"Das krzeste Gedicht stammt von Muhammad Ali", sagt Michael
Lentz, "es geht so: Me / We". Lentz muss es wissen, ist er doch
selbst Romancier und Professor fr Literarisches Schreiben am
Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Und Boxer. Aber einem Roman
bers Boxen will der 43-Jhrige nicht verfassen. "Daran msste ich
sehr lange arbeiten, es ginge ja ber konkrete Bewegungen", sagt er,
"das wrde ein schwieriges Werk."
Immerhin, ein Gedicht ber Boxen hat er verfasst, aber sonst gilt fr
ihn: "Boxen ist nur begrenzt literaturfhig." Lentz, der 2001 den
Bachmann-Preis gewann, boxt im Boxtempel Weiensee, einem
Schuppen in einem Ostberliner Industriegebiet, in dem Profis und
Amateure trainieren und wo auch so genannte
Kleinringveranstaltungen stattfinden. "Das Flair dort hat mich direkt
angezogen", sagt Lentz. "Da gibt es nichts Geknsteltes, nichts
Aufgemotztes. Wenn man den Laden betritt, wei man sofort, wo
man ist." Man knnte, fhrt Lentz aus, beim Boxen Milieustudien
Boxen und Literatur
Faustkampf, feinsinnigOb Mailer, Hemingway oder Brecht: Die Faszination der Literatur fr das Boxen ist fast so alt wie
der martialische Kampf Mann gegen Mann selbst.
Bild: apDa hatte Boxen noch eine nahezu poetische Dimension: "Big Cat" Williams und Muhammed Ali 1966.
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betreiben. "Es gibt bestimmte Codes, die jeder draufhat. Da sind
wirkliche Boxexperten, boxende Manager, Leute mit Straengang-
Outfit, Fachpublikum, Trsteher, Zuhlter."
Boxende Schriftsteller sind nicht so selten: Norman Mailer und
Georges Simenon, Ernest Hemingway hat gegen Profis gekmpft,
und Arthur Cravan forderte 1916 sogar den Exweltmeister im
Schwergewicht, Jack Johnson, heraus - freilich ohne jemals eine
Chance gehabt zu haben. In Deutschland war immerhin Wolfgang
Hilbig, der im Juni verstorbene Bchner-Preistrger, Amateurboxer. In
Bertolt Brechts Arbeitszimmer hing ein Punchingball, und Wolf
Wondratschek stand im Ring. "Den wrde ich gerne mal boxen
sehen", sagt Lentz. Auch der Schriftsteller, Musiker und Filmemacher
Hartmut Geerken boxt, und von jngeren Autoren wie Clemens
Meyer und Helmut Kuhn ist bekannt, dass sie zumindest manchmal
sparren.
Literatur, die sich mit dem Boxen beschftigt, gibt es zuhauf, der
Literaturwissenschaftler und Journalist Manfred Luckas hat darber
seine Dissertation geschrieben : "Solange du stehen kannst, wirst du
kmpfen - Die Mythen des Boxens und ihre literarische Inszenierung"
(2001). "Grob geschtzt sind es 150 Romane und Erzhlungen, die
sich mit dem Boxen beschftigen", sagt Luckas. Das sind so
berhmte wie Budd Schulbergs "Schmutziger Lorbeer" oder Leon
Gardners "Fat City", ungewhnliche wie "Zwei Baxer" von Heinrich
von Kleist und zu Unrecht kaum bekannte wie "Die Boxkampf-
Beichte" von Bernd Eilert.
Nicht nur literarische, es gibt auch theoretische Annherungen an
Bild: apBoxt und schreibt: Michael Lentz.
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den Boxsport: Joyce Carol Oates Essay "ber Boxen" etwa oder
Djuna Barnes "Meine Schwestern und ich bei einem Preisboxkampf".
Robert Musil nhert sich im "Mann ohne Eigenschaften" so:
"Wunderlicherweise nennt man das, was man beim Boxen als
berlegene Geisteskraft empfindet, nur kalt und gefhllos, sobald es
bei Menschen, die nicht boxen knnen, aus Neigung zu einer
geistigen Lebenshaltung entsteht." Und natrlich Brecht. Der begann
einen nie vollendeten Boxerroman, verfasste Manifeste ber "Sport
und geistiges Schaffen" und legte mit "Der Kinnhaken" eine
Boxerzhlung vor. "Ich glaube aber", meint Lentz, der sich fr sein
neuestes Buch "Pazifik Exil" sehr mit Brechts Biografie beschftigt
hat, "er war nicht an der boxerischen Arbeit, an den schpferischen
Ttigkeiten interessiert." Brecht sei es mehr um soziologische
Betrachtungen gegangen. Und um die Selbstinszenierung als cooler
Bursche.
"Das beste Buch, das ich ber das Boxen gelesen habe", sagt Lentz,
"ist kein literarisches." Es ist die Studie des franzsischen Soziologen
Loc Wacquant, der als Feldforscher drei Jahre lang in einem Gym in
der Bronx von Chicago trainierte: "Leben fr den Ring" (2003).
Wacquants Ansatz ist die teilnehmende Beobachtung. "Um eine
ungestme, durch Evozieren der Kmpfe gefrderte
Spontansoziologie zu vermeiden, sollte man seine Gedanken nicht
auf die auergewhnliche Gestalt des Champions im Ring richten",
begrndet Wacquant seinen Forschungsansatz, "sondern gemeinsam
mit anonymen Boxern im gewohnten Rahmen ihres Gym den
Sandsack schlagen." Das tat der Schler von Pierre Bourdieu so
intensiv, dass er zeitweilig sogar seine Professur aufgeben und
Profiboxer werden wollte.
Boxer als Schriftsteller, diese Kombination ist selten, aber nicht so
ungewhnlich. Nathan Hare etwa, einer der Begrnder der "Black
Studies" in den USA, war Ende der Vierzigerjahre Profiboxer, ebenso
wie Tom Jones, der das Buch "The Pugilist at Rest" schrieb. Nicht
vergessen darf man in dieser Aufzhlung Gene Tunney und Jos
Torres: Tunney gab als Weltmeister im Schwergewicht an der
Universitt Yale Vorlesungen ber Shakespeare. Torres,
Exweltmeister im Halbschwergewicht, wurde Schriftsteller und
verfasste die wahrscheinlich beste Biografie, die sich je dem frheren
Schwergewichts-Champ Mike Tyson widmete ("Knock Out" von
1992). Noch eine weitere, berhmt gewordene Biografie schrieb
Torres: ber Muhammad Ali, den man selbst in die Liste der groen
Boxer als groe Literaten aufnehmen muss. "Ali hatte immer
Geschichten zu erzhlen", sagt Lentz bewundernd, "auf
Pressekonferenzen, bei Interviews, berall - das war ein groer
Geschichtenerzhler." Erst im vergangenen Jahr brachte der Taschen-
Verlag "Ali Rap" heraus, das Buch ber Ali als "the first Heavyweight
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of Rap". In Leon Gasts Dokumentarfilm "When We Were Kings" ber
den Alis Kampf gegen George Foreman in Kinshasa findet Lentz eine
Szene besonders beeindruckend: Der Literaturwissenschaftler George
Plimpton berichtet, wie Ali vor 2.000 Harvard-Studenten einen
Vortrag hielt. "Give us a poem", forderte ein Student, Ali erfuhr, dass
das krzeste Gedicht in englischer Sprache so lautete: "Adam / had
em". Er berlegte einen Moment, und sagte dann: "Me / We".
"Genial", begeistert sich Lentz, "das erfllt alle Kriterien eines
Gedichts, und er hat es spontan entworfen."
Ali als Dichter zu loben, fllt Michael Lentz leicht, wenngleich Alis
kurzes Gedicht ja nicht vom Boxen handelt. Bei seiner These, dass
Boxen nur begrenzt literaturfhig ist, bleibt Lentz. "Wenn man
Verstndnis fr das Boxen sucht, dann muss man zum Boxtempel
Weiensee gehen."
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