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697-8/2016 | gv-praxis

B ereits seit 2009 kommt im ZDF-Casino in Mainz ein bis zwei Mal

in der Woche Fleisch aus artgerechterTierhaltung auf die Speisenkarte – alsbesonderes Highlight an der Aktions-bar. Es seien nicht die großen Mengen,die dort über den Tresen gehen, aberder Aufwand lohne sich, erklärt Pro-duktionsmanager Thorsten Krieger.Und es sei ihnen wichtig, sich für mehrTierwohl zu engagieren. Im Schnittverkauft das Köche-Team bis zu 10Prozent von den Fleischportionen.Für Schweinelachs vom Brett, das vonglücklichen Tieren stammt, zahlendie Gäste als fertiges Tellergericht

6,95 Euro. Alternativ gibt es statt desTellergerichts an der Fee-flow-Ausga-be der Aktionsbar Fleisch aus artge-rechter Haltung – wie beispielsweiseGulasch für 1,50 Euro je 100 Gramm.„Wir haben feste Preise, was uns beider Kalkulation einschränkt“, sagt derVerpflegungsbetriebswirt. Man ver-werte deshalb alle Teile vom Tier – bisauf die Innereien. „Zudem versuchenwir, das Gericht mit Fleisch aus artge-

rechter Haltung möglichst hochwer-tig zu gestalten.“ Nur wenn der Gastdas Gefühl hat, er isst jetzt etwas Be-sonderes, zahlt er auch mehr dafür.Eine Herausforderung. Den Mehr-preis kompensiere man über günstige-re Gerichte im Wareneinsatz – wie et-wa Eintopf. Im Speisenplan sind diehochwertigen Fleischkreationen mit„Fairfleisch“ gekennzeichnet. Kriegererläutert: „Wir beziehen sowohlRind- und Schweinefleisch als auchGeflügel und Kalb aus artgerechterHaltung von Fairfleisch, einem Be-trieb am Bodensee.“ Während manfür das Schweineschnitzel 20 bis 30

Prozent mehr auf den Tisch lege, be-trage der Aufpreis bei Geflügel minde-stens 100 Prozent. Gestartet habe mandamals deshalb zunächst mit Schweinund Rind, die sich als gute Einstiegs-produkte erwiesen hätten. Um dasEngagement regelmäßig wieder insBewusstsein der Casinogäste zu kata-pultieren, veranstaltet die Betriebsga-stronomie jedes Jahr eine Aktionswo-che rund um das „Fairfleisch“. „Wirwollen unsere Gäste für einen bewuss-ten Fleischkonsum sensibilisieren“,sagt Krieger. Für ihn läuft die ganzeEntwicklung viel zu langsam. „Damuss mehr passieren in Richtung

In der Gemeinschaftsgastronomie ist Fleisch aus artgerechter Haltung immer

noch ein Wunschgedanke. Unbezahlbar sagen die einen, nicht verfügbar die

anderen. Doch stimmt das? Ein Praxis-Report.

Fotos: Fairfleisch, privat, Heinrich Böll Stiftung

F L E I S C H

Fair – es geht doch!

Fleischgerichte hoch-

wertig in Szene setzen.

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FL E I S C H

Thorsten Krieger, ZDF Casino,

Mainz

Thomas Voß, LWL Kliniken

Münster und Lengerich

Bruno Jöbkes, Naturverbund

Niederrhein, Wachtendonk

Frankreich“, sagt Minister. An ihnenprangt das Gütesiegel „Label Rouge“.Es ist 1965 auf Veranlassung französi-scher Geflügelproduzenten geschaf-fen worden, die mehr Wert auf einetraditionelle und naturnahe Tierhal-tung legen, und wird im Auftrag desfranzösischen Landwirtschaftsmini-steriums vergeben. Heute steht es füreine extrem hohe Fleischqualität undTop-Haltung. Zu den Fairfleisch-Kunden zählen zu 80 Prozent Endver-braucher, 20 Prozent gehen an Ga-stronomie und Gemeinschaftsgastro-nomen, die für das Kilo Fleisch 3 Euromehr zahlen. Bei Fleischportionenvon 150 Gramm fällt für den Gast einMehrpreis von 50 Cent pro Essen an,rechnet Minister vor, der über dierichtige Kalkulation schon häufig mitKüchenchefs diskutiert hat. Denn derPreis ist und bleibt die Haupthürdebeim Einsatz von artgerechtemFleisch. „GV-Kunden müssen zudembei uns alle Zuschnitte vom Tier ab-kaufen“, nennt Minister eine weitereHürde, alles andere wäre ein absurderLuxus und eine Nichtachtung desTieres. Doch wie sieht es mit der Verfügbar-keit aus? Noch gebe es keine Engpässebei der Belieferung, sagt er. Das siehtBruno Jöbkes etwas kritischer. Er iststellvertretender Geschäftsführervom Naturverbund Niederrhein imnordrhein-westfälischen Wachten-donk. „Wenn die Nachfrage stark an-zieht, müssen wir neue Landwirte fin-den, die bereit sind, ihre Produktionauf artgerechte Tierhaltung umzustel-len“, sagt Jöbkes. Das kann sechs Mo-nate und länger dauern. Klar ist

allerdings auch: Ohne Nachfrage keinMehr an Tierwohl. Die ursprünglichkonventionell geführte „Groß-schlachterei Thönes“ stellte bereits1987 ihren Betrieb um, stiftete dieVertragslandwirte dazu an, in Rich-tung artgerechte Haltung umzu-schwenken. „Die Fleischqualität ent-sprach aufgrund der Haltungsbedin-gungen häufig nicht unseren Vorstel-lungen“, erläutert Jöbkes diedamaligen Beweggründe. So entstanddas Programm „Thönes Natur“. Ne-ben Fleisch aus artgerechter Tierhal-tung startete der Familienbetrieb1995 zudem mit der Bio-Fleisch-Schlachtung und Vermarktung. EinSchritt, der sich aus heutiger Sichtmehr als gelohnt hat, kommen doch65 Prozent der Umsätze aus dieserSchiene. Weitere 30 Prozent erwirt-schaftet das Unternehmen mit seinemNatur-Fleisch-Programm. Rund 150Landwirte der Region liefern ihre Tie-re an die etwas andere Schlachterei, dieheute in erster Linie Bio-Supermärkteund Metzgereien beliefert. Die Nach-frage aus der Gemeinschaftsgastrono-mie zieht jedoch langsam an, beobach-tet die Frischdienst Union, bundes-weiter Lieferpartner vieler GV-Ein-richtungen. Seit 2008 haben sieFleisch aus artgerechter Tierhaltungvom Naturverbund Niederrhein imAngebot. Im Segment Bio wird mitSchwein, Rind, Kalb, Pute und Hähn-chen die gesamte Range offeriert.Beim Fleisch aus artgerechter Hal-tung hat die Frischdienst Union einkleines, aber feines Sortiment anSchweinefleisch im Repertoire. Wasin diesem Segment noch fehlt, sei einpassender, glaubwürdiger Lieferantfür Geflügel, heißt es aus der Zentrale.Im Schnitt zahlt der Kunde für das

Qualitätsfleisch aus artgerechter Hal-tung 25 bis 30 Prozent mehr, bei Bio-Fleisch liege der Aufpreis noch maldeutlich höher – je nach Tierart. Ent-sprechend würden hier geringereStückgewichte angefragt – gemäßdem Motto „Klasse statt Masse“. „Vorallem Kitas und Schulen sowie Be-

Tierwohl“, sagt er mit Nachdruck.Etwas, was Matthias Minister nur un-terstützen kann. Der 54-Jährige ver-marktet seit bald 20 Jahren Fleisch ausartgerechter Tierhaltung an Endver-braucher und Gastronomie. Er ist so-zusagen ein Pionier, der sich schonfrüh für eine andere Form der „Nutz-tierhaltung“ eingesetzt hat. 95 Pro-zent der Tiere würden immer noch

konventionell gehalten, weiß der stu-dierte Agraringenieur, dem die klassi-sche Tierproduktion irgendwann zu-wider war. Mit „Fairfleisch“ versuchter etwas dagegen zu unternehmen.Schwein, Rind, Kalb und Pute beziehter von der Erzeugergemeinschaft Süd,zu der 45 Landwirte in der Bodensee-Region gehören. Alle Betriebe sind inpunkto Tierwohl zertifiziert, habendas Neuland-, Bio- oder Tierschutzla-bel. „Die Hähnchen kommen aus

Schweinefleisch aus artgerechter

Haltung ein gutes Einstiegsprodukt.

Es gilt, in der Küche das

ganze Tier zu verwerten.ODurchdachtes Konzept zum Einsatz von Fleisch aus

artgerechter Haltung entwickeln

OFleischportionen verkleinern

OAlle Teilestück des Tieres verwerten

OWeniger Fleisch und mehr attraktive vegetarische Menüs

anbieten

OGerichte hochwertig verkaufen, Mehrwert transportieren

OMischkalkulation: neben Steak aus artgerechter Haltung

günstigen Eintopf auf die Karte setzen

OMitarbeiter schulen und Gäste mit Aktion informieren

Profi-Tipps

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FLE I SCH

triebsrestaurants setzen auf Bio-Fleisch“, sagt Sara Gewohn von derFrischdienst Union. In der Kunden-liste seien aber auch zwei große Kran-kenhäuser. Unabhängig davon steigedas Qualitätsbewusstsein in punktoFleisch: Einzig die Zahlungsbereit-schaft der Verbraucher hinke hinter-her, beobachtet Gewohn. Davonkann sich Thomas Voß relativ freima-chen, der als stellvertretender kauf-männischer Direktor der LWL-Klini-ken in Münster und Lengerich seit2005 in den beiden Küchen mit je-weils 800 Essen auf den Einsatz vonBio-Produkten setzt. „Die Frage nachdem richtigen Fleisch stellt sich beiBio von ganz alleine“, stellt Voß klar.Vor sechs Jahren fiel die Entschei-dung, nur noch Bio-Schweinefleischeinzukaufen. Denn: KonventionelleSchweineställe sind ein Hochrisiko-bereich für Multiresistente Keime(MRSA). Studien aus den Niederlan-den und der LandwirtschaftskammerNordrhein-Westfalen zeigen, dass inbis zu 60 Prozent der untersuchtenBetriebe gesunde Schweine den Erre-ger in sich tragen, ein Risiko, das dieLWL-Kliniken nicht mehr eingehen

wollten. Seitdem beziehen die HäuserSchweineschnitzel und Co vom Er-zeugerzusammenschluss BiofleischNRW. Im Schnitt zahlen sie dafür 15bis 20 Prozent mehr. „Wir haben dar-über hinaus beschlossen, aus Tier-schutzgründen Putenfleisch von denSpeisenkarten zu streichen“, sagtVoß. Selbst Putenaufschnitt wurdeaus dem Sortiment verbannt, allesandere wäre inkonsequent gewe-sen. Bei Rind setzen die Klinikenpartiell auf Fleisch aus artgerech-ter Tierhaltung. Um den Mehr-preis zu kompensieren – der Tagessatzliegt bei 4,78 Euro – wurden verschie-dene Maßnahmen angestoßen. Bei-spielsweise kommen seit der Umstel-lung weniger Fleischgerichte auf dieKarte. Zudem wurden die Gargewich-te von 180 Gramm pro Portion suk-zessive auf 120 Gramm reduziert.Langfristiges Ziel seien allerdings 80

bis 100 Gramm, so Voß. Zudem kä-men statt Edelstücke vermehrt Gu-lasch, Bolognese und Fleischspießeauf die Teller bei gleichzeitigem Aus-bau der vegetarischen Menüs. Etwas,was bei den Patienten bislang sehr gutankommt, wie Befragungen zeigen.Sein Tipp: Jeder Betrieb sollte sich, be-vor er loslegt, ein vernünftiges Kon-

zept erarbeiten und genau überlegen,warum er was macht. Entscheidendfür den Erfolg sei zudem die Kommu-nikation zum Gast. Voß: „Unsere Er-fahrung hat gezeigt, dass dadurch auchnotorische Fleischesser ihre Einstel-lung verändern und kleinere Portio-nen akzeptieren.“ Sein Fazit: „Es gehtdoch, wenn man nur will.“ CZ

Matthias Minister

(re.), Gründer von

Fairfleisch, mit

Wanderschäfer.

Multiresistente Keime in

konventionellen Schweineställen.

Lesetipp: Das Buch „Iss

was?!“ stellt 63 Fragen

und Antworten für alle

vor, die wissen wollen,

was Fleisch mit uns zu

tun hat. Als Print und

kostenlose pdf-Datei

erhältlich unter:

www.boell.de/isswas