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FACHDIDAKTISCHE FORSCHUNGEN

Horst Bayrhuber, Ute Harms, Bernhard Muszynski, Bernd Ralle, Martin Rothgangel, Lutz-Helmut Schön,Helmut J. Vollmer, Hans-Georg Weigand(Hrsg.)

FormateFachdidaktischerForschungEmpirische Projekte – historische Analysen– theoretische Grundlegungen

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Fachdidaktische Forschungen

Herausgegeben vom Vorstand der Gesellschaft für Fachdidaktik (GFD)

Band 2

Fachdidaktik ist die Wissenschaft vom fachspezifischen Lehren und Lernen innerhalb und außerhalb der Schule. In ihren Forschungsarbeiten befasst sie sich mit der Auswahl, Legitimation und didaktischen Rekonstruktion von Lerngegen-ständen, der Festlegung und Begründung von Zielen des Unterrichts, der metho-dischen Strukturierung von Lernprozessen sowie der angemessenen Berück-sichtigung der psychischen und sozialen Ausgangsbedingungen von Lehrenden und Lernenden. Außerdem widmet sie sich der Entwicklung und Evaluation von Lehr- und Lernmaterialien (Konferenz der Vorsitzenden der Fachdidaktischen Fachgesellschaften, KVFF 1998). Mit der Gründung der Gesellschaft für Fachdidaktik (GFD) im Jahre 2001 haben die Fachdidaktiken in Deutschland eine organisierte Vertretung und ein effek-tives Sprachrohr bekommen. Gleichzeitig wurde eine eigene Publikationsreihe (Forschungen zur Fachdidaktik) eingerichtet, die nun als Fachdidaktische Forschungen weitergeführt wird. In dieser Reihe erscheinen Monographien und Sammelbände, die aufgrund ihrer methodischen Anlage oder inhaltlichen Schwerpunkte von allgemeinem fachdidaktischem Forschungsinteresse sind. Dadurch soll die interdisziplinäre Kooperation der Fachdidaktiken auf dem Gebiet der Forschung angeregt und gefördert werden.

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Horst Bayrhuber, Ute Harms, Bernhard Muszynski, Bernd Ralle,

Martin Rothgangel, Lutz-Helmut Schön, Helmut J. Vollmer, Hans-Georg Weigand

(Hrsg.)

Formate Fachdidaktischer Forschung

Empirische Projekte – historische Analysen – theoretische Grundlegungen

Waxmann 2012 Münster / New York / München / Berlin

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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Fachdidaktische Forschungen, Band 2

ISSN 2191-6160 ISBN 978-3-8309-2679-5

Waxmann Verlag GmbH, 2012 Postfach 8603, 48046 Münster

www.waxmann.com [email protected]

Umschlaggestaltung: Pleßmann Design, Ascheberg Umschlagabbildung: tom – Fotolia.com Druck: Hubert & Co., Göttingen

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier, säurefrei gemäß ISO 9706

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Inhalt 5

Inhalt

Lutz-Helmut SchönGFD-Fachtagung 2011Formate Fachdidaktischer Forschung...........................................................................7

Heinz-Elmar TenorthForschungsfragen und Reflexionsprobleme – zur Logik fachdidaktischer Analysen......................................................................... 11

Susanne Prediger & Michael LinkFachdidaktische Entwicklungsforschung – ein lernprozessfokussierendes Forschungsprogramm mit Verschränkung fachdidaktischer Arbeitsbereiche............29

Diagnose, Modellierung und Förderung von Kompetenzen

Matthias Knopp, Jörg Jost, Nicole Nachtwei, Michael Becker-Mrotzek & Joachim GrabowskiTeilkomponenten von Schreibkompetenz untersuchen: Bericht aus einem interdisziplinären empirischen Projekt....................................................................... 47

Wolfgang ZydatißZur doppelten Sprachschwelle im bilingualen Unterricht..........................................67

Helmut Johannes VollmerFachliche Diskursfähigkeit bei bilingualen und monolingualen Geographielernern...................................................................................................... 85

Johannes Magenheim, Sigrid Schubert & Niclas SchaperEntwicklung von qualitativen und quantitativen Messverfahren zu Lehr-Lern-Prozessen für Modellierung und Systemverständnisin der Informatik (MoKoM)..................................................................................... 109

Ingrid Hemmer, Michael Hemmer, Eva Neidhardt, Gabriele Obermaier, Rainer Uphues & Katja WrengerEinflussfaktoren auf die kartengestützte Orientierungskompetenz von Kindernin einer ihnen unbekannten Stadt – Format einer geographiedidaktischen Studieim Realraum..............................................................................................................129

Elmar Cohors-FresenborgMetakognitive und diskursive Aktivitäten – ein intellektueller Kernim Unterricht der Mathematik und anderer geisteswissenschaftlicher Fächer........145

Franz X. Bogner & Florian G. KaiserUmweltbewusstsein, ökologische Verhalten und Umweltwissen: Modelleiner Kompetenzstruktur für die Umweltbildung....................................................163

Klaas Macha & Michael SchuhenDie ECOS-Pilotstudie zu ökonomischer Kompetenz – erste Ergebnisse zum Zusammenhang von Economic Literacy und Numeracy......................................... 183

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6 Inhalt

Domänenspezifische Lernprozesse

Christian BeermannFehlerklima und Emotionen im Französischunterricht – Mehrebenenanalysen anhand individueller und aggregierter Daten........................................................... 201

Heike Gebauer„Wir beginnen mit unserem normalen Warm-up …“ Inszenierungsmuster kognitiver Aktivierung im Musikunterricht –ein Fallbeispiel aus einer Videostudie...................................................................... 219

Thomas Wilhelm, Verena Tobias, Christine Waltner, Martin Hopf& Hartmut WiesnerEinfluss der Sachstruktur auf das Lernen newtonscher Mechanik..........................237

Michael Fricke & Ulrich RiegelLässt sich Gott durch leibliche Lernwege „erschließen“? Eine empirische Pilotstudie zur Lehr-Lern-Forschung im Religionsunterricht..................................259

Ulrich Gebhard, Markus Rehm & Anneliese WellensiekLernen als das Konstituieren von Sinn.....................................................................277

Kompetenzen von Lehrkräften und Lehramtsstudierenden

Josef Riese & Peter ReinholdKompetenzen von Lehramtsstudierenden in Physik................................................ 297

Kim Lange, Thilo Kleickmann & Kornelia MöllerDie Bedeutung des fachdidaktischen Wissens von Lehrkräftenfür Lernfortschritte von Schülerinnen und Schülern im Sachunterricht der Grundschule........................................................................................................315

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren................................................................. 335

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Lutz-Helmut Schön 7

Lutz-Helmut SchönVorwort

GFD-Fachtagung 2011Formate Fachdidaktischer Forschung

Empirische Projekte – historische Analysen – theoretische Grundlegungen

„Fachdidaktik ist die Wissenschaft vom fachspezifischen Lehren und Lernen inner-halb und außerhalb der Schule. Im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten befasst sie sich mit der Auswahl, Legitimation und der didaktischen Rekonstruktion von Lerngegen-ständen, der Festlegung und Begründung von Zielen des Unterrichts, der methodi-schen Strukturierung von Lernprozessen sowie der angemessenen Berücksichtigung der psychischen und sozialen Ausgangsbedingungen von Lehrenden und Lernenden. Außerdem befasst sie sich mit der Entwicklung und Evaluation von Lehr-Lernmate-rialien.“1 In dieser Weise hat die GFD bereits 1998 das Spektrum fachdidaktischer Forschungsarbeiten umrissen, das von einer rein deskriptiven Grundlagenforschung aus psychologischer oder soziologischer Perspektive bis hin zu sehr praxisnaher konkreter Entwicklungsarbeit mit unterschiedlich starker empirischer und theoreti-scher Absicherung reicht.

Die in diesem Band versammelten Beiträge spiegeln diese Breite des Forschungsin-teresses wider. Erneut zeigte die Fachtagung, dass über die unterschiedlichen Fach-didaktiken hinweg sehr ähnliche und auch gemeinsame Fragestellungen bearbeitet werden. Ebenso sind die methodischen Formate der Forschungsprojekte zwar viel-fältig, aber doch so verwandt, dass ein reger und befruchtender, Fächergrenzen über-greifender Austausch möglich wurde.

Im einleitenden Festvortrag hat Heinz-Elmar Tenorth eindrucksvoll dieses Spektrum fachdidaktischer Forschung analysiert und die Genese einzelner Forschungsrichtun-gen entfaltet. Tenorth konstatiert, dass die evidenzbasierte Forschung und das aus der alltäglichen Praxis gewonnene Professionswissen noch nicht zusammengefun-den haben. Mit Lee S. Shulman nennt er dieses Praxiswissen Weisheit (Wisdom of Practise). Zum Wohl der schulischen Praxis aber sollten beide – so Tenorths Appell an die Fachdidaktiken – eine Genossenschaft bilden, „damit die unmögliche Arbeit möglich wird. … Das ist die Aufgabe auch der GFD – legen Sie los! Arbeiten Sie an dem Problem, wie die Fachdidaktik wieder zusammenbringt, was sie jetzt getrennt hat: Weisheit und Forschungswissen.“

Die skizzierten Pole fachdidaktischer Forschungsansätze bedingen sehr unterschied-liche Forschungsformate, die von der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring über kategorienbasierte Videoanalysen realen Unterrichts bis zu strengen, klinischen Ana-lysen im Sinne der empirischen Sozialforschung reichen. Die Methode des Design

1 Dieses Zitat entstammt der Stellungnahme „Fachdidaktik an wissenschaftlichen Hochschulen“ aus der Sammlung „Fachdidaktik in Forschung und Lehre“, herausgegeben von der Konferenz der Vorsitzenden Fachdidaktischer Fachgesellschaften (KVFF), der Vorgängerin der Gesellschaft für Fachdidaktik (GFD), 1998 (www.gfd.rub.de => Stellungnahmen/Publikationen).

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8 Lutz-Helmut Schön

Research bzw. der prozessorientierten Entwicklungsforschung integriert die Gene-rierung, Pilotierung, Evaluation, Weiterentwicklung und Institutionalisierung von Lehr-Lern-Konzepten in einem iterativen Prozess. Diese Methode erhebt den An-spruch eine Brücke zwischen den genannten Polen zu schlagen und damit Veränderun-gen der schulischen Praxis auf nachvollziehbare Prozesse und empirisch überprüf-bare Hypothesen zu gründen. Das Potential dieses Forschungsansatzes hat uns ver-lasst, den Beitrag von Susanne Prediger und Michael Link an den Anfang des Ta-gungsbandes zu stellen: Sie stellen ein Forschungsprogramm der lernprozessfo-kussierenden fachdidaktischen Entwicklungsforschung exemplarisch an einem Bei-spiel aus dem Mathematikunterricht vor und reflektieren dieses hinsichtlich genera-lisierbarer Prinzipien.

Schulische Lehr-Lern-Prozesse haben die Entwicklung fachlicher und fachübergrei-fender Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zum Ziel. Die Diagnose, Model-lierung und Förderung von Kompetenzen steht im Zentrum zahlreicher Forschungs-projekte. Die hier vorgelegten Beiträge reichen thematisch von der Schreib- und Sprachkompetenz, der fachlichen Diskursfähigkeit bei bilingualen Lernern und dem informatorischen Systemverständnis, über die Orientierungskompetenz im städti-schen Raum und der Umweltbildung bis zur ökonomischen Kompetenz. Die unter dem Begriff „diskursive Kompetenzen“ subsumierten metakognitiven und diskursi-ven Aktivitäten der Lernenden können den intellektuellen Kern von Unterricht in verschiedenen Fächern bilden – so die Hypothese des Beitrags aus der Mathematik-didaktik, in welchem ein Kategoriensystem zur Codierung diskursiver Kompetenzen entwickelt und erprobt wird.

Unter dem Schlagwort domänenspezifische Lernprozesse kann eine Reihe weiterer Forschungsbeiträge subsummiert werden, die dabei über reine Entwicklungsarbeiten oder Evaluationsstudien hinausgehen und über die Ergebnisse empirischer Studien berichten, von denen einige den kognitiven Gehalt andere auch die emotionalen Komponenten des Unterrichts zum Gegenstand haben. Das emotionale Erleben im Französischunterricht, die kognitive Aktivierung im Musikunterricht und der Zu-sammenhang zwischen Sachstruktur und Lernen im Physikunterricht sind Inhalt der zweiten Gruppe der vorliegenden Beiträge. Dieser Gruppe wurde auch die empiri-sche Studie aus der Religionspädagogik zugeordnet, welche das Unterrichtskonzept „Gott durch leibliche Lernwege erschließen“ evaluiert. Der Bericht über ein empiri-sches Forschungsprojekt zu den „Alltagsphantasien“ von Schülerinnen und Schülern in den Bereichen Naturverständnis, Gentechnik und Menschenbild zeichnet sich durch eine breite bildungstheoretische Fundierung aus, in welcher „Lernen als das Konstituieren von Sinn“ charakterisiert wird.

Mit Kompetenzen von Lehrkräften und Lehramtsstudierenden beschäftigen sich zahlreiche fachdidaktische Forschungsgruppen. Zwei Studien werden hier vorge-stellt. Im ersten Beitrag wird die professionelle Handlungskompetenz in Form von Fachwissen, fachdidaktischem Wissen, pädagogischem Wissen sowie motivationaler Orientierungen in einer Querschnittsuntersuchung erhoben. Im Zentrum einer ande-ren Studie steht die Frage nach Zusammenhängen zwischen dem fachdidaktischen

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Vorwort 9

Wissen (PCK) von Grundschullehrkräften und den Fortschritten der Lernenden in ei-nem naturwissenschaftlichen Themenbereich.

Die Auswahl der Referenten der GFD-Fachtagung 2011 vom 29. bis 31. August 2011 in Berlin erfolgte auf der Grundlage von Vorschlägen aus den Mitgliedsverbän-den der GFD durch den Vorstand der GFD, der dabei nicht nur die wissenschaftliche Qualität der Projekte berücksichtigte, sondern zugleich die fachliche Vielfalt des Vortragsangebots für die Tagung im Blick hatte. Die für den vorliegenden Tagungs-band eingereichten Beiträge sind durch den Vorstand referiert worden, die Verant-wortung für Inhalt und Qualität der Beiträge verbleibt jedoch bei den Autoren.

Dankenswerterweise haben der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Friedrich Stiftung die Fachtagung und diese Publikation großzügig unterstützt.

Lutz-Helmut Schön, Vorsitzender der GFD Berlin, im August 2012

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Heinz-Elmar Tenorth 11

Heinz-Elmar TenorthForschungsfragen und Reflexionsprobleme

Forschungsfragen und Reflexionsprobleme – zur Logik fachdidaktischer1 Analysen

Vorbemerkung

Dass Fachdidaktiken forschende Disziplinen sind, das überrascht heute nicht mehr. Dass sie in eigenen Kongressen diese Praxis wenigstens gelegentlich explizit zum Thema machen, das ist auch erwartbar; denn diese Art distanzierter Selbstbeobach-tung gehört zur Praxis von Forschung wie das Datensammeln oder die Arbeit an Theorien und Methoden. Dass aber ausgerechnet ein Bildungshistoriker bei dieser Gelegenheit sprechen darf, das ist vielleicht doch ungewöhnlich, zumal Sie mich nicht nach der Rolle gefragt haben, die der bildungshistorischen Forschung inner-halb der Fachdidaktiken als forschenden Disziplinen zukommt (aber vielleicht haben Sie mich ja auch eingeladen, weil ich in früheren Zeiten die Forschungsfähigkeit der Fachdidaktiken stark bezweifelt habe – und jetzt Lob austeilen soll). Gleichwie, als Bildungshistoriker wäre mein Vortrag erheblich einfacher gewesen, ich hätte den Ton der klagenden Kritik einschlagen können – denn in den Fachdidaktiken wird entschieden zu wenig historisch geforscht – und Besserung eingefordert.

Über die Historie der Fachdidaktiken – als Praxis wie als Reflexion – sind wir näm-lich relativ wenig informiert, Fachdidaktiker, ich darf das vielleicht in aller Behut-samkeit andeuten, kennen auch – wie ich bei gelegentlichen Gesprächen feststellen konnte – die historische Dimension ihrer Praxis allenfalls bruchstückhaft. Wobei es natürlich Varianz gibt: Deutschdidaktiker z. B. kennen ihre eigene Fachtradition, schon weil sie nicht selten als Belastung präsent ist, z. B. in leitenden Programmen der 1920er Jahre, die als Ideologie funktioniert haben, von der man sich besser ver-abschieden will, weil sie als Belastung empfunden wird.2 Nahezu alle Didaktiker kennen auch die Tradition der Thematisierung ihres eigenen Themas innerhalb ihres eigenen Reviers, zumindest in Teilen, meist nur so weit, dass die Tradition als Feld der Abgrenzung von ungeliebten Konzepten präsent ist, oder als eine bessere Traditi-on, an die man anschließen will. Sie benutzen also Geschichte als „Steinbruch theo-retischer Rechtfertigungen“3 – gleich ob affirmativ oder kritisch, aber einen ange-messenen Modus wissenschaftshistorischer Forschung stellt diese Praxis nicht dar; denn Traditionsstiftung, Sinnkonstruktion oder Paradigmenkritik gehören zwar in

1 Um Anmerkungen und Literatur erweiterte und ungekürzte Fassung des Manuskripts, das mei-nem Vortrag zur Eröffnung des Kongresses „Formate fachdidaktischer Forschung“ der GFD, Ber-lin, 29.8.2011 zugrundelag.

2 Jüngst noch Kämper-van den Boogart, Michael (2010): Oberlehrer, Hochschulgermanisten und die Lehrerausbildung. Facetten einer nicht spannungsfreien Kooperation im Zeichen nationalpä-dagogischer Ideologien. In: Zeitschrift für Germanistik NF (20) 2, S. 265–289.

3 Das ist bekanntlich ein Ausdruck von Klaus Mollenhauer, der so die Erziehungswissenschaft ins-gesamt in ihrem Umgang mit Vergangenheit kritisiert hat (vgl. Mollenhauer, K. (1968): Erzie-hung und Emanzipation. München: Juventa, S. 23).

Heinz-Elmar Tenorth

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wissenschaftliche Disziplinen, reichen aber nicht aus als Modus der historisierenden Selbstbeobachtung.

Insofern ist die Einladung an einen Bildungshistoriker dann vielleicht doch Teil des Themas, das Sie auf Ihrem Kongress verhandeln, die Beobachtung aus der Distanz, durch die sich die Praxis des Historikers auszeichnet – und die Praxis, die ich beob-achten will, ist die Forschung in der Fachdidaktik. Dann, so meine zentrale Beob-achtung, ist diese Praxis zwar zunehmend selbstverständlich, aber aufs Ganze gese-hen doch immer noch relativ neu, und diese Praxis ist nicht nur jung, sie geschieht auch in den einzelnen Segmenten nicht im Konsens über die Funktion und die Stra-tegien der Praxis, die man Forschung nennt.

Es sind vor allem drei Dimensionen, in denen ich solche Konflikte aus der Distanz feststellen möchte:

(i) Die Beschreibungen des theoretischen oder vielleicht sogar disziplinären Sta-tus der Fachdidaktik und die Zuschreibungen an ihre Funktion werden nicht wirk-lich konsensual formuliert, das ist der erste Befund;

(ii) die Leitbegriffe der eigenen Forschung, das ist meine zweite Beobachtung, sind zwar vielfältig, aber die aktuell dominierenden Lösungswege, die man in der rhetorischen Allgegenwärtigkeit der Begriffe von Evidenz und Kompetenz sehen kann, verdecken nur mühsam, dass weder die Frage der Gütekriterien noch die theoretische Modellierung der eigenen Forschung befriedigend gelöst ist – es gibt also ein wissenschaftslogisches Problem der Forschung; und schließlich

(iii) das ist mein dritter Punkt, auch wenn sich Fortschritte der Forschung nicht leugnen lassen, hat die Fachdidaktik immer noch (und trotz co-activ) mit dem Problem ihrer praktischen und d. h. vor allem mit dem Problem ihrer Bedeutsam-keit im professionellen Alltag zu kämpfen – wie man inzwischen bis in die Tages-presse hinein lesen kann, wenn kluge Praktiker die unerwünschten Folgen der heute so folgenreichen domänenspezifischen Forschungs- und Standardisierungs-arbeit im Schulalltag beklagen.4

Vor dem Hintergrund dieser Problemdiagnosen kann man deshalb sagen: Der Kon-gress hat sein Thema nicht zufällig, und wegen der Fülle der offenen Fragen mag es vielleicht auch seinen Sinn haben, sich durch einen Historiker – also aus der Distanz langer Zeiträume – bei der Frage nach der Forschung beobachten zu lassen – und der Titel meines Vortrags bündelt die Problemdimensionen: Es geht um die Frage, ob die Fachdidaktik über so etwas wie eine eigene Logik der Argumentation verfügt und damit über eine nicht nur soziale, sondern auch theoretische Identität.

4 Ich nehme exemplarisch zwei Texte aus der FAZ: Bengel, Michael (2011): Zur Abschaffung der Literatur in der Schule. In: FAZ vom 18.8.2011, S. 22 – man sollte dem Autor nur sagen, dass er eingangs den Erziehungsphilosophen Heinrich Weinstock zitiert, nicht den mir jedenfalls völlig unbekannten „Psychologen und Religionspädagogen Harald Weinrich“; Klein, Hans Peter (2010): Nivellierung der Ansprüche. In: FAZ vom 14.10.2010, S. 8, der zum schwindenden Schwierigkeitsgrad von Aufgaben bzw. zu Aufgabenformaten schreibt, die keine sachinhaltliche Anstrengung zur Lösung mehr fordern, sondern nur Lesefähigkeit.

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Forschungsfragen und Reflexionsprobleme 13

I.

Das ist keine Frage, die sich leicht mit ja beantworten lässt (sonst gäbe es die Kon-troversen nicht). Sie ist auch nicht einfach durch den Verweis auf ein international erfolgreiches Modell zu beantworten; denn bei allen Tendenzen globalisierender An-näherung, es gibt das einheitliche Modell nicht, weder historisch noch begrifflich, sondern gerade in den Fachdidaktiken primär kulturelle Spezifik, z. B. deutsche Tra-ditionen. Bei einem Blick auf die Geschichte der Naturwissenschaftsdidaktiken im 20. Jahrhundert (älter sind sie als Wissenschaft kaum) kann man z. B. beobachten,5 dass es zwar weltweit eine Beobachtung der schulischen und fachunterrichtlichen Praxis nicht nur innerschulisch und professionell, sondern auch aus der Distanz gibt, dass aber die deutsche Tradition sehr stark auf Wissens-Konstruktion, Analyse und Legitimationskritik systemisch-institutionell-politisch definierter Themen und die begleitende Reflexion des je fachspezifischen Unterrichts konzentriert war und ist. In den USA dagegen war die Praxis der Fachdidaktik schon früh anders: Sie arbeitet mit einem Leitbegriff, Curriculum nämlich, der – spät nach Deutschland importiert – hier eher zu einer Belastung der Fachdidaktik führte. In den USA wird gleichzeitig nicht die Legitimationsfrage, sondern Forschung und Konstruktion zum Königsweg der fachdidaktischen Arbeit, wenn auch hier nicht konfliktlos oder gar von Beginn an perfekt; denn sowohl in der Forschung als in der Konstruktion des Curriculums ist diese Arbeit durch scharfe Auseinandersetzungen geprägt, „the struggle for the American curriculum“6 hat bis heute politische und zugleich theoretische Dimensio-nen.

Man sieht also, hier entstanden und existieren kulturell unterschiedliche Traditionen. Noch 1995 werden in einem Sammelband über die „Grundprobleme einer internatio-nal vergleichenden Didaktik“ zwei Titelbegriffe gewählt: „Didaktik und / oder Curri-culum“7 und ein einfach als äquivalent zu fassender Begriff für Fachdidaktik ist da-bei noch nicht gefunden; denn auch das pedagogical content knowledge, das Rainer Bromme – im Blick u. a. auf Lee Shulman – bereits in diesem Band vorstellt, be-zeichnet ja nur „das didaktische Fachwissen des Lehrers“8, nicht etwa eine eigen-ständige theoretische Disziplin. Es hat jedenfalls nicht den Bedeutungsumfang, den der deutsche Begriff der Fachdidaktik hat – der bleibt, zumindest begrifflich, kultu-rell spezifisch.9

5 An dieser Analyse habe ich mich selbst versucht, vgl. Tenorth, H.-E. (2006): Fachdidaktik im historischen Kontext. In: Der Mathematische und naturwissenschaftliche Unterricht / MNU (59) 7, S. 387–394.

6 Herbert M. Kliebard (2004): The Struggle for the American Curriculum 1893-1958. 3rd Ed., New York/London: Routledge; für den Forschungskontext und seine Dynamik im historischen Prozess vgl. Ellen Condliffe Lagemann (2000): An Elusive Science. The Troubling History of Education Research. Chicago/London: Chicago Press.

7 Hopmann, Stefan & Riquarts, Kurt (Hrsg.); in Zusammenarbeit mit Klafki, Wolfgang & Krapp, Andreas (1995): Didaktik und / oder Curriculum. Grundprobleme einer international vergleichen-den Didaktik. Weinheim / Basel 1995 (33. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik).

8 Bromme, Rainer (1995): Was ist „das pedagogical content knowledge“? Kritische Anmerkungen zu einem fruchtbaren Forschungsprogramm. In: Hopmann & Riquarts (a. a. O.), S. 105–113.

9 Hinweise dafür, auf Didaktik ausweitend, auch bei Peter Menck (1995): Anmerkungen zum Be-griff der „Didaktik“ in Deutschland. In: Hopmann & Riquarts (a. a. O.), S. 115–126.

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14 Heinz-Elmar Tenorth

Ich will Sie jetzt nicht damit trösten und beruhigen, dass ich solche Kontroversen und Differenzen über den disziplinären Status von Wissenssystemen für so verständ-lich wie erwartbar erkläre, nicht nur als normale Begleiterscheinung des jugendli-chen Alters. Schon die Zugehörigkeit zum Bereich der Bildungswissenschaften, als deren integralen „Teil“ z. B. Ewald Terhart auf ihrem letzten Kongress die Fachdi-daktiken definiert hat10, lässt alles andere als konflikthafte Lagen unwahrscheinlich sein. Anders gesagt: die Nähe zur Pädagogik, ob als Theorie oder Praxis, kontami-niert, zumindest dann, wenn es um Forschung geht.

Aber diese Kontextualisierung, das weiß wiederum der Wissenschaftshistoriker, ver-weist nicht auf systematische Defizite, sondern auf Probleme in der Sache: Fachdi-daktik, ist, weil sie es mit Erziehung und Unterricht und deren professioneller Ge-staltung zu tun hat, eine spezifische Disziplin, nicht nur im Modus der distanzierten Beobachtung ihrem Thema und Gegenstand verpflichtet, sondern zugleich auch in konstruktiver Option, in der Absicht nämlich, Lehr-Lern-Prozesse zu gestalten und vielleicht sogar zu verbessern. Oder, und im Blick auf andere Disziplinen, die wir auch im Kontext von Lehren und Lernen kennen, Fachdidaktik ist nicht Psychologie (oder Soziologie oder Bildungsgeschichte), sie ist auch nicht Pädagogische Psycho-logie (oder Soziologie des Erziehungswesens) und auch nicht Philosophie der Erzie-hung oder Schulpädagogik, obwohl sowohl Probleme der Legitimation von Lehr-Lern-Prozessen ebenso ihr Thema sind wie die Gesellschaftlichkeit schulischer The-men und Ziele oder die psychische Basis und Determiniertheit von Lehr-Lern-Pro-zessen oder ihre professionelle Gestaltung und institutionelle Determination. Fachdi-daktik muss, mit anderen Worten, zwar kommunikationsfähig sein gegenüber den Disziplinen, die ich genannt habe (und gegenüber weiteren, die ich mir erspare, z. B. und selbstverständlich den fachwissenschaftlichen Referenzdisziplinen, und aktuell kann man ja sogar hören, dass die Neurowissenschaften unentbehrlich seien – ohne dass mich dieses Argument bisher wirklich überzeugt hätte), aber in solcher An-schlussfähigkeit in das System beobachtend-forschender Disziplinen hinein er-schöpft sich die Forschungsfrage der Fachdidaktik nicht. Verständlich wird aller-dings, dass man bei der Diskussion von Forschungsformaten der Fachdidaktik in den meisten Didaktiken nicht zufällig die Sequenz von Formaten finden, die aus der Pädagogischen Psychologie, der Lernpsychologie oder der Unterrichts- und Profes-sionsforschung oder der Schulpädagogik vertraut sind – von Produkten zu Prozes-sen, von persönlichkeitszentrierten Konzepten zu systemischen, von behavioristi-schen zu kognitivistischen Modellen, im Blick auf Evaluationsverfahren und Wir-kungsstudien, im Blick auf das Fach und die Schulklasse (etc.),11 selbst für die

10 Terhart, Ewald (2011): Zur Situation der Fachdidaktiken aus der Sicht der Erziehungswissen-schaft: konzeptionelle Probleme, institutionelle Bedingungen, notwendige Perspektiven. In: Bayrhuber, Horst u. a. (Hrsg.): Empirische Fundierung in den Fachdidaktiken. Münster u. a.: Wax-mann, S. 241–256, zit. S. 249, und er sieht als Ergebnis des historischen Prozesses, dass die Fachdidaktiken „zu einem inhaltlich, institutionell und personell eigenständigen Element der Bildungsforschung und forschungsbasierter Lehrerbildung“ (S. 245) geworden seien.

11 Vgl. exemplarisch die resümierende Aufzählung der deutsch-didaktischen Forschung bei Käm-per-van den Boogaart, Michael (Hrsg.) (2003): Deutsch Didaktik. Leitfaden für die Sekundarstu-fe I und II. Berlin, S. 89f. oder die Hinweise zu den dominierenden Forschungstypen z. B. der Re-

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Forschungsfragen und Reflexionsprobleme 15

scheinbar eindeutige Fachspezifik, wie z. B. in der Didaktik der Physik, in der sich neben den dominierenden Forschungsmodellen auch ganz andere Formate finden, das phänomenologische z. B. oder ethnologische, sind die Vorbilder aus anderen Dis-ziplinen unverkennbar. Spezifikation ist damit noch nicht gefunden; denn die Me-thodik der Forschung ist insoweit doch nur geborgt.

In der Bestimmung der Fachdidaktik allerdings, wie sie in ihren professionellen Ge-meinschaften gepflegt wird, findet sich solche Spezifikation. Auch hier regiert eine Breite der Themen und die Weite des Selbstverständnisses, auch in den Konsequen-zen für die Forschung: „In ihren Forschungsarbeiten“, so kann man 1998 als pro-grammatisches Statement der „Konferenz der Vorsitzenden der Fachdidaktischen Fachgemeinschaften“ (der Vorläuferorganisation der GFD) lesen, „befasst sie sich mit [so meine Zählung, H.-E. T.]

[1] der Auswahl, Legitimation und Rekonstruktion von Lerngegenständen,[2] der Festlegung und Begründung von Zielen des Unterrichts,[3] der methodischen Strukturierung von Lernprozessen sowie[4] der angemessenen Berücksichtigung der psychischen und sozialen Ausgangs-

bedingungen von Lehrenden und Lernenden“ und schließlich[5] „der Entwicklung und Evaluation von Lehr- und Lernmaterialen.“12

Ich frage nicht, ob und wie das alles als „Forschung“ möglich ist, sondern betone nur, dass hier Konstruktions- und Beobachtungsaufgaben munter durcheinander be-ansprucht werden. Die Schlussfrage beim Blick auf die Forschung bleibt – in allen Teildisziplinen – dann immer noch, nämlich die nach dem praktischen Nutzen, den offenbar die rasch sich abwechselnden Modelle der Forschung nicht hinreichend aufweisen können.

Natürlich ist das für einen Historiker wie mich ein vertrautes Phänomen: Auch wenn es manchem nicht sympathisch ist, die Fachdidaktik teilt in der Konzeptualisierung ihrer Forschungsaufgaben die Schwierigkeiten, die auch die Erziehungswissenschaft insgesamt kennt: Sie ist Teil eines Wissenssystems besonderer Art, der interesselo-sen Beobachtung, die man heute „Grundlagenforschung“ zu nennen pflegt, ebenso verpflichtet wie der professionellen und systemisch zurechenbaren Reflexion, Theo-riewissen aus distanzierter Beobachtung und die Wissenssysteme der (politischen und) professionellen Akteure sind zugleich ihre Referenzsysteme, und diese Wis-senssysteme sind nicht wechselseitig substituierbar.

Ihre theoretische Autonomie, auf dieses Thema läuft es hinaus, besteht deshalb exakt in dieser Doppelnatur des fachdidaktischen Wissenssystems – und ich will nur erin-nern, dass der moderne Begriff der Autonomie, in der Theologie wie in der Sys-temtheorie oder der Wissenschaftsforschung, nicht Autarkie bedeutet, sondern

ligionspädagogik bei Englert, Rudolf & Reese-Schnitker, Annegret (2011): Varianten korrelativer Didaktik im Religionsunterricht – Eine Essener Unterrichtstudie. In: Bayrhuber et al. (2011) (a. a. O.), S. 59–74, bes. S. 61.

12 Zitiert nach dem Abdruck in Bayrhuber et al. (2011) Vorblatt: Die „Ziele der GFD“ sind da nicht vergleichsweise aufschlussreich, sie soll nur die Forschung fördern (und natürlich Kommunikati-on, Reputation und Einfluss).

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Selbstständigkeit in der Abhängigkeit,13 Relationierung, nicht Abgrenzung: Fachdi-daktik, und damit hat sie eine spezifische, theoretisch und methodisch identifizierba-re und unterscheidbare Stelle im Totum des Wissens über Lehr-Lern-Prozesse inne, existiert in dieser in sich differenten Struktur des Wissens – oder sie ist als eigen-ständige Wissenschaft gar nicht existent, sondern nur als akademischer Betrieb, als Praxis, die existiert, aber keinen disziplinären Geltungsgrund hat (damit wir Kant schon früh ins Spiel bringen).

Weil das so ist, die notwendige Koppelung von Theoriewissen und Reflexion, von Forschungswissen und der Weisheit des Praktikers – und ich setze das einmal ohne weitere Diskussionen voraus, dass Fachdidaktiken sich nicht allein als esoterische, nur beobachtende Disziplinen verstehen und definieren können – deshalb ist die For-schungsfrage so offen wie interessant, so lehrreich wie kontrovers. Lösbar, das will ich gleich sagen, sind diese Forschungsfragen nicht durch Flucht in nur eine der Sei-ten dieses Programms, in die Esoterik oder in die Exoterik, in die Beobachtung oder in die Konstruktion, sondern nur durch die Anerkennung der spezifischen Problem-lage, in der sich Forschung und die Konstruktion genuinen Wissens in der Fachdi-daktik je spezifisch befinden. Die Analyse der Forschungsformate – oder, wie man generell sagen kann, der Probleme und Aufgaben in der Generierung neuen Wissens und der geltungstheoretischen Prüfung des gegebenen Wissens – hat dann ihre re-vierspezifische Pointe darin, dass man klären muss, was je für sich in diesen diffe-renten Wissenssystemen Forschung bedeutet und auch, ob sich die Relationierung dieses Wissens selbst noch als Forschungsthema darstellen lässt.

II.

Dann – ich komme zu den Forschungsproblemen – muss man zuerst fragen, ob es wirklich sinnvoll ist, jedenfalls, welche Folgen es hat, dass die Fachdidaktiken, wenn nicht alle, so doch sehr viele14, sich international mit großer Begeisterung der aktuell so verführerischen Option der „evidenzbasierten Forschung“ hingegeben ha-ben. Hat die modische Fixierung auf Evidenz (und Kompetenz, ich komme darauf zurück) wirklich sachlichen Gehalt und starke Legitimation? Löst man alle For-schungsprobleme, wenn man sich dem so aktuellen, wenn auch kontroversen Schlagwort der „Evidenz“ in die Arme wirft? Findet man in der Losung von der „Evidenzbasierten“ Forschung und Praxis und Politik ein hinreichendes Forschungs-programm und auch disziplinäre Identität?

Sie kennen alle die Herkunft dieser Losung und den Kontext, der ihr so starke Ge-wichtung verliehen hat. Eingebettet in die US-amerikanische Bundesgesetzgebung

13 Damit dafür nicht immer nur die vermeintlich auf dieses Thema grundlos fixierte deutsche Tradi-tion herhalten muss vgl. Shulman, Lee (1983): Autonomy and Obligation: The Remote Control of Teaching. In: Shulman, Lee (2004): The Wisdom of Practice. Essays on Teaching, Learning, and Learning to Teach. San Francisco: Jossey-Bass, S. 133–162.

14 Horst Bayrhuber z. B. verweist bei den Texten zur Fachdidaktik (der Naturwissenschaften) im „Fachlexikon Pädagogik“ jeweils darauf, dass es darauf ankäme „evidenzbasierte“ Grundlagen, z. B. „evidenzbasierte Kompetenzmodelle“ zu entwickeln (vgl. z. B. zur Physikdidaktik, Fachlexi-kon, Weinheim / Basel, 2007, S. 562).

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Forschungsfragen und Reflexionsprobleme 17

für das Programm „No child left behind“ finden sich in den allgemeinen Bemerkun-gen dieses Gesetzes die entscheidenden Passagen. Hier wird definiert was „Scientifi-cally Based Research“ bedeutet, und zwar im Allgemeinen und im Besonderen. Ak-zeptable Wissenschaft, das bedeutet dann, so Teil (A), im Allgemeinen eine Art von Forschung, in der die Anwendung von rigiden, systematischen und objektiven Ver-fahren herrscht, um reliables und valides Wissen zu generieren, dass relevant ist für pädagogische Praxis und Programme.15 Als Teilmenge – so die Definitionen weiter – wird dann ein Forschungstypus unterschieden, der schärfere Anforderungen stellt und seither als Modell und Standard der evidenzbasierten Forschung gilt. Forschung bedeutet hier die Erkenntnispraxis eines spezifischen Typs, ausgezeichnet vor allem dadurch, dass neben den üblichen Gütekriterien – der methodischen und theoretisch strukturierten, hypothesenprüfenden Organisation der Arbeit sowie der üblichen Gü-tekriterien reliabler und valider Daten – auch ganz bestimmte Designerwartungen formuliert werden: experimentelle und quasi-experimentelle Designs, randomisierte Stichproben, Analysen ferner, die in hinreichender Detailliertheit und Klarheit prä-sentiert werden, damit sie systematisch in Replikationsstudien geprüft werden kön-nen, so dass auf der Basis ihrer Ergebnisse auch Theorien entwickelt werden kön-nen; neben die wissenschaftslogischen Kriterien tritt schließlich auch die wissen-schaftssoziologische Erwartung, dass die Studien den Test der Publikation in Zeit-schriften bestanden haben, deren Publikationspraxis auf peer-reviews setzt.16

Seit 2001/02, man kann das nicht übersehen, hat dieses Programm diesseits wie jen-seits des Atlantiks intensive Debatten ausgelöst. Ich will das nicht im Modus der Er-ziehungsphilosophen kritisieren17, die über den Wortsinn von Evidenz spekulieren und dann finden, dass nicht klar sei, was gemeint ist – denen könnte man empfehlen, einfach mal die Texte zu lesen und die klaren Kriterien zu studieren, die für diesen

15 Dazu: „(A) means research that involves the application of rigorous, systematic, and objective procedure to obtain reliable and valid knowledge relevant to education activities and programs“ , vgl. No child left behind act (2001 / 02): Title IX General Provisions, Part A, Definitions, Ziff. (37).

16 „(B) Includes research that – (i) employs systematic, empirical methods that draw on observation or an experiment; (ii) involves rigorous data analyses that are adequate to test the stated hypotheses and justify the general conclusions drawn, (iii) relies on measurement or observational methods that provide reliable and valid data across evaluators and observers, across multiple measurements and observations, and across studies by the same or different investigators;(iv) is evaluated using experimental or quasi-experimental designs in which individuals, entities, programs, or activities are assigned to different conditions and with appropriate controls to eva-luate the effects of the condition of interest with a preference for random-assignment experiments or other designs to the extent that those designs contain within-condition or across-condition con-trols; (v) ensures that experimental studies are presented in sufficient detail and clarity to allow for rep-lication or, at a minimum, offer the opportunity to build systematically on their findings; and(vi) has been accepted by a peer-reviewed journal or approved by a panel of independent experts through a comparably rigorous, objective, and scientific review.“(No child left behind act (2001 / 02): Title IX General Provisions, Part A, Definitions, Ziff. (37).

17 Man könnte Autoren von Ludwig Pongratz bis Volker Ladenthin oder Andreas Gruschka und Dietrich Benner zitieren und dann kritisch diskutieren – neben vielen anderen, nicht nur aus der deutschen Diskussion. Ich erspare mir das.

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Forschungstypus gefordert werden. Ich will diese klare kriteriale Orientierung (die mit unmethodischem Augenschein nichts zu tun hat18) der Forschung deshalb auch zunächst verteidigen und zwar als durchaus richtige Kritik an dem Wissen und den Forschungsprogrammen, die auch in Deutschland die Bildungsreform begleitet ha-ben: Evaluationen als Muster ohne Wert, Programme, die ihre Zielangemessenheit nie aufweisen mussten, Experimente ohne Nachhaltigkeit, politische Erwartungen ohne Bewährung in der Forschung, Reformrhetorik ohne theoretisches Fundament (etc.). Wer z. B. danach fragt, welche Effekte die hunderte von Millionen DM be-wirkt haben, die von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung bis 2006 ausgegeben wurden, auch für fachdidaktische Arbeit, der wird kaum strikte Zusam-menhänge von Forschung und Entwicklung, Bildungsforschung und Bildungspolitik finden, weder zum Besseren noch zum Schlechteren – auch nicht in den Fachdidak-tiken. Die Kritik am Status der Bildungsforschung19, die sich immer wieder finden lässt, hat bekanntlich ihre Gründe, und man kann die Schwäche dieser Forschung sehr gut vor dem Hintergrund von No-Child-left-behind-Erwartungen diskutieren und erklären; denn es wäre viel gewonnen, wenn die Bildungspolitik rationaler und die Programme der Pädagogen reflektierter und kritischer geprüft würden.

Wenn sich insgesamt durchaus plausible Gründe finden lassen, warum dann die Kri-tik? Problematisch ist natürlich die zweifache Koppelung mit Geld, die in den USA schon regiert und die man für Deutschland nicht auf alle Zeit ausschließen kann, die sich vielleicht sogar schon in Vergabeentscheidungen und -kriterien von Drittmittel-gebern, selbst bei der DFG, abzeichnet: D. h. ja erstens, dass niemand mehr For-schungsmittel bekommt, der nicht diesem Forschungstypus folgt, und zweitens, dass niemand mehr Geld für pädagogische Reformprogramme bekommt, der sich nicht auf Wissen stützt, dessen Evidenz in dieser Weise ausgewiesen ist. Hier erkennt man auch nicht allein das wohltätige und vielleicht sogar erwünschte Vertrauen auf den Markt. Dass also (monetäre) Anreizsysteme auf lange Sicht bessere Forschung er-zeugen werden, dahinter steckt eindeutig auch eine politische Intention: Offenbar haben sich US-amerikanische Bildungspolitiker von der Erwartung leiten lassen, die man jetzt auch in Deutschland hören kann, dass es politisch auf ein Wissen an-kommt, das „unmittelbar handlungsrelevant“20 ist. So heißt ja die Formel, mit der deutsche Bildungspolitiker die Bildungsforschung konfrontiert haben – und für die sie sich ablehnende Reaktionen eingehandelt haben (u. a. mit dem Ergebnis, dass

18 Das findet sich auch in der Diskussion, und ich zitiere einen Sozialpädagogen, um zu zeigen, wie weit der Begriff – unspezifisch – wirkt, vgl. Rauschenbach, Thomas (2009): Zukunftschance Bil -dung … Weinheim / München: Juventa, auf der S. 5 die Basis seiner Argumentation so erklärt: „muss ich ohne den Schutz wissenschaftlich oder gar empirisch belastbarer Befunde gewisserma-ßen evidenzbasiert versuchen, Indizien für die Plausibilität und Stichhaltigkeit … [der] Argumen-tation zusammenzutragen.“

19 Vgl. u. a. Deutsche Forschungsgemeinschaft, Mandl, H. & Kopp, B. (Hrsg.) (2005): Impulse für die Bildungsforschung. Stand und Perspektiven. Dokumentation eines Expertengesprächs. Berlin: Akademie Verlag.

20 Ich zitiere aus Gesprächen mit der KMK und dem BMBF, zumal im Kontext des wissenschaftli -chen Beirats zur Steuerungsgruppe nach § 91 b (2) GG zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich.

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Forschungsfragen und Reflexionsprobleme 19

man sich auch im BMBF und seinem Programm für empirische Bildungsforschung auf andere Kriterien verständigt hat).

Problematisch ist aber – neben der politischen Dimension und den Finanzierungsfol-gen – vor allem die selbstgewisse und ohne jeden Zweifel vorgetragene Erwartung auch von Wissenschaftlern21, dass es dieses Wissen nicht nur geben kann, sondern dass es auch die politischen Erwartungen erfüllen wird, die sich das Programm of-fenbar von diesem Forschungstypus verspricht. Das halte ich für einen systemati-schen Trugschluss über die Möglichkeiten der Forschung und über die Möglichkei-ten der Kooperation von Forschung und Praxis, politischer oder pädagogisch-profes-sioneller Praxis.

Bei solchen Erwartungen wird in der Regel schon eine basale Prämisse dieser De-batte ignoriert, dass es nämlich zu wenig Forschung dieser Art gibt – und dass allen-falls der Forscher warten kann, bis dieses Defizit beseitigt ist, während der Politiker und der Akteur in der Praxis auf die implizite Vertagungsstrategie wohl etwas gereizt reagieren werden.

Aber auch wenn es mehr Forschung dieser Art gäbe (akzeptiert man einmal die zwei-te Prämisse), wird man nicht mit Ergebnissen rechnen können, die das Entschei-dungs- und Informationsproblem in der Praxis entbehrlich machen, weil sie Informa-tionen generieren, die ein quasi technologisches Modell der Anwendung begründen können, frei von Entscheidungszwängen, „alternativlos“, wie unsere Politiker aktuell träumen. Mit solchen technologischen Versprechen haben wir angesichts der ersten „realistischen Wende“ schon einmal zu tun gehabt, und wir haben uns seither – und unwiderlegt – über die Möglichkeiten der empirischen Bildungsforschung und die Qualität ihrer Befunde auch in politisch-praktischer Dimension immer neu belehren lassen:

• Man kann den Evidenzen soweit trauen, dass sie begründbar Optionen des Han-delns auszeichnen, aber doch eher im Modus der Belastetheit22 als der zweifels-freien Empfehlung, dass man also – im besten Fall – die Folgeprobleme kennt, Vorteile wie Nachteile, je nach Standpunkt , die man sich mit bestimmten Stra-tegien einhandelt, aber die Forschung selbst wird keine Strategien des Handelns vorschreiben können;

• d. h. auch: harte Kausalitätsunterstellungen, die sich mit den hier erwarteten spe-zifischen Designs politisch oder sogar theoretisch verbinden, sind einfach falsch;23

21 Exemplarisch z. B. Slavin, Robert E. (2002): Evidence-based education policies: Transforming educational practice and research. In: Educational Researcher (35) 7, S. 15–21. und die Fülle an zustimmenden und kritischen Reaktionen auf diesen Artikel, auf die ich hier nicht eingehen kann.

22 Das ist eine m. E. leider zu wenig genutzte wissenschaftslogische Kategorie, die Klaus Holzkamp – vor seiner marxistisch-kritischen Wende – in die wissenschaftstheoretische Debatte eingeführt hat, vgl. Holzkamp, K. (1968): Wissenschaft als Handlung. Versuch einer neuen Grundlegung der Wissenschaftslehre. Berlin: Gruyter.

23 Das Argument findet sich gegen Slavin u. a. bei Olson, David R. (2003): The Triumph of Hope over Experience in the Search für „What Works“: A Response to Slavin. In: Educational Resear-cher (33) 1, S. 24–26.

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• auch Annahmen über die durch spezifische Maßnahmen erwünschten und er-reichbaren Effekte sind nicht begründet oder angemessen: soziale Prozesse, das weiß man systematisch, sind rettungslos suboptimal und kontrafinal24, und aus der empirischen Bildungsforschung, historisch wie aktuell, ist bekannt, dass gleiche Maßnahmen differente Wirkungen haben, aber auch, dass differente Maßnahmen gleiche Wirkungen erzielen können25 – das Treatment-Problem ist also komplizierter und zudem noch kulturvariant26, abhängig von Zielvorgaben, die in der Forschung in der Regel konstant gehalten werden, weil man sonst gar nichts zurechnen kann;

• eine Nutzung im Modell technischer Anwendung ist deshalb nicht erwartbar, schon gar nicht in absehbarer Zeit (wenn es einem begnadeten Forscher gelin-gen sollte, die anderen Probleme zu lösen). Mit anderen Worten, das Hand-lungsproblem von Profession und Politik bleibt bestehen, trotz evidenzbasierter Forschung und Information.

Es ist deshalb auch kein Zufall, dass vom US-amerikanischen National Research Council (NRC) in dem Versuch der Neustrukturierung der Bildungsforschung in den USA das Thema auf sechs „guiding principles“ der Forschung [in allen Wissen-schaften!] eingedampft wird, denen man sehr viel weniger widersprechen wird, wenn z. B. das erste Prinzip die richtige Ermahnung ausspricht: „Pose significant questions that can be investigated empirically.“27

Neben diesen immanenten methodologischen Einwänden bleibt für die Fachdidaktik aber ein zentrales Problem zurück, das dem Wissenschafts- und Bildungshistoriker ebenfalls aus älteren Debatten vertraut ist, als schon einmal Praktiken der Datenag-

24 Das erläutern sehr schön und bis dato unwiderlegt die Arbeiten von Jon Elster.25 Solche Befunde hält nicht nur die historische Forschung in großer Fülle bereit (unter dem Titel

der „Reformpädagogik“, deutsch wie international), sie werden, eher en passant, auch in der em-pirischen Bildungsforschung festgehalten, vgl. u. a. Prenzel, M. et al. (2002): Lehr-Lernprozesse im Physikunterricht – eine Videostudie. In: Prenzel, M. & Doll, J. (Hrsg.).: Bildungsqualität von Schule: Schulische und außerschulische Bedingungen mathematischer, naturwissenschaftlicher und überfachlicher Kompetenzen. Weinheim / Basel (45. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik), S. 139–156, bes. S. 141.

26 Auch dazu Olson (2003), bes. S. 24.27 Die weiteren Prinzipien lauten: „2. Link research to relevant theory. 3. Use methods that permit

direct investigation of the question. 4. Provide a coherent and explicit chain of reasoning. 5. Rep-licate and generalise across studies. 6. Disclose research to encourage professional scrutiny and critique.“ Vgl. für den gesamten Text und Kontext: National Research Council; Shavelson, R. & Towne, L. (2006): Scientific Research in Education. Washington DC: The National Academies Press. und dort auch die unterliegenden Geltungsansprüche und Konsensannahmen über die „principles“: „These principles are not a set of rigid standards for conducting and evaluating indi-vidual studies, but rather are a set of norms enforced by the community of researchers that shape scientific understanding.“ Im Vorwort unterstellt Bruce Alberts, President, National Academy of Sciences, dann auch: „I hope that Scientific Research in Education will advance the current dia-logue in at least two respects. First, it offers a comprehensive perspective of ‚scientifically-based‘ education research for the policy communities who are increasingly interested in its utilization for improving education policy and practice. Second, the report shows that, within the diverse field of education, researchers who often disagree along philosophical and methodological lines nonetheless share much common ground about the definition and pursuit of quality. This report should therefore be useful for researchers, as well as for those who use research.“

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Forschungsfragen und Reflexionsprobleme 21

gregation, -sammlung und -analyse die Theoriearbeit ersetzen sollten und der Be-griff der „Methode“ auf entsprechende Techniken und Kunstlehren herunter definiert wurde: Methodologische Kriterien guter Forschung ersetzen problemspezifische Theoriearbeit, Modellierung und Hypothesenbildung nicht – und man weiß deshalb auch, dass die dominierenden Theorien der Lehr-Lern-Forschung psychologischer Provenienz den Problemen von Unterricht allein nicht angemessen waren und sind. Zum Beleg will ich nur an die ernüchternde Botschaft von Franz Weinert erinnern, dass Metaanalysen für die „what works“-Frage zeigen, dass alles irgendwie wirkt, dass es aber „isolierte, einfache, stabile und invariant gültige Abhängigkeitsbezie-hungen zwischen Kriterien des Unterrichtserfolgs und Merkmalen des Unterrichts nicht gibt.“28 – und die spätere Analyse von Eric de Corte z. B. über Interventionsstu-dien ist nicht ermutigender.29 Man muss schon dem Milieu kritiklos angehören, um evidenzbasierte Forschung so zu verstehen, wie das 2001 geschehen ist. Ein munte-res „more research is needed“ reicht nicht, eine systematische Begründung für die Einengung von Forschungsformaten ist nicht begründbar, wahrscheinlich ist eine so hübsch paradoxe Formulierung (zugleich im Rückgriff auf einen Begriff, der die pädagogische Tradition seit dem 18. Jahrhundert auszeichnet) wie die von Lee Shul-man einzig angemessen, dass Forschung im Erziehungsbereich charakterisiert sei durch „disciplinierte Eklektik“30. Wie auch immer, man kommt jedenfalls nicht wei-ter, ohne neben den Forschungsformaten auch systematische theoretische Fragen zu stellen und Probleme zu formulieren.

III.

Ist der Begriff der „Kompetenzen“, das zweite Schlüsselwort der jüngeren Debatte, geeignet, das gegenstandstheoretische Problem der Fachdidaktik zu lösen? Im Blick auf den Kompetenzbegriff wird man das sowohl behaupten als auch bestreiten kön-nen. Einerseits, in der heute schon kanonisch gewordenen, also heilig gesprochenen, Definition des Kompetenzbegriffs, wie er bis in die Diskussion über Bildungsstan-dards von Franz Emmanuel Weinert übernommen wird (und die ich hier gar nicht mehr zitieren muss), besteht der zwanglose Anschluss an fachdidaktische Forschung darin, dass die Referenz für Konstruktion und Analyse „domänenspezifisch“ be-stimmt sein muss. Die Expertise über nationale Bildungsstandards macht nicht nur diesen Punkt von Beginn an stark, vor allem, indem sie die Rede von den scheinbar

28 „ … daß fest jede der berücksichtigten Variablen in gewisser Hinsicht sowohl bedeutsam als auch unwichtig ist. … das heißt nicht mehr und nicht weniger, als daß es isolierte, einfache, stabile und invariant gültige Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Kriterien des Unterrichtserfolgs und Merk-malen des Unterrichts nicht gibt.“ (Weinert, F.-E. (1989): Psychologische Orientierungen in der Pädagogik. In: Röhrs, H. & Scheuerl, H. (Hrsg.): Richtungsstreit in der Erziehungswissenschaft und pädagogische Verständigung. Wilhelm Flitner zur Vollendung seines 100. Lebensjahres am 20. August 1899 gewidmet. Frankfurt am Main u. a.: Lang, S. 203–214, zit. S. 210f.).

29 Eric de Corte (2005): Intervention Research in Education. Some Comments. In: DFG. Berlin: Akademie Verlag, S. 57–61.

30 „disciplined eclectic“ wird zitiert in der Einleitung zu Shulman, L. (2004): (a. a. O.), S. 9. und meine historische Anspielung gilt dem Hallenser Theologen und Schulmann August Hermann Niemeyer, der von Eklektik aus die Spezifik pädagogischen Wissens konstruiert.

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fachübergreifenden Schlüsselkompetenzen als ihrem Verständnis fremd abwehrt31, sie stiftet auch Traditionsanschlüsse, wenn der Kompetenzbegriff in das Umfeld der Bildungsdebatte gerückt wird32 (auch das lasse ich hier auf sich beruhen, schon weil ich diese Passagen selbst geschrieben habe, wie kluge Kritiker inzwischen öffentlich gemacht haben33).

Die entscheidende Frage ist, wie der Kompetenzbegriff den Anschluss der Fachdi-daktiken erzwingt, und dann bietet die Arbeit im Schwerpunktprogramm der DFG eine erste Orientierung und verlässlich-hilfreiche Antworten. Kompetenzen werden hier als „kontextspezifische kognitive Leistungsdispositionen“34 beschrieben und schon von Beginn an wird dann klar gesagt, dass die damit verbundenen For-schungserwartungen von Pädagogischen Psychologen und Lehr-Lern-Forschern al-lein nicht bewältigt werden können, weil ihnen die hier gemeinte Kontextspezifik bisher eher unwichtig war und zugleich systematisch unzugänglich ist. Die Hilfe der Fachdidaktiker (und der Erziehungswissenschaft, aber das will ich heute nicht disku-tieren) sei notwendig, denn sie seien „Domänenexperten“35, und d. h. – für die Fach-didaktiker – sie seien „Experten für bereichsspezifische Kompetenzen und Bildungs-prozesse.“

Hat die bisherige Forschung diese Erwartung eingelöst, auch durch die Fachdidaktik eingelöst? Das Urteil ist natürlich ambivalent. In einer ersten Bilanzierung des Schwerpunktprogramms gibt es die schönsten und erhellendsten Untersuchungen (ich muss auch mal loben), aber unverkennbar sind auch die Defizitdiagnosen. Als Ergebnis z. B. der Studien aus dem Bereich der Naturwissenschaftsdidaktik formu-liert die Kommentatorin angesichts der Disparatheit der leitenden Theoriekonzepte sehr vornehm: „Vielfalt ist wertvoll, aber nicht ohne ein gemeinsames Fundament.“36 Und sie vermisst Arbeiten „in Richtung eines gemeinsamen Grundmodells von Kompetenz auf der Metaebene zuzüglich ausgewiesener Domänen- und Kontextspe-zifik“, die das ganze Thema „zu einem kohärenten Gefüge zusammenführen.“37 Un-

31 Vgl. Klieme, E. et al. (2003): Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Bonn: BMBF, S. 22, Anm. 3.

32 „ ‚Kompetenzen‘ beschreiben solche Fähigkeiten der Subjekte, die auch der Bildungsbegriff ge-meint und unterstellt hatte: Erworbene, also nicht von Natur aus gegebene Fähigkeiten, die an und in bestimmten Dimensionen der gesellschaftlichen Wirklichkeit erfahren wurden und zu ihrer Gestaltung geeignet … der lebenslangen Kultivierung, Steigerung und Verfeinerung zugänglich [sind] …“. Klieme, E. et al. (2003): Nationale Bildungsstandards: BMBF, S. 65.

33 Vgl. Gruschka, A. (2006): Bildungsstandards oder das Versprechen, Bildungstheorie in empiri-scher Bildungsforschung aufzuheben. In: Frost, U. (Hrsg.): Unternehmen Bildung. Die Frankfur-ter Einsprüche und kontroverse Positionen zur aktuellen Bildungsreform. Paderborn u. a.: Ferdi-nand Schöningh, S. 140–158 (Sonderheft zur Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik).

34 Klieme, E. & Leutner, D. (2006): Kompetenzmodelle zur Erfassung individueller Lernergebnisse und zur Bilanzierung von Bildungsprozessen. In: Zeitschrift für Pädagogik 52, S. 876–903, zit. S. 879.

35 Klieme, E. & Leutner, D. (2006): (a. a. O.), S. 880f., S. 891 für das folgende Zitat36 Parchmann, I. (2010): Review: Kompetenzmodellierung in den Naturwissenschaften – Vielfalt ist

wertvoll, aber nicht ohne ein gemeinsames Fundament. In: Klieme, E.; Leutner, D. & Kenk, M.: Kompetenzmodellierung. Zwischenbilanz des DFG-Schwerpunktprogramms und Perspektiven des Forschungsansatzes. Weinheim / Basel: Beltz, S. 135–142.

37 Parchmann (2010): (a. a. O.), S. 140.

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Forschungsfragen und Reflexionsprobleme 23

zufriedenheit mit den allgemeinen Kompetenzmodellen und das Plädoyer für fachdi-daktische, domänenspezifische Konkretisierung findet sich auch an anderer Stelle38 – dieses Defizit hat im Kontext der Kompetenzdebatte offenbar System, aber daran kann man natürlich arbeiten.

Jenseits dieser im Ganzen positiven Selbstbilanzierung muss man auch notieren, dass die Orientierung an Kompetenzen in der Forschungspraxis zwar einerseits zu problematischen Gewichtungen führt, u. a. dass die „Kernfächer“ dominieren, also Mathematik und die Naturwissenschaften, das Lesen für Deutsch, die Fremdspra-chen, d. h. neben der Orientierung an politisch definierten Schwerpunkten auch in theoretischem Sinne Bereiche, in denen die Kompetenzmodelle von Referenzdiszi-plinen aus gut entwickelt werden konnten, dass aber Bereiche – wie die politische Bildung z. B., der eine eindeutige Referenzdisziplin fehlt – sich im Themenbereich von „Kompetenz“ domänenspezifisch sehr schwer tun. Aber immerhin: Auch der Sport fragt jetzt danach, warum er eigentlich Schulfach ist (stellt also bildungstheo-retische Fragen, um im Kompetenzdiskurs satisfaktionsfähig zu werden) und ob sich die spezifische Erwartung bezeichnen lässt, die sich hier mit schulischem Lernen verbindet (im Übrigen mit der Konsequenz höchst schwieriger Forschungsprobleme, wenn dann „Körpererfahrung“ messbar werden soll, und zwar nicht-trivial, wie das Befragungen nur leisten können).39 Die Fachdidaktiken, mit anderen Worten, akzep-tieren die Theoretisierungserwartung – und schon das ist positiv.

Andererseits, das ist der zweite Effekt, der sich eher nebenher ergab, angesichts sol-cher Arbeiten in den Fachdidaktiken sollten auch die positiven Folgen für Forschung und Theoriebildung in den Fachdidaktiken nicht ignoriert werden: Die Argumentati-on mit Kompetenzen und Kompetenzmodellen, auch die Frage nach Bildungsstan-dards, hat die Reflexivität und das Forschungsinteresse in Bereichen / Fächern gestei-gert, die vorher – durch den schulischen Kanon gesellschaftlich geschützt – gegen-über der Forschungserwartung immun waren – wie bei den Theologen oder in der Geschichtsdidaktik oder in der Geographie (und ich würde das nicht primär oder gar allein auf die hier antizipierte Gefahr beziehen, bald zu den „unnützen Fächern“40 zu gehören: also nach dem Motto „ohne Kompetenzmodell und Standards, also ohne Legitimation in der Schule und im Kanon“). Eine Steigerung von Reflexivität wird offenbar auch durch die dominierende Praxis in den intensiv berücksichtigten Fä-chern ausgelöst – denn sie wird als unzureichend wahrgenommen. Anders kann ich jedenfalls nicht erklären, dass jetzt auch Kompetenzmodelle z. B. für das literaräs-

38 Vgl. z. B. Starauschek, E. (2011): Hat die physikalische Sachstruktur einen Einfluss auf das Ler-nen von Physik. In: Bayrhuber et al. (2011): (a. a. O.), S. 217–240.

39 Übersichten dazu u. a. in Tenorth, H.-E. (2008): Sport im Kanon der Schule – Die Dimension des Ästhetisch-Expressiven. Über vernachlässigte Dimensionen der Bildungsdebatte und -theorie. Sowie die weiteren Beiträge In: Franke, E. (Hrsg.): Erfahrungsbasierte Bildung im Spiegel der Standardisierungsdebatte. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 163–179 (Jahrbuch Be-wegungs- und Sportpädagogik in Theorie und Forschung, Bd. 7/8) sowie auch jüngst die Beiträge in Gröben, B.; Kastrup, V. & Müller, A. (Hrsg.) (2011): Sportpädagogik als Erfahrungswissen-schaft. Hamburg: Czwalina.

40 Zur Diskussion dieses Problems vgl. die Diskussion über „Bildungsstandards außerhalb der „Kernfächer“ in Zeitschrift für Pädagogik 2/2008.

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thetische Urteil entwickelt werden, weil die dominierenden allgemeinen Lesemodel-le als unzureichend eingeschätzt werden.41

Ungeachtet solcher Anstrengungen in der Kompetenzdebatte: Offen sind immer noch ganz basale Fragen, z. B.: was sind eigentlich die „Domänen“ und „Kontexte“ (und ist die Rede von den „Dispositionen“ wirklich eindeutig)? Gelegentlich kann man den Eindruck haben, dass hier Schulfächer gemeint sind – etwa die Mathematik –, aber bei den Naturwissenschaften trifft das schon nicht mehr zu, denn das ist eine Fächergruppe, ohne dass hinreichend spezifiziert ist, wie sich z. B. die Differenzen zwischen Biologie, Chemie oder Physik denn kompetenztheoretisch darstellen, und im Deutschen gibt es offenbar mehr als eine Domäne. Müssen wir auf Lernbereiche übergehen oder auf Schulwissen oder auf Themen oder sogar die alte Kanonfrage wieder aufnehmen, um zugleich fachdidaktisch und schultheoretisch über den Inhalt von Unterricht42 argumentieren zu können? Und wenn ja, mit welchen Forschungs-konzepten klären sich diese Fragen evidenzbasiert? Ferner, wie bezieht man die kon-krete Schularbeit ein (oder gar ein Thema wie Inklusion), wenn es auf die klugen Fragen zuerst ankommt, dann kann auch kein Forschungsformat favorisiert werden. Videostudien zeigen schon, welche Differenz Kasuistik annehmen kann, Unter-richtsprotokolle und -beobachtungen erlauben ebenfalls verschiedene Formate, ir-gendwann, damit muss man rechnen, wird man auch Ulrich Oevermann nicht nur im Kreis seiner – leider nicht selten kritiklosen – Verehrer entdecken und dann auch an breiter Front danach fragen, wie Fachunterricht „Erkenntnis“ befördert – was ja viel-leicht doch möglich ist, wie nicht nur Gymnasiallehrer hoffen, und auch die wollen nicht warten, bis alle forschungslogischen Probleme gelöst sind, um Erwartungen einzulösen, von denen wir schon heute wissen, dass sie wesentlich sind und schwie-rig erreichbar.43 Mit Vertagungsargumenten aus forschungslogischen Gründen kann sich die Fachdidaktik vor solchen heute drängenden und zweifellos legitimen Erwar-tungen kaum rausreden.

Der Kompetenzbegriff bildet also eher ein vages Dach, eine in vielen Aspekten klu-ge, auch zur fachlichen Dekomposition geeignete Orientierung, aber noch kein fach-didaktisch klares Arbeitsprogramm. Sicherlich, man weiß, welche Fragen man stel-len muss bzw. welche noch wenig genau beantwortet sind:44 nach der Entstehung

41 Frederking, V.; Roick, T. & Steinhauer, L. (2011): ‚Literarästhetische Urteilskompetenz‘ – For-schungsansatz und Zwischenergebnis. In: Bayrhuber u. a.: (a. a. O.), S. 75–94.

42 Eine systematische Diskussion der Problematik des „Unterrichtsinhalts“ findet sich bei Menck, Peter (1986): Unterrichtsinhalt oder Ein Versuch über die Konstruktion der Wirklichkeit im Un-terricht. Frankfurt am Main: Lang. Eine weitere Diskussion des Themas bietet P. Menck jetzt un-ter einem leicht modifizierten Titel – „Unterrichtsinhalt. Die Konstruktion von Bildern der Welt im Unterricht“ – aber mit fortgeschriebenem Arbeitsstand im Netz an: vgl. http://dokumentix. ub.uni-siegen.de/opus/volltexte/2012/635/index.html (letzter Zugriff: 29.07.2012).

43 Belege liefert Gruschka, Andreas (2009): Erkenntnis in und durch Unterricht. Empirische Studien zur Bedeutung der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie für die Didaktik. Wetzlar: Büchse der Pandora – auch wenn mir das Verständnis von „Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie“ nur didak-tisch transformiert angemessen erscheint.

44 Das belegen m. E. umfassend die Sammelbände zur aktuellen Forschung, vgl. Prenzel, M.; Gogo-lin, I. & Krüger, H.-H. (Hrsg.) (2008): Kompetenzdiagnostik. Opladen (Sonderheft 8 der Zeit-schrift für Erziehungswissenschaft); sowie, aus dem einschlägigen Schwerpunktprogramm der

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von Kompetenzen, nach den Mechanismen ihres Aufbaus, nach den diagnostischen Anforderungen, nach den Strukturen von Aufgaben, nach der Begrenzung von Do-mänen. Aber erkennbar ist gleichzeitig, dass die Standards evidenzbasierter For-schung hier nicht wirklich weiterhelfen, weil z. B. die Graduierung von Stufen nicht ohne politische Entscheidungen funktioniert45, vor allem aber, weil der Zusammen-hang mit schultheoretischen und pädagogisch-professionellen Fragen und Proble-men und Aufgaben bisher nur höchst locker gestrickt ist. Aber ohne die theoretische, forschungspraktische und pädagogisch-politische Anerkennung der professionellen Kompetenz bildet man nur die Kompetenz der Forscher, nicht die der Lehrer – und man befördert auch nicht, schon gar nicht „unmittelbar“, die Qualität der Schulen, wenn man solchen Irrglauben stärkt.

IV.

Die Praxis selbst bleibt die offene Frage und sie ist nicht der wahre Engpass, son-dern die Ermöglichungsform besserer Arbeit, gerade weil Lehren und Erziehung zu den „unmöglichen Aufgaben“46 gehören: dem hilft man nicht in der Beobachtung, sondern nur handelnd ab. Ein Berliner Hochschullehrer kann zu dem Thema natür-lich nicht sprechen, ohne wenigstens am Ende noch die Lokalheiligen zu zitieren: Im Blick auf die – notwendige – Theorieentwicklung in der Analyse des Bildungs-systems hatte Schleiermacher schon in seiner Pädagogik-Vorlesung von 1826 zu-gleich vor übersteigerten und vor falschen Hoffnungen gewarnt: „Die Dignität der Praxis ist unabhängig von der Theorie; die Praxis wird nur mit der Theorie eine be-wußtere.“47 Wir wissen heute, das solche Warnungen und Prämissen nicht allein dem Ethos eines Theologen entspringen, sondern sich auf gut bewährte Einsichten der empirischen Bildungsforschung stützen können – sei sie, methodologisch gedacht,

DFG, Leutner D.; Klieme, E. & Kenk, M. (Hrsg.) (2010): Kompetenzmodellierung (a. a. O.), so-wie, in der Übertragung auf die Profession, u. a. Allemann-Ghionda, C. & Terhart, E. (Hrsg.) (2006): Kompetenzen und Kompetenzentwicklung von Lehrerinnen und Lehrern: Ausbildung und Beruf. Weinheim / Basel: Beltz (51. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogikt) und Bos, W.; Klie-me, E. & Köller, O. (Hrsg.) (2010): Schulische Lerngelegenheiten und Kompetenzentwicklung. Festschrift für Jürgen Baumert. Münster u. a.: Waxmann.

45 Bremerich-Vos, Albert (2011): Review. Modellierung von Aspekten sprachlich-kultureller Kom-petenz. Anmerkungen zu den Projektberichten. In: Klieme, E.; Leutner, D. & Kenk, M. (2011): (a. a. O.), S. 199–203 hält zu Recht fest: dass „die politisch-normative Dimension der Fixierung von cut-off-Scores nicht getilgt werden kann.“ Und er mahnt seine Zunft: „Dieser Sachverhalt (wird) … im fachdidaktischen Diskurs häufig verkannt.“ (zit. S. 199).

46 Ich habe, leider erst jetzt, aber mit großer innerer Genugtuung gelesen, dass auch Lee Shulman diese These – in der Variante „Teaching is impossible“ – aufnimmt und in der zugrundeliegenden Tatsache – des „managing complexity“ und des „judgement under uncertainty“ – die Aufgabe und die Kompetenz der Profession gefordert und begründet sieht, vgl. Shulman (1983) in ders. 2004, S. 132 und dort weiter: „Our thesis is that precisely those characteristics that render tea -ching impossible also present it with the potential to transcend the apparent limitations of the job and make it professionally creative and autonomous. That is, the autonomy intrinsic to teaching is achieved as a function of its multiple competing and conflicting obligations, not in spite of them.“ (für den professionstheoretisch weiteren Kontext vgl. Tenorth, H.-E. (2006): Professiona-lität im Lehrerberuf. Ratlosigkeit der Theorie, gelingende Praxis. In: Zeitschrift für Erziehungs-wissenschaft 9, S. 580–597.)

47 Schleiermacher, F. D. E. (1957): Pädagogische Schriften. 1. Bd., Die Vorlesungen aus dem Jahre 1826. Weniger, E. & Schulze, T. (Hrsg.): Düsseldorf/München: Küpper, zit. S. 11.

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deskriptiv, korrelativ, experimentell, ethnographisch oder historisch und kasuistisch und auch unabhängig von den theoretischen Leitbegriffen, entstammen sie psycholo-gischen, soziologischen oder erziehungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Kontexten. Die Weisheit des Akteurs, die „Wisdom of Practice“ lässt sich nur zum Schaden der Praxis überspringen, sie lässt sich nicht auf Forschungswissen reduzie-ren, sondern behält ihre eigene Form, als zur Einheit gebrachte Klugheit in der Ord-nung, Betrachtung und Gestaltung der Praxis.

Die interessante Frage ist, ob das auch forschungsfähiges, forschungsbedürftiges, also nach eigenen und genuinen Kriterien erneuerbares und zur Selbstkritik fähiges Wissen ist? Wie lernt die Profession, was ist der Erneuerungsmodus in der „Weisheit des Praktikers“?

Bisher dominiert ja immer noch die eigentümliche Unterstellung, dass die Weisheit primär, zuerst und zielführend gesteigert wird, wenn sie in Kontakt zum Forschungs-wissen kommt. Gegen alle historische Evidenz, die sich nicht nur für die Rezepti-onseigenarten, sondern auch für die – meist gut begründeten – Negationspotentiale der Praktiker gegenüber Theorien und politischen Zumutungen geben lässt, hält man auch an dieser Prämisse fest. D. h. gleichzeitig, es wird wenig diskutiert, ob und wie Weisheit selbst lernfähig ist oder ob wir nur auf die stabilen Vorurteile der Professi-on treffen, wie Reformpädagogen z. B. im Urteil über Philologen nahelegen, wenn sie ihnen – gegen alle historische Erfahrung, die für die erstaunliche Modernisie-rungsfähigkeit der Gymnasiallehrer spricht48 – stabile Orientierungen in der Gestal-tung ihrer Praxis unterstellen. Wie lernt die Profession – jenseits der Forschung, auch inspiriert durch die eigenen Erfahrung, auch angesichts der kontinuierlichen Belästigung mit Reformen, im Kern gestützt auf sich selbst, mit eigenen Modi der Verarbeitung von Welt und Schule?

Wir haben da wenig Erfahrung. Bisher dominieren die Selbstbeschreibungen der Re-formpädagogen und die These, dass inspirierende Leitfiguren das Neue in die päda-gogische Welt gebracht hätten, immer in scharfer Auseinandersetzung mit dem gege-benen Normalsystem.49 Aber spätestens seit die Landerziehungsheime in die Kritik geraten sind, glaubt das kaum noch jemand und der Rest an Reformpädagogik ist noch kaum aus der Distanz untersucht worden, schon weil es zu den Tabus der Re-formpädagogik gehört, ihre eigene Praxis als Technologie zu rekonstruieren, die man in ihren Effekten beobachten kann. Die Struktur des Wissens, das als „Wisdom of practice“ bezeichnet wird, ist deshalb noch wenig aufgeklärt.50

48 Vgl. Für eine alternative Sicht Tenorth, H.-E. (2009): Différence de statut: différence de stan-dards pédagogiques? Évolution des compétences et des savoirs d’action des maîtres de gymnase (Prusse, fin du 19e – debut du 20e siècle). In: Hofstetter, R. & Schneuwly, B. (Hrsg.): Savoirs en (trans)formation. Au cœur des professions de l’enseignement et de la formation. Bruxelles: De Boeck, S. 83–108 (Raison éducatives).

49 Aus dieser dialektischen Spannung von Normalität und Reform schreiben z. B. Dietrich Benner und Herwart Kemper ihre Geschichte der Reformpädagogik seit dem späten 18. Jahrhundert.

50 Shulman gibt es natürlich, aber er geht souverän über die Frage hinweg, wie sich denn die einzel-nen Wissensformen, die er unterscheidet, wirklich trennscharf differenzieren und – und vor allem – , wie sie sich zur Einheit fügen. Die Studie von Lofty, J. S. (2006): Quiet Wisdom. Teachers in the United States and England Talk about Standards, Practice and Professionalism. New York

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Forschungsfragen und Reflexionsprobleme 27

Da helfen auch die Weisheitsforscher der Sozialpsychologie nicht, denn „Weisheit“ ist dort, so hat Paul Baltes gesagt, der über das Wissen der Weisen Alten – Männer wie Frauen – geforscht hat, ein „Expertenwissen, bezogen auf die fundamentalen Tatsachen des menschlichen Lebens“. Sie bildet sich früh (nicht erst im Alter), hat aber dann ihre Reife. Mit Expertenwissen dieser Art haben wir es in der Schule nicht zu tun Hier geht es um die viel bescheidenere Frage „Wie ist guter Unterricht mög-lich?“ und die Antwort ist klar – nicht allein oder gar primär über Forschung, gar über die esoterische Forschung der empirischen Bildungsforschung, sondern über professionseigenes Wissen, im Fach, in der Didaktik des Faches, im pädagogischen Wissen.

Die Weisheit, mit der wir es hier zu tun haben, schließt die Fachdidaktiken ein, und zwar pragmatisch, als Modus des Umgangs mit Problemen, die von der Praxis er-zeugt werden, als Form, mit Krisen umzugehen und dennoch Handlungsstabilität zu erreichen. Die Forschungen bei co-activ scheinen nahezulegen, dass dafür die Dauer der beruflichen Praxis keine erklärende Größe ist – das beunruhigt mich nicht, denn nicht die Dauer, sondern die nach professionseigenen Kriterien gesteuerte Verarbei-tung der Praxis ist der Modus, der das Lernen organisiert, das wissen die Bildungs-historiker, die sich mit dem Lehrerwissen beschäftigen. Das Neue, m. a. W., entwi-ckelt sich angesichts der immer neuen strukturell erzeugten Probleme eines Han-delns in spezifischen Funktionssystemen, wie es Schule und Unterricht darstellen. „Profession“ meint in diesem Kontext dann nicht allein den einzelnen Akteur in sei-nem Klassenzimmer, sondern immer auch „eine pädagogische Genossenschaft“. Die hatte Wilhelm von Humboldt im Blick51, als er über „Prüfungen für das höhere Schulfach“ nachdachte und 1810 das examen pro facultate docendi erfand.52

Die Genossenschaft muss aber wirksam werden, nicht zuerst als gewerkschaftliche Interessenvertretung, sondern als Instanz der Selbstbeobachtung der Profession und ihrer Arbeit – in distanzierter Forschung, damit wir die Illusionen über die Möglich-keiten der Praxis zugunsten der Anerkennung des Handwerks verlieren, und in der Reflexion der Praxisprobleme, damit die unmögliche Arbeit möglich wird. Das ist die Aufgabe auch der GFD, also Ihre – legen Sie los! Arbeiten Sie an dem Problem, wie die Fachdidaktik wieder zusammenbringt, was sie jetzt getrennt hat: Weisheit und Forschungswissen.

u. a.: Lang. führt trotz des vielversprechenden Titels nicht weiter, schon weil er im Kern den Pro -fessionalismus auf die Autonomiefrage und den Konflikt mit Politik reduziert, ohne die luzide dialektische Position auch nur zu ahnen, die z. B. die deutsche Tradition der Autonomiedebatte oder jetzt Shulman einnehmen. Am Ende erklärt Lofty „wisdom“ für nicht definierbar und zieht sich auf eine professionstheoretisch und -politisch höchst unbefriedigende entsprechende Bemer-kung in Hermann Hesses „Siddhartha“ zurück: „Wisdom is not communicable. The wisdom which a wise man tries to communicate always sounds foolish. … Knowledge can be communi-cated, but not wisdom. One can find it, live it, do wonders through it, but one cannot communica-te and teach it.“ (Hesse, zit. S. 247).

51 Humboldt, W. von (1810): Prüfungen für das höhere Schulfach, Werke IV, S. 241–242.52 Der ursprüngliche Text in Neigebaur, J. D. F. (1826): Sammlung der auf den Oeffentlichen Unter-

richt in den Königl. Preußischen Staaten sich beziehenden Gesetze und Verordnungen. Hamm, 11 c., S. 111–114, als „Edict wegen einzuführender Prüfung der Schulamtscandidaten“, in § 11 als „examen pro facultate docendi“ bezeichnet.

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Susanne Prediger & Michael LinkFachdidaktische Entwicklungsforschung

Fachdidaktische Entwicklungsforschung – ein lernprozessfokussierendes Forschungsprogramm mit Verschränkung fachdidaktischer Arbeitsbereiche

Viele Fachdidaktiken decken traditionell ein breites Spektrum von wissenschaftli-chen Zugängen ab, von rein deskriptiver Grundlagenforschung bis hin zu praxisna-her konkreter Entwicklungsarbeit mit unterschiedlich starker empirischer und theo-retischer Absicherung. Während das eine Ende des Spektrums schwerpunktmäßig auf das Analysieren und Verstehen von Lernständen und -prozessen und ihren Bedin-gungskonstellationen ausgerichtet ist, steht am anderen Ende des Spektrums das Ge-stalten und Verändern von Lehr-Lern-Prozessen im Vordergrund (der Pfeil in Abbil-dung 1 links zeigt dieses Spektrum der Ziele). Beide Pole stehen oft unverbunden nebeneinander, obwohl sie eigentlich verbunden werden sollten: Fachdidaktiken sollten ihrer Verantwortung für die Weiterentwicklung des Unterrichts gerecht wer-den, daher ist Entwicklungsarbeit als wichtiger Teil der Wissenschaft zu betrachten. Eine fundierte Entwicklungsarbeit kommt dabei nicht ohne Forschung aus, denn sie basiert auf einer stetig weiter auszudifferenzierenden Theorie und auf stets auszu-weitenden empirischen Erkenntnissen über die initiierten Lehr-Lern-Prozesse.

Das Forschungsprogramm der fachdidaktischen Entwicklungsforschung bringt die beiden Pole Forschung und Entwicklung in eine solche produktive Verbindung. Grundideen des Programms wurden in den letzten Jahren unter verschiedenen Be-zeichnungen und mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen etabliert und disku-tiert (vgl. Link, 2012 für einen Überblick), u. a. als „Design Research“ (z. B. van den Akker et al., 2006), „Design-Based Research“ (z. B. Barab & Squire, 2004) oder „Design Experiments“ (z. B. Schoenfeld, 2006). Ausgehend von der in den 1980er Jahren am Institut für Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts in Dortmund etablierten, konsequent nutzenorientierten „Design Science“ (Wittmann, 1995) haben wir in den letzten Jahren unseren spezifischen Ansatz der lernprozess-fokussierenden fachdidaktischen Entwicklungsforschung entwickelt. Dieser Ansatz folgt programmatisch Gravemejier & Cobb (2006) mit besonderer Schwerpunktset-zung auf der Generierung und Weiterentwicklung gegenstandsspezifischer Theorien zu Lernständen und Lerninhalten, zu Verläufen, Hürden, Wirkungsweisen und Be-dingungen bei spezifischen fachlichen Lerngegenständen.

Zentrale Prozessschritte sind die iterativ aufeinander bezogene Gestaltung und Be-forschung von Lehr-Lern-Prozessen, zentrale Produkte die lokale Theorie sowie das Design (Lernumgebungen und Design-Prinzipien) (vgl. die in Abbildung 1 schwarz gedruckten unterschiedlichen Gegenstände fachdidaktischer Forschung und Ent-wicklung, die um den Kern der Lehr-Lern-Prozesse herumgruppiert sind).

Susanne Prediger (TU Dortmund)Michael Link (TU Dortmund)

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30 Susanne Prediger & Michael Link

Abb. 1: Ziele, Arbeitsbereiche und Gegenstände fachdidaktischer Entwicklungsfor-schung

Das Forschungsprogramm der lernprozessfokussierenden fachdidaktischen Entwick-lungsforschung soll in diesem Beitrag an einem langfristigen Projekt unserer Dort-munder Forschungsgruppe zur Multiplikation von Brüchen exemplarisch vorgestellt und dann hinsichtlich zentraler Prinzipien reflektiert werden.

Fallbeispiel: Längerfristiges Entwicklungsforschungsprojekt zur Multiplikation von Brüchen

0. Etappe: Problemidentifikation als Ausgangspunkt

Das Multiplizieren von Brüchen steht exemplarisch für viele Themenfelder, in denen Leistungsstudien immer wieder nur begrenzten Lernerfolg aufzeigen. Dies betrifft insbesondere die Fähigkeit zum Anwenden der mathematischen Operationen in Kontextsituationen (für Multiplikation von Brüchen vgl. z. B. Aksu, 1997). Als allge-meine Konsequenz für Unterricht kann aus den Untersuchungen gefolgert werden, dass das Anwenden der Multiplikation gegenüber dem reinen Trainieren der Rechen-fertigkeit im Unterricht mehr Gewicht erhalten muss (Padberg, 2002). Eine gezielte-re Bearbeitung des Problems erfordert allerdings eine genauere Analyse der Ursa-chen, die in der ersten Etappe des Projekts erfolgte.

1. Etappe (2004–06): Verortung der Schwierigkeiten und Spezifizierung von Lerninhalten

Erklärungen für die beschränkte Anwendungsfähigkeit der Multiplikation von (Dezi-mal-)Brüchen wurden – zum Beispiel im Theorierahmen des Conceptual Change (Stafylidou & Vosniadou, 2004) – gefunden in der falschen Übertragung intuitiver Regeln vom bekannten Zahlbereich der natürlichen Zahlen auf die (Dezimal-)Brü-

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2. Etappe (2007): Erforschung einer Lernumgebung zur Anteil-vom-Anteil-Deutung

Eine Fachdidaktik, die sich der Unterrichtsentwicklung verpflichtet fühlt, bleibt bei dieser Forderung nicht stehen, sondern entwickelt und erprobt für das Lernziel ge-eignet erscheinende Lernumgebungen (Wittmann, 1995).

In der zweiten Etappe des Projekts wurden daher die Wirkungsweisen eines beste-henden Ansatzes für eine Lernumgebung untersucht, in der Kinder Anteilsvorstel-lungen anhand des Faltens von Papier erarbeiten (nach Sinicrope & Mick, 1992). Dazu führte eine Doktorandin der Autorin Design-Experimente mit vier Kinderpaa-ren durch (Schink, 2008). Als Design-Experimente in Laborsituationen werden hier diagnostische Lehr-Lern-Situationen bezeichnet, in denen Lernumgebungen mit Kleingruppen oder Paaren von Schülerinnen und Schülern erprobt werden (Cobb et al., 2003). Sie ähneln klassischen klinischen Interviews im Anspruch, möglichst viel über das Denken der Lernenden zu erfahren und nutzen dazu evozierende Fragetech-niken, doch wechselt die Rolle der Experimentleiterin zum Teil auch in die Rolle ei-ner Lehrerin und gibt gezielte Impulse, um den Lernprozess voran zu bringen. Wäh-rend klinische Interviews meist dazu dienen, Lernstände in Form von Bearbeitungs-prozessen zu erheben, ohne den Lernenden zu helfen, werden in Design-Experimen-ten gezielt Lernprozesse angestoßen und diese beforscht (ähnlich bei Komorek & Duit, 2004). Sie sind durch ihre Laborkonstellation abzusetzen von Experimenten im Klassenraum (die etwa bei Brown, 1992, als Design-Experimente ausführlich be-schrieben werden), weil sie nur einen Teil der Realität sozialen Lernens erfassen, sich aber dennoch für Fragestellungen bewähren, die sich auf die kognitiven Chan-cen und Hürden in der Stoffstruktur fokussieren.

Die qualitative Analyse der transkribierten Video-Mitschnitte zielte auf die Frage, welche Vorstellungen und Strukturierungen die Lernenden während der Arbeit in der Lernumgebung entwickeln, und welche Hürden dabei auftauchen. Hier zeigt sich eine wichtige Chance von Design-Experimenten, bei denen die Analyse von Lern-prozessen in wünschenswerter Praxis situiert wird: Nur durch Beforschung gezielt für diesen Zweck entwickelter Lernumgebungen können Erkenntnisse über den Lernprozess für bislang wenig thematisierte Wissensfacetten (wie hier den inhaltli-chen Deutungen und ihren Diskontinuitäten) gewonnen werden, zu denen der gängi-ge Unterrichtsalltag kaum Informationen liefern kann (Gravemeijer & Cobb, 2006; Cobb et al., 2003). Insofern setzt die Beforschung der Möglichkeiten, Bedingungen und Grenzen innovativer Unterrichtsansätze ihre mindestens probeweise Umsetzung voraus.

Konkret zeigte sich in diesen Design-Experimenten u. a. eine bis dato wenig disku-tierte Hürde beim Aufbau der Vorstellung des Anteils vom Anteil, nämlich die der unklaren Beziehung zwischen Teil und Ganzem. Ein Beispiel für dieses Problem do-kumentiert Timos Zeichnung in Abb. 3, mit der er 1/8 von 1/5 durch Falten und Zeichnen bestimmte. Er teilte das Blatt erfolgreich in 5 Streifen und diese in je 8 Kästchen ein. Nun bezeichnete Timo die Kästchen mit 1/8 und erklärte, „Das wäre immer ein Achtel. Das wär dann ein Achtel von einem Fünftel. Das wären ja fünf und das ist ein Achtel von 5 Streifen.“ Die anders lautende Lösung 1/40 seines Part-