28 md Office | Februar 2018
FONDAZIONE AGNELLI IN TURIN VON CARLO RATTI ASSOCIATI
DIALOG MIT DEN RÄUMEN
In Turin interagieren die Nutzer im jüngst digital ausgestatteten Sitz der italienischen Fondazione Agnelli recht unauffällig mit dem Gebäude, das seinerseits intelligent
reagiert – ein eindrucksvolles Beispiel der Smartifizierung des Arbeitsalltags.
In der Fondazione Agnelli lässt sich dank digitaler Technik überall arbeiten. Das historische Treppenhaus im Hauptgebäude erhielt ein Oberlicht und ein Werk des Lichtkünstlers Olafur Eliasson.
.SPECIAL DIGITAL WORK
Fließtext std
30 md Office | Februar 2018
Architekt Carlo Ratti betreibt
sein Büro Carlo Ratti Associati in Turin,
Boston und London. Er unterstützt
den Aufbau von Start-ups und
forscht am Massachusetts
Institute of Technology.
www.carloratti.com
rung des kombinierten klassizistisch-brutalistischen Hauses an. Sie wurde vom Turiner Architekturbüro Carlo Ratti Associati gestemmt. Sein archi-tektonisches Ziel: Mit elegant einge-setzten Ergänzungen das Gebäude mit Garten und Stadt verbinden.
BEHUTSAM MODERNISIERTDas erreichten Carlo Ratti und sein Team zunächst durch den Anbau eines Glaskörpers im Erdgeschoss, der sich weit aus der Gebäudeflucht bis zum Gehweg vorschiebt. Im Glaskör-per befindet sich ein öffentliches Café
Der 100. Geburtstag von Giovanni Agnelli im Jahr 1966 war denn auch Anlass für die Gründung der „Fonda-zione Agnelli“. Die Agnelli-Stiftung war als unabhängige und gemeinnüt-zige Forschungsinstitution angelegt. Sitz der Stiftung in Turin ist die Villa von Giovanni Agnelli, ergänzt durch einen neuen Anbau, in dem später ein Zentrum für Design und Architektur entstand. Dort arbeiteten und wirkten viele wichtige Architekten Italiens wie Amedeo Albertini oder Gabetti & Isola.Nach fast 50 Jahren des Bestehens der Stiftung stand nun die Renovie-
Beim Namen Agnelli horchen hierzulande nur wenige auf. Automobilfans etwa oder auch
Architekturbegeisterte. Soviel sollte man aber wissen: Giovanni Agnelli (1866–1945) war im Jahr 1899 einer der Gründerväter der „Fabbrica Ita -liana Automobili Torino“, besser bekannt unter dem Namen FIAT. Das bekannteste und auffälligste Wahr-zeichen des Unternehmens ist das 500 m lange Hauptgebäude aus den 1920er-Jahren. Auf dessen Dach befand sich die werkseigene Renn- und Teststrecke als Rundparcours.
Sämtliche Büroräume wurden überholt. Beleuchtung und Klimatisierung sind in der Decke untergebracht.
Autor Thomas Geuder
Fotos Beppe Giardino
.SPECIAL DIGITAL WORK
„Menschen und Räume verbinden sich miteinander“Carlo Ratti
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als Treffpunkt für die Bewohner des Quartiers. Der Garten, vom franzö -sischen Landschaftsarchitekten Louis Benech mit Obstbäumen versehen, ist als eine Art Ruhepol gestaltet. Hier können die Mitarbeiter in der Natur arbeiten und Meetings abhalten.Das Thema der Verbindung findet sich auch im Hauptgebäude wieder. So wurde etwa der historischen Treppe durch ein großzügiges Oberlicht neues Leben eingehaucht. Außerdem erhellt das üppig herein fallende Licht das Kunstwerk „La congiuntura del tempo“ (Die Konjunktion der Zeit) des
Lichtkünstlers Olafur Eliasson. Es ist eine Art Kaleidoskop, das die Räume auf beiden Seiten – im alten und neueren Gebäudeteil – in angenehme Farben taucht. Sämtliche Büroräume wurden über-holt und von allem Überflüssigen befreit. Deshalb können die verschie-denen Mieter – eine bunte, multidis-ziplinäre Mischung aus Kreativen, Investoren, Forschern für eine philan-thropische Einrichtung sowie Lehrern eines experimentellen Programms – ihr Umfeld nach eigenem Gusto aus-statten. Statt geschlossener Trenn-
wände gibt es nun großzügige Glaswände mit schmalen, schwarzen Rahmen. Beleuchtung und Klimatisie-rung sind in der Decke untergebracht.Bemerkenswert bei der Moderni -sierung des Gebäudes ist die Techno-logie, die im Hintergrund für eine gute Arbeitsatmosphäre sorgt. „Office 3.0“ nennen die Planer ihr Konzept, das zusammen mit Siemens entstand. Es soll das Zusammenleben von Mensch und Haus technik auf ein neues Niveau heben, um ein Gebäude zu entwickeln, das mitdenkt, mitfühlt und individuell reagiert.
Mithilfe eines Smartphone-basierten Systems können die Mitarbeiter Heizung, Lüftung, Kühlung und Beleuchtung steuern.
Im Fokus
Der Sitz der Fondazione Agnelli
wurde renoviert und um neue Elemente
wie einen Glaskörper ergänzt. Siemens
fügte ein Gebäude-managementsystem
ein, das auf der Internet-of-Things-Technologie basiert.
Menschen und Räume kommuni -
zieren darüber.
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Weitere Bilder unter
info.md-mag.com/agnelli
Grundgedanke des digitalen Konzepts ist die „Bubble“, eine Blase, die jeder Nutzer quasi mit sich trägt. Diese Blase ist gefüllt mit allen nötigen Informationen, die für ein individu -elles Arbeitsambiente notwendig sind. Das geschieht nahezu unmerklich und funktioniert im Prinzip so: Das System ermittelt durch Geolokalisierung per Low-Energy-Bluetooth stets den aktuellen Aufenthaltsort jedes Mitar-beiters und stellt die Bedingungen des Raums oder Bereichs, in dem er sich gerade befindet, ganz automatisch auf ihn ein. Heizung, Lüftung, Kühlung und Beleuchtung werden so nutzer-abhängig angepasst.
DIE BLASE IST IMMER DABEIBefinden sich mehrere Nutzer im selben Raum, wird gemittelt. Dazu sind hunderte Sensoren notwendig, die ständig die Temperaturen, die CO2-Konzentration, die Verfügbarkeit von Meeting-Räumen und andere Gebäudedaten messen – ohne aber den Mitarbeiter persönlich zu identi -fizieren, verspricht der Hersteller.Hinter allem steckt ein Smartphone-basiertes „Drei-Achsen-Indoor-Posi-tioning-System“, das in „Desigo CC“ integriert ist, ein von Siemens entwi-ckeltes Gebäudemanagementsystem, das auf der Internet-of-Things-Tech-nologie (IoT) basiert. Die Mitarbeiter ihrerseits müssen sich lediglich die entsprechende App installieren und per Wifi einloggen, um in den Genuss der digitalen Vorteile zu kommen. Mit der App können die Menschen sogar ins Gebäude einchecken, mit Kollegen interagieren, Meeting-Räume buchen
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und die Umgebungseinstellungen individuell anpassen. Verlässt ein Nutzer einen Raum wieder, schaltet der Raum sofort und ohne systemische Trägheitsverluste in einen sparsamen Standby-Modus. Wer kein Smartphone besitzt oder die App nicht verwenden möchte, kann alternativ einen tragbaren Bluetooth-Anhänger verwenden. Damit soll, so der Wunsch der Planer, bis zu 40 % der Energie eingespart werden.„Warum sollen wir noch ins Büro gehen, wenn die Arbeit immer digi -taler wird?“, fragt Carlo Ratti, der auch Direktor des Senseable City Lab am Massachusetts Institute of Techno -
logy (MIT) ist. „Die Antwort auf diese Frage liegt in der zwischenmenschli-chen Interak tion. Die zentrale Idee beim Agnelli-Projekt besteht darin, dass durch die nahtlose Integration digitaler Technologien in den physi-schen Raum eine bessere Verbindung zwischen Mensch und Gebäude geschaffen werden kann.“ Damit sieht er eine Vision realisiert, die die Isolation des digitalen Home-Office und Grenzen des Prä- Inter -net-Raums überwindet. Genau genommen ein analoger und zugleich alter Ansatz : Menschen gehen wieder gern ins Büro, weil sie dort optimale Arbeitsbedingungen vorfinden. ←
FACTSHEET
Projekt: Fondazione AgnelliStandort: Via Giuseppe Giacosa, 36–38, 10125 Turin, ItalienBauherr: Agnelli FoundationFertigstellung: 2017Gesamtgrundfläche: 6 625,5 m²
Partner:Technische Entwicklung: Siemens Italia, Building Technologies DivisionGartenarchitektur: Louis BenechBauausführung: Studio FerraresiLichtplanung: Roberto PomèCafé Design: SimmetricoInnenarchitektur Büros der Agnelli Foundation: Natalia Bianchi StudioHistorische Beratung: Michele BoninoBetreiber des Coworking Space: Talent Garden
Bauleistung: D‘Engineering srlMechanische und hydraulische Systeme: Ice Clima srl Elektrisches System: Surina srl Beleuchtung: Davide Groppi srl
Plan
: Car
lo R
atti
Asso
ciat
i
Grundriss Erdgeschoss
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