontakte zu potentiellen
Interviewpersonen hergestellt oder Übersetzungen übernommen.
Zur Honorierung des Aufwandes der Bewohner*innen, über eigene, zum Teil
auch schmerzliche Erfahrungen zu berichten, wurde einem Großteil der
Teilnehmer*innen der Studie eine Aufwandsentschädigung gezahlt.7
Generell wurden alle Interviews und Gespräche freiwillig und anonymisiert
durchgeführt und digital aufgezeichnet. U.a. mit Hilfe des
Forschungsassistenten wurden Bewohner*innen über unser Projekt
informiert und Interessierte dann zu einem Interview oder Workshop
eingeladen. Zudem wurden Informationszettel in den Unterkünften
ausgehängt. Interviews ergaben sich zum Teil durch das Schneeballprinzip.
Es wurde darauf geachtet, dass die teilnehmenden Personen nicht durch die
Heimleitung ausgewählt wurden, sondern aus eigenem Interesse und
Eigenmotivation an der Studie teilnehmen wollten. Aufgrund des
Abhängigkeitsverhältnisses der Flüchtenden gegenüber der
Unterkunftsleitung wäre möglicherweise die Freiwilligkeit beeinträchtigt, und
ebenso könnte seitens der Bewohner*innen die Unabhängigkeit der Studie
gegenüber der Heimleitung und der Behörden in Zweifel gezogen werden.
7 Es konnten leider nicht an alle teilnehmenden Bewohner*innen Aufwandsentschädigungen gezahlt werden, da manche Interviews bereits im Winter/Frühjahr 2017 geführt wurden und
zu diesem Zeitpunkt noch keine Gelder seitens des Senats bewilligt waren. Generell ist das Zahlen von Aufwandsentschädigungen in den Sozialwissenschaften nicht unüblich, sofern Gelder dafür zur Verfügung stehen.
20
An der Studie nahmen im Rahmen der Workshops und formellen Interviews
insgesamt sieben Frauen (drei farsisprachige Frauen aus Afghanistan und
vier kurdischsprachige Frauen aus dem Nordirak) und 25 Männer (fünf
arabischsprachige Männer aus Syrien, dem Irak und der arabischen
Minderheit im Iran, zehn farsisprachige Männer aus Afghanistan und dem
Iran und zehn kurdische Männer aus dem Nordirak und dem Iran) teil.8 Sie
waren im Alter zwischen 19 und ca. 57 Jahren. Bei vielen der Befragten war
der Aufenhaltsstatus noch unsicher, sie warteten entweder auf einen
Bescheid oder befanden sich im Klageverfahren, da ihr Asylantrag abgelehnt
worden war. Einige hatten bereits eine Anerkennung als Flüchtende oder
subsidiären Schutz erhalten. Alle Befragten waren vor der Unterbringung in
den Tempohomes in Notunterkünften (meist in Turnhallen) untergebracht.
Neben der Forschung mit den Flüchtenden selbst wurden
Expert*inneninterviews und informelle Hintergrundgespräche mit
verschiedenen Akteur*innen im Feld geführt, an verschiedenen
Veranstaltungen, Tagungen und Fachgesprächen zur Thematik
teilgenommen und weitere Not- und Gemeinschaftsunterkünfte besucht. In
diesem Zusammenhang wurden Interviews mit den beiden Heimleitungen,
dem Flüchtlingsrat Berlin, der Monitoring Group Berlin, die ein Konzept zur
Einhaltung und Verbesserung von Unterbringungsstandards erarbeiten,
sowie informelle Gespräche mit Sozialarbeiter*innen, der Bereichsleitung
des Trägers eines Tempohomes, dem Wachdienst, ehrenamtlich Tätigen,
aktivistischen Flüchtenden aus anderen Unterkünften und deren
Unterstützer*innen geführt. Zusätzlich wurde an Presseterminen von zwei
anderen Gemeinschafts-/Notunterkünften und einem Dialogforum des
Integrationsbeauftragten von Berlin teilgenommen. Durch die Mitarbeit in
der Facharbeitsgruppe „Qualitätsgesicherte Unterbringung“ des LAF, in die
verschiedene Akteur*innen im Bereich Flüchtlingsversorgung ihre Expertise
einbringen, konnten Vorschläge und Erfahrungsberichte der Expert*innen
ebenfalls in diesen Bericht integriert werden.9 Zudem wurde direkt mit
Mitarbeiter*innen des LAF Rücksprache bezüglich dieses Berichts gehalten,
sodass Informationen zu Vorgaben des LAF eingearbeitet werden konnten.
Darüber hinaus flossen als Ergänzung und ggf. Kontrastierung Ergebnisse
aus einer dieser Studie zeitlich vorgelagerten Teilstudie in einer Berliner
Notunterkunft ein (Veröffentlichung in Bearbeitung). Die in der vorliegenden
Studie interviewten Personen waren zum Teil ehemalige Bewohner*innen
der zuvor untersuchten Notunterkunft, sodass der Übergang zwischen
Notunterkunft und Tempohome nachgezeichnet und ein Vergleich gezogen
8 Die ungleiche Geschlechterverteilung rührt u.a. daher, dass in der einen Unterkunft deutlich weniger Frauen als Männer und Kinder untergebracht waren (weniger als 10%).
9 Aufgabe der Unterarbeitsgruppe war es, im Rahmen der Erstellung eines Gesamtkonzeptes zur Integration und Partizipation Geflüchteter in Berlin einen Entwurf zur Unterbringung zu
erarbeiten. Das Gesamtkonzept ist noch nicht fertiggestellt; in diesem Bericht angeführte Darstellungen und Empfehlungen stellen ausschließlich Beiträge von einzelnen Teilnehmer*innen und keine gemeinsamen Ergebnisse dar.
21
werden konnte. Darüber hinaus wurde ein Interview mit einer jungen Frau
aus dem Iran geführt, die mit ihrer Schwester und Mutter in Thüringen in
einer Gemeinschaftsunterkunft im Jahr 2010 untergebracht war. Die
Interviews, Gespräche und Workshops wurden alle im Jahr 2017 geführt.
Das rege Interesse seitens der Bewohner*innen an der Teilnahme an der
Studie und die Inhalte der Gespräche machten deutlich, dass die
Bewohner*innen die Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation nicht
verloren haben und sich dabei die Unterstützung der Mitarbeiter*innen und
der Lokalbevölkerung wünschen. Für viele der Befragten war ich neben den
Mitarbeiter*innen der Unterkunft die einzige deutsche Kontaktperson, mit
der sie einen persönlichen Austausch hatten. Die Möglichkeit, von ihrer
Situation, ihren Erlebnissen und Wünschen zu berichten und angehört zu
werden, wurde von mehreren Interviewten explizit als sehr positiv und als
Ausnahme in ihrem Alltag hervorgehoben.
Übertragbarkeit der Ergebnisse
Aufgrund des qualitativen Forschungsdesigns besteht keine
Repräsentativität der Ergebnisse. Es geht vielmehr darum, die Bandbreite
der Erfahrungen, Probleme und Bedürfnisse aufzuzeigen, um diesbezügliche
Handlungsbedarfe zu identifizieren.
Die Tempohomes sind als temporäre Unterkünfte für Flüchtende geplant
und realisiert worden. Baulich unterscheiden sie sich daher von anderen
Unterkunftsarten, wie z.B. Modularen Flüchtlingsunterkünften (MUFs), die
für eine längere Zeitspanne errichtet werden. Dennoch lassen sich, wie die
Ergebnisse zeigen werden, viele der Aspekte, die von den Bewohner*innen
beschrieben wurden, ebenso wie die Probleme und Herausforderungen, auf
andere Tempohomes und Unterkunftsarten übertragen: Segregation, das
Gefühl von Kasernierung und Isolierung, fehlende Selbstbestimmung und
der Mangel an Privatsphäre waren schon in den Notunterkünften
Hauptkritik- und Konfliktpunkte und werden ebenfalls in anderen Formen
der Sammelunterbringung als zentrale Probleme benannt. Viele der
Beschreibungen, Probleme und Wünsche der getroffenen Personen aus den
verschiedenen Unterkünften ähneln sich stark und es lassen sich
verallgemeinerbare Aussagen über die Situation in
Gemeinschaftsunterkünften ableiten. Darüber hinaus entsprechen sie zu
großen Teilen den Ergebnissen aus anderen Studien über Gemeinschafts-
und auch Notunterkünfte, die in den letzten Jahren durchgeführt wurden.10
10 Vgl. u.a. die im Rahmen einer dieser Studie vorausgegangenen Teilstudie gewonnen
Erkenntnisse über eine Berliner Notunterkunft oder eine Kurzstudie zu ehrenamtlichem Engagement und Bedürfnissen von Bewohner*innen in Gemeinschaftsunterkünften in Brandenburg (Vey/Sauer 2016).
22
Interessanterweise wies eine Mitarbeiterin eines Betreibers, die beide neuen
Einrichtungsarten (MUF und Tempohome) kennt, darauf hin, dass trotz der
Leichtbauweise der Temphomes, die zahlreiche Probleme mit sich bringt,
auch Vorteile gegenüber den qualitativ hochwertigeren und optisch
ansprechenderen MUFs bestehen. So sind die Tempohomes aufgrund ihrer
Einstöckigkeit und der weiten Grundstücksfläche im Gegensatz zu den
mehrstöckigen MUFs räumlich nicht so stark komprimiert, sondern eher
entzerrt. Es sind mehr Außenflächen vorhanden, die von den
Bewohner*innen in verschiedener Art und Weise genutzt werden können
(Spielplätze, Sportstätten, Bänke, Grillmöglichkeiten usw.). Durch die
separaten Eingänge besteht zum Teil auch mehr Privatsphäre, auch wenn
sich durch die parallele Anordnung der Temphomes in Reihen die
Bewohner*innen gegenseitig in die Wohneinheiten schauen können. Jede
Wohneinheit hat zudem eine kleine Fläche vor dem Eingang, die von den
Bewohner*innen z.T. bepflanzt oder mit selbstgebauten Gartenmöbeln
ausgestattet wurde.
23
2. Flüchtlingsunterkünfte als grundlegend
vorstrukturierter und durch externe Faktoren
definierter Raum
Um die Situation und die damit einhergehenden Probleme, Bedarfe und
Herausforderungen adäquat erfassen zu können, ist ein Grundverständnis
des Raums, der in den Unterkünften entsteht, seiner Grundcharakteristika
und seines Kontextes notwendig. Der dort erzeugte Raum ist dadurch
gekennzeichnet, dass er (1) zum einen durch externe Bedingungen definiert
und (2) zum anderen grundlegend vorstrukturiert ist. Darüber hinaus ist er
(3) von einem fundamentalen Machtgefälle zwischen Flüchtenden und allen
anderen Akteur*innen dieses Raums durchzogen. (4) Die rechtliche, soziale
und räumliche Anordnung trägt zu einer Passivierung und Ent-
Subjektivierung der Bewohner*innen bei. Auf diese Grundcharakteristika
werde ich im Folgenden kurz eingehen. Sie beziehen sich jedoch allgemein
auf die zentralisierte Sammelunterbringung von Flüchtenden.
2.1. Externe Bedingungen
Die Situation in den Tempohomes ist grundlegend von Bedingungen
bestimmt, die primär außerhalb der Unterbringung ihren Ursprung haben.
Diese umfassen vor allem die Asylgesetzgebung und Asylrealität in
Deutschland. Sie bilden die Hintergrundfolie, vor der die Ergebnisse dieser
Studie betrachtet und diesbezügliche Handlungsmöglichkeiten bewertet
werden müssen. Das oft jahrelange Warten auf einen (abschließenden)
Asylentscheid, eine damit einhergehende grundlegende Unsicherheit der
Gegenwart und Zukunft des eigenen Lebens und ggf. auch dem der Kinder
und Partner*in, (strukturelle) Diskriminierungen im Alltag, auf dem
Arbeitsmarkt und bei der Wohnungssuche, die Herausforderung des
Erlernes der deutschen Sprache, der Zugang zu Bildungseinrichtungen für
sich und ggf. Kinder, unbearbeitete, traumatische Erfahrungen oder oftmals
chronisch gewordene Krankheiten, z.T. lange Fahrtwege von den
Unterkünften zu Schul- und Ausbildungsstätten sowie Behörden wirken auf
die Bewohner*innen häufig sehr zermürbend. Gerade aus diesem Grund ist
es für die Flüchtenden von zentraler Bedeutung, dass sie einen Ort haben,
an dem sie sich wohl, sicher und zuhause fühlen. Gleichzeitig wird offenbar,
dass sich selbst bei einer qualitativen Verbesserung der Wohnsituation die
Lebenssituation der Asylsuchenden nicht grundsätzlich verbessern würde.
„Schöner Wohnen im Heim“ kann keine entscheidende Veränderung
bringen; zu schwer wiegen die elementar unsicheren Bedingungen und
(strukturellen) Diskriminierungen in Deutschland.
24
2.2. Vorstrukturierung des Raumes
Zudem wird durch die Art der Unterbringung der Raum der Möglichkeiten,
wie sich für die Akteur*innen naheliegende und mögliche Handlungspraxen
gestalten, extrem vorstrukturiert. Diese vor allem rechtliche und räumliche
Vorstrukturierung macht bestimmte Handlungen wahrscheinlicher und
definiert diese sogar mitunter vollständig vor. Ein aktives Dagegenarbeiten
seitens lokaler Akteur*innen, seien es Bewohner*innen, Ehrenamtliche,
Mitarbeiter*innen, Heimleitung, Betreiber*in, Verwaltung oder
Bezirksbürgermeister*in, kann aufgrund der materiellen und strukturellen
Bedingungen bisweilen keine elementaren Veränderungen herbeiführen.
Bspw. entsteht durch die Segregierung der Flüchtenden in Containern, die
Umzäunung und den patrouillierenden Wachdienst ein Gefühl des
Gefangenseins, der Kasernierung, Isolation und Begrenztheit, ebenso ist die
Außenwirkung solcher Anlagen auf die Nachbarschaft zu bewerten.
Heimleitungen und Betreiber*innen ebenso wie Mitarbeiter*innen werden in
solchen Einrichtungen tendenziell eher restriktiv als offen agieren, weil sie
die gesamte Verantwortung für die Unterkunft und die Bewohner*innen
tragen. Unverhältnismäßige Kontrollen und Überwachung sind
dementsprechend strukturell in der Art der Unterbringung angelegt, da
diese als Selbstschutz für die Betreibenden und Mitarbeitenden fungieren
(können). Der auf dem Infektionsschutzgesetz basierenden Vorgabe des
LAF bspw., dass die Betreiber*innen für Ordnung und Sauberkeit sorgen
und Ungezieferbefall vorbeugen müssen, wird in vielen Einrichtungen mit
regelmäßigen, oft unangekündigten Zimmerkontrollen Rechnung getragen,
die z.T. auch in Abwesenheit der Bewohner*innen durchgeführt werden. Im
Rahmen eines Dialogforums bestätigte sich diese These, als Elke
Breitenbach, Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales in Berlin,
erklärte, dass sie die Zäune um die Flüchtlingsunterkünfte gerne abschaffen
würde, sie jedoch „am nächsten Tagen nicht mehr in den Spiegel schauen“
könne, wenn es aufgrund der fehlenden Umzäunung zu einem Übergriff auf
eine Unterkunft käme. Ähnlich ambivalent sieht dies ein Heimleiter, der die
Zäune zwar prinzipiell ablehnt, sie aber ebenfalls als Schutz sieht. Durch
diese konzentrierte Unterbringung entstehen daher erst Zwänge und
werden Logiken erzeugt, die es im Kontext von regulärer
Wohnungsunterbringung in einem gewöhnlichen Wohnviertel gar nicht
geben würde. Egal, wie die Unterkunft eingerichtet und geführt wird, an
diesen räumlichen Gegebenheiten und ihrer Wirkung auf die Wahrnehmung
und die Handlungsmöglichkeiten in solchen Räumen wird sich nichts
grundlegend ändern.
2.3. Fundamentale Machtgefälle zwischen Flüchtenden
und allen anderen Akteur*innen
Zwischen Lokalbevölkerung, seien es Mitarbeiter*innen, Ehrenamtliche oder
Nachbar*innen, und Bewohner*innen der Unterkünfte herrscht ein
25
strukturelles Machtgefälle, das erheblichen Einfluss auf die Handlungsweisen
und -möglichkeiten der unterschiedlichen Akteur*innen und auf das
Verhältnis untereinander hat. Dieses wird schon allein durch die rechtliche
und räumliche Anordnung und der daraus folgenden Ungleichheit sichtbar
und verschärft. Es wird verstärkt durch die oftmals faktisch rechtlose
Situation von Flüchtenden in den Unterkünften infolge fehlender Aufklärung
bezüglich der eigenen Rechte und der Befugnisse der Mitarbeiter*innen,
mangelhafter Umsetzungs- und Einklagemöglichkeiten bestehender Rechte,
unklarer, z.T. willkürlich festgelegter und unterschiedlich ausgelegter Regeln
in den Unterkünften, unzureichendes Beschwerdemanagement und eine
existenzielle Abhängigkeit gegenüber den Mitarbeiter*innen. Dies bildet den
Nährboden für (Macht-)Missbrauch, Diskriminierung und Gewalt.
Insbesondere Flüchtendenvertreter*innen und Unterstützer*innen, aber
auch Behördenmitarbeiter*innen berichten von Befugnisüberschreitungen
seitens der Unterkunftsmitarbeiter*innen: In manchen Unterkünften ist es
gängige Praxis, bei Beschwerden mit Hausverboten, einer Abschiebung oder
mit einer Verlegung in eine andere, schlechtere Unterkunft des Betreibers
oder in den ehemaligen Flugzeug-Hangar auf dem Tempelhofer Feld zu
drohen, der als das Sinnbild einer Massenunterkunft ohne jegliche
Privatsphäre und Selbstbestimmung gilt. Im Jahr 2017 wurden jedoch nach
Auskunft des LAF bisher nur 52 Hausverbote an das LAF weitergeleitet
(Stand Dezember 2017; nicht offiziell bestätigte Angabe); Abschiebungen
können nicht durch die Heimleitung vorgenommen und Verlegungen nur
durch das LAF angewiesen werden. Heimleitungen und Mitarbeiter*innen
bauen in manchen Unterkünften anscheinend eine Drohkulisse auf, die
entweder rechtlich nicht legitimiert ist oder de facto wenig Anwendung
findet (oder zumindest – wie im Falle der Hausverbote – nicht immer an das
LAF weitergegeben wird).11
Ein Mitglied der Monitoring Group Berlin berichtet zudem, dass insbesondere
in den Nachtstunden, in denen eine soziale Kontrolle durch
Sozialarbeiter*innen und Heimleitung fehlt, sich Konflikte und Übergriffe
von Wachpersonal (und auch Bewohner*innen) mehren. Infolgedessen kann
eine Art „Wild-West-Stimmung“ aufkommen, infolge derer Mitarbeiter*innen
und auch Bewohner*innen das Gefühl haben, nahezu alles tun zu dürfen,
ohne ernsthafte Konsequenzen erwarten zu müssen. So wurde von der
Monitoring Group Berlin von männlichen Mitarbeitern des Wachdienstes
einer Notunterkunft berichtet, die Frauen regelmäßig unbehelligt beim
Duschen in den nicht abschließbaren Sammelduschen zugeschaut haben,
ohne dass diese etwas dagegen tun konnten. Darüber hinaus berichteten sie
von Vergewaltigungen durch das Wachpersonal, deren Anzeige von der
Polizei einfach nicht aufgenommen wurde. Ebenso berichten sie von
mehreren angezeigten Vergewaltigungen, bei denen der Täter namentlich
11 Die Monitoring Group Berlin berichtete ad hoc von mehreren Dutzend erteilten Hausverboten,
die allein ihnen bekannt sind.
26
bekannt ist, jedoch nach zwei Jahren immer noch gegen Unbekannt
ermittelt wird. Wenn durch solche Erfahrungen das Gefühl entsteht, dass
Täter*innen potentiell straffrei Straftaten begehen können, wird diese Wild
West-Stimmung der Gesetz- und Straflosigkeit auf allen Seiten –
potentiellen Täter*innen und Opfern sowie anderen Beteiligten und
Unbeteiligten – verstärkt. Es entsteht ein (potentiell) rechtsfreier Raum.
Dies trägt dazu bei, dass Sammelunterkünfte als strukturell unsichere Orte
für Flüchtende betrachtet werden müssen. Die Einführung eines
unabhängigen und niedrigschwelligen Beschwerdemanagements, klare und
detaillierte Vorgaben seitens des LAF für alle Beteiligten, strikte Kontrollen
und kleinere Unterkünfte können zwar Abhilfe schaffen. Der generelle
Charakter von Sammelunterkünften, wie er auch in anderen sozialen
Gemeinschaftseinrichtungen herrscht, die damit verbundenen klaren
Hierarchien, das Machtgefälle und Abhängigkeiten sowie die Möglichkeit des
Machtmissbrauchs bleiben jedoch bestehen und sind für solch eine extrem
vulnerable Gruppe als äußerst problematisch zu bewerten. Auch noch so
engagierte Mitarbeiter*innen und Ehrenamtliche12 können daran nicht
grundlegend ändern, sondern ggf. nur abschwächen. Der potentiell
rechtsfreie Raum wird im Kontext von Sammelunterbringungen schwerlich
zu 100% durch einen gleichberechtigten Umgang zu ersetzen sein.
2.4. Passivierung und De-Subjektivierung der
Bewohner*innen als Ergebnis der rechtlichen,
sozialen und räumlichen Anordnung
Darüber hinaus wird durch die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften
generell die Passivierung und Verwaltung von Flüchtenden verstärkt. Die
direkte Betreuung(smöglichkeit) durch Sozialarbeiter*innen wirkt zwar
unterstützend, trägt aber gleichzeitig langfristig zur Verstärkung potentieller
Abhängigkeiten von dieser Betreuung bei. Fehlende oder mangelhafte
Mitbestimmungs- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten, wie z.B.
hinsichtlich alltäglicher Dinge, wie der Einrichtung der Wohn- und
Schlafräume, sind strukturell erschwert; stattdessen werden die
Bewohner*innen eher entmündigt als empowert. Über Jahre hinweg fördert
dies tendenziell Unselbständigkeit und gesellschaftliche Exklusion anstelle
von Inklusion. Eine Mitarbeiterin des Flüchtlingsrates Berlin betont, dass
eine noch so komfortable Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft
nicht gleichzusetzen ist mit einer eigenen Wohnung mit allen vertraglich
gesicherten Mieter*innenrechten. Auch noch so qualitätsgesicherte
Sammelunterkünfte können die in regulären Mietwohnungen ermöglichte
Privatheit, Selbstbestimmung, Selbstständigkeit und Inklusion in den
12 In unserer Kurzstudie zu Gemeinschaftsunterkünften in Brandenburg konnten wir zeigen,
dass die Anwesenheit von Ehrenamtlichen die Situation in den Unterkünften verbessern kann, weil bereits dadurch eine soziale Kontrolle von außen stattfindet (Vey/Sauer 2016).
27
Sozialraum und die Nachbarschaft nicht ersetzen. Ziel kann daher nur die
Unterbringung in Wohnungen und eine qualitative Verbesserung der
Asylbedingungen sein.
28
3. Bedarfe der Bewohner*innen von Tempohomes
Die Situation und Wahrnehmung der Unterbringung ist nie von anderen,
unterbringungsexternen Bedingungen, Problemen und Wünschen getrennt
zu erfassen. Aus diesem Grund wurden im Kontext dieser Studie auch
allgemeine Wünsche und Probleme thematisiert. Auf diese möchte ich
zunächst eingehen, bevor ich auf die unterkunftsbezogenen Bedarfe
eingehen werde.
Abb. 5: Workshop mit farsisprachigen Bewohnern (Foto: J.Vey)
3.1. Unterkunftsunabhängige Bedarfe
Die genannten Bedürfnisse umfassten die Aufnahme einer Arbeit oder
Ausbildung, Kinderbetreuung, den Spracherwerb bzw. die Anwendung der
Deutschkenntnise sowie (ein verstärkter) Kontakt zur Lokalbevölkerung. Die
Mehrzahl der befragten Flüchtenden verfügte über keinerlei Kontakt zur
Lokalbevölkerung, betrachteten diesen für die Anwendung und
29
Verbesserung der Sprachkenntnisse, zur Inklusion und zum besseren
Verständnis der Gesellschaft in Deutschland aber als essentiell. Das Bargeld,
das die Flüchtenden erhalten, sei zwar „nicht genug, aber besser“
(Karwan13, Gruppeninterview 1.2.17) als in der Notunterkunft, in der die
Bewohner*innen nur eine Art „Taschengeld“ erhalten haben, das nicht zur
Deckung des alltäglichen Bedarfs gereicht habe. Dennoch nehmen auch in
der Gemeinschaftsunterkunft die monatlichen Fixkosten für Sprachkurse,
Bücher, öffentlichen Nahverkehr, Anwalt und Handyverträge einen großen
Teil des monatlich zur Verfügung stehenden Betrages ein. Zum Teil schicken
die Flüchtenden regelmäßig Geld zu ihrer Familie im Herkunfts- oder
Transitland. Da die Flüchtenden meist mit nur einer Tasche – wenn
überhaupt – in Deutschland angekommen und die Küchen und Zimmer nur
mit einer Minimalausstattung eingerichtet sind, kommen Kosten für
passende Kleidung, Haushaltsutensilien (größere Töpfe, zusätzliches
Geschirr usw.) oder Einrichtungsgegenstände hinzu.
Bei Flüchtenden, die (noch) nicht rechtlich als Flüchtlinge anerkannt wurden
oder deren Asylgesuch abgelehnt wurde, stand zudem die rechtliche
Anerkennung als Flüchtling im Vordergrund. Unter den befragten
Flüchtenden wünschte sich zudem ein Mann den Nachzug seiner Familie.
Dies plante er jedoch explizit erst zu realisieren, wenn er aus der
Gemeinschaftsunterkunft ausgezogen ist und eine eigene Wohnung
gefunden hat. Er wollte nicht, dass ihn seine Kinder in solch einem
Container leben sehen und wollte die Führung eines Lebens unter diesen
Bedingungen für seine Kinder vermeiden. Des Weiteren litten viele der
Befragten unter gesundheitlichen Problemen: Mindestens vier wurden
bereits im Krankenhaus operiert, z.T. aufgrund von Verletzungen (an den
Beinen) durch Misshandlungen im Heimatland. Eine Mutter berichtete, dass
sie ihren 14jährigen Sohn auf der Flucht verloren und ihn bisher nicht mehr
wiedergefunden hat. Sie und ihr Mann nehmen daher seit zwei Jahren
regelmäßig Schlafmittel und Anti-Depressiva; außer einigen Gesprächen mit
einem Psychiater während ihres Aufenthalts in einer Notunterkunft blieb
dieses Trauma bisher unbearbeitet.
13 Name geändert.
30
3.2. Unterkunftsbezogene Bedarfe und diesbezügliche
Handlungsempfehlungen
Im Folgenden wird eine Zusammenfassung der in den Workshops,
Interviews und informellen Gesprächen beschriebenen Bedarfe und
Probleme sowie daraus resultierender Handlungsfelder für politisch und
administrativ Verantwortliche sowie zivilgesellschaftliche Akteur*innen
gegeben. Diese Ergebnisse werden ergänzt durch Daten, die bei Besuchen
Abb. 6: Workshop mit arabischsprachigen Männern (Foto: A. Sehatkar)
31
anderer Gemeinschaftsunterkünfte, Informationen und Einschätzungen aus
Expert*inneninterviews sowie besuchten Veranstaltungen und Vorschlägen
der Facharbeitsgruppe „Qualitätsgesicherte Unterbringung“ des LAF
gesammelt wurden. Generell lässt sich festhalten, dass sich die befragten
Flüchtenden durch die Art der Unterbringung extrem isoliert, stigmatisiert
und in ihrer Selbstbestimmung und Privatsphäre stark eingeschränkt fühlen.
Die zentralen Forderungen in den Interviews und Workshops lassen sich
daher als Wunsch nach mehr Selbstbestimmung sowie dem Beenden der
Isolation zusammenfassen.
In den Interviews und Workshops gab kein*e Bewohner*in an, dass er*sie
es präferieren würde, in der Gemeinschaftsunterkunft wohnen zu bleiben,
weil sie dort besser versorgt seien, wie manchmal von Ehrenamtlichen oder
professionell Tätigen argumentiert wird. Stattdessen war der erste Wunsch,
der von allen Befragten
genannt wurde, der Umzug in
eine eigene Wohnung. Die
befragten Bewohner*innen
betrachteten die
Unterbringung in
Gemeinschaftsunterkünften
als provisorische Situation, die
schon viel zu lange anhält,
und die sie so schnell wie
möglich verlassen möchten,
um auf eigenen Beinen stehen
zu können. In den Interviews
und Gesprächen wurde
offenbar, dass sie sich
generell in einer permanenten
Warteposition befinden, die
durch die Unterbringungsart
in einer
Gemeinschaftsunterkunft noch
verstärkt wird. Ein Einrichten
im neuen Leben in
Deutschland ist wortwörtlich
(noch) nicht möglich. Zudem
berichteten die Bewohner*innen
eines Tempohomes von Übergriffen und rassistischen Anfeindungen, die sie
vor der Unterkunft und auf der Straße erlebt haben oder von denen ihnen
von anderen Mitbewohner*innen berichtet wurde. Diese Berichte wurden
von einem Mitarbeiter des Wachdienstes untermauert. Selbst die
männlichen Bewohner gehen nun nachts nicht mehr alleine, sondern nur
noch in Gruppen vor die Unterkunft. Bei der Einrichtung von neuen
Unterkünften ist daher neben einer guten infrastrukturellen Anbindung an
Abb. 7: Workshop mit farsisprachigen Bewohnern (Foto:
J.Vey)
32
den öffentlichen Nahverkehr, an öffentliche Einrichtungen (Kindergärten,
Schulen, Volkshochschulen, Ämter und Behörden, Beratungszentren und
soziale und kulturelle Einrichtungen) und Orte des täglichen Bedarfs
(Ärzt*innen, Geschäfte, Gastronomie usw.) auch die Art der Nachbarschaft
zu berücksichtigen und aktive Nachbarschaftsarbeit zu leisten.
Gewerbegebiete eignen sich für eine angemessene Unterbringung von
Flüchtenden grundsätzlich nicht.
Auffällig war, dass sowohl die Mitarbeiter*innen sowie die Bewohner*innen
in vielen Punkten ähnlichen Veränderungsbedarf sahen, wie z.B. die
Herstellung eines funktionierenden Internets, flexiblere Zimmergrößen, die
Gestaltung des Außenbereichs, die Schaffung eines Spielbereiches für
Kinder und den Aufbau von persönlichen Beziehungen zur
Lokalbevölkerung.
3.2.1. Wohneinheiten und Zimmer
Belegung der Zimmer
Viele der Bewohner*innen haben über ein Jahr lang in einer Notunterkunft
mit z.T. 100 Menschen in einem Raum gelebt. Die Unterbringung in
Zweibettzimmern und die Möglichkeit zur Selbstversorgung in der eigenen
kleinen Küche stellt daher eine erhebliche Verbesserung dar. Dennoch
machen den Bewohner*innen die mangelnde Ruhe und die fehlenden
Rückzugsmöglichkeiten sehr zu schaffen. Dies gilt vor allem für allein
reisende Menschen, die sich den Schlafraum mit einer ihnen fremden Person
und die Pantryküche mit insgesamt drei ihnen fremden Personen teilen
müssen. Es gibt keinen Ort, an dem sie für sich sein, Besuch empfangen
oder in Ruhe telefonieren können. Auch fällt die Zimmereinrichtung
schwerer, da diese mit dem*der Mitbewohner*in ausgehandelt werden
muss und diese*r auch recht schnell wechseln kann.
Die Flüchtenden schilderten, dass sich die fehlende Privatsphäre negativ auf
ihr psychisches Befinden auswirkt, da dieser Zustand nicht nur einige Tage
oder Wochen andauert, sondern für viele schon seit zwei Jahren und auch
nicht absehbar ist, wann er sich zum Positiven verändern wird. Eine weitere
Sorge, welche Bewohner*innen im Zusammenhang mit der Unterbringung
in Mehrbettzimmern ansprachen, ist die Ansteckungsgefahr bei Krankheiten.
Sie wünschten sich daher eine Unterbringung in Form von Einzelzimmern.
Ein Heimleiter – gefragt nach dem Unterschied zwischen Notunterkunft und
Tempohome – fasste das Problem in beiden Unterkunftsarten
folgendermaßen zusammen:
„ (…) was sich nicht verbessert hat und da braucht man sich nichts vor zu
machen, ist meiner Ansicht nach Privatsphäre. (…) Wenn ich ein kleines
Zimmer mit einer Person teile, die ich eigentlich nicht kenne und eigentlich
33
vielleicht auch gar nicht mag. (…) man ist schwanger oder man ist nicht
schwanger, also, man hat Privatsphäre oder man hat sie nicht. Man hat
nicht ein bisschen Privatsphäre irgendwie. Also, das finde ich kurios.“
(Interview HL Temp-2)
Handlungsempfehlung: Es wird daher die Belegung in Einzelzimmern
dringend empfohlen.
Zimmerverteilung
Auch wenn bei der Belegung der Zimmer in den Tempohomes versucht
wurde, darauf zu achten, dass nur Menschen in einem Zimmer und einer
Wohneinheit untergebracht sind, die sich auch sprachlich verständigen
können, ist dies anfangs nicht immer gelungen. Das Zusammenleben in den
Zimmern und Wohnungen wurde daher z.T. durch erhebliche sprachliche
Verständigungsprobleme erschwert; manche Bewohner*innen konnten sich
am Anfang überhaupt nicht verständigen. Diese Problematik wurde durch
Umbelegungen versucht zu lösen. Dennoch waren manche mit dem Problem
konfrontiert, mit Angehörigen einer sie im Heimatland unterdrückenden
Gruppe unterbracht zu sein.
Hinsichtlich der Frage der Zimmerverteilung nach Religionszugehörigkeit
lässt sich nicht so eine klare Aussage treffen. So wurde zwar von einigen
Bewohner*innen kritisiert, dass sie vom Gebetsruf des Bettnachbarn nachts
geweckt werden; andere Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen sehen dies
jedoch nicht so problematisch. Eine Mitarbeiterin einer anderen
Flüchtlingsunterkunft argumentierte stattdessen, dass Religion oftmals
instrumentalisiert werde. Eigentlich aus der Situation der Flüchtenden
herrührende Probleme der Unterbringung würden als kulturelle oder
religiöse Konflikte artikuliert. Die Einrichtung eines Ruheraums, in dem
ungestört gebetet oder anderen ruhigen Tätigkeiten nachgegangen werden
kann, ohne andere zu stören, könnte stattdessen sinnvoll sein. Diese wurde
in manchen Unterkünften bereits realisiert.
Handlungsempfehlung: Bei der Zimmerverteilung ist unbedingt darauf zu
achten, dass sichergestellt ist, dass sich Mitbewohner*innen sprachlich
verständigen können und dass keine ethnischen oder religiösen Spannungen
zwischen zukünftigen Mitbewohner*innen existieren.
Räumliche Aufteilung der Wohneinheiten
Gerade Familien haben das Problem, dass die auf vier Personen
ausgerichteten Wohneinheiten meist zu klein für sie sind, da die kleine
Pantryküche und zwei Zimmer nicht ausreichend Platz bieten. Kinder
müssen dann in anderen Wohneinheiten leben und sich dort Zimmer, Küche
34
und Bad mit ihnen fremden Personen teilen. Eine 19jährige Tochter teilt sich
bspw. das Schlafzimmer mit der Großmutter einer ihr fremden Familie. Weil
sie sich dort nicht wohlfühlt, bevorzugt sie es, auf dem Fußboden in dem
Zimmer ihrer Eltern zu schlafen. Auch die nicht-volljährigen Söhne einer
anderen Familie wohnen in einer anderen Wohneinheit; eine adäquate
Beaufsichtigung der Kinder ist infolgedessen schwer möglich. Ebenso haben
wir eine Familie getroffen, bei der sich die Eltern und die zweijährigen
Zwillinge ein Schlafzimmer teilen mussten, weil erst bei Kindern ab sechs
Jahren Anspruch auf ein weiteres Zimmer bestand. Sie wünschen sich ein
eigenes Schlafzimmer für ihre Kinder. Darüber hinaus werden Mädchen
oftmals mit ihren Brüdern oder Cousins in einem Zimmer untergebracht, da
sie Familienmitglieder sind. Gerade ab Einsetzen der Pubertät wünschen
sich viele Mädchen jedoch eine geschlechtergetrennte Unterbringung.
Handlungsempfehlung: Um den unterschiedlichen Familiengrößen und -
konstellationen gerecht zu werden, sind variable Wohneinheiten notwendig.
Zudem sollten Kinder schon ab einem Jahr einen Anspruch auf ein eigenes
Zimmer erhalten sowie eine geschlechtergetrennte Unterbringung
spätestens ab der Pubertät möglich sein.
Einrichtung der Wohneinheiten
Die Schlafräume und die Pantryküche sind u.a. mit zwei Betten, Spints,
einem Tisch mit Stühlen, einer kleinen Küchenzeile und einem Kühlschrank
ausgestattet. Betreiber*in und Leitung müssen laut Vertrag mit dem LAF
nachweisen, dass sie die entsprechend angegebene Anzahl von Personen in
der Unterkunft und den jeweiligen Wohneinheiten untergebracht haben.
Viele Familien richten sich jedoch einen Wohn- und einen Schlafraum ein,
räumen tagsüber die Matratzen weg oder wollen gern eigene Möbel in die
Räume stellen. Wenn eine Überprüfung und Begehung des LAF
vorgenommen wird, können Betreiber*innen Schwierigkeiten bekommen,
wenn nicht sofort ersichtlich wird, wie viele Personen in einer Wohneinheit
wohnen. Manche Betreiber*innen bestehen daher darauf, dass die Betten an
Ort und Stelle belassen werden und keine zusätzlichen Möbel in die
Unterkunft geräumt werden. Dies schränkt die Gestaltungsmöglichkeiten
der Bewohner*innen natürlich enorm ein; ihre Selbstständigkeit und das
Recht auf eine eigene Wohnung und deren Einrichtung wird beschnitten.
Handlungsempfehlung: Die freie Gestaltung und Einrichtung der Zimmer
und Wohneinheiten seitens der Bewohner*innen ist dringend zu
gewährleisten. Diesbezügliche behördliche Vorgaben (wie das
Infektionsschutzgesetz) sind zu überprüfen, anzupassen und Ausnahmen für
Tempohomes zu ermöglichen.
35
Unterbringung von Frauen14
Die befragten alleinstehenden Frauen berichteten über ihren Aufenthalt in
den Notunterkünften, dass sie sich dort nicht sicher gefühlt und sich daher
nur zum Schlafen dort aufgehalten haben. Insbesondere durch aggressive,
in Streit geratene Männer haben sie sich bedroht gefühlt und an negative
Situationen in ihrer Heimat erinnert gefühlt, auch wenn sie nicht direkt von
dem Konflikt betroffen waren. In den Tempohomes fühlten sie sich nun
sicherer, weil sie ein eigenes Zimmer haben. Dennoch nahmen die
befragten Frauen nicht an den Aktivitäten der Unterkunft teil. Expert*innen
berichteten in den Interviews, dass Sicherheit in den Unterkünften ein
zentrales Thema (nicht nur) für Frauen sei. Zahlreiche verbale oder
körperliche Übergriffe seitens der Bewohner*innen, Mitarbeitenden und
auch Ehrenamtlichen würden gemeldet, die Dunkelziffer insbesondere
hinsichtlich der letzten beiden potentiellen Täter*innengruppen sei jedoch
hoch. Nicht nur, aber besonders für Frauen ist es daher wichtig, dass sie an
ihren Aufenthaltsorten und -wegen vor Übergriffen jeglicher Art geschützt
sind und sich in der Umgebung der Unterkunft wirklich sicher fühlen.
Handlungsempfehlung: Empfohlen werden daher geschlechtergetrennte,
abschließbare Zimmer und Sanitärbereiche. Dies impliziert auch Küchen und
die Wege zu den Zimmern und Funktionsräumen, die ebenfalls sicher und
geschlechtergetrennt sein sollten. Durch ausreichende Beleuchtung bspw.
kann dunklen Ecken in den Gebäuden und den Wegen vorgebeugt werden.
Darüber hinaus ist es wichtig, dass auch Frauen als Wachpersonal
eingesetzt werden und es Personen gibt, denen sich bei einem Übergriff
anonym, in ihrer Erstsprache und niedrigschwellig anvertraut werden kann.
Generell ist jedoch bei alleinstehenden Frauen eine geschlechtergetrennte
Unterbringung oftmals sinnvoller.
Unterbringung verschiedener Bedarfsgruppen
In den Berichten der Expert*innen wurden die Herausforderungen und
Probleme deutlich, in geschlechter- und generell bedarfsgemischten
Unterbringungen den Bedürfnissen der verschiedenen Gruppen (Frauen,
Familien, Kinder, junge Erwachsene, LGBTIQ*-Flüchtende, Menschen mit
Behinderungen, traumatisierte Flüchtende usw.) gerecht zu werden. Die
gemeinsame Unterbringung von diesen verschiedenen Gruppen führt häufig
zu sehr komplizierten Lösungen, wenn z.B. versucht wird, einen reinen
Frauenbereich in einer gemischtgeschlechtlichen Unterbringung zu
installieren. Meist sind dann Treppenhäuser oder Flure doch nicht
14 Die folgenden beiden Punkte basieren vor allem auf Beiträgen von einzelnen Expert*innen
der Facharbeitsgruppe „Qualitätsgesicherte Unterbringung“ des LAF.
36
geschlechtergetrennt, und es werden mit viel Aufwand nicht-
zufriedenstellende Behelfslösungen durch Alarmknöpfe o.ä. erarbeitet.
In manchen Punkten unterscheiden sich die Bedarfe der besonders
schutzbedürftigen Gruppen jedoch gar nicht so stark; stattdessen treten
viele Probleme erst durch das Zusammenleben der verschiedenen Gruppen
auf engsten Raum auf. Familien haben bspw. meist einen anderen
Tagesrhythmus als junge Erwachsene. Wenn beide auf solch engem Raum
zusammen untergebracht sind, sind gegenseitige Ruhestörungen zu fast
allen Tageszeiten vorprogrammiert. Ähnliches gilt für die gemeinsame
Unterbringung von allein reisenden Frauen und Männern. Der Aufwand,
diese Unterkünfte sicher einzurichten, ist deutlich höher, als z.B. reine
Frauenunterkünfte zu betreiben. Zwar lassen sich die Bedürfnisse und die
konkrete Situation von Zugehörigen einer Gruppe nicht einfach
gruppenspezifisch verallgemeinern, stattdessen weisen sie eine hohe
Heterogenität auf – je nach Alter, biografischem Hintergrund, aktueller
Situation und persönlichen Erfahrungen. Es lassen sich jedoch generelle
Tendenzen identifizieren, und deren Berücksichtigung ist im Rahmen der
Unterkunftsplanung und -einrichtung zentral. Wenn alle Flüchtenden an
einem Ort unterbracht sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die
Bedürfnisse einer oder mehrerer Gruppen nicht ausreichend
Berücksichtigung finden.
Potentielle Bedenken, dass reine Männerunterkünfte konfliktgefährdeter
sein könnten, konnten in der von mir Ende 2016 durchgeführten Teilstudie
in einer reinen Männer-Notunterkunft in einer Turnhalle nicht bestätigt
werden. Stattdessen war diese Unterkunft durch eine an den konkreten
Bedürfnissen der Flüchtenden orientierten Unterkunftsleitung als vorbildlich
einzustufen, in der die Befragten angaben, dort trotz aller Widrigkeiten sehr
gerne zu leben
Handlungsempfehlung: Es wird eine verstärkte Einrichtung von nach
Bedarfen strukturierten Unterkünften empfohlen, sodass z.B. Frauen die
Möglichkeit haben, in einer Frauenunterkunft zu leben. Da immer wieder
von Übergriffen durch das Wachpersonal berichtet wird, ist in Einrichtungen
für Frauen der Einsatz von ausschließlich weiblichem Personal wichtig. Eine
getrennte, bedarfsorientierte Unterbringung ist gleichermaßen für andere
Flüchtende mit spezifischen Bedarfen und in besonderen Situationen, wie
Familien, junge Erwachsene, LGBTIQ*-Flüchtende15 und andere vulnerable,
besonders schutzbedürftige Flüchtende sinnvoll. Diese sollten als Angebote
verstanden werden, die wahrgenommen werden können, aber nicht
zwangsweise müssen. Für LGBTIQ*-Flüchtende kann eine Unterbringung in
einem LGBTIQ*-freundlichen Stadtteil sinnvoll sein, während für Kinder die
15 In der von mir geleiteten Kurzstudie „Zufluchtsorte?“ werden die Situation, die Probleme und
Bedarfe von LGBTIQ*-Geflüchteten genauer untersucht. Eine Publikation der Ergebnisse ist für die zweite Jahreshälfte 2018 geplant.
37
Nähe zu Spielplätzen und Freizeiteinrichtungen sowie ein guter Zugang zu
Schulen und Kindergärten wichtig ist. Um Übergriffen gegenüber Frauen
vorzubeugen, ist für sie ein sicheres Wohnumfeld ohne dunkle Wege
wesentlich.
Gerade zum jetzigen Zeitpunkt, an dem zahlreiche Unterkünfte neu
eröffnet werden, sollte bei neuen Standorten geprüft werden,
inwieweit dort eine bedarfsorientierte Unterbringung einer Gruppe
möglich ist, anstelle dort mehrere oder alle Gruppen gemeinsam
unterzubringen.
3.2.2. Container
Ausstattung
In den Berichten der Bewohner*innen wurde die Qualität der Ausstattung in
den Tempohomes kritisiert. Diese Einschätzung hat sich bei Besuchen in
einzelnen Zimmern bestätigt. Manche neuen Bettgestelle aus Metall waren
schon nach einem halben Jahr in der Bettmitte deutlich durchgebogen. Auch
die Qualität der Matratzen und Kissen wurde von mehreren Bewohner*innen
kritisiert. Gerade sie sind für einen erholsamen Schlaf und das psychische
Wohlbefinden von hoher Relevanz. Eine Bewohnerin hatte aufgrund einer
Operation und Rückenproblemen in der Notunterkunft ein qualitativ
hochwertigeres Bett erhalten; im Tempohome wurde ihr diesbezüglicher
Antrag jedoch abgelehnt. Insbesondere häufig genutzte Teile, wie die
Toilettenspülung, sind zudem in manchen Wohnungen permanent defekt,
sodass Bewohner*innen entweder das Wasser jedes Mal nach dem
Toilettengang abdrehen müssen oder es eben laufen lassen. Auch wurde
bemängelt, dass die Leuchtmittel sehr oft kaputt seien und sie lange auf
Ersatz warten müssten. Die Bewohner*innen warten allgemein manchmal
mehreren Wochen auf die Reparatur der Kühlschränke, Toiletten, Duschen,
Lampenfassungen, Leuchtmittel etc. Zwar ist das Tempohome nur eine
temporäre Unterkunft, sie ist aber dennoch auf den Betrieb von mindestens
drei Jahren ausgelegt. Die Qualität der Ausstattung sollte daher schon aus
Kostengründen so gestaltet sein, dass sie diesen Zeitraum überdauert.
Generell verfügen die Unterkünfte nur über eine Minimalausstattung, die für
den täglichen Bedarf nicht ausreicht. Ein Bewohner berichtet, er habe alles
nur in einfacher Ausführung erhalten, z.B. nur einen Topf, einen Teller, ein
Set Besteck, ein Set Bettwäsche. Die Geflüchteten sehen sich daher
gezwungen, Küchenutensilien und Haushaltswaren selbst anzuschaffen, was
nicht selten ihr Monatsbudget deutlich sprengt.
Ein weiteres Problem bezüglich der Einrichtung der Container und auch der
Gestaltung der Außenanlagen ist der Umstand, dass die Dienstwege enorm
lang, kompliziert, zeitaufwendig und häufig nicht erfolgsversprechend sind.
38
Es dürfen bspw. nicht eigenhändig Löcher in die Wand gebohrt werden,
auch nicht von Mitarbeiter*innen, um z.B. ein Internetkabel zu verlegen.
Fast alle baulichen Veränderungen müssen durch das LAF genehmigt
werden, da die Container nur geleast sind. Ähnliches gilt für die Gestaltung
der Außenanlagen, die durch das LAF erst nach knapp einem Jahr begonnen
wurde. In der Zwischenzeit nahmen manche Betreiber*innen nach
monatelangem Warten bestimmte, drängende Dinge in Eigenverantwortung
und selbstfinanziert in die Hand, mit der Gefahr, dass sie dafür haftbar
gemacht werden können.
Handlungsempfehlung: Zentral sind eine Verbesserung der Qualität und
Erweiterung der Standardausstattung sowie schnellere Reparaturen von
defekter Ausstattung. Die Wartezeiten sollten daher verkürzt und
höherwertiges Material verwendet werden, was auf längere Sicht Kosten
und Ressourcen spart. Zudem ist für eine verbesserte Versorgung der
Bewohner*innen essenziell, dass Dienstwege und Verfahren verkürzt und
vereinfacht werden und Bürokratie deutlich abgebaut wird.
Außendämmung der Container
Ein zentrales Thema, was in den Interviews und Workshops immer
besprochen wurde, war die Qualität und hier insbesondere die Dämmung
der Container. Aufgrund mangelnder Dämmung werden diese im Sommer
sehr heiß und im Winter schnell kalt. Das Material der Wände ist so
beschaffen, dass es keine Wärme oder Kälte speichert und nicht
luftdurchlässig und atmungsaktiv ist. Dies hat mehrere Auswirkungen: Zum
einen muss permanent geheizt werden (durch kleine elektrisch betriebene
Heizgeräte). Um jedoch ein angenehmes Raumklima zu erreichen, wird
gleichzeitig nahezu permanent gelüftet, da die Wände selbst keinerlei
Luftaustauch durch Frischluft ermöglichen, wie dies bei Stein- oder
Holzhäusern der Fall ist. Die Luft in den kleinen Zimmern, die von Familien
oftmals von 4-5 Personen gleichzeitig als Schlaf- oder Wohnzimmer genutzt
werden, ist daher schnell verbraucht. Dieser Umstand wurde uns selbst
bewusst, als ich mit einer Sprachmittlerin mehrere Stunden in
verschiedenen Räumen Interviews führte. Trotz geöffneter Fenster war die
Raumluft nach einiger Zeit nahezu unerträglich. Eine Frau schilderte zudem,
dass sie nach jedem Kochen die Wände mit Tüchern abtrocknen muss, da
es keine Dunstabzugshaube gibt und der Dunst sehr schlecht aus der
Wohneinheit abzieht. Viele kochen daher mit offener Eingangstür.
Fehlende Mückennetze führten dazu, dass die Bewohner*innen extrem von
der Mückenplage 2017 betroffen waren, was wir ebenfalls während der
Workshops erlebten. Die Optionen waren daher entweder Lüften und
gestochen werden oder Fenster geschlossen halten und sich in schlechter
und zu warmer Luft aufhalten.
39
Die Wände zwischen den Zimmern sind zudem sehr dünn und infolgedessen
extrem geräuschdurchlässig, was sich wiederum negativ auf den Schlaf, die
Privatsphäre und die Ruhe der Bewohner*innen auswirkt. So hörte ich bei
einem Aufenthalt gleichzeitig fröhliche Musik und Gesang, während ein paar
Wohneinheiten weiter ein Mann laut weinte, weil er gerade von der
Ermordung eines Familienmitglieds in seinem Heimatland erfahren hatte,
wie mir ein Mitbewohner erklärte. Er erzählte, dass schon öfter solche
Situationen vorgekommen seien und dass diese fehlende Privatsphäre
schrecklich für die Betroffenen sei. Durch die konzentrierte Unterbringung
von einer großen Zahl von Menschen, die potentiell traumatische
Erfahrungen in ihrem Heimatland, auf der Flucht oder in Deutschland
gemacht haben, und deren Familien und Freundeskreise potentiell immer
noch in Gefahr sind, steigt die Gefahr einer Retraumatisierung oder des
Aufbrechens eines Traumas deutlich.
Generell stehen die Container sehr eng in parallelen Reihen, sodass man
direkt auf und zwangsweise in den gegenüberliegenden Container oder den
ebenerdig angrenzenden Bürgersteig schaut, was den Mangel an
Privatsphäre verstärkt. Viele der Bewohner*innen schließen daher auch
tagsüber die Rollläden komplett. Vorhänge sind in manchen Unterkünften
verboten.
Handlungsempfehlung: Die Container müssen deutlich besser gedämmt
werden, zudem müssen Mückennetze standardmäßig an Fenstern und Türen
befestigt werden. Die Möglichkeit des Anbringens von Gardinen o.ä. als
Sichtschutz muss gewährleistet werden. Generell ist eine mehrere Monate
überdauernde Unterbringung von Menschen in Containern als nicht adäquat
einzuschätzen.
3.2.3. Außenanlagen
Untergrund
Aufgrund der mangelhaften Aufnahmefähigkeit des Untergrunds im
Außenbereich der Tempohomes (infolge der Asphaltierung der Wege
und der mit Steinen aufgeschütteten und nicht begrünten Bereiche
zwischen den Containern) kann bei starkem Regen das Wasser nicht
schnell genug ablaufen und es entstehen riesige Pfützen und kleine
Seen im Außenbereich der Unterkunft. Schon mehrmals stand das
gesamte Areal einer besuchten Unterkunft mehrere Zentimeter
komplett unter Wasser, wie mir von Bewohner*innen durch Fotos
veranschaulicht wurde.
40
Handlungsempfehlung: Es ist zu überprüfen, ob die derzeit
vorgenommene Begrünung des Geländes die Aufnahmefähigkeit des
Untergrundes verbessert.
Einrichtung der Außenanlagen
Gerade wenn man viel Zeit in der Unterkunft verbringt, ist Bewegung
ungemein wichtig für das physische und psychische Wohlbefinden. In
der Notunterkunft auf dem Tempelhofer Feld wurde daher ein großes
(extern gesponsertes) Sportareal eingerichtet. Es dauerte ein Jahr,
bis nun in den Tempohomes die Außenanlagen angelegt werden.
Gewünscht wurden von den Bewohner*innen neben Spielplätzen u.a.
die Einrichtung eines Volleyball- oder Fußballplatzes, (überdachte)
Sitzgelegenheiten und mehrere Grillplätze.16
In den Workshops haben sich Kinderlose ebenso wie Eltern für einen
ausgewiesenen Spielbereich für Kinder ausgesprochen, in dem auf
den Wegen Fahrrad gefahren und gespielt werden kann. Gleichzeitig
sollte es Bereiche geben, in denen nicht auf den Wegen Rad gefahren
werden darf, da es immer wieder zu Zusammenstößen von Rad
fahrenden Kindern und anderen Bewohner*innen kommt.
Handlungsempfehlung: Gewünscht werden die Einrichtung von
Spielplätzen und ausgewiesenen Spielbereichen sowie die Einrichtung
eines Volleyball- oder Fußballplatzes, (überdachter) Sitzgelegenheiten
und mehrerer Grillplätze.
Ungezieferbekämpfung
Eine Mutter berichtete, dass es auf dem Gelände des Temphomes
Ratten gebe. Ihr Mann habe schon mehrere Ratten mittels einer Falle
gefangen. Die ebenerdige Ausrichtung der Container und die
Tatsache, dass die Küche direkt im Eingangsbereich des Containers
liegt, ermöglicht Ratten einen leichten Eintritt in die Container.
Handlungsempfehlung: Die Ungezieferbekämpfung sollte (in
Absprache mit den Bewohner*innen) verstärkt und gezielter
vorgenommen werden.
16 Das LAF plant, diese in manchen Unterkunftsarten – nach Möglichkeit und infolge einer
Einzelfallprüfung – für die Nachbarschaft zu öffnen, um Kontakte zu fördern und Neid vorzubeugen.
41
3.2.4. Infrastrukturelle Einrichtung
Gewaltschutz, Gewaltprävention und Beschwerdemanagement
Das Thema sexualisierte Gewalt gegen Frauen, Kinder und auch
Männer und generell Missbrauch sowie (verbal und körperlich)
gewalttätiges Verhalten ist ein zentrales Problem von
Sammelunterkünften, wurde im Rahmen dieser Studie jedoch primär
von Expert*innen thematisiert. Diesbezügliche Gewalt und
Missbrauch können prinzipiell von allen beteiligten Akteur*innen
ausgehen; in informellen Gesprächen und den besuchten
Veranstaltungen wurden als Täter*innen v.a. männliche Bewohner
und Mitarbeiter des Wachdienstes genannt. Beratungsstellen
berichten zudem von Übergriffen und Missbrauch durch
Sozialarbeiter*innen, Heimleitungen und ehrenamtlich Aktiven. Diese
bleiben jedoch häufig im Dunkeln und werden seltener bei
Beratungsstellen oder der Polizei gemeldet.
Handlungsempfehlung: Eine Aufklärung über Rechte und
Möglichkeiten, diese im Bedarfsfall auch erfolgreich in Anspruch
nehmen zu können, ist essentiell. Hierfür sind Meldeketten und feste,
männliche und weibliche Ansprechpersonen notwendig. Zudem muss
die Möglichkeit gegeben sein, eine Beschwerde in der Erstsprache
abzugeben. Generell ist die Implementierung eines
Gewaltschutzkonzeptes und eines betreiber- und
behördenunabhängigen und niedrigschwelligen
Beschwerdemanagements notwendig.17 Eine
Informationsveranstaltung (in den verschiedenen Sprachen der
Bewohner*innen) reicht nicht aus.18
Internetverbindung
Viele Flüchtende haben Familienangehörige (z.B. auch eigene Kinder
oder Ehepartner*innen) zurückgelassen, die sich weiterhin in der
17 Die Monitoring Group Berlin hat ein Beschwerdemanagementkonzept für Sammelunterkünfte
erarbeitet, das als Vorlage dienen könnte. Darüber hinaus gibt es in Berlin-Mitte ein Modellprojekt von ehrenamtlichen Flüchtlingsfürsprecher*innen.
18 Mir wurde bspw. von einer Veranstaltung des Gesundheitsamtes in einer anderen Unterkunft berichtet, deren Thema eigentlich die Möglichkeiten der Empfängnisverhütung und den Zugang zu diesen umfasste. Dennoch wurde immer wieder das Thema sexualisierte Gewalt in der Ehe
von den Teilnehmerinnen angesprochen. Die Frauen wollten wissen, wie sie sich vor solchen Übergriffen schützen können. Die Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes konnte sie jedoch nur
an die zuständigen Stellen verweisen und selbst keine qualifizierte Beratung und Hilfe anbieten, obwohl die Veranstaltung für die Frauen anscheinend den geeigneten Rahmen für solch einen Austausch und eine Beratung darstellte.
42
Heimat oder auf der Flucht befinden. Die einzige Möglichkeit, mit
ihnen im Kontakt zu bleiben, findet über ein internetfähiges Handy
statt. Zudem erhalten die Flüchtenden über das Internet viele
wichtige Informationen zum Asylverfahren, über Beratungsstellen,
Wohnungsvermittlung usw. Viele Flüchtende benutzen für die
Übersetzung von Behörden- oder Arztbriefen Online-
Übersetzungsprogramme. Ein Smartphone mit einem schnellen
Internetzugang ist daher für die Bewältigung des Alltags, zur
Ermöglichung des Zugangs zu rechlich zustehenden Leistungen und
aller administrativen und organisatorischen Angelegenheiten für
Flüchtende überlebensnotwendig. In den Containern der besuchten
Tempohomes funktioniert jedoch die WLAN-Verbindung überhaupt
nicht und der als Ersatz eingerichtete Zugang über einen Router nur
unzuverlässig. Eine Mutter erzählt, dass hauptsächlich ihre Kinder die
Wohnungssuche übernehmen und daher auch bei kalten
Temperaturen zum Hotspot des Routers nach draußen gehen, um
besseren Internetempfang zu haben. Einige Bewohner*innen haben
PCs geschenkt bekommen oder selbst angeschafft, die jedoch die
kleinen Schlaf- und Wohnräume zusätzlich beengen. Alle Befragten
bemängelten den Internetzugang in den Unterkünften und wünschten
sich einen zuverlässigen und unbeschränkten Zugang.
Handlungsempfehlung: Es ist unerlässlich, dass ein zuverlässiger
Internetzugang auf dem gesamten Gelände sichergestellt wird.
Generell erscheint die Einrichtung eines unabhängigen, in
Eigenverantwortung der Geflüchteten betriebener Computerraums
sinnvoll19, da sich Internetrecherchen auf dem Handy auf lange Sicht
extrem mühsam darstellen.
Besuchszeiten
Gerade wenn Bewohner*innen den so wichtigen Besuch von
Freund*innen, Partner*innen oder Familienangehörigen erhalten,
stellt es für sie ein sehr großes Problem dar, diesen in Berlin
kostengünstig und in ihrer Nähe unterzubringen, da
Übernachtungsgäste nicht gestattet sind. Verstärkt trifft dies auf
Partner*innen zu, denen es ebenfalls nicht erlaubt ist, in der
Unterkunft zu übernachten.
19 Wie sie z.B. Refugees Emancipation organisieren.
43
Darüber hinaus haben die Workshopteilnehmer*innen kritisiert, dass
das Ende der Besuchszeit mit 22 Uhr viel zu früh angesetzt ist. In
ihren Herkunftsländern sei es üblich, sich am späten Nachmittag
zunächst auszuruhen und am späten Abend Freund*innen zu treffen.
Aber auch für deutsche Verhältnisse ist 22 Uhr, v.a. am Wochenende,
als sehr früh einzuschätzen, besonders unter Berücksichtigung des
Umstandes, dass die Flüchtenden oft nicht die Mittel haben, sich
regelmäßig außer Haus zu treffen und dies die örtliche Infrastruktur
auch nicht unbedingt hergibt. Offene Besuchszeiten fördern zudem
Austausch mit Nachbar*innen und Bekannten und das Gefühl der
Selbständigkeit, des eigenen Zuhauses und der Unabhängigkeit.
Durch die strikten Beschränkungen werden die Bewohner*innen in
ihrer Gastgeber*innenrolle extrem eingeschränkt. Diese ist jedoch für
eine selbstbestimmte Lebensführung und ein gleichberechtigtes und
ausgewogenes Verhältnis zu Freund*innen und Bekannten zentral.
Handlungsempfehlung: Es wird ein uneingeschränktes
Übernachtungsrecht, mindestens aber ein für mehrere Nächte
ausgelegtes Übernachtungsrecht und eine Abschaffung fester
Besuchszeiten dringend empfohlen.
Umzäunung und Wachdienst
Die Umzäunung, der patrouillierende Wachdienst, die strikten
Eingangskontrollen und die generelle Anwesenheit von Wachpersonal
wirken auf einige Bewohner*innen extrem verängstigend und
verstörend, da sie sich z.T. an die Gefängnisaufenthalte in ihrem
Heimatland erinnert fühlen. Sie bergen die Gefahr von
Retraumatisierungen.
Handlungsempfehlung: Eine Abschaffung der Eingangskontrollen
und eine Überarbeitung des Sicherheitskonzepts werden dringend
empfohlen, insbesondere hinsichtlich der Umzäunung, der
Anwesenheit und der regelmäßigen Kontrollgänge des Wachpersonals
und.
Öffnung des Gemeinschaftsraums
Die Bewohner*innen wünschen sich, dass der Gemeinschaftsraum
immer geöffnet ist und nicht nur im Rahmen von (oft extern)
organisierten Angeboten. Auf diese Weise kann z.B. sichergestellt
44
werden, dass Bewohner*innen nicht ihre Mitbewohner*innen stören,
wenn sie nachts mit Familienangehörigen telefonieren, lesen oder
Musik hören. Die Bewohner*innen erhalten darüber hinaus auf diese
Weise die Möglichkeit, die Räume nach ihren Vorstellungen zu nutzen
und zu gestalten, indem sie z.B. eigene Angebote und Aktivitäten frei
entwickeln können. Zudem können erweiterte Öffnungszeiten den
Kontakt mit Nachbar*innen und Bekannten fördern, da sie für eine
Begegnung einen Raum in der Unterkunft nutzen können. Die
Verantwortlichkeit sollte im besten Fall an die Bewohner*innen
übergehen, z.B. an eine offene Gruppe, die sich für diesen
verantwortlich fühlt, ihn selbst einrichtet und verwaltet. Durch solch
eine Verantwortungsabgabe und Möglichkeit der Selbstbestimmung
kann der Gefahr, dass dieser Raum verwaist oder verwahrlost,
entgegengewirkt werden.
Handlungsempfehlung: Der Gemeinschaftsraum sollte 24 Stunden
täglich zugänglich sein und durch die Bewohner*innen eingerichtet
und verwaltet werden.
Fahrrad- und Kinderwagenraum
Bewohner*innen berichteten, dass immer wieder Fahrräder auf dem
Gelände gestohlen werden. Ein solcher Raum ist auch für das
Abstellen von Kinderwägen notwendig, da die Container selbst zu
wenig Platz bieten. Eine Mutter berichtete, dass sie eine Ratte in dem
vor ihrem Container abgestellten Kinderwagen entdeckt habe. Wegen
fehlendem Ersatz sah sie sich trotz kalter Wintertemperaturen
gezwungen, den gesamten Kinderwagen zu waschen. Es wird daher
die Einrichtung eines abschließbaren Fahrradraums gewünscht. In
manchen Tempohomes ist dies bereits umgesetzt.
Handlungsempfehlung: Es wird die Einrichtung eines
abschließbaren Kinderwagen- und Fahrradraums empfohlen.
Waschmaschinen und Waschzeiten
In manchen Unterkünften haben die Waschräume nur bis 17 Uhr
geöffnet und die Waschmaschinen dürfen nicht selbst bedient
werden.20 Wenn Bewohner*innen arbeiten, einen Sprachkurs
20 Die Vorgabe des LAF ist hier eine Öffnung des Waschraums bis 20 Uhr und eine Anzahl von
je vier Waschmaschinen und Trockner pro 100 Bewohner*innen.
45
besuchen, ein Praktikum absolvieren oder sich aus anderen Gründen
tagsüber regelmäßig nicht in der Unterkunft aufhalten, stellt es sich
für sie enorm schwierig dar, in diesen Zeiten ihre Wäsche zu
waschen. Sie sind daher gezwungen, ihre Wäsche selbst per Hand zu
waschen und in ihrem Zimmer zu trocknen, was eigentlich verboten
ist. Zudem sind zu Stoßzeiten oft alle Waschmaschinen belegt, sodass
Kapazitäten fehlen. Die Bewohner*innen wünschen sich daher mehr
Waschmaschinen und vor allem die Möglichkeit, selbst und zu jeder
Uhrzeit ihre Wäsche zu waschen.
Handlungsempfehlung: Die Bereitstellung einer höheren Anzahl an
Waschmaschinen, die Einführung von unbegrenzten Waschzeiten und
die eigenverantwortliche Nutzung der Maschinen ist dringend
erforderlich.
3.2.5. Interaktion und Kommunikation mit den
Mitarbeiter*innen
Unterstützung durch die Mitarbeiter*innen
Der Auszug aus dem Tempohome und aus der damit verbundenen
Isolation, Stigmatisierung und stark eingeschränkten Selbständigkeit
ist für die Bewohner*innen neben der Aufnahme einer Arbeit und
dem positiven Bescheid über das Asylverfahren ein zentraler Wunsch.
Die Bewohner*innen wünschen sich daher mehr Informationen und
intensivere Unterstützung bei der Wohnungssuche seitens der
Mitarbeiter*innen. Die Bewohner*innen wünschen sich ebenfalls
bessere Beratung und Begleitung im Krankheitsfall. Generell scheint
eine Aufklärung über das deutsche Gesundheitssystem mit
Informationen bspw. darüber, wann ein Krankenwagen gerufen wird,
wie die Versorgung in einer Rettungsstelle oder beim Hausarzt
abläuft, hilfreich, auch, um möglicherweise unnötige
Krankenwagenfahrten zu vermeiden. Diesbezüglich könnte auch eine
unkomplizierte Übernahme von Taxi-Fahrten in die Rettungsstelle
sinnvoll sein.
Handlungsempfehlung: Die Unterstützung durch die Mitarbeitenden
ist ein zentraler Wunsch der Bewohner*innen. Dies gilt insbesondere
hinsichtlich der Wohnungssuche und bei Krankheit. Diese sollte daher
verstärkt und intensiver angegangen werden, vor allem auf
individueller Ebene, aber z.B. auch durch
Informationsveranstaltungen.
46
Zimmerkontrollen
Unterkunftsbetreiber*innen und Mitarbeiter*innen müssen aufgrund
ihres Betreibervertrages sicherstellen, dass kein Ungeziefer- oder
Schimmelbefall in den Containern entsteht. Aus diesem Grund
werden in manchen Unterkünften Zimmerkontrollen durchgeführt,
z.T. angekündigt und unter Beisein der Bewohner*innen, zum Teil
aber auch ohne deren Zustimmung und Anwesenheit. Die befragten
Bewohner*innen empfanden die Zimmerkontrollen als Eingriff in ihre
Privatsphäre und sind besonders davon irritiert, dass die Zimmer
auch in ihrer Abwesenheit betreten werden. Diesbezügliche Rechte,
Pflichten und Regelungen sind unklar und ihnen nicht bekannt, auch
handhaben unterschiedliche Mitarbeiter*innen derselben Unterkunft
dies unterschiedlich.
Handlungsempfehlung: Bezüglich der Zimmerkontrollen sind klare
Regeln, eine diesbezügliche Aufsicht und ein funktionierendes
Beschwerdemanagement bei Nichteinhaltung notwendig. Die
Privatsphäre der Bewohner*innen ist dringend zu wahren, und es
sollten für Flüchtende dieselben Rechte und Pflichten gelten wie sie
Mieter*innen regulärer Mietwohnungen gegenüber ihren
Vermieter*innen haben, die z.B. nicht ohne deren Zustimmung und
Beisein die Wohnung betreten dürfen. Dieser Verantwortungs- und
Vertrauenszugewinn kann gleichzeitig einen achtsamen Umgang mit
den Wohneinheiten fördern.
Sprachmittlung
Während arabisch- und farsisprachige Bewohner*innen mit der
Sprachmittlung innerhalb der Unterkünfte zufrieden waren, klagten
anderssprachige Bewohner*innen über fehlende Sprachmittler*innen
in der Unterkunft. Diese Problematik wurde vor allem von den
kurdischsprachigen Bewohner*innen thematisiert21. Infolgedessen
können sie die Beratungsangebote der Unterkunftsmitarbeiter*innen
nur mit Hindernissen wahrnehmen. Dies gilt sicherlich ebenfalls für
viele andere Bewohner*innen. Sprache ist jedoch der Schlüssel zur
Teilhabe, aktiven Mitgestaltung und Partizipation in der Unterkunft,
des eigenen Lebens und für den Zugang zu den rechtlich zustehenden
21 Da nur farsi-, arabisch- und kurdischsprachige Bewohner*innen interviewt wurden, ist nicht
bekannt, inwiefern dies andere Bewohner*innen mit anderen Erstsprachen betrifft. Es ist jedoch davon auszugehen, dass nicht so stark vertretene Gruppen noch stärker von dieser Problematik betroffen sind.
47
Leistungen, deren Zugang primär über die Sozialarbeiter*innen in
den Unterkünften organisiert wird. Die Bewohner*innen wünschen
sich daher den Einsatz von Sprachmittler*innen in ihrer Sprache.
Handlungsempfehlung: Für eine adäquate Unterstützung der
Bewohner*innen sind der standardmäßige Einsatz von geeigneten
Sprachmittler*innen für die in der Unterkunft vertretenen Sprachen
oder der Einsatz von telefonischen Übersetzungsdiensten notwendig.
Bürozeiten
Die Öffnungszeiten der Büros der Sozialarbeiter*innen und anderer
Fachkräfte sind je nach Unterkunft sehr unterschiedlich geregelt. In
manchen Unterkünften sind die Büros durchgehend 10-12 h pro Tag
und samstags für mehrere Stunden geöffnet, in anderen
Tempohomes wiederum sind die Öffnungszeiten z.T. deutlich kürzer.22
Die Teilnehmer*innen der Workshops wünschten sich generell mehr
Zeit mit den Mitarbeiter*innen, damit sie ihnen bei der Übersetzung
und Bearbeitung von Briefen behilflich sein können. Außerdem
bemängeln sie die zeitweise langen Wartezeiten vor den Büros, lange
Mittagspausen und zusätzliche Schließzeiten aufgrund von
Besprechungen oftmals von zwei Stunden.
Handlungsempfehlung: Bezüglich der Öffnungszeiten der Büros der
Sozialarbeiter*innen sind klare Vorgaben für die Betreiber*innen
notwendig. Diese müssen auch in den Abendstunden und samstags
regulär erreichbar sein.
Qualifizierung der Mitarbeiter*innen
Ein Mitbewohner eines Tempohomes berichtete von einem extremen
Fall, in dem er von den Sozialarbeiter*innen eine falsche Beratung
hinsichtlich eines Briefes vom Gericht erhalten hat. Ihm wurde
erklärt, er müsse 5.000 Euro Strafe bezahlen, was für ihn einer
Katastrophe gleichkam. Dies sei jedoch eine Fehlinformation
gewesen, wie sich später herausstellte. Andere Bewohner bestätigten,
dass sie von manchen Mitarbeiter*innen falsch oder schlecht beraten
wurden, weil diese inhaltlich überfordert gewesen seien. Nach einem
22 Laut LAF sollen die Sozialarbeiter*innen von 8 bis 20 Uhr durchgehend erreichbar sein,
konkrete Büroöffnungszeiten soll es nicht mehr geben.
48
Betreiberwechsel sei nun qualifizierteres Personal eingestellt worden
und die Beratungen hätten sich erheblich verbessert.
Handlungsempfehlung: Die Einstellung von für die Betreuung von
Flüchtenden qualifizierten Mitarbeiter*innen, die sich mit
Asylrechtsfragen, Unterstützungs- und Beratungsangeboten
auskennen, und deren kontinuierliche Weiterqualifizierung sind
unerlässlich.
Aufgabenbereiche und Befugnisse der Mitarbeiter*innen
Bewohner*innen verschiedener Unterkünfte berichten, dass
Mitarbeiter*innen des Wachdienstes (z.T. unfreiwillig)
sozialarbeiterische und andere tätigkeitsfremde Aufgaben
übernehmen. Ein Gespräch mit einem Mitarbeiter des Wachschutzes
und eigene Beobachtungen bestätigten dies. Dadurch, dass
Mitarbeiter*innen des Wachdienstes im Außengelände Patrouille
gehen, sind sie zwangsweise oftmals die ersten, die Probleme oder
Konflikte wahrnehmen, seien es (Fahrrad-)Unfälle oder Streitigkeiten
der Kinder, häusliche Gewalt oder andere Probleme. Ungewollt
übernehmen sie dann die Rolle der Sozialarbeiter*innen oder
pädagogischen Fachkräfte. Sie sind jedoch weder diesbezüglich
geschult noch gehört dies zu ihrem Aufgabenbereich; Konflikte und
Probleme werden infolgedessen ggf. unzureichend gelöst oder noch
verstärkt.
Während der Abend- und Nachtstunden und am Wochenende, wenn
die Büros der Sozialarbeiter*innen und der Heimleitung geschlossen
sind, wird diese Tendenz noch verstärkt. Das Wachpersonal
übernimmt dann faktisch die gesamte Verantwortung für die
Unterkunft. Die Abwesenheit einer anderen Kontrollinstanz birgt
gleichzeitig die Gefahr von Willkür seitens des Wachpersonals.
Darüber hinaus übernehmen Mitarbeiter*innen des Wachdienstes
immer wieder Übersetzungs- und andere Unterstützungs- und
Beratungstätigkeiten. Dies birgt die Gefahr von (unbeabsichtigten)
Falschberatungen, Rollenkonfusion und der Verfestigung von
Abhängigkeiten.
Handlungsempfehlung: Es sind klare Vorgaben der
Aufgabenbereiche und Befugnisse der Mitarbeiter*innen und eine
verständliche Kommunikation dieser an die Bewohner*innen und
Unterstützer*innen notwendig. Ein Verbot von Kontakten und
49
Übersetzungstätigkeiten von Wachpersonal und Bewohner*innen ist
jedoch nicht zwangsweise sinnvoll. Wie in der von mir durchgeführten
Teilstudie in einer Notunterkunft deutlich wurde, können gerade auch
das Wachpersonal wichtige und manchmal einzige Bezugspersonen
und Hilfesteller*innen im Alltag der Flüchtenden sein. Trotz des
Machtgefälles kam es z.T. zu Freundschaften. Ein Verbot der
Übersetzungstätigkeiten, wie dies in manchen Unterkünften der Fall
ist, würde Flüchtende vor allem in schlecht ausgestatteten
Unterkünften noch schlechter stellen als sie es jetzt schon sind.
Stattdessen ist ein Ausbau der Beratungs- und
Sprachmittlungsangebote notwendig, sodass der Rückgriff auf nicht-
geschultes Personal nicht mehr nötig ist.
3.2.6. Partizipation
Die Teilnehmer*innen der Workshops äußerten alle den Wunsch nach mehr
Mit- und Selbstgestaltungsmöglichkeiten in der Unterkunft. Sie brachten
diesbezüglich konkrete Vorschläge ein. Generell ist im Rahmen der Studie
deutlich geworden, dass den Bewohner*innen oft nicht klar ist, welche
Partizipationsmöglichkeiten sie in ihrer Unterkunft haben. So schlug ein
Teilnehmer die Einrichtung einer Facebook-Gruppe der Unterkunft vor, die
jedoch bereits existiert. Es wird daher empfohlen, noch stärker auf
bestehende Angebote und Möglichkeiten hinzuweisen; ein Aushang reicht
anscheinend nicht aus. Im Rahmen der Studie wurde generell deutlich, dass
manche Beschwerden der Bewohner*innen auf Missverständnissen bzw.
Kommunikationslücken zwischen den Mitarbeiter*innen und den
Bewohner*innen beruhen. Die befragten Bewohner*innen wünschen sich
daher regelmäßige Hausversammlungen. Auf diesen können
Missverständnisse aufgeklärt und wichtige Anliegen besprochen werden. Um
diese Treffen zu strukturieren, wäre die Wahl einzelner Flüchtender zu
Sprecher*innen von bestimmten Themen oder Wohnbereichen eine
Möglichkeit. Auch ist der Einsatz von Sprachmittler*innen für die in der
Unterkunft vertretenen Sprachen zentral.
Gleichzeitig ist zu beachten, dass die Gemeinschaftsunterkunft von allen
befragten Flüchtenden nur als Zwischenstation empfunden wird, in der sie
sich weder langfristig einrichten wollen noch (aufgrund der bereits
mehrmaligen, oftmals kurzfristigen Umzüge in andere Unterkünfte) können.
Ein Heimleiter wies u.a. aus diesem Grund im Interview darauf hin, dass
eine Veränderung und Gestaltung der Unterkunft z.T. gar nicht das primäre
Interesse ist, da viele Bewohner*innen vor allem auf den Umzug in eine
Wohnung warten. Zudem liegt der Fokus des Engagements auf dem
Vorankommen in anderen Bereichen, insbesondere dem Asylverfahren, dem
Spracherwerb, der Suche nach einem Ausbildungs-, Studiums-, Praktikums-
50
oder Arbeitsplatzes, nach einer Wohnung und ggf. eines Schul- und
Kindergartenplatzes. Darüber hinaus bewegt die Bewohner*innen mental oft
das Leben von z.T. engen Familienangehörigen und Freund*innen im
Herkunftsland sehr.
Die Situation in der Gemeinschaftsunterkunft prägt zwar das Alltagsleben
der Bewohner*innen enorm, gleichzeitig haben sie aber oft nicht die
Energie, sich dort intensiv für eine Verbesserung einzusetzen und an
Aktivitäten teilzunehmen. Aufgrund des Interimscharakters der Unterkünfte
und des z.T. nun schon über zwei Jahre andauernden Aufenthalts in
verschiedenen Sammelunterkünften liegt die Priorität meist nicht auf der
Unterkunft. Auch diese Aspekte sind bei der Bewertung der Partizipation
und Eigenaktivität der Bewohner*innen zu berücksichtigen. Eine weitere
Beobachtung war, dass manche Bewohner*innen die Angebote
grundsätzlich abzulehnen scheinen, weil sie sich einfach nicht wohl und
zuhause in der Gemeinschaftsunterkunft fühlen und die Zeit entweder in
ihrem Bett oder außerhalb der Unterkunft verbringen.
Generell bemerkten einige Teilnehmer*innen der Workshops, dass sie
relativ wenig Kontakt zu anderen Bewohner*innen, zur Heimleitung sowie
zu den Mitarbeiter*innen haben und sich gerne daran beteiligen würden,
diesen zu organisieren und auf diese Weise zu intensivieren. Im Rahmen
der Workshops wurden verschiedene Ideen und Wünsche geäußert, wie die
Partizipation der Bewohner*innen und Sozialkontakte in und außerhalb der
Unterkünfte angeregt werden können: Die Teilnehmer*innen schlugen vor,
regelmäßig, z.B. einmal im Monat, ein Treffen mit der Heimleitung zu
veranstalten, in dessen Rahmen sie ihre Sorgen und Ideen äußern können.
Um Wünsche, Sorgen und Beschwerden ggf. anonym und zu jeder Zeit
äußern zu können, wurde außerdem die Einrichtung eines Briefkastens
gewünscht. Die Bewohner*innen fanden es zudem sinnvoll, einmal im
Monat ein zwangloses Treffen für die Bewohner*innen der Unterkunft zu
organisieren, da sich viele untereinander noch nicht kennen. Vor allem
wurde der Kontakt zu anderen Nationalitäten gewünscht. Die
Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen des Tempohomes könnten darüber
hinaus gemeinsame Unternehmungen planen, z.B. gemeinsam schwimmen
gehen.
Handlungsempfehlung: Zur Steigerung der Partizipationsmöglichkeiten,
zur Verbesserung des Informationsflusses und zur Intensivierung der
Sozialkontakte sind regelmäßige Treffen von Bewohner*innen und
Heimleitung sowie gemeinsame Freizeitaktivitäten, die Einrichtung eines
Briefkastens und offene Treffen der Bewohner*innen förderlich. Der Einsatz
von Sprachmittler*innen für in die in der Unterkunft vertretenen Sprachen
ist hierfür unerlässlich. Zudem ist die Wahl eines Bewohner*innenrates (im
besten Fall paritätisch nach verschiedenen Gesichtspunkten wie u.a. Alter,
Geschlecht und Herkunft besetzt) zentral.
51
3.2.7. Inklusion
Die Bewohner*innen fühlen sich in der Unterkunft von der Umgebung und
der deutschen Gesellschaft isoliert. Viele der Bewohner*innen haben
überhaupt keinen Kontakt zur Lokalbevölkerung. Sie äußerten daher mit
Nachdruck den Wunsch nach Sozialkontakten zu „Deutschen“. Zudem fehlen
den Bewohnern*innen Möglichkeiten, ihre Kenntnisse aus den
Deutschkursen im Alltag anzuwenden. Die Deutschkurse und die Teilnahme
an ehrenamtlich organisierten Sprachtreffs seien dafür nicht ausreichend.
Ein Bewohner sagte treffend: „Die Sprache ist der Schlüssel zu einem
Land.“
Diesbezüglich wurde bspw. ein mit den Mitarbeiter*innen gemeinsam
organisiertes, einmal im Monat stattfindendes offenes Begegnungstreffen
mit der Nachbarschaft vorgeschlagen, zu welchem die Bewohner*innen des
Tempohomes sowie die Nachbarn eingeladen werden. Während die
Flüchtenden in den Turnhallen noch über einen großen
Unterstützer*innenkreis und somit über Kontakt in die Nachbarschaft
verfügten, sind diese durch den Umzug der Bewohner*innen in z.T. weit
entfernte Tempohomes gekappt worden. Für viele Ehrenamtliche ist der
Weg nun einfach zu weit, um einen regelmäßigen Kontakt zu halten.
Manche der Unterkünfte sind in Einfamilienhaussiedlungen oder in primär
als Gewerbegebiet klassifizierten Orten angesiedelt. Der Kontakt zur
Lokalbevölkerung musste daher zum Teil komplett neu aufgebaut werden,
was jedoch nicht allen so leichtfällt wie in den innerstädtischen Gebieten, in
denen viele Notunterkünfte angesiedelt waren und in denen zumindest Teile
der Bevölkerungen den Flüchtenden gegenüber sehr aufgeschlossen waren.
Manche Bewohner*innen möchten gerne nachmittags in einer Kita oder
einer anderen Einrichtung, in der sie mit Menschen in Kontakt kommen und
ihre Deutschkenntnisse anwenden können, ehrenamtlich mitarbeiten. Sie
haben dies bereits der Heimleitung vorgeschlagen und warten auf Antwort.
Gerade von den jungen, aber auch von vielen älteren Bewohner*innen
wurde in den Interviews und Gesprächen der Wunsch nach Sozialkontakten
und einer sinnvollen Tätigkeit artikuliert.23 Alle der befragten Bewohner und
auch die meisten der Bewohner*innen hatten vor der Flucht eine Arbeit
oder waren selbstständig. Das zermürbende Nichts-Tun, das für viele nun
schon seit über zwei Jahren andauert, wirkt enorm demotivierend und
frustrierend. Zudem äußerten die Flüchtenden den Wunsch, der deutschen
Gesellschaft „etwas zurückzugeben“ und sich aktiv einzubringen. In ihrem
23 Eine Möglichkeit des Engagements seitens Flüchtender sind sogenannte Family Guides. Hier
unterstützen Flüchtende andere Flüchtende, z.B. bei Behördengängen (siehe http://www.family-guides.de/).
52
Herkunftsland waren sie ein aktiver Teil der Gesellschaft und fühlen sich
nun in eine fast totale Abhängigkeit und Passivität gedrängt.
Handlungsempfehlung: Für eine gelungene gesellschaftliche Inklusion
sowie in den Sozialraum ist eine veränderte Wahrnehmung von Flüchtenden
als aktive Mitglieder der Nachbarschaft und der Gesellschaft notwendig. Für
eine Initiierung und Intensivierung der lokalen Sozialkontakte sind
selbstorganisierte und gestaltete Begegnungstreffen mit der Nachbarschaft
sinnvoll. Die Förderung von ehrenamtlichen Tätigkeiten für Flüchtende
können u.a. der Anwendung von Sprachkenntnissen und der Inklusion
dienlich sein. Als arbeitsmarktpolitische Maßnahme sind sie jedoch nur
dienlich, wenn sie mittelfristig in adäquat entlohnte
Beschäftigungsverhältnisse münden.
53
4. Fazit: Strukturelle Bedingungen verbessern
Der Fokus der Darstellung der Bedarfe war auf die konkret geäußerten
Vorschläge der Flüchtenden selbst gelegt. Manche wichtigen Ansatzpunkte,
wie ein effektives, niedrigschwelliges und unabhängiges
Beschwerdemanagement, das von Expert*innen gefordert wird, wurden in
den Interviews und Workshops mit den befragten Bewohner*innen nur
indirekt vorgetragen, z.B. in Form des Wunsches eines Briefkastens oder
längerer Büroöffnungszeiten, in denen sie ihre Anliegen vortragen können.
Diese Aspekte sind im Rahmen dieses Berichts daher z.T. nur punktuell
benannt. Zudem sind die hier beschriebenen Wünsche und Vorschläge
primär auf der alltagspraktischen Ebene angesiedelt; viele sind darauf
angelegt, dass sie ohne weiter reichende strukturelle Änderungen
umsetzbar sind, wenn ausreichend finanzielle Mittel gewährt werden. In den
vergangenen Jahren haben über eine Millionen Menschen in Deutschland
Zuflucht gesucht; viele von ihnen werden längerfristig in Deutschland leben.
Die Versorgung und Inklusion der Flüchtenden kann daher schwerlich aus
vorhandenen Mitteln gestemmt werden, da diese nicht annähernd
ausreichen. Vielmehr ist es zentral, jetzt genügend Mittel bereitzustellen
und gleichzeitig strukturelle Veränderungen anzustoßen, um auf die
gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen und Entwicklungen
angemessen zu reagieren und selbstbestimmt zu agieren.
In den Workshops, Interviews, informellen Gesprächen und teilnehmenden
Beobachtungen wurde immer wieder deutlich, dass die schwierigen
Lebensbedingungen von Flüchtenden in Tempohomes (und generell) zu
einem Großteil strukturell bedingt sind. Die Unterbringung von 200 bis 300
Menschen, von welchen viele nicht arbeiten (können) oder keinen
Kindergartenplatz haben, auf solch einem engen Raum führt zwangsweise
zum Zusammentreffen und potentiell zur Konfrontation verschiedener
Tagesrhythmen und unterschiedlicher Bedürfnisse. Zusätzlich wirken sich
die unsichere Aufenthaltssituation und Zukunftsperspektive und die damit
zusammenhängende generelle Unsicherheit in allen Lebensbereichen sowie
unbearbeitete Traumata und Erfahrungen negativ auf den psychischen wie
physischen Gesundheitszustand der Bewohner*innen aus. Vorrangige Ziele
sollten daher der Umzug in Wohnungen oder zumindest besser geeignete
Gemeinschaftsunterkünfte und ein qualitativ verbessertes Asylsystem
sein.24
Alle interviewten Flüchtenden hatten in ihrem Herkunftsland und oft auch in
den Transitländern, in die manche Flüchtenden zuerst geflohenen sind (wie
24 Auch wenn diese Art der Unterbringung aus der Not heraus geboren wurde, ist sie aus
menschenrechtlicher Perspektive nicht hinnehmbar, da sie gegen grundlegende
Menschenrechte verstößt (vgl. z.B. den aktuellen Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte (2017)). Die Situation ist Produkt einer politisch erzeugten Sachzwanglogik. Es ist daher an der Zeit, bloßes Reagieren durch aktives Agieren zu ersetzen.
54
Pakistan, der Libanon oder der Iran) ein aktives, durch Arbeit, eine eigene
Wohnung und ein Sozialleben gekennzeichnetes Leben. Sie haben vor ihrer
Ankunft in Deutschland trotz Verfolgung, z.T. Inhaftierung oder
lebenswidriger Umstände in ihrem Herkunftsland und anschließender Flucht
ihre Selbstbestimmung und Integrität nicht verloren. Stattdessen haben sie
ihr Schicksal selbst in die Hand genommen und eine meist lebensgefährliche
Flucht überstanden. Hier in Deutschland angekommen, finden sie sich
plötzlich in einer oftmals absolut wirkenden Abhängigkeit wieder, die durch
eine permanente Wartesituation (auf die Anhörung, den Asylbescheid,
Termine beim LAF und der Ausländerbehörde, auf eine Arbeitserlaubnis,
eine neue Unterkunft, einen Kitaplatz, einen Sprachkurs, ...)
gekennzeichnet ist. Für eine adäquate Unterbringung und eine
selbstbestimmte Lebensführung ist daher von zentraler Bedeutung, diese
Selbstbestimmung wieder an die Flüchtenden zurückzugeben. Die
Einrichtung von Facharbeitsgruppen oder Dialogforen ist daher ein richtiger
und notwendiger Schritt auf einem langen, aber gangbaren Weg zur
Inklusion, Selbstermächtigung und Partizipation von Flüchtenden als einer
heterogenen Gruppe von Menschen, die diesen Status hinter sich lassen
möchte.
55
5. Literatur
Christ, S., Meininghaus, E. & Röing, T. 2017. All Day Waiting. Konflikte in
Unterkünften für Geflüchtete in NRW. bicc-Working Paper. Bonn.
Deutsches Institut für Menschenrechte 2017. Entwicklung der
Menschenrechtssituation in Deutschland. Juli 2016 – Juni 2017 [http://www.institut-fuer-
menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Menschenrechtsbericht_2017/Menschenrechtsbericht_2017.pdf; 28.01.2018].
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Dittmer, C. & Lorenz, D. F. 2016: „Waiting for the bus that never comes“ – Quick Response Erhebung von Bedürfnissen und Selbsthilfepotenzialen geflüchteter Menschen in einer Berliner
Notunterkunft. Katastrophenforschungsstelle. Berlin.
Foroutan, N., Hamann, U., El-Kayed, N., Jorek, S., BIM (Berliner Institut für
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Migrationsforschung (BIM), Humboldt-Universität zu Berlin.
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ehrenamtlichen Engagements in der Transformation des Asylregimes. In: Widersprüche 141/ 3: 87 – 96.
Hamann, U. & Karakayali, S. 2016. Practicing Willkommenskultur: Migration and Solidarity in Germany. In: Intersections. East European Journal
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Karakayali, S. & Kleist, J. O. 2015. Strukturen und Motive der
ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit (EFA) in Deutschland. 1. Forschungsbericht: Ergebnisse einer explorativen Umfrage vom November/Dezember 2014. Hrsg. vom Berliner Institut für empirische
Integrations- und Migrationsforschung, Humboldt-Universität zu Berlin [www.bim.hu-berlin.de/media/2015-05-16_EFA-
Forschungsbericht_Endfassung.pdf; 09.06.2017].
Dies. 2016: Strukturen und Motive der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit
(EFA) in Deutschland 2. Forschungsbericht. Ergebnisse einer explorativen Umfrage vom November/Dezember 2015. Humboldt-Universität zu Berlin [http://www.bim.hu-
berlin.de/de/publikationen/2016/strukturen-und-motive-der-ehrenamtlichen-fluechtlingsarbeit-efa-in-deutschland-2/,;
09.06.2017].
Pieper, T. 2008. Die Gegenwart der Lager. Zur Mikrophysik der Herrschaft in
der deutschen Flüchtlingspolitik. Westfälisches Dampfboot. Münster.
Sauer, M. & Vey, J. 2017. Herausforderungen in der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit. Zum Verhältnis von Geflüchteten und
56
Unterstützungsgruppen. In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen 30/3: 67-77.
Täubig, V. 2009. Totale Institution Asyl. Empirische Befunde zu alltäglichen Lebensführungen in der organisierten Desintegration. Juventa.
München.
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Van Dyk, S. & Miesbach, E. 2016. Zur politischen Ökonomie des Helfens. Flüchtlingspolitik und Engagement im flexiblen Kapitalismus. In:
PROKLA 46/2.
Vey, J. 2018. Zwischen Empowerment, Lückenbüßerei und neoliberaler Aktivierung des Selbst. Ehrenamtliches Engagement und
Regelversorgung in der bundesdeutschen Flüchtlingsversorgung. In: Zajak, S. & Gottschalk, I. Flüchtlingshilfe als neues Engagementfeld.
Chancen und Herausforderungen des Engagements für Geflüchtete. Nomos. Baden-Baden.
Vey, J. & Sauer, M. 2016. Ehrenamt in der Flüchtlingshilfe. Herausgegeben von Aktionsbündnis Brandenburg. Gegen Gewalt, Rechtsextremismus
und Fremdenfeindlichkeit, und Institut für Protest- und Bewegungsforschung Berlin [http://www.aktionsbuendnis-brandenburg.de/sites/default/files/downloads/Ehrenamtliche_Fluechtli
ngsarbeit.pdf; 9.6.2017].
57
Bisher veröffentlichte discussion paper des ZTG
Nr. 01/02 Susanne Schön, Dorothee Keppler, Brigitte Geißel: Gender und
Nachhaltigkeit. Sondierung eines unübersichtlichen Forschungsfeldes.
Nr. 02/02 Alexander Peine, Rainer Haase, Hans-Liudger Dienel:
Prozessevaluation – Evaluation der interdisziplinären Zusammenarbeit
im Rahmen der Forschergruppe Sentha.
Nr. 03/02 Martina Schäfer: Kundenvielfalt erfordert Marktvielfalt – Eine
Untersuchung der Potenziale von vier verschiedenen
Bioeinkaufsformen.
Nr. 04/02 Heike Walk: Global Governance – Hoffnung und Ernüchterung in der
internationalen Klimapolitik.
Nr. 05/03 Susanne Schön: Co-operation Management as a Part of Engineering
Education.
Nr. 06/03 Leon Hempel, Eric Töpfer: On the Threshold to Urban Panopticon?
Objectives and Results of the "Urbaneye" Project on the employment
of CCTV in Europe.
Nr. 07/03 Dörte Ohlhorst: Der Weg ist das Ziel... Radfernwanderwege als
nachhaltige Verknüpfung kontrastreicher Regionen.
Nr. 08/03 M. Schophaus, H. L. Dienel, C. F. von Braun: Von Brücken und
Einbahnstraßen. Aufgaben für das Kooperationsmanagement
interdisziplinärer Forschung.
Nr. 09/03 Leon Hempel, Hans-Liudger Dienel: Tele City Vision –Perceptions of
ICT and its Impacts on City Competition.
Nr. 10/03 Martina Schäfer, Benjamin Nölting, Lydia Illge: Zukunftsfähiger
Wohlstand. Analyserahmen zur Evaluation nachhaltiger
Wohlstandseffekte einer regionalen Branche.
Nr. 11/04 Gabriele Wendorf, Doris Felbinger, Bettina Graf, Sabine Gruner, Helga
Jonuschat, Olaf Saphöster: Von den Qualitäten des Wohnumfeldes zur
Lebensqualität? Das Konzept des „Atmosphärischen“ als
Ausgangspunkt einer integrierten Theorie.
Nr. 12/04 Susanne Schön, Benjamin Nölting, Martin Meister:
Konstellationsanalyse. Ein interdisziplinäres Brückenkonzept für die
Technik-, Nachhaltigkeits- und Innovationsforschung.
Nr. 13/04 Jörg Potthast, Hans-Liudger Dienel: „Die Zeiten des natürlichen
Fortschritts sind vorbei.“ Verkehrssicherheit als Gegenstand von
Forschung und Politik. Vertiefung der SMARTBENCH-Teilstudie
Frankreich.
Nr. 14/04 Achim Brunnengräber, Kristina Dietz, Bernd Hirschl, Heike Walk:
Interdisziplinarität in der Governance-Forschung.
Nr. 15/05 Elke Baranek, Corinna Fischer, Heike Walk: Partizipation und
Nachhaltigkeit. Reflektionen über Zusammenhänge und
Vereinbarkeiten.
Nr. 16/05 Dorothee Keppler: Nachhaltigkeitskompetenzen. Zur Bedeutung
geschlechtsspezifischer Kompetenzunterschiede für eine nachhaltige
Technikentwicklung.
Nr. 17/05 Tina Boeckmann, Pamela Dorsch, Frauke Hoffmann, Dörte Ohlhorst,
Ulrike Schumacher, Julia Wulff: Zwischen Theorie und Praxis.
Anregungen zur Gestaltung von Wissenschafts-Praxis-Kooperationen
in der Nachhaltigkeitsforschung.
58
Nr. 18/05 Benjamin Nölting, Tina Boeckmann: Struktur der Land- und
Ernährungswirtschaft in Brandenburg und Berlin –
Anknüpfungspunkte für eine nachhaltige Regionalentwicklung.
Nr. 19/05 Hans-Liudger Dienel: Grupy nieprofesjonalnych planistów i opinie
mieszkańców. Nowa metoda uczestnictwa mieszkańców na
przykładzie opracowania projektu dla jednej dzielnicy Berlina
(Übersetzung Bürgergutachen „Zukunft Sparrplatz” der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin 2001).
Nr. 20/05 Adina Herde: Kriterien für eine nachhaltige Ernährung auf
Konsumentenebene.
Nr. 21/05 Christin Wemheurer, Jens Eitmann: Coaching in der ökologischen
Landwirtschaft.
Nr. 22/05 Dorothee Keppler: Zur Evaluierung integrativer Arbeitsmarktkonzepte
für Menschen mit Benachteiligungen.
Nr. 23/06 Benjamin Nölting: Die Politik der Europäischen Union für den
ländlichen Raum. Die ELER-Verordnung, nachhaltige ländliche
Entwicklung und die ökologische Land- und Ernährungswirtschaft.
Nr. 24/06 Dorothee Keppler, Eric Töpfer: Die Akzeptanz und Nutzung
erneuerbarer Energien in der "Energieregion" Lausitz.
Nr. 25/07 Benjamin Nölting, Dorothee Keppler, Birgit Böhm:
Ostdeutschlandforschung trifft Nachhaltigkeitsforschung - fruchtbare
Spannungsfelder für die Entwicklung neuer Perspektiven in
Ostdeutschland.
Nr. 26/08 Dorothee Keppler: "Das persönliche Engagement derer, die hier sind,
das ist doch das eigentlich Wertvolle". Die Bürgerausstellung als
Forum für die Stimmen von BürgerInnen zur Zukunft der
Energieregion Lausitz.
Nr. 27/08 Benjamin Nölting: Social-ecological research for sustainable
agriculture and nutrition.
Nr. 28/08 Christine Dissmann, Nina Gribat, Benjamin Nölting: Bilder des
Wandels – Wandel der Bilder. Analysen zu Ostdeutschland.
Nr. 29/09 Leon Hempel, Michael Carius & Carla Ilten: Exchange of information
and data between law enforcement agencies within the European
Union.
Nr. 30/09 Benjamin Nölting, Silke Reimann, Carola Strassner: Bio-Schulver-
pflegung in Deutschland. Ein erster Überblick.
Nr. 31/11 Jochen Gläser, Grit Laudel: Life with and without coding. Two
methods of early-stage data analysis in theory-guided qualitative
research.
Nr. 32/12 Safaa Mohajeri, Daphne Reim, Martin Schönberg: Umgang mit den
Herausforderungen der Existenzgründung.
Nr. 33/12 Benjamin Nölting, Martina Schäfer, Carsten Mann, Eva Koch:
Positionsbestimmungen zur Nachhaltigkeitsforschung am Zentrum
Technik und Gesellschaft.
Nr. 34/13 Martina Schäfer, Dorothee Keppler: Modelle der technikorientierten
Akzeptanzforschung. Überblick und Reflexion am Beispiel eines
Forschungsprojekts zur Implementierung innovativer technischer
Energieeffizienz-Maßnahmen.
Nr. 35/15 Jochen Gläser, Grit Laudel: The Three Careers of an Academic.
59
Nr. 36/15 Houshmand E. Masoumi: Transformation of Urban Form and the
Effects on Travel Behavior in Iran.
Nr. 37/17 Arbeitsgruppe Smart City (Hrsg.): Smart City: Zur Bedeutung des
aktuellen Diskurses für die Arbeit am Zentrum Technik und
Gesellschaft.
Nr. 38/17 Jonas van der Straeten, Sebastian Groh, Setu Pelz, Alexander
Batteiger, Hannes Kirchhoff, Natalia RealpeCarrillo, Martina Schäfer
From dualism to convergence – A research agenda for energy access.
Nr. 39/18 Martina Schäfer, Hadeer Hammad, Marcia Frezza, Noha El-Bassiouny,
Viola Muster: Transitions of the energy sector in Egypt, Brazil and
Germany – a comparison of the interplay between government, the
private sector and civil society
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