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Fachworkshop

Freiwilliges Engagement in Deutschland

Bonn, 18.12.2001

Tagungsdokumentation

Dienstsitz Berlin

Dienstsitz Bonn

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Anne Hacket • Gerd MutzMunich Inst i tute for Soc ia l Sc ience • I n tercu l tura l S tud ies of Economic L i fe and WorkMünchner Inst i tut für Sozia l forschung • I n terkul ture l l e Wir tschafts- und Arbe i tssozio log ie

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis 2

Geleitwort: Michael Bürsch 3

Einleitung 5

Teil 1: Dokumentation

1. Konzeption des Freiwilligensurvey 9

2. Diskussion 10

- zur Engagementquote 10

- zum Strukturwandel 16

- zum Motivationswandel 19

3. Konsequenzen für eine zukünftige Engagementforschung 25

- wir brauchen eine Dauerbeobachtung 27

- wir brauchen eine dynamische Engagementforschung 28

- wir brauchen qualitative Studien 30

Teil 2: Beiträge

Bernhard von Rosenbladt, Infratest 33

Helmut Klages, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften 38

Anne Hacket / Gerd Mutz , mISS 44

Thomas Gensicke, Infratest 51

Dietmar Dathe / Ernst Kistler, INIFES 57

Detlev Lück / Ruth Limmer / Andreas Klocke,

Otto-Friedrich-Universität Bamberg 61

Christina Stecker, Westfälische Wilhelms-Universität Münster 65

Programmablauf 71

Teilnehmende Personen und Institute 72

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Michael Bürsch,MdB, Vorsitzender der Enquete-Kommission "Zukunft desBürgerschaftlichen Engagements" des Deutschen Bundestags

Geleitwort

In ihrem Bericht hat die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Zukunftdes Bürgerschaftlichen Engagements" eine umfassende Bestandsaufnahme zurSituation des Engagements in den verschiedenen Handlungsfeldern undPolitikbereichen und davon ausgehend weitreichende Entwicklungsperspektiven undEmpfehlungen für die Engagementförderung vorgelegt. Bei der Erarbeitung derBestandsaufnahme konnte zwar auf zahlreiche Publikationen und Forschungsarbeitenzurückgegriffen werden. Eine wertvolle Ressource stellten auch die Stellungnahmenund Problemdarstellungen von Vertreterinnen und Vertretern aus Vereinen, Verbändenund öffentlichen Einrichtungen dar. Bereits bei der Bestandsaufnahme wurden aberauch manche Wissensdefizite und Forschungslücken offensichtlich. So lässt sich beimderzeitigen Stand der Erkenntnisse nicht genau sagen, ob und in welcher Weise sichdas bürgerschaftliche Engagement in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. DieThese vom Strukturwandel legt zwar grundlegende Veränderungen nahe und dieeinschlägigen Beobachtungen fachkundiger Experten sprechen ebenfalls für Umbrücheund neue Entwicklungen im Bereich des Engagements. Es mangelt allerdings anempirisch fundierten Daten, um präzise Aussagen über die Veränderung von Formenund Strukturen des bürgerschaftlichen Engagements treffen zu können.

Forschungsdefizite bestehen auch bei ausgewählten Bereichen des Engagements, überdie nur unzureichende Erkenntnisse vorliegen. Dies betrifft zum Beispiel dasEngagement von Migrantinnen und Migranten oder auch die Bedeutung einesEngagements für Arbeitslose.

Um den Wissensstand über das bürgerschaftliche Engagement und seine Rolle für eineaktive Bürgergesellschaft zu erweitern, empfiehlt die Enquete-Kommission deshalbeinen Ausbau der Forschungsaktivitäten und sieht dabei vor allem drei Schwerpunkte.Erstens: Um Veränderungen des Engagements über längere Zeiträume hinwegerfassen zu können, ist eine Dauerbeobachtung des Engagements notwendig. Der imAuftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgelegteFreiwilligensurvey stellt dafür eine geeignete Grundlage dar und sollte deshalb - nacheiner Überarbeitung und Ergänzung des Untersuchungsdesigns - fortgeführt werden.Zweitens: Ein weiterer Schwerpunkt sollte auf die Untersuchung der institutionellen undorganisatorischen Rahmenbedingungen gelegt werden. Dabei geht es sowohl umStudien, die die Handlungsabläufe und Strukturen in Organisationen des Dritten

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Sektors, in Initiativen und in sozialen Bewegungen in den Blick nehmen, als auch umUntersuchungen zur Bedeutung dieser Organisationen und Zusammenschlüsse für dieBürgergesellschaft und ihre Beziehungen zu Staat und Wirtschaft. Drittens: Alszusätzliche Anforderung stellt sich eine Erweiterung der Forschungsthemen undForschungsgegenstände. Dazu gehören Studien, die den Kenntnisstand über dasEngagement ausgewählter Akteursgruppen (z. B. Migrantinnen und Migranten)erweitern. Dazu gehören des weiteren Studien, die die besonderen Ausdrucksformen,Bedingungen und Hemmnisse des Engagements in unterschiedlichen Handlungsfeldernder Gesellschaft herausarbeiten, um bereichsspezifische Ansatzpunkte für eine Politikder Förderung und Unterstützung des bürgerschaftlichen Engagements entwickeln zukönnen.

Für die Erweiterung von Forschungsaktivitäten sind Veranstaltungen wie der BonnerFachworkshop mit Expertinnen und Experten sinnvoll und hilfreich. Die vorliegendeDokumentation fasst die ertragreichen und konstruktiven Diskussionen des Workshopsin gelungener Form zusammen und leistet damit einen wichtigen Beitrag zurEntwicklung von Forschungsschwerpunkten und zur Präzisierung der Fragestellungenim Bereich des bürgerschaftlichen Engagements.

Berlin, September 2002

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Einleitung

Der Deutsche Bundestag hat parallel zum Internationalen Jahr der Freiwilligen 2001 dieEnquete-Kommission Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements eingerichtet. BeideEreignisse – das Internationale Jahr der Freiwilligen und die Enquete-Kommission –haben sowohl in den Medien als auch in der Politik große Resonanz ausgelöst.Bürgerschaftliches Engagement ist somit in den letzten Jahren zu einem öffentlichenThema geworden.

Auch in der Wissenschaft wird bürgerschaftliches Engagement verstärkt analysiert unddiskutiert. Im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen Fragen zurEngagementbereitschaft in Deutschland sowie zum Struktur- und Motivwandel desEngagements. Diese Forschungen lenken den Blick vom pessimistischen Beklagenabnehmender Mitmenschlichkeit zum allgemeinen Wandel des freiwilligenEngagements. Engagement wird in einem größeren Zusammenhang diskutiert:Soziales Kapital, Zivilgesellschaft und aktivierender Staat sind die zentralen Themen.

Es fehlte eine solide und breite Datenbasis

In der Großen Anfrage an die Bundesregierung 1996 wurde angemahnt, dass einesolide und breite Datenbasis zur Beurteilung wichtiger Fragen zum freiwilligenEngagement in Deutschland fehlt. Diese Lücke sollte der Freiwilligensurvey schließen,der 1998 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)in Auftrag gegeben wurde. Der „Freiwilligensurvey – Freiwilligenarbeit, ehrenamtlicheTätigkeit, Bürgerengagement“ wurde durch den Projektverbund Ehrenamt im Jahr 1999durchgeführt.

Dem Projektverbund gehörten vier Institute an:

Infratest Burke Soziaforschung München;

Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (FÖV) bei der DeutschenHochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer;

Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung (IES) sowie das Institutfür Sozialwissenschaftliche Analysen und Beratung (ISAP).

Der Freiwilligensurvey soll einen Überblick zum Thema Engagement geben

Untersuchungsziel war es,

„ein[en] Gesamtblick zu freiwilligem Engagement in Deutschland, unterEinbeziehung verschiedener Formen wie ehrenamtlicher Tätigkeit,Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement in Initiativen undProjektgruppen und Selbsthilfe zu geben. Dabei sollen Umfang, Art,

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Strukturbedingungen und Motivation freiwilligen Engagements dargestelltwerden“,

so der Herausgeber der Studie, Bernhard v. Rosenbladt.

Es richteten sich hohe Erwartungen an den Freiwilligensurvey

Mit der Erhebung des Freiwilligensurvey wurde die bisher umfassendste Datenbasiszum freiwilligen Engagement in Deutschland gewonnen. Es wurden zum ersten Malfundierte Daten vorgelegt, die Auskunft über das Engagement in einzelnen Feldern(Sport, Kultur, Soziales etc.) geben und das Engagement ausgewählterBevölkerungsgruppen (Jugendliche, Senioren, Frauen und Männer) näher beleuchten.Vor diesem Hintergrund waren auf Seiten der Verbände, der Politik und der Engagiertendie Erwartungen an die Studie sehr hoch.

Die Veröffentlichung der Ergebnisse löste eine rege Diskussion sowohl in denOrganisationen des freiwilligen Engagements als auch in der Wissenschaft aus. Sowurde unter anderem über die Qualität der Studie und die Gültigkeit der Datendebattiert; auch die Interpretation der Daten war uneinheitlich. Im Mittelpunkt derKontroversen stand die errechnete Engagementquote, die im Vergleich zu früherenStudien mit rund 34% unerwartet hoch ausfiel. Zur Erklärung dieses Sachverhalteswurde im Rahmen des Workshops auf die grundlegende Fragestellung desFreiwilligensurvey und auf die konkrete Formulierung bei der Befragung hingewiesen.So ging es dem Freiwilligensurvey um eine umfassende und breit angelegte Erfassungdes freiwilligen Engagements, das neben den organisatorisch geregeltenEngagementformen auch informelle Tätigkeiten, Selbsthilfeinitiativen und sporadischesEngagement ermittelt. Insofern wurde in der Umfrage ein breites Spektrum vonAktivitäten in „Vereinen, Initiativen, Projekten oder Selbsthilfegruppen“ angesprochenund erfasst.

Der Workshop sollte einen Dialog mit den Kritikern aus der Fachwelt ermöglichen

Das BMFSFJ sah es als notwendig an, die kritischen Stimmen zum Freiwilligensurveyanzuhören. Es beauftragte deshalb das Münchner Institut für Sozialforschung (mISS),einen Fachworkshop durchzuführen, bei dem Kritiker zu Wort kommen und sich mit denAutoren des Freiwilligensurvey auseinandersetzen können. Sowohl die Stärken alsauch die Schwächen des Freiwilligensurvey sollten offen angesprochen werden. Zudiesem Fachworkshop wurden jene Experten eingeladen, die unmittelbar mit demDatensatz empirisch gearbeitet hatten. Dieses Vorgehen sollte ein hohes Niveau derDiskussion sicherstellen, denn es war davon auszugehen, dass bei den betreffendenPersonen eine große Sachkompetenz vorliegt. Schließlich war es Ziel desFachworkshops, das Instrumentarium der Beobachtung des bürgerschaftlichenEngagements für zukünftige Erhebungen zu verbessern.

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Der Fachworkshop fand am 18. Dezember 2001 in den Räumen der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn statt. Gisela Notz hat die Aufgabe übernommen, den gesamten Ablaufzu moderieren – ihr gilt ein besonderer Dank seitens der Organisatoren.

Am 1. Juli 2002 hat die Enquete Kommission des Deutschen Bundestages auf ihrerletzten Sitzung dieses Thema mit ausgewählten Experten diskutiert; eineBundestagsdrucksache mit einer Zusammenfassung der Debatte liegt vor.

München, im September 2002

Anne Hacket, Gerd Mutz

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Teil 1

Dokumentation

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1. Konzeption des Freiwilligensurvey

Im Freiwilligensurvey wurden Personen, nicht Organisationen befragt

Es wurde eine repräsentative Umfrage bei der Wohnbevölkerung Deutschlandsdurchgeführt. Befragt wurde eine Zufallsauswahl einzelner Personen – nicht jedochOrganisationen, wie etwa Wohlfahrtsverbände oder Vereine. Denn ein„Informationszugang über Organisationen, bei denen ehrenamtliche Mitarbeiter tätigsind, kann nur zu einer unvollständigen Sammlung von Ausschnitten führen, die nichtzu einem Gesamtbild integrierbar sind“ (Rosenbladt 2000, S. 34). Würde man denZugang zu Personen über Organisationen wählen, dann könnte man nur engagiertePersonen untersuchen, und würde die Gruppe der nicht-engagierten Bevölkerungvernachlässigen müssen. Auch die Gruppen der ‚aktiven‘ Personen, die zwar aktiv inder einen oder anderen Form in einem Bereich mitmachen aber in diesem Bereichkeine freiwillige und ehrenamtliche Aufgabe übernommen haben, könnten so nichtrepräsentativ erfasst werden.

Um das gesamte Spektrum von freiwilligen Tätigkeiten zu erfassen, war demnach einerepräsentative Stichprobe nötig, die umfangreich genug sein musste, um auchdifferenzierte Betrachtungen über Teilbereiche des Engagements vorzunehmen.

Methodische Anlage der Erhebung

Grundgesamtheit: Wohnbevölkerung Deutschlands ab 14 Jahren

Stichprobenumfang: 14.922 befragte Personen

Auswahlverfahren: Zufallsauswahl

Interviewmethode: Computergestützte telefonische Befragung (CATI)

Feldzeit: Anfang Mai bis Ende Juli 1999

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2. Diskussion

2.1. Engagementquote

Engagieren sich wirklich 22 Millionen deutsche Bundesbürger?

Die errechnete Engagementquote im Freiwilligensurvey löste eine heftige Diskussionaus. Demnach wären 34% der über 14-jährigen bundesrepublikanischen Bevölkerung inirgendeinem Bereich und in irgendeiner Form freiwillig tätig. Würde man dies für diegesamte Bundesrepublik Deutschland hochrechnen, so wären es knapp 22 MillionenBürger.

Ist eine Engagementquote von 34% ein hoher Wert?

Ob es sich bei dem Ergebnis um einen ‚hohen’ Wert handelt, hängt von demVergleichsmaßstab ab. Viele Praktiker und die Fachöffentlichkeit gehen entweder vonihren eigenen Alltagserfahrungen oder von den Ergebnissen älterer Studien aus. Soweisen etwa andere Studien aus den Jahren 1991-1997 für Deutschland eine großeSpannbreite in den Engagementquoten aus. Die Zeitbudgetstudie berichtet etwa voneiner Quote von nur 17% ehrenamtlich Engagierten für das Jahr 1991. DieEngagementquote des Speyerer Wertesurvey von 1997 liegt hingegen bei 38%.

Im internationalen Vergleich verhält es sich nicht anders: In der internationalvergleichenden Eurovol-Studie schneidet Deutschland mit 18% recht schlecht ab. DerWert von 34% engagierter Personen wäre dann eher als eine Angleichung zu andereninternationalen Ergebnissen zu interpretieren. Allerdings wäre dieser Wert im Vergleichzu der Engagementquote in der USA wiederum ‚niedrig’, denn dort errechnet sich eineGröße von rd. 50%. Die Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) bestätigenhingegen ziemlich genau die Ergebnisse des Freiwilligensurvey: Nach diesen Datensind ca. 34% der Bevölkerung in irgendeiner Form engagiert.

Diese unterschiedlichen Ergebnisse und deren Zustandekommen wurden zu Beginndes Fachworkshops diskutiert.

… es hängt von der verwendeten Methode ab

Die unterschiedliche Höhe von Engagementquoten kann in weiten Teilen durch dasjeweilige methodische Konzept erklärt werden. Im Plenum wurden Beispiele diskutiert,die aufzeigen, wie das methodische Vorgehen die Engagementquote beeinflusst.

Thomas Gensicke machte bspw. darauf aufmerksam, dass im Rahmen einerrepräsentativen Bevölkerungsumfrage ausländische Mitbürger tendenziell immerunterrepräsentiert seien. Dies liege an sprachlichen Hindernissen oder an mangelnderSachkenntnis oder schlicht an einem geringen Interesse am

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Untersuchungsgegenstand. Generell beteiligten sich ausländische Mitbürger kaum aneiner wissenschaftlichen Befragung. Deshalb liege auch in der Stichprobe desFreiwilligensurvey der Ausländeranteil nur bei ca. 3%. In der Gesamtbevölkerung sei ihrAnteil bei ca. 8%. Dies bedeute, dass die Engagementquote des Freiwilligensurveyskeine repräsentativen Aussagen über das Engagement von Ausländern zulasse. Siebeschränke sich auf die deutschsprachige Bevölkerung im Alter über 14 Jahren.

Gerd Mutz benannte ein anderes Gewichtungsproblem. So sei im Freiwilligensurveyzwar im Hinblick auf die Verteilungen nach Bundesland, Gemeindegrößen, Geschlechtund Altersgruppen gewichtet worden, nicht aber nach Bildung und sozialer Schichtung.Diese beiden Einflussgrößen seien aber nicht unerheblich. Denn wenn mit steigendemBildungsniveau und sozialem Status auch die Bereitschaft zu bürgerschaftlichemEngagement wachse, dann seien in der Stichprobe höhere Bildungsschichtennotwendigerweise überrepräsentiert. Somit sei es durchaus möglich, dass dieStichprobe nach diesen Kriterien nicht repräsentativ für die gesamte deutscheBevölkerung wäre. Und dieser Umstand bewirke darüber hinaus tendenziell eineÜberschätzung der Engagementquote.

… es hängt von dem verwendeten Konzept ab

Ein wichtiger Grund für unterschiedlich hohe Engagementquoten liegt in dem jeweilszugrunde gelegten Konzept: Geht es um das Ehrenamt, um bürgerschaftlichesEngagement oder um die Gesamtheit aller freiwilligen Tätigkeiten in Deutschland? Hierliegt ein feiner, aber gewichtiger Unterschied. Denn den unterschiedlichen Begriffen vonEhrenamt, bürgerschaftlichem Engagement oder Freiwilligenarbeit liegen verschiedeneKonzepte zugrunde, und die in diesen Konzepten zusammengefassten Tätigkeiten sindinhaltlich nicht deckungsgleich.

Einige Studien untersuchen ehrenamtliche Tätigkeiten (z.B. Zeitbudgeterhebung),während andere das bürgerschaftliche Engagement oder freiwillige Tätigkeitenanalysieren. Und je nach Studie werden innerhalb dieser Kategorien wiederumunterschiedliche Tätigkeiten dem Engagement, dem Ehrenamt oder den freiwilligenTätigkeiten zugerechnet.

Es ist also nicht erstaunlich, dass dadurch unterschiedliche Ergebnisse entstehen.

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Verschiedene Konzeptionen von Engagement

Ehrenamtliche Tätigkeiten

Das klassische Ehrenamt umfasst insbesondere Tätigkeiten, die im Rahmen einer formalisiertenOrganisation durchgeführt werden; Selbst- und Nachbarschaftshilfe sowie Aktivitäten inselbstorganisierten Bürgerinitiativen zählen nicht dazu.

Dieses Konzept wurde unter anderem in der Zeitbudgetstudie 1991 verwendet.

Bürgerschaftliches Engagement

Bürgerengagement umfasst mehr als das vertraute Ehrenamt, gemeint sind auch Aktivitäten derSelbsthilfe, der Nachbarschaftshilfe und in Projekten aller Art, die das Zusammenleben und dasFunktieren in Politik, Wirtschaft und im Bereich des Sozialen tangieren und dem Leitbild derBürgergesellschaft entsprechen. Es handelt sich somit um freiwillige und auf das Gemeinwesenbezogene Aktivitäten, denen kein Erwerbszweck zu Grunde liegt und die zu einem großen Teilgemeinschaftlich und in der Öffentlichkeit stattfinden – damit sind diese Tätigkeiten deutlich getrennt vonder bezahlten sozialen Arbeit.

Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages verwendet einen solchen qualifizierten Begriffvom Bürgerengagement.

Freiwillige Tätigkeiten

Freiwillige Tätigkeiten umfassen weitaus mehr Aktivitäten als das Ehrenamt oder das bürgerschaftlicheEngagement, nämlich alle Tätigkeiten, für die es keine unmittelbare ökonomische Notwendigkeit gibt unddie nicht entlohnt werden. Diese Tätigkeiten können, müssen aber nicht unbedingtgemeinschaftsbezogen sein.

Dies ist das Konzept des Freiwilligensurvey.

Die Engagementquote des Freiwilligensurveys ist keine Ehrenamtsquote

Gerd Mutz wies darauf hin, dass die im Freiwilligensurvey berechneteEngagementquote nicht gleichzusetzen sei mit einer Ehrenamtsquote. Insbesondere immedialen Diskurs und sogar auch in der informierten Fachöffentlichkeit werde dieserSachverhalt immer wieder falsch dargestellt. Dies geschehe insbesondere auch in derpolitischen Debatte. Es könne keine Rede davon sein, dass sich 22 MillionenBundesbürger bürgerschaftlich engagierten oder für das Gemeinwohl einsetzten. Hierkönne man auf den Hauptautor der Studie, Bernhard v. Rosenbladt verweisen, derebenfalls betone, dass das gemessene Engagement des Freiwilligensurvey nicht mitpolitisch-sozial motiviertem Engagement gleichzusetzen sei.

Die im Survey eingehenden Tätigkeiten stellen häufig einen „Teil derGemeinschaftsaktivität im persönlichen Lebensumfeld“ dar, sind in diesem Sinnegemeinwohlorientiert, jedoch nicht in einem darüber hinausgehenden politischenSinne (Bernhard v. Rosenbladt 2000, 47).

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Dies wiederum bedeute, dass der Freiwilligensurvey ein wesentlich breiteres und imgewissen Sinne auch wertneutraleres Konzept verwende – dies sei prinzipiell zubegrüßen.

... es hängt von der Frageformulierung ab

Ein weiterer wichtiger Grund für unterschiedlich hohe Engagementquoten in denverschiedenen Studien liegt in der Art und Weise, wie bei der Erhebung nach denTätigkeiten gefragt wird. Insbesondere die Erfassung von ehrenamtlichen bzw.freiwilligen Tätigkeiten scheint sehr sensibel auf die verwendete Frageformulierung zureagieren. Wird bspw. nach dem „Ehrenamt“ gefragt, so löst dies einen anderensemantischen Reiz aus, als wenn die neutrale Form der „freiwilligen Tätigkeit“ oder derBegriff „Engagement“ verwendet wird. Im ersten Fall fühlen sich Befragte, die inSelbsthilfegruppen oder in der Nachbarschaft aktiv sind, weniger angesprochen alssolche, die im Rahmen von klassischen Vereinen und Organisationen einemtraditionellen Ehrenamt nachgehen.

Unterschiedliche Frageformulierungen verschiedener Studien zum Ehrenamt,bürgerschaftlichen Engagement und freiwilligen Tätigkeiten

Die Frageformulierung der Zeitbudgeterhebung:

In der Zeitbudgeterhebung wurde Ehrenamtliche Tätigkeiten wie folgt definiert:

„Unter Ehrenamt werden Aufgaben und Funktionen im Rahmen von Organisationen – wie Vereinen,Kirchen – und öffentlichen Ämtern verstanden. Hierzu gehören unter anderem organisatorische undadministrative Tätigkeiten von Vorständen und freiwilligen Helfern sowie Stadtverordnetentätigkeiten undandere freiwillig wahrgenommene öffentliche Funktionen. Zu sozialen Hilfeleistungen gehört die direkteBetreuung und Pflege von Personen im Rahmen von Institutionen wie den Kirchen undWohlfahrtseinrichtungen, also unter anderem die praktische Unterstützung älterer Menschen im Rahmenvon Wohlfahrtsverbänden. Nicht zum Ehrenamt bzw. zur sozialen Hilfe gehören beispielsweise die reineTeilnahme an Veranstaltungen oder der Besuch einer Selbsthilfegruppe“

Die Frageformulierung im SOEP

Die Abfrage von ehrenamtlichen Tätigkeiten erfolgt im SOEP im Zusammenhang mit Freizeitaktivitätenund wird mit der Frage: „Welche der folgenden Tätigkeiten üben Sie in Ihrer Zeit aus?“ erfasst. Nebenanderen Tätigkeiten wie Hobbies usw. können die Befragten einerseits die Beteiligung in Vereinen,Verbänden oder sozialen Diensten sowie andererseits die Beteiligung in Bürgerinitiativen, Parteien und inder Kommunalpolitik angeben. Häufig werden beide Kategorien als Engagement zusammengefasst.

Die Frageformulierung im Freiwilligensurvey

Die verwendete Frageformulierung im Freiwilligensurvey schließt Tätigkeiten wie Selbsthilfe explizit in ihrKonzept von Engagement mit ein. Der verwendete Einleitungstext im Interview lautet imFreiwilligensurvey:

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„Uns interessiert nun, ob Sie in den Bereichen, in denen Sie aktiv sind, auch ehrenamtliche Tätigkeitenausüben oder in Vereinen, Initiativen, Projekten oder Selbsthilfegruppen engagiert sind. Es geht umfreiwillig übernommene Aufgaben und Arbeiten, die man unbezahlt oder gegen geringeAufwandsentschädigung ausübt.“

Folgende Frageformulierung wurde verwendet:

„Sie sagten, Sie sind im Bereich XY aktiv. Haben Sie derzeit in diesem Bereich auch Aufgaben oderArbeiten übernommen, die Sie freiwillig oder ehrenamtlich ausüben?“

Die Einschätzung der eigenen Tätigkeit als Engagement blieb der Einschätzung der Befragtenüberlassen, so dass mit dieser Erhebungsmethode ein breites Spektrum an Tätigkeiten erhoben werdenkonnte.

Die Offenheit der Frageformulierung im Freiwilligensurvey ist ein Fortschritt

Eine offene Frageformulierung, wie sie im Freiwilligensurvey verwendet wurde, kann dieVielfalt unterschiedlichster Tätigkeiten besser hervorbringen als geschlosseneAntwortformate. Diese methodische Vorgehensweise eröffnet den Blick auf das breiteSpektrum freiwilliger Tätigkeiten. So kann die Vielfalt unterschiedlichster Tätigkeiten, diein der Bevölkerung freiwillig und zumeist unentgeltlich geleistet wird, transparentgemacht werden.

Diese Offenheit bringt jedoch auch methodische Probleme mit sich: Bei 10% derangegebenen Tätigkeiten (dies entspricht 3,4% der ausgewiesenen Quote von 34%engagierter Bürger und Bürgerinnen) war unklar, ob diese Tätigkeiten dazu gehören.

Ist ein jugendlicher Discjockey freiwillig engagiert, wenn er diese Tätigkeitunentgeltlich in einem Jugendclub ausübt?

Joachim Braun erläuterte diese Zuordnungsprobleme an einem Beispiel:

Wie sei die Tätigkeit eines Jugendlichen zu bewerten, der freiwillig und unentgeltlichsamstags in einem Jugendclub als Discjockey arbeite?

Da es bei der Beurteilung eher um die subjektive Einschätzung des Befragtengegangen sei und nicht um eine formale Kategorisierung der Tätigkeiten nachklassischen Ehrenamtsmaßstäben, sei diese konkrete Tätigkeit aus dem Beispiel miteinbezogen worden. Der Grund sei, dass der Befragte diese Aktivität selbst alsEngagement bezeichnete. Somit seien Tätigkeiten in die Quote eingerechnet worden,auch wenn sie üblicherweise nicht in das klassische Raster einer ehrenamtlichenTätigkeit fielen.

Dieses Vorgehen fand bei den Teilnehmern des Workshops breite Zustimmung.

Michael Bürsch bestätigte, dass es auch in der Enquete-Kommission ‚Zukunft desbürgerschaftlichen Engagements‘ um das gesamte Spektrum von freiwilligenTätigkeiten gegangen sei und nicht nur um das klassische Ehrenamt.

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Thomas Gensicke verwies zudem darauf, dass strittige Angaben insbesondere aufInterviewerfehler zurückzuführen seien, wie zum Beispiel eine unzureichende Erfassungdurch die Interviewer. Die strittigen Tätigkeiten seien dann mit einem Sondercodeversehen worden, so dass sie für alle weiteren Datennutzer herausgerechnet werdenkönnten.

Gerd Mutz stimmte der Beurteilung von Joachim Braun in dem konkreten Beispielsfallezu. Er gab jedoch zu bedenken, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, insbesondere beiden ohnehin bekannten strittigen Fällen eine ‚konservative‘ Schätzung und somit eineBereinigung des Datensatzes vorzunehmen. Dies hätte der sozialwissenschaftlicheZweifel geboten und wäre dem Gesamtverfahren angemessener gewesen.

Kann man die Engagementquote auf die Bevölkerung hochrechnen?

Es wurde weiterhin die Frage diskutiert, ob angesichts der heterogenenUntersuchungsergebnisse bei den verschiedenen Studien eine Verallgemeinerung derEngagementquote des Freiwilligensurvey angezeigt sei. „Ist eine Hochrechnung derQuote auf die Bevölkerung Deutschlands sinnvoll?“, so die Frage von Christina Steckerund Anne Hacket. Denn eine Engagementquote, die aufgrund einer Stichprobeberechnet worden sei, könne nur einen Anhaltspunkt für die tatsächlicheEngagementquote in der Bevölkerung sein. Sie solle aufgrund ihrer methodischen Basisjedoch nicht überbewertet werden.

Welche Rolle spielt die Engagementquote für die Diskussion in Wissenschaft undPolitik?

Eckhard Priller bezeichnete die Diskussion um die Höhe der Engagementquote als„irreführend“. Denn methodische Fragen und der Forschungskontext seien letztlichausschlaggebend für die Ergebnisse. Dennoch habe jede Untersuchung und jedeStichprobe ihren spezifischen Wert. Außerdem sei es gerade in diesem Forschungsfeld,in dem es viel Bewegung gebe, auch mit Hilfe der quantitativen empirischenSozialforschung nicht immer möglich, nur „harte Facts“ zu liefern, die in jeder Hinsichtbelastbar seien.

Thomas Olk war der Ansicht, dass die Diskussion um die Höhe der Engagementquoteals eine Stellvertreterdiskussion zu bewerten sei. Es ginge seiner Ansicht nach um dieBefürchtung, dass sich die Politik aufgrund der beeindruckenden Anzahl freiwilligengagierter Personen aus diesem Politikfeld zurückziehen könnte. Dies habe sichdankenswerterweise jedoch nicht bestätigt: Trotz des positiven Ergebnisses werde vonpolitischer Seite Handlungsbedarf im Bereich des freiwilligen Engagements gesehen.

Michael Bürsch nahm dieses Argument auf und bestätigte die Ansicht von Thomas Olk,dass eine hohe Engagementquote kein Grund dafür sein dürfe, die Diskussion um dieZukunft des bürgerschaftlichen Engagements zu verkürzen. Zudem ginge es ohnehin in

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erster Linie nicht um Quantitäten: Ob sich nun 20 oder 40 Prozent der Bevölkerungengagierten, sei nicht von vorrangiger Bedeutung. Der errechnete Umfang von 22Millionen engagierter Bürger stelle seiner Ansicht nach nur eine Richtgröße dar undkönne eher als eine Momentaufnahme interpretiert werden.

Wichtiger seien Forschungsergebnisse zur Bedeutung und zum gesellschaftlichen Wertfreiwilliger Tätigkeiten für die unterschiedlichsten Bereiche der Zivilgesellschaft. Auchdie Enquete-Kommission sei stärker an diesen qualitativen Fragen interessiert.Wichtiger Ausgangspunkt sei, dass ein großer Teil der Bevölkerung mit seinemEngagement die Lebensumwelt gestalte und einen wichtigen Beitrag in der Gesellschaftleiste.

Christina Stecker machte zudem darauf aufmerksam, dass das bekundeteEngagementinteresse – welches in dem Engagementpotential durch Daten desFreiwilligensurveys berechnet wurde – nicht gleichzusetzen sei mit einer tatsächlichenAbsicht, in Zukunft freiwillige Tätigkeiten zu übernehmen. Auch solle man sich davorhüten, freiwilliges Engagement zu instrumentalisieren und Engagierte als„Schattenarmee“ zu betrachten. Erwerbstätigkeit könne durch freiwilliges Engagementnicht kostengünstig ersetzen werden.

Gibt es einen steigenden oder sinkenden Trend zum Engagement?

Ob es jedoch einen steigenden oder sinkenden Trend zum Engagement gibt, kann auchder Freiwilligensurvey nicht beantworten. Zu unterschiedlich sind die Konzeptionen undMessungen der vorangegangenen Studien, um einen wissenschaftlich seriösenVergleich durchzuführen und auf solche prozessorientierten Fragen einzugehen. Nureine Wiederholung des Freiwilligensurveys in regelmäßigen Abständen und mitidentischem Messkonzept könnte über diese Fragen Aufschluss geben.

2.2. Strukturwandel

Neben der Entwicklung der Engagementquote war in dem Fachworkshop ein zweitesThema von Interesse. Es ging um die Strukturveränderungen innerhalb desEngagements. Werden zukünftig, wie von Sozialwissenschaftlern behauptet, ‚neue‘Engagementformen weiterhin zunehmen? Gemeint sind eher selbstbestimmte undprojektförmige Engagementformen, die tendenziell einen niedrigen Organisationsgradund überwiegend informelle Strukturen aufweisen. Und: Werden durch deren Zunahmetraditionelle Formen des Ehrenamtes, etwa im Rahmen von Wohlfahrtsverbänden undVereinen, an Bedeutung verlieren? Kurz gefasst ging es um die Debatte um ‚alte’ vs.‚neue’ oder ‚traditionale’ vs. ‚moderne’ Engagementformen.

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Die Diskussion des Strukturwandels im Überblick

Die Teilnehmer bezweifelten nicht, dass im Engagementbereich ein ähnlicher, tiefgreifender Strukturwandel stattfinde wie im Bereich der Erwerbsarbeit. In denvergangenen Jahren habe der Umfang selbstbestimmter und projektbezogenerTätigkeiten außerhalb formal organisierter Institutionen zweifellos zugenommen.Entsprechend habe das dauerhaft ausgeübte traditionelle Ehrenamt in verbandlichenOrganisationen – zumindest anteilig – abgenommen.

Alle Teilnehmer betonten jedoch, dass eine Zunahme ‚neuer’ Engagementformen nichtbedeute, dass ‚alte’ Engagementformen ihren gesellschaftlichen Wert verloren hätten.

Der Freiwilligensurvey zeigt die Vielfältigkeit des Engagements

Der Freiwilligensurvey zeige als erste repräsentative Studie deutlich die breiteAuffächerung des freiwilligen Engagements. Dies wurde vom Plenum als Vorteil in derKonzeption des Freiwilligensurvey gesehen.

So werde durch die Daten deutlich, dass sich viele Menschen nicht nur in Verbändenund Vereinen engagierten, sondern zu einem großen Teil in informellen Strukturen, dieein hohes Maß an Beweglichkeit und Gestaltungsmöglichkeiten erlaubten. Vermutetwurde, dass dies den veränderten Bedürfnislagen der Menschen entgegenkomme.

Auch die Bereitschaft, sich für einen langen Zeitraum und kontinuierlich zu engagieren,sei heutzutage geringer ausgeprägt, insbesondere wenn es sich um Aktivitätenhandele, die ein Eintreten für übergeordnete, der Allgemeinheit dienende Zielebedeuteten. Es steige jedoch der Wunsch, ein Engagement in informellen Strukturen zuübernehmen. Dieses Engagement sei meist projektgebunden und deshalb nur auf einebestimmte Zeit ausgerichtet. Es finde häufiger außerhalb von Organisation statt undbestehe oft in spontanen Zusammenschlüssen von Menschen, die ein bestimmtes Zielverfolgten.

Als Beispiel wurde die Organisation eines interkulturellen Straßenfestes oder derZusammenschluss zu einer Bürgerinitiative genannt – sei das Fest zu Ende oder dasZiel der Initiative erreicht, dann löse sich die Gruppe der Engagierten wieder auf.

In diese Richtung weisen auch empirische Ergebnisse, die anhand der Daten desSOEP berechnet und in dem Impulsreferat von Dietmar Dathe vorgestellt wurden. DerAnteil derer, die sich sporadisch engagierten, sei in den letzten Jahren gestiegen; dassporadische Engagement nehme heutzutage einen Großteil des gesamtenEngagements ein.

Die Teilnehmer waren sich allerdings einig, dass sporadisches und zeitlich gebundenesEngagement nicht gleichzusetzen sei mit einer grundsätzlich unverbindlichen Haltungzum Engagement. Im Gegenteil: Qualitative Studien wie etwa die von Irene Kühnlein

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(MPS, München) zeigten deutlich, dass auch dieser Personenkreis das Engagementsehr ernst nehme und in sehr bewusster Weise gesellschaftliche undgemeinschaftsbezogene Ziele verfolge.

Über Veränderungsprozesse kann der Freiwilligensurvey noch nichts aussagen

Der Freiwilligensurvey kann noch keine befriedigenden Aussagen überStrukturentwicklungen treffen – hier gilt das bereits Gesagte zu einer Veränderung derEngagementquote. Solange es keine Vergleichsdaten auf gleicher Erhebungsbasis gibt,sind solche Behauptungen aus dem Freiwilligensurvey nicht abzuleiten. Erst durch eineWiederholung des Freiwilligensurvey können Fragen zum Strukturwandel desEngagements beantwortet werden.

Der Wert des Freiwilligensurveys liegt auf einer anderen Ebene: Er zeigt, wie obendargestellt, die Vielfalt und Heterogenität des freiwilligen Engagements.

Exkurs: Die Aufteilung der freiwilligen Tätigkeiten im Freiwilligensurvey:

Aktiv Beteiligte in % davon freiwillig Engagierte %

(1) Sport und Bewegung, 37 11

(2) Freizeit und Geselligkeit, 25 6

(3) Kultur und Musik, 16 5

(4) Schule/Kindergarten, 11 6

(5) Sozialer Bereich, 11 4

(6) kirchlicher/religiöser Bereich, 10 5

(7) Berufliche Interessenvertretung, 9 2

(8) Umwelt- und Naturschutz, Tierschutz, 8 2

(9) Politik/politische Interessenvertretung, 6 3

(10) Außerschulische Jugendarbeit,

Bildungsarbeit für Erwachsene, 6 2

(11) Rettungsdienste/Freiwillige Feuerwehr, 5 2

(12) Gesundheitsbereich, 5 1

(13) Justiz/Kriminalitätsprobleme 1,5 1

(14) Sonstige bürgerschaftliche Aktivitäten

am Wohnort. 5 1

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2.3. Motivationswandel

Mit den neuen Formen des Engagements haben sich auch die Motive zurÜbernahme des Engagements gewandelt

In einem dritten Schwerpunkt des Fachworkshops ging es um den Motivationswandel.

Übereinstimmend wird in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion von einemMotivationswandel zur Übernahme bürgerschaftlichen Engagements gesprochen. Dermotivationale Wandel wurde bereits 1987 wie folgt charakterisiert:

„An die Stelle der bedingungslosen Hingabe an die soziale Aufgabe unterVerzicht auf die Befriedigung eigener Bedürfnisse und Interessen tritt heute derWunsch nach einem freiwillig gewählten Engagement, das sich zeitlich deneigenen sonstigen Bedürfnissen und Interessen anpassen lässt und die eigenenKräfte und Möglichkeiten qualitativ nicht übersteigt“.

So damals bereits ein Teilnehmer des Fachworkshops, Thomas Olk.

Ein solcher Motivationswandel von der karitativen Pflichterfüllung zu einer reziprokenBeziehung des Gebens und Nehmens bis hin zur Dominanz hedonistischer Motivewurde in späteren Untersuchungen und Veröffentlichungen immer wieder aufgegriffen.

Derartige Veränderungen werden häufig mit einem übergreifenden gesellschaftlichenWertewandel in Verbindung gebracht und als ein Grund für die ‚Krise des traditionellenEhrenamtes‘ genannt. Christliche Pflichterfüllung (bei sozialen Aufgaben) odergewohnheitsmäßige Teilhabe an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen (beiVereins- und Verbandstätigkeiten), wie sie dem traditionalen Ehrenamt zugeordnetwurden, seien heute nicht mehr vorrangig. Heute suchten die Menschen eher nachselbstbestimmten und zeitlich überschaubaren Engagementformen; auch dieErwartungen an persönliche Zufriedenheit seien gestiegen. Neben demGemeinwohlbezug würden sich Eigeninteressen zunehmend in den Vordergrundschieben.

In wie weit es sich bei den genannten Aspekten um mehr oder weniger auf persönlicheAlltagserfahrungen beruhende Vorurteile handelt oder ob derartige Tendenzenempirisch belegt werden können, war im Fachworkshop nicht abschließend zu klären.Die Debatte konzentrierte sich für kurze Zeit auf eine besondere Dimension, die immerwieder als empirischer Beleg für die behaupteten Tendenzen herangezogen wird: dieKategorie ‚Spaß’.

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‚Spaß‘ am Engagement und Orientierung am Gemeinwohl schließen einandernicht aus

In älteren Studien zählten gemeinwohlorientierte Motive zu den am meisten geäußertenAntworten. In aktuelleren Studien ist dies nun anders. An prominenter Stelle wird oft‚Spaß beim Engagement‘ genannt. Dieser Sachverhalt wurde in wissenschaftlichen undmedialen Diskussion überwiegend kritisch aufgenommen. Immer wieder wurde vor dennegativen Folgen eines solchen Motivationswandels gewarnt. Ein Hintergrund dafür ist,dass ‚Spaß haben’ meist mit Egoismus, Unzuverlässigkeit und mangelnder Hingabeassoziiert wird.

Exkurs: die Rolle des Spaßes für die Übernahme des Engagements:

Der häufig konstatierte Motivationswandel für die Übernahme eines Engagements scheint durch dieZunahme von hedonistischen und eigennützigen Motiven gekennzeichnet zu sein. So lassen einigeUntersuchungen darauf schließen, dass der Spaß an einer freiwilligen Tätigkeit für die Engagiertenwichtiger geworden ist und damit die Bedeutung karitativer und gemeinwohlorientierter Motive abnehme.So sieht auch Christina Stecker In der Diskussion um den Motivationswandel des Engagements dieGefahr, dass Motive wie Spaß und Eigennutz überbewertet und andere Motive vergessen würden. Auchsei die Datenlage in diesem Bereich unklar, da frühere Studien den Spaß am Engagement nicht odernicht in dieser Form thematisiert hätten.

Aber kann der Spaß am Engagement auch das handlungsleitende Motiv zur Übernahme einesEngagements sein? Würde man hingegen fragen, welcher Tätigkeit sie nachgehen würden, um dasBedürfnis nach Spaß zu befriedigen, so würde vermutlich der größte Teil der Befragten keine Tätigkeit imBereich des Engagements angeben, sondern eher auf Hobbys und Freizeitaktivitäten verweisen.Gemeinschafts- und selbstbezogene Motive müssen sich nicht ausschließen. Die Aufwertung vonSelbstentfaltungswerten, die im Rahmen der Wertewandelforschung und des Motivwandels desEngagements immer wieder beschrieben werde, gehe nicht einher mit einer ‚Ego-Gesellschaft‘ oder einerGesellschaft der ‚Ichlinge‘ – so auch die Meinung des Münchner Sozialpsychologen Heiner Keupp. DieBereitschaft zum freiwilligen Engagement werde durch diesen Wertewandel nicht etwa eingeschränktoder unterminiert, sondern vielmehr vorangetrieben und unterstützt. Es stelle sich also mehr so dar, dassneben dem Interesse an dem Gemeinwohl und karitativen Motiven das berechtigte Interesse formuliertwerde, dass diese Tätigkeit nicht nur anderen nütze, sondern auch dem Engagierten zusätzlich Freudebereite. Es gebe sogar Hinweise darauf, dass entgegen der gängigen Meinung gerade dieses zu einemlängerfristigen Engagement beitrage.

Spaß zu haben sei, wie Gerd Mutz ausführte, ein Oberbegriff für Sinnerfüllung und Gestaltungsfähigkeitgeworden, der sich in den letzten Jahren zu einer basalen Anforderung an alle Tätigkeiten (auchErwerbstätigkeit und Familientätigkeiten) entwickelt habe. Leider werde in keiner Untersuchung diesubjektive Bedeutung von ‚Spaß‘ genauer eruiert, so dass offen bleiben müsse, was sich hinter diesersehr allgemeinen Formulierung für die Befragten verberge.

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Irene Kühnlein hat kürzlich die unterschiedlichen Ergebnisse zum Motivationswandel wie folgt zusammengefasst:

„Es ist sehr viel plausibler, dass sich der erwartete Spaß gerade aus der Zufriedenheit und innerenErfüllung durch eine (durchaus anspruchsvolle) Aufgabe speist, die freiwillig erbracht wird und denpersönlichen Werten und Zielen entspricht. „Spaß“ in diesem Sinne würde dann eine übergeordnetemotivationale Basis darstellen, auf der eine oder mehrere als sinnvoll erachtete Tätigkeiten ausgeübtwerden. Der individuelle wahrgenommene ‚Spaß’, die subjektive Befriedigung durch das Engagementkann dann resultieren aus dem Erleben, einen Beitrag zum Wohlergehen von Einzelnen oder zurVeränderung der Gesellschaft zu leisten, die eigene Wirkmächtigkeit zu erleben und dafür auchAnerkennung zu erhalten oder sich als Teil einer Gemeinschaft zu erleben“.

Auch der Freiwilligensurvey beweist: Spaß ist wichtiger Bestandteil desEngagements

Der Freiwilligensurvey hat zum Ziel, die Motivationen für freiwillige Tätigkeiten zuuntersuchen.

Auf den ersten Blick unterstreicht der Freiwilligensurvey die herausragende Bedeutungder Kategorie ‚Spaß’. Denn die Erwartung „die Tätigkeit soll Spaß machen“ steht – wasdie Wichtigkeit betrifft – mit der Erwartung, dass „man mit sympathischen Menschenzusammenkommt“ an der Spitze der Erwartungen. Dies geht einher mit altruistischenMotiven: etwas für das Gemeinwohl tun und anderen Menschen helfen.

Was wird gefragt, berechnet und schließlich gesellschaftlich bewertet:‚Erwartungen an das freiwillige Engagement’ oder das ‚Motiv, sich freiwillig zuengagieren’?

Wie Gerd Mutz in seinem Impulsreferat deutlich machte, seien im Freiwilligensurveykeine Motive, sondern Erwartungen an die freiwillige Tätigkeit abgefragt worden.Sozialwissenschaftliche und insbesondere psychologische Untersuchungen zeigtendeutlich, dass Motive und Erwartungen voneinander unterschieden werden müssten,weil sie nicht das gleiche bedeuteten. Aus seiner Sicht sei dies ein gewichtiger Grund,dass der Freiwilligensurvey es nicht zulasse, Aussagen über die Motive zur Übernahmeeines Engagements abzuleiten.

Dieser Einschätzung wurde von Thomas Gensicke widersprochen. Auch wennErwartungen und Motive nicht das selbe bedeuteten, so hingen beide sehr wohlmiteinander zusammen. Wenn man die Erwartungen abgefragt habe, könne mandeshalb retrospektiv auf die Motive zur Übernahme eines Engagements schließen.Denn diese seien häufig aus der sozialen Lebenssituation der Personen ableitbar. Sosei es für ihn offensichtlich, dass sich beispielsweise Hausfrauen deshalb engagierten,weil sie neben der Familie auch in anderen Bereichen tätig werden wollten. Auch dasEngagement von Eltern im schulischen Bereich könne leicht durch eigene Kinder indieser Schule erklärt werden.

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Gerd Mutz vertrat dagegen die Ansicht, dass man Motive auch hätte abfragen können,wenn man den Unterschied zu Erwartungen schon einräume. Ein nachträglichesInterpretieren der Erwartungskategorie im Hinblick auf die verborgenen Motive bergeFehlerquellen, die man so hätte vermeiden können.

Können Motive mit quantitativen Erhebungen erfasst werden?

Gerd Mutz gab darüber hinaus zu bedenken, dass eine Untersuchung von Motiven miteinem quantitativen Forschungsdesign immer verkürzt bleibe, weil Motive mitvorgegebenen Antwortkategorien nicht adäquat zu erfassen seien.

Antwortkategorien könnten von den Befragten lediglich zugestimmt oder abgelehntwerden. Motive, die in diesen Kategorien keine Erwähnung fänden, könnten somit auchnicht erfasst werden. Insbesondere in diesem Feld könnte es aber eine Reihe von‚neuen’ Motiven oder spezifische Motivbündel geben, die Forscher bei der Konstruktionvon Antwortkategorien vorab gar nicht wüssten. Dies gelte erst recht, wenn man an derEntwicklung von Motiven und der Neubewertung von verschiedenen Tätigkeiteninteressiert sei. Motive, die Forscher für nicht relevant hielten und deshalb nicht miteinbezögen, könnten für einen Teil der Befragten aber von erheblicher Bedeutung sein.

Auf diese Sachverhalte wies auch Thomas Olk hin. Die Abfrage von Motiven mitvorgegebenen Kategorien sei auch deshalb problematisch, weil komplexe innereEinstellungen nicht erfasst werden könnten – um die gehe es aber gerade. Imderzeitigen Forschungsdesign erhalte man allenfalls individuelle Vorstellungen von dereigenen Motivation – das Autostereotyp – und das im Bewusstsein festsitzendeSelbstbild.

Anne Hacket stimmte dem ebenfalls zu und wies auf die zusätzliche Problematik hin,die sich durch Telefoninterviews ergäben: Hier sei das Spezifikum, dass die Befragtenrelativ schnell auf die vorgegebenen Antwortkategorien reagieren müssten. Dahertendierten die Befragten dazu, allgemein übliche Antwortkategorien zu bestätigen.

Mit einem quantitativen Forschungsdesign könne immer nur das in Erfahrung gebrachtwerden, was in der Forschungsheuristik der Wissenschaftler vorab schon enthaltengewesen sei. Die Folge sei deshalb, dass wir immer noch zu wenig über denMotivationswandel wüssten.

Diese Einsicht erfordere nach Ansicht der genannten Diskutanten zwingend den Einsatzqualitativer Forschungsinstrumente. Ein solches Konzept, das, wie in anderen Studienlängst gezeigt, umstandslos mit einem quantitativen Design verknüpft werden könne,müsste zum einen stärker in die Tiefe gehen und psychosoziale Momenteberücksichtigen. Zum anderen müsse dem Rechnung getragen werden, dass sichMotive im Zeitverlauf veränderten. Mehrmalige Tiefeninterviews wären folglich

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notwendig, um Fragen der Kontinuität, des Abbruchs oder der Wiederaufnahmebeantworten zu können.

Die Einschätzung, dass mit den Daten des Surveys nichts über Motivationen ausgesagtwerden könne, wurde von Thomas Gensicke jedoch zurückgewiesen.

Erfassung von Motiven durch quantitative oder qualitative Studien

Motive sind handlungsleitende Individualstrukturen. Sie sind den Personen in der Regelbewusst verfügbar, sehr häufig aber auch unbewusst wirksam. Sie sind performativ unddeshalb direkt abrufbar und handlungswirksam. Sie sind oft aber auch latent vorhandenund somit nicht direkt zugänglich. Dies erschwert – wie aus der psychologischenForschung bekannt – die Untersuchung von Motiven. Auch können sich Personen überihre eigenen Motive täuschen.

Mit quantitativen Erhebungsmethoden, die geschlossene Antwortkategorien vorgeben,werden insbesondere solche Aussagen erfasst, die schnell und bewusst verfügbar undperformativ sind. Un- oder vorbewusste Motive und latent wirksame sowie komplexeMotivkombinationen können nicht erfasst werden – oder müssen im Nachhinein in dieAuswertungen hineininterpretiert werden.

In qualitativen Studien werden mit den Befragten Tiefeninterviews durchgeführt. Eswerden relativ wenig Vorgaben verwendet, um den Interviewten die Möglichkeit zugeben, ihr eigenes Relevanzsystem zu entfalten und ihre ‚Geschichte‘ nach eigenerRegie zu erzählen. So vermag es dieses methodische Vorgehen eher, im Laufe einesInterviews handlungsleitende Motivstrukturen bewusst und performant werden zulassen.

Dieser (gewollten) Komplexität entsprechend werden in qualitativen Verfahrenaufwendige und komplizierte Auswertungsmethoden verwendet. So können selbstimplizite Motivationsmuster bei der Auswertung leichter erkannt und rekonstruiertwerden.

Qualitative Verfahren haben zudem den Vorteil, dass sie kontextsensibel sind: Diesbedeutet, die Befragten können gemäß ihrer individuellen Situation darüber berichten,ob ihr Engagement mit anderen Tätigkeiten in Konflikt steht, wie in der eigenen Familiedas Zeitmanagement aussieht, in welcher Form das Engagement gut und ergänzend zuanderen Tätigkeiten passt usw. So wird die Kombination und der wechselseitige Bezugverschiedener Tätigkeiten deutlich.

Handlungsleitende Motive werden nicht isoliert, sondern eingebettet in einerLebenslage, im sozialen Umfeld, im Rahmen der eigenen biographischen Situation usw.gesehen. So könnte man etwa auch besser heraus finden, welche Bedeutung dasReizwort ‚Spaß’ für die Befragten hat und welche Bedeutung sie diesem Empfinden

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beimessen – wir könnten erfahren, ob ‚Spaß’ nur einen hedonistischen Ursprung hatoder sich durchaus auch mit verantwortungsvollem Handeln verknüpft.

Der Blick muss sich auf das Spannungsfeld von Engagement mit anderenTätigkeiten richten

Thomas Olk wies auf einen weiteren wichtigen Sachverhalt hin: BürgerschaftlichesEngagement sei für die Menschen ein Handlungsfeld neben vielen anderen Tätigkeiten.Sie könnten einander ergänzen oder stünden in Konkurrenz zueinander. DieseTätigkeitsbereiche, insbesondere die Erwerbsarbeit und Familientätigkeiten, spielten beiden Motivationen zum Engagement eine große Rolle.

Bürgerschaftliches Engagement müsse zudem immer im Rahmen der eigenenBiographie und der aktuellen Lebenssituation gesehen werden – mit ihr variierten auchdie Motive. Ältere seien anders motiviert als Jüngere; Menschen in der Familiensituationhätten andere Motive als Singles oder Alleinerziehende; Arbeitslose seien ebenfallsanders motiviert als Erwerbstätige oder Rentner usw.

Fazit sei, dass man die Motive zu bürgerschaftlichem Engagement nicht isoliertbetrachten dürfe – was einen quantitativen Zugang enorm erschwere und für dieVerwendung von qualitativen Methoden spreche.

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3. Konsequenzen für eine zukünftige Engagementforschung

Mit neuen Fragestellungen das Datenmaterial vielfältig ausschöpfen

In der abschließenden Diskussion zu den Folgerungen für eine zukünftigeEngagementforschung wurde an vielen Stellen deutlich, dass das Potential desFreiwilligensurvey noch nicht ausgeschöpft ist.

Insbesondere Joachim Braun wies darauf hin, dass noch vielfältige Forschungsfragenmit dem vorliegenden Datenmaterial bearbeitbar wären. So seien damals während derPhase der Festlegung der Berichtsfelder und der Ergebniserarbeitung die Themen zumfreiwilligen Engagement noch nicht so breit diskutiert worden wie heute. Eine Vielzahlder Fragestellungen, die nun durch die politische Diskussion stärker fokussiert würden,könnten mit dem Survey durchaus auch noch nachträglich bearbeitet werden. Dies seioft lediglich eine Frage des Arbeits- und Kostenaufwandes.

Jürgen Fuchs stellte ebenfalls anheim, dass das umfangreiche Datenmaterial ja nunnachträglich von anderen Forschern zu je unterschiedlichen Fragestellungen bearbeitetwerden könne. So ließe sich das Potential der Daten – auch von einer breitenFachöffentlichkeit – optimal nutzen. Dies sei seitens des Ministeriums durchauserwünscht. Wenn bei der Analyse weitere sinnvolle Fragestellungen auftreten würden,so könnten diese für zukünftige Studien genutzt werden um den Survey weiter zuentwickeln.

Die Differenzierungsmöglichkeiten im Datenmaterial nutzen

Dem stimmte auch Thomas Gensicke prinzipiell zu. Er machte darauf aufmerksam,dass bisher erst wenige Länderauswertungen mit dem Freiwilligensurvey vorlägen.Auch die Differenzierungsmöglichkeiten, die im Datensatz bereits angelegt seien,könnten noch besser ausgeschöpft werden. So könnten z.B. die Aktivitäten vonHochengagierten im Vergleich zu geringer Engagierten untersucht werden. Oder mankönne sich auf diejenigen Engagierten konzentrieren, die den Wunsch äußerten, innaher Zukunft ihre Tätigkeit zu beenden.

Einzelne Engagementbereiche ausführlich betrachten

Gerd Mutz stellte zur Diskussion, ob nicht einzelne Engagementbereiche eigensuntersucht werden sollten – wie es exemplarisch im Bereich des Sports von Bernhardv. Rosenbladt durchgeführt worden sei. Von großem Interesse seien auch bestimmteZusammenhänge, wie zum Beispiel das Verhältnis von Erwerbsarbeit zum freiwilligenEngagement. Zu fragen sei auch, warum das umfangreiche Datenmaterial nicht mitmultivariaten Verfahren ausgewertet worden sei – was sich bei diesem Datensatz jaangeboten hätte.

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Durch Machbarkeitsstudien neue Themenfelder testen

Joachim Braun wies auf die Möglichkeit hin, Machbarkeitsstudien durchzuführen. ImRahmen von Machbarkeitsstudien könne relativ einfach und kostengünstig geprüftwerden, welche Forschungsfragen zukünftig aufgenommen werden sollten. Es könnedann auch geklärt werden, ob die jetzige Konzeption des Freiwilligensurvey verändertwerden müsse. Letzteres sei besonders wichtig, um neue Themenfelder methodischentsprechend einzupassen.

Die Rolle intermediärer Organisationen untersuchen

Gisela Notz kritisierte, dass man nun sehr viel durch die Erhebung von Individualdatengewonnen habe, aber dadurch die Organisationszusammenhänge außer Acht gelassenworden seien. Sie mahnte deshalb an, die Organisation als eine eigenständigeAnalyseeinheit zu untersuchen. So könne man damit beispielsweise die Frage nachdem Verhältnis von Hauptamtlichen und Engagierten nachgehen. Auch WolfgangLinckelmann und Michael Bürsch sahen Wissenslücken auf der organisationalenEbene.

Zusätzlich sei das Engagement bestimmter Personengruppen, etwa von Aussiedlern,Migranten und Ausländern, noch ein „weißer Fleck“ in der Engagementforschung, denes zu beheben gelte. Auch wenn man vermute, dass das Engagement dieser sozialenGruppen geringer ausgeprägt sei, so könne es – wenn es mit ihrer nationalen Identitätgekoppelt sei – sogar stärker sein als von deutschen Personen.

Das Engagement von Unternehmen untersuchen

Wolfgang Linckelmann und Michael Bürsch mahnten ebenfalls an, zukünftig dasunternehmerische bürgerschaftliche Engagement zu berücksichtigen. Dies sei inDeutschland ein neues, wichtiges Thema, das man nun in die Untersuchungen zumfreiwilligen Engagement mit einbeziehen solle. Erste Fallstudien hätten bereitsErkenntnisse über das Engagement ausgewählter Großunternehmen erbracht. Ebensoein „weißer Fleck“ sei aber insbesondere das Engagementverhalten kleiner undmittelständischer Unternehmen, über das wir so gut wie gar nichts wüssten.

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Wir brauchen eine Dauerbeobachtung

Eine regelmäßige Wiederholung des Freiwilligensurveys kann Entwicklungen imBereich des Engagements aufzeigen

Wie Thomas Gensicke in seinem Impulsreferat darlegte und in der anschließendenDiskussion erörterte, könnten Veränderungen im Bereich des Engagements erst durchmehrfache Wiederholungen festgestellt werden. Erst dann könnten über dieEntwicklung der Engagementquote, ein sich veränderndes Engagementpotenzial sowieStruktur- und Motivationswandel valide Aussagen getroffen werden. Es müsse durchdie regelmäßige Wiederholung des Survey eine Zeitreihe aufgebaut werden, umquantitative Entwicklungen sichtbar zu machen und entsprechende politischeMaßnahmen abzuleiten. Deshalb sei eine Wiederholung der Befragung inZeitabständen von 3-4 Jahren vorzuschlagen, so dass es nun an der Zeit sei, eineFortführung des Freiwilligensurvey zu beschließen.

Auch Thomas Olk forderte eine Verstetigung der empirischen Forschung im Bereichdes Engagements – am effektivsten wäre eine sich wiederholende Dauerbeobachtungmit je unterschiedlichen Schwerpunktthemen.

Eine solche institutionalisierte Dauerbeobachtung des freiwilligen Engagements, diedurch Freiwilligensurveys sichergestellt werden könnte, wurde insgesamt vom Plenumbegrüßt.

Eine Dauerbeobachtung braucht Kontinuität in ihrem Kerninstrumentarium

Joachim Braun wies darauf hin, dass das Kerninstrumentarium des Survey beibehaltenwerden müsste. Nur dann könnte man die Ergebnisse verschiedener Erhebungenvergleichen.

Dem stimmte Thomas Olk zu und präzisierte, dass man im Prinzip jeweils dasselbeKonzept und dieselbe Methode anwenden müsste.

Eine Ergänzung bzw. Erweiterung des Freiwilligensurveys wäre möglich

Würde man das Kerninstrumentarium des Freiwilligensurveys beibehalten, dann kämees bei einer Wiederholung des Surveys darauf an, genauer herauszuarbeiten, umwelche Themenfelder und Schwerpunkte eine Erweiterung bzw. Ergänzung angezeigtsei.

Thomas Gensicke regte anschließend an Thomas Olk an, immer wieder neue Aspekteund Themenschwerpunkte in den jeweiligen Erhebungswellen abzufragen. Allerdingsgab er zu bedenken, dass einer Erweiterung des Fragenkatalogs auch Grenzen gesetztseien, da die Kernerhebungsinstrumente bereits relativ umfangreich seien.

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Die Anregungen von Thomas Gensicke und Thomas Olk ergänzte Gerd Mutz mit demVorschlag, nach dem Vorbild der Shell-Studie zu verfahren: Im Kern gebe es mit demimmer wieder gleichen Instrumentarium erhobene Strukturdaten zum freiwilligemEngagement; diese Verfahren seien lediglich immer wieder dem Stand und denMöglichkeiten der empirischen Sozialforschung anzupassen. Dazu gebe es in deneinzelnen Wellen jeweils wechselnde Themenschwerpunkte, die sich danach richteten,welche Fragestellungen aktuell in der Öffentlichkeit diskutiert würden oder politisch vonInteresse seien. So hätte man zusätzlich zeitbezogene Schwerpunkte. Ein großer Teildieser zeitbezogenen Fragen und die so genannten ‚soft facts’ – wie etwa derMotivationswandel – seien mit qualitativen Methoden zu bearbeiten.

Thomas Olk, Christina Stecker und Anne Hacket griffen diese Präzisierung auf undempfahlen eine Erweiterung in der ersten Welle um folgende Themen: diebiographische Situation, die Lebensumstände, insbesondere soziale Lage und Milieu,sowie Handlungsfelder außerhalb des Engagements, hier Familientätigkeiten undErwerbsarbeit. Ein solches Vorgehen lege jedoch einen Wechsel des Bezugspunktesnahe: Nicht das isolierte Individuum werde befragt, sondern die Person imHaushaltskontext. Nur ein haushaltsbezogener Ansatz würde der Bedeutung dessozialen Umfelds angemessen Rechnung tragen.

Wir brauchen eine dynamische Engagementforschung

Ein-, Aus- und Wiedereintritte – Die Engagementdynamik erfordertLängsschnittdaten

Auch wenn eine regelmäßige Wiederholung des Freiwilligensurvey viele Fragen zurEntwicklung von Umfang und Struktur des Engagements beantworten könnte, soblieben wichtige Fragen über individuelle Engagementverläufe offen. Gerd Mutz verwiesauf die wichtigen Erkenntnisse der dynamischen Arbeitslosigkeits- undArmutsforschung: Derartige in München und Bremen durchgeführte Studien machtendeutlich, dass Personen nicht andauernd in der Arbeitslosigkeit oder in der Armut lebten– nur ein Teil zähle zu den so genannten Langzeitarbeitslosen oder -armen. Vielmehrsei davon auszugehen, dass in der Gruppe der Arbeitslosen und Armen eine großeFluktuation herrsche. Aus dieser dynamischen Verlaufsforschung folge zweierlei:Erstens sei festzustellen, dass viel mehr Personen als die üblichen Statistiken zeigten,‚vorübergehend’, d.h. von kurzer Dauer arbeitslos oder arm seien. Zweitens verweisedies auf die Kategorie der Erwerbstätigkeit: Die bisherige Annahme, die meistenMenschen seien in so genannten Normalarbeitsverhältnissen andauernd beschäftigt,stimme eben auch nicht. Es gebe viel mehr diskontinuierliche Beschäftigungsverläufeals bislang angenommen.

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Diesen Sachverhalt könnten wir nun auf das Engagementverhalten, so Gerd Mutz inseinen weiteren Erläuterungen, übertragen: Zu vermuten sei nämlich, dass es durchhäufige Ein- und Austritte innerhalb eines bestimmten Zeitraums viel mehr Bewegungim ‚Engagementfeld’ gebe als auf den ersten Blick sichtbar sei. Somit hätten wir auchmehr Wiedereintritte, also Personen, die sich nach einer Unterbrechung wiederengagierten.

Ergänzend zu diesen Verlaufsstudien seien Motivbefragungen notwendig, denn esmüsse geklärt werden, warum Personen ein Engagement aufnehmen und aus welchenGründen sie es beenden. Für politisches Handeln sei aber vor allen Dingen wichtig zuwissen, unter welchen Bedingungen und mit welchen Motiven sich Menschen erneutengagierten.

Die Notwendigkeit einer dynamischen Engagementforschung wurde von MichaelBürsch mit Nachdruck bestätigt.

Gründe für Ein- und vor allem Austritte sind vor allem für die Politik interessant

Thomas Olk präzisierte die Ausführungen von Gerd Mutz: Auch er gehe davon aus,dass es neben einem Kern von relativ dauerhaft Engagierten ein- und austretendePersonen gebe. Mögliche Gründe für die Beendigung des Engagements könntenbiographischer Art sein, wie zum Beispiel eine Krankheit oder der Beginn einerAusbildung. Aus den Hallenser Fallstudien wüssten wir bereits, dass bestimmteEngagementphasen zu bestimmten Lebensphasen passten – andere wiederum nicht.Wüssten wir mehr über diese ‚biographischen Passungen’, dann könnten auchpolitische Maßnahmen zur Förderung einer längeren Verbleibsdauer oder zumWiedereintritt in eine neue oder andere Tätigkeit verbessert werden.

Er plädierte für den Aufbau von Mikroverlaufsdaten, um Trends untersuchen zu können.Gerd Mutz ergänzte, dass man in München derzeit eine Methodik entwickeln würde,derartige qualitative Panels in Form von Mikroverlaufsdaten zu erzeugen undauszuwerten. Zwei Projekte dieser Art seien bereits erfolgreich abgeschlossen undkönnten auf das Themenfeld Engagement übertragen werden.

Auch Eckhard Priller plädierte für eine Untersuchung des dynamischen Prozesses imBereich des Engagements. So könnte man auch das Lebenslagenkonzept mit demLebenssituationskonzept verbinden.

Im Hinblick auf politische Maßnahmen gab er jedoch zu bedenken, dass es nicht um‚jeden Preis‘ darum gehen solle, Menschen im Engagement zu halten. Eben weil wirderartige biographische Passungen vermuteten, gehe es stärker um die Förderung derWiederaufnahme eines Engagements. Beispiele dafür, dass sich das Engagement sehrstark an den jeweiligen Lebensphasen orientiere, gebe es viele. So würden sich Elterninsbesondere dann im schulischen Bereich engagieren, wenn ihre eigenen Kinder

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eingeschult seien. Verlassen diese die Schule, so beendeten die Eltern auch ihrEngagement für schulische Belange.

Dieses Beispiel zeige aber auch die Notwendigkeit einer ergänzendenOrganisationsanalyse: Denn um diese dynamischen Prozesse besser zu verstehen,gehe es nicht nur um individuelle Verlaufsdaten und Biographien, sondern auch um dieRahmenbedingungen, die durch die jeweiligen Organisationen vorgegeben würden.Warum sei es beispielsweise nicht attraktiv, sich nach dem Schulbesuch der Kinderweiterhin in diesem Bereich zu engagieren oder warum liege es nicht nahe, in einanderes Engagementfeld zu wechseln?

Eine Erweiterung des Sozioökonomischen Panels könnte die Datenlageverbessern

Eine solche dynamische Engagementforschung setzt eine Panelstruktur voraus, welcheim Rahmen des vorliegenden Designs des Freiwilligensurvey nicht verwirklicht werdenkann. Wie die vorgestellten Ergebnisse von Dietmar Dathe zeigten, biete sich für solcheFragestellungen das SOEP an.

Er regte an, die im SOEP verwendete Fragestellung zu modifizieren und zu erweitern,um das Engagement auch mit diesem Datensatz adäquater zu untersuchen. Das SOEPkönne eine regelmäßige Wiederholung des Freiwilligensurvey ergänzen, weil es auchmit einer erweiteten Fragestellung die breite und detaillierte Datenbasis desFreiwilligensurvey nicht erreichen könne. Aspekte wie Erwerbs- und Lebenssituation,der Einbezug des Haushaltskontextes und insbesondere die Untersuchung vonVerläufen könnten mit einem erweiterten Datensatz des SOEP besser erfasst werden.

Wir brauchen qualitative Studien

... um Motive zu erforschen

Wie Gerd Mutz und Thomas Olk verdeutlichten, seien der quantitativen Sozialforschungfür einige wichtige Fragen der Engagementforschung enge Grenzen gesetzt. DieseSchließung dieser Forschungslücken könnte durch qualitative Studien ergänzt werden.

Ein erster wichtiger Bereich sei die Motivationsforschung. Um Veränderungen in denMotiven zu erfassen, müsse dieser Bereich fester Bestandteil des Survey werden. Dazusei es aber wiederum notwendig, bereits zu Beginn ein Untersuchungsdesign zuentwickeln, das den Aufbau von qualitativen Mikroverlaufsdaten erlaube. Da es sich umrelatives Neuland handle, müsse zunächst noch methodische Vorarbeit geleistetwerden.

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... um den biographischen Kontext und die Haushaltssituation zu erfassen

Thomas Olk und Anne Hacket führten weiter aus, dass das soziale Umfeld wie Familie,Haushalt und Erwerbsarbeit sowie die biographische Lage im Rahmen von qualitativenStudien erfasst werden sollten, um Aufnahme, Abbruch und Wiederaufnahme desEngagements besser zu verstehen und beeinflussen zu können. Eckhard Prillerbestätigte die herausragende Bedeutung von Lebenssituation und -lage, wie auch dasProjekt des IFB deutlich gezeigt habe.

... um zu klären, welche Tätigkeiten von den Menschen als Engagementbezeichnet werden

Qualitative Studien könnten den Ansatz des Projektverbundes Ehrenamtes – der imFreiwilligensurvey angewandt wurde – vertiefen. So wurden freiwillige Tätigkeitenaufgrund der subjektiven Einschätzung der Befragten identifiziert (siehe obigeAusführungen). Die Gründe für die intersubjektiv sicher verschiedenen individuellenBewertungen bleiben jedoch verborgen. Es wären Tiefeninterviews notwendig, um zuklären, warum manche Menschen diese oder jene Tätigkeit als Engagement werten,andere Personen aber eine andere Einschätzung haben. Hat dies nur etwas mitsubjektiven Überzeugungen zu tun oder auch mit der Lebenslage, dem Milieu oder garmit der beruflichen Tätigkeit?

... um quantitative Erhebungen vorzubereiten

Geradezu klassisch ist die Verwendung qualitativer Studien zur Voruntersuchung für dieErhebung quantitativer Datensätze. So können Ergebnisse qualitativer Untersuchungengenutzt werden, um weiter reichende Erhebungsinstrumente, Themenfelder undbesondere Fragestellungen zu entwickeln und zu präzisieren. Qualitative Methodensind gegenüber Veränderungen sensibler – mit ihrer Hilfe können neue Dimensionenund Aspekte im Engagement aufgespürt werden.

... um quantitative Erhebungen zu ergänzen – nicht jedoch zu ersetzen

Qualitative Studien können die breite und umfassende Datenbasis desFreiwilligensurvey nicht ersetzen. Hierin bestand unter den Teilnehmern desFachworkshops Einigkeit. Sie können jedoch eine sinnvolle Ergänzung undUnterstützung für eine Reihe von Forschungsfragen sein, die schwer oder gar nicht miteiner quantitativen Methodik untersucht werden können. Beide methodischen Ansätzehaben für je unterschiedliche Themenfelder ihren Wert, so dass beide nichtgegeneinander ausgespielt werden sollten. In der politisch orientiertenHandlungsforschung gibt es herausragende Beispiele, wie die bereits genannte Shell-Jugendstudie, die in jeder Hinsicht für die zukünftige Engagementforschung ein gutesBeispiel abgeben könnte.

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Teil 2

Beiträge

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Bernhard von Rosenbladt,

Infratest Sozialforschung

Freiwilliges Engagement – Messkonzepte und Trendbeobachtung

Wenn nun über Wiederholungsbefragungen zum Freiwilligensurvey 1999 nachgedachtwird – mit dem Ziel, erstmals eine Trendbeobachtung zur Entwicklung des freiwilligenEngagements in Deutschland mit ausreichend differenzierten Konzepten zu etablieren -,dann stellen sich zwei Fragen:

• Welches sind die konstitutiven konzeptionellen Elemente, mit denen „freiwilligesEngagement“ im Freiwilligensurvey erfasst und beschrieben wird? Was muss alsobei erneuten Befragungen identisch gehalten werden, damit die Zahlen wirklichvergleichbar und für eine Trendbeobachtung brauchbar sind?

• Welche ergänzenden oder weiterführenden Fragestellungen würde man bei einerReplikation des Survey gerne einbringen? Und wie kann das geschehen, ohne dieTrendmessung zu beeinträchtigen?

Dies sind nicht nur methodische Fragen. Die öffentliche Debatte zum ThemenfeldEhrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftliches Engagement braucht eineVerständigung darüber, wie der Gegenstand abgegrenzt sein soll. Zu fragen ist also:Bildet der Freiwilligensurvey den Sachverhalt, der uns interessiert und den wir als„freiwilliges Engagement“ beschreiben, in einer nachvollziehbaren und konsensfähigenWeise ab?

Die Kernpunkte im Messkonzept des Freiwilligensurvey sind folgende:

(1) Erfasst werden Tätigkeiten. Engagement wird nicht als Einstellung oder Gesinnungoperationalisiert, sondern also konkretes Tun.

(2) Der Weg zur Erfassung dieser Tätigkeiten geht über die Personen, die sie ausüben.Also nicht über die Organisationen und Gruppen, in denen man ehrenamtlich tätigsein kann. Dies hat zunächst methodische Gründe, denn eine repräsentativeStichprobe von Personen ist zuverlässiger zu bilden als eine umfassendeStichprobe relevanter Organisationen und Gruppierungen. Es hat natürlich aberinhaltliche Konsequenzen. Die Perspektive der Personen ist eine andere als die derOrganisationen. Beide Perspektiven sind wichtig. Insofern ist auch klar, dass ein

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Untersuchungsansatz wie der des Freiwilligensurvey ergänzungsbedürftig ist. DieOrientierung an Tätigkeiten bietet dabei eine unmittelbare Nahtstelle zwischen derpersonen- und der organisationsbezogenen Perspektive.

(3) Freiwilliges Engagement wird gesehen als Teil einer breiter verstandenen Kulturdes „Mitmachens“ in Vereinen, Gruppierungen, Organisationen und Einrichtungen.Private Hilfeleistungen in Familie und Nachbarschaft können ergänzend erfragtwerden, sind aber nicht Teil des gemessenen Konstrukts „freiwilliges Engagement“.Dasselbe gilt für möglicherweise interessierende Engagementformen im Beruf (z.B.in freiwilligen Arbeitsgruppen, als Arbeitnehmervertreter usw.).

(4) Es werden alle gesellschaftlichen Bereiche einbezogen, in denen Menschen überdas Mitwirken in Gruppierungen, Organisationen und Einrichtungengesellschaftliche Teilhabe erlangen. Es erfolgt also vorab keine Einengung etwa aufden politischen oder sozialen Bereich. Durch die Vorgabe von 14 möglichenEngagementbereichen wird dies den Befragungspersonen ausdrücklich erläutert. Inder Datenauswertung kann die Analyse selbstverständlich auf interessierendeBereiche begrenzt werden.

(5) Es wird eine „Schwelle“ der Aktivität definiert, die das bloße Mitmachen von demtrennt, was als freiwilliges Engagement den eigentlichen Gegenstand desInteresses bildet. Die Schwelle ist sprachlich erläutert in der Formulierung: „Es gehtum freiwillig übernommene Aufgaben und Arbeiten, die man unbezahlt oder gegengeringe Aufwandsentschädigung ausübt.“ Mit einem Begriff von Klages kann mansagen, es geht um die Übernahme von „Verantwortungsrollen“ – allerdings in einemweiten Sinne verstanden, nicht begrenzt auf die Übernahme eines „Amtes“.

(6) Die so erfassten Tätigkeiten werden im Interview genauer beschrieben. Dies erfolgtzunächst durch eine offene Angabe zur Organisation und der dort ausgeübtenTätigkeit und sodann durch eine standardisierte Abfrage von Merkmalen, die dasTätigkeitsprofil charakterisieren. Innerhalb einer bestimmten Organisation oderGruppierung gilt die gesamte Aktivität als eine Tätigkeit. Pro gesellschaftlichemBereich kann man bis zu zwei verschiedene Tätigkeiten angeben. (Dastheoretische Maximum beträgt also 14 x 2 = 28 Tätigkeiten. Im empirischenDurchschnitt wurden 1,6 Tätigkeiten pro engagierter Person genannt.) Von denangegebenen Tätigkeiten werden zwei ausgewählte Tätigkeiten im Interview näherbeschrieben.

Im Unterschied zu vielen anderen Repräsentativbefragungen, die ein einfacherangelegtes Messkonzept des ehrenamtlichen Engagements verwenden, führt derFreiwilligensurvey daher nicht nur zu einer pauschalen Quote der Bundesbürger/innen,die freiwillig engagiert sind. Vielmehr zeigt er, welche Tätigkeiten im Einzelnen dahinterstehen. Dies ermöglicht es, Strukturen des „Freiwilligensektors“ in Deutschland zu

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beschreiben. Bezogen auf die Beobachtung von Entwicklungstrends ermöglicht es,nicht nur generelle Tendenzen einer Zunahme oder eines Rückgangs an freiwilligemEngagement zu erfassen, sondern darüber hinaus Fragen zum „Strukturwandel desEhrenamts“ bzw. des freiwilligen Engagements zu beantworten.

Das Differenzierungspotenzial der Daten ist wichtig, weil der Untersuchungsgegenstandeine so große Heterogenität und Vielfalt aufweist. Wir subsumieren unter den Begriffdes „freiwilligen Engagements“ ein breites Spektrum von Tätigkeitsformen undTätigkeitsfeldern, die konkret wenig miteinander zu tun haben. Zwar ist genau dies einewichtige Leistung für die öffentliche Debatte und für das Entstehen eines politischenHandlungsfeldes, das sich mit der Verbesserung von Rahmenbedingungen fürfreiwilliges Engagement der Bürger/innen befasst. Zugleich darf man aber dasBewusstsein für die – notwendige und wünschenswerte – Vielfalt des Engagementsnicht verlieren.1

Hier können nun auch Überlegungen für weiterführende Fragestellungen ansetzen, diebei einer Replikation des Freiwilligensurvey von Interesse sein könnten. Wir seheninsbesondere drei thematische Ansätze, über die nachzudenken wäre:

„Gemeinwohlorientiertes“ Engagement?

Es gibt Diskurse, für die der breite, in gewissem Sinne „unpolitische“ Engagementbegriffdes Freiwilligensurvey als zu weit angesehen werden kann. Das gilt beispielsweise fürpolitische Konzeptionen, die „bürgerschaftliches Engagement“ als Grundlage einer„neuen Sozialstaatlichkeit“ diskutieren. Von daher könnte der Wunsch bestehen, imengeren Sinne „gemeinwohlorientiertes Engagement“ vom weiteren Feld eines eher„gemeinschaftsorientierten Engagements“ abzugrenzen.

Grundsätzlich könnte eine solche Differenzierung in das Konzept des Freiwilligensurveyintegriert werden. Mit welchen empirisch operationalisierbaren Kriterien man allerdings„gemeinwohlorientiertes“ von anderem Engagement abgrenzen will, ist eine schwierigeFrage. Gute Vorschläge hierzu müssten die Verfechter einer solchen „politischeren“Konzeption vorlegen. Unabhängig davon sollte aber die gesamte Breite des freiwilligenEngagements weiter im Blick bleiben.

1 Vgl. dazu näher Bernhard von Rosenbladt, Engagementbereiche und Organisationsformen desfreiwilligen Engagements in Deutschland. In: Braun / Wahlen (Hrsg.): Die Freiwilligen: Das Sozialkapitaldes neuen Jahrtausends. Förderpolitische Konsequenzen aus dem Freiwilligensurvey 1999. Fachtagungdes Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. ISAB-Berichte Nr. 71, Köln, Leipzig2001.

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Organisatorischer Rahmen des Engagements

Freiwillige Tätigkeiten finden in einem organisatorischen Rahmen von Gruppierungen,Vereinen und Einrichtungen statt. Der Freiwilligensurvey 1999 hat hierzuGrundinformationen bereitgestellt. Diesen Organisationsbezug mit einigenZusatzinformationen zu vertiefen wäre möglich und wünschenswert.

„Dynamik“ des Engagements

Sowohl aus der Organisationsperspektive wie aus der individuellen, biographischenPerspektive ist der Zeitaspekt des freiwilligen Engagements von großer Bedeutung:also der Zugang, die Dauerhaftigkeit, das Ausscheiden, der Wechsel in eine andereTätigkeit. Auch hierzu hat der Freiwilligensurvey 1999 Grundinformationenbereitgestellt. Im Untersuchungsbericht hat insbesondere Klages mit seinem Konzepteines „dynamischen Modells des freiwilligen Engagements“ diesen Aspektnachdrücklich formuliert.2 Bei einer Replikation wäre zu prüfen, inwieweit dieseFragestellungen vertieft werden können – auch wenn es sich weiterhin um eineQuerschnitts- und nicht um eine Längsschnitterhebung handelt.

Weiterentwicklungen des Freiwilligensurvey im Sinne der genannten Themen sindmöglich, ohne das grundlegende Messkonzept zu beeinträchtigen. Dies ist dieVoraussetzung dafür, dass die neuen Daten denen der Erhebung von 1999vergleichbar sind und damit Trendaussagen zulassen.

Wie sensitiv die Ergebnisse gegenüber Veränderungen desErhebungsinstrumentariums sind, zeigt die uneinheitliche Datenlage, die wir inDeutschland zur Höhe der „Engagementquote“ der Bevölkerung haben. Diese unguteSituation kann nur überwunden werden, wenn ein bestimmtes Instrumentarium über dieZeit in seinen wesentlichen Punkten konstant eingesetzt wird.

Man kann das Problem anhand der Erhebungen des Statistischen Bundesamts imRahmen seiner Zeitbudget-Erhebungen 1991 und 2001/2002 illustrieren. 1991 lautetedie schlichte Frage im Interview: „Üben Haushaltsmitglieder zur Zeit ein Ehrenamt aus?“Hierauf stützte sich die sozusagen „amtliche“ Engagementquote für Deutschland inHöhe von 17%, bis diese Zahl durch die 34% des Freiwilligensurvey 1999 abgelöstwurde. In der neuen Zeitbudget-Erhebung von 2001/2002 übernimmt das StatistischeBundesamt in den Grundzügen das komplexere Messkonzept des Freiwilligensurvey.Es werden 18 Tätigkeitsbereiche vorgegeben, zu denen man jeweils dreiAntwortmöglichkeiten hat: (1) Nein, nicht beteiligt (2) Ja, aktiv beteiligt (3) Ja, Amtübernommen.

2 Vgl. zusammenfassend Helmut Klages: Engagementpotentiale in Deutschland, in B. von Rosenbladt:Gesamtbericht, a.a.O., S. 198 ff.

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Antwort (3) ist gemeint als Operationalisierung für „Ehrenamtliche Tätigkeit,Freiwilligenarbeit und bürgerschaftliches Engagement" (so die Titelzeile imFragebogen). Tatsächlich ist die konkrete Antwortvorgabe „Ja, Amt übernommen“ abereine Eingrenzung, über die ein Teil der Tätigkeiten im Bereich von Freiwilligenarbeit undinformellen Engagementformen herausfallen wird. Dies ist ein erheblicher Unterschiedzum Freiwilligensurvey.

So richtig und begrüßenswert die Konzepterweiterung in der neuen Erhebung desStatistischen Bundesamts ist, so hilft sie in Bezug auf die wünschenswerteTrendbeobachtung nicht weiter. Die neuen Zahlen werden weder mit den eigenenZahlen des Statistischen Bundesamts von 1991 noch mit den Infratest-Zahlen von 1999noch mit irgend welchen anderen Zahlen direkt vergleichbar sein.

LiteraturKlages, H.: Engagementpotentiale in Deutschland, in: v. Rosenbladt, Bernhard: Gesamtbericht, a.a.O., S.198 ff

Rosenbladt, B. von (2001): Engagementbereiche und Organisationsformen des freiwilligen Engagementsin Deutschland, in: Braun, J. / Wahlen, G. (Hrsg.) (2001): Die Freiwilligen: Das Sozialkapital des neuenJahrtausends, förderpolitische Konsequenzen aus dem Freiwilligensurvey 1999, Fachtagung desBundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, ISAB-Berichte Nr. 71, Köln / Leipzig

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Helmut Klages,

Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Über den Freiwilligensurvey 1999 hinaus?

Unproduktive Infragestellungen der Ergebnisse des Surveys

Eines kann schon zu Beginn vorweggenommen werden: Die Fragestellung im Titeldieses Beitrags wird nachstehend eine bejahende Antwort finden.

Zunächst muss allerdings eine falsche Problemstellung überwunden werden, die durcheinige Zeitungspublikationen in die Welt gesetzt wurde: Obwohl sich überMethodenfragen häufig sinnvoll streiten lässt, kann es nicht angehen, denFreiwilligensurvey 1999 aufgrund „unerwünschter“ Ergebnisse von der Methodenseiteher disqualifizieren zu wollen. Wer sich – jenseits journalistischer Hektik – auf dieMethodengrundlagen dieser großen Untersuchung einlässt, muss einsehen, dass hiernicht nur mit Akribie und Umsicht, sondern auch unter Berücksichtigung typischerSchwierigkeiten des Zugangs zum Gegenstandsfeld zu Werke gegangen wurde, mitdenen im deutschen Sprachraum zu rechnen ist.

Im Vorfeld der Untersuchung gehörten diese Schwierigkeiten zu den vorrangigenDiskussionsthemen und es war völlig klar, dass die Auffindung eines Weges zu ihrerBewältigung zu den wesentlichen Erfolgsvoraussetzungen der nachfolgendenwissenschaftlichen Arbeit gehörte. Hinsichtlich des Charakters dieser Schwierigkeitenkam es dabei zu einer Diagnose, die durch den Freiwilligensurvey bestätigt wurde: DieMenschen, die auf freiwillige Tätigkeiten hin befragt werden, haben Probleme, sie indenjenigen Begriffshülsen zu verorten, die in der Expertenszene in Umlauf sind. DieAnnahme, man könne solche Tätigkeiten ohne Verständigungsschwierigkeiten als„ehrenamtlich“ ansprechen, erweist sich als naiv. Ebenso aber auch die Annahme, beiBefragungen mit dem Ausdruck „bürgerschaftliches Engagement“ operieren zu können.Aufgrund der Ergebnisse des Freiwilligensurvey kann festgestellt werden, dass nur 32%der freiwillig Engagierten ihre Tätigkeit als „Ehrenamt“ verstehen. Ganze 6% verstehensie als „Bürgerengagement“. Rechnet man den Anteil derjenigen hoch, die sich als„ehrenamtlich“ Tätige verstehen, dann gelangt man ziemlich exakt zu denjenigen 16-18%, die in einigen Studien als „Engagierte“ ausgewiesen wurden. Wie sich somit vomFreiwilligensurvey her deutlich erkennen lässt, wird mit solchen Zahlen nur eine

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Teilmenge derjenigen Gesamtgruppe erfasst, um die es geht. Der Freiwilligensurveylässt die Nichtübereinstimmung der Ergebnisse unterschiedlicher Studien als einsemantisches Problem – damit aber auch als ein Problem der begrifflichen Etablierungdes freiwilligen Engagements in Deutschland selbst – interpretierbar werden.

Hinter diese fundamentale Einsicht sollte man nicht zurückfallen. Vielmehr sollte dieseEinsicht umgekehrt als eine wesentliche Prämisse in alle nachfolgenden Studieneingehen. Den Weg, der hierbei einzuschlagen ist, zeichnet der Engagementsurveybereits vor. Er besteht in der möglichsten Offenhaltung der Formulierung der Leitfragenach dem Vorhandensein eines freiwilligen Engagements, mit der die Befragtenkonfrontiert werden. Nur so sind sprachlich bedingte Ausklammerungen von Teilen desUntersuchungsfeldes und damit zusammenhängende Einschränkungen seinerwissenschaftlichen Wahrnehmung zu vermeiden, die mehr oder weniger großeDunkelziffern zur Folge haben.

Damit wird aber auch der Streit um das angebliche Engagementdefizit der Deutschenseiner Grundlage enthoben. Die Daten erweisen eindeutig: Im Hinblick auf den Umfangdes freiwilligen Engagements (34% der Menschen ab 14 Jahren) ist Deutschland eine„ganz normale“ Nation. Anstößig kann diese Aufklärung nur jemand finden, der in dasNegativbild der Ego- oder Ellenbogengesellschaft verliebt ist. Dieses Negativbild scheintgegenwärtig zum Gesellschaftsverständnis und zum stehenden Repertoire eines Teilsunserer literarisch tätigen Intelligenz zu gehören. Wie falsch es aber ist, erweisen auchandere Studien, so z. B. Studien über den Wertewandel in Deutschland. Die Frage nachder zukünftigen Weiterentwicklung der Engagementforschung in Deutschland solltedurch dieses Schreckbild, das empirisch gesehen höchst zweifelhaft ist, nicht weiterbelastet werden.

Zeitpunktgebundenheit als Grenze des Survey

Die Frage, ob und ggf. wo die zukünftige Engagementforschung über denFreiwilligensurvey 1999 hinauszielen sollte, muss an ganz anderen Punkten anknüpfen.

Von herausragender forschungsstrategischer Bedeutung ist zunächst die Einsicht, dasses sich beim Freiwilligensurvey 1999 um eine für sich stehende Einzeluntersuchunghandelt, die das Engagement in einer zeitpunktgebundenen Weise erfasst. Diesefundamentale Tatsache wird zunächst durch den eindrucksvollen Umfang derUntersuchung verdeckt, die mit 15.000 Befragten über alles hinausragt, was es bisherauf diesem Gebiet gegeben hat. In der Tat wurde es dadurch möglich, das Engagementmit einem bisher nicht erzielten Vollständigkeits- und Genauigkeitsgrad zu erfassen undz.B. auch auf seine regionalen Ausprägungen hin zu untersuchen. Der von ThomasGensicke verfasste Landesbericht Rheinland-Pfalz zeigt in einer exemplarischen Weiseauf, was die Daten in dieser Richtung hergeben.

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Der enorm großen zeitpunktbezogenen Aussagefähigkeit der Survey-Daten steht aberdie Unmöglichkeit gegenüber, aus ihnen eine Aussage hinsichtlich der zukünftigenEntwicklung des freiwilligen Engagements abzuleiten. Die Ergebnisse des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) weisen aus, dass der Anteil der Engagierten an derdeutschen Bevölkerung von der Mitte der 80er bis zur Mitte der 90er Jahre um etwa fünfProzentpunkte anstieg. Das Engagement ist also keineswegs ein statischerSachverhalt. Sehr viel weiter sind die auf den Engagementwandel bezogenenKenntnisse bisher jedoch nicht gediehen und auch der Freiwilligensurvey kann hiernicht unmittelbar weiterhelfen.

Zwar liefert der Freiwilligensurvey aufgrund direkter Fragestellungen sehr weitgehendeInformationen darüber, was die Menschen zum Eintritt in das Engagement veranlasst,wie die Motivationsstruktur der Engagierten beschaffen ist, wo sie der Schuh drückt undwo angesetzt werden kann, um mit hoher Wahrscheinlichkeit die Attraktivität desEngagements zu steigern. Mit anderen Worten liefert der Freiwilligensurvey wesentlicheGrundlagen für die Zielorientierung und Ausgestaltung einer künftigenEngagementpolitik. Es kann ihm insoweit eine sehr hohe praxisrelevanteZukunftsbezogenheit attestiert werden. Die Prognosen und Empfehlungen, die erermöglicht, sind jedoch, im Fachjargon ausgedrückt, „konditionaler“ Natur. IhreZuverlässigkeit hängt davon ab, dass Gültigkeitsvoraussetzungen erfüllt werden, dieaber in einem einzelnen Survey nicht vollständig gewährleistet werden können, da aufdie Entscheidungen der Menschen für ein Engagement mehr Einflusskräfte einwirkenals in einer Befragung erfassbar sind. Außerdem unterliegt die Gesamtkonstellationdieser Einflusskräfte aber „situativen“ Wandlungen sozio-ökonomischer und sozio-kultureller Natur, die – mit welchen Mitteln auch immer – schwer voraussagbar sind. ImUnterschied zur heutigen Situation, in welcher das freiwillige Engagement ein relativverstecktes Dasein in der Gesellschaft fristet, das nur gelegentlich von Einzelfällen herin den Scheinwerferkegel der Medienaufmerksamkeit gerät, kann es in Zukunft vielleichteinmal „Mode“ werden, sich zu engagieren. Das im Freiwilligensurvey aufgedecktegewaltige, latente Engagementpotenzial (insgesamt 37% der Bevölkerung ab 14)könnte allein aufgrund einer solchen Entwicklung, die sich zwar anstreben lässt, derenEintrittsbedingungen aber weitgehend unbekannt sind, in einem erheblichen Maßeaktiviert werden.

Mit anderen Worten erscheint es unverzichtbar, dem Freiwilligensurvey 1999 weitereSurveys nachfolgen zu lassen, die es erlauben, Trendentwicklungen unmittelbar zuerfassen und zu analysieren. Nur auf diese Weise wird man in der Lage sein, mit demerwartbaren weiteren Wandel der Realität „auf gleicher Augenhöhe“ zu bleiben. Nur aufdiese Weise wird ein sukzessives „Veralten“ der verfügbaren Daten verhindert werdenkönnen, das vermutlich inzwischen bereits längst in Gang gekommen ist.

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Ein solcher Effekt wird allerdings von der Erfüllung einer wesentlichen methodischenVoraussetzung abhängen, davon nämlich, dass zumindest die Kernfragen desFragebogens unverändert bleiben (schon kleine „Verbesserungen“ bei denFormulierungen können große Abweichungen in den Antwortverteilungen hervorrufen!),und dass das methodische Konzept der Untersuchung aufrechterhalten wird. Es istsomit zweierlei zu hoffen: Einmal, dass die wissenschaftliche Erfassung des freiwilligenEngagements weitergeht; zum anderen aber auch, dass hinsichtlich der Instrumenteder Forschung ein gewisser „Konservatismus“ praktiziert wird. Das eine fordert diePolitik zu einer Entscheidung mit einem längeren, nicht nur die laufende, sondern auchdie kommende Wahlperiode überspannenden Horizont heraus; das andere zwingt diebeteiligten Wissenschaftler zur Selbstdisziplin. In wieweit beiden BedingungenRechnung getragen werden kann, bleibt abzuwarten.

Wünschenswerte zusätzliche Fragestellungen bei zukünftigen Nachfolge-Surveys

Die an die Adresse der Wissenschaft gerichtete Konservatismusforderung reibt sichnaturgemäß mit Wünschen nach inhaltlicher Erweiterung und Vertiefung, die sich ausden Erfahrungen mit dem Freiwilligensurvey ableiten und die teils direkt mit denüberraschenden Erkenntnissen zusammenhängen, zu denen er geführt hat. Inwieweitsolchen Wünschen bei zukünftigen Nachfolge-Surveys Rechnung getragen werdenkann, entscheidet sich angesichts der engen Begrenzung der verfügbarenBefragungszeiten nicht zuletzt darin, in wieweit es gelingt, im Hinblick auf bisherigeFragestellungen „Rationalisierungseffekte“ zu erzielen. Hierzu bedarf es, im Jargonausgedrückt, einer intensiven Item-Analyse (die bisher noch nicht geleistet ist) wie aucheiner kritischen Abschätzung des Ertrags von Fragestellungen, die sich z.B. auf dieBeobachtung der Abruf- und Verwendungshäufigkeit stützen kann, die ihnen in deraktuellen Auswertung zuteil wird.

Naturgemäß spielen bei der Entscheidung über zusätzliche Fragestellungen beizukünftigen Surveys die Wünsche und Interessen der Datennutzer eine wichtige Rolle.Nichtsdestoweniger seien nachfolgend in aller Kürze einige Wünsche an künftigeSurveys aus der Perspektive eines am Freiwilligensurvey 1999 unmittelbar Beteiligtenaufgeführt:

• Wünsche nach einer Überschreitung der Grenzen der Aussagekraft desFreiwilligensurvey 1999 lassen sich aus der Perspektive eines Beteiligten z.B. daableiten, wo es um die Bedingungen der Mobilisierung des schon erwähntenenormen Engagementpotenzials in der Bevölkerung der Bundesrepublik geht. Mankann sich mit Fug und Recht auf den Standpunkt stellen, dass eine zukünftigeEngagementpolitik genau an dieser Stelle ihren zentralen Bezugspunkt haben muss.Von daher gesehen erscheint es aber wünschenswert, dass in Zukunft in einemstärkeren Maße als dies im Engagementsurvey 1999 angestrebt war, die konkreten

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Bedingungen inzwischen eingetretener Motivierungs- und Mobilisierungserfolge und-misserfolge Berücksichtigung finden.

• Ein weiterer Aspekt, der sich im Freiwilligensurvey 1999 als überraschend tragfähigund fruchtbar erwiesen hat, ist die lebensgeschichtliche Dimension desEngagements. Wie man nunmehr viel zuverlässiger als vorher weiß, ist der Eintrittins Engagement in einem Großteil der Fälle nicht definitiv. Sehr viele Menschenengagieren sich aus bestimmten Anlässen, ohne sich damit aber grundsätzlich für„das Engagement“ zu entscheiden. Sie besitzen von daher auch keinegrundsätzliche, vom Einzelanlass abgehobene generalisierte Engagementmotivationund sie können deshalb nach einer Beendigung einer Tätigkeit, die aus denverschiedensten Anlässen stattfinden kann, aus dem Engagement heraustreten,ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein und eine grundsätzlicheRückkehrmotivation zu entwickeln. Die Wünsche an die Befragung, die sich hierausableiten, überlappen mit den vorstehend bereits erwähnten. Zusätzlich kommtallerdings der Wunsch nach einer genaueren Ausleuchtung derEntstehungsbedingungen, des Vorhandenseins und der aktivierenden Kraft eines inDeutschland bisher offenbar nur schwach entwickelten „Engagementbewusstseins“ins Spiel. Auch die Informationslage der Menschen im Hinblick auf allgemeinereSachverhalte des Engagements würde in diesem Zusammenhang von großerBedeutung sein.

• Im Freiwilligensurvey 1999 wurden weiter aber auch die bisher weitgehendvernachlässigten Systembedingungen des Engagements erstmals deutlicherkennbar. Wenn vom Engagement die Rede ist, wird bisher oft nur der individuelleEinstellungs- und Bereitschaftsaspekt in den Blick genommen. In Wahrheit hängtdas Zustandekommen eines Engagements aber in einem entscheidenden Maße vonVorbedingungen der sozialen Integration der Menschen wie auch von institutionellenBedingungen ab, so etwa von dem Vorhandensein einer den Zugang zumEngagement bahnenden lokalen „Infrastruktur“ oder auch von einer Kultur derEngagementoffenheit und -förderung in Vereinen und sonstigen Organisationen.Charakteristischerweise findet die Mehrzahl der Menschen den Weg insEngagement nicht allein auf sich gestellt, sondern über Vermittler, auf die sieentweder in ihrem lebensweltlichen privaten Umfeld oder im Bereich derinstitutionalisierten Daseinsfürsorge treffen. Dieser Weg führt sie anschließend inorganisatorisch vordefinierte Felder, in denen sie auf Chancen, aber auch aufEinschränkungen und Barrieren treffen. Dieser sehr wichtige Komplex vonSachverhalten ist im Fragebogen des Survey 1999 erst teilweise repräsentiert.Insbesondere fehlt die Frage an diejenigen Menschen, die zwar irgendwo als„Mitglieder“ aktiv sind, ohne aber im engeren Sinne des Wortes engagiert zu sein,warum sie in dieser Distanz verharren, obwohl sie in der Befragung oft genug ein

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Interesse am Engagement äußern. Von daher legen sich jedoch weitere Fragennahe, die sich auf die Rollen von „Hauptamtlichen“, Aktiven und Engagierten, wieauch auf den in Organisationen praktizierten Stil ihres Zusammenwirkens beziehen.Insgesamt gesehen bedarf es der intensiveren Aufklärung der Gründe dafür, dasses zwischen dem – zweifellos heute bereits recht umfangreichen – faktischenEngagement der Deutschen und ihrer noch viel weiter reichenden persönlichenBereitschaft zum Engagement einen Graben gibt, der bisher nur schwer zuüberwinden ist.

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Anne Hacket, Gerd Mutz,

MISS - Munich Institute for Social Science

Ausgewählte empirische Befunde zum bürgerschaftlichenEngagement

Ist es sinnvoll, das bürgerschaftliche Engagement zu quantifizieren?

Nach den Berechnungen des Freiwilligensurvey sind 34% der über 14-jährigenBevölkerung in irgendeinem Bereich und in irgendeiner Form freiwillig tätig; diesentspricht knapp 22 Millionen Bürgern. Diese enorm hohe Zahl stieß in der Fachwelt aufSkepsis, weil frühere empirische Studien aus den Jahren 1991-1997 eine hoheSpannbreite der Engagementquoten ausgewiesen haben (Rosenbladt 1999;Hilpert/Hotopp/Kistler 2000). Es gibt folglich Erklärungsbedarf.

40%

� 38 Klages 1997

� 34 Freiwilligensurvey 1999

Sozio-ökonomisches Panel 29 �

�22 Allensbach 1997

Zeitbudget Erhebungen 1991 17 �

�18 Eurovol 1994

�13 John Hopkins 1996

Infratest Burke Sozialforschung

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Ein wesentlicher Grund liegt in der Frageformulierung, mit der die freiwilligenTätigkeiten oder das Engagement gemessen werden. Bei Fragen nach dem ‚Ehrenamt’oder nach ‚ehrenamtlichen Tätigkeiten‘ (z.B. Zeitbudgeterhebung 1991) fühlen sichetwa Befragte, die Tätigkeiten in Selbsthilfegruppen oder Nachbarschaftshilfe ausüben,weniger angesprochen als solche, die in Vereinen oder Verbänden einem ‚traditionellen’Ehrenamt nachgehen. Derartige selbstorganisierte Aktivitäten bleiben dannunberücksichtigt. Damit wird aber wichtig, welches implizite Konzept von Engagementverwendet wird und was genau analysiert werden soll. Im Freiwilligensurvey wird einwesentlich breiteres Konzept der freiwilligen Tätigkeiten benutzt, das weit mehr umfasstals das Konzept des Ehrenamtes oder des bürgerschaftlichen Engagements.

Diese wertneutrale Herangehensweise ist von Vorteil, denn die anderen Begriffe sindnormativ ‚aufgeladen’: etwa mit Vorstellungen von Hilfsbereitschaft oder politischerAktivität. So merkt auch v. Rosenbladt an, dass das gemessene Engagement desFreiwilligensurvey nicht mit politisch-sozialen Engagement gleichzusetzen ist. Die inden Freiwilligensurvey eingehenden Tätigkeiten stellen häufig einen „Teil derGemeinschaftsaktivität im persönlichen Lebensumfeld“ dar, sind in diesem Sinnegemeinwohlorientiert, jedoch nicht in einem darüber hinausgehenden politischen Sinne(Rosenbladt 2000, S. 47). Dieses methodische Vorgehensweise eröffnet zudem denBlick auf das gesamte Spektrum und die Vielfalt von freiwilligen Tätigkeiten, auch wennbei einigen Tätigkeiten unklar blieb, ob man diese noch als Engagement werten kann.Vor diesem Hintergrund mag eine Engagementquote der Zeitbudgeterhebung von 17%ehrenamtlicher Tätigkeiten nicht unbedingt im Widerspruch stehen zu der Quote von34% des Freiwilligensurvey. Aber die Verwendung dieser weiten Fassung bedeuteteben auch, dass es äußerst unpräzise ist, von 34% Engagierten oder Ehrenamtlichenzu sprechen; die Quote sagt auch nichts darüber aus, wie viele Menschen inDeutschland bürgerschaftlich aktiv sind. Zu beachten ist jedoch, dass dies nicht derStudie, in der sehr ‚sauber’ argumentiert wird, sondern den Interpretationen anzulastenist.

Wichtig ist ein anderer methodischer Einwand. Rosenbladt selbst bemerkt, dass esnicht auszuschließen ist, „dass persönliche und soziale Merkmale, die freiwilligesEngagement begünstigen (Offenheit, Interesse, Kooperationsbereitschaft, Gemeinwohl-orientierung) sich in gleicher Weise auch positiv auf die Teilnahmebereitschaft an einerrepräsentativen Befragung auswirken. Im Effekt würde dies dazu führen, dass derinaktive Teil der Bevölkerung in den Umfragen unterrepräsentiert und der aktive Teilüberrepräsentiert würde. Eine daraus resultierende Überschätzung derEngagementquote der Bevölkerung halten wir für wahrscheinlich“ (Rosenbladt 2000,S. 55f). Zu dieser ‚Überschätzung’ kommt ein weiteres: Die Ergebnisse wurden zwarnach Bundesländern, Gemeindegrößen, Geschlecht und Altersgruppen gewichtet, nichtjedoch nach Bildung und sozialer Schichtung. Da wir aber aus anderen Erhebungen

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sehr genau wissen, dass mit dem Bildungsstand und sozialem Status auch dieBereitschaft zu freiwilligem Engagement steigt, wirkt sich dieser Umstand ein weiteresMal auf die berechnete Quote aus. Es wäre eigentlich ‚state of the art’ gewesen, diesenin die gleiche Richtung wirkenden Bias herauszurechnen. Auch sind ausländischeMitbürger in der Stichprobe unterrepräsentiert, da im Rahmen einer telefonischenBefragung nur die deutschsprachige Bevölkerung untersucht werden kann. EineEinbeziehung der nicht-deutschsprachigen Bevölkerung würde abermals dieEngagementquote reduzieren. Aufgrund dieser methodischen Einwände gäbe esGründe, von einer Engagementquote auszugehen, die um mindestens 6-8 Prozent zukürzen wäre.

Die genannten Punkte zeigen, wie sensibel die Engagementquote von dem jeweiligenmethodischen Vorgehen abhängt und dass Präzisierungen wünschenswert wären.Zumindest sollte die Diskussion um die Zukunft des bürgerschaftlichen Engagementsnicht auf die quantitative Dimension verkürzt werden. Zwar ist es nicht unwesentlich, obein Drittel oder ein Viertel der Bevölkerung freiwillig tätig ist; interessanter ist abervielmehr, in wie weit es sich um gesellige Alltagsgestaltung oder tatsächlich umbürgerschaftliches Engagement handelt. Festzuhalten bleibt, dass ein großer Teil derBevölkerung mit ihrem Engagement bei der Gestaltung ihrer Lebensumwelt mitwirkt. Obes jedoch einen steigenden oder sinkenden Trend zum Engagement oder gar zumEhrenamt gibt, kann auch der Freiwilligensurvey nicht beantworten. Zu unterschiedlichsind die Konzeptionen und Messungen der vorangegangenen Studien, um Vergleichevorzunehmen und eine solche Frage ernsthaft beantworten zu wollen. Nur eineregelmäßige Wiederholung des Freiwilligensurvey mit jeweils identischem Messkonzeptkönnte darüber Aufschluss geben.

Gibt es einen Motivationswandel?

Im Sinne einer Individualisierung, Pluralisierung und Entgrenzung des Engagementswird in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion von einem Motivwandelgesprochen (Beher/Liebig/Rauschenbach 2000; Heinze/Keupp 1998; Olk 1987). Bereits1987 hieß es: „An die Stelle der bedingungslosen Hingabe an die soziale Aufgabe unterVerzicht auf die Befriedigung eigener Bedürfnisse und Interessen tritt heute der Wunschnach einem freiwillig gewählten Engagement, das sich zeitlich den eigenen sonstigenBedürfnissen und Interessen anpassen lässt und die eigenen Kräfte und Möglichkeitenqualitativ nicht übersteigt“ (Olk 1987, S. 90). Diese relativ zurückhaltende Einschätzungwird später durch Zuspitzungen ersetzt: In den 90er Jahren ist die Rede von derkaritativen Pflichterfüllung, die durch eine reziproke Beziehung des Gebens undNehmens und zunehmend hedonistische Motive verdrängt worden sei (Klages 1998;Klages/Gensicke1999). Motive von christlicher Pflichterfüllung (bei sozialen Aufgaben)bzw. gewohnheitsmäßige und regelmäßige Teilhabe an gesellschaftlichen

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Entscheidungsprozessen (bei Vereins- und Verbandstätigkeiten) seien in der heutigenGesellschaft nicht mehr vorrangig. Dabei werden Motive wie ‚Spaß haben’, die zu denTopantworten jüngerer Befragungen zählen, mit Egoismus, Unzuverlässigkeit undmangelnder Hingabe assoziiert. Diese Thesen behaupten einen direktenZusammenhang zwischen einem übergreifenden gesellschaftlichen Wertewandel imAllgemeinen (der durchaus empirische Plausibilität hat) und einem Motivwandel desEngagements im Besonderen (der empirisch nicht eindeutig nachweisbar ist). Diegenannten Strukturveränderungen und der Motivwandel werden schließlich für die‚Krise des traditionellen Ehrenamtes’ verantwortlich gemacht.

Auch der Freiwilligensurvey hat sich zum Ziel gesetzt, die Motivationen für freiwilligeTätigkeiten zu untersuchen. Auf den ersten Blick unterstreicht der Freiwilligensurvey dieherausragende Bedeutung der Erwartung: „die Tätigkeit soll Spaß machen“. Diese steht– was die Wichtigkeit betrifft – mit der Erwartung, dass „man mit sympathischenMenschen zusammenkommt“, an der Spitze. Dies geht einher mit altruistischenErwartungen, etwas für das Gemeinwohl zu tun und anderen Menschen zu helfen(Rosenbladt 2000, S.112). Allerdings wurden im Freiwilligensurvey gar keine Motive,sondern Erwartungen an die freiwillige Tätigkeit abgefragt. Es ist aber sehr zubezweifeln, ob Erwartungen gleichzusetzen sind mit handlungsleitenden Motiven zurAufnahme eines Engagements. Erwartungen bilden sich in der Regel erst dann, wenndas Interesse bereits geweckt ist und Motive bereits entstanden sind. Motive sindgleichsam tiefer liegende Sinnstrukturen des Antriebs, und aufgesetzt darauf bilden sichErwartungen.

Hinzu kommt, dass sich die Metapher ‚Spaß haben’ in der gesellschaftlichen Bewertungverändert hat. Der Begriff ‚Spaß’ ist in hohem Maße kontextabhängig und wird deshalbmit verschiedenen Bedeutungen belegt sowie moralisch unterschiedlich bewertet. Spaßist deshalb nicht einfach gleichzusetzen mit hedonistischer Unverbindlichkeit und derErwartung von schnelllebigem Vergnügen. Es ist wesentlich plausibler, Spaß alsOberbegriff für Zufriedenheit und innere Erfüllung bei der Bewältigung einer Aufgabe zuverstehen. ‚Spaß haben’ in diesem Sinne würde dann geradezu eine motivationaleBasis darstellen, auf der sinnvoll erachtete Tätigkeiten ausgeübt werden. Der individuellwahrgenommene Spaß kann dann aus dem Erleben resultieren, einen Beitrag zumWohlergehen von Einzelnen oder zur Veränderung der Gesellschaft zu leisten, dieeigene Wirkmächtigkeit zu erleben und dafür auch Anerkennung zu erhalten oder sichals Teil einer Gemeinschaft zu erleben. Dem Bürgerengagement haftet noch häufig dieForderung nach Selbstlosigkeit und Aufopferung an, weshalb es gemeinhin alsunmoralisch gilt, dabei Spaß zu empfinden. Leider wird in keiner Untersuchung genauernachgegangen, welchen Sinn Menschen mit ‚Spaß‘ verbinden, so dass offen bleibenmuss, was die sehr allgemeine Formulierung für die Befragten bedeutet und welchegesellschaftliche Relevanz sie schließlich hat (Kühnlein 2001). Auch in diesem

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Zusammenhang ist es sinnvoller, mit der Entgrenzungsthese zu argumentieren, dennes ist nicht mehr bestimmten, abgegrenzten Lebens- und Tätigkeitsbereichenvorbehalten, Spaß zu empfinden.

Im Freiwilligensurvey wurde auch nicht untersucht, wie sich verschiedene Erwartungenverknüpfen. Denn gemeinschafts- und selbstbezogene Motive (sowie auch dasZusammentreffen anderer, verschiedenartiger Motive) schließen einander nicht aus.Hohe Selbstentfaltungswerte gehen nicht einher mit einem Trend zur ‚Ego-Gesellschaft‘oder einer Gesellschaft der ‚Ichlinge‘ (Keupp/Kraus/Strauss 2000). Selbstentfaltung undBürgerengagement schließen sich keineswegs aus, sie können sich auch wechselseitigverstärken. Freude beim Engagement kann zu einem längerfristigen Engagementbeitragen (Snyder/Omoto 1992).

Die Untersuchung von Motiven muss anhand quantitativer Untersuchungen immerverkürzt bleiben. Denn Motive sind nicht unbedingt bewusst verfügbar, und sie könnendeshalb nicht durch eine einfache Schematisierung abgefragt werden (schon gar nichttelefonisch). Motive, die in den Antwortkategorien nicht genannt werden, bleibenunberücksichtigt, und es werden kategorial nur Aussagen erfasst, die schnell erinnerbarund bewusst verfügbar sind. Dies ist jedoch gerade in diesem Bereich problematisch,da es hier nicht um Fakten, sondern um komplexe innere Einstellungen geht. Müller-Kohlenberg macht darauf aufmerksam, dass bei einem solchen methodischenVorgehen die Vorstellung von der eigenen Motivation – das Autostereotyp –unangetastet bleibt und man daher nur das latent vorhandene Selbstbild als Antworterhält (Müller-Kohlenberg 2000). Qualitative Studien vermögen es eher, im Laufe einesInterviews komplexe Sachverhalte differenziert zu erfassen und diese als impliziteMuster zu rekonstruieren. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass Motive nicht alsfeststehende und gleichbleibende Bedeutungen zu verstehen sind; Motive verändernsich durch das Erleben, weshalb sie in hohem Maße mit Lebenssituationen und -phasen variieren. Das „Zusammenspiel zwischen Motivationen von Ehrenamtlichen unddem aus dem Ehrenamt gewonnen Nutzen (ist) nicht statisch zu betrachten“, es(unterliegt) vielmehr einer Dynamik“ (Snyder/Clary/Stukas 2001, S. 31). Für den Bereichdes Engagements bedeutet dies, dass Motive, die am Anfang des Engagements desAnstoß gegeben haben, sich während der freiwilligen Tätigkeiten verändern und durchandere oder zusätzliche Motive ergänzt werden – die Dynamik der Motive bestimmtletzten Endes die Form und Kontinuität des Engagements.

Motive lassen sich auch deshalb nicht in eindimensionalen Kategorien erfassen, weil sienie singulär, sondern immer plural aufscheinen, weshalb es sinnvoller ist, vonMotivbündeln zu sprechen (Wuthnow 1991). D.h. es gibt nicht ein handlungsleitendesMotiv – etwa Spaß –, sondern das Zusammenwirken mehrerer Motive, z.B.: ‚Ich habeSpaß, anderen Menschen zu helfen.’ Fasst man die zentralen Erwartungen und Motivebürgerschaftlichen Engagements aus bestehenden Studien zusammen, dann lassen

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sich diese zu folgenden übergreifenden Aspekten bündeln (Kühnlein 2001, S. 35):altruistische (Pflichterfüllung und Gemeinwohlorientierung), gemeinschaftsbezogene(Kommunikation und soziale Integration), gestaltungsorientierte (aktive Partizipation undMitbestimmung), problemorientierte (Bewältigung eigener Probleme und Veränderunggesellschaftlicher Missstände) und entwicklungsbezogene Gründe (personal growth,Selbstverwirklichung). Es ist wie bei den Engagementformen und den institutionellenAusprägungen folglich eher von einer Pluralisierung von Motiven bzw. Motivbündelnauszugehen, wobei auch in dieser Hinsicht Individualisierungstendenzen zu beobachtensind: Bürgerengagement wird heute von den Individuen überwiegend als eineEntscheidung dargestellt, die mit Verweis auf das soziale Umfeld, die Lebenslage oderbiographische Situation begründet werden kann (Kühnlein/Mutz 1999). Die genanntenmethodischen Einschränkungen quantitativer Studien haben einen Einfluss auf dieEinschätzung des behaupteten Motivwandels, auch wenn er vor dem Hintergrund derWertwandelforschung und aus individualisierungstheoretischer Perspektive sinnvollerscheint. Äußerst problematisch ist jedoch, dass – wie eingangs skizziert – die meistenStudien mit der Vermutung eines vorliegenden Wandels an die Interpretation ihrerDaten herangehen. Dies ist zumeist erstaunlich und kaum nachvollziehbar, denn alsempirischer Beleg gibt es keine älteren Studien, die Aufschluss darüber geben, welcheRolle Selbstentfaltungswerte wie ‚Spaß haben‘ früher gehabt haben. Es mag sein, dasssich die Motive der Engagierten verändert haben, sicher ist, dass sich die Perspektivender Forscher gewandelt haben, denn in den 50er oder 60er Jahren kam kaum jemandauf die Idee, nach dem Spaß beim Ehrenamt zu fragen.

Literatur

Beher, K./Liebig, R./Rauschenbach, T. (2000): Strukturwandel des Ehrenamtes. Gemeinwohlorientierungim Modernisierungsprozess, Weinheim, München.

Heinze, R. G./Keupp, H. (1998): Gesellschaftliche Bedeutung von Tätigkeiten außerhalb derErwerbsarbeit (Gutachten im Auftrag der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern undSachsen). In: Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland. Entwicklung, Ursachen undMaßnahmen. Anlagenband 3. Zukunft der Arbeit sowie Entkopplung von Erwerbsarbeit und sozialerSicherung, Bonn, S. 107-241.

Hilpert, M./Hotopp, U./Kistler, E. (2000): Schattenwirtschaft, Informelle Ökonomie und Dritter Sektor alsTeile eines größeren Ganzen – Zusammenfassung des Workshops und Ansatzpunkte für eineEuropäische Forschungsstrategie, in: Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.), InformelleÖkonomie, Schattenwirtschaft und Zivilgesellschaft als Herausforderung für die EuropäischeSozialforschung, Bonn, S. 69ff

Keupp, H./Kraus, W./Strauss, F. (2000): Civic Matters: Motive, Hemmnisse und Fördermöglichkeitenbürgerschaftlichen Engagements, in Beck, U. (Hg.): Die Zukunft von Arbeit und Demokratie, Frankfurt a.Main, S. 217-268

Klages, H. (1998): Engagement und Engagementpotential in Deutschland. Erkenntnisse der empirischenForschung, in: Aus Parlament und Zeitgeschichte, B28/98, S. 29-44

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Klages, H. /Gensicke, Th. (1999): Bürgerschaftliches Engagement im Ost-West-Vergleich. In: Klages,H./Gensicke, Th.: Wertewandel und bürgerschaftliches Engagement an der Schwelle zum 21.Jahrhundert. Speyerer Forschungsberichte 193, Speyer, S. 53-72

Kühnlein, I. (2001): Gibt es einen Motivationswandel des Bürgerengagements? Interner Bericht derMünchner Projektgruppe für Sozialforschung (MPS) an den Sonderforschungsbereich 536 ‚ReflexiveModernisierung’ der DFG. München

Kühnlein, I. / Mutz, G (1999): Individualisierung und bürgerschaftliches Engagement in derTätigkeitsgesellschaft. In: Kistler, E./ Noll, H.-H./ Priller, E. (Hrsg.): Perspektiven gesellschaftlichenZusammenhalts. Berlin. S. 291-306

Müller-Kohlenberg, H. (2000): „...hilfreich und gut!“ – Die Kompetenzen der Laien im psychosozialenBereich. In: Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V. (Hrsg.): Laienkompetenz

Schriftenreihe des Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V., Heft 57. S. 32.

Olk, Th. (1987): Das soziale Ehrenamt. In: Sozialwissenschaftliche Literatur Rundschau 10, 14, S. 84-101

Rosenbladt, B. von (1999): Zur Messung des ehrenamtlichen Engagements in Deutschland – Konfusionoder Konsensbildung?, in: Kistler, E./ Noll, H.-H./ Priller, E. (Hrsg.): Perspektiven gesellschaftlichenZusammenhalts. Empirische Befunde, Praxiserfahrungen, Meßkonzepte, Berlin, S. 399ff

Snyder, M./Clary, E. G./Stukas, A. A. (2001): Ehrenamtlichkeit: ein funktionaler Ansatz. In: Journal fürPsychologie, Heft 3, S. 15-35. S. 31

Snyder, M./Omoto, A. M. (1992): Who helps and why? The psychology of AIDS volunteerism. In:Spacapan, S./Oskamp, S. (Eds.): Helping and being helped: Naturalistic studies. Newbury Park, Ca sage,S. 213-239

Wuthnow, R. (1991): Acts of Compassion. Princeton University Press. Princeton N.J.

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Thomas Gensicke,

Infratest Sozialforschung

Konzeption des Freiwilligensurveys: Stärken – Schwächen – Zukunft

(1) 1999 wurde der „Freiwilligensurvey – Freiwilligenarbeit, ehrenamtliche Tätigkeit,Bürgerengagement“ durch den Projektverbund „Ehrenamt“, wie er sich damalsnannte, durchgeführt. Er war ein wesentlicher Schritt, um zum ersten Mal einenrepräsentativen bundes- und landesweiten Überblick über den Freiwilligensektor inDeutschland zu gewinnen, und zwar aus der Sicht der freiwillig engagiertenPersonen. Die detaillierte und gestützte Methodik der Erfassung (vgl. vonRosenbladt in diesem Band) ermöglichte zum ersten Mal eine Schätzung derpersonalen Größenordnung des deutschen Freiwilligensektors. Die Ergebnissewurden 2000 in drei Bänden veröffentlicht, waren kostenlos beim Ministerium zuerhalten und mussten wegen starker Nachfrage bereits 2001 neu aufgelegtwerden. (Vgl. von Rosenbladt 2001, Picot 2001, Braun, Klages 2001)

(2) Die Ergebnisse des Survey sind jedoch nicht hauptsächlich wegen derEngagementquote besonders wichtig, sondern weil sie aus der Problemsicht derEngagierten heraus den Organisationen und den politischen Akteuren eineInformationsgrundlage für Förder- und Reformmaßnahmen bieten. Für das„Internationale Jahr der Freiwilligen“ und darüber hinaus wurde eine guteGrundlage der zeitgemäßen und verstärkten Aufwertung des Engagements derBürger und Bürgerinnen geschaffen. Mit Hilfe der Ergebnisse desFreiwilligensurvey gelang es, einer oft als „Krisendebatte“ des „Ehrenamtes“geführten gesellschaftlichen Diskussion eine Wendung ins Positive undKonstruktive zu geben, was sicher auch einen Niederschlag im Bericht derEnquete-Kommission "Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements" an denBundestag finden sollte.

(3) Ermöglicht wurde diese Funktion des Survey auch durch die besonders hoheBefragtenzahl (auch auf Grund der Anregung durch die Machbarkeitsstudie vonInfratest Sozialforschung), die durch die seitens des Ministeriums bereitgestelltenerheblichen Ressourcen möglich war (Befragte N=10.000) und die weiter durch dieFinanzierung einer Länderaufstockung durch die Robert Bosch Stiftung erhöhtwurde (zusätzliche 5.000 Befragte). So konnten mittels eines differenzierten

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Fragemodells durch Zufallsauswahl der Befragten und schrittweise telefonischeSelektion genügend Engagierte bzw. von diesen angegebene Tätigkeitenidentifiziert werden, um auf sicherer statistischer Basis differenzierte gruppen- undsektorspezifische Analysen durchführen zu können.

(4) Das Ministerium finanzierte bisher ausführliche Auswertungen für die Gruppen derJugendlichen, der älteren Menschen, für Männer und Frauen, neue und alteLänder. Allerdings konnte in der ersten Phase erst ein Engagementfeldumfassender ausgewertet werden – der Bereich „Sport und Bewegung“. Desweiteren wurden die Themen „Zugänge zum freiwilligen Engagement“ und„Potenziale des freiwilligen Engagements“ ausführlich bearbeitet. Obwohl für fastalle Bundesländer repräsentative Stichproben zur Verfügung stehen, gibt es bishererst eine umfassende Landesstudie für Rheinland-Pfalz, geschrieben vom Autordieses Papers und finanziert durch die Ehrenamtsbeauftragte des MainzerInnenministeriums.

(5) Der Freiwilligensurvey ist zwar bisher eine einmalige Umfrage, wurde jedochausdrücklich im Kontext von Trendüberlegungen konzipiert, und die Ergebnissekönnen zumindest indirekt in dieser Hinsicht interpretiert werden. Zum einen gehtes um die rein quantitative Frage, ob freiwilliges Engagement in Deutschland zu-oder abnimmt, zum anderen um die qualitative Frage, ob „herkömmliches“Engagement („Ehrenamt“) rückläufig ist und neue Engagementformenexpandieren. Für diesen Trend wurde der Begriff des „Strukturwandels desEhrenamtes“ (Beher, Liebig, Rauschenbach 1999) geprägt. Ganz in diesem Sinnewar auch die Ausschreibung des Ministeriums angelegt, nach der in der geplantenUntersuchung zum „Ehrenamt“ herkömmliche wie neue Formen „ehrenamtlicherTätigkeit“ in ihrer ganzen Bandbreite erfasst und analysiert werden sollten, alsoauch in den „kleinen“ Organisationsformen selbstorganisierter Gruppen, vonProjekten, Initiativen usw.

(6) „Wirkliche“ Trends über eine längere Zeit können allerdings in direkter Weise nurdurch eine turnusmäßige Wiederholung des Freiwilligensurvey (mindestens einMal pro Legislaturperiode) abgebildet werden. Um die Abstände für eine sinnvolleTrendanalyse nicht zu groß werden zu lassen, müsste also jetzt schon mit derPlanung der Wiederholung des Survey für das Jahr 2003 begonnen werden. Selbstin diesem Jahr wären allerdings schon 4 Jahre seit dem 1999er Survey ins Landgegangen. Eine Wiederholung müsste zwingend ein vergleichbaresKerninstrumentarium enthalten und die gleiche Erhebungsmethode verwenden.Nur so können wirklich Trends gemessen werden. Einzelne Themen können neugefasst oder ausgetauscht werden, etwa eine detailliertere Erfassung des Themas„Weiterbildung“ oder anderer Themen erfolgen.

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(7) Bereits innerhalb der ersten Auswertungsphase wurde ein Schwerpunktwechselvom Begriff „Ehrenamt“ zu der Bezeichnung „freiwilliges Engagement“ alsOberbegriff für die Formen der ehrenamtlichen Tätigkeit, der Freiwilligenarbeit unddes Bürgerengagements vollzogen. Aus der ursprünglichen „Untersuchung zurehrenamtlichen Tätigkeit“ wurde der „Freiwilligensurvey“. Dazu führte nicht einfachdie Orientierung am internationalen Sprachgebrauch oder an der Betitelung des„Internationalen Jahres der Freiwilligen 2001“. Wesentlich war das Faktum, dasswegen der breiten Erfassung freiwilligen Engagements im Freiwilligensurvey, wiesie das Ministerium ausgeschrieben hatte, zum Vorschein kam, dass 48% derEngagierten ihre Tätigkeit als „Freiwilligenarbeit“ ansahen und „nur“ 32% als„Ehrenamt“. Bei jüngeren Menschen und Frauen ist der Begriff „Freiwilligenarbeit“sogar noch deutlich populärer. Das Ministerium hat sich diesem Faktum gestelltund verwendet in seiner Sprachgestaltung konsequent den Begriff der„Freiwilligen“ unter denen sich auch die Ehrenamtlichen und bürgerschaftlichEngagierten wiederfinden können.

(8) Der tätigkeitenbezogene Aspekt des Freiwilligenbereiches ist bis jetzt gegenüberdem personenbezogenen Aspekt noch zu kurz gekommen. Die vorliegendenStudien sind fast alle personen- bzw. gruppenbezogen. Der tätigkeitsbezogeneAspekt des Freiwilligensurvey, nach dem die Befragten bis zu zwei freiwilligeTätigkeiten beschreiben konnten, sowie die hohe Befragtenzahl haben dieVoraussetzung dafür geschaffen, dass z.B. im Bereich „Soziales, Gesundheit“etwa 600 beschriebene Tätigkeiten ausgewertet werden können, im Bereich„Kindergarten, Schule“ etwa 670, im Kirchen- bzw. Religionsbereich 518, imFreizeitbereich 577, im Kulturbereich 530. Dazu steht ein tätigkeitenbezogenerDatensatz von Infratest Sozialforschung im ZA Köln zur Analyse zur Verfügung.

(9) Das Ministerium ist auf Grund der Ergebnisse des Freiwilligensurvey mit demErgebnis an die Öffentlichkeit getreten, dass 34% der deutsprachigen Bevölkerungab 14 Jahre freiwillig engagiert sind. Die alten Länder haben erhöhte Anteilegegenüber den neuen, Männer gegenüber Frauen, Erwerbstätige gegenüberNichterwerbstätigen, kleinere Orte gegenüber größeren, höher Gebildetegegenüber weniger Gebildeten, besser Verdienende gegenüber materiell wenigergut Gestellten, Menschen mit erhöhten Engagementwerten gegenüber solchen mitweniger stark ausgeprägten, Menschen mit höherer Kirchenbindung gegenübersolchen mit geringer, Menschen mit erhöhtem politischen Interesse gegenübersolchen mit geringem etc.

(10) Dieser Referenzwert, der auch starke politische Beachtung gefunden hat, ist iminternationalen Vergleich kein besonders hoher. Für die USA, die beimVolunteering eine Benchmark abgeben, wird von dem Kommunitaristen RobertWuthnow eine umfragegestützte Engagementquote angegeben, die zwischen

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1987 und 1995 zwischen 45% und 54% schwankte. Für Großbritannien werdenvom Institute for Volunteering Research für 1997 48% (1981 44%) Volunteers inder Bevölkerung ab 18 Jahren angeben (National Survey of Volunteering in theUK). Die Niederlande wiesen für 1996 einen Prozentsatz von 46% aus. Solchenationalen Unterschiede im freiwilligen Engagement waren bereits im letztenverfügbaren World Value Survey von 1990 nachzulesen. Danach gab es auch inSkandinavien deutlich höhere Engagementquoten als in Deutschland (Vgl. Socialand Cultural Report 1996). Für Schweden wurden nach der Erfassungsmethodikdes World Value Survey 1990 39% "Volunteering work" angeben, für Norwegen37%, Deutschland (West) kam damals auf 30%. Die USA und Kanada lagen mit45% bzw. 43% an der Spitze.

(11) Angesichts solcher mit wenig Aufwand und Willen erschließbarer Fakten kann esnur befremden, mit welcher Skepsis mancher öffentliche Kommentar eineangeblich viel zu "hohe" Engagementquote, die der Freiwilligensurvey (angeblichauf politischen Wunsch hin) gemessen habe, monierte. Wenn hier nichtideologische Scheuklappen im Spiele sind oder die Öffentlichkeit irre geführtwerden soll, dann muss dieser Sichtweise zumindest eine Artdeutschlandzentrierte "Maulwurfshügel-Perspektive" unterstellt werden. Die vomFreiwilligensurvey ausgewiesene Quote liegt außerdem nicht weit über einerregelmäßig erhobenen, verwandten, aber anspruchsloser gemessenen Quote imSOEP, das ebenfalls von Infratest Sozialforschung erhoben wird. Danach waren1999 30% der Bevölkerung entweder in „Bürgerinitiativen, Parteien und derKommunalpolitik“ beteiligt oder „ehrenamtlich in Vereinen, Verbänden, odersozialen Diensten tätig“ und zwar „jede Woche“, „jeden Monat“ oder „seltener“(inklusive der Ausländer, die durch ihren im SOEP real abgebildetenBevölkerungsanteil und ihre niedrigeren Engagementquoten die Quote vor allemim Westen drücken, wenn sie dort hereingerechnet werden).

Quote des freiwilligen Engagements nach dem SOEP und dem Freiwilligensurvey1999 (getrennt in Deutsche West, Deutsche Ost und Ausländer)

D-Gesamt D-West D-Ost Ausländer

• SOEP 1999 30% 33% 25% 23%

• Freiwilligensurvey1999

34% 36% 28% 20%

Quelle: Infratest Sozialforschung 2001

(12) Das SOEP hat allerdings andere Ziele als ein Freiwilligensurvey und kann diesenin keiner Weise ersetzen. Daher kann schon aus Platzgründen im SOEP zurStützung der Erfassung freiwilligen Engagements den Befragten weder die ganze

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Bandbreite möglicher Engagementbereiche vorgegeben werden wie imFreiwilligensurvey, noch können in einem Schritt vorher diejenigen identifiziertwerden, die außerhalb ihres familiären oder beruflichen Zusammenhangs (aberohne Ehrenamt oder freiwillige Tätigkeit) in Vereinen, Initiativen, Projekten oderSelbsthilfegruppen aktiv mitwirken. Von der organisatorischen Seite her werden beider Erfassung des freiwilligen Engagements im SOEP Selbsthilfegruppen undProjekte nicht angesprochen.

(13) Insgesamt muss der lebensweltliche und nicht primär politische Ansatz desFreiwilligensurvey hervorgehoben werden (vgl. von Rosenbladt in diesem Band).Die gemeinwesen- bzw. gemeinwohlbezogenen Bereiche der Hochaktiven sindgleichzeitig die kleineren Bereiche. Die Masse der Tätigkeiten im Freiwilligensektorspielt sich in den Bereichen Sport, Freizeit, Geselligkeit, Kindergarten, Schulesowie Kultur und Kunst ab. Wir nennen diese quantitativ dominierende Art desEngagements gemeinschaftsbezogene Aktivität im Nahraum der Person. Diesesaktuelle Verhältnis von unmittelbar gemeinschaftsbezogener gegenübergemeinwesenbezogener Aktivität ist eine Realität, die der Freiwilligensurveysichtbar gemacht hat. Sie muss von stärker ins Politische neigenden Konzeptender Bürgergesellschaft zur Kenntnis genommen werden. Ein Großteil des sozialenKapitals in Deutschland steckt in diesen unmittelbar gemeinschaftsbezogenenAktivitäten der Menschen.

(14) Die politischen Reformnotwendigkeiten gelangten bisher viel mehr in den Fokusder Öffentlichkeit. Dabei erfolgt u.E. jedoch eine zu starke Konzentration auf diesteuerlichen und monetären Aspekte, obwohl diese natürlich wichtig sind. Diesekönnen in Analogie zur Arbeitsmotivationsforschung als sogenannte„Hygienefaktoren“ angesehen werden, die dem Engagement eine Stütze, abernicht an der eigentlichen Motivationsgrundlage freiwilligen Engagements ansetzen.Motivation muss durch zeitgemäße Werbung und Ansprache der interessiertenBevölkerung angeregt, erschlossen und umgesetzt werden, natürlich auch durchdas Angebot zeitgemäßer Tätigkeitsrollen in den Organisationen.

(15) Eine Frage, die in ihrer Dynamik bisher noch nicht genügend analysiert wurde,betrifft das Thema „Abhängigkeit des Engagements von der sozialen Schichtung“.Wir denken hier an die These von Robert D. Putnam, der für die USA feststellt,dass neue „individualistischere“, kleinräumigere Engagementformen denRückgang zwar insgesamt kompensieren können, den traditionelle,„kollektivistische“ Engagementformen erleiden, weil sie über Großorganisationenvermittelt werden und mit diesen schrumpfen. Die Großorganisationen seienjedoch schichtübergreifender angelegt als die neuen Formen, die eher in derMittelschicht expandierten. So verbleibe zunehmend eine soziale Unterschicht, dieimmer weniger sozial integriert ist gegenüber einer gut integrierten Mittelschicht.

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Ob und in welchem Maße es solche Entwicklungen auch in Deutschland gibt, wäreeine auch im Zeitverlauf zu untersuchende Frage.

(16) Der Blick in die Zukunft verweist neben der weiteren Erschließung derInformationen aus dem vorliegenden Freiwilligensurvey vor allem auf dieNotwendigkeit, durch regelmäßige Wiederholung eine Zeitreihe zum freiwilligenEngagement aufzubauen. Nur so können quantitative und qualitativeEntwicklungen im Freiwilligensektor zuverlässig abgebildet werden undentsprechende organisatorische und politische Maßnahmen abgeleitet werden.Dabei können regelmäßig auch immer wieder neue Aspekte und Themen erfragtwerden, die für die Beschreibung und Förderung des Freiwilligensektors wichtigsind. Fakt ist, dass bis 2003 die Zeit langsam knapp wird.

Literatur

Beher, K./Liebig, R./Rauschenbach, Th. (1999): Strukturwandel des Ehrenamts –Gemeinwohlorientierung im Modernisierungsprozess, Weinheim und München

Braun, J./Klages, H. (Hrsg.) (2001): Zugangswege zum freiwilligen Engagement undEngagementpotenzial in den neuen und alten Bundesländern, Bd.2 der Repräsentativerhebung 1999 zuEhrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement, Schriftenreihe desBundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Stuttgart, Berlin, Köln, 2.Auflage

Gensicke, Th. (2001): Freiwilliges Engagement in Rheinland-Pfalz, Freiwilligenarbeit, Ehrenamt und bür-gerschaftliches Engagement (http://www.ism.rlp.de/images/themendown/Themen_Datei_Studie(2).pdf),Landesstudie im Auftrag des Ministeriums des Inneren und für Sport Rheinland-Pfalz, Mainz

Institute for Volunteering Research (Website): 1997 National Survey of Volunteering in the UK(http://www.ivr.org.uk/nationalsurvey.htm)

Picot, S. (Hrsg.) (2001): Freiwilliges Engagement in Deutschland: Frauen und Männer, Jugend, Senioren,Sport, Bd.3 der Repräsentativerhebung 1999 zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichemEngagement, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,Stuttgart, Berlin, Köln, 2.Auflage

Rosenbladt, B. von (Hrsg.) (2001): Freiwilliges Engagement in Deutschland: Bd.1 derRepräsentativerhebung 1999 zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement,Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Stuttgart, Berlin, Köln,2.Auflage

Social and Cultural Report 1996 (SCP), The Netherlands, Social and Cultural Planning Office, Rijswijk1997

Wuthnow, R. (2001): Der Wandel des Sozialkapitals in den USA, in: Putnam, Robert D. (Hrsg.) (2001):Gesellschaft und Gemeinsinn, Bertelsmann Verlag, Gütersloh (Datengrundlage sind dort nationaleErhebungen der GALLUP Organisation for Independent Sector, Washington, ein nationales Konsortiumund Koordinationszentrum für Nonprofit-Organisationen, abgefragt werden formelle und informelleehrenamtliche Tätigkeiten in 12 Aufgabenbereichen, z.B. Religion, Jugend, Kunst, Bildung, beruflicheInteressen, Gesundheit, Soziales, Politik usw.)

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Dietmar Dathe, Ernst Kistler,

INIFES

Freiwilliges/Bürgerschaftliches Engagement im Freiwilligensurveyund im Sozio-ökonomischen Panel

Anliegen des Beitrages ist es, neben einigen Schlussfolgerungen für die weitereForschungsarbeit auf zwei in der Diskussion um die Ergebnisse des Freiwilligensurveyaufgeworfenen Probleme (Engagementquoten, das dynamische Modell freiwilligenEngagements) einzugehen. Dabei fungiert das Sozio-ökonomische Panel (SOEP)gewissermaßen als „Vergleichsfolie“3.

Der Freiwilligensurvey ist in der kategorialen Bestimmung dessen, was untersuchtwerden soll, sehr breit angelegt. So wird freiwilliges Engagement als Ober- bzw.Sammelbegriff für soziales und politisches Engagement, Übernahme von (Ehren-)Ämtern, Mitarbeit in kommunalen Parlamenten, Selbsthilfegruppen oder selbstorganisierten Initiativen und Projekten verwendet (vgl. BMFSFJ 2000: 16). Der Begriff„Ehrenamt“ wird als zu eng charakterisiert, um damit auch neue Formen desEngagements (in Initiativen, Projekten, Selbsthilfegruppen) erfassen zu können (vgl.Rosenbladt 2000: 43). Nicht zuletzt diese weite Fassung von Engagement und einedamit ermittelte Quote von 34% engagierten Bundesbürgern ab 14 Jahren hat eineteilweise heftige und nicht nur zustimmende Debatte ausgelöst. Wie realistisch ist dieseQuote? Das SOEP bietet sich als Vergleichsmaßstab an, wobei es auch dieUnterschiede in den Messkonzepten zu berücksichtigen gilt (vgl. Rosenbladt 1999). DieErmittlung der entsprechenden Quoten im SOEP erfolgte durch Zusammenfassung derAntworten auf die Fragen nach Ehrenamtliche Tätigkeiten in Vereinen, Verbänden odersozialen Diensten und Beteiligung in Bürgerinitiativen, in Parteien, in derKommunalpolitik4. Danach lag die Engagementquote lt. SOEP 1999 in Westdeutschlandbei 32% (Freiwilligensurvey: 35,5%) und in Ostdeutschland bei 26% (Freiwilligensurvey:28%)5. Beide Erhebungen gelangen demnach zu fast identischen Resultaten.

3 „Looking at the findings of the myriad ... surveys, and of the commercial and academic polls suggeststhat the interpretations made of them … are usually more ‘definitive’ than the data allow … They shouldbe finished with the full gamut of findings …” (Lipset, Schneider 1977: 25).4 Vgl. auch Erlinghagen u.a. 1997, Heinze / Keupp 1997.5 Werte für den Freiwilligensurvey wurden für die Wohnbevölkerung, wie im SOEP, ab 16 Jahrenermittelt.

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Angesichts der unterschiedlichen Messkonzepte muss einschränkend bemerkt werden,dass die weitgehende Übereinstimmung nicht unbedingt darauf schließen lässt, dasbeide Erhebungen wirklich dasselbe messen:

• Einerseits bezeichnet die Mehrheit der Engagierten im Freiwilligensurvey, vor allemin den häufig gewählten Engagementbereichen (Freizeit und Geselligkeit, Sport undBewegung, Kultur und Musik), ihre Tätigkeit als „Freiwilligenarbeit“, dagegen wird imSOEP explizit nach „Ehrenamtlichen Tätigkeiten“ gefragt.

• Andererseits ist im SOEP der Begriff „Beteiligung in ...“ wiederum deutlichunschärfer, da er sowohl als „Mitgliedschaft“ als auch als „Mitmachen“ übersetztwerden kann, was im Freiwilligensurvey noch nicht als Engagement gewertet wird.

• Ein gravierender Unterschied besteht hinsichtlich der Häufigkeit der Ausübung desEngagements: Während lt. Freiwilligensurvey nur 13% ihr Engagement seltener alseinmal im Monat ausübt, ist es lt. SOEP fast jeder Zweite, der seltener als monatlichseine Ehrenamtstätigkeit ausübt.

Eine auch in Hinblick auf förderpolitische Konsequenzen wichtige Schlussfolgerung, dieaus den Resultaten des Freiwilligensurvey gezogen wurde, war die Existenz eines„dynamischen Modells des freiwilligen Engagements“ (Klages 2000). In der Debatte umdas sogenannte neue oder auch moderne Ehrenamt wird neben verändertenErwartungen an das Ehrenamt, die Bevorzugung projektbezogener Engagementformenvor allem auch die Abkehr von einem lebenslangen Engagement betont. ZunehmendeVerbreitung finde stattdessen ein dynamisches Modell des Ehrenamtes, das sich durchfortwährend laufende Zirkulationsbewegungen ins Engagement hinein, aus demEngagement heraus und wieder ins Engagement zurück auszeichne (vgl. Klages 2000:198). Kann diese Schlussfolgerung anhand einer Längsschnittanalyse bestätigtwerden?

Unsere Untersuchungen zeigen, dass dies der Fall ist, auch unter dem Aspekt, dassdiese „Hin- und Herbewegung“ nicht primär von „Ehemaligen“ ausgelöst wird, hier alsoerhebliche „Rückkehrprobleme der Ehemaligen“ (Klages 2000: 201) zu konstatierensind:

• 9% der ehrenamtlich Engagierten in Ost und West übten lt. SOEP ihre Tätigkeit überden gesamten Beobachtungszeitraum aus (West ab 1985; Ost ab 1990)

• Demgegenüber standen 53% in Westdeutschland, die ihr Engagement maximal dreiJahre ausübten. In Ostdeutschland übten 58% der Engagierten ihre Tätigkeitmaximal zwei Jahre aus.

• Bei 59% der ehrenamtlich Engagierten in Westdeutschland war das Engagement eineinmaliges Ereignis (Ost: 71%), bei 28% kam es zu einem Wiedereintritt (Ost: 15%),bei 11% zu zwei Wiedereintritten (Ost: 5%).

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Damit wird die Aussage bestätigt, dass sich das Engagement durch eine hohe Dynamikbzw. Fluktuation auszeichnet, also durch eine hohe Zahl von Ein- und Austritten, zumüberwiegenden Teil aber den Austritten keine Wiedereintritte folgen. Die hohe„Austauschrate“ bei den Engagierten ist gerade auch unter förderpolitischen Aspektenbedenkenswert.

Schlussfolgerungen

Unbestritten ist, dass mit dem Freiwilligensurvey 1999 eine wichtige „baseline“-Studiezum bürgerschaftlichen Engagement entstanden ist. Für die weitere Forschungsarbeitsehen wir folgende Fragestellungen im Vordergrund:

• Als notwendig sehen wir die Etablierung einer Dauerbeobachtung bürgerschaftlichenEngagements an, als dessen Ausgangspunkt der Freiwilligensurvey 1999 dienensollte. Dies ist auch unter dem Gesichtspunkt wichtig, dass der Aufbau vonZeitreihen es erlaubt, „Engagementzyklen“ zu erfassen. Charakteristisch fürderartige Engagementzyklen sind insbesondere Arbeitslose.

• Wie das Beispiel des „dynamischen Modells freiwilligen Engagements“ zeigen sollte,können aus der Kontrastierung mit anderen Umfrageergebnissen Fragestellungenund Probleme des Freiwilligensurvey bestätigt, ergänzt und auch vertieft werden.Diese wechselseitige Ergänzung sollte unseren Erachtens nach noch intensivergenutzt werden.

• Ausgelöst auch durch den Freiwilligensurvey, wird sich unserer Meinung nach dieDebatte darüber fortsetzen, welches Engagement gemessen werden soll bzw.welches Engagement der Politik seitens der Wissenschaft zur Förderung zuempfehlen ist. Sicher ist doch, dass dies nicht etwa Bürgerinitiativen sind, wo es nurdarum geht, etwas in der eigenen Nachbarschaft zu verhindern, sei es einenFlugplatz, ein Heim für Behinderte, ein Gefängnis etc. Stärker zu thematisierenwären auch Fragen nach soziostrukturellen Zutrittsbarrieren für bürgerschaftlichesEngagement (für die entsprechende Debatte in den USA siehe u.a. Skocpol 2001).Dabei wäre es zu einfach per se, ein „Ehrenamt“ in einem großenWohlfahrtsverband höher gewichten zu wollen als „Freiwilligenarbeit“ imFreizeitbereich. Ebenso ist richtig, dass die Frage der Abgrenzungskriterien nur ausder Sicht der übergeordneten politischen Frage nach den Funktionen und Effektenfreiwilligen Engagements für das soziale und politische Gemeinwesen (Heinze, Olk1999) zu beantworten ist. Der Freiwilligensurvey hatte von seiner Anlage her eineandere Zielstellung, obwohl man natürlich konstatieren muss, dass die weitereKlärung dieser Fragen unumgänglich ist. Hier sehen wir eines der großenForschungsfelder, das wahrscheinlich nur im Zusammenklang von quantitativer undqualitativer Forschung zu bearbeiten sein wird.

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Literatur

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (Hrsg.) (2001): FreiwilligesEngagement in Deutschland. Ergebnisse der Repräsentativerhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit undbürgerschaftlichem Engagement, Bd. 1: Rosenbladt, B. von (2001): Gesamtbericht, (Schriftenreihe desBundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bd. 194.1), Stuttgart/Berlin/Köln

Erlinghagen, M./Rinne, K./Schwarze, J. (1997): Ehrenamtliche Tätigkeiten in Deutschland –komplementär oder substitutiv? Analysen mit dem Sozio-oekonmischen Panel 1985 bis 1996(Diskussionspapier aus der Fakultät für Sozialwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum, Nr. 97-10),Bochum

Heinze, R. G./Keupp, H. (1997): Gesellschaftliche Bedeutung von Tätigkeiten außerhalb derErwerbsarbeit, in: Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen (Hrsg.):Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland. Entwicklung, Ursachen und Maßnahmen,Anlageband: Gutachten im Auftrag der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern undSachsen, Bd. 3: Zukunft der Arbeit sowie Entkopplung von Erwerbsarbeit und sozialer Sicherung, Bonn,S. 107-241

Heinze, R. G. / Olk, Th. (1999): Vom Ehrenamt zum bürgerschaftlichen Engagement, Trends desbegrifflichen und gesellschaftlichen Strukturwandels, in: Kistler, E./Noll, H.-H./Priller, E. (Hrsg.) (1999):Perspektiven gesellschaftlichen Zusammenhalts. Empirische Befunde, Praxiserfahrungen,Messkonzepte, Berlin, S. 77-100

Klages, H. (2000): Engagementpotentiale in Deutschland, in: Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend (BMFSFJ) (Hrsg.): Freiwilliges Engagement in Deutschland, Ergebnisse derRepräsentativerhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement, Bd. 1:Gesamtbericht, Bernhard von Rosenbladt (Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren,Frauen und Jugend, Bd. 194.1), Stuttgart / Berlin / Köln, S. 198-209

Lipset, M. / Schneider, W. (1977): Polls for the White House, the Rest of Us, in: Encounter 49, 5

Rosenbladt, B. von (1999): Zur Messung des ehrenamtlichen Engagements in Deutschland – Konfusionoder Konsensbildung? In: Kistler, E./Noll, H.-H./Priller, E.(Hrsg.) (1999): Perspektiven gesellschaftlichenZusammenhalts, empirische Befunde, Praxiserfahrungen, Messkonzepte, Berlin, S. 399-410

Rosenbladt, B. von (2000): Der Freiwilligensurvey 1999, Konzeption und Ergebnisse der Untersuchung,in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (Hrsg.): FreiwilligesEngagement in Deutschland, Ergebnisse der Repräsentativerhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit undbürgerschaftlichem Engagement, Bd. 1: Gesamtbericht, Bernhard von Rosenbladt (Schriftenreihe desBundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bd. 194.1), Stuttgart / Berlin / Köln, S. 31-134

Skocpol, Th. (2001): Das bürgergesellschaftliche Amerika – gestern und heute, in: Putnam, Robert D.(Hrsg.): Gesellschaft und Gemeinsinn, Sozialkapital im internationalen Vergleich, Gütersloh, S. 593-654

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Detlev Lück, Ruth Limmer, Andreas Klocke,

Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Der Freiwilligensurvey im Familienkontext

Möglichkeiten und Grenzen des Freiwilligensurveys für das Projekt „DasEhrenamt im Umfeld der Familie“ am Staatsinstitut für Familienforschung an derUniversität Bamberg (ifb)

Unsere Erfahrungen mit dem Freiwilligensurvey 1999 speisen sich aus dem Projekt„Das Ehrenamt im Umfeld der Familie. Die Bedeutung ehrenamtlicher Leistungen fürjunge Familien“. Durchgeführt wurde es im Frühjahr und Sommer 2001 unter derMitwirkung von Eckhard Priller (WZB) und Christian Schmitt (mittlerweile DIW) amStaatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb). Untersucht wurdedie Bedeutung der Freiwilligenarbeit für junge Familien. Neben einer Sekundäranalysedes Freiwilligensurvey stützen sich unsere Ergebnisse auf eine explorative qualitativeRecherche, im Zuge derer zum einen bayerische Trägerorganisationen fürFreiwilligenarbeit (telefonisch) und zum anderen Expertinnen und Experten ausverschiedenen gesellschaftlichen Bereichen (im Rahmen einer Gruppendiskussion)befragt wurden.

Möglichkeiten des Freiwilligensurveys

Nach unserer Erfahrung bietet der Freiwilligensurvey eine sehr gute Datengrundlage,um repräsentative Aussagen über Freiwilligenarbeit aus Sicht der freiwillig Engagiertenzu machen.

Zwar haben Verbände und Vereine sehr viele Daten zu diesem Thema gesammelt.Doch auch eine gründliche Recherche dieser Daten und eine intensive Bemühung umdie Herstellung von Vergleichbarkeit könnten kaum ein stimmiges umfassendes Bildzeichnen. Zu problematisch wären die unterschiedliche Qualität der Daten und dieunterschiedlichen Erhebungsinstrumente, und zu groß wären die „weißen Flecken“,bedingt durch Freiwilligenarbeit, die in keiner der Statistiken auftaucht. DerFreiwilligensurvey ist hier nicht nur die bessere Alternative, sondern die einzigerealistische Möglichkeit, über eine einzelne Trägerorganisation hinausverallgemeinerbare Aussagen über Freiwilligenarbeit in Deutschland zu treffen.

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Zudem deckt der Fragenkatalog des Freiwilligensurvey die Aspekte, die uns relevantund wichtig erscheinen, um Freiwilligenarbeit aus Sicht der freiwillig Engagierten zubeschreiben, soweit sie überhaupt quantitativ standardisiert erfassbar sind, recht gut ab.Für eine allgemeine Annäherung an das Thema ist der Freiwilligensurvey fraglos einegute Grundlage. Dort, wo andere, speziellere Studien einzelne Aspekte vertiefen, kannder Freiwilligensurvey dazu dienen, die Erkenntnisse in Bezug auf ihreVerallgemeinerbarkeit und ihren Bezug zu anderen Befunden einzuordnen.

An der methodischen Umsetzung ist positiv herauszustreichen, dass trotz der hohenFallzahl eine nicht standardisierte Beschreibung der Tätigkeiten mit aufgenommenwurde, die eine differenzierte Interpretation der Ergebnisse ermöglicht.

Grenzen des Freiwilligensurveys

Wie bei jeder andere Studie sind mit dem Freiwilligensurvey Begrenzungen verbunden.Eine erste Begrenzung der Aussagekraft des Survey liegt nicht in seiner Methode,sondern in seinem Forschungsgegenstand begründet: Die Freiwilligenarbeit erweistsich als heterogen und facettenreich. Der systematische umfassende Blick auf dasEhrenamt im allgemeinen zeigt, dass sich in vielen Aspekten eben keinzusammenhängendes Bild ergibt: Motive, Zielgruppen u.a. unterscheiden sich teilweiseso stark, dass der Freiwilligensurvey nur über die Größenverhältnisse zwischenverschiedenen Formen der Freiwilligenarbeit wichtige Erkenntnisse liefert. PauschaleAussagen über die Freiwilligenarbeit im allgemeinen verbieten sich somit häufig. Einewechselseitige Ergänzung von Freiwilligensurvey und vertiefenden, themenspezifischenStudien erscheint ebenso sinnvoll wie eine thematische Schwerpunktsetzung einzelnerWiederholungsbefragungen des Freiwilligensurvey (wie sie z.B. im ALLBUS-Programmüblich ist).

Über diese inhaltliche Problematik hinaus wollen wir zwei Anregungen zur Methodebzw. zur Erweiterung der darin enthaltenen Forschungsperspektive geben. BeideAnregungen entspringen unserem spezifischen Forschungsinteresse, könnten jedochu.E. auch aus anderer Perspektive sinnvoll erscheinen.

(1) Die bisherige Zielsetzung des Survey ließe sich um die aus unserer Sicht durchausinteressante Empfängerperspektive erweitern: Wer profitiert von Freiwilligenarbeit inwelchem Umfang und in welcher Weise? Wer ist auf sie angewiesen? Wer wäreeigentlich auf sie angewiesen bzw. würde sie nachfragen, wenn sich das Angeboterweitern ließe? Welche (Änderungs-) Wünsche gibt es auf Seiten der Empfänger?Diese Fragen haben uns insbesondere im Zusammenhang mit jungen Familieninteressiert. Doch sicher gibt es – neben Kirchen, Vereinen etc., deren Perspektivein einer separaten Studie erfasst werden müsste – andere Privatpersonen bzw.„Problemgruppen“, für die das Ehrenamt eine Ergänzung zu staatlichen oder

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kommunalen Hilfen sein kann und deren Bedürfnisse für eine sinnvolleOrganisation der Freiwilligenarbeit interessieren müssten.

(2) Unsere zweite Anregung besteht darin, die Standarddemographie auszubauen. ImZusammenhang mit unserer Fragestellung fehlt insbesondere die Anzahl dereigenen Kinder (innerhalb oder außerhalb des Haushalts) und, verbunden damit,die Feststellung der Familienform. So ist es kaum möglich, der Frage nachzugehen,inwieweit Freiwilligenarbeit in der Lage ist, Unterstützungsleistungen vonFamilienangehörigen in einer zunehmend mobilen und individualisiertenGesellschaft zu ersetzen (wobei sich schon begrifflich die Frage stellt, obUnterstützungsleistungen von Familienangehörigen als „Freiwilligenarbeit“anzusehen sind). Ebenso kann die Bedeutung von Kinderzahl und Alter der Kinderfür das Engagement von Eltern nicht untersucht werden.

(3) Es sei angemerkt, dass dieser Kritikpunkt nicht nur den Freiwilligensurvey trifft:Zwar ist die Familienform in den gängigsten bundesweiten sozialwissenschaftlichenStudien – wie SOEP oder ALLBUS – (wenn auch nicht immer in der differenziertenWeise, wie Familienforscher es sich wünschen würden) enthalten. Doch schon diebei ZUMA als Download bereitgestellten „Demographischen Standards“6 lassenFragen nach den Verwandtschaftsverhältnissen zu den anderenHaushaltsmitgliedern oder nach der Anzahl der eigenen Kinder außerhalb desHaushaltes außer Acht. Neben dem Mikrozensus7 scheinen es vor allemthemenspezifische Erhebungen zu sein – beispielsweise der BayerischeGesundheitssurvey 1998/1999 –, die sich möglicherweise im Bemühen um einemöglichst genaue Beschreibung ihres Forschungsgegenstandes auf die von ZUMAempfohlene Standarddemographie beschränken und den möglichen erklärendenVariablen zu wenig Beachtung schenken.

Zukünftige Forschung zur Freiwilligenarbeit

Eine Replikation des Freiwilligensurvey sollte im Abstand von etwa fünf Jahren anvisiertwerden, um Strukturveränderungen moderner Gesellschaften zu erfassen. Angesichtsder unterschiedlichen Problem- und Motivlagen der Engagierten in unterschiedlichenTätigkeitsfeldern mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen und Organisationsformenerscheint es jedoch auch naheliegend, eng verzahnt mit dem Freiwilligensurvey,vertiefende, themenspezifische Studien auszuarbeiten. Um es an einem Beispiel aus 1 Die „Demographischen Standards“ sind eine Empfehlung des Zentrums für Umfragen, Methoden undAnalysen, Mannheim (ZUMA) und sind in ihrer aktuellen Ausgabe von 1999 unterhttp://www.gesis.org/Methodenberatung/Dem_Standards/index.htm veröffentlicht. Sie gehen zurück aufeine Initiative eines Arbeitskreises, bestehend aus Vertretern des Statistischen Bundesamtes, derArbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute e.V. (ASI) und dem Arbeitskreis Deutscher Markt-und Sozialforschungsinstitute e.V. (ADM).

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unserer Forschungsperspektive zu verdeutlichen: Unsere Sekundäranalysen belegen,dass in Schulen und Kindergärten überdurchschnittlich viele Frauen Freiwilligenarbeitleisten, von denen wir annehmen dürfen, dass es sich in der Regel um die Mütter der„dazugehörigen“ Kindergarten- und Schulkinder handelt. Hier könnte im Rahmen einervertiefenden Studie geklärt werden, inwieweit dieses Engagement tatsächlich freiwilliggeleistet wird oder vielmehr eine unabweisbare Verpflichtung darstellt. Ein weiteresBeispiel für eine vertiefende Studie wäre eine Organisationenbefragung zur Ergänzungder Empfängerperspektive. Für eine Neuauflage des Freiwillensurvey würden wir unswünschen, dass der Fragebogen zum einen um die Empfängerperspektive vonPrivatpersonen und zum anderen im Bereich der „Standarddemographie“ um dieErfassung der Familiensituation erweitert wird.

Literatur

Klocke, A./Limmer, R./Lück, D. (2001): Das Ehrenamt im Umfeld der Familie, die Bedeutungehrenamtlicher Leistungen für junge Familien, ifb-Materialien Nr. 7-2001, unter Mitarbeit von Priller,Eckard und Schmitt, Christian

7 Der Mikrozensus ist aufgrund seines anderen Anspruchs und der Bindung seines Fragenkatalogs anGesetzestexte aus sozialwissenschaftlicher Sicht ein gesondertes Problem.

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Christina Stecker,

Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Vergütete Solidarität und solidarische Vergütung - Zur Verwendungempirischer Daten zum bürgerschaftlichen Engagement inDeutschland 1999 8

Hintergrund der Datenverwendung

Die Verwendung der Erhebung im Auftrag des BMFSFJ zum BürgerschaftlichenEngagement erfolgte im Rahmen eines Forschungsprojektes am Zentrum fürSozialpolitik in Bremen (Stecker 2002). Verfolgt wurde ein interdisziplinärer Ansatz, dersowohl theoretisch wie auch empirisch angelegt war. Das Forschungsprojekt basierteauf der Fragestellung, ob und wie der Sozialstaat bzw. der Gesetzgeber dasbürgerschaftliche Engagement fördern und Anreize setzen kann. Die Untersuchungwurde dabei von der These geleitet, dass aufgrund der Vielfalt des Ehrenamts undEngagements - die begrifflich als bürgerschaftliches Engagement gefasst werden - einepauschale Förderung nicht angemessen und hilfreich erscheint. Diese These hatinsbesondere Auswirkungen auf die spezifische Fragestellung, nämlich, ob dasEhrenamt und Engagement mit Hilfe der Sozialpolitik gefördert werden kann.Hinsichtlich der Frage des Wie wird das innovative Instrument der „Solidarzeiten“ fürbürgerschaftlich Engagierte vorgeschlagen. Zur Modellierung und Berechnung diesesKonzepts, das auf der Einbindung in die gesetzliche Rentenversicherung durchGenerierung eines neuen sozialrechtlichen Tatbestands basiert, dienten die Daten des„Freiwilligensurvey“ 1999.

Verwendung des Datenmaterials im Forschungsprojekt

Eingebettet in die theoretischen Beiträge zum bürgerschaftlichen Engagement und denDiskursen zur Individualisierung, Sozialkapital, Zivilgesellschaft und des aktivierendenStaates, diente das Datenmaterial insbesondere zur empirischen Überprüfung.Zunächst ist es möglich, das sogenannte „Sozialkapital“ empirisch näherungsweise zu

8 Gekürzte Fassung eines Vortrages zum Workshop „Freiwilliges Engagement in Deutschland“,

Münchner Institut für Sozialforschung, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,18. Dezember 2002, Bonn.

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bestimmen. Entgegen anderslautender Interpretationen macht der Sozialkapitalansatzinstruktiv deutlich, dass aktive Mitgliedschaft von der durch Engagement praktischgeleisteten Tätigkeit unterschieden werden muss. Dieser Befund ist für die spezifischeFrage des Einbezugs in die gesetzliche Rentenversicherung relevant. Da die tatsächlichgeleistete Tätigkeit für das spezifische Forschungsinteresse des Projektes zentral ist,spielt einfache Mitgliedschaft keine Rolle. Wichtiger ist hingegen der Anteil der„Hochaktiven“ unter den Engagierten. Diese kommen für eine etwaige Förderung durchden Einbezug in die Rentenversicherung über das innovative Instrument der„Solidarzeiten“ in Frage. Dazu bedufte es der Formulierung eines eindeutigensozialrechtlichen Zugangskriteriums. Entsprechend dieses Zuschnitts konnte schließlichder Finanzbedarf des rentenrechtlichen Einbezugs der „Hochaktiven“ anhand von fünfSzenarien berechnet werden.

Anregungen und kritische Würdigung der Datenerhebung von 1999

Vorstrukturierung des Datenmaterials

Aufgrund der starken Vorstrukturierung der Daten ist es nicht möglich, dasDatenmaterial entsprechend den Erfordernissen des Forschungsprojekts anzupassen.Zum Verständnis der Kritik ist relevant, dass im Forschungsprojekt eine Differenzierungnach vier Engagementtypen vorgenommen wurde. Einerseits nach der sozialstaatlichenFunktionserfüllung und andererseits inhaltlich nach sozialen und politischen Inhalten imengeren und weiteren Sinne.

Die Kritik wird am Beispiel des Bereiches Justiz und Kriminalität verdeutlicht. Wie dieAnalyse der empirischen Daten zeigt, handelt es sich bei den Tätigkeiten im BereichJustiz und Kriminalität um die per Gesetz bestimmten Ehrenrichter, Jugendschöffenusw. und damit um das politische Ehrenamt (II.). Aufgrund der sozialstaatlichenAufgabenerfüllung muss das politische Ehrenamt funktional vom politischenEngagement (IV.) unterschieden werden, zu dem beispielsweise Umweltorganisationen,Bürgerbewegungen und auch Bürgerproteste gehören. Sowohl die funktionaleDifferenzierung zwischen staatlich verpflichtendem Ehrenamt und „freiwilligen“Engagement als auch die inhaltliche Differenzierung nach sozialen und politischenTätigkeitsinhalten ist im vorliegenden empirischen Datenmaterial entweder gar nichtoder nicht durchgängig und eindeutig vorgenommen worden. Einige Tätigkeiten, dieunter Justiz/Kriminalität gefasst wurden, sind inhaltlich zum sozialen Engagement (III.)zu zählen. So wurde die psychische Betreuung von Gefangenen hier erfasst, die keinepolitische Tätigkeit darstellt. Gleiches gilt für die ebenfalls genannte Schuldnerberatungoder die „Sicherheitspartnerschaft“ und Kontrolle im Wohngebiet.

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Veränderungen der zwei Manuskriptformen und der Buchform

Gänzlich uneinsichtig blieb die zwei- bis dreifache Veränderung der beidenManuskriptformen und der Buchform.9 Als Beispiel gilt hier die Re-Numerierung derEngagementbereiche. Im zweiten Manuskript von 2000 erfolgt die Rangfolge nach demAnteil der Mitgliedschaften, und nicht mehr wie 1999 logischerweise nach dem Anteilder im jeweiligen Feld tatsächlich ehrenamtlich Tätigen und Engagierten. Warum ist eswichtiger zu wissen, wo die meisten Vereinsmitglieder sind und nicht, wo ich diemeisten Engagierten antreffe? Uneinsichtig ist dabei auch die veränderte Sprachwahl.Mitgliedschaften werden nun als „aktiv Beteiligte“ bezeichnet. Mitgliedschaft, auchaktive, ist leider noch nicht automatisch bürgerschaftliches Engagement. Sie kannlegitimerweise auch lediglich dem Privatvergnügen dienen. Erklärlich ist dieseVeränderung nur durch den Einfluss des Sozialkapitalkonzeptes von Putnam, der seineTheorie auf Vereinsmitgliedschaften stützte, selbst wenn Putnam darunter auch passiveMitgliedschaften erfasste. Insgesamt führt die Veränderung zu dem verwirrendenErgebnis, dass in der Bevölkerung 32% aktiv beteiligt sein sollen, bürgerschaftlichengagiert aber 34%.

Konzentration auf und Betonung der „Engagementpotenziale“

Von den gleichen Autoren, die auch maßgeblich an der Freiwilligenstudie im Auftragdes Familienministeriums (BMFSFJ) mitgewirkt haben, wurden die Potenziale fürEigenverantwortung in Deutschland im Speyerer Wertesurvey erfasst10. ImFreiwilligensurvey wird ein hohes Engagementpotenzial ausgewiesen, insgesamt 34,8Millionen Fälle (Tätigkeiten)11. Zwar wird in der Freiwilligenstudie kritisch angemahnt,ein solches Potential nicht als „Lückenfüller“ zu sehen, wenn in diesen FeldernArbeitsplätze abgebaut werden oder Zivildienstleistende wegfallen. Es steht jedoch zubefürchten, dass die Motivierung und Aktivierung des „Engagementpotenzials“ dasangestrebte Ziel der sozialpolitischen Diskussion darstellen könnte. Somit scheintjenseits der Frage des Umfangs der bürgerschaftlichen Beteiligung das „’schlafende’

9 Band 1 Rosenbladt 2000a, Manuskriptfassungen Rosenbladt / Picot 1999, Rosenbladt 2000b.10 Die Begründungssuche für „Eigenverantwortungspotenziale“ hat zur Folge, wenngleich auch nichtintendiert, dass sowohl das Nichtengagement wie auch eine materiell-ökonomische Nutzeneinstellung zurverstärkten Grundlage wird und so den Einstellungswandel in utilitaristischer, nicht-reziproker Richtungforciert (Beliebigkeit, Spaß- und Freizeitorientierung). Damit kann der Ökonomisierung weiterergesellschaftlicher, lebensweltlicher Bereiche Vorschub geleistet werden. Zudem kann sich einVerständnis von Solidarisierung einstellen, dass die private, familiär-nachbarschaftliche, exklusiveGruppenidentität an die Stelle gesellschaftlicher Verantwortung, Integration und Vertrauensbildung tretenlässt, die übergreifend, abstrakt und anonymisiert sein kann.11 Die Untersuchungen von Klages / Gensicke 1997 weisen den höchsten Umfang des BürgerschaftlichenEngagements aller vergleichbaren Studien aus: insgesamt rund 38% ehrenamtlich oder „freiwillig“ Tätige,im Westen 40% und im Osten 35%. Die Analyse mit den Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP)1997 ergab 18,2%; Erlinghagen / Rinne / Schwarze 1997, dazu auch Gaskin / Smith / Paulwitz 1996,Heinze / Keupp 1997.

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Engagementpotential“ nicht nur aus forschungsrelevanten Gründen bedeutsam, wennes gilt, dieses nicht „aus den Augen zu verlieren“ (Klages 1999, auch Klages 2001).

Vor dem Hintergrund der skizzierten Forschungsfragen ist die Hochrechnung despotenziellen, gänzlich ungewissen Engagementpotenzials solange uninteressant,solange die hier und heute tatsächlich bürgerschaftlich Tätigen sich vor vielfältige undteilweise gravierende Hindernisse gestellt sehen. Dieses tatsächlich vorhandenesolidarische und demokratische Potenzial als gesellschaftlich unverzichtbare Ressourcezu erhalten, scheint demnach vordringlicher.

Anregungen für künftige Forschungsaktivität

Vor dem Hintergrund des dargestellten Forschungsanliegens wären detaillierteAngaben zum sozialrechtlichen Status der bürgerschaftlich Engagierten hilfreich. Werverfügt über eine eigenständige Absicherung in den Sozialversicherungen, in welcherHöhe wurden und werden Rentenansprüche erworben, wie sieht das Verhältnis voneigenen Ansprüchen und zu erwartenden Renten aus der Ehegatten- undHinterbliebenenrente aus? Weitere Fragen betreffen den Zusammenhang von materiellverfügbarem Einkommen, eigenständiger Sozialversicherung, Existenzsicherung in derZukunft, jeweils differenziert nach Geschlecht und der Aufteilung von Erwerbs-,Familien und ehrenamtlicher Tätigkeit.

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Programmablauf

Moderation: Gisela Notz (Friedrich Ebert Stiftung)

9.00 – 9.30 Begrüßung und Einführung in das Thema

(Wolfgang Linckelmann / Gerd Mutz)

9.30 – 10.00 Thomas Gensicke (Infratest): Konzeption des Freiwilligensurveys:Stärken – Schwächen – Zukunft

10.00 – 10.45 Diskussion und Kritik zum Freiwilligensurvey

10.45 – 11.00 Kaffeepause

11.00 – 12.00 Dieter Dathe / Ernst Kistler: Bürgerschaftliches Engagement undsoziale Gruppen

12.00 – 12.30 Zwischenresümee (Michael Bürsch)

12.30 – 14.00 Mittagspause

14.00 – 15.00 Gerd Mutz: Die Notwendigkeit einer qualitativen Untersuchung zumThema „Motive für freiwilliges Engagement“

15.00 – 16.00 Christina Stecker: Vergütete Solidarität und solidarische Vergütung

16.00 – 16.15 Kaffeepause

16.15 – 17.00 Abschließende Diskussion (Gisela Notz) und Schlusswort (GerdMutz)

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Teilnehmende Personen und Institute

Dietmar Dathe (INIFES)

Michael Bürsch (Enquete Kommission „Bürgerschaftliches Engagement“)

Joachim Braun (ISAB)

Jürgen Fuchs (BMFSFJ)

Thomas Gensicke (Infratest Burke Sozialforschung)

Anne Hacket (MISS)

Wolfgang Knuhr (BMFSFJ)

Udo Kollenberg (BMFSFJ)

Wolfgang Linckelmann (BMFSFJ)

Gisela Notz (Friedrich Ebert Stiftung)

Gerd Mutz (MISS)

Thomas Olk (Universität Halle)

Eckhard Priller (Wissenschaftszentrum Berlin)

Martin Schenkel (Enquete Kommission „Bürgerschaftliches Engagement“)

Christina Stecker (Universität Münster)

Manfred Weimann (BMFSFJ)