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Originalausgabe | 12,00 € [D]

Sutton KRiMI

Der dritte Fall für Jim Devcon

Grotesk verstümmelte Leichen tauchen aus dem Schneematsch des Frankfurter Winters auf. Zugleich überfluten grauenhafte Videos die Sozialen Netzwerke und das Internet, die selbst den hartgesottenen Frankfurter Großstadtsheriff Jim Devcon nicht kalt lassen: Sie zeigen abartige pseudowissenschaftliche Experimente, bei denen eine Versuchsperson die andere mit Stromschlägen foltert und schließlich tötet.

Der Hauptkommissar und sein Team stehen von Tag zu Tag stärker unter Druck, die Polizei präsentiert sich hilflos, bis eine Spur zu einem unaussprechlich bösen Gegner aus Devcons Vergangenheit führt …

Dieses mörderische Duell ist nichts für schwache Nerven!

www.sutton-belletristik.de

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Eva Lirot

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ekstase

unverkäufliche Leseprobe

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Sutton Verlag GmbHHochheimer Straße 59

99094 Erfurtwww.suttonverlag.de

www.sutton-belletristik.deCopyright © Sutton Verlag, 2012

Gestaltung und Satz: Sutton Verlag

ISBN: 978-3-86680-956-7

Lektorat: Gabriele Dietz, BerlinDruck: Aalexx Buchproduktion GmbH, Großburgwedel

Über die Autorin

Eva Lirot feierte 2007 mit »Rendezvous mit dem kleinen Tod«, dem ersten Fall für Jim Devcon, ihren Durchbruch als Thrillerau-torin. Meisterhaft und kühl seziert sie die Abgründe der mensch-lichen Psyche.

Sie hat Literaturwissenschaft und Psychologie studiert und pflegt im »Syndikat« und bei den Mörderischen Schwestern den Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen. 2010 gehörte sie zur Jury des renommierten Friedrich-Glauser-Preises.

Mehr über die Autorin im Internet: www.eva-lirot.de

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Das Böse ist keine Krankheit.Es ist eine eigenständige Kraft.

So wie das Gute.Kräften kann man erliegen.

Sie besiegen.Fördern.

Oder bekämpfen.Doch niemals heilen …

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Die Handlung und Figuren in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig. Bei den Straßen im Großraum Frankfurt, den Polizei-stationen und sonstigen Ortsangaben wurden größtenteils die heutigen Namen verwendet. Dennoch sind alle Angaben als fik-tiv zu verstehen. Zudem wurden topografische Gegebenheiten überall dort verändert, wo es für den Handlungsfluss zweck-mäßig erscheint.

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Drei Uhr in der Frühe.Neonlicht. Augen, noch an die Dunkelheit gewöhnt. Zeit

zum Innehalten. Lage peilen. Ein Jäger ist nur so gut wie seine Kenntnis des Reviers.

Das Bild auf der Netzhaut, es wird klarer. Beigebraun geka-chelte Mauern, heruntergelassene schmutzgraue Rollos, die ver-schlossene Kiosktür … Gut so!

Die Nasenflügel kräuseln sich, reagieren auf einen pene-tranten Gestank. Urin. Vermischt mit – Soße. Herzklopfen. Untrügliche Spuren. Von Menschenaas.

Blick zum überquellenden Eimer am Treppenabgang Rich-tung U-Bahnstation. Mit Ketchup, Mayonnaise und Senf getränktes Papier einer großen Fastfood-Kette liegt obenauf, säumt die grauen Stufen.

Check der näheren Umgebung: die Bahnhofshalle, men-schenleer. Die Gleise verwaist. Es ist still. Sehr still. Doch die Anspannung, sie liegt förmlich in der Luft. Geduld. Und Wach-samkeit. Geduld. Und Wachsamkeit.

Zeit tropft dahin. Die digitale Tafel mit den An- und Abfahrt-zeiten: schwarz. Eine zerlöcherte Plastiktüte schwebt über den abgenutzten Boden. Weiter hinten: grüne Glasscherben vor einer Sitzreihe. An der Wand Graffiti.

»Heya!«Achtung, Zielobjekte im Visier. Höchste Körperanspannung,

alle Sinne scharf gestellt. In der Brust das warme Gefühl des Triumphs. Das Ansitzen hat sich gelohnt.

»Meine Herren …«»Hä? Hahaha! Haste das gehört, Alter? Meine Herren!

Hahaha …«

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»Wo siehste denn hier Herrn, ey? Biste echt schon so wegge-dröhnt? Was hast’n für’n gutes Stöffchen, zeig doch mal her.« Die fiebrig glänzenden Augen des Junkies mit den verfilzten Rastasträhnen wandern ziellos umher. Sein Kumpel mit der tätowierten Glatze krallt die Pranke in die Schulter des anderen. Von der Kopfhaut ist durch die vielen Tattoos so gut wie nichts zu sehen. Er biegt sich vor Lachen. Zwischendurch ein gurgeln-des Keuchen.

Es riecht nach Tod. Nach Tod und Verwesung.»Ich habe keinen Stoff. Aber ich biete Ihnen fünfzig Euro.«Das Lachen verstummt. Blitzartig. Die Glatze richtet sich auf.

Wackelig. Mit blutunterlaufenen, leicht gelblich schimmernden Augen.

Nicht mehr lang bis zum Leberversagen. »Nee, echt jetzt, Alter?« Die Stimme klingt belegt, von einem

bronchialen Pfeifen untermalt.»Fuffzig Mücken für jeden, oder was, ey?« Gier leuchtet

unverhohlen aus dem schmutzigen und mit Schürfwunden übersäten Gesicht des Rastamannes.

»Fünfzig Euro für jeden, richtig. Und zwar für die Teilnahme an einem kleinen Experiment.«

»Oh yeah, Baby, das isses! C’mon, let’s push the button, uh!« Der Rastamann taumelt, stürzt beinahe über die eigenen Beine, die von Hämatomen und Einstichwunden gezeichneten Arme wie ein Segelflieger von sich gestreckt.

»Jaaa! Push the button. Und zwar den zwischen den Haxen!«, schreit die Glatze. Fasst sich in den Schritt und krümmt sich vor Heiterkeit. »Da ist der Joe echt gut drin. Oder haste noch nie was gehört vom legendären Stricher vom Hauptbahnhofzoo? Hahaha …«

»Dann sind wir uns also einig?«»Einig, klar. Haha …«Blattschuss!

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»Aber erst woll’n wir die Kohle!« Joe steht jetzt stocksteif da. Die Hand ausgestreckt. Ein bedrohliches Glitzern in den gewei-teten Pupillen.

»Ja genau, Alter«, stimmt die Glatze ein. »Wir nehmen nur Vorkasse.« Aufgeregtes Husten.

Sieh an, sieh an, der zahnlose Köter bellt.»Ich bezahle nach Lieferung. Take it. Or leave it.«Die Junkies schauen sich an. Und folgen. Wortlos.

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»Schnieke Hütte, ey.« Joe wankt durch den weitläufigen, mit Marmor getäfelten Flur. Seine dürren Arme ragen wie abge-storbene Äste aus dem schmutzstarren Fußballtrikot. Er hat eine starke Gänsehaut – von den wenigen Schritten vom beheizten Auto bis zum Hauseingang. »Eh, was is’? Alles klar, Manni?«

»Yo, Alter, alles frisch«, ruft die Glatze. Und hält sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den rechten Ellenbogen. Steif wie ein Brett ist er zu Boden gegangen, ausgerutscht auf dem gefro-renen Blumenbeet neben dem Gehweg.

»Hier entlang, bitte.«»Wie – in den Keller, ey? Wieso’n, hier oben isses doch

schön …«»Souterrain, meine Herren. Nicht Keller. Bitte kommen Sie.«

Eine freundliche Aufforderung. Freundlich und souverän. Joe und Manni blicken sich an. Ratlos.

Das Wild fremdelt noch.Mit unsicheren Schritten steigen die beiden Männer die glatt

polierten Stufen hinab. Das Treppenhaus ist kühl, nur von einem einzigen schwach leuchtenden Halogenstrahler erhellt. Manni spürt einen weichen Teppich unter den schweren Stiefeln. Ein Schlüssel knirscht in einem Türschloss.

»Hey, Alter! Mach mal mehr Licht, ich seh ja gar nix.«»Yo, ey …«»Verfluchte Scheiße! Doch nicht gleich das volle Schein-

werferprogramm! Oder willste, dass ich blind werd, Mensch?« Manni hält sich die Hand vor die zugekniffenen Augen. Joes gla-siger Blick kreist durch den spärlich eingerichteten Raum: labor-weiß gestrichene, kahle Wände. Ein einsamer Laptop auf dem graublau gemusterten Veloursteppich. Viele Kabel. Ein Klapp-

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stuhl mit einer Sitz- und Rückenfläche aus schwarzem Plas tik vor einem alten Küchentisch, darauf ein rechteckiger Apparat in schwarzem Gehäuse mit vielen Kippschaltern und schwach rot leuchtenden Knöpfen. Direkt über dem Gerät, an der Zimmer-wand angebracht: ein kleiner Signalkasten. Darüber, an der weiß gestrichenen Zimmerdecke: eine bewegliche Kamera.

Erneutes Knirschen in einem Schloss. Eine schwere Tür schleift, laut in den Scharnieren quietschend, über den Teppich-boden. Dann ein klackendes Geräusch. Das Licht im Nachbar-raum geht an.

Joe schnieft vernehmlich. Wie angewurzelt steht er da und versucht, das mit Holzlatten vernagelte Fenster fest ins Visier zu nehmen. Manni lehnt lässig an der gegenüberliegenden kahlen Wand und nestelt an einer Zigarettenschachtel.

»Meine Herren, wenn Sie bitte nicht rauchen würden. Sie sehen ja, das mit der Belüftung ist hier unten noch nicht optimal gelöst.«

Manni zieht die Nase hoch. Er tritt ein paar Mal auf der Stelle und lässt die Zigarettenschachtel zurück in die ausgebeulte Tasche seines mit Rissen und Löchern gespickten, armeegrünen Parkas gleiten.

»Vielen Dank. Ich danke Ihnen. Ich darf Sie nun also in meinem kleinen Laboratorium herzlich willkommen heißen und Ihnen zunächst Ihre Aufgaben erläutern.«

»Erst will ich die Mäuse sehen, Alter! Sonst geht hier gar nix!«»Yo, ey, verarschen lassen wir uns nämlich nich’, verstehste?«

Joe steht wie eine Eins neben seinem Kumpel. Zwei wie frisch gedruckt aussehende Fünfzigeuroscheine materialisieren sich in seinem Sichtfeld. Und verschwinden sofort wieder. Joes Pupillen bewegen sich noch einen Tick schneller. »Ey! Wos’n die Kohle jetzt hin … un’ wozu wirfst’n den weißen Kittel da über …«

»Na, für die Doktorspiele! Hahaha …« Manni biegt sich wie-der vor Lachen und schlägt sich auf die Oberschenkel.

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Nein, meine Herren, das nennt man Tarnung!Ein Räuspern. »Beginnen wir damit, dass ich Ihnen zunächst

den Zweck unserer kleinen Zusammenkunft näherbringe.«»Mensch, Alter, quatschste immer so geschwollen daher? Red

doch mal normal!« Manni schnaubt. Verächtlich. Und regis-triert ein Glimmen in den grünen Pupillen seines Gegenübers. »Kannste wohl gar nicht, was?«

Eine einlenkende Handbewegung. »Bitte hören Sie mir genau zu. Sie sind hier im Rahmen einer Untersuchung, die sich mit dem Einfluss von Strafe auf den Lernprozess beschäftigt.«

»Hä?« Manni schüttelt unwillig den Kopf.»Deshalb werde ich mit Ihnen nun ein kleines Spiel veran-

stalten. Dabei gibt es zwei Rollen. Einer von Ihnen ist Lehrer und der andere sein Schüler. Damit wir sehen, welche Auswirkung die Bestrafung jeweils hat.«

»Yo, geil ey, bestraf mich«, jauchzt Joe. Seine verfilzten Rasta-strähnen schaukeln vor und zurück.

»Darf ich daraus schließen, dass Sie gern die Rolle des Schü-lers übernehmen würden?«

»Muss er. Denn mich rührt keiner an, Alter! Ich bin hier der Lehrer, damit das gleich klar ist!«

»Was soll’n das, Arschgesicht.« Joe versucht einen Boxhieb in Mannis Richtung, trifft aber nur die Wand. »Ich kann genauso der Lehrer sein.«

»Homo homini lupus est.«Beide lassen voneinander ab. »Hä?«»Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.«»Sag das doch gleich, ey …«»Am fairsten ist es dann wohl, wenn Sie losen. Ich habe hier

zwei ungleich lange Hölzchen. Und wer das längere zieht …«»Ich!«, brüllt Joe. Und fängt wie irrsinnig an zu kichern.»… der schlüpft in die Rolle des Lehrers. Also, bitte ziehen

Sie.«

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Joe reißt sich zusammen, wankt einen Schritt vor. »Ich zuerst, ey …«

Manni stößt ihn zur Seite, zerrt ein Hölzchen aus der hinge-haltenen Faust und hält es siegesgewiss in die Höhe.

»In Ordnung. Und jetzt müssen wir den Schüler noch in eine Lage versetzen, in der er auch bestraft werden kann, richtig? Fol-gen Sie mir bitte in das andere Zimmer.«

»Wieso wir beide, Alter? Zeig mir erst mal das zweite Hölz-chen, aber quick!«

Keine Reaktion.Joe stolpert derweil über die Leiste an der Türschwelle zum

Nachbarraum. »Oooh …«»Was is’ los, Kumpel?« Mit drei großen Ausfallschritten

erreicht Manni die weit offen stehende, massive Tür. Er hält die Luft an. »Was zum Geier …«

»Keine Sorge, meine Herren. Es ist nicht das, wonach es im ersten Moment aussieht.«

In dem genauso kargen, etwas kleineren Zimmer ist das einzige Fenster ebenfalls zugenagelt. Es befindet sich nur eine Vorrichtung mitten im Raum. Eine Art düsterer Thron, der beide Männer spontan an einen elektrischen Stuhl erinnert. Und auch hier, oben an der Zimmerdecke, vis-à-vis des unheimlichen Stuhls: eine bewegliche Kamera.

»Diese Anordnung ist notwendig für unser kleines Experi-ment. Denn durch die Fesseln vermeiden wir zum einen, dass unser Schüler sich zu heftig bewegt und sich dabei möglicher-weise selbst verletzt. Zum anderen müssen wir es ihm irgendwie unmöglich machen, sich der Bestrafung zu entziehen, nicht wahr?«

Manni blinzelt. Und schubst Joe mit einem Ruck in den Sitz.

Der rappelt sich mühselig hoch, lehnt sich an den Stuhl – und fängt an zu grinsen. »Ey, ja komm, Baby, fessel mich! Und dann

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besorgt’s mir. Alle beide, uh!« Er setzt sich und schiebt die dürre Hand in den ausgeleierten Bund seiner Sporthose, die Pupillen lustvoll geweitet.

»An den Handgelenken des Probanden bringe ich nun je eine Elektrode an, die mit dem Schockgenerator auf dem Tisch des Nachbarraums verbunden sind. Sehen Sie?«

»Was soll’n das, ey …«»Schockgenerator?«, wiederholt Manni. Ungläubig. Er starrt

auf das Kabel, das am Ende des Raumes unter dem Teppich ver-schwindet. Dann auf Joes Hände, die in Windeseile mit ledernen Schnallen um die Handgelenke auf den Stuhllehnen fixiert wer-den. Von der Situation noch völlig überfahren, hört Manni Was-ser plätschern. Hinter dem unheimlichen Stuhl steht ein Eimer, über dem jetzt zwei schmale Schwämme ausgewrungen und zwischen die beiden Elektroden und Joes Handgelenke gepresst werden. Die Lederriemen werden erneut festgezurrt, sodass Joe seine Hände kaum noch bewegen kann.

»Die Elektrodensalbe dient dazu, Blasen und Verbrennungen zu vermeiden. Aber ich denke, das brauchen wir vorerst nicht.« Eine kleine Tube verschwindet ungeöffnet in der Tasche des Laborkittels.

»Verbrennungen? Was denn für Verbrennungen?«»Sie müssen sich keine Sorgen machen. Obwohl die Schocks

äußerst schmerzhaft sein können, verursachen sie keine blei-benden Gewebeschäden.«

»Schocks? Verflucht noch mal, Alter, jetzt red schon. Was für Schocks!«

»Fühlen Sie sich wohl?«Die Frage ist an Joe gerichtet. Der antwortet nicht, er ist

offensichtlich kurz eingenickt.»Mann, Alter, mir reicht’s!«»Einen Augenblick, bitte. Ich muss nur noch kurz die Technik

überprüfen. Dann geht es sofort weiter.«

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Tastaturklappern. Das Surren der beiden Kameras, die in Position gebracht werden. Geräusche vom Hantieren mit wei-terem Equipment. Dann wieder das Klappern der Laptoptastatur.

»So, wir sind so weit. Ab jetzt läuft die Aufzeichnung. Kom-men Sie nun rüber und nehmen Sie an dem Tisch mit dem Generator Platz, der Position des Lehrers.«

Manni rührt sich nicht. Das pockennarbige Gesicht hat er zu einer trotzigen Fratze verzogen.

»Machen Sie sich keine Gedanken. Ihrem Kompagnon wird schon nichts passieren. Ich habe ihn direkt hier vor mir auf meinem Bildschirm.«

Manni setzt sich widerwillig in Bewegung. Starrt zu der spär-lichen Lichtquelle, die der Laptopbildschirm spendet. Und setzt sich auf den Plastikstuhl. Verkehrt herum. Die kräftigen Arme auf der Rückenlehne verschränkt.

»Bitte stellen Sie sich beide nun kurz vor.«»Was? Einen Dreck werd ich …«»Bleiben Sie ruhig. Ich werde das im Anschluss natürlich

noch adäquat zurechtschneiden. Nennen Sie aber doch bitte zuerst einmal Ihren vollständigen Namen.«

Manni schweigt irritiert, den Blick starr nach oben geheftet, in Richtung des Kameraobjektivs.

»Nun, ich hörte etwas von einem Manni und einem Joe …«»Ja, da haste richtig gehört, Alter. Also, der Manni, das bin

ich, und das da drüben, das ist mein Kumpel Joe. Und wie wir sonst noch heißen, das geht dich einen feuchten Scheiß an, klar?«

»Alter? Beruf? Familienstand?«Manni schüttelt seinen tätowierten Kopf. Die Großaufnahme

von Joes Gesicht auf dem Monitor des Laptops lässt Zweifel daran aufkommen, ob er das Geschehen um sich herum über-haupt registriert, obwohl er wieder wach zu sein scheint.

»Gut, dann sagen wir also …« Zwei verlorene Geschöpfe in der dunkelsten Nacht!

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»Nee, Alter, vergiss den Scheiß! Mir wird das Ganze hier langsam entschieden zu abgefahrn.« Manni springt auf. »Joe, ich komm rüber und mach dich los. Und dann machen wir’n Abgang.«

Oh nein, meine Freunde. Erlegtes Wild steht nicht mehr auf. Gesetz der Natur.

»Sind Ihnen Ihre Zweifel wirklich zweimal fünfzig Euro wert?«

»Nö«, schreit Joe von nebenan. Und lacht glucksend. Manni bewegt sich nicht. Stiert mit seinen rot geäderten Augen auf die ausgestreckte Hand mit den Geldscheinen. Es ist eine unge-wöhnlich fahle Hand mit einer winzigen Tätowierung zwischen Daumen- und Zeigefingerwurzel.

»Na gut.« Manni setzt sich langsam wieder hin.»Sehen Sie die beleuchteten Bezeichnungen unter den Kipp-

schaltern des Schockgenerators?«Manni, falsch herum auf dem Plastikstuhl vor dem alten

Küchentisch sitzend, schwingt das linke Bein über die Stuhl-lehne, beugt sich zu dem Apparat vor, kneift die Augen zu Schlit-zen zusammen, fährt sich über seine mit zwei bunten Drachen und vielen Runen tätowierte Glatze. Er nickt.

»Gut, dann kann unsere kleine Vorstellung jetzt also begin-nen.« Ein Hüsteln. »Sehr geehrte Damen und Herren, was Sie nun erleben werden, ist der Live-Mitschnitt eines sozialen Expe-riments. Ein soziales Experiment über den Einfluss von Bestra-fung auf den Lernprozess. Und ich werde Ihre wertvolle Zeit nicht mit langen Theorien vergeuden, sondern beginne gleich mit dem praktischen Teil.« Großaufnahme des misstrauischen, von Pockennarben gezeichneten Gesichts Mannis auf dem Lap-topbildschirm. »Manni, bitte lesen Sie die Bezeichnungen unter den Kippschaltern laut vor, und zwar von links nach rechts.«

»Leichter Schock, mittlerer Schock, schwerer Schock, Gefahr, bedrohlicher Schock«, leiert er herunter.

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»Und die Markierung unter dem letzten Schalter?«»XXX.«»Danke sehr. Meine Damen und Herren, diese Beschrif-

tungen stehen für die jeweilige Voltzahl. Die Voltzahl, die die Schalter auslösen, und zwar bei immer gleichbleibenden zehn Ampere. Sie beginnen mit schwachen fünfzehn und enden bei zweitausend Volt, die tödlich sein können, wenn man den Strom entsprechend lange durch den Körper fließen lässt. Ich schirme die beiden Teilnehmer nun voneinander ab, und im Anschluss geht es auch schon los.«

Schritte. Die massive Tür zwischen den Räumen wird unter dem Quietschen der Scharniere zugezogen. Wieder Schritte. Dann: Großaufnahme, Joe auf dem Laptopbildschirm. Der Rastamann trägt einen kabellosen Kopfhörer, seine Augen sind zugekniffen. Ein greller Scheinwerfer strahlt ihn an in dem ansonsten komplett dunklen Raum.

»Hallo Joe, können Sie mich hören? Dann geben Sie mir bitte ein Zeichen.«

Joe grinst schief, hebt die linke Hand so weit wie möglich und deutet das Victory-Zeichen an.

»In Ordnung. Dann drücken Sie bitte einmal kurz auf den Knopf, der sich vorn an der rechten Stuhllehne befindet … Sehr gut, danke.« Am Signalkasten über dem Schockgenerator leuchtet ein rotes Lämpchen auf. Der Monitor des Laptops zeigt Manni. »Und Sie befestigen bitte die Elektrode dort rechts neben dem Schockgenerator an Ihrem Handgelenk.«

»Was? Meinen Sie mich? Mach ich nicht, nein, wieso …«»Tun. Sie’s!«Das Eis in der bisher so freundlich klingenden Stimme, es

bricht jeden Widerstand des hartgesotten wirkenden Mannes mit der Glatze. Folgsam wie ein Pennäler führt er die Anordnung aus und starrt aus großen, blutunterlaufenen Augen ins Kame-raobjektiv.

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»Bitte kippen Sie jetzt den zweiten Schalter von links.« Eine wieder ruhig und souverän vorgetragene Anordnung.

»Verdammter Scheiß, das tut weh!«, brüllt Manni. Er reißt sich mit einem Ruck die Elektrode vom Handgelenk.

»Das waren lediglich fünfzig Volt bei zehn Ampere. Verab-reicht, um Ihnen und unserem Publikum die Wirksamkeit des Schockgenerators zu demonstrieren.«

»Publikum? Was denn für’n Publikum, Alter …«»Bitte legen Sie den Kippschalter wieder in die Ausgangs-

position zurück und versuchen Sie, sich zu konzentrieren. Ich werde unserem Schüler, mit dem ich über den Monitor und Kopfhörer verbunden bin, nun einige sehr einfache Aufgaben stellen. – Hören Sie auch zu, Joe? Gut. Also. Ich lese Ihnen gleich drei Wörter vor, passend zu einer bestimmten Farbe. Beispiel: Gelb – Taxi, Zitrone, Post. Die prägen Sie sich bitte ein. In der Testsequenz hören Sie erneut Wörter zu dieser Farbe. Beispiel: Gelb – Banane, Post, Sonnenblume. Sobald Sie das Wort wie-dererkennen, das bereits in der ersten Wortkette genannt worden ist, drücken Sie den Knopf an der Stuhllehne. In unserem Bei-spiel hätte das bei dem Wort Post der Fall sein müssen. Haben Sie das verstanden, Joe? – Ja? Gut. Und nun zu Ihnen, Manni.« Der Bildschirm des Laptops zeigt noch immer das pockennar-bige Gesicht des tätowierten Mannes. »Sie fungieren als mein Assistent, dessen Aufgabe darin besteht, unserem Schüler bei einer falschen Antwort einen Stromschlag zu versetzen. Und dabei gehen Sie jedes Mal eine Stufe höher. Das heißt, beim ersten Fehler beginnen Sie mit dem Kippschalter ganz links und verabreichen lediglich fünfzehn Volt bei zehn Ampere. Danach der mittlere Schock gleich fünfzig Volt, schwerer Schock gleich fünfhundert Volt, und so weiter … Können Sie mir folgen?«

Manni nickt nur. Auf dem Laptopmonitor sind seine kind-lich angespannten Gesichtszüge beim Studieren der Schalter des Schockgenerators zu sehen.

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»Wunderbar. Dann kann es also losgehen. Joe, hören Sie zu.«Monitorschwenk zum Rastamann. Er ist vom grellen Schein-

werferlicht angestrahlt, hängt jetzt aber mit zur Seite geneigtem Kopf in der Vorrichtung. Seine Augen sind geschlossen.

»Manni, wecken Sie Ihren Kumpel auf.«»Schalter eins oder zwo?«»Geben Sie ihm die Ihnen bereits bekannten fünfzig Volt.

Betätigen Sie Schalter zwei und halten ihn ein paar Sekunden unten. Ja, danke, das genügt. – Ah, Sie sind wieder bei uns, Joe, wie schön.« Die fahle Hand mit dem winzigen Tattoo hebt sich wie zur Begrüßung. »Gut, Joe, hier kommt Ihre erste Wort-kette. Hören Sie genau zu. Blau – Himmel, Meer, Zukunft. Ich warte einen Moment ab, damit Sie sich die Wörter ein-prägen können. – So, und nun die Testsequenz: Blau – Beere, Zukunft, Säure. Ich wiederhole die Testsequenz, und Sie drü-cken bitte den Knopf, Joe. Und zwar bei dem Wort, das Sie von der ersten Wortreihe her wiedererkennen. Also: Blau – Beere, Zukunft, Säure … Joe? Keine Antwort ist in jedem Fall eine falsche Antwort. Ich wiederhole ein letztes Mal: Blau – Beere, Zukunft, Säure.«

Das Signalgerät: tot.»Manni, bitte legen Sie Schalter drei um und belassen ihn so

bis auf Gegenkommando.«»Geht klar, Alter.«Es vergehen exakt zwanzig Sekunden. Joes schmerzverzerrtes

Gesicht, der Speichel, der aus seinen Mundwinkeln tropft – die Kamera fängt es gestochen scharf ein.

»Den Schalter zurück in die Ausgangsposition. – SCHLA-FEN SIE, MANNI? ICH SAGTE …«

»Schon gut, schon gut.« Auf Mannis Glatze glitzern kleine Schweißperlen, seine Mimik spiegelt die Schuld eines auf frischer Tat Ertappten. »Kommt nicht mehr vor, Boss, alles roger jetzt. Mit Joe alles in Ordnung, ja?«

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»Nun, nicht mehr lange, wenn Sie beide so weitermachen. Joe, bitte konzentrieren Sie sich. Hier kommt Ihre neue Wort-kette. Passen Sie auf.« Die Kamera zoomt Joes Augenpartie heran, der Laptop zeigt seine angstgeweiteten Pupillen im grellen Scheinwerferlicht.

»Grün – Wiese, Hoffnung, Blatt. Haben Sie das verstanden? Ja? Gut. Dann hier die Testsequenz: Grün – Hoffnung, Frosch, Klee. Und Achtung, jetzt müssen Sie den Knopf drücken, Joe. Ich wiederhole: Grün – Hoffnung, Frosch, Klee.«

Nichts geschieht. Das Signalgerät: abermals tot.Manni, mit Blick nach oben auf den kleinen Kasten, gibt ein

gereizt klingendes Schnaufen von sich. »Mann, jetzt reiß dich mal am Riemen, Alter! Das ist ja wohl wirklich kein Problem!«

»Er kann Sie nicht hören. Genauso wenig wie Sie ihn hören. Ihre letzte Chance, Joe. Ich wiederhole noch einmal und ganz langsam die Testsequenz, und Sie drücken bitte an der richtigen Stelle den Knopf. Geben Sie acht, es geht los. Grün – Hoffnung – Frosch – Klee.«

Keine Reaktion.»Manni, Schalter vier umlegen.«»Geht nicht, Boss. Da steht Gefahr. Bedrohlicher …«»Ich weiß, was da steht. Befolgen Sie meine Anweisung.«»Aber was passiert …«»Legen. Sie. Den. Schalter. Um. Sofort!« Wieder das Eis in der

Stimme. Mannis Gesicht, bildschirmfüllend in Großaufnahme, ist von Ratlosigkeit geprägt. »Na gut … Aber auf Ihre Verant-wortung!«

Ein Klick. Der Schockgenerator beginnt zu summen.»Wieder zurück damit. Schnell!«Manni reißt den Schalter hoch. »He, alles in Ordnung mit

dir, Joe?«»Wie schon gesagt, egal, wie laut Sie rufen, er kann Sie nicht

hören.«

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»Und ob der mich hören kann!« Manni springt auf, rennt zur Tür. »Halt durch, Kumpel, bin gleich da!«

Abgeschlossen.»Bitte setzen Sie sich wieder hin.«»Von wegen, Alter. Du bist doch eindeutig nicht ganz dicht!

Quälst wohl gern andere Leute, hä? Aber damit ist Schluss! Jetzt zieh’n wir mal andere Seiten auf, und ich zeig dir, wer hier der Boss …«

»Immer der mit der Kanone, soweit ich weiß. Oder ist das in euren Kreisen anders?«

Manni versteift jeden Muskel in seinem Körper. Er setzt sich langsam wieder hin, der knappen Aufforderung mit der in Rich-tung Stuhl bewegten Pistole folgend.

»Das Experiment erfordert, dass Sie sofort weitermachen. Notfalls auch unter Schmerzen. Bitte zwingen Sie mich also nicht, von meiner Schusswaffe Gebrauch zu machen.«

Manni schluckt, den Lauf der Pistole im Rücken. Auf dem Monitor des Laptops ist Joes blutende Nase zu sehen, sein ein-gespeicheltes Kinn und das Erbrochene, das langsam an seinem Hals herabrinnt. Sein Mund ist weit aufgerissen. Der Frequenz-messer für die Tonspur im Programm des Laptops steht auf vollem Ausschlag.

»Joe, hören Sie mich? – Wunderbar, ich deute das als ein Ja. Neue Wortkette. Ihre letzte Chance. Also passen Sie bitte beson-ders gut auf. Achtung, ich fange an. Rot – Tomate, Signalfarbe, Blut. Und gleich noch einmal: Rot – Tomate, Signalfarbe, Blut. Und hier die Testsequenz: Rot – Glut, Abendsonne, Blut. Ich wiederhole: Rot – Glut, Abendsonne, Blut.«

Der Signalkasten: leblos.»Bluuuuut!«, schreit Manni aus voller Kehle. Die Kamera

nimmt erneut sein Gesicht ins Visier. Aus seinen Augen mit den tiefen Rändern fließen Tränen. Er zieht die Nase hoch, wischt

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sich den Rotz am Ärmel seiner Jacke ab und schluchzt noch einmal. Hemmungslos. »Mensch Joe, altes Haus, das ist doch wirklich nicht so schwer.«

»Joe, Ihre Zeit läuft ab. Ich wiederhole ein letztes Mal die Testsequenz, und Sie drücken bitte endlich den Knopf. Rot – Glut, Abendsonne, Blut.«

Stille. Kein Lämpchen leuchtet.»Manni, betätigen Sie Schalter fünf. Sofort. Für volle dreißig

Sekunden.«»Nein! Das mach ich nicht. Erst sagen Sie mir, was dieses

XXX …«»Tun Sie’s!«Manni sitzt reglos da. Daumen und Zeigefinger seiner rech-

ten Hand vor dem Kippschalter ganz rechts positioniert. Die Schweißperlen rinnen an seinem tätowierten Schädel herab. Seine Lippen beben. »Nein … ich will nicht …«

Ein metallisches Klicken. Quälend langsam ausgeführt. Manni reißt beide Hände hoch. »Nicht schießen! Bitte! … Schon gut, ich mach’s ja.« Er kneift die Augen zu. Drückt den Schalter nach unten. Der Generator fängt wieder an zu summen. Lauter und lauter. Bis er regelrecht röhrt. Manni hält die Augen zuge-presst. Wagt nicht zu atmen. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit öffnet er sie doch. Starrt auf die Bedienerfläche des Schockge-nerators. Der Kippschalter liegt wieder in der Ausgangsposition. Kabel werden geräuschvoll sortiert. Der Laptop klappt zu.

Als Nächstes hört Manni Schritte. Sein Puls beschleunigt sich. Maximal. Er dreht sich nicht um. Spürt, direkt hinter sich, die Präsenz seines Peinigers in dem strahlend weißen Laborkit-tel, die Mündung des schmalen, langen Pistolenlaufs im Rücken. Er beginnt zu zittern. Am ganzen Körper.

»Gratulation. Sie haben den Test erwartungsgemäß absol-viert. Und ich würde sogar sagen, mit Bravour absolviert.«

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Mannis Anspannung löst sich. Minimal. Dann fühlt er etwas Nasses auf seinem tätowierten Schädel. Und im nächsten Moment einen harten Druck auf dem Kopf. Die Elektrode …

Zu spät! Ein Schalter kippt, als Manni das breite Klebeband an seinen Schläfen wahrnimmt. Seine Muskulatur verkrampft sich, sein Kopf überstreckt sich nach hinten, die Hände sind zu Fäusten geballt. Blut tritt aus seiner Nase. Vor seinem Mund mit Blut vermischter Schaum. Sein Körper bäumt sich unkontrolliert auf, er stürzt zu Boden. Starr wie ein Felsbrocken. Und seine Haut schlägt Blasen. Aufplatzende Blasen. Manni brennt. Ver-brennt. Langsam, von innen.

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»Du bist zum Abschuss freigegeben! Na, war das deutlich? Hast du jetzt endlich verstanden, worüber wir hier reden?« Polizeiprä-sident Norbert Fringe lehnt sich zurück. Die Stirn in tiefe Falten gelegt, sieht er den Mann vor sich streng an. Doch Jim Devcon, Dienststellenleiter im Fachkommissariat für Tötungsdelikte, rührt sich nicht. Er residiert in seinem Sessel, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, die Beine übereinandergeschlagen auf seinem mit Akten übersäten Schreibtisch. Fringe nickt und stößt ein Schnaufen aus. »Schade. Wirklich schade. Aber es ist wohl nicht zu ändern – solange du nicht lernen willst, dass Sturheit kein Synonym für Stärke ist.«

Devcon spitzt die Lippen, die wachen dunklen Augen starr geradeaus gerichtet. Er schweigt.

»Gut, ganz wie du willst.« Fringe macht Anstalten, sich zu erheben. Devcon räuspert sich, in seinen Körper kommt Bewe-gung. Er nimmt die Füße vom Tisch, richtet sich auf, dreht sich mitsamt Sessel um etwa neunzig Grad – und sieht aus dem Fens-ter. Draußen ist es bereits stockdunkel. »Looks like another hard winter, my friend …«

»Ja, allerdings! Und deine Karriere wird bald genauso ein-gefroren sein wie die Ufer unten am Main, wenn du dich noch länger wie ein alter Maulesel benimmst!«

Devcon wendet sich Fringe zu. Setzt seine berühmte stei-nerne Miene auf.

»Jim, verdammt! Immer weiter so, ja? Ride on, motherfucker, wie der gute alte Ami in dir sagen würde, nicht? Über zwanzig gottverfluchte Jahre in diesem Land und du pflegst nicht nur deinen Akzent, sondern auch deine Arroganz bis zur Schmerz-

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grenze. Meiner Schmerzgrenze, wohlgemerkt! Die du dich gerade anschickst zu überschreiten, mein Lieber!«

Devcon zieht die schwarzen Augenbrauen zusammen und knallt die Faust auf den Tisch. »Okay! So what the hell is going on …«

»Rede Deutsch mit mir!«»Von mir aus! Also, was zur Hölle ist eigentlich …«»Was los ist?« Fringe, ein ohnehin zu Bluthochdruck nei-

gender, leicht rotgesichtiger Mann, schnappt nach Luft wie ein aus dem Wasser gezogener Karpfen. Er springt auf, stapft ein paar Schritte über den blaugrauen Büroteppich. »Du fragst mich allen Ernstes, was los ist, ja?« Er gestikuliert mit den Armen – und setzt sich wieder hin, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, den Oberkörper weit vorgebeugt. Der Besucherstuhl quietscht unter der Last seines Gewichts. Erbärmlich. »Ich sage dir, was los ist. Du bist siebenundfünfzig Jahre alt, also noch immer exakt drei Jahre vom derzeitigen Pensionsalter für Hauptkommissare ent-fernt …«

»Exakt sind es zwei Jahre, sieben Monate und vier …«»Wie dem auch sei! Mein Gott, Jim! In welcher Welt lebst

du? Siehst du denn nicht, was läuft? Der Polizeiapparat war noch nie ein Abenteuerspielplatz. Er ist ein streng organisiertes bürokratisches Gebilde. Auch wenn dir das nicht schmeckt. Und der Staat in seiner Eigenschaft als Finanzier dieses streng organisierten bürokratischen Gebildes – der ist pleite! Schon davon gehört? Dank des erfolgreichen Raubzugs der globalen Finanzritterkaste vermutlich sogar pleite bis in alle Ewigkeit. Und in so einer Situation bekommt jede Pension, die nicht gezahlt werden muss, ein enormes Gewicht. Und das wiede-rum bedeutet …«

Devcon spuckt ein Lachen aus. »Was soll das, Norbert? Jetzt mach dich bitte nicht lächerlich. Diese Waffe ist stumpf, denn die können mir gar nichts, solange ich meine Pflicht …«

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»So ist es, Jim! Und deine gottverdammte Pflicht ist es, der Anfrage des Controlling-Bereichs Folge zu leisten und die Eva-luationsbögen fristgerecht …«

Devcon winkt generös ab. »Die Stunde der Bürokraten, ahoi. Alles klar zum Entern des gesunden Menschenverstands, ich verstehe.«

»Genau diese Stunde schlägt gerade, du hast es erfasst! Und das schon seit Längerem, was außer dir meines Wissens so gut wie jeder inzwischen begriffen hat.« Fringe lehnt sich wieder zurück, begleitet vom jämmerlichen Quietschen des Stuhls. »Und diese Bürokraten«, er verschränkt die Arme vor der statt-lichen Brust, »die wissen genau, wo man dich packen kann. Und glaub mir, sie werden gewiss nicht zögern, es auch zu tun.«

In Devcons Gesicht bewegt sich kein Muskel. »Oh, da habe ich aber schon mächtig Angst.«

»Solltest speziell du auch haben! Oder was denkst du, warum ich hier sitze?«

Die schmalen Lippen des Hauptkommissars verziehen sich zu einem dünnen Lächeln. »Nun, bis eben bin ich noch davon ausgegangen, dass dein Besuch um unserer alten Freundschaft willen erfolgt.«

»Hör auf, dich über mich lustig zu machen, Kerl! Ich weiß nicht, wie ich es dir verklickern soll, aber ich kann dich nicht ewig protegieren, verstehst du das denn nicht? Intakte Arbeits-beziehungen, persönliche Empfehlungen – alles Schnee von gestern, was heute zählt, sind nur noch Zahlen, Zahlen, Zah-len …«

»Laut denen mein K11 immer noch einen überdurchschnitt-lich hohen Erfolg bei den Fallaufklärungen vorzuweisen hat.«

»Ja. Wobei der zuständige Dienststellenleiter sich aber nicht entblödet, mit seinen mitunter mehr als fragwürdigen Metho-den auch noch zu prahlen … Und was zum Teufel ist das nun wieder für ein Mist? Falls du es immer noch nicht bemerkt

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haben solltest – ich versuche gerade, mich ernsthaft mit dir zu unterhalten!«

In Devcons Mundwinkel hängt ein Utensil aus Plastik, das man mit viel Fantasie für eine Zigarette halten könnte. »Geschenk von Reggie«, nuschelt er mit zusammengepressten Lippen. »Ein E-Dampfer, der Nikotin zerstäubt.« Er inhaliert tief und produziert ein kleines Dampfwölkchen aus Propylen-glykol, Nikotin und vor allem: Wasser. Devcon zieht die linke Braue hoch, dann spuckt er die elektronische Zigarette auf den Schreibtisch und zieht eine Grimasse. »Sorry, aber da kann ich’s auch gleich ganz lassen.«

»Hervorragende Idee. Und zum wievielten Mal gibst du’s dann auf? Verzeih mir, aber nach dem fünfzehnten Versuch habe ich aufgehört mitzuzählen.«

»Ich war schon mal über vier Jahre lang clean!«»Beeindruckend. Aber jetzt überflügelt die Lust erneut den

willigen Geist? Ja, die liebe Frau Tamm, unsere gute Seele, die sich immer noch um das Wohl unseres alten Bullen aus Texas sorgt. Da geht’s ihr wie mir …«

»Es reicht, Norbert! Keine blöden Witze über meine Her-kunft!«

Fringe hebt die Hände. »Nicht meine Schuld, wenn du das Klischee gerade mal wieder übererfüllst. Wobei ich nicht denke, dass deine früheren Chefs beim San Antonio Police Depart-ment …«

»Stop it!« Devcons dunkle Augen, sie sind zu Schlitzen ver-engt. »Also, was zum Teufel willst du von mir? Spuck’s endlich aus. Und zwar klar und verständlich.«

Fringe entblößt seine von zu viel schwarzem Tee gelblichen Zähne und winkt mit einer schlappen Handbewegung ab. »Komm schon, Jim. Spiel nicht das Unschuldslamm. Die Rolle passt nicht zu dir. Nur mal ein kleines Beispiel: Wer war denn

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wieder nicht da beim letzten Dienststellenleiter-Meeting? Als Einziger?«

»Ich hatte einen guten Grund.«»Klar! Was du eben einen guten Grund nennst! Und wo wir

gerade dabei sind – dein Telefonat vor drei Tagen mit diesem Staatssekretär aus dem Innenministerium, was zum Teufel sollten die unangebrachten Worte …«

»Unangebracht? Seit wann sind offene Worte unange-bracht?«

»Seit Anbeginn der Menschheit?« Auch Fringes Augen wer-den jetzt schmal. »Müsstest du in deinem Alter eigentlich wissen. Wir suchen die Wahrheit, finden wollen wir sie aber nur dort, wo es uns beliebt. Ein in der Tat wahres Sprichwort.«

Devcon gibt ein Zischen von sich. »Und, da scheiß ich doch drauf.«

»Natürlich.« Fringe nickt. Nachdrücklich. »Bleib dir immer schön treu und latsch den Höherrangigen auf die empfindlichen Zehen, wo’s nur geht. So wie letzten Winter bei Klaus-Peter Losard aus dem Bundeskriminalamt. Der noch heute spontan die Zähne fletscht, wenn er nur an dich denkt.«

Devcon schlägt die Hände flach auf den Tisch. »Das ist mir doch egal! Es ging bei dem Fall um ein brandgefährliches Medi-kament. Paradise, diese Wunderdroge, erinnerst du dich? Die nicht nur den Orgasmus auslöste, sondern leider auch zum Tod führte. Und dieser Oberaffe hat meine Ermittlungen blockiert, weil sie Schiss hatten vor diesem Pharmakonsortium, das sich an dem Nasenspray dumm und dämlich verdienen wollte!«

Fringe hebt die linke Hand. »Ich bemängele ja keineswegs deine Arbeit, die hervorragend ist, gar keine Frage. Ganz im Gegensatz zu deinen Leistungen auf dem Feld des diploma-tischen Geschicks.« Er lässt die Hand sinken und beugt sich wieder vor. Der Stuhl quietscht noch lauter. »Neues Beispiel,

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SOKO Jack, diesen Sommer. Glaubst du ernsthaft noch immer, dass die Seiler dir deine windige Story mit den vertauschten Dienstwaffen abgekauft hat?« Fringe schüttelt den Kopf. Ener-gisch. »Nein, hat sie nicht. Definitiv nicht. Denn nur weil du Psychologen für blöd hältst, heißt das noch lange nicht, dass sie es tatsächlich sind. Auch wenn du unsere verehrte Frau Polizeipsychologin bei der Untersuchungskommission wirk-lich nach allen Regeln der Kunst vorgeführt hast, das muss ich schon sagen.«

»Und ich habe nicht geprahlt, um mal wieder auf den Aus-gangspunkt unseres Disputs zurückzukommen.«

»Nein, mein Lieber, da hast du nicht geprahlt, das stimmt. Da hast du gelogen! Aus hehren Gründen zwar …«

»Hör schon auf. Die Sache ist doch längst gegessen.«»Ja – für dich! Aber nicht für die! Mag ja sein, dass tödliche

Schüsse in deiner Heimat zu den betriebstypischen Verletzungen gehören, aber hier ist das nun mal anders. Und überhaupt, wie steht es eigentlich um sie?« Fringe stemmt die Hände in die gut gepolsterten Seiten. »Post-Shooting-Trauma, das ist eine ernste Sache. Da könnte eine Zeitbombe ticken.«

»Ich habe kein Trauma!«»Natürlich nicht. Du hast ja auch nicht geschossen!«Devcon sitzt kerzengerade am Schreibtisch, die markanten

Züge verfestigt zu einer Miene aus Stahl. Fringe schnaubt und lehnt sich wieder zurück, das Protestgequietsche des Stuhls wei-terhin tapfer ignorierend. »Auf der einen Seite freut es mich ja, dass du über zehn Jahre nach dem Tod von Karin endlich wieder so etwas wie echte Gefühle für eine Frau empfindest. Aber muss es denn ausgerechnet Tatjana Kartan …«

»Ich verstehe nicht, was du meinst.«»Ach nein?«»Nein. Und falls du hergekommen bist, um alte Wunden

aufzureißen …«

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Originalausgabe | 12,00 € [D]

Sutton KRiMI

Der dritte Fall für Jim Devcon

Grotesk verstümmelte Leichen tauchen aus dem Schneematsch des Frankfurter Winters auf. Zugleich überfluten grauenhafte Videos die Sozialen Netzwerke und das Internet, die selbst den hartgesottenen Frankfurter Großstadtsheriff Jim Devcon nicht kalt lassen: Sie zeigen abartige pseudowissenschaftliche Experimente, bei denen eine Versuchsperson die andere mit Stromschlägen foltert und schließlich tötet.

Der Hauptkommissar und sein Team stehen von Tag zu Tag stärker unter Druck, die Polizei präsentiert sich hilflos, bis eine Spur zu einem unaussprechlich bösen Gegner aus Devcons Vergangenheit führt …

Dieses mörderische Duell ist nichts für schwache Nerven!

www.sutton-belletristik.de

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