Was tut mir gut? Emotionsregulation und Fertigkeitentraining
in der Skills-Gruppe
Fliedner Krankenhaus Ratingen
Natalya Struk MSc Psychologin/Psychologische Psychotherapeutin
14.03.2018
Gliederung • Theoretischer Hintergrund
• Psychische Störungen: Unterschied zu normalbegabten Patienten
• Besonderheiten der Diagnostik
• Sozial-emotionale Entwicklung
• Therapien
• Skills-Gruppe
• Maßnahmen im Team 2
Intelligenzminderung
• Einschränkungen der intellektuellen Fähigkeit (IQ < 70)
• Einschränkungen der adaptiven Fertigkeiten (soziale und praktische)
• Auftreten vor dem 18. Lebensjahr • Leichte Intelligenzminderung (IQ 69 - 50) • mittelgradige Intelligenzminderung (IQ 49 - 35) • schwere Intelligenzminderung (IQ 34 - 20) • schwerste Intelligenzminderung (IQ < 20)
! Eine Intelligenzminderung ist keine Krankheit, sondern eine Entwicklungsstörung! 3
Besonderheiten der Patienten • Patienten sind oftmals nicht selbst die Auftraggeber
• Auftraggeber müssen einbezogen werden
• Problemverhalten ist als ein Konstrukt (weil Fremdbeurteilung) zu verstehen • Diagnostischer Prozess ist ein Ausleuchten des Problems aus verschiedenen
Blickwinkeln
• Veränderungsmotivation ist oft ambivalent • Häufige Abbrüche • Beziehungsaufbau langsam • Therapie langwieriger
• jeder Fall ist sehr individuell
• Manualisierung schwierig
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Psychische Störungen Bei normalbegabten
Menschen: • Veränderungen in
verschiedenen Bereichen
• Gefühlsleben • Gedanken • Willen • Selbstwahrnehmung • Handeln
bei Menschen mit einer Intelligenzminderung:
• Behinderung der gleichen Bereiche • subjektives Empfinden ist anders • Symptomatik anders
• z.B. Minderwertigkeitsgefühl nur dann, wenn Bewusstsein vom eigenen Wert entwickelt
• Schuldgefühle, wenn Gewissensentwicklung vorhanden
• Äußerung durch Unruhe, Aggressivität, Destruktivität beim niedrigen kognitiven Entwicklungsniveau
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• Prävalenz für ps. Erkrankungen bei Menschen mit Intelligenzminderung (IM)
30% - 40% höher – erhöhte psychische Verletzbarkeit – Einschränkung kognitiver Verarbeitungsprozesse, die zur Bewältigung von Belastungen
erforderlich sind
Besonderheiten der Diagnostik
• begrenzte kommunikative und kognitive Fähigkeiten des Pat.
• Schwierigkeiten die Gefühle und Beschwerden des Pat. einzuordnen
• begrenzte Erfahrungsmöglichkeiten bei Intelligenzminderung • Verarmung der Symptomatologie (z.B. Ausgestaltung der
Wahnideen können sehr einfach und kindlich sein, sodass sie als manipulativ missverstanden werden)
• in Stresssituationen können Menschen mit IM (ähnlich wie Normalbegabte) in ein niedriges Entwicklungsniveau zurückfallen
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• Basale Übertreibung • eine qualitative oder quantitative Veränderung des bereits
bestehenden Verhaltens bereits durch eine geringfügige Belastung
• overshadowing
• das auffällige Verhalten im Rahmen einer psychischen Störung wird der Behinderung zugeschrieben
• undershadowing • das auffällige Verhalten im Rahmen der Behinderung wird
einer psychischen Störung zugeschrieben 7
Besonderheiten der Diagnostik Phänomene
Entwicklung
8
körperlich
kognitiv
emotional
Sozial-emotionale Entwicklung
• Menschen mit IM durchlaufen dieselbe Abfolge der psychosozialen Entwicklung wie nicht behinderte Menschen • einzelne Schritte können unterschiedlich viel Zeit in Anspruch
nehmen • Beeinflussung durch verschiedene externe und interne Faktoren
• eine große Diskrepanz zwischen kognitivem und emotionalem Niveau problematisch • labile Persönlichkeitsstruktur mit einem erhöhten Risiko für
Entstehung psychischen Störungen
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Entwicklungsstufen (n. Anton Došen)
10
5
10
15
20
25
Adaptation (0-6 M) Sozialisation (6-18 M) Individuation (1,5 - 3 J) Identifikation (3 - 7 J) Realitätsbewusstsein (7 - 12J)
Entwicklung und basale emotionale Bedürfnisse (n. Anton Došen)
• Anpassung des Organismus auf das Leben außerhalb der Mutter basale Bedürfnisse: (Freude, Entspannung), Konstanz in der Umgebung, Bindungsverhalten (enger körp. Kontakt)
• Lösung aus dem emotionalen Einssein mit Mutter, Ausprobieren eigener Fähigkeiten basale Bedürfnisse: körperlicher Kontakt, Bindungsperson, Sicherheit
• Symbiose-Autonomie-Konflikt (Trotzphase), geringe
Frustrationstoleranz, Beginn logischen Denkens zunehmende Distanz im Kontakt, Autonomie, Streben nach Belohnung vom Verhalten
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• Adaptation (0 - 6 Monate)
• Sozialisation
(6 - 18 Monate)
• Individuation
(1,5 - 3 Jahre)
Entwicklung und basale emotionale Bedürfnisse (n. Anton Došen)
• Identifikation (3 - 7 Jahre)
• Realitätsbewusstsein (7 - 12 Jahre)
• Beginn der Entwicklung eines realistischeren
Selbstbildes, Ich-Bildung, beginnende soz. Einführung, Leistungsfähigkeit, Lernen aus Erfahrung Zugehörigkeit, Anerkennung z.B. durch eine Identifikationsfigur, Lernen am Modell
• Logisches rationales Denken, Bildung eines moralischen Ich, Einsichts- und Kompromissfähigkeit bei Konflikten soziale Akzeptanz, Erkennen eigener Leistungen, Streben eigenständige Entscheidungen zu treffen
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Entwicklungsphase und Grad der Intelligenzminderung
• Adaptation (0 - 6 M)
• Sozialisation (6 - 18 M)
• Individuation (1,5 - 3 J)
• Identifikation (3 - 7 J)
• Realitätsbewusstsein (7 - 12 J)
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• Schwerste Intelligenzminderung F73 (IQ <20)
• Schwerste Intelligenzminderung F73 (IQ <20)
• Schwerste/ schwere Intelligenzminderung F73/F72
(IQ<34)
• Mittelgradige/ leichte Intelligenzminderung F71/70 (IQ
35-69); (IQ 50-69)
• Mittelgradige /leichte Intelligenzminderung F71/ F70
Gruppenangebote Allgemein:
• Mehr Visualisierungen, Piktogramme, nonverbale Kommunikation • Inhalte vereinfacht • Leichte Sprache • Kürzere Erklärungen • Mehr Wiederholungen und Verständnisüberprüfung
• Gruppen:
• Psychoedukation • Entspannungsangebote • Soziale Kompetenzen Gruppen • Skills-Gruppe • Gesprächsgruppen
• Skills-Gruppe: • Patienten mit leichter bis mittelgradiger Intelligenzminderung
+ Erhöhter Impulsivität + Emotionaler Instabilität + Problematischen zwischenmenschlichen Beziehungen + Leidensdruck + Therapiewunsch
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Skills-Gruppe
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• Basiert auf DBT-Programm für Borderline Persönlichkeitsstörung (M. Linehan)
• 4 Module
• Skills-Training (Stresstoleranz)
• Betreuermodul
• Gefühlsgruppe / Achtsamkeit
• Soziales Kompetenztraining
Skills-Gruppe Teil I (9 Sitzungen)
• Modul:
• Skills-Training (Stresstoleranz)
• Praktische Tipps (Skills) in den Stresssituationen
• Erarbeitung des Konzepts „Anspannung“ anhand des Bsp. von Luftballons
• Verschiedene Abstufungen der Anspannung
• Erarbeitung der Gedanken, Gefühlen, Situationen, die mit Anspannung
zusammenhängen können
• Anspannungsprotokolle zur Selbstbeobachtung
• Einübung der Skills
• Erstellung eines Notfall-Koffers 16
Materialien • Therapieordner:
• Therapievertrag
• Stimmungsbarometer
• Spannungskurve
• Spannungsprotokolle
• Skills-Liste
• Skills-Kette
• Notfall-Koffer
• Gefühlsprotokolle
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Stimmungsbarometer
18
100
50
0
Spannungskurve
19 Zeit
Anspannung
1
3
4
kein Zurück mehr
100
70
5
2
Spannungsprotokoll 1 Anspannungs- Stufe
5
4
3
2
1
Uhrzeit 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
20
Spannungsprotokoll 2
Spannung
Spannung
5
5
4
4
3
3
2
2
1
1
21
Gefühlsprotokoll
Gefühle
Gefühle
Freude Freude
Trauer Trauer
Wut Wut
Stolz Stolz
Angst Angst
Scham Scham 22
Skills • Suche in der Umgebung 5x Farbe rot, grün, blau • Duftöl, Lieblingsparfüm • Musik hören • Gummi schnipsen
• Etwas weiches • Koffer-Packen mit sich selbst spielen • Zettel mit aufmunternden Sprüchen
• 3 Dinge, die Du hörst, 3 Dinge, die Du siehst, 3 Dinge, die Du spürst
benennen • Telefonieren mit lieben Menschen, ohne dabei eigene Probleme zu wälzen • auf die Pro- und Contra-Liste schauen (Liste in den Notfall-Koffer legen)
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Skills • Brausetablette • Mühlsäcke ziehen • Zeitung zerreißen • Igelball • Steine im Schuh
• Chiliflocken • Tigerbalsam • Handtuch schlagen • Wandstuhl (in 90‘ Winkel an der Wand stehen, bis 10 zählen) • Kalt duschen (ggf. Wechseldusche) • Eiswürfel in Mund nehmen oder Eisbeutel auf den Nacken
(umwickelt in ein Handtuch) 24
Skills-Kette
25 Zeit
Anspannung
1 2
3
4
kein Zurück mehr 70
100
Chiliflocken
Igelball Musik hören
5
Notfall-Koffer
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Alle Skills, die dem Patienten helfen
Skills-Gruppe Teil II (9 Sitzungen)
• Module:
• Gefühlsgruppe (Gefühlsregulation)
• Gefühle wahrnehmen (Wut, Freude, Trauer, Angst, Scham, Stolz)
• Gefühle einordnen, wo entstehen Gefühle?
• Gefühlsprotokolle
• Fünf-Sinne-Gruppe (Achtsamkeit)
• Wahrnehmung der Anspannung
• (Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen (PME (progressive
Muskelentspannung), Phantasiereisen) am Anfang jeder Sitzung
• 5 Sinne der Wahrnehmung (Riechen, Hören, Tasten, Sehen, Schmecken)
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Skills-Gruppe Teil III/ Soziale Kompetenzgruppe (8 Sitzungen)
Modul: Soziale Fertigkeiten
• Verfolgen des eigenen Ziels • um Hilfe bitten • Nein sagen • sagen, was stört
• Pflege der Beziehung • Sich kennen lernen, Sympathie und Interesse zeigen • Gefühle, Meinungen der anderen akzeptieren • sich entschuldigen • Nähe und Abstand
• Selbstachtung • Sich selbst etwas Gutes tun • Lob und Anerkennung von anderen annehmen • Gerecht und ehrlich zu anderen sein
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Voraussetzungen Team
• Interesse der Einrichtungsleitung am Programm
• Einheitliches Arbeiten im Team (an Absprachen halten)
• Verhalten des Bewohners nicht persönlich nehmen; nicht als
Versagen empfinden
• Für eigene Entspannung sorgen
• Teamversammlungen --> regelmäßige Reflexion: • Eigenes Verhalten reflektieren • Gemeinsam mit Bewohner(-in) schwierige Situationen analysieren
• (Was habe ich gemacht? Was ist davor passiert? Wie habe ich mich gefühlt?
Wie soll es weitergehen?) 29
Maßnahmen im Team
• Vermittlung von Sicherheit
• Visualisierte Tagesstruktur
• Termine, Absprachen vereinbaren und einhalten
• Thema Krankheitsbild/ Notwendigkeit Skills kennen
• Beobachtungsprotokolle ausfüllen
• Stopp-Schild an Zimmertür befestigen
• Spannungskurve sichtbar im Zimmer
• Skills regelmäßig üben, neue lernen, Notfall-Koffer anpassen 30
„Die Wippe im Kopf“
31
T P Entgegenkommen Kooperation
T Abwarten Ablehnung
P
Maßnahmen Bezugsbetreuer
• Professionelle Beziehungs-Gestaltung: • Tgl. 5/10 min. ungestörte Kontakte (gemeinsames Ausfüllen der
Protokolle, Hilfestellung bei Skills-Übungen) • Wünsche und Meinungen des Betroffenen anhören und gemeinsam
entscheiden • Thema Validation
• Ich verstehe, dass du dich ärgerst; • ich merke, du kannst gerade nicht zuhören; • ich möchte dich unterstützen, so dass wir gemeinsam Skills üben; • ich komme anschließend wieder zu dir; • Time-out vereinbaren (Zeit benennen)
• Senkung der Grundanspannung des Betroffenen
• Snoezelen, Entspannungsübungen, Atemübungen 32
Krisensituationen • Fluchtwege ermöglichen
• Einfache Sprache
• Keine Fragen
• Keine Problembewältigung
• Zuversicht und Sicherheit signalisieren
• Faktor Angst (beider Parteien) berücksichtigen
• Rückzug einräumen (ggf. selbst die Situation verlassen)
• Validieren! 33
Krisensituationen Analyse Datum oder Uhrzeit
Ort Dienst/ Personal
Aktion Intervention Handlungs-grundlage
Ergebnis
Wo ist es passiert?
Wer war beteiligt?
Was ist passiert?
Wie war die Reaktion des Personals?
Warum wurde in dieser Form reagiert?
Folge der Intervention?
7.00
7.30
8.00
8.30
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Krisensituationen Analyse • Subjektive Wahrnehmung unmittelbar beteiligter Personen
• Darstellung der Situation nach Befragung aller Beteiligten
• Reaktion des erregten Patienten / Bewohners
• Ebenfalls ortsbezogene Analyse (z.B. hatte der Bewohner überhaupt
Fluchtmöglichkeit?)
• Alternative Gestaltung der Situation
Dient nicht Überprüfung der Kompetenzen des Personals, sondern
einer Optimierung des Umgangs mit Krisen
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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