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Mit dem Beratungsbrief von Günter Greff

Sonderdruck BeratungsbriefAusgabe September 2010

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AUSGABE 09/2010 – SEPTEMBER www.Call-Center-Experts.de

B E R A T U N G S B R I E F V O N G Ü N T E R G R E F F

Call-Center

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INTERVIEW BERATUNGSBRIEF 09/10 – SEITE 4www.Call-Center-Experts.de

Herr Behrendt, wer ist denn hiogi und womit beschäftigt sich Ihr Unternehmen?Die hiogi GmbH ist ein junges Technologieunternehmen aus Berlin und wir beschäftigen uns mit Adhoc-Dialogen, sprich: Wir bieten Unternehmen eine Software-as-a-Service an, über die Endkunden von unterwegs per Handy oder am PC während der Nutzung von Social-Media-Angeboten schnell mal eine Frage an Gleichgesinnte absenden können. Die Fragen werden durch eine Service-Community im Web innerhalb von wenigen Minuten beantwortet, geprüft und zurückgesendet. Unser Produkt heißt www.service-community.net und basiert auf dem simplen Prinzip „Kunde hilft Kunde“. Der Clou an unserer Lösung ist, dass sie sich dank diverser Multichannel-Module nahtlos in Facebook, Twitter, iPhone, Android etc. integriert und dabei aber alle textlichen Dialoge in die gewhitelabelte Service-Community-SaaS direkt auf der Unternehmenswebsite hinein zieht. Somit haben die Unternehmen die Möglichkeit auf der eigenen Firmenseite die Kundendialoge zu führen, dynamische FAQs zu sammeln, damit SEO zu betreiben und gleichzeitig die Kundenzufriedenheit zu verbessern, da sich jederzeit Antworten auf alle relevanten Kundenanfragen auffinden oder stellen lassen.

Welche Auswirkungen werden denn solche Tools, wie Sie sie entwickeln und an-bieten, für die Callcenter haben?Für Callcenter bieten diese Tools, aber auch die jüngsten Entwicklung im Bereich Social Media, generell zum einen die riesengroße Chance, mit neuen Servicedienst-leistungen im Bereich Moderation das eigene Servicespektrum zu erweitern. Zum anderen aber auch die Herausforderungen, die eigenen Mitarbeiter zu Social-Me-dia-Moderatoren umzuschulen. Viele Agenten nutzen heute bereits privat Facebook, XING oder Studi-VZ und sie recherchieren den Großteil ihrer Fragen bei Google.

Und diese Erfahrungen bringen Sie dann in die Arbeit mit ein?Die etwas älteren Supervisor und Callcenter-Manager scheinen hier jedoch noch An-passungs- und Verständnisschwierigkeiten zu haben, so ist zumindest mein Eindruck nach zahlreichen Gesprächen im letzten Jahr. Das Problem stellt sich für mich wie folgt dar: In der Vergangenheit wurden Agenten primär an ihrer Effizienz gemessen und es wurde stark in Automatisierung z.B. durch IVR-Systeme investiert, um mehr Calls pro Stunde abarbeiten zu können. Die Kundennähe, persönliche Betreuung und vor allem auch die Dokumentation und Analyse von Kundenproblemen bleibt vor allem bei sprach-basierten Prozessen meist auf der Strecke. Oftmals sind beispielsweise die FAQs auf den Internetseiten des Unternehmens völlig entkoppelt von den täglichen Erfahrungen der Agenten, die die Hotline betreuen. Dies ist deswegen so dramatisch, da sich nach aktuellen Studien rund 70 Prozent des Anruf-Volumens verhindern ließe, da die Anrufer vorher bereits nach einer Antwort im Web gesucht haben. Bei dieser Statistik zeigt sich auch, wie dringend Callcenter sich von den intransparenten 1:1-Sprachdialogen hin zur Betreuung des allgegenwärtigen Mitmach-Internets bewegen müssen. Unsere Web-2.0-fähigen Service-Communitys laufen rein textbasiert und bieten dem Unternehmen Analysemöglichkeiten, die in Echtzeit aufzeigen, was die Kunden bewegt.

Können Sie heute schon Beispiele dazu nennen?Wenn man sich einmal anschaut, dass Starbucks auf Facebook mehr als 13 Milli-onen Fans hat, die in Zukunft oder gar heute schon von Starbucks erwarten, dass sie über Facebook mit einem Service-Mitarbeiter in den Dialog treten können, dann ahnt man, was auf die Callcenter-Branche zukommt. Systeme wie Salesforce oder Netvibes bieten heute bereits tolle Analysemethoden und Schnittstellen für die Verknüpfung von CRM-Systemen mit den Dialogen im Social Web. Sofern Sie mit Ihrer Frage Kundenbeispiele der hiogi GmbH meinten, so wären z.B. das OTTO-Schlafwelt-Forum oder ein neues Unternehmen des ehemaligen 1&1-Vorstandes Andreas Gauger mit dem Namen Finalfolder.com zu nennen, die beide ihre web-basierten und mobilen Kundendialoge mithilfe unserer Lösung abbilden.

Nun scheint die Nutzung unterschiedlicher Kommunikationsarten natürlich auch von den Endgeräten und damit auch vom Alter der Menschen abzuhängen. Ist meine Vermutung richtig und gibt es dazu schon Untersuchungen?Sicherlich sind die jüngeren Generationen zwischen 14–36 Jahren an eine Timeli-ne-basierte Echtzeitkommunikation über soziale Netzwerke oder Chatfunktionen gewöhnt. Dennoch glaube ich, dass gerade einfach zu bedienende Geräte wie das iPhone, neue Android-Smartphones oder das iPad auch

Das Ende des Telefons?Kein Zweifel, die Callcenter stehen wohl vor der größten Herausforde-rung seit ihrem Entstehen in den 70er-Jahren. In einem Wired-Artikel sagt der Experte Clive Thompson sogar den baldigen „Tod des Tele-fonanrufs“ voraus und stützt sich dabei unter anderem auf eine Studie des Beratungsunternehmens Niel-sen. Wahrscheinlich ist diese These doch zu weit gegriffen. Tatsache ist jedoch, dass weltweit die Anzahl der Telefonanrufe zurückgeht und auch die Länge der Telefongesprä-che kürzer wird. Die Jugend nutzt halt eher andere Kommunikations-wege, um zu Ergebnissen für ihre Fragen zu kommen. Aber wie ändert sich wirklich unsere Kommunikati-onswelt und vor allem wie schnell? Call-Center-Experts sprach mit dem Experten Björn Behrendt, Ge-schäftsführer der hiogi.GmbH über dieses Thema.

Björn Behrendt ist Geschäftsführer der hiogi GmbH und der SaaS-Community-Lösung www.service-community.net. Zuvor arbeitete Herr Behrendt mehrere Jahre für KPMG Consulting, war Mitgründer der Unterneh-mensberatung 4sxs und leitete drei Jahre lang die Platform Solutions Group von eBay Deutschland. Das Studium des 34-jährigen Diplom-Kaufmanns an der Universität Ham-burg hatte die Schwerpunkte Informatik und internationales Management. Herr Behrendt hält regelmäßig Vorträge zu den Themen E-Commerce, APIs, eBay, Social Media, Mobilfunktechnologien oder über die Mone-tarisierung von iPhone-Applikationen. Fortsetzung auf Seite 5

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INTERVIEW BERATUNGSBRIEF 09/10 – SEITE 5www.Call-Center-Experts.de

die älteren Generationen begeistern. Selbst bei der Nutzung von Online-Communitys holen die über 50-Jährigen schneller auf, als man denkt. So hat Nielsen beispielsweise herausgefunden, dass 2008 der Anteil der 50-64-Jährigen in Online-Communitys um 4 Prozent gestiegen ist und der Anteil von über 65-Jährigen sogar um 7 Prozent. Der Anteil von 2–17-Jährigen hingegen sank in dem Jahr um 9 Prozent, was zeigt, dass die Silver-Surfer seit Ende 2007 ver-stärkt ihren Weg in die sozialen Netzwerke gefunden haben, wo die Jugend sich bereits seit Jahren tummelt.

Einer Ihrer Kunden ist ja auch ein Unternehmen des Otto-Versands. Nun haben Versandhändler ja eher die 55-plus- Generation als Kunden ... Das Schlafwelt-Forum und die dazugehörige iPhone-App beschäftigen sich ja mit den sehr spitz definierten Spe-zialthemen rund um gesunden Schlaf, Matratzen etc. Die Fragefrequenz ist daher noch relativ gering, aber dafür ist die Antwortqualität umso besser. OTTO hat sich für die Schlafwelt im Übrigen ja für eine interessante Zwitterlösung in unserem Leistungsportfolio entschieden. So kommen die Antworten für das Schlafwelt-Forum von den Premium hiogis auf hiogi.de, die für ihre Antworten einen finanziellen Bonus erhalten. Das Schlafwelt-Forum konnte also komplett auf das ansons-ten anfänglich notwendige Community-Building und auf den Einsatz eigener Service-Mitarbeiter verzichten.

Es gibt also genug Möglichkeiten, diese Zielgruppe zu er-reichen?Ja, letztendlich glaube ich, dass es für Versandhändler heute viele Möglichkeiten gibt, um auch die Generation 55plus ein-zubinden. Das magische Wort ist dabei „Einfachheit“. Eine Online-Chat-Möglichkeit oder eine Frage-Box zum Callcenter oder zum Kunde-hilft-Kunde-Forum sollten deutlich als ein primärer Service-Kanal im Shop verankert sein und als klare Alternative zur Hotline kommuniziert werden. Zudem sollte die Benutzung kinderleicht und selbsterklärend sein, ohne eine komplizierte Registrierung.

Können Sie da auch Zahlen nennen, also wie viele Fragen kommen so pro Tag, welche Fragen und wie alt sind die „Hil-fesuchenden“?Wir bieten Unternehmen ausschließlich Lösungen an, die wir in unserer eigenen hiogi-Wissens-Community erfolgreich im Live-Betrieb getestet haben. Insofern kann ich Ihnen gerne ei-nige Daten über hiogi mitteilen: Die hiogi-Community besteht aktuell aus rund 40.000 Mitgliedern und es werden monatlich 5.000–10.000 Fragen beantwortet. Seit dem Start unserer iPhone-Apps hat sich der Schwerpunkt deutlich zugunsten der App-Fragen entwickelt und der Anteil an SMS- bzw. direkt im Web gestellten Fragen ist zurückgegangen. Insgesamt wurden bisher über 120.000 Fragen durch die Community beantwortet und jede einzelne wurde per Vier-Augen-Prinzip vor der Versendung an den/die Fragesteller/-in überprüft.

Herr Behrendt, wie schnell wird sich das Kundenverhalten, beispielsweise bei den Versandhändlern, ändern? Früher ka-men Bestellungen per Brief, in den 80er-Jahren begann dann der Siegeszug des Telefons. MIt welcher Geschwindigkeit wird sich das jetzt wieder ändern?Die Veränderungsgeschwindigkeit und Innovationskraft werden vor allem durch Internet- und Mobilfunktechnologien

extrem ansteigen in den nächsten Jahren. Wenn Sie sich überlegen, wie viele neue Kommunikationsformen wir in den letzten 15 Jahren neu erlernt haben – SMS, E-Mail, Chat, Mi-kroblogging, Netzwerke –, dann können Sie davon ausgehen, dass in den nächsten 15 Jahren ein Vielfaches neuer Infor-mationskanäle entstehen wird. Video und virtuelle Realitäten werden hierbei meiner Ansicht nach eine wesentlich Rolle spielen und es würde mich nicht wundern, wenn die Kunden in 15 Jahren vom Versandhändler schlichtweg erwarten, dass ein interaktives 3D-Bild des nicht mehr vorrätigen Joghurts auf dem LCD-Bildschirm des Kühlschranks erscheint und sich noch schnell ein Video-Call mit dem Ernährungsberater des Versandhändlers führen lässt, bevor anschließend der „Bestellen-Knopf“ auf dem Touch-Display gedrückt wird.

Wer wird denn diese Veränderungsprozesse eher spüren, die firmeneigenen Callcenter oder die Dienstleister?Das wird alle Marktteilnehmer gleichermaßen treffen. Die firmeneigenen Callcenter werden es jedoch viel schwerer haben, sich aus den eingefahrenen Prozessen und der internen Lethargie zu befreien. Dienstleister müssen sich schneller wandeln, um am Markt bestehen zu können und um die First-Mover bedienen zu können. Früher oder später wird die Unternehmensführung aber auch die firmeneigenen Callcenter auf den Prüfstein stellen und ich habe gerade in den letzten Monaten mehrfach erlebt, wie Vorständen schlag-artig deutlich geworden ist, dass das eigene Unternehmen bereits sehr aktiv durch die Kunden im Web diskutiert wird. Diese Aha-Erlebnisse der Vorstände wurden entweder durch eine gute Online-Analyse der Mitarbeiter oder aber durch die Beobachtung des Kommunikationsverhaltens der eigenen Kinder ausgelöst.

Und was empfehlen Sie dann den Unternehmen und den Serviceverantwortlichen?Ich würde größeren Unternehmen ganz dringend empfehlen schnellstmöglich ein Team aus 2-3 jungen Agenten, einem Produktverantwortlichen und einem Supervisor zusammen-zustellen, das in einem mindestens 6-monatigen Pilotprojekt versucht, die volle Vielfalt der heute bereits etablierten Social-Media-Kanäle einzusetzen. Idealerweise wird für diesen Pilot ein innovativer und abgrenzbarer Produktbereich ausgewählt. Das Team benötigt vom Topmanagement, von allen Seiten Handlungsfreiheit und Unterstützung, um sich authentisch, offen und ehrlich auf die Kundendialoge im Web einlassen und sich öffentlich auch möglicher Kritik stellen zu können. Nach sechs Monaten sollten die gewonnen Key Performance Indi-cators (KPIs), sowie die qualitativen und weichen Erkenntnisse analysiert und durch eine Kundenbefragung ergänzt werden, um entscheiden zu können, ob die Kunden neue Dialog- und Umgangsformen schätzen bzw. ob sich durch verbesserte Kundenbindung, Suchmaschinenoptimierung, Produktver-besserungen etc. auch eine nachweisbare Umsatzsteigerung ergeben hat. Für die ROI-Betrachtung müssen alle Kosten-positionen und Wertschöpfungsbereiche analysiert werden. Forrester Research hat in der Studie “The ROI of Online Cus-tomer Service Communities“ einen guten Leitfaden erarbeitet, der im Blog von Service-Community.net nachlesbar ist. Lauf Forrester errechnet sich im Schnitt ein ROI über drei Jahre von 99 Prozent und ein Payback der getätigten Investitionen bereits nach einem Jahr, was aber in jedem Unternehmen mit eigenen KPIs belegt werden sollte.

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