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Freiwilliges Engagement in der Pflege und Solidarpotenziale innerhalb der Familie

– Expertise –

vorgelegt der Enquetekommission „Situation und Zukunft der Pflege in NRW“

des Landtags Nordrhein-Westfalen

Bearbeitung: Jürgen Dettbarn-Reggentin

unter Mitarbeit von Heike Reggentin

Institut für sozialpolitische und gerontologische Studien (ISGOS)

Berlin, im Juni 2004

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Expertise: Freiwilliges Engagement und Solidarpotenziale... Ausführung: ISGOS Berlin

Inhalt Einleitung....................................................................................................................7

1. Bevölkerungsentwicklung und Pflegebedürftigkeit in Nordrhein-Westfalen .............10

1.1 Demographische Entwicklung der Bevölkerung ......................................................10

1.2 Pflegebedürftige Leistungsempfänger/innen der Pflegeversicherung ......................12

1.3 Hilfe- und Pflegebedarf.............................................................................................13

1.4 Pflegequoten nach Alter und Geschlecht .................................................................15

1.4.1 Struktur ambulanter Pflegeleistungen ......................................................................17

1.4.2 Beeinträchtigungen ..................................................................................................19

1.4.3 Pflege- und Betreuungsstruktur – Versorgungssituation – Wohnsituation

der zu Pflegenden ....................................................................................................20

1.4.4 Wer pflegt? Hauptpflegepersonen............................................................................21

1.4.5 Pflege demenziell Erkrankter....................................................................................24

1.5 Auswirkungen und Belastungen durch häusliche Pflege .........................................25

1.5.1 Belastungen durch Freizeitverluste ..........................................................................26

1.5.2 Belastungen durch Einengung sozialer Kontakte.....................................................26

1.5.3 Belastungen durch finanzielle Einbußen ..................................................................27

1.5.4 Belastungen der Gesundheit durch körperliche und emotionale Überforderung......27

1.5.5 Belastungen durch Beruf und Pflege........................................................................30

1.6 Belastungsgrenzen und stationäre Versorgung .......................................................31

2.0 Solidarpotenziale innerhalb der Familie ...................................................................33

2.1 Definition Familie......................................................................................................33

2.2 Privathaushalte und Haushaltstypen im Jahr 2002 ..................................................35

2.3 Familienformen im Wandel.......................................................................................37

2.4 Familie und Erwerbstätigkeit von Frauen .................................................................40

2.5 Solidarpotenzial und Motive zur Pflege ....................................................................42

2.6 Gesellschaftliche und milieuspezifische Einflussfaktoren auf

die Pflegebereitschaft ..............................................................................................45

2.7 Familienunterstützende Pflegenetzwerke ................................................................47

2.8 Quartiersbezogene Netzwerke.................................................................................50

2.9 Flankierende und entlastende Maßnahmen für pflegende und betreuende

Familienangehörige..................................................................................................52

3.0 Handlungsempfehlungen zu Teil A ..........................................................................57

3.1 Solidarpotenziale innerhalb der Familie ...................................................................57

3.1.1 Entlastungsmaßnahmen für Pflegepersonen ...........................................................57

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3.1.2 Erwerbsarbeit und Pflege .........................................................................................59

3.1.3 Unterstützung durch Selbsthilfegruppen ..................................................................60

3.1.4 Alleinlebende Pflegebedürftige ohne familiale Pflegepotenziale ..............................61

3.1.5 Versorgung durch Angehörige .................................................................................62

3.1.6 Familienstützende Leistungen..................................................................................63

3.1.7 Teilstationäre Versorgung ........................................................................................64

3.1.8 Stationäre Versorgung .............................................................................................65

3.1.9 Versorgung mit Alltagshilfen und komplementären Diensten...................................65

3.1.10 Pflege und soziale Sicherung...................................................................................67

4.0 Potenziale freiwilligen Engagements in der Pflege..................................................70

4.1 Freiwilliges Engagement ..........................................................................................70

4.2 Definition ..................................................................................................................70

4.3 Ehrenamt im Wandel, Veränderungen der Motivlagen.............................................71

4.4 Verbreitung ehrenamtlichen Engagements in Nordrhein-Westfalen ........................77

4.5 Zeitaufwand und Zeitverfügung................................................................................81

4.6 Zugangswege zum ehrenamtlichen Engagement, früheres Engagement................82

4.7 Gender, Geschlecht .................................................................................................84

4.8 Ehrenamtliches Engagement und Erwerbstätigkeit .................................................85

4.9 Regionale Unterschiede und milieuspezifische Einflüsse ........................................86

4.10 Engagementbereiche in der Pflege und Betreuung.................................................88

4.11 Motive freiwillig Engagierter in der Pflege ................................................................91

4.12 Können freiwillig Engagierte das soziale Netz der Familie stärken und

Pflegekräfte ergänzen? ............................................................................................93

5.0 Handlungsempfehlungen zu Teil B ..........................................................................94

5.1 Potenziale Freiwilligen Engagements ......................................................................94

6.0 Pflegearrangements und deren beteiligte Personen ..............................................100

6.1 Aufgaben professioneller Pflege im Rahmen von Pflegearrangements .................103

6.2 Pflege und Betreuung durch Angehörige ...............................................................106

6.3 Pflege und Betreuung durch Ehrenamtliche...........................................................108

6.4 Pflege und Betreuung durch bezahlte Laien und angelernte Kräfte.......................109

6.5 Abgrenzung Ehrenamt und professionelle Pflege ..................................................110

6.6 Schulung und Qualifikation von Angehörigen und Ehrenamtlichen........................111

6.7 Pflegearrangements / Pflegemix - Perspektiven ....................................................114

7.0 „Best-practice – Beispiele“ für freiwilliges Engagement in der Pflege ....................118

7.1 Stationäre Pflege und Betreuung ...........................................................................118

7.1.1 Das Reginenhaus in Hamm-Rhynern.....................................................................118

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7.2 Teilstationäre Pflege und Betreuung ......................................................................120

7.2.1 „Bürger engagieren sich und teilen Alter“ – Das BETA-Projekt in Baden-

Württemberg...........................................................................................................120

7.3 Ambulante Pflege und Betreuung ..........................................................................122

7.3.1 Haltestelle Diakonie, Berlin – Perspektiven für Menschen mit Demenz.................122

7.4 Angehörigenunterstützung .....................................................................................123

7.4.1 Forum Demenz, Duisburg – Angebote zur Begleitung und Unterstützung von

Demenzkranken und ihren Angehörigen................................................................123

7.5 Gemeinschaftliche Selbsthilfe ................................................................................125

7.5.1 „Die Woge“ – Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz e.V., Bremen..........126

7.6 Kommunales Verbundnetzwerk der Altenhilfe........................................................127

7.6 .1 Integration und ambulante Versorgung älterer Menschen mit psychischen

Störungen – „Das Modellprojekt Halma“ in Würzburg ...........................................128

7.7 Qualifizierung Ehrenamtlicher ...............................................................................129

7.7.1 „Pflegebegleiter“ ein Modellprojekt im Kreis Viersen..............................................130

7.8 Jung und Alt...........................................................................................................131

7.8.1 Altersbilder und Pflegeberufe: Begegnung von Jung und Alt. Ein Projekt der

Freiwilligen Agentur Ahlen e.V. ..............................................................................132

7.9 Kosten und Personalaufwand (z.B. für Trägerorganisationen)

für Organisationen und Begleitung ehrenamtlicher Dienste .................................135

7.10 Weitere Pflegearrangements.................................................................................137

8.0 Zusammenfassung................................................................................................143

Literatur .................................................................................................................146

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Tabellenverzeichnis

1. Bevölkerungsentwicklung in NRW von 1998 bis 2015 .............................................10

2. Leistungsempfänger/innen der Pflegeversicherung nach Versorgungsart in

Deutschland und NRW.............................................................................................12

3. Die Verteilung nach Pflegeklassen in Privathaushalten ...........................................14

4. Hilfe- und Pflegebedarf in Privathaushalten anteilig an ausgewählten

Altersgruppen in Deutschland ..................................................................................17

5. Unterstützung durch die Hauptpflegeperson in fundamentalen ADL

und IADL-Bereichen ................................................................................................18

6. Anzahl der Hauptpflegepersonen in NRW nach Altersgruppen und Leistungs-

bezug aus der Pflegeversicherung...........................................................................22

7. Hauptpflegepersonen in Privathaushalten in NRW nach Alter, Familienstand

und Kindern ..............................................................................................................22

8. Auftreten von demenziellen Erkrankungen in der Bevölkerung in NRW ..................24

9. Angehörige von Pflegebedürftigen mit einer demenziellen Erkrankung...................25

10. Verteilung der Haushaltstypen in NRW....................................................................35

11. Über 65-Jährige in Privathaushalten, Verteilung nach Generationen in NRW.........36

12. Alter und Familienstand in NRW im Jahr 2002 ........................................................36

13. Pflegearrangements von pflegenden Angehörigen in der häuslichen Pflege...........47

14. Modelle zur Entwicklung von Ehrenamtskulturen.....................................................96

Abbildungsverzeichnis 1. Pflegebedarf in Privathaushalten in Deutschland.....................................................13

2. Hilfebedarf in Privathaushalten in Deutschland........................................................14

3. Alter und „Pflegequote“, Anteil der jeweiligen Bevölkerungsgruppe

in Deutschland.........................................................................................................16

4. Hauptpflegepersonen in Privathaushalten in NRW ..................................................23

5. Belastungen pflegender Angehöriger mit demenzkranken Pflegebedürftigen .........29

6. Engagementmotive ehrenamtlich Tätiger in NRW ...................................................75

7. Engagementmotive im Vergleich in NRW ................................................................76

8. Beteiligung an ehrenamtlichen Tätigkeiten, Pflege und Enkelbetreuung BRD ........78

9. Entwicklung des Ausmaßes des ehrenamtlichen Engagements in NRW

in Vereinen, Verbänden und sozialen Einrichtungen nach Alter..............................80

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Einleitung

Die Versorgung hilfe- und pflegebedürftiger Menschen erfolgt ganz überwiegend in der häus-

lichen Umgebung. Dies entspricht auch weitgehend den Wünschen der Betroffenen und ihrer

Angehörigen. Die Wünsche der hilfe- und pflegebedürftigen Menschen finden ihre Entspre-

chung in den gesetzlichen Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) wie auch im

Sozialgesetzbuch (SGB XI), nach denen die häusliche Pflege ermöglicht wird und Vorrang

vor der stationären Versorgung bekommen soll.

Hier wird bereits angesprochen, dass eine Reihe von Maßnahmen und Hilfen zur Unterstüt-

zung der Betreuung hilfe- und pflegebedürftiger Menschen vorgesehen sind, die der Entlas-

tung der Angehörigen als den Hauptleistungserbringern dienen sollen.

Pflegebedürftigkeit tritt als gesundheitliches Risiko vorrangig bei alten und hochaltrigen Men-

schen auf. Die Altersgruppen der über 80-Jährigen stellen annähernd die Hälfte aller pflege-

bedürftigen Personen. Im Zuge des demographischen Wandels wird ihr Anteil zukünftig stei-

gen und somit auch der Bedarf an Hilfen im häuslichen Bereich.

Betreuungs- und Pflegequalitäten sind von mehreren Faktoren abhängig. Die Verfügbarkeit

von nahestehenden Personen, ihre Bereitschaft und ihre Fähigkeit, Hilfen zu geben, ist da-

her die bedeutendste Ressource und steht in der Versorgungskette hilfe- und pflegebedürfti-

ger Menschen an erster Stelle.

Die emotionale und soziale Nähe von Angehörigen stellt ein wesentliches Kriterium für die

Lebensqualität der zu Pflegenden dar und bildet neben der fachlichen Kompetenz von pro-

fessionell Pflegenden die zweite Säule bedürfnisorientierter Pflege. Auf der anderen Seite

werden die benötigten Hilfen durch die jüngeren Generationen bei abnehmenden Kinderzah-

len immer weniger verfügbar sein. Das bedeutet, dass nicht nur die häusliche Versorgung

der zu pflegenden Angehörigen, sondern auch die teilstationäre und stationäre Versorgung

bei fehlendem Pflegenachwuchs gefährdet sein könnte.

Von der Sicherung der Leistungen pflegender Angehöriger sowie ergänzend hierzu der Ge-

winnung von externen freiwillig ehrenamtlichen wie auch professionellen Hilfen wird es ab-

hängen, ob zukünftig eine ausreichende wie auch qualitätsvolle Versorgung hilfe- und pfle-

gebedürftiger Menschen gegeben werden kann.

Der gesetzlich vorgesehene Vorrang der häuslichen Pflege basiert nicht nur auf der Verfüg-

barkeit vorhandener Pflegepersonen, sondern auch auf deren Bereitschaft, Pflege- und Be-

treuungsverantwortung zu übernehmen. Dem Wunsch der Pflegebedürftigen, solange wie

möglich in der eigenen Häuslichkeit verbringen zu können steht daher die Bereitschaft zur

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Übernahme von Hilfe- und Pflegeleistungen der Angehörigen und auch der Freunde und

Nachbarn des Pflegebedürftigen gegenüber, auch zukünftig selbst die Betreuung und Pflege

ihrer Angehörigen übernehmen zu wollen.

Werden genügend Personen verfügbar und motiviert sein und sind eventuell auch Personen

außerhalb des persönlichen Beziehungsnetzwerkes des Pflegebedürftigen bereit, die häusli-

che Versorgung absichern zu helfen?

In dieser Expertise werden wir zunächst die Zielgruppe der Pflegemaßnahmen, die Pflege-

bedürftigen und deren steigende Personenzahlen sowie das Ausmaß der Personen, die von

der Pflegeversicherung erfasst sind, darstellen. Da die Hauptpflege- und Betreuungsleistun-

gen in den Familien gegeben werden, sollen im zweiten Teil den Auswirkungen von Verän-

derungen in den Familienstrukturen auf die Pflegemöglichkeiten und die Bereitschaften zur

Übernahme von Pflege eines Angehörigen nachgegangen werden. Hierbei werden auch die

möglichen Einflüsse und Einstellungen (Motive) zur Übernahme von Pflege einbezogen.

Die Analyse der Strukturen soll uns zu der Darstellung der notwendigen Rahmenbedingun-

gen führen, unter denen sich familiäre Solidarpotenziale in der Pflege eines Angehörigen

entfalten können.

In Kapitel vier und fünf werden Laienhilfen durch freiwilliges Engagement, wie etwa das von

ehrenamtlichen Kräften auf ihre Tragfähigkeit hin untersucht. Dabei werden Voraussetzun-

gen (Qualifikationen), Tätigkeiten und Abgrenzungen zu professionellen Diensten wie auch

Handlungsfelder und Motive beschrieben.

In Kapitel sechs gehen wir auf die zukünftigen Pflegearrangements ein und stellen dar, wie

der Pflegemix der Zukunft aussehen könnte. Hierbei wird das Verhältnis des freiwilligen En-

gagements und seine Abgrenzungen zu Leistungen der Angehörigen wie auch zur professi-

onellen Pflege aufgezeigt.

Innovative Beispiele in Kapitell sieben zeigen auf, wie bereits heute verfahren werden kann,

wenn es um die Ausgestaltung der Pflege geht.

Dem umfangreichen Bereich der Lebenssituation von pflegebedürftigen Migranten und Mi-

grantinnen können wir uns in dieser Expertise nicht zuwenden. Zurecht weisen der fünfte

und sechste Familienbericht daraufhin, dass die Thematik außerordentlich komplex ist und

eine seriöse Berichterstattung nicht nur die Belange anzuschauen hat, die auch die deutsche

Wohnbevölkerung betreffen, sondern darüber hinaus sich auch der besonderen Umstände

widmen muss, die aus der Migrationssituation entstehen (BMFSFJ, 2000). Des weiteren

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kommt hinzu, dass der sozialwissenschaftliche Forschungsstand zu der Thematik Pflege und

ehrenamtliches Engagement von Migranten, bisher wenig Beachtung fand. Bei den Migran-

ten und Migrantinnen die in Deutschland leben, handelt es sich bisher noch überwiegend um

die jungen Alten und von daher liegen bisher keine Erfahrungen mit den hochbetagten Älte-

ren vor (Reichert, 2002). Empfehlenswert wäre es, diese Thematik einer eigenen Untersu-

chung zu unterziehen, da Nordrhein-Westfalen zu den Ländern gehört, in denen ein hoher

Ausländeranteil lebt und hier vor allem in den Ballungsräumen, in denen hohe Anteile an

Industrie, verarbeitendes Gewerbe und spezialisierte Dienstleistungen zu finden sind.

Einige Bemerkungen zur Recherche und zur Datenlage sind dem Gutachten noch vorweg-

zustellen:

- Die Darstellungen zum Pflege- und Solidarpotenzial gehen von heutigen Annahmen und

Beobachtungen aus. Auf die Fragestellung direkt bezogene Untersuchungen liegen bis-

her für NRW nicht vor. Die vorliegenden Studien beziehen die Problematik der Pflege im

Hinblick auf ihre inner- und außerfamliären Potenziale – wenn überhaupt – nur am Ran-

de mit ein. Bei der Begründung für Unterstützungsleistungen für die häusliche Pflege wie

auch für die Gewinnung von Kräften war dies zu berücksichtigen.

- Gleiches muss auch für die allseits für notwendig erachteten Pflegearrangements (Ple-

gemix) gesagt werden. Bisher erprobte Verfahren sind nur in Ausnahmen evaluiert wor-

den. Für den großen Pflegebereich „Demenz“ wird in Nordrhein-Westfalen eine Modell-

evaluation begonnen, auch diese Erfahrungen können noch nicht einbezogen werden,

dies gilt auch für den Bereich der niedrigschwelligen Angebote.

- Alle Hintergrunddaten (Bevölkerung, Pflegedaten, Ehrenamt / freiwilliges Engagement,

Belastungen pflegender Angehöriger) sind so weit möglich und im Bearbeitungszeitraum

verfügbar auf NRW bezogen worden. Dies war jedoch nicht auf alle Fragestellungen zu

bewerkstelligen. Hier wurde auf Bundesdaten zurückgegriffen, so weit dies notwendig

war.

- Auf Grund des sehr engen Zeitbudgets mussten weitergehende Analysen ausgeschlos-

sen werden. Es wird bereits an dieser Stelle empfohlen, für verschiedene Teilbereiche

dieses Gutachtens (z.B. Pflegemix, Ehrenamtspotenziale, familiäre Pflegepotenziale) ei-

gene Forschungen durchzuführen, da die Datenlage hier wenig Informationen eröffnet.

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1. Bevölkerungsentwicklung und Pflegebedürftigkeit in Nordrhein-West- falen

1.1 Demographische Entwicklung der Bevölkerung Die Bewertung des Ausmaßes und der darauf basierenden weiteren Entfaltungen der Hilfe-

und Pflegebedürftigkeit erfolgt vor dem Hintergrund demographischer Entwicklungen, die

auf Grund gravierender Umwälzungen in der Bevölkerungsstruktur auch als demographi-

scher Wandel bezeichnet werden. Im Wesentlichen werden zwei Merkmale benannt, die den

demographischen Wandel bestimmen1. Da ist erstens der seit Jahrzehnten anhaltende Ge-

burtenrückgang zu nennen. Es werden weniger Kinder geboren, als zur Erhaltung des Be-

standes der Bevölkerung notwendig sind. Der abnehmenden Zahl Jüngerer steht eine Zu-

nahme der Lebenserwartung gegenüber. Das bedeutet eine größere Anzahl älterer Men-

schen, deren Anteil nicht nur absolut wächst, sondern auch im Verhältnis zu den Jüngeren

ansteigt (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Bevölkerungsentwicklung in NRW von 1998 bis 2015 (jeweils zum Jahresanfang) Von ... bis unter

1998 2003 2005 Prognose

2010 Prognose

2015 Veränderung

geg. 1998 Alle Veränderung:

17.974.487

18.076.355

18.005.649

17.895.527

17.761.430

- 1,19% Unter 20

3.872.422 3.860.559 3.922.391 3.760.456 3.592.413 - 7,23%

20 - 40

5.356.304 4.939.155 4.708.789 4.372.687 4.474.165 - 16,47%

40 – 50

2.470.585 2.745.040 2.888.776 3.044508 2.634.527 + 6,64%

50 - 55

994.399 1.159.564 1.180.933 1.318.988 1.484.624 + 49,31

55 - 60 1.268.011 960.135 961.858 1.128.077 1.261.589 - 0,51%

60 - 65 1.109.339 1.202.692 1.059.515 886.312 1.046.760 - 5,64%

65 – 70 916.062 1.027.502 1.090.844 959.644 800.624 - 12,6%

70 – 75 774.734 812.201 788.244 954.471 837.300 + 8,08

75 – 80 556.085 646.303 659.363 638.549 774.912 + 39,4%

80 + 656.546 723.204 744.936 831.835 854.516 + 30,2%

60+ 65+

4.012.766

2.903.427

4.411.902

3.209.210

4.342.290

3.283.387

4.270.891

3.384.499

4.314.112 + 7,5%

3.267.352 + 12,5%

Quelle: http://www.lxi1h.lds.nrw.de, Vorausberechnung der Bevölkerung in den kreisfreien Städten und Kreisen NRW‘s bis 2015 nach Altersjahren: Ergebnisse der Basisvariante Nordrhein-Westfalen. Statistische Berichte: Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen 2002 nach Alter und Geschlecht, Kennziffer A I – j/02, 2003, Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik NRW, eigene Berechnungen.

1 Die demographische Entwicklung wird darüber hinaus durch Zuwanderungen geprägt, die den Bevölkerungs-rückgang in der Bundesrepublik bisher verzögert haben (vgl. Deutscher Bundestag, 2002).

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In diesen Zahlen sind ca. 11% Ausländer/innen enthalten (2003: 1.926.600 bzw. 10,7% der

Bevölkerung, davon 20% jünger als 18 Jahre und 6,0% älter als 65 Jahre).

Betrachten wir zunächst die demographischen Trends in Nordrhein-Westfalen (NRW) ab

2003 für die kommenden 10 bis 12 Jahre, so wird schnell erkennbar, dass einer steigenden

Zahl Hochaltriger eine sinkende Zahl junger Menschen unter 20 Jahren gegenüber stehen

wird.

Während die Bevölkerung in NRW bis zum Jahr 2015 nur leicht abnehmen wird, sind erheb-

liche Zuwächse vor allem bei den 75-80-Jährigen und den über 80-Jährigen zu verzeichnen.

Gemessen an der absoluten Zahl werden in 10 bis 15 Jahren ca. 260.000 bis 270.000

(410.000 bis 420.000 seit 1998) mehr Personen dieser beiden Altersgruppen in NRW leben.

Die junge Bevölkerung unter 20 Jahren wird dagegen um 265.000 bis 270.000 Personen (ca.

290.000 Personen seit 1998) abnehmen.

Noch stärker wird die Abnahme unter den jungen bis mittelalten Erwachsenen sein. Diese

Altersgruppe ist zwischen 20 und 40 Jahren alt und wird in den kommenden 12 bis 15 Jah-

ren ca. 465.000 Personen (882.000 Personen seit 1998) weniger zählen.

Einzig die geburtenstarken Jahrgänge der 60er Jahre werden kräftig zulegen. Sie zählen ab

etwa 2010 bis 2015 zu der Altersgruppe der 50 - 55-Jährigen und gewinnen dann um ca.

325.000 Personen (490.000 Personen seit 1998).

• In etwa 10 Jahren werden erheblich weniger Personen unter 40 Jahren und deutlich

mehr Menschen über 75 Jahren in NRW leben.

• Abweichend vom allgemeinen Trend werden dann auch erheblich mehr Menschen zwi-

schen 50 und 55 Jahren anzutreffen sein.

Es wird sich hieran nichts Wesentliches ändern, denn: • Die Geburtenzahlen werden sich den Prognosen entsprechend auf niedrigem Niveau

halten und somit eine weitere Abnahme der Bevölkerung bewirken. • Die Lebenserwartung wird weiter steigen und eine Zunahme der Personengruppen der

über 70-Jährigen begünstigen. Jedoch: • Bezogen auf das Bezugsjahr 2003 werden bis zum Jahr 2015 ca. 100.000 mehr Perso-

nen über 80 Jahre und etwa 380.000 Personen weniger im erwerbsfähigen Alter zwi-

schen 20 und 65 Jahren in NRW leben.

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1.2 Pflegebedürftige Leistungsempfänger/innen der Pflege- versicherung

In der Literatur wird Pflegebedürftigkeit in der Regel mit einem Leistungsbezug nach dem

SGB XI gleichgesetzt. Soweit ein Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung besteht,

werden diese Leistungen nach Art und Anzahl statistisch erfasst. Alle Personen, die in einer

gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung versichert sind, werden somit zugleich bei

Inanspruchnahme von Pflegeleistungen in die Statistik einbezogen.

Tabelle 2: Leistungsempfänger/innen der Pflegeversicherung nach Versorgungsart in Deutschland und NRW Ende des Jah-res

Gesamt Anzahl Personen

Privat-haushalte

Davon mit Ambulanten Diensten

Davon mit Pflegegeld (Angehörige)

Stationär

BRD

BRD 2001 2.039.780 1.435.415 (70,4%)

434.679 (21,3%)

1.000.736 (49,1%)

604.365 (29,6%)

Veränderung gegenüb. 1999

+ 1,2 %

- 0,5 %

+ 4,7 %

- 2,6 %

+ 5,4 %

NRW

NRW 1999 465.850 332.498 (71,4%)

93.916 (20,2%) 238.582 (51,2%)

133.352 (28,6%)

NRW 2001 459.371 323.919 (70,5%)

92.363 (20,1%) 231.556 (50,4%)

135.452 (29,5%)

Veränderung gegenüb. 1999

- 1,4 %

- 2,6 %

- 1,7 %

- 2,9 %

+ 1,6 %

Quellen: Statistisches Bundesamt, 2003, Pflegestatistik Deutschlandergebnisse, 2001; Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik, 2004, 1999, Pflegeeinrichtungen.

In NRW erhielten Ende 2001 etwa 459.400 Personen Leistungen aus der Pflegeversiche-

rung, hiervon wurden ca. 70% (rd. 323.600 Personen) der Leistungsempfänger/innen in Pri-

vathaushalten (zu Hause) versorgt. In Heimen waren zu diesem Zeitpunkt 135.500 pflegebe-

dürftige Personen untergebracht (ca. 30%).

Mit 231.600 Pflegebedürftigen (50,4%) erhielt ein hoher Anteil der Leistungsempfänger/innen

ausschließlich Pflegegeld zur Sicherung der eigenen Pflege. Weitere 20% (92.300 Perso-

nen) der Pflegebedürftigen wurden in häuslicher Umgebung mit Hilfe von ambulanten Diens-

ten ganz oder teilweise mit versorgt2.

Zwischen 1999 und 2001 war in NRW eine Abnahme der Inanspruchnahme von Pflegegeld

(ca. 7.000 Personen) wie auch der Einbeziehung ambulanter Dienste bei der häuslichen

2 Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen. Statistischer Jahresbericht, 2002.

12

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Pflege (ca. 1.550 Personen) zu verzeichnen. Dagegen wurden 2.100 Personen mehr in den

stationären Einrichtungen gezählt (Tabelle 2).

Dieser kurze Überblick verdeutlicht bereits den weiterhin absoluten Vorrang der ambulanten

Versorgung vor der stationären Unterbringung, auch wenn die Zahlen einen rückläufigen

Trend beschreiben. Die Zahlen für Nordrhein-Westfalen liegen in ihrem Trend etwas unter

dem Bundesdurchschnitt (vgl. hierzu Schneekloth, 2002). Die geringeren Steigerungsraten

weisen auf einen bundesweiten Anpassungsprozess in der Verteilung nach ambulanter und

stationärer Versorgung hin. Im Folgenden sollen die aufgezeigten absoluten Zahlen nach

Leistungsbedarf und Leistungsempfängern unterschieden werden.

1.3 Hilfe- und Pflegebedarf

Die Pflegestatistik des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung zum Hilfe-

und Pflegebedarf in Privathaushalten in Deutschland 2002 ergab bei der Verteilung der Pfle-

geeinstufung nach Pflegekassen folgendes Bild:

Abbildung 1: Pflegebedarf in Privathaushalten in Deutschland

Pflegebedürftige in Privathaushalten Ende 2002

10

3456

Pflegestufe 3 Pflegestufe 2 Pflegestufe 1

Stufe 1

Stufe 3

Stufe 2

In %

Quelle: Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, 2004

Der Anteil schwer und schwerstpflegebedürftiger Personen in häuslicher Versorgung (Pfle-

gestufe II und III, SGB XI) liegt in NRW im Vergleich zum Bundesdurchschnitt höher, zeigt

aber leichte Anpassungstendenzen.

13

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Tabelle 3: Die Verteilung nach Pflegeklassen in Privathaushalten ergibt folgendes Bild:

(Dez. 1999 NRW) (Dez. 2001NRW) Pflegestufe 1 45,3 47,8% Pflegestufe 2 40,7 39,7% Pflegestufe 3 14,0 12,5%

Die gegenüber dem Bundesdurchschnitt (Abbildung 1) noch bestehenden Unterschiede, nähern sich langsam dem Bundesdurchschnitt an. Quelle: Statistische Berichte NRW, 1999 bis 2002, eigene Berechnungen. Zu einer annähernd gleichen Verteilung kam das Forschungsinstitut Infratest (2003) in einer

Repräsentativerhebung zum Hilfe- und Pflegebedarf in Privathaushalten in Deutschland.

Gegenüber den regelmäßig erhobenen Daten zur Pflegestatistik erbrachte die Repräsenta-

tiverhebung von Infratest darüber hinaus auch Angaben zu Personen mit Hilfebedarf.

Die Unterscheidung zwischen Pflege- und Hilfebedarf wurde entsprechend den Kriterien des

SGB XI getroffen. Pflegebedürftig sind Personen, wenn erheblicher Pflegebedarf in körper-

bezogenen (mindestens einmal täglich) und zusätzlich in hauswirtschaftlichen Verrichtungen

(mehrfach in der Woche) ein Unterstützungsbedarf von täglich mindestens 90 Minuten (bei

45 Minuten Grundpflege) vorliegt.

Als hilfebedürftig wurden Personen eingestuft, deren Bedarf vorrangig bei der Unterstützung

in hauswirtschaftlichen alltäglichen Verrichtungen besteht. Dieser Bedarf wird auch als vor-

pflegerischer Bereich oder auch als Pflege Null bezeichnet. Auf Bundesebene wurden 2.989

Millionen Personen mit Hilfebedarf ausgemacht

Abbildung 2: Hilfebedarf in Privathaushalten in Deutschland

Hilfebedürftige in Privathaushalten Ende 2002

45

36

19

Täglich Wöchentlich Eher selten

täglich

eher selten

wöchentlich

In %

Quelle: Infratest Sozialforschung München, 2003

14

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Zu den Personen mit Leistungen aus der Pflegeversicherung muss im Hinblick auf einen

vorhandenen Hilfebedarf der Personenkreis mit Einschränkungen bei den alltäglichen Ver-

richtungen in den Blickpunkt gerückt werden, denn diese Personen stehen an der Schwelle

zur Pflegebedürftigkeit. Die annähernd 3 Millionen Personen im Bundesgebiet machen deut-

lich, dass auf jede pflegebedürftige Person in privaten Haushalten noch weitere ca. 2,1 Per-

sonen hinzu zu rechnen sind, die einen Hilfebedarf aufweisen. Von diesen Hilfebedürftigen

benötigt annähernd jede zweite Person täglich mindestens einmal Hilfe.

Da die Zahlen in NRW nicht wesentlich von denen des Bundesdurchschnitts abweichen, ist

auch hier von einem vergleichbaren Ausmaß an Hilfebedürftigen auszugehen, der folgende

Dimension aufweist:

Insgesamt Hilfebedürftige in NRW: ca. 678.000, davon

Personen mit täglichem Hilfebedarf ca. 305.000,

Personen mit wöchentlichem Hilfebedarf ca. 244.000 und

Personen mit eher seltenem Hilfebedarf ca. 129.000 (eigene überschlägige Berechnungen

anhand der Verhältnisse Pflege- zu Hilfebedarf nach der Infrateststudie, 2003).

Auch für NRW können wir davon ausgehen, dass aus diesem Personenkreis heraus etwa

jeder Fünfte bereits einen Antrag auf Pflegeleistung gestellt hat. Sie sind ebenso wie die ca.

324.000 Pflegebedürftigen (Tabelle 2) in Privathaushalten Zielgruppe von Unterstützungs-

maßnahmen und somit auf Leistungen aus dem näheren Umkreis angewiesen.

1.4 Pflegequoten nach Alter und Geschlecht Wer wird betreut und gepflegt? Das Risiko, pflegebedürftig zu werden, trifft in erster Linie die

Personengruppe der hochaltrigen über 80-jährigen Personen. Die Zunahme gerade dieser

Personengruppe ist deshalb von Bedeutung, weil sie mit 45% annähernd die Hälfte aller

Pflegebedürftigen in der Bundesrepublik Deutschland stellen (Infratest, 2003)3. Bezogen auf

die Gesamtbevölkerung beziehen 15% der über 80-jährigen Männer und 21% der über 80-

jährigen Frauen in Privathaushalten Leistungen aus der Pflegeversicherung.

Für NRW gelten ganz ähnliche Verhältnisse, deshalb stellen wir in Abbildung 3 die allgemei-

ne Verteilung in der Bundesrepublik dar. Nach Altersgruppen gegliedert zeigt die Pflegebe-

dürftigkeit einen ganz klaren Alterstrend.

3 Infratest Sozialforschung 7/2003.Hilfe- und Pflegebedürftige in Privathaushalten in Deutschland 2002. Schnell-bericht. Erste Ergebnisse der Repräsentativerhebung im Rahmen des Forschungsprojekts „Möglichkeiten und Grenzen einer selbstständigen Lebensführung hilfe- und pflegebedürftiger Menschen in privaten Haushalten“. Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. München. Der Abschlussbericht wird Ende des Jahres 2004 erscheinen.

15

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Abbildung 3: Alter und „Pflegequote“, Anteil an der jeweiligen Bevölkerungsgruppe in Deutschland

Alter und "Pflegequote"

0 ,6 0 ,5 1 ,7 3 ,05 ,0

8 ,7

2 1 ,6

4 2 ,8

6 5 ,4 6 4 ,1

1 5 ,7

2 9 ,6

4 5 ,2

2 8 ,7

1 0 ,7

5 ,12 ,6

1 ,40 ,40 ,50

10

20

30

40

50

60

70

unter 15 15 - 60 60 - 65 65 - 70 70 - 75 75 - 80 80 - 85 85 - 90 90 - 95 95 +

männlich weib l ich

Diese Quoten beziehen sich auf alle Pflegebedürftigen, schließen also auch die Heimbewoh-ner/innen mit ein. Quelle: Pflegestatistik 2001 – Deutschlandergebnisse -, Statistisches Bundesamt, 2003

Die Abbildung zeigt bis zum 60. Lebensjahr nur ganz geringe Anteile Pflegebedürftiger an

den jeweiligen Altersgruppen, die auch geschlechtsspezifisch kaum voneinander abweichen.

Bezogen auf die Versorgungsart ambulant bzw. stationär gilt dies auch bis etwa zum 40.

Lebensjahr. Die Institutionalisierungsquote (höherer Anteil an stationärer Versorgung) bei

den pflegebedürftigen Männern steigt zwischen dem Lebensalter von 40 und 60 Jahren ge-

genüber den Frauen leicht an und verläuft dann zwischen 60 und 70 Jahren wieder etwa auf

gleichem Niveau wie bei den Frauen und ab dem 70. Lebensjahr erreichen pflegebedürftige

Frauen deutlich höhere Anteile in der stationären Versorgung als die Männer.

Etwa ab dem 75. Lebensjahr wird die Pflegebedürftigkeit zu einem verbreiteten Gesundheits-

risiko, das mit weiteren Lebensjahren stark ansteigt und hier insbesondere Frauen betrifft.

Betrachten wir insgesamt die Versorgung pflegebedürftiger und hilfebedürftiger Männer und

Frauen in Privathaushalten, ist der geschlechtsspezifische Unterschied in den höheren Le-

bensjahren nicht mehr so gravierend. Bis zum 80. Lebensjahr sind die Unterscheidungen

gering. Danach werden Differenzen zwischen 80 und 85 Jahren und mehr noch zwischen 85

und 90 Jahren deutlicher. Bei den über 85-Jährigen nähern sich Hilfe- und Pflegebedarf der

beiden Geschlechter, bezogen auf diese Altersgruppe, wieder leicht an.

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Tabelle 4: Hilfe- und Pflegebedarf in Privathaushalten anteilig an ausgewählten Altersgrup-pen in Deutschland Alter bis unter ... Jahre männlich weiblich 0 – 15 1,2 % 0,8% 15 – 40 1,2 % 1,2 % 40 – 60 2,4 % 2,9 % 60 - 65 4,8 % 4,8 % 65 – 70 8,8 % 9,6 % 70 – 75 13,9 % 16.9 % 75 – 80 21,8 % 23,8 % 80 – 85 27,6 % 41,3 % 85 – 90 38,4 % 49,2 % 90 und älter 53,3 % 63,3 %

Diese Tabelle stellt eine Zusammenfassung der Werte für Hilfe- und Pflegebedürftige nach Infratest Sozialforschung (2003) dar und beziehen sich anders als die Grafik 3 nur auf Privathaushalte.

Rein pflegebedürftig sind nach der Repräsentativerhebung von Infratest Sozialforschung ca.

21% der Frauen und 15% der Männer im Alter von über 80 Jahren in Privathaushalten.

Zum 31.12. 2001 waren in NRW von allen Pflegebedürftigen 68,9% Frauen betroffen. Ihr

Anteil an den Pflegebedürftigen in Privathaushalten betrug zu diesem Zeitpunkt 20,4% ge-

genüber den Männern mit 19,5% (Pflegestatistik, Vorabauswertung zum 15.12.2001, Statis-

tisches Landesamt NRW).

1.4.1 Struktur ambulanter Pflegeleistungen

Der Hauptpflege- und Unterstützungsbedarf liegt in den Hilfen bei alltäglichen Verrichtungen.

Die körperbezogenen Beeinträchtigungen, die kognitiven Einschränkungen sowie die nach-

lassenden Fähigkeiten haushaltsbezogene hauswirtschaftliche und instrumentelle Tätigkei-

ten ausführen zu können, müssen kompensiert werden. Im Bereich der körperbezogenen

Leistungen sind es beispielsweise Hilfen beim sich Waschen, beim sich An- und Ausziehen,

beim Gehen und Treppensteigen, bei der Toilettennutzung und beim Essen / Nahrungsauf-

nahme. Bei Auftreten kognitiver Störungen werden Hilfen in der Orientierung, der Tages-

strukturierung, der Sicherheit oder emotionalen Zuwendung gegeben, während die Unter-

stützung bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten die Haushaltsorganisation und das Hauswirt-

schaften insgesamt umfasst. Häufig sind alle drei Bereiche gleichermaßen betroffen, so dass

umfassende Hilfeleistungen gegeben werden müssen.

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Tabelle 5: Unterstützung durch die Hauptpflegeperson in fundamentalen ADL und IADL-Bereichen 4 Unterstützung bei folgenden Verrichtungen

Häusliche Versorgung

% Beim zu Bett gehen 52,7 Waschen 51,7 An- und Auskleiden 52,7 Treppensteigen 26,1 Stuhl- und Urinkontrolle 45,4 Körperpflege (Bad) 38,6 Essen und Trinken 61,8 Hinsetzen und Aufstehen 34,8 Gehen und Fortbewegen 29,5 Zur Toilette gehen 38,2 Aufräumen und Putzen 56,5 Umgang mit Geld 46,4 Telefonieren 32,9 Mahlzeiten zubereiten 56,5 Umgang mit Geräten 42,0 Trösten 55,1 Beruhigen 62,3 Aufmuntern 60,9

Die Struktur der Tätigkeiten in Privathaushalten bei Pflegebedürftigkeit eines Haushaltsmit-

gliedes wird durch die Tabelle 5 verdeutlicht. Es werden nahezu alle Leistungen gefordert,

die im Alltag zur Lebenserhaltung notwendig sind. Die emotionale Zuwendung gehört bei

demenziell Erkrankten zu den wesentlichen Aufgaben und zeichnet die häusliche Pflege aus.

Weitere Unterstützungsbereiche umfassen die Orientierung (54%) der Pflegebedürftigen in

Privathaushalten und die Beschäftigung und Betreuung, da 25% der zu Pflegenden nicht

mehr in der Lage sind, mehrere Stunden allein zu Hause zu verbringen (Infratest, 1998).

In der oben aufgeführten Tabelle wurde nicht nach Pflegestufen getrennt, so dass sich etwa

in der Pflegestufe 3 noch höhere Inanspruchnahmen einzelner Leistungen ergeben können.

Die von Infratest 1992 durchgeführte Repräsentativerhebung zum Hilfe- und Pflegebedarf in

Privathaushalten beschreibt differenziert nach Altersgruppen die spezifischen Erkrankungen

und Behinderungen in der Rangfolge der Nennungen (Schneekloth / Potthoff, 1993). Hieraus

erwachsen dann Anforderungen an den Hilfe- und den Pflegebedarf.

• Kinder und Jugendliche bis 15 Jahre

Krankheiten des Nervensystems Intelligenzstörung Angeborene Fehlbildung

4 Belastungen pflegender Angehöriger von Demenzkranken im häuslichen Bereich Eine Untersuchung in Berlin-Brandenburg von 473 pflegenden/betreuenden Angehörigen (Dettbarn-Reggentin / Reggentin, 2002a). (Antwort: täglich einmal bis täglich mehrmals im häuslichen Bereich)

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• Jugendliche und junge Erwachsene 16 – unter 40 Jahre Krankheit des Nervensystems Intelligenzstörungen Angeborene Fehlbildung Gelenkerkrankungen

• Ältere Erwachsene 40 – unter 65 Jahre Krankheiten des Nervensystems Gelenkkrankheiten Herzkrankheiten Hirngefäßkrankheiten (insbesondere nach Schlaganfall) Erkrankungen des Rückens

• Jüngere Senioren 65 – unter 80 Jahre Gelenkerkrankungen Herzerkrankungen Krankheiten des Nervensystems Stoffwechselkrankheiten (insbesondere Diabetes) Krankheiten der Blutgefäße (insbesondere Arteriosklerose) Hirngefäßkrankheiten (insbesondere nach Schlaganfall)

• Ältere Senioren 80 Jahre und älter Gelenkerkrankungen Herzerkrankungen/Bluthochdruck Sehbehinderung Krankheiten der Blutgefäße Hirngefäßerkrankungen Stoffwechselerkrankungen.

In einer Studie zur gerontopsychiatrischen Versorgung über 60-Jähriger und Älterer durch

ambulante Pflegedienste in zwei benachbarten Regionen Nordrhein-Westfalens5 wiesen die

Klienten in der Reihenfolge Erkrankung des Bewegungsapparates, Diabetes, Schlaganfall,

Erkrankung der Sinnesorgane, Herzerkrankungen, Inkontinenz sowie eine Anzahl genannter

weiterer Erkrankungen auf. Etwa 42% der erfassten Personen wiesen psychische Störungen

auf. Eine Untersuchung zur Belastung pflegender Angehöriger von Gräßel führt ganz ähnli-

che Krankheitsgruppen bei pflegebedürftigen Personen an, wie sie bereits oben beschrieben

wurden6. Neben der Demenz bzw. anderer psychischer Störungen wiesen diese Klienten

Krankheiten des Kreislaufsystems, Inkontinenz und Mobilitätsstörungen, Krankheiten des

Nervensystems, Krankheiten des Muskel- und Skelettsystems sowie weitere Krankheiten

auf.

1.4.2 Beeinträchtigungen

Im Durchschnitt weisen Personen mit Pflegebedarf in Privathaushalten mit somatischen Er-

krankungen zwei Diagnosen auf. Für einen Teil der Personen (48% der Pflegebedürftigen

5 Klostermann u.a., 1998, Stichtagserhebung bei 29 ambulanten Pflegediensten, N=1.246. 6 Gräßel, 1998, Häusliche Pflege dementiell und nicht dementiell Erkrankter.

19

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und 24% der Hilfebedürftigen in Privathaushalten) kommt eine psychische Erkrankung zu-

sätzlich hinzu (Infratest, 2003).

Bezogen auf die Versorgung der Personen mit Unterstützungsbedarf sind dreierlei Beein-

trächtigungen relevant:

1. Die körperliche Beeinträchtigung verlangt Unterstützung in den Verrichtungen sich wa-

schen, an- und ausziehen, sich in der Wohnung selbstständig bewegen, die Toilette be-

nutzen und Nahrung zu sich nehmen. In der Pflegestufe 3 wird beispielsweise jeweils bei

mehr als der Hälfte aller Erkrankten tägliche Unterstützungen notwendig.

2. Die Verrichtung der alltäglichen Besorgungen, die Erledigung des Haushaltes oder die

Zubereitung der Mahlzeiten ist für die absolute Mehrheit der Pflegebedürftigen nicht mehr

allein möglich. Für Personen mit Hilfebedarf stellen die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten

für etwa jede vierte Person ein Problem dar, das allein nicht bewältigt werden kann.

3. Bei Auftreten kognitiver Beeinträchtigungen treten krankheitsbedingt weitere Unterstüt-

zungs- und Beaufsichtigungsanforderungen auf. Die erkrankten Personen können in je-

dem zweiten Fall tagsüber nicht allein gelassen werden (Gefahr der Selbst- und/oder

Fremdgefährdung).

Wie ist unter diesen Gegebenheiten eine häusliche Versorgung noch sicherzustellen?

1.4.3 Pflege- und Betreuungsstruktur -Versorgungssituation- Wohnsituation der zu Pflegenden

Im Hinblick auf zu erwartende Hilfeleistungen ist der Familienstand und die Haushaltsgröße

des zu Pflegenden bzw. Hilfebedürftigen relevant. So sind 32% der Pflegebedürftigen und

42% der Hilfebedürftigen verheiratet, 43% sind verwitwet (36% der Hilfebedürftigen), 6% sind

geschieden (5% der Hilfebedürftigen) und 19% sind ledig (17% der Hilfebedürftigen).

Mehr noch als der Familienstand gibt die Haushaltsgröße Hinweise auf unmittelbar verfügba-

res Hilfepotenzial. Demnach leben 31% in Einpersonenhaushalten (41% der Hilfebedürfti-

gen), 41% in Zweipersonenhaushalten (40% der Hilfebedürftigen) und 28% in Drei- und

Mehrpersonenhaushalten (19% der Hilfebedürftigen) (alle Daten: Infratest Sozialforschung,

2003).

Als eines der großen Probleme in der Versorgung pflegebedürftiger und auch hilfebedürftiger

Menschen wird das Alleinwohnen angesehen. Bei akutem Hilfebedarf kann es zum Problem

werden, Helfer/innen zu erreichen. Diese Situation ergab sich in der bereits angeführten Stu-

die aus NRW für ein Drittel der über 60-jährigen Klienten (40% der pflegebedürftigen ohne

gerontopsychiatrische Erkrankungen und 33% mit gerontopsychiatrischen Erkrankungen,

(Klostermann a.a.O.).

20

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Auf das Bundesgebiet bezogen lebt die Hauptpflegeperson zu 62% mit der pflegebedürfti-

gen Person im selben Haushalt (1998 waren es noch 73%) und zu 8% im selben Haus. Bei

getrennten Haushalten lebten 14% bis zu 10 Minuten, 5 % wohnten bis zu 30 Minuten und

3% waren noch weiter als 30 Minuten entfernt. Keine privaten Helfer/innen wiesen 8% der

pflegebedürftigen Personen auf.

Schwieriger gestaltet sich die Situation für die rd. 31% alleinwohnenden Pflegebedürftigen.

Für diese Personengruppe sind zu 20% Helfer/innen im selben Haus erreichbar, zu 37%

wohnen diese bis zu 10 Minuten entfernt, zu 14% bis zu 30 Minuten und noch weiter entfernt

sind 7%. Ohne private Helfer/innen leben 21% der alleinwohnenden Pflegebedürftigen.

Der Alterssurvey (Kohli, u.a., 2000) geht von 68% aller 70-85-Jährigen aus, die am selben

Ort wie ihre Kinder und von denen 45% im selben Haus oder in unmittelbarer Nachbarschaft

wohnen.

Für Nordrhein-Westfalen hat Infratest 1998 ermittelt, dass 65% der Pflegebedürftigen mit der

Hauptpflegeperson in einem gemeinsamen Haushalt wohnen, unabhängig, ob Leistungen

der Pflegeversicherung beansprucht werden oder nicht (Hilfe- und Pflegebedürftige mit

Hauptpflegepersonen in Privathaushalten in Nordrhein-Westfalen, Sonderauswertung für

NRW, Infratest 2002, Referenzjahr 1998).

1.4.4 Wer pflegt? Hauptpflegeperson

Übereinstimmend stellen verschiedene Studien zur häuslichen Pflegesituation fest, dass die

Pflege- und Betreuungsleistungen ganz überwiegend von Familienangehörigen erbracht

werden (siehe hierzu, Halsig, 1995; Gräßel, 1998; Breidet, 2001). Der Hauptanteil wird von

den Ehepartnern/innen und den Kindern getragen. Von den Hauptpflegepersonen in Nord-

rhein-Westfalen sind 55% zwischen 40 und 64 Jahre alt, 15% zwischen 65 und 74 Jahre und

15% jünger als 39 Jahre. Bei den über 75-Jährigen und älteren liegt der Anteil der Haupt-

pflegepersonen noch bei 14%. Das Durchschnittsalter bei den Hauptpflegepersonen liegt

damit in NRW bei den Frauen bei 52,2 und bei den Männern bei 58,8 Jahren. Der Anteil

weiblicher Pflegekräfte liegt bei 78%7. Nach Fuchs (1999) leistet ein Viertel der Hauptpflege-

personen die Pflege allein, die Hälfte erhält Unterstützung durch andere nichtprofessionelle

Kräfte und ein weiteres Viertel erhält Unterstützung durch professionelle Dienste.

An der Pflege waren 1998 in NRW durchschnittlich 2,6 Personen beteiligt, dabei ist zu be-

rücksichtigen, dass aber auch 25% der Pflegenden ohne weitere Helfer auskommen muss-

ten. In jedem dritten Pflegefall erhielt die Hauptpflegeperson Unterstützung durch eine weite-

re Person aus dem Bekanntenkreis. Differenziert nach Alter der Hauptpflegeperson steigt die

7 Infratest Sozialforschung, 2002

21

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Zahl der Personen mit dem Alter an, die allein die Pflege leisten müssen (Infratest 2002,

a.a.O. siehe auch Tabelle 6).

Tabelle 6: Anzahl der Hauptpflegepersonen in NRW nach Altersgruppen und Leistungsbezug aus der Pflegeversicherung, in % Leistungsbezug nach SGB XI Ja

bis 59 Jahre Ja

60 Jahre u. älter Nein Gesamt

1 Person 14 34 29 25 2 Personen 37 28 33 33 3 Personen 27 14 12 18 4 Personen und mehr 23 23 26 24 Durchschnitt 2,8 2,5 2,5 2,6 Quelle: Reichert u.a., 2002)

Auf NRW bezogen stellten Ende 1998 die Ehepartnerinnen, Mütter, Töchter und Schwieger-

töchter zusammengenommen 65% der Hauptpflegepersonen (siehe Abb. 4). Im Durchschnitt

sind 79% der Hauptpflegepersonen in NRW verheiratet. Von ihnen haben 25% ein Kind,

58% zwei oder mehr Kinder und 16% sind kinderlos (siehe Tabelle 7).

Tabelle 7: Hauptpflegepersonen in Privathaushalten in NRW nach Alter, Familienstand und Kindern, in %

Hauptpflegepersonen Alter unter 25 Jahre 1 25-39 Jahre 14 40-64 Jahre 55 65-74 Jahre 15 75 Jahre u. älter 14 Familienstand verheiratet 79 verwitwet 7 geschieden 6 ledig 8 Anzahl der Kinder keine Kinder 16 ein Kind 25 zwei Kinder 31 drei Kinder 17 vier und mehr Kinder 10 Quelle: Infratest Sozialforschung, 2002

Der engste Familienkreis einschließlich Söhne und Ehemänner (die Väter spielen in der

Pflege keine Rolle) hat zu 83% die Rolle der Hauptpflegepersonen eingenommen, also zu

22

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einem ganz ähnlichem Anteil wie es Infratest 20028 für das gesamte Bundesgebiet ermittelt

hatte. Die Pflege wird von Männern dann zu einem höheren Anteil geleistet, wenn ein Eltern-

teil oder die Ehepartnerin betroffen ist. Der Männeranteil steigt generell mit höherem Alter.

Bei Hauptpflegepersonen unter 60 Jahren sind in NRW noch die Mütter (14%) aber auch

Schwiegertöchter mit 22% stärker beteiligt. In diesem Alter werden noch häufig behinderte

und chronisch kranke Kinder und Jugendliche gepflegt. Diese Angaben beziehen sich auf

Pflege mit Leistungsbezug nach SGB XI. Erhalten die Pflegebedürftigen keine Leistungen

nach SGB XI, steigt der Anteil pflegender Töchter auf 33% an und stellen dann das Haupt-

sorgepotenzial (ebda., 2002).

Abbildung 4: Hauptpflegeperson in Privathaushalten in NRW, in %

0

1

1

5

6

8

9

12

13

20

25

0 5 10 15 20 25

Vater

Nachbarn

Enkel

Sohn

Freunde/Bekannte

Mutter

Verwandte

Schwiegertochter

Ehemann

Ehefrau

Tochter

Hauptpflegepersonen

Nach: Infratest, 2002, durchschnittlich sind 2,6 Helfer/innen für eine Pflegeperson verfügbar.

1.4.5 Pflege demenziell Erkrankter

23

8 Hilfe- und Pflegebedürftige mit Hauptpflegepersonen in Privathaushalten in NRW, Infratest Soziafoschung, 2002

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Für die Bundesrepublik Deutschland hat Bickel (2001) für das Jahr 2010 einen Anteil von

1.155.200 Demenzkranken und für das Jahr 2020 ca. 1.388.200 Demenzkranke angenom-

men. Die jährlichen Neuerkrankungen werden bei den über 65-Jährigen auf 192.000 ge-

schätzt. Auch für Nordrhein-Westfalen werden in den kommenden Jahren Zuwächse de-

menzieller Erkrankungen zu verzeichnen sein.

Tabelle 8: Auftreten von demenziellen Erkrankungen in der Bevölkerung in NRW

von 1998 bis 2015 Von ... bis unter Anteile in %

1998 2005 2010 2015 Veränderungen. 1998

Alle Veränderung

199.624 225.284 243.194 251.412 + 25,9%

60 – 65 0,5

5.547 5.298 4.432 5.234 - 5,64%

65 – 70 1,2

10.993 13.090 11.516 9.608 - 12,6%

70 – 75 2,8

21.693 22.071 26.725 23.444 + 8,1

75 – 80 6,0

33.365 39.562 38.313 46.495 + 39,4%

80 + 19,5

128.026 145.263 162.208 166.631 + 30,2%

In % von allen In % von 65+

1,111 6,88

1,251 6,86

1,359 7,19

1,415 7,7%

Quelle: Dettbarn-Reggentin / Reggentin, 2003: Untersuchung der Wohngruppen demenziell Erkrankter in drei stationären Einrichtungen NRW’s. In den Altersgruppen 60 - 65 und 80+ sind die Anteilszahlen umgerechnet worden, zum Teil aus den ermittelten Zahlen in Brandenburg und zum Teil aus den Anteilszahlen von Bickel (a.a.O.). Zwischen den Jahren 2003 und 2015 wird die Zahl der Personen mit Demenz kontinuierlich

steigen und es werden dann im Jahr 2015 in NRW ca. 32.000 bis 35.000 mehr Menschen

von demenziellen Erkrankungen betroffen sein, als 2003.

Menschen mit Demenz finden sich zu einem ganz überwiegenden Anteil in den höheren Al-

tersgruppen, wie aus der Tabelle 8 ersichtlich ist. Daraus ergibt sich auch für die häusliche

Versorgung demenziell Erkrankter ein etwas anderes Bild (siehe Tabelle 9)9.

Tabelle 9: Angehörige von Pflegebedürftigen mit einer demenziellen Erkrankung

9 Belastungen pflegender Angehöriger von Demenzkranken im häuslichen Bereich und bei Betreuungspersonen von Pflegebedürftigen in stationären Einrichtungen. Dettbarn-Reggentin / Reggentin, 2002a.

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Pflegebedürftige mit Demenz Geschlecht % männlich 21 weiblich 79 Alter (von bis unter ...) Bis unter 40 3 40 – 55 29 55 – 65 39 65 – 80 23 80 und älter 6 Keine Angaben - Erwerbsstatus Vollzeit 23 Teilzeit 16 Geringfügig unter 15 St. - Pflegezeit Täglich (rund um die Uhr) nicht erfragt Täglich stundenweise 72 In der Woche mehrmals 28 seltener - Im Mittel Wochenstun-den

61,6

Pflege mit Demenz,: Das Durchschnittsalter der Hauptpflegepersonen beträgt 59,3 Jahre Quelle: Dettbarn-Reggentin / Reggentin, 2002a

Die Betreuung und Pflege wird zu einem kleineren Teil von Ehepartnern geleistet, der ver-

gleichbar der gesamten Zahl pflegebedürftiger Personen ist. Auf Grund der Schwere der

Pflegebedürftigkeit, die durch die krankheitsbedingten Veränderungen der Demenz, sowie

des hohen Alters der Betroffenen hervorgerufen werden, fallen die Pflegeanteile von Eltern

hier annähernd fort.

Je intensiver die Pflegeleistungen, je eher sind weibliche Pflegepersonen anzutreffen. In der

Tabelle 9 stellen die weiblichen Pflegekräfte in der Pflege demenziell Erkrankter den höchs-

ten Anteil während der männliche Anteil bei der Versorgung Hilfebedürftiger höher liegt, als

in den anderen Betreuungs- bzw. Pflegesituationen.

1.5 Auswirkungen und Belastungen durch häusliche Pflege

Die Pflegezeit steigt mit dem Grad der Pflegebedürftigkeit und erreicht bei demenziell Er-

krankten ein Ausmaß, dass bei einem Durchschnittswert von täglich 8,8 Stunden (Dettbarn-

Reggentin / Reggentin, 2002a) und damit von einer „Rund – um die Uhr – Pflege“ gespro-

chen werden kann. Gräßel (1998) spricht von 80% der Hauptpflegepersonen die rund um die

Uhr zur Verfügung stehen und 50% müssen ihren Nachtschlaf wegen Hilfe- und Pflegetätig-

keiten unterbrechen und davon 76% mehr als einmal pro Nacht.

Die durchschnittlich 6 bis 9 Stunden täglicher Pflegezeit wird in der Regel von einer (haupt-

verantwortlichen) Person geleistet, der Hauptpflegeperson, die zu 78% (Abbildung 4) aus

25

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dem engeren Familienkreis von (Ehe)Partner/in, Mutter, Vater oder Kindern entstammen.

Zum Ende des Jahres 1998 betrug deren Anteil bundesweit 71% (Schneekloth, u.a., 2002).

Die Zahl der pflegenden Verwandten ist in direkter Linie steigend, die Zahl der pflegenden

Schwiegertöchter fallend. Der Anteil der pflegenden Söhne ist ebenfalls steigend und hat

sich gegenüber 1998 verdoppelt. Nach Infratest liegt der Anteil der helfenden Personen in

der Pflege im Durchschnitt bundesweit bei 2,1 (in NRW 1998 bei 2,6 Personen) bzw. eine

Betreuung Hilfebedürftiger macht 1,7 Personen aus ohne professionelle Helfer/innen. Auch

diese Zahl ist gemessen an der Umfrage 1998 (Schneekloth/Müller, 2000) rückläufig.

Auswirkungen und Belastungen in der Pflege entspringen einem Dauerstress, der zeitlich,

räumlich und personell ein Bündel von Konsequenzen für die Hauptpflegeperson nach sich

zieht. In den folgenden Punkten werden die Hauptprobleme zusammengefasst, die pflegen-

de Personen häufig erfahren müssen.

1.5.1 Belastung durch Freizeitverluste

Der hohe Zeiteinsatz der Hauptpflegepersonen geht zu Lasten der sonst verfügbaren freien

Zeit; Kontakte zu erhalten und eigenen Interessen nachzugehen. Reisen oder auch berufli-

che Weiterbildung stehen für Hauptpflegekräfte hinten an. Da mit ca. 20% der Hauptpflege-

personen (Gräßel, 2000)10 ein erheblicher Teil Leistungen ohne weitere Unterstützung durch

Dritte oder durch ambulante Dienste erbringt, führen fehlende Freizeit bzw. Erholungsmög-

lichkeiten zu psychischen Anspannungen, bei Fortdauer zu sozialen Isolationstendenzen und

mangelnden Regenerationsmöglichkeiten, die wiederum gesundheitliche Auswirkungen zei-

gen können.

1.5.2 Belastung durch Einengung sozialer Kontakte

Das Fehlen sozialer Kontakte koppelt die Pflegepersonen von ihrer natürlichen sozialen Um-

gebung ab. Die im Durchschnitt zwischen sechs und neun Stunden liegenden Pflegeeinsatz-

zeiten lassen kaum Spielraum für sportliche, kulturelle oder soziale Engagements. Das gilt

nicht nur für einzelne persönliche Betätigungen, sondern auch für familieninterne Unterneh-

mungen. Berichten zufolge treten bei Pflegepersonen von demenziell Erkrankten infolge des

völlig fehlenden Urlaubs, Theater- oder Konzertbesuche, mangelnden Kontakten zu Bekann-

ten und Freunden u.ä. Gereiztheiten in der gesamten Familie auf. (Dettbarn-Reggentin /

Reggentin, 2002a). Hiervon sind alle Hauptpflegepersonen mit ihren Familien betroffen, die

10 Fuchs (1999) spricht von 25% der Hauptpflegepersonen die die Pflege allein durchführen, Gräßel (2000) von 17%.

26

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„Rund - um die Uhr - Pflege“ leisten, bei der Pflege von demenziell Erkrankten könnte der

Anteil noch wesentlich höher liegen.

1.5.3 Belastung durch finanzielle Einbußen

Die Versorgung des Pflegebedürftigen in häuslicher Umgebung führt zu zusätzlichen finan-

ziellen Belastungen. Diese ergeben sich aus Pflege-Materialien, zusätzlichen Fahrtkosten

und Kosten für zusätzliche Hilfen. Nach Infratest nimmt etwa ein Viertel der Pflegebedürfti-

gen mit Leistungen nach SGB XI zusätzliche privat finanzierte Hilfeleistungen in Anspruch in

Höhe von monatlich ca. 355 EURO. Hilfebedürftige ohne Anspruch auf Leistungen der Pfle-

geversicherung finanzieren noch zu 13% selbst weitere Dienste. Der Aufwand liegt hier bei

ca. 232 EURO im Monat (Infratest, 2003). Etwa jeder dritte Haushalt in der Pflege demenziell

Erkrankter gibt an, finanzielle Einbußen zu haben. Diese liegen im Mittel bei ca. 230 EURO

monatlich (Dettbarn-Reggentin / Reggentin, 2002a).

Ein Teil der Pflegepersonen – und hier vor allem Frauen – schränken ihre Erwerbstätigkeit

ein oder geben sie aufgrund der Pflegetätigkeit ganz auf. Nach Infratest Sozialforschung

(2002) lag dieser Anteil in NRW bei 25% der 59-Jährigen, was nicht nur zu direkten Ein-

kommenseinbußen führt, sondern auch eine Reduzierung der eigenen Rente nach sich zieht.

1.5.4 Belastung der Gesundheit durch körperliche und emotionale Überforderung

Die Versorgung pflegebedürftiger Personen in Privathaushalten birgt für die Pflegepersonen

ein gesundheitliches Risiko. Die Anforderungen an die Pflegeperson sind mehrseitig. Sie

entspringen nicht allein dem Umgang mit den psychischen Veränderungen der zu Pflegen-

den. Wenn auch die besonderen Verhaltensformen der zu Pflegenden durch die Demenz

und deren verschiedene Stadien einen wesentlichen Belastungsfaktor ausmachen, so sind

auch Pflege- und Betreuungsleistungen zu erbringen, die aus somatischen Erkrankungen

herrühren. In der Infratest Sonderauswertung für NRW (2002) gaben 78% der Befragten an

sich eher stark bis sehr stark belastet durch die Pflege zu fühlen, während lediglich nur 4%

keine Belastungen empfanden und 16% eher wenig Belastungen verspürten.

Messungen der Belastung durch Selbsteinschätzung der Hauptpflegepersonen ergaben in

einer Studie zur häuslichen Pflege einen deutlich über der Normalbevölkerung gleichen Al-

ters und Geschlechts liegenden Belastungsumfang. Die subjektive Belastung umfasste die

Symptome Erschöpfung, Belastung des Muskel- Skelettsystems, Magenbeschwerden und

Herzbeschwerden, gemessen mit dem standardisierten Verfahren des Gießener Beschwer-

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debogens (Gräßel, 1998, 2000). In der bereits angeführten Studie zur Belastung von Pflege-

personen demenziell Erkrankter (Dettbarn-Reggentin / Reggentin, 2002a) wurden mit dem

selben Verfahren ebenfalls erheblich höhere Werte gemessen, als sie in der Bevölkerung

vorkommen.

Die durch Pflege verursachten Belastungen haben bei einem Teil der Pflegepersonen zu

Erkrankungen geführt. Drei Viertel aller pflegenden Frauen sind laut Adler (1996) und Gräßel

(1998) an mindestens einer Krankheit erkrankt, wie z.B. Rückenschmerzen, Bandscheiben-

schäden, Schilddrüsenerkrankungen und Osteoporose, 40% leiden an Herz-Kreislauferkran-

kungen und des Muskel-Skelettsystems. Besonders ausgeprägt sind Erschöpfungszustände,

Magenbeschwerden und Herzbeschwerden. Lediglich 36% der weiblichen und 28% der

männlichen Pflegepersonen von somatisch Erkrankten sind der o.g. Studie von Gräßel zu-

folge nicht erkrankt. Bei Betreuung eines Demenzerkrankten sind dies nur noch 24% der

weiblichen und 17% der männlichen Pflegepersonen (Gräßel, 1998).

Die Pflege Demenzkranker hat bei pflegenden Angehörigen nach deren Angaben in der Stu-

die von Dettbarn-Reggentin / Reggentin (2002a) ergeben, dass die körperliche Erschöpfung

bei annähernd jeder zweiten Pflegeperson ein Problem darstellt. Für rd. 40% der Pflegeper-

sonen waren die Beschwerden aufgrund von Pflege bereits Anlass, einen Arzt aufzusuchen.

In vielen Fällen waren davon bereits mehrere Besuche notwendig. Jede vierte Pflegeperson

bekam aufgrund von Beschwerden schon ein Medikament verordnet und etwa 12,5% der

noch erwerbstätigen Pflegepersonen wurden wegen Belastungen durch die Pflege krank

geschrieben (bezogen auf alle waren dies ca. 5%) (Reggentin / Dettbarn-Reggentin, 2003).

Adler (1996) beschreibt, dass sich der Medikamentenkonsum mit Beginn der Pflegesituation

bei den Hauptpflegepersonen erhöht, so nehmen 25% Schlafmittel, 40% Beruhigungsmittel

und 30% Schmerzmittel ein. Zwei Drittel aller pflegenden Frauen nehmen somatrope Medi-

kamente zu sich (Gräßel, 1998). Besonders gefährdet zeigten sich bei Messungen pflegende

Ehepartner/innen gegenüber anderen pflegenden Angehörigen. Bei 45% der untersuchten

Ehepartner/innen wurden Ausmaße schwerer Depressionen gemessen, vor allem Sympto-

me, wie Traurigkeit, Pessimismus, Unzufriedenheit, Reizbarkeit und Entschlußunfähigkeit

nahmen in hohem Maße zu (Adler, 1996).

Auch andere Studien verweisen auf hohe Belastungen der Pflegepersonen. Die Pflege bett-

lägeriger Personen oder die Versorgung körperbehinderter Kinder beansprucht den Bewe-

gungsapparat überproportional. So berichten etwa Künzel-Schön (1984) oder Scholz-Braun

(1999, in Reichert, 2002) über vermehrtes Auftreten von Schädigungen des Bewegungsap-

parates von Pflegepersonen. Die stärkeren Beschwerden treten mit steigendem Alter der

Pflegepersonen auf, die bis zu chronischen Leiden und somit selbst zu Pflegebedarf führen

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können (Fischer u.a., 1995)11. Fischer geht davon aus, dass 15% der älteren pflegenden

Frauen unter einem Gefühl der Lebensmüdigkeit leiden. Körperliche Beschwerden aber auch

psychosomatische Leiden sowie die Unterbrechungen der eigenen Ruhephasen, insbeson-

dere zur Nacht verhindern die Regeneration der Pflegekraft. Hier sind es vor allem die geistig

behinderten Kinder und Jugendlichen und ganz verstärkt in den vergangenen Jahren auch

die demenziell erkrankten Menschen, die einen erhöhten Pflegeaufwand bedeuten (Matter /

Späth, 1998; Bleimund, 2002; Reichert, 1997).

Abbildung 5: Belastungen pflegender Angehöriger mit demenzkranken Pflegebedürftigen

Ausgewählte Parameter zum Befinden der pflegenden Angehörigen

65,4

45,1

34,1

34,0

30,7

26,7

17,7

24,6

27,3

11,6

19,2

13,8

11,6

5,0

0 10 20 30 40 50 60 70

Kostet die Pflege viel ihrer Zeit

Körperlich erschöpft

Gefühl, dass Gesundheit angegriffenwird

Schlaflosigkeit

Fühle mich niedergeschlagen

Möchte ausbrechen aus der Situation

Vom Leben ausgeschlossen

ambulant stationär

ISGOS 2002

In %Mehrfachangabenwaren möglich

Quelle: Dettbarn-Reggentin / Reggentin, 2002a

Die Grafik 5 beschreibt zwei Belastungssituationen. Zum einen die Situation in der häusli-

chen Pflege demenziell erkrankter Personen. Hier sind zum Teil extrem hohe Belastungs-

werte angezeigt. In der Betreuungssituation einer stationären Unterbringung von durch-

schnittlich 2,7 Jahren nach vorheriger häuslicher Pflege von durchschnittlich 2,8 Jahren tre-

ten ebenfalls noch Belastungen auf, die dann allerdings auf etwa die Hälfte zurückgegangen

sind.

29

11 Bei 18,7% der Frauen wurden chronische Krankheiten diagnostiziert und 2,1% wurden vom Hausarzt als hilfe-bedürftig bezeichnet.

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Des weiteren wird deutlich, dass pflegebedingte Belastungen nicht nur als körperliche Er-

schöpfung und als Beschwerden erlebt werden, sondern dass Betreuung und Pflege im

häuslichen Bereich auf Dauer einen hohen Zeitaufwand erfordern und zudem emotionale

Ressourcen der Pflegepersonen verbrauchen. Angehörige im häuslichen Bereich pflegen

und betreuen ihre zu pflegenden demenziell erkrankten Personen durchschnittlich über einen

Zeitraum von 67,6 Monaten (5,6 Jahre, Dettbarn-Reggentin Reggentin, 2002a) 12.

1.5.5 Belastungen durch Beruf und Pflege

Die Einengung durch die Pflege erfolgt bei berufstätigen Pflegepersonen dann, wenn die

Verfügbarkeit von unterstützenden Personen fehlt oder nur schwer mit beruflichen Arbeits-

zeiten vereinbar ist. Mit der Übernahme von Pflege können arbeitsplatzbezogene Probleme

geschaffen werden, die ein Nachlassen der Konzentration, Mangel an Flexibilität oder auch

das Auslassen von Weiterbildungs- und Karrierechancen bewirken (Naegele / Reichert,

1998). In Fällen, in denen eine „Rund – um die Uhr – Pflege“ gefordert ist, stehen die Pflege-

kräfte vor der Wahl, sich zeitlich stärker in die Pflege einzubringen und beruflich einzu-

schränken (13% Reichert für NRW, 2002; 14% nach Schneekloth / Potthoff, 1993; 17% Dett-

barn-Reggentin / Reggentin, 2002a), die Pflege vollständig zu übernehmen und den Beruf

aufzugeben (12% Reichert für NRW, 2002; 16% nach Schneekloth / Potthoff, 1993; 6%

Dettbarn-Reggentin / Reggentin, 2002a) oder eine teilstationäre bzw. stationäre Versorgung

für die Pflegebedürftigen in Betracht zu ziehen und weiterhin berufstätig zu bleiben. Keine

der drei Alternativen bringt für die Pflegeperson die ideale Lösung. Die weitere Versorgung

der Pflegebedürftigen in einer stationären Einrichtung belastet die Pflegeperson sogar psy-

chisch stärker als in der häuslichen Pflege. Die völlige Berufsaufgabe kann zu neuen Belas-

tungen führen und die teilweise Einschränkung der beruflichen Tätigkeit trifft zumeist Frauen

(Partnerinnen,Töchter), denen dann weiterhin die Pflegeverantwortung obliegt. Diese Varian-

te und eingeschränkt auch die Vollzeittätigkeit mit Pflege bringt jedoch auch einen positiven

Aspekt mit sich. Die Abwesenheit von der ständigen Pflege führt hier offenbar auch zu Ent-

lastungserscheinungen (Pilgrim / Tschainer, 1999).

12 Bisher gibt es keine Untersuchungen, die einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Schweregrad von Demenz und empfundenen Belastungen belegen. So kann eine beginnende senile Demenz für einen Angehörigen eine größere Belastung bedeuten als ein fortgeschrittenes Stadium. Buiyssen spricht hier von einem „Gewöhnungseffekt“ (1997 in Breidel, 2001).

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1.6 Belastungsgrenzen und stationäre Versorgung Die Ursachen für eine Überlastung der Pflegepersonen können unterschiedlich begründet

sein. Die hier angeführten Merkmale beschreiben aus der Sicht des pflegenden Angehörigen

einen Hauptgrund. Dieser ist jedoch selten allein verantwortlich und individuell entstehen

Überforderungen zumeist aus einem Bündel unterschiedlichster Anforderungen.

Die Angaben können nach fünf Überbelastungsursachen unterschieden werden:

1. Soziales Netz des Pflegebedürftigen ist nicht mehr tragfähig: Das Alleinleben der zu

pflegenden Person ist nicht mehr möglich, weil beispielsweise die Entfernung zwi-

schen Pflegeperson und zu pflegender Person zu groß ist, um die notwendig gewor-

dene Pflegedauer zu bieten. Andere Pflegepersonen aus dem Umfeld des Pflegebe-

dürftigen sind nicht verfügbar. Das Heim bietet mehr Sicherheit (29,2%).

2. Körperliche Gesundheit der Pflegeperson: Der eigene Gesundheitszustand setzt

Grenzen (24,4%).

3. Körperliche und geistige Gesundheit des Pflegebedürftigen: Verschlechterung des

Gesundheitszustandes des Kranken ist derart gravierend, dass die fachliche Qualität

der Pflege im häuslichen Bereich nicht mehr gesichert werden kann (20,6%).

4. Werteverschiebung zugunsten eigener Familie und/oder Beruf: Die Berufstätigkeit

und die eigene Familie (wenn z.B. die eigenen Kinder pflegen) setzen Prioritäten

(12,9%).

5. Häusliches Pflegearrangement reicht nicht mehr aus: Die Grenzen der Pflegekapazi-

tät und Pflegekompetenz sind erreicht, die häusliche Pflege kann auch mit Unterstüt-

zung mobiler sozialer Dienste nicht mehr durchgeführt werden (12,9%) (Dettbarn-

Reggentin / Reggentin, 2002a, die Prozentangaben nennen die Rangfolge in der Be-

deutung für die Pflegekräfte, sie sind hier auf 100% umgerechnet worden).

Die Befragung betreuender und pflegender Angehöriger von Pflegebedürftigen in stationären

Einrichtungen ergab als Anlass der Heimweisung ihrer zu pflegenden Person eine Reihe von

Gründen, die das Spektrum subjektiver Belastungen beschreiben, die zumeist in einem Bün-

del von Ursachen auftreten. Die subjektive Belastungsfähigkeit ist unterschiedlich hoch an-

gesetzt. Wenn diese erreicht ist, wird die innerfamiliäre Pflege in Frage gestellt. Insbesonde-

re der Punkt vier, die Entscheidung für Berufstätigkeit bzw. Familie oder Pflege kann Pflege-

personen in zusätzliche Konflikte führen, da sie sich für eine bestimmte Rolle wie beispiels-

weise die des Partners oder Elternteils aber auch die des Erwerbstätigen entscheiden müs-

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sen und somit auch zugleich gegen eine andere Rolle, hier gegen die der Pflegenden (Grä-

ßel, 2000).

Die Bewältigung der Pflegesituation im häuslichen Bereich durch die Hauptpflegekraft ist, wie

oben beschrieben, einer Reihe von Belastungssituationen ausgesetzt, die neben diesen

noch weitere Ursachen haben können. Soll die häusliche Pflege weiterhin eine tragende

Säule in der Versorgung pflegebedürftiger Menschen darstellen, werden Entlastungs- und

Unterstützungsleistungen zugunsten der Pflegepersonen erforderlich. Diese werden in erster

Linie aus den Reihen der Familien, aus denen die Pflegebedürftigen entstammen, gegeben.

Somit stellen die familialen Potenziale zumindest bisher das Rückgrat der häuslichen Pflege.

Auf ihren Bestand und ihren Erhalt wird es wesentlich ankommen, ob die Pflege der Zukunft

auf die häusliche Versorgung setzen kann. Deshalb wird in dem folgenden Abschnitt näher

auf die Familie eingegangen.

32

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2.0 Solidarpotenziale innerhalb der Familie

Zu den wesentlichen Belastungen der (Haupt-) Pflegepersonen wird das Fehlen eines sozia-

len Netzes gezählt, das der pflegebedürftigen Person einen Versorgungshintergrund bietet.

Als zweiter Belastungsaspekt wird der Gesundheitszustand der Pflegeperson angegeben,

der sich bei längerer Pflege zunehmend verschlechtern kann. Aber auch die weiteren oben

angeführten Belastungen durch Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Pflegebe-

dürftigen, die Akzentuierung der Pflegeperson auf die eigene Lebensgestaltung oder die Ü-

berforderung des „Systems Häusliche Pflege“ weisen letztlich auf die Notwendigkeit eines

umfassenderen Pflegearrangements hin, als es eine einzige Pflegeperson, zumeist bereits

selbst in höherem Alter befindlich, ohne vollständige Selbstaufgabe bieten kann.

Je mehr Familienmitglieder und auch Personen außerhalb der Familie an der Versorgung

der Pflegebedürftigen beteiligt sind, umso weniger besteht die Gefahr einer Überlastung der

Hauptpflegeperson. Doch stellt sich hier die Frage, ob es denn überhaupt genügend Famili-

enmitglieder und / oder Freunde, Nachbarn und Bekannte gibt, die für eine Pflegeunterstüt-

zung verfügbar wären? Hat sich die Familie nicht bereits gewandelt oder steht der herkömm-

lichen Auffassung von Familie nicht ein Wandel bevor, der auch Einfluss auf die bisherige

Pflegebereitschaft von (mehrheitlich weiblichen) Familienmitgliedern nehmen könnte?

2.1 Definition Familie

Was ist mit dem Begriff „Familie“ gemeint? Die Veränderungen bisher dominanter Familien-

formen und deren Strukturen haben dazu geführt, Zweifel an der Verfügbarkeit familialer Un-

terstützungspotenziale zu äußern (aktuell Trilling / Klie, 2003; Blinkert / Klie, 1999). Diese

Zweifel begründen sich aus der beobachtbaren abnehmenden Geburtenrate und damit der

geringer werdenden Kinderzahlen. Auch wird unterstellt, dass Frauen, die bisher die Haupt-

pflegepersonen stellen zugunsten der Pflegebereitschaft ihre beruflichen Perspektiven auf-

geben würden. Langfristig würden sich neue Lebensformen und damit veränderte Verhal-

tensmuster ergeben, die sich zu ungunsten innerfamilialer Unterstützungen entwickeln wür-

den (u.a. Dritter und Vierter Familienbericht, 2001 bzw. 2002). Insbesondere die Auflösung

traditioneller Familienformen könnte zukünftig zu einem Nachlassen familiärer Bindungen

führen. Wobei die Diskussionen über die Gemeinschaftsform „Familie“, sehr konträr geführt

werden.

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Die Bezeichnung „Familie“ wird sehr unterschiedlich gehandhabt und je nach Kontext, in

dem dieser Begriff verwendet wird, verschieden ausgelegt. Ein Konsens über das Verständ-

nis von Familie gibt es in Deutschland oder auch in anderen Ländern der europäischen Uni-

on nicht (Rürup u.a., 2003). Zumeist wird der Begriff „Familie“ oder „familiale Lebensgemein-

schaft“ im Zusammenhang mit der Gemeinschaft von Eltern und Kind(ern) verwendet, als

familiärer Hintergrund steht dabei die Ehe und / oder die häusliche Mehrgenerationen-

Gemeinschaft. Familienpolitische Interventionen basieren zuvorderst auf der Familie als El-

tern – Kind – Beziehung, wobei auch ein Elternteil als Bezugsebene auftreten kann.

Die Verkürzung des Familienbegriffs auf die Kernfamilie mag wohl eher pragmatische Ursa-

chen haben, mit der das soziale Gebilde „Familie“ im Rahmen amtlicher Statistiken klar von

anderen Lebensformen abgegrenzt werden kann. Die soziale Gemeinschaft „Familie“ wird

aber auch in einer erweiterten Deutung umfassender definiert als eine Gruppe von Men-

schen, die miteinander verwandt oder verschwägert, zusammen oder getrennt lebend und

wirtschaftend, sozial und / oder rechtlich miteinander verbunden ist. Nach ihrem Selbstver-

ständnis bezeichnen sich auch Personen, die in Kleingruppen als Haushaltsgemeinschaft

zusammenleben und wirtschaften ebenfalls als Familie.

Um den Bestand wie auch den Wandel der Zusammenlebensform „Familie“ erfassen zu

können, gehen wir in unserer Darstellung zunächst von dem Konzept der Haushaltsperspek-

tive aus, in dessen Zentrum die Kernfamilie steht. Daneben werden Ein-Elternfamilien und

nicht eheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern einbezogen und dort ergänzt, wo sich wei-

tere Gemeinschaftsformen gebildet haben, die wie Familien im oben genannten traditionellen

Sinne familiale Leistungen erbringen.

Rein statistisch werden diese Lebensformen nach Privathaushalten und Zusammenlebens-

formen gemessen. Damit erhalten wir Informationen über Formveränderungen im Zusam-

menleben. Auf unser Thema bezogen, Solidarpotenziale innerhalb der Familie aufzuzeigen,

fehlen uns jedoch Aussagen über die Beziehungsstrukturen, geleistete Hilfen und vorhande-

ne Netzwerkstrukturen.

Diese Informationen erhalten wir, wenn wir einen Familienbegriff verwenden, der auf gelebte

Beziehungen miteinander verwandter Personen setzt und der die Familie nicht allein als

Wohn- und Haushaltsform definiert (Bertram, 1991).

Ein solcher netzwerktheoretischer Zugang erfasst die Beziehungsgeflechte der Personen

und lässt eine Bewertung zu, inwieweit gemeinsame Aktivitäten ausgeführt werden. Zu die-

sen Aktivitäten zählen die Autoren des 1. Familiensurvey nicht nur das gemeinsame Woh-

nen, sondern auch das gemeinsame Wirtschaften und die gemeinsame Freizeitgestaltung,

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die wechselseitige finanzielle Unterstützung und die Pflege der hilfebedürftig gewordenen

Eltern durch die erwachsenen Kinder oder Enkel (ebda, 1991).

Die amtliche Statistik stützt sich auf die zusammenwohnende und wirtschaftende Familien-

gemeinschaft. Der Haushalt stellt für sie die Erhebungseinheit dar. Welche Veränderungen,

bezogen auf die Haushalte werden registriert?

2.2 Privathaushalte und Haushaltstypen im Jahr 2002

Auf der Basis des Mikrozensus wurden im April des Jahres 2002 in der Bundesrepublik ins-

gesamt 38.720.000 Haushalte mit einer Gesamtbevölkerung von 81.783.000 Personen zu

Grunde gelegt. In Nordrhein-Westfalen wurden Mitte des Jahres 2002 rd. 8.416.000 Haus-

halte mit einer Bevölkerung von 18.040.000 Personen errechnet (Mikrozensus, 2002).

Der Haushaltstyp und die Haushaltsgrößen belegen einen ersten Eindruck davon, von wie

vielen Personen eine unmittelbare Unterstützung ausgehen könnte.

Tabelle 10: Verteilung der Haushaltstypen in NRW in %

Privathaushalte nach Haushaltstyp (Mikrozensus April 2002) (NRW alle Haushalte 8.416.000) 1-Personenhaushalte NRW 36,4% BRD 36,7% 2-Personenhaushalte 34,5% 33,7% 3-Personenhaushalte 13,6% 14,2% 4- und mehr Personenhaushalte 15,5% 15,4% Quelle: Mikrozensus, 2002, eigene Berechnungen

Es besteht ein Trend zur Haushaltsverkleinerung, der zwischen 1991 und 2002 von 2,25 auf

2,14 Personen zurückgegangen ist (-4,89%) während in diesem Zeitraum die Gesamtbevöl-

kerung in NRW um 3,54% gestiegen ist (Daten für das Land NRW, LDS NRW, 2004)

Haushaltsgrößen:

• In einer Kernfamilie (verheiratet, Eltern-Kind, Zwei-Generationenfamilie) lebten im Jahr

2002 in NRW 9.402.000 Personen. Gegenüber 1976 ist der Anteil an den Haushalten von

66,3% auf nunmehr 52,1% gesunken.

• In einer Drei- und Mehrgenerationenfamilie lebten im Jahr 2002 in NRW 220.000 Perso-

nen. Gegenüber 1976 ist der Anteil an den Haushalten von damals 2,9% auf heute 1,2%

gesunken.

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Die Verteilung der über 65-Jährigen in NRW nach Haushalten und Anzahl der dort lebenden

Generationen ergibt folgendes Bild:

Tabelle 11: Über 65-Jährige in Privathaushalten, Verteilung nach Generationen in NRW in %

1-Personen- Haushalt

1-Generationen-Haushalt

2-Generationen- Haushalt

3- und mehr Generationen

andere Haus-haltsformen

alle 36,2% 51,6% 7,9% 1,2% 3,1% 17,5% m 70,0% m 8,4% m 0,9% m 3,2% m 49,4% w 38,8% w 7,7% w 1,2% w 2,9% w

Quelle: Mikrozensus, 2002, eigene Berechnungen. Durch Auf- und Abrundungen können sich leicht veränderte Zahlen gegenüber an anderer Stelle dargestellten Ergebnissen ergeben.

Bis zum Jahr 2020 und noch mehr bis zum Jahr 2040 wird erwartet, dass der Anteil allein-

wohnender Männer in Deutschland (Personen in 1-Personen Haushalten) auf zunächst

23,3% (65 - 79-Jährige, 2020) und dann 2040 auf 35% ansteigen wird (Dritter Altenbericht,

2001). Im Alter von 80 und mehr Jahren wird eine moderatere Steigerung um ca. 5% Punkte

gegenüber dem Jahr 2000 angenommen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Zahlen

der ledigen und geschiedenen Männer deutlich zunehmen. Abgeschwächt wird dieser Trend

durch die steigende Lebenserwartung der Männer und somit wird der Anteil alleinlebender

Witwer deutlich zurückgehen.

Bei den Frauen sind andere Entwicklungen zu erwarten. Auch hier wird angenommen, dass

der Anteil der Witwen zurückgeht. Der Anteil alleinlebender Älterer wird sich erst ab 2020

bemerkbar verändern, insbesondere über 80-Jährige werden dann insgesamt weniger Allein-

lebende aufweisen (ca. 50%). Unter 80-Jährige werden ebenfalls weniger Einzelhaushalte

aufweisen und sich um die 40% einpendeln bei zwischenzeitlichem Rückgang (siehe auch

Tabelle 10)13.

Das bedeutet andererseits, dass die Lebensgemeinschaften in den kommenden 15 Jahren

deutlich zunehmen (hier besonders die der über 80-Jährigen) und dies Niveau bis zum Jahr

2040 in etwa halten werden, da dann auch die kriegsbedingten Einflüsse wegfallen.

Tabelle 12: Alter und Familienstand in NRW im Jahr 2002 in %

Alter von ... bis unter ... unter 25 25 - 35 35 - 45 45 - 55 55 - 65 65 + verheiratet 2,7 % 50,6 % 71,2 % 78,2 % 79,2 % 57,8 % ledig 97,3 % 45,6 % 19,6 % 9,6 % 5,4 % 5,1 % verwitwet - 0,2 % 0,8 % 2,5 % 8,0 % 33,2 % geschieden - 3,6 % 8,4 % 9,7 % 7,4 % 3,9 %

Quelle: Mikrozensus 2002 NRW, eigene Berechnung.

13 Für NRW lagen keine entsprechenden Prognosedaten zu Haushalts- und Familienstrukturen vor.

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• Die Anzahl der Ein-Elternfamilien beträgt im Jahr 2002 384.000 Familien, davon sind

311.000 alleinerziehende Mütter und 73.000 alleinerziehende Väter. Ihr Anteil an Famili-

en mit ledigen Kindern unter 18 Jahren hat sich seit 1976 verändert. Insgesamt ist der

Anteil von 8,2% auf 19,2% gestiegen. Bezogen auf alle Alleinerziehenden ist der Anteil

der alleinerziehenden Mütter von 86,9% (1976) auf 81,0% gesunken und der Anteil al-

leinerziehender Väter entsprechend von rd. 13% auf 19% gestiegen.

• Die Anzahl kinderloser Paare (verheiratet / nicht verheiratet) liegt bei 2.228.000. Seit

1976 ist ihr Anteil gestiegen von damals 26,8% auf heute 31,9%.

• Alleinwohnende (Ledige, verwitwet, geschieden) in Einpersonenhaushalten stellen im

Jahr 2002 ca. 3.065.000 Personen bzw. 17,0%, im Jahr 1976 lag dieser Anteil bei 10,7%.

(Mikrozensus NRW, 2002; Statistischer Jahresbericht NRW, 2002).

Der Wandel der Lebensformen, gemessen an der in der amtlichen Statistik erfassten Famili-

enformen mit Ehepaaren mit und ohne Kindern, allein erziehende Väter und Mütter, die mit

ihren ledigen Kindern im gleichen Haushalt zusammenleben, ist statistisch belegbar. Der

Mikrozensus erfasst seit 1996 auch Lebensgemeinschaften. Damit wurden auch allein Erzie-

hende statistisch mit erfasst.

Demnach sind Veränderungen innerhalb weniger Jahre feststellbar:

• Eheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern einschließlich der Lebensgemeinschaften

mit einem Elterteil und Partner/in nehmen deutlich ab.

• Die Zahl der Kinder ist weiter abnehmend.

• Nichteheliche Lebensgemeinschaften mit und ohne Kinder nehmen sehr stark zu.

• Alleinerziehende ohne Lebenspartner/in nehmen an der Anzahl zu.

• Alleinwohnende Personen nehmen ebenfalls an der Anzahl zu.

Diese Zahlen zeigen Veränderungen in den Strukturen auf, geben jedoch noch keine Hin-

weise darüber, ob in den Familien, in denen Kinder groß gezogen wurden, diese den Haus-

halt verlassen haben. Sie sagen auch noch nichts über die Leistungstransfers zwischen nicht

im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils wohnenden Kindern oder sonstiger Angehöriger

und den Eltern aus und sie erfassen auch nicht die räumliche Nähe zwischen Familienmit-

gliedern, wenn sie nicht im selben Haushalt zusammen wohnen.

2.3 Familienformen im Wandel

Die Wertschätzung der Ehe scheint trotz abnehmender Tendenz immer noch sehr stark zu

sein. Sie wird von einem großen Anteil der Menschen als Teil des Lebens oder auch als Sinn

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des Lebens angesehen (2. Familiensurvey). Allerdings hat sich der Zeitpunkt einer Ehe-

schließung im Lebenslauf auf die späteren Jahre verschoben. Das (Erst-)Heiratsalter der

Männer liegt in NRW im Jahr 2002 bei 31,0 Jahren und bei Frauen bei 28,2 Jahren. Eine

kontinuierliche Ausdehnung ins dritte Lebensjahrzehnt wird mit verlängerten Ausbildungszei-

ten begründet. Es ist gesellschaftlich legitim geworden, vor der Eheschließung einige Jahre

zusammenzuleben. So ist auch die Elternschaft in die letzten Jahre des zweiten Jahrzehnts

verschoben worden. Das Alter der verheirateten Frauen bei der Geburt des ersten Kindes

liegt bei 29 Jahren, bei nicht verheirateten Frauen bei 27,5 Jahren (Statistisches Jahrbuch

NRW, 2003).

Mit dem relativ späten Auszug der männlichen Nachkommen aus dem Elternhaus, der

durchschnittlich mit 28 Jahren (im Westen) erfolgt (Frauen bereits mit 21 Jahren), begünstigt

generell die Verschiebung der Familienphase (BMFSFJ, 2000).

Es ist allgemein ein Rückgang der Heiratshäufigkeit in der jüngeren Generation zu beobach-

ten, stärker noch bei den Männern als bei den Frauen. Kompensiert wird die sinkende Zahl

der Erstheirat zum Teil durch einen steigenden Anteil nichtehelicher Lebensgemeinschaften.

Die Quote der dauerhaft ledigen Männer und Frauen scheint ebenfalls zu steigen. Bezogen

auf das frühere Bundesgebiet zeigen alle Altersgruppen der 20 bis unter 50-Jährigen einen

wachsenden Anteil der Ledigen. In der Altersgruppe der 45 - 49-jährigen Männer liegt er

noch bei 13,3%. Ein Zusammenhang mit diesem Phänomen wird ebenfalls in der langen

Ausbildungszeit gesehen (a.a.O.).

Bezogen auf NRW zeigen alle Altersgruppen der 25 - 45-Jährigen einen wachsenden Anteil

der Ledigen, der 2002 bei 24% lag (Männer 14,5%, Mikrozensus, 2002).

Insbesondere in westdeutschen Großstädten ist eine Zunahme der Partnerlosigkeit zu regist-

rieren. In einem Lebensalter von 30 Jahren leben im Jahr 2000 noch 34,3% der Männer und

Frauen ohne Partner. In den 80er Jahren waren dies noch 12% weniger (3. Familienbericht,

2001)14. In ländlichen Regionen ist diese Entwicklung so nicht beobachtet worden.

Der 3. Familiensurvey beschreibt einen häufigeren Wechsel der Lebensmuster in bezug auf

Partnerschaftsverläufe. Während Personen, die in den Jahren 1944 bis 1949 geboren sind,

im Mittel zwischen 1,3 Lebensformen bzw. Partnerschaften wechselten, hat sich das in den

jüngeren Jahrgängen auf 1,7 Partnerschaften erhöht. Zum Beispiel werden mehr nichteheli-

che Partnerschaften vor einer Ehe eingegangen. Diese Praxis ist heute bei ca. 50% der jün-

geren Paare gegenüber den Älteren mit 20% Anteil zusammenlebender Paare vor der Ehe

festzustellen.

14 Entsprechende Daten für NRW waren nicht verfügbar.

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Die Partnerschaftsverläufe sind vielfältiger und wechselvoller geworden. Der 3. Familiensur-

vey spricht von einer Neuanordnung der Familien- und Partnerschaftsbiografien, die der häu-

fig postulierten „Pluralisierung“ der Lebensformen offenbar Grenzen setzen (Deutsches Ju-

gendinstitut, 2003).

Eine häufig postulierte Krise der Familie kann aus dem vermehrten Partnerwechsel oder

dem steigenden Anteil der nichtehelichen Lebensgemeinschaften nicht geschlossen werden.

„Die Institution von Ehe und Familie ist natürlich in Form von rechtlichen Regelungen, Nor-

men, Traditionen und Wertvorstellungen unverändert erhalten geblieben“, so Dorbritz (2003:

417). Er stellt fest, dass die Ehe mit zwei Kindern die am häufigsten aufgefundene Lebens-

form geblieben ist. Aktuell geben die Familienstrukturen und die Partnerschaftsverhältnisse

keine überzeugenden Hinweise auf Einbrüche im sozialen Netzwerk der Beziehungen. Aber

eine zweite zentrale Gruppierung habe sich mit den Alleinlebenden ohne Kinder herausge-

bildet. Wenn auch nach Dorbritz ein Ende der Dominanz des Familiensektors auf absehbare

Zeit nicht zu erwarten ist, so scheint der Umverteilungsprozeß zu Gunsten des Nicht-

Familiensektors (Ehepaare, Nichteheliche Lebensgemeinschaften und Alleinlebende, alle

jeweils ohne Kinder; Gesamtanteil 2002 mit 25% leicht steigend) langsam voranzuschreiten.

Deutlicher fallen die Umverteilungen zwischen einzelnen Lebensformen im Familiensektor

aus (alle Formen mit Kindern, Gesamtanteil 2002: 75%), wie es am Beispiel der Zunahme

Alleinerziehender zu beobachten ist (Dorbritz, 2003).

Auch in anderen Studien wird die Dominanz der Familie betont, die sich in der Bindung der

Kinder zu ihren Eltern zeigt. Diese besteht auch dann weiterhin, wenn die Kinder nicht in

dem selben Haushalt mit ihren Eltern wohnen. Annähernd jeder zweite 70 - 85-Jährige hat

ein eigenes Kind in der unmittelbaren Nachbarschaft zu wohnen, knapp 80% der Kinder ha-

ben noch Geschwister. Das Vorhandensein der eigenen Kinder in der näheren Umgebung

begünstigt offenbar eine enge emotionale Verbindung untereinander sowie eine häufige Kon-

taktaufnahme. Dies stellt ebenfalls eine Studie in einer Auswertung der Daten des Sozioöko-

nomischen Panels zur Beziehung zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern vor. So

konnte Szydlik (1995) nachweisen, dass individuelle Merkmale wie auch kontextuelle Struk-

turen gleichermaßen wichtige Einflußfaktoren für die Enge von Generationsbeziehungen

sind. Als eine Ursache für die Enge von Generationsbeziehungen kann die Wohnortnähe der

erwachsenen Kinder zu ihren Eltern angesehen werden. Dies würden die Ergebnisse des

Alterssurvey bestätigen, die mit der Nähe zueinander eine gegenseitige materielle und im-

materielle Unterstützung verbunden sehen. Der Alterssurvey belegt umfangreiche Transfers

von Hilfen innerhalb der Familien zwischen den Generationen (Kohli / Künemund, 2000). So

werden von rund einem Drittel der 40 - 85-jährig Befragten materielle Transfers an Familien-

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angehörige geleistet15, davon sind zu 84% die Empfänger die Kinder. Ein Fünftel der Älteren

erhält durch die Kinder instrumentelle Unterstützung (ebda.).

Förderlich für eine enge intergenerationelle Bindung scheinen auch enge emotionale Bin-

dungen zu sein, die ja auch häufig als Kriterium für die Pflegebereitschaft eines Angehörigen

benannt wurden. Dagegen spielt die Zeitverfügung für die soziale Interaktion mit den Ver-

wandten und zur Förderung der Beziehungen keine Rolle. Dies gilt insbesondere für Frauen

(für Mütter ebenso wie für Töchter). Nach Szydlik (1995) zählt eher die Qualität der Bezie-

hungen als die Quantität (Häufigkeit) eine Rolle. Andere Einflussfaktoren liegen dieser Studie

nach des Weiteren in den Bedürfnisstrukturen der Generationen. So weisen Personen mit

einem geringen Lebensstandard geringere Anteile an engen Beziehungen auf: Eine größere

Bedürftigkeit aber auch ein schlechterer Gesundheitszustand scheinen zu einer flüchtigeren

Beziehung zu führen. Je zufriedener mit dem eigenen Lebensstandard, umso enger ist die

Beziehung zu den Angehörigen der anderen Generation.

Die von Dorbritz (2003) angesprochene Polarisierung der Lebensformen zwischen den

„klassischen“ Familien mit Kindern und den Alleinlebenden ohne Kinder hat eine ihrer Ursa-

chen in der Lebensform eines bestimmten Teils der Bevölkerung. Dorbritz führt das Qualifi-

kationsniveau als Einflussfaktor auf eine kinderlose Lebensform an: Je höher das Bildungs-

niveau, umso größer der Anteil alleinlebender und kinderloser Lebensformen. So sind bei-

spielsweise Frauen mit einem Hochschulabschluss seltener verheiratet und häufiger kinder-

los. In der Altersgruppe der 35 - 39-jährigen Frauen machen diese Personen bereits 20 -

25% aus.

2.4 Familie und Erwerbstätigkeit von Frauen

Bewirkt der Anstieg der Erwerbstätigkeit der Frauen und die hohe Zahl Alleinerziehender

(Frauen) einen Rückgang personeller Ressourcen für die informelle häusliche Pflege? Das

Hauptsorgepotenzial für zu pflegende Menschen stellt für die Mehrheit der Pflegebedürftigen,

wie wir aufgezeigt haben, immer noch die Familie. Hier ist der Ort, in dem hilfe- und pflege-

bedürftige Angehörige in erster Linie versorgt werden. Neben der zunehmenden Kinderlosig-

keit und dem Trend zum Alleinwohnen wird in der zunehmenden Erwerbstätigkeit der Frau-

en eine weitere Gefahr der Abkehr zur Bereitschaft Hilfe- und Pflegeleistungen für die ältere

Generation zu erbringen, gesehen, da sie bisher den Hauptanteil an der Pflege geleistet ha-

ben.

Wie oben dargestellt, ist ca. ein Drittel der Pflegepersonen von Pflegebedürftigen und annä-

hernd jede zweite Pflegeperson von Hilfebedürftigen im Jahr 2002 erwerbstätig. In der Er-

15 Ebenso spricht die Berliner Altersstudie von umfangreichen Transfers zwischen den Generationen. 30% der

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werbstätigkeit ist ein Trend zu beobachten, der eine steigende Erwerbsbeteiligung von Frau-

en bei gleichzeitigem leichtem Rückgang der Männererwerbstätigkeit beschreibt. Die Zahl

der erwerbstätigen Frauen stieg in NRW zwischen 1998 und 2002 um 9,2% auf 3,04 Millio-

nen Personen, während bei den Männern ein Rückgang um 50.000 Personen auf 3,81 Milli-

onen Personen zu verzeichnen war. Insbesondere die Teilzeitarbeit führte zu einem Anstieg

der Frauenerwerbstätigkeit. Ihr Anteil liegt bei den Frauen bei 44% im Jahr 2002, der Anteil

bei den Männern beträgt dagegen nur 5,4% (Statistischer Jahresbericht NRW, 2002).

Bei den jüngeren Frauen bis 34 Jahre ist die Teilzeitarbeit unterdurchschnittlich ausgeprägt.

Frauen dieser Altersgruppen sind eher an einer Vollzeitbeschäftigung interessiert. In der Al-

tersgruppe der 35 - 54-jährigen Frauen ist etwa jede Zweite in Teilzeitarbeit beschäftigt, wäh-

rend die höchste Teilzeitarbeitsquote Frauen über 55 Jahre aufweisen, die bei den 60 - 65-

jährigen Frauen im Jahr 2000 sogar auf 70,9% angewachsen ist.

Neben dem Lebensalter beeinflusst die familiäre Situation die Erwerbstätigkeit der Frauen.

So gehen Mütter, deren Kinder einen Kindergarten oder die Grundschule aufsuchen, zu 75%

einer Teilzeitbeschäftigung nach. Erst mit zunehmendem Alter des jüngsten Kindes wächst

der Anteil vollzeitbeschäftigter Mütter (Statistischer Jahresbericht NRW, 2000).

Deutliche Veränderungen bei der Erwerbsquote hat es bei den 55 - 64-jährigen Frauen ge-

geben. Sie stieg im Zeitraum zwischen 1996 und 2003 von 27,6% auf 33,6% an, während

die der Männer von 54,3% auf 53,8% leicht rückläufig war (Statistischer Jahresbericht, 2003)

Wenn man die Erwerbsquoten nach Alter differenziert, ist zu erkennen, dass sich der Rück-

zug aus dem Erwerbsleben seit 1996 verschoben hat. Es ist tendenziell eine Verlängerung

der Lebensarbeitsphase erkennbar. So lag die Erwerbsquote der 60-Jährigen im Jahr 2003

bei 43,8% und damit um 17,1% höher als noch 7 Jahre zuvor (a.a.O.).

Bezogen auf die Pflegetätigkeit im privaten Haushalt sind zum Einen die Erwerbsquoten der

für die Pflege bedeutendsten Altersgruppe der 40 - 64-Jährigen, sowie die Erwerbsquoten

und die Motive zur Teilzeitarbeit der Frauen von Bedeutung. Die steigende Erwerbsbeteili-

gung basiert in der Hauptsache auf eine sich dynamisch entwickelnde Teilzeitarbeitsquote

der Frauen. Für sie sind familiäre Verpflichtungen (70%) der wichtigste Grund für die Teil-

zeitarbeit, für die Männer stellt dies für 16% den Hauptgrund dar. Der Anteil geringfügig Be-

schäftigter ist ebenfalls angestiegen und auch hier weisen die Frauen mit 15,5% einen deut-

lich höheren Anteil als die Männer mit 2,8% auf (ebda.).

Räumliche Mobilität Die Vereinbarung von Familie und Beruf beeinflusst offenbar die Erfüllung der Kinderwün-

sche von Männern und Frauen und zunehmend auch die Pflege eines Angehörigen. Von der

über 70-Jährigen leisten monetäre Transfers an ihre Kinder in einer Höhe bis zu 2000 Euro im Jahr (1996).

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Bevölkerung wird beispielsweise im Jahr 2000 deutlich mehr Mobilität verlangt, als noch

1989. Lag die durchschnittliche Zahl der Wege, die eine Person pro Tag zurücklegt im Jahr

1989 noch bei 2,7 Wegen, so ist sie im Jahr 2000 auf 3,1 Wege pro Tag angestiegen. Der

Anstieg war in erster Linie auf Versorgungswege und Freizeitwege zurückzuführen, während

Arbeits- und Geschäftswege rückläufig waren. Eine höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen

hat somit nicht zugleich zu einer Erhöhung der Mobilität, bezogen auf die zurückgelegte An-

zahl der Wege beigetragen, sondern das Verhalten, auch kurze Wege zu Freizeitaktivitäten

individuell mit dem eigenen PKW zurückzulegen hat zur Erhöhung der Wegezahlen beige-

tragen, denn zu ca. 90% wird die Arbeitstätigkeit von Frauen innerhalb der eigenen Wohnor-

te ausgeübt (Statistischer Jahresbericht NRW, 2001).

Ein anderer Aspekt könnte jedoch wesentlich stärker die Pflegebereitschaft beeinflussen.

Das erodierende Normalarbeitsverhältnis und die Zunahme von Sonderarbeitszeiten wie

Samstagsarbeit, Abendarbeit, Schichtarbeit, Sonntagsarbeit und Nachtarbeit. Alle genannten

Sonderarbeitszeiten haben zwischen 1998 und 2002 zugenommen. So arbeitet jeder 5. Er-

werbstätige samstags, 18,5% abends, 12% sind in Schichtarbeit eingebunden, 10,8% arbei-

ten sonntags und 7,9% nachts ständig oder regelmäßig.

Das Normalarbeitsverhältnis, als Vollzeitbeschäftigung, ist in NRW rückläufig und liegt im

Jahr 2002 bei 67,8% gegenüber 1998 mit noch 71,2% aller Arbeitsverhältnisse abhängig

Beschäftigter. Geschlechtsbezogen nehmen Männer zu 84,1% Normalarbeitsverhältnisse

wahr, Frauen nur zu 47,5% (ebda.). Sonderarbeitszeiten erschweren die familiäre Pflege, da

unregelmäßige Anwesenheiten ständig neue Anforderungen an die Organisation des Pflege-

haushaltes stellt, während Teilzeitarbeitsverhältnisse sich hierauf besser einstellen können.

Die hohen Teilzeitarbeitsquoten korrespondieren mit dem Alter der Hauptpflegepersonen

pflegebedürftiger Personen. Wir hatten bei den Pflegepersonen festgestellt, dass es einen

nicht unerheblichen Anteil an Frauen gibt, die auf Grund ihrer häuslichen informellen Pflege-

tätigkeit ihre Erwerbstätigkeit einschränken auf Teilzeitbeschäftigung. Inwieweit ein direkter

Zusammenhang tatsächlich besteht, ist bisher jedoch noch nicht untersucht worden.

2.5 Solidarpotenzial und Motive zur Pflege

Informelle Hilfen gegenüber Familienangehörigen im Pflege- oder Betreuungsfall werden

zumeist „selbstverständlich“ gegeben. Es scheint, dass Verpflichtungsgefühle bei der Über-

legung, Pflegeleistungen zu übernehmen, überwiegen. So stimmten zwei Drittel der Ärzte-

schaft und ein Drittel der deutschen Bevölkerung vorbehaltlos zu, dass Altenpflege eine Auf-

gabe der Familie sei (Gräßel, 2000 nach Kunz & Lüschen, 1993). Persönliche Verpflichtung

gegenüber Partner, Eltern oder Kindern sind ein Motiv, ein anderes resultiert aus der emoti-

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onalen Verbundenheit bzw. den Gegebenheiten der familiären häuslichen Situation (siehe

hierzu Halsig, 1995; Fuchs, 1998; Gräßel, 2000). In einer Befragung von Leutebecker auf die

Frage: „Was ist für Sie der Hauptgrund, die Pflege zu Hause durchzuführen“, gab es folgen-

de Antworten:

• „Wir sind zusammen und das ist gut.

• Die Bindung zur Pflegebedürftigen und Mitleid.

• Kein Heimplatz in absehbarer Zeit.

• Eltern wollen nicht in ein Pflegeheim.

• Die finanzielle Lage meiner Mutter.

• Wunsch der Mutter, Pflichtgefühl.

• Auf Wunsch des Vaters, Mutter weigert sich ins Heim zu gehen.

• Beste Lösung im Sinne meiner Mutter“ (Leutebecker, 1998 in Gräßel, 2000: 87).

Das die Motive „Anderen zu helfen“ und „sich verpflichtet zu fühlen“, „Hilfe zu geben“ nicht

verschwunden sind, zeigt auch der Alters-Survey von 1996. Deutlich über 90% der 40-85-

jährigen Befragten wären bereit auch den Angehörigen Hilfe im Notfall zu geben und mehr

als 80% sehen sich in der Pflicht, ihren Angehörigen zu helfen und annähernd ebenso viele

Befragte würden ihren Eltern gerne etwas zurückgeben, weil sie soviel für sie getan haben.

Bei aller Diskussion um Werteverschiebungen muss allgemein und im besonderen im per-

sönlichen Umfeld ein Engagement auf ein Bündel an Motiven zurückgeführt werden, bei dem

im Hilfefall sich die genannten Verpflichtungsmotive, Austauschmotive („Wenn ich meinen

Angehörigen helfe, kann ich von ihnen auch selbst Hilfe erwarten“), Altruismusmotive („Was

soll ich in meinem Alter noch Geld sparen? Meine Angehörigen können es jetzt viel besser

gebrauchen“) und Zuneigungsmotive („Wen ich von meinen Angehörigen nicht mag, dem

helfe ich auch nicht“) (Kohli u.a., 2000 :197) zu einem Motivbündel ergänzen.

Die Bereitschaft von Familienmitgliedern, Pflegeaufgaben für Angehörige zu übernehmen,

wird jedoch auch unterschiedlich eingeschätzt. So kommen Blinkert / Klie (2003) auf der

Grundlage ihrer Untersuchung von 400 Personen im Alter von 40 bis 60 Jahren in einer

schwäbischen Kleinstadt zu der Auffassung, dass in wachsendem Umfang die Übernahme

von Pflegeaufgaben nicht mehr als selbstverständlich erscheint und individuelle Gestal-

tungsoptionen des eigenen Lebens auch bei der Konfrontation mit Pflegeaufgaben innerhalb

der Familie in hohem Maße relevant bleiben.

Anders bewertet Opaschowski in seiner repräsentativen Freizeitstudie (2004) die Zukunft

familiärer Versorgung von Pflegebedürftigen. Im Rahmen einer sich abzeichnenden Werte-

synthese von materiellen und immateriellen Lebensbedürfnissen scheint sich ein neuer Wer-

temix abzuzeichnen, in dessen Zentrum Ehe, Kinder und Familie rücken. Gegenüber frühe-

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ren Befragungen erreichen die Prozentwerte im Jahr 2003 wieder das Niveau der 80er Jah-

re: 56% äußern sich zustimmend zu dem Wert Familie.

Eine repräsentative Befragung der „apotheken umschau“ durch die Gesellschaft für Konsum

(GfK) im Jahr 2003 sollte ermitteln, wie hoch die Bereitschaft zur Betreuung pflegebedürftiger

Familienangehöriger bei sich zu Hause sei. Demnach kann sich jede zweite Person über 14

Jahren vorstellen, die Betreuung eines pflegebedürftig gewordenen Familienangehörigen

selbst bei sich zu Hause zu übernehmen: Über dem Durchschnitt liegen 50 - 69-Jährige mit

60,3%, nicht berufstätige Personen bei 65%, Personen mit einem Nettoeinkommen von

1.500 EURO und darüber, sowie Personen in einigen ländlich strukturierten Regionen bei

über 65%.

Weitere 18,8% der Befragten würden dies „vielleicht“ tun, „das käme auf die Person an“. Hier

liegen die Angaben von unter 30-Jährigen, Personen in 4- und mehr Personenhaushalten

oder Personen mit höherer Schulausbildung mit ca. 25% deutlich darüber.

Weniger als ein Drittel (31,1%) der Befragten würden nicht pflegen16. Unter den ablehnenden

Antworten überwiegen zwingend persönliche Gründe wie z.B. als Selbstständiger keine Zeit,

dafür hätte ich keine Kraft bzw. aus gesundheitlichen Gründen (ältere Menschen aber auch

jeder zweite Single), kein Zutrauen weil beispielsweise in Ausbildung oder die Räumlichkei-

ten fehlen (untere Einkommen, Arbeitslose, Großstadt). Zusammengenommen unter Be-

rücksichtigung der „echten“ Gründe würden ca. 15% der Befragten es ablehnen, eine Pflege

zu Hause zu übernehmen. Von den Befragten, die sich die Pflegeübernahme eines Famili-

enangehörigen grundsätzlich nicht vorstellen können, haben überdurchschnittlich häufig kei-

ne(n) Partner/in, keine Mutter oder Tochter/Sohn (mehr).

Wird konkreter gefragt, ob bei einer bestimmten Person die notwendige Pflege selbst bei

sich zu Hause übernommen werden würde, antwortet ein ganz erheblicher Anteil derjenigen,

die zuvor eine Pflege im engeren Familienkreis abgelehnt hatten hier zustimmend, die Pflege

des Partners zu übernehmen (ca. 2/3 der Befragten würden trotz genereller Ablehnung die

Pflege ihres Partners oder Partnerin, jede/r Zweite die Pflege der Kinder und jede/r Vierte die

Pflege der Mutter übernehmen). In einer früheren bundesweiten repräsentativen Studie von

1998 (Fuchs) bekannten sich noch 80% der Männer und 90% der Frauen zu einer Pflegebe-

reitschaft ihrer Eltern.

Zusammenfassend besteht den dargestellten Studien zufolge bei einem überwiegenden Teil

in der Bevölkerung eine generelle Bereitschaft, bei Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen

diesen auch selbst zu pflegen. Es muss aber auch davon ausgegangen werden, dass bereits

heute ein Anteil an Pflegebedürftigen besteht, der durch eine individualisierte Lebensweise

gekennzeichnet ist (alleinlebend, kinderlos, räumlich mobil, kaum in familiale Netze einge-

16 In der Kasseler-Studie von Trilling und Klie (2003) gaben von den 1.500 Befragten 10% an auf jeden Fall bereit zu sein ihre Angehörigen zu pflegen, 20% eventuell und 30% bevorzugten die Unterbringung in ein Pflegeheim.

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bunden) und der in deutlich höherem Maße auf professionelle Hilfeleistungen angewiesen ist

als der Durchschnitt der Pflegebedürftigen. Derartige Tendenzen zu einer stärkeren Individu-

alisierung lassen sich nach Blinkert / Klie bereits heute bei etwa jeder(m) zweiten Pflegebe-

dürftigen erkennen und es muss zukünftig mit einer erheblichen Steigerung des Anteils von

Pflegebedürftigen mit individualistischem Lebensstil gerechnet werden. Heute liegt der Anteil

Pflegebedürftiger mit individualistischer Lebensweise nach Einschätzung der Autoren noch

unter 10% an den Pflegebedürftigen.

Wenn auch die Bereitschaft in den vorhandenen Familien heute noch wie auch in den kom-

menden 20 bis 30 Jahren für die Mehrheit der Pflegebedürftigen als stabil angesehen wer-

den darf (Kohli u.a., 2000; Dritter Altenbericht 2001; Vierter Altenbericht, 2002), Unterstüt-

zungsleistungen zu bieten, so muss zukünftig dort fehlendes familiales Potenzial ersetzt

werden, wo weniger Kinder und weniger familiäre Bindungen verfügbar sind.

Als wichtig für ein „günstiges Pflegeklima“ werden allgemein Bedingungen angesehen die 1.

eine ausreichende Zeitverfügung für die Pflegeperson bieten, 2. Sympathie und Zuneigung

für die pflegebedürftige Person haben, 3. die eigene Gesundheit Pflegeleistungen zulässt, 4.

die entsprechend ausgestatteten Räumlichkeiten vorhanden sind und 5. die familiäre Unter-

stützung vorhanden sind (nach Fuchs, 1999, Befragungen von Pflegepersonen, Nennungen

zwischen ca. 80% und 97%). Materielle Bedingungen wie praktische Unterstützung, Bera-

tung, regelmäßige Bezahlung oder sonstige finanzielle Anreize stellen zwar ebenfalls eine

notwendige Bedingung dar, nahmen dagegen in der Bewertung durch die Pflegepersonen

eine geringere Bedeutung ein (Fuchs, 1999, ähnlich auch Büschges u.a., 1995).

2.6 Gesellschaftliche und milieuspezifische Einflussfaktoren auf die Pflegebereitschaft

Wirken milieuspezifische Faktoren auf die Pflegebereitschaft und beeinflussen diese die so-

zialen Beziehungen? Zwischen den unterschiedlichen Milieus bestehen nach der Studie von

Blinkert / Klie (a.a.O.) auch unterschiedliche Bereitschaften zum Selberpflegen. Demnach

würden Personen mit geringem strukturellen Kapital (berufliche Position, Einkommen, Bil-

dung) die größte Bereitschaft zum Selberpflegen zeigen, während Personen mit höherem

und hohem strukturellem Kapital in stärkerem Maße die Pflege im Heim befürworten würden.

Da ersteres Milieu sich im Zeitverlauf stark reduziert, während das mittlere und höhere Milieu

dagegen sich stärker verbreitet, wäre eine Bereitschaft zum Selberpflegen damit rückläufig.

Die Frage nach der Pflegebereitschaft beruhte auf der Konstruktion einer „dilemmatösen

Situation in der Pflege“. Es gab die Möglichkeit eine Entscheidung zwischen der häuslichen

Pflege eines Verwandten, allein und ohne fremde Hilfe und der Suche nach einem Platz in

einem gut geführten Pflegeheim in der Nachbarschaft zu wählen.

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Zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt die Befragung der Zeitschrift „apotheken umschau“.

Die Bereitschaft zur Betreuung eines pflegebedürftig gewordenen Familienangehörigen wur-

de in der durch die Gesellschaft für Konsum durchgeführten Befragung in den Milieus deut-

lich anders als in der zuvor benannten Studie gewertet. Zu den überdurchschnittlich betreu-

ungsbereiten Personengruppen zählten die Angehörigen mit hohem strukturellen Kapital

(höheres und hohes Einkommen, überdurchschnittliche Schulbildung).

Der Alterssurveys von 1996 kommt zu dem Ergebnis, dass der Schichteneinfluss durch die

Unterstützungspotenziale im Alternsverlauf zurückgeht (hier wurde Schicht mit Einkommen,

Anteil der Sparer, keine gesundheitliche Einschränkung. Keine Wohnmängel, Wohnen im

Eigenheim verknüpft) einer klaren Destrukturierung unterliegen (Kohli u.a., 2000).

Die Ergebnisse fallen methodisch bedingt sehr uneinheitlich aus. Einflüsse im Einzelnen sind

beispielsweise auch regional bedingt. Die GfK-Umfrage benennt im ländlichen Bereich über-

durchschnittliche Bereitschaften zur Selbstpflege eines Angehörigen. Überdurchschnittliche

Bereitschaften sind darüber hinaus in Antworten „vielleicht“ und „Das käme auf die Person

an“ von unter 30-Jährigen geäußert worden.

Generell scheinen keine wesentlichen Unterschiede in der Pflegebereitschaft zu bestehen,

auch wenn einzelne Studien bei dem höheren Milieu eine geringere Pflegebereitschaft aus-

machen. Es werden jedoch unterschiedliche Einstellungen zu verschiedenen Formen der

Pflege und zu Hilfeleistungen im gehobenen Milieu gegenüber unteren Milieus festgestellt

(Blinkert / Klie, 1999). In einer Studie zum Einfluss von Geld- und Sachleistungen aus der

Pflegeversicherung auf die Pflegebereitschaft der Angehörigen kommt Brömme (1999) zu

dem Schluss, dass die Pflegeversicherung eine Optionserweiterung für Haushalte schafft,

die in der Lage sind, bereits vorhandene Ressourcen zur Errichtung neuer Pflegearrange-

ments zu nutzen. Unterschiede in der Inanspruchnahme sieht Brömme eher in den Genera-

tionen. Demnach ist in den jüngeren Generationen ein neues Pflegeverständnis entwickelt,

das eher die Delegation von Pflegeaufgaben an soziale Dienste zulässt. Im Schluss sieht

auch diese Studie ähnlich wie die von Blinkert/Klie, dass sich die Altenpflege nicht in die Fa-

milie zurückverlagern lässt allerdings mit dem Unterschied, dass ein Verantwortungsgefühl

für die Pflege nach wie vor bestehen bleibt.

Ein bisher vernachlässigter Effekt auf die Pflegebereitschaft wurde von Szydlik (1995) auf-

geworfen. In einer Analyse intergenerationeller Beziehungen kommt er unter anderem zu

dem Schluss, dass die westdeutsche 68er Generation im Vergleich zu anderen Kohorten

weniger enge Verhältnisse zu ihren Eltern wie auch zu ihren Kindern hat. Insbesonders zwi-

schen Vätern und Söhnen und umgekehrt beständen Differenzen.

Die wenigen Studien zu diesem Thema haben bisher mehr Fragen als Antworten gegeben.

Die derzeitige Pflegepraxis veranlasst uns zu der Einschätzung, dass die aufgeworfenen

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Fragen zur Pflegebereitschaft heute zwar noch ohne relevante Auswirkung sind, zukünftig

aber näher untersucht werden müssen.

2.7 Familienunterstützende Pflegenetzwerke

Häusliche Pflegearrangements, mitunter auch als Pflegenetzwerke oder Pflegemix bezeich-

net, bilden die sichernde und unverzichtbare Basis für die Erhaltung der Pflegebereitschaft

durch die Hauptpflegeperson. Die bisher als überwiegend positiv gezeichnete Pflegesituation

in Privathaushalten wird nur dann den in sie gesetzten Erwartungen gerecht, wenn die Pfle-

gepersonen mit ihrer Verantwortung nicht allein gelassen werden. Sie gilt es vor seelischen

und körperlichen Überlastungen zu schützen und vor sozialer Isolation zu bewahren. Als

vorrangige und dringlichste Aufgabe stellt sich deshalb die Unterstützung der Pflegeperso-

nen durch weitere Angehörige, Nachbarn, Freunde oder auch unbezahlte ehrenamtliche Hel-

fer/innen. Weitere Hilfen können von professionellen Kräften geleistet und durch ergänzende

komplementäre Dienste erbracht werden. Zusammengenommen steht an erster Stelle das

persönliche Netzwerk an Hilfen im Nahbereich der Pflegeperson mit seinen selbstorganisier-

ten und selbstgetragenen Arrangements. Ein weiterer Kreis von Unterstützung wird durch

das Quartier, die Wohnumgebung oder Siedlung geleistet.

In welchem Maße werden Hauptpflegepersonen durch weitere Personen unterstützt? Wel-

che kleinen Netzwerke haben sich herausgebildet? Die Bereitschaft, Pflegeleistungen oder

Betreuungsaufgaben in der Familie zu übernehmen, lässt sich zunächst an den bestehenden

Pflegearrangements aufzeigen. Eine Befragung von 207 pflegenden Angehörigen demenziell

Erkrankter in Berlin und Brandenburg, alles Nutzer einer Tagespflege, eines sozialen Diens-

tes oder eines anderen Angebotes von Einrichtungen des Diakonischen Werkes Berlin-

Brandenburgs (Dettbarn-Reggentin / Reggentin, 2002a), ergab folgende Pflegearrange-

ments.

Tabelle: 13 Pflegearrangements von pflegenden Angehörigen in der häuslichen Pflege

Pflegepersonen und weitere Helfer/innen Inanspruchnahme in % (Mehrfachnennungen) Tochter 51,2 Ehepartner/in 39,6 Nachbarschaftshilfen (kleine Dienste) 31,4 Sohn 23,2 Enkel/in 15,0 Weitere Angehörige 13,0 Nachbarn (regelmäßige Betreuung) 8,7 Bekannte / Freunde 12,6 Ehrenamtliche 0,5 Diese Darstellung ist nicht repräsentativ, da nur Nutzer von Einrichtungen der Diakonie befragt wur-den. Zum Zeitpunkt der Befragung war das Pflegeleistungsergänzungsgesetz noch nicht in Kraft Quelle: Dettbarn-Reggentin/Reggentin, 2002a

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Insgesamt sind im Mittel hier 1,8 Personen17 an der häuslichen Versorgung demenziell Er-

krankter beteiligt. Die Tabelle soll aufzeigen, dass bisher selbst in schwierigen Lebenssitua-

tionen wie in der Pflege Demenzkranker ein umfangreiches Angebot an Helfern zur Verfü-

gung steht. Es war schon darauf verwiesen worden, dass diese Leistungen in erster Linie

von weiblichen Kräften geboten wird.

Der Trend scheint dahin zu gehen, den erweiterten Angehörigenkreis als Hilfen einzubezie-

hen. Die Berliner Altersstudie (1996) gibt an, dass 96% der alten Menschen über Seitenver-

wandte (Geschwister, Nichten, Neffen, etc.) verfügen, aber nur 51% nutzen diese Beziehun-

gen. Geschwister spielen als Unterstützungspotenzial im Alter nur eine geringfügige Rolle,

welches sich aber in den kommenden Jahren wesentlich verändern könnte. Freunde und

Nachbarn leisten bisher vor allem Unterstützungen im emotionalen Bereich, in dem sie trös-

ten oder immer wieder motivieren. Praktische Unterstützungen leisten sie durch Einkäufe

und Behördengänge, kochen oder Essen bringen, sowie Beaufsichtigung des zu Pflegenden

(Reichert, 2002, siehe auch Wohlfahrtssurvey, 2001).

Wie sehen die Pflegearrangements aus? Wird ein Pflegemix in Anspruch genommen? An

Hand der Entwicklung in den vergangenen Jahren scheint sich eine Orientierung in Richtung

verstärkter Nachfrage nach sozialen Diensten herauszubilden18. Das kann aus Gründen der

erhöhten Berufstätigkeit von Frauen geschehen oder auch darin begründet sein, dass die

älter werdenden (Ehe-)Partner/in, die Pflege nicht mehr bewältigen. Alleinwohnende Pflege-

bedürftige sind selten in der Lage, ihr Pflegearrangement selbst zu treffen und suchen dann

eher die Hilfe durch einen Pflegedienst oder durch eine Pflege- und Beratungsstelle. Bisher

war die Option für eine Fremdleistung in der Pflege eines Angehörigen aus Gründen der so-

zialen Stellung der Angehörigen nicht bedeutend.

Die Pflege der Angehörigen wird zunehmend von Männern durchgeführt. Ihr Anteil an der

Pflege ist (langsam) steigend. Ein verändertes Rollenverständnis – mehr Männer überneh-

men Aufgaben in der Familie wie auch mehr Zeitverfügung für Haushalt und Familie dürften

hier ursächlich sein (Zeitbudgetstudie, 2003)19.

Für bedeutsam wird die veränderte Familienkonstellation gehalten, nach der die Generation

der Enkel in Zukunft größere Erfahrungen mit der Großelterngeneration haben werden. We-

niger Enkel treffen auf mehr Großeltern und dies auf einem längeren Zeitraum, als in frühe-

ren Jahren. Dies erzeugt emotionale (Ver-)Bindungen, die sich im Hilfefall dann in einer Zu-

wendung der Enkel zu den Großeltern zeigen können. In den oben dargestellten Pflegebetei-

17 Für NRW hatten wir gesamt für alle zu Pflegenden einen Durchschnitt von 2,6 Personen ermittelt. 18 In NRW hat sich der Anteil der sozialen Dienste von 1991/92 bis 1999 mehr als verdoppelt (von 870 auf 2.400 Dienste). 19 Bei der Pflege ihrer Eltern übernehmen Männer bis zu einer dreiviertel Stunde die Woche mehr an Aufgaben als ihre Frauen (sechsdreiviertel Stunden Frauen und siebeneinhalb Stunden Männer (Zeitbudgetstudie, 2003).

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ligungen nehmen Enkel bereits einen Anteil von 15% ein. Auch der Alterssurvey benennt

Enkel als bedeutende Kontaktperson für Personen im höheren Alter (70 - 85 Jahre). In der

Rangfolge der Unterstützungspersonen, differenziert nach den Dimensionen kognitives Po-

tenzial, emotionales Potenzial und instrumentelles Potenzial nehmen zunächst in allen Be-

reichen die Partner und dann die Kinder die ersten Positionen ein, in der weiteren Rangfolge

wechseln jedoch die Personengruppen. Die Enkel werden als Unterstützungspersonen zu

3% bei kognitiven Hilfeleistungen, zu 4% bei emotionalen Hilfeleistungen und zu 13% bei

instrumentellen Hilfen genannt. Eine höhere Nennung erreichen die Enkel bei den befragten

70 - 85-jährigen Personen ohne (Ehe-)Partner, die bereits mit 19% an zweiter Stelle als ge-

wünschte Hilfeperson bei instrumentellen Unterstützungen genannt werden (Künemund /

Hollstein, 2000).

Der Umfang der Unterstützungen wird auch von der Konfiguration des sozialen Netzwerkes

abhängen, das mit steigendem Alter eine zunehmende Bedeutung bekommt, wenn sich Hil-

febedürftigkeit einstellt. So haben Litwin und Landau bei den über 75-Jährigen vier Netz-

werktypen unterschieden:

1. Das Angehörigennetzwerk, dem im Mittel 10 Personen (überwiegend Angehörige und

Kinder) angehören und das durch sehr enge Beziehungen gekennzeichnet ist (ca. 22%).

2. Das familienintensive Netzwerk mit im Durchschnitt vier Personen (fast ausschließlich

Kinder) mit weniger engen Beziehungen (ca. 8%).

3. Das auf Freunde bezogene Netzwerk, das etwa neun Personen umfasst (die Häfte

Freunde) und eher lockere Beziehungen aufweist (ca. 28%).

4. Das Netzwerk mit diffusen Bindungen, ein weniger intensives Angehörigennetzwerk mit

durchschnittlich 11 Personen (42 %). (3. Altenbericht, 2001 nach: Litwin / Landau, 2000.)

Im Netzwerk der Angehörigen (1) wurden die intensivsten Hilfeleistungen geboten, gefolgt

vom Freundesnetzwerk und dem Angehörigennetzwerk mit diffusen Beziehungen. Dagegen

gering waren die Leistungen des familienintensiven Netzwerkes, was auf deren geringe

durchschnittliche Größe zurückgeführt wurde.

Die Entlastung der Pflegepersonen durch kleine Unterstützungsnetze stellt eine vordringliche

Aufgabe dar, denn deren Zusammensetzung scheint sich in der Zahl leicht rückläufig zu

entwickeln. Es kann dadurch geschehen, dass auch Personen im höheren Alter Pflegeleis-

tungen erbringen. Es wird bereits heute darauf ankommen, Potenziale aus dem vertrauten

Nahbereich für unterstützende Aufgaben zu finden. Dabei scheint es zwar heute noch

Hemmnisse zu geben, gerade im Pflegebereich entsprechende Aufgaben zu übernehmen,

aber die Bereitschaft Freunden und Verwandten zu helfen, ist allgemein in Nordrhein-

Westfalen gestiegen und daher könnten hier noch Potenziale erschlossen werden.

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Zwischen 1988 und 2001 ist in der Altersgruppe der 40 - 54-Jährigen ein Anstieg von 21,6%

auf 40,7% der Personen zu verzeichnen, die regelmäßig helfen. Die Altersgruppe der 55 -

69-Jährigen weist ganz ähnliche Merkmale auf. Beide Altersgruppen zusammen bilden ja

das Hauptpflegepotenzial.

Auch in den jüngeren Altersgruppen ist ein Anstieg der Hilfen bei Freunden und Verwandten

zu erkennen. Regelmäßige Unterstützungen geben 2001 bereits 47,4% der 16 - 39-Jährigen.

Im Jahr 1988 lag dieser Anteil noch bei 36,2%. Aber auch die über 70-Jährigen sind gegen-

über 1988 im Jahr 2001 deutlich öfter als Helfer/innen aufgetreten. Ihr Anteil liegt nun bei

14,2% (SOEP, ungewichtet)20.

Die Voraussetzungen für Pflegearrangements erscheinen angesichts der hohen Hilfsbereit-

schaft in allen Altersgruppen als gegeben, zumal diese Bereitschaft im Zeitverlauf sich noch

weiter verbreitet hat. Die Aufgabe stellt sich nun, diese Personen für betreuerische und pfle-

gerische Aufgaben zumindest zeitweise zu gewinnen.

Ziel muss es sein, die durchschnittliche Anzahl der Pflegepersonen je pflegebedürftiger Per-

son von ca. 2 - 3 Personen auf dieser Höhe für alle Pflegebedürftigen zu sichern. Diese klei-

nen Pflegenetzwerke können mit Angehörigen, Bekannten oder mit ehrenamtlichen Perso-

nen besetzt sein. Die Einbindung in bestehende Netzwerkstrukturen, wie sie Selbsthilfegrup-

pen bieten sind anzustreben.

2.8 Quartiersbezogene Netzwerke

Kleine Netzwerke als Grundeinheiten der häuslichen Pflege sind umso erfolgreicher, je bes-

ser die Umweltbedingungen auf diese Versorgungsform eingestellt sind. In Nordrhein-

Westfalen haben sich seit ca. 10 - 15 Jahren quartiersbezogene Wohnprojekte herausgebil-

det, die auch über NRW hinaus Vorbildcharakter bekommen haben. Diese Projekte wurden

von Bewohner/-innen selbst initiert und geplant. Die Bewohnerbeteiligung hatte bewirkt, das

nicht die unmittelbaren Bedürfnisse einzelner Bewohner in die Planung einbezogen wurden,

sondern mit der Ausrichtung auf das Quartier wurden auch gemeinschaftsbezogene Elemen-

te geschaffen, die intergenerationelle und familienübergreifende Lebensformen unterstützen

sollen.

Die Mehrheit der Wohnprojekte ist ausdrücklich auf die Bedürfnisse von betreuungsbedürfti-

gen und pflegebedürftigen Personen ausgerichtet (MFJFG, 1999). Dies ist möglich, weil es

Kooperationen (größere Netzwerke) zwischen der Wohnungswirtschaft, Trägern sozialer

Dienste und den Bewohnern gibt. Letztere sind über eigene Bewohnervereine, bzw. Pflege-

20 Ês wurden die SOEP-Daten von 1988 bis 2001 auf NRW-bezogen ausgewertet. Frage: Wenn bei Freunden, Verwandten oder Nachbarn etwas zu tun ist. Angaben nach Häufigkeit: Jede Woche, jeden Monat, seltener, nie.

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vereine vertreten und sichern ihren Mitgliedern das selbstständige Leben. Der Kern dieser

Projekte liegt in der Bewohnerpartizipation und der sich mit ihnen entwickelnden Gemein-

schaft. Hieraus entstehen viele kleine Netzwerke untereineinander, eingebunden in das ge-

meinsame Projekt.

Die Bedeutung wohnquartiersbezogener Projekte liegt in ihrem Gemeinwesenbezug, der in

einem Verbund marktorientierter Unternehmen mit den Nutzern erfolgt.

Selbstorganisierte Wohnprojekte mit gemeinschaftsbildender Zielsetzung haben mit einer

Reihe von Problemen bei deren Realisierung zu kämpfen. Das Programm „Förderung neuer

Wohnformen für alte und behinderte Menschen“ wurde 1997 dafür entwickelt, beispielswei-

se zwei zusätzliche Planungs- und Beratungsstellen zu fördern21, die Schaffung zusätzlicher

Gemeinschaftsräume zu finanzieren oder die Beratungs- und Planungskosten bei der Pro-

jektentwicklung finanziell zu unterstützen. Zwischenzeitlich sind in NRW ca. 50 bis 60 solcher

Projekte entstanden. Als familienunterstützende Netzwerke scheinen sie Pflege- und Betreu-

ungspersonen zu entlasten. In Gemeinschaftsräumen oder angeschlossenen Tagespflege-

einrichtungen werden Menschen mit Betreuungsbedarf versorgt. Die Nachbarschaft leistet

entsprechende Dienste. Einige Projekte leisten Gemeinschafts- und Hilfsangebote für die

Bewohner/innen einer gesamten Siedlung22. Die weit über Nordrhein-Westfalen hinaus be-

kannte Wohnungsgenossenschaft „Freie Scholle“ in Bielefeld hat für ihre Mitglieder eine Rei-

he von Versorgungsleistungen entwickelt, die bis zu Pflegewohngruppen für demenziell Er-

krankte reichen. Derartige Angebote sichern den Bewohner/innen auch im Pflegefall das

Verbleiben in der angestammten Wohnumgebung.

Gemessen an ihrer Bedeutung sind solche Projekte auch in Nordrhein-Westafelen noch

unterrepräsentiert. Der Bedarf ist deutlich höher als es die bisher umgesetzten Projekte dar-

stellen. Da diese Projekte zwischen den kleinen Pflegenetzwerken und den gemeinwesen-

orientierten Versorgungsstrukturen angesiedelt sind, stellen sie eine Verknüpfung zwischen

beiden her. Kommunal müsste hier ein großes Interesse bestehen, derartige Projekte zu

fördern, zumal ja auch viele Wohnsiedlungen in kommunaler Trägerschaft liegen.

21 Regionalbüro Westfalen WohnBund Beratung GmbH in Bochum und Regionalbüro Rheinland Neues Wohnen im Alter e.V. in Köln 22 Einige dieser Projekte sind in dem vom Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen herausgegebenen Band „Neue Wohnprojekte für ältere Menschen“ 1999, vorgestellt wor-den.

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2.9 Flankierende und entlastende Maßnahmen für pflegende und betreuende Familienangehörige

Mit der Einführung der Pflegeversicherung 1995 stehen pflegebedürftigen Personen und

ihren pflegenden Angehörigen eine Reihe von Unterstützungsmöglichkeiten zur Entlastung

der Pflege zur Verfügung. Als flankierende Maßnahmen zur häuslichen Pflege richten sie

sich an die Zielgruppe der alten Menschen und an ihre pflegenden Angehörigen. Sie werden

in Form von Geld- und Sachleistungen gewährt.

Mit praktisch-entlastenden Maßnahmen werden Angebote offeriert, die im begrenzten Um-

fang spezielle Pflege- oder Versorgungsaufgaben übernehmen und dadurch Angehörige

entlasten können.

Die dritte Maßnahme bezieht sich auf die betreuende Person mit dem Ziel sie umfassend zu

informieren und emotionale Unterstützungen für alle Problem- und Lebensbereiche die mit

Pflege zusammenhängen zu leisten.

In unserer Darstellung werden wir uns nur auf einige Angebote beschränken, die uns für die

Unterstützung der Angehörigen als entlastende Maßnahme wichtig erscheinen.

1. Flankierende Maßnahmen

Hierunter sind vor allem Pflegehilfsmittel und technische Hilfen zu verstehen, die die Pflege

erleichtern können. Hierzu zählen Pflegebetten oder Badewannenlifter, die von den Pflege-

kassen teilweise zur Verfügung gestellt werden. Des Weiteren sind aber auch finanzielle Zu-

schüsse zur Verbesserung des Wohnumfeldes möglich, wie z.B. der behindertengerechte

Umbau eines Badezimmers oder das Tiefersetzen von Türklinken. Eine Bewilligung der

Maßnahmen erfolgt nur dann, wenn dadurch die häusliche Pflege möglich bzw. erheblich

erleichtert wird und die selbstständige Lebensführung der pflegebedürftigen Person dadurch

wieder hergestellt wird. Eine den Bedürfnissen angepasste Wohnung bzw. des Wohnumfel-

des kann die Lebens- und Pflegesituation der Pflegeperson und des zu Pflegenden erheblich

erleichtern. In vielen Fällen können dadurch auch Heimeinweisungen vermieden werden. Die

in Nordrhein-Westfalen zur Zeit bestehenden 90 Beratungsstellen (die der Landesarbeitsge-

meinschaft Wohnberatung NRW angehören), bieten in unterschiedlicher Intensität Wohnbe-

ratung an. Je nach Personalausstattung und Bedarf könnten folgende Leistungen angeboten

werden:

• „Erarbeitung von konkreten Vorschlägen zur Verbesserung der Lebenssituation durch

Ausstattungsveränderungen, Hilfsmitteleinsatz oder bauliche Veränderungen inkl. Haus-

besuch;

• Ausführliche Informationen zur Finanzierung der erforderlichen Maßnahmen;

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• Unterstützung bei der Antragstellung bei den verschiedenen Kostenträgern (Pflegekas-

se23);

• Unterstützung bei der Auswahl von Handwerkern;

• bautechnische Beratung;

• Unterstützung bei der Beantragung von erforderlichen Genehmigungen;

• Überprüfung der erforderlichen Maßnahmen“ (Bank, 2004: 45).

Als Problem erweist sich, dass Wohnberatungsstellen häufig noch zu wenig in der Bevölke-

rung bekannt sind und auch nicht flächendeckend in Nordrhein-Westaflen verbreitet sind.

Des weiteren sind die Finanzierungen der Wohnberatungsstellen in Nordrhein-Westfalen

noch sehr unterschiedlich. Für den Ratsuchenden gibt es zur Zeit noch keine Übersichten

über Finanzierung und Kosten, die eventuell für ihn entstehen könnten. So gibt es Stellen die

kostenfrei arbeiten können während andere kostenpflichtig arbeiten müssen. Hier müsste

mehr Transparenz geschaffen werden.

2. Entlastende Maßnahmen

Hierunter sind Angebote zu verstehen die zum einen Hilfe durch sogenannte „zugehende“

bzw. „aufsuchende“ Dienste leisten, wie z.B. professionelle ambulante Dienste und organi-

sierte Nachbarschaften. Des weiteren nehmen teilstationäre Angebote wie Tagespflegeein-

richtungen und Kurzzeitpflege eine wichtige Rolle in der Entwicklung ein.

Tagespflege ist vor allem zur Ergänzung der häuslichen Pflege gedacht, wenn keine Unter-

stützung oder Pflege in ausreichendem Maße sichergestellt werden kann, wie z.B. bei Be-

rufstätigkeit der Pflegeperson oder der Versorgung der eigenen Familie. Vor allem zeichnet

sie sich in den letzten Jahren durch einen verstärkten Zugang durch demenziell Erkrankte

aus. In Nordrhein-Westfalen existieren zur Zeit über 200 Tagespflegeeinrichtungen mit ins-

gesamt 2.800 Plätzen (Anfang 1999). Als Problem erweist sich, dass die Tagespflege nicht

so angenommen wird, da sie kein ‚Tageskomplettangebot‘ darstellt und ergänzt werden

muss durch die häusliche Pflege. Dies hat zur Folge, dass aufgrund der geringen Beiträge

Leistungen der häuslichen Pflege nicht mehr in Anspruch genommen werden, obwohl eine

Kombination möglich wäre. Eine Tagespflege für demenziell Erkrankte ist jedoch nur dann

sinnvoll und kann zur Entlastung von pflegenden Angehörigen führen, wenn eine Betreuung

regelmäßig, mindestens 3-5 Tage in der Woche stattfindet, da vertraute Abläufe und Struktu-

ren für den demenziell Erkrankten besonders wichtig sind (Dettbarn-Reggentin/Reggentin,

23 Bezuschussung einer Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfelds bis max. 2.557,- Euro.

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2002a). Rückert (1997) spricht von einer Auslastung der Tagespflege von 72% im Landes-

durchschnitt.

Kurzzeitpflege

Kurzzeitpflege oder auch Pflege auf Zeit ist eine zeitlich begrenzte Versorgung und Betreu-

ung pflegebedürftiger älterer Menschen in einer stationären Einrichtung. „Adressat der Leis-

tungen ist immer der Pflegebedürftige/Pflegegast, wobei aber meist die Angehörigen Anlaß

der Maßnahmen sind (wegen Urlaub, Krankheit, Kur oder zur vorübergehenden Entlastung

der Hauptpflegeperson)“ (Schröppel, 1992:92). Die Inanspruchnahme der ca. 4800 Kurzzeit-

pflegeplätze lag 1999 bei ca. 50% (siehe LDS, 1999).

Unterstützungsangebote für Angehörige

Mit dem Ziel, Pflegebedürftige und ihre Angehörigen gezielt zu informieren, über bestehende

Angebote zu beraten oder emotional, fachlich und unterstützend zu begleiten sind eine Rei-

he von formellen und informellen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen aufgebaut worden.

Selbsthilfekontakstellen

Die Suche nach einer Selbsthilfegruppe und der Kontakt zu Gleichgesinnten wird in NRW

durch die 18 Selbsthilfekontaktstellen erleichtert. Auf Landesebene koordiniert und unter-

stützt die Koordinierungs- und Selbsthilfekontaktstelle – KOSKON – Selbsthilfebestrebun-

gen. Diese Stelle wird durch das Land gefördert.

Selbsthilfegruppen

Seit den achtziger Jahren sind im Gesundheitsbereich Selbsthilfegruppen entstanden, deren

Umfang heute bei ca. 12.000 Gruppen liegen dürfte, von denen ein erheblicher Teil auch

Pflegethemen aufgegriffen hat.

Angehörigengruppen

Der Zusammenschluß von Angehörigen, hat besonders mit der Verbreitung der demenziel-

len Erkrankungen zugenommen.

Die Alzheimer Gesellschaften haben ca. 50-55 Angehörigen- und Selbsthilfegruppen aufge-

baut, die Hilfen für Angehörige und Erkrankte, sowie Onlineberatung anbieten

(www.deutsche-alzheimer-gesellschaft.de).

Niederschwellige Angebote

Mit der Umsetzung des Pflegeleistungsergänzungsgestzes durch das Land Nordrhein-

Westfalen werden bisher ca. 300 niederschwellige Angebote (nach Auskunft des Sozialmi-

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nisteriums in NRW Stand 30.06.04) in unterschiedlicher Trägerschaft gefördert. Einige von

ihnen werden in Kooperation mit der Alzheimer Gesellschaft getragen (Versorgungsamt

Düsseldorf, 2004).

Pflegeberatungsstellen in Nordrhein-Westfalen

Auf der Grundlage des Landespflegegesetzes haben nahezu alle 54 Kreise und kreisfreien

Städte eine neutrale Pflegeberatung eingerichtet. Diese Stellen sollten eine umfangreiche

Beratung vornehmen, wobei sie Hilfesuchenden die notwendigen Informationen liefern 1. zur

Wahl der Pflegeform, 2. zur Wahl eines geeigneten Anbieters und 3. zur Bedarfsgerechtig-

keit (Eifert u.a., 1997).

Wohnberatungsstellen

Die Wohnberatungsstellen sind bereits angesprochen worden. Ihre Anzahl beläuft sich der-

zeit auf ca. 90 Beratungsstellen, darin sind 35 Wohnberatungsstellen des Modellprojektes

„Wohnberatung für Bürgerinnen und Bürger“ enthalten.

Pflegeberatung Verbraucherzentrale

Zum Thema Pflege berät die Verbraucherzentrale in drei Orten (Kamen, Alsdorf, Lünen) und

telefonisch landesweit über Leistungen, Pflegedienste, Antragstellung u.ä..

(www.verbraucherzentrale-nrw.de).

Demenz-Service-Zentren

Ganz speziell auf die Belange der Demenzkranken und ihre Angehörigen sollen die Betreu-

ungs- und Beratungsleistungen von acht Demenz-Service-Zentren ausgerichtet werden

(www.mgsff.nrw.de/aktuelles/presse/pm_2004/04022a.htm).

Diese Anlaufstellen unterstützen zusammengenommen flächendeckend in Nordrhein-

Westfalen Ratsuchende bei der Durchführung häuslicher Pflege. Ein Konzept, die Angehöri-

gen noch besser zu erreichen, liegt darin, den Zugang zu Informationen und zu Entlas-

tungsmöglichkeiten zu vereinfachen. In Schleswig-Holstein hat das Sozialministerium des

Landes in Kooperation mit der Lebensmittelkette Co op Schleswig Holstein eG das „Pflege-

Not Telefon“ eingerichtet. Unterstützt wird dieses Modellprojekt von der Ärztekammer, den

Verbänden der freien Wohlfahrtspflege, privaten Anbietern, Landkreisen und Städten, Lan-

desseniorenrat, Fachkliniken, Pflegekassen und Selbsthilfeorganisationen (bei jährlichen

Kosten von 48.000 Euro). Die landesweite Beratung erfolgt über eine zentrale Telefonnum-

mer. In den beteiligten Warenhäusern und Verbrauchermärkten werden jeweils eine Woche

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lang Kundinnen und Kunden über das Thema Pflege und die Arbeit des PflegeNot Telefons

informiert (www.landesregierung.schleswig-holstein.de).

Denkbar sind solche Kooperationen für NRW auch mit der Post oder mit dem Landesver-

band der Wohnungsunternehmen.

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3. Handlungsempfehlungen zu Teil A

3.1 Solidarpotenziale innerhalb der Familie Die prognostizierte Bedarfsdeckung an Hilfen und Pflegen für den allergrößten Teil der be-

troffenen Menschen darf nicht übersehen, dass die Pflege im häuslichen Bereich von einer

hohen Belastung geprägt ist. Annähernd jede(r) zweite Pflegebedürftige weist kognitive Ein-

schränkungen auf, die zumeist als demenzielle Erkrankungen auftreten. Die Hauptpflegeper-

sonen gerade für diesen Personenkreis sind nach eigenem Bekunden zu 41% sehr stark (in

NRW auf alle bezogen 37%) und 42% eher stark (in NRW auf alle bezogen 41%) durch die

Pflegetätigkeit belastet (Infratest, 2003). Die Gesunderhaltung dieser pflegenden Angehöri-

gen ist von der Sicherstellung der Pflegeversorgung Hilfe- und Pflegebedürftiger in Privat-

haushalten nicht zu trennen.

• Als vorrangiges Ziel der Sicherstellung des Solidarpotenzials in der Familie wird daher

die Entlastung der pflegenden Angehörigen angesehen. Hierunter werden auch Entlas-

tungen erwerbstätiger Pflegepersonen gefasst.

• Ein zweites Ziel liegt in der Sicherung von Angeboten für pflegebedürftige Personen ohne

stabile familiäre Netze.

• Die Verbesserung pflegeunterstützender Maßnahmen und Dienste einschließlich zeitwei-

ser Entlastungsmöglichkeiten stellt ein drittes Ziel zur Entlastung der Familien dar.

• Während viertens gesundheits- pflege- und sozialpolitische Leistungen das Solidarpo-

tenzial der Familien stützen sollen.

In den einzelnen Punkten auftretende Überschneidungen sind bedingt durch die Prioritäten-

setzung der hier angeführten Bereiche.

3.1.1 Entlastungsmaßnahmen für Pflegepersonen

Wir hatten in Kapitel 1.5 verschiedene Belastungsarten von Pflegepersonen zusammenge-

stellt. Konkrete Maßnahmen müssen an den Ebenen der physischen und psychischen Belas-

tung, den sozialen Aspekten und den materiellen Situationen ansetzen, wenn sie effektiv zur

Entlastung der Pflegepersonen beitragen wollen. Wenn auch vorrangig gesundheitliche

Probleme angesprochen werden, ist die soziale und die materielle Ebene immer zugleich mit

thematisiert. Alle Maßnahmen sind klientenzentriert, das bedeutet in diesem Fall, dass auch

die zu pflegende Person mit einzubeziehen ist, so weit dies möglich ist.

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Konkrete Maßnahmen

• Zur Sicherstellung der ambulanten Versorgung und der Kräfte der Hauptpflegeperson

sind die Ärzte mit einzubinden. Sie sollten die Erkrankungen der Pflegenden konsequent

therapieren und dazu beitragen, das Ausmaß der körperlichen Beschwerden zu senken.

Ein zweiter Ansatz zur Stärkung pflegender Angehöriger liegt darin, sie frühzeitig dazu

anzuregen, Entlastungen zu suchen und Hilfen einzubeziehen. So lassen sich typische

Pflegeerscheinungen wie das „Burn-out-Syndrom“ vermeiden. Eine umfassende Bera-

tung durch ein dicht gespanntes Netz an Beratungsstationen, die wiederum öffentlich be-

kannt gemacht werden müssen, soll auf die Entlastungsmöglichkeiten hinweisen (Gräßel,

1998).

• Ein Ansatz zur Prävention stellt das Angebot der beiden Gemeindeunfallversicherungs-

verbände in Nordrhein-Westfalen dar. Mit Schulungen der pflegenden Angehörigen ver-

mitteln sie pflegepraktische fachliche Kenntnisse. Dieser Ansatz ist „stärker“ auszubauen

und im Verbund mit Krankenkassen in den kommunalen Beratungsstellen flächende-

ckend umzusetzen. Neben den Pflegepersonen sollten auch weitere Angehörige, Freun-

de und Nachbarn angesprochen werden.

Der Versicherungsschutz sollte auf alle Pflegenden und freiwillig Engagierten ausgedehnt

werden. Ab 2005 wird in Nordrhein-Westafelen eine solche Lösung angestrebt, die eine

bundesweite Gesetzesinitiative damit erweitert (infoplus, 2004).

Zu den Förderbereichen familialer Pflegetätigkeit zählen Freistellungsrechte für pflegen-

de Angehörige (und auch für Ehrenamtliche). Diese Rechte sollten auch auf Angehörige

übertragen werden können, die als zweite Pflegeperson die Angehörigenarbeit absi-

chern. Damit würde der Stellenwert der Pflegearbeit deutlich erhöht werden und vor al-

lem Frauen zugute kommen, die ihre Arbeitszeit von bisher Teilzeit auf Vollzeit erweitern

könnten.

Zu erproben sind im Zusammenhang mit Freistellungen Guthabenkontos, d.h. für Pflege-

tätigkeit würde ein bestimmter Zeitanteil auf das Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Dieser

„Kombi-Lohn“ wäre durch Bundes- oder Landesmitteln (Steuererleichterung) zu fördern.

Damit wären untere Einkommen angesprochen, die durch Arbeitsverzicht stärker be-

nachteiligt sind, da das Teilzeiteinkommen in der Regel kaum ausreichend für den Le-

bensunterhalt ist.

• Die Versorgung bei Pflegebedürftigkeit wird weiterhin in der Mehrheit von weiblichen An-

gehörigen geleistet. Die Pflege bleibt „weiblich“. In den kommenden Jahren werden je-

doch Zunahmen in der Betreuung durch Partner zu verzeichnen sein. In mehr Ehen bzw.

Partnerschaften werden beide Partner ein hohes Alter erreichen. Diese Unterstützungs-

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form wird zukünftig die Hauptlast tragen. Zu den Unterstützungsleistungen sollten daher

frühzeitige Informationen zählen, die den Partnerschaften ergänzende und begleitende

Unterstützungen bieten, um ein frühzeitiges Überfordern durch die Pflege zu verhindern.

3.1.2 Erwerbsarbeit und Pflege

Frauen als Hauptpflegepotenzial, die auch häufig zugleich noch verantwortlich für die Kin-

dererziehung sind, suchen eine für sie akzeptierbare Lösung zwischen Erwerbstätigkeit und

häuslicher Verpflichtung. Arbeitszeit und Arbeitsort müssen auf die häuslichen Tätigkeiten

abgestimmt werden, damit nehmen sie zumeist mit beruflichen Einschränkungen spätere

Nachteile in der Altersversorgung in Kauf. Eine größere Beteiligung der Männer entwickelt

sich bisher nur langsam. So lange die Unterschiede der Einkommen für vergleichbare Arbeit

zwischen Männern und Frauen noch so groß sind (auch wenn sich langsam Annäherungen

zeigen), werden sich vermutlich nur wenig spürbare Veränderungen in der Bereitschaft zur

Übernahmen von Pflege ergeben.

Die Vereinbarkeit von Pflege und Erwerbstätigkeit gelingt bei der Pflege eines Angehörigen

im Privathaushalt zumeist nur bei einer wohnortnahen Teilzeittätigkeit. Es sind bisher fast

ausschließlich Frauen, die in den vergangenen Jahren eine solche Beschäftigungsform zu-

gunsten der Pflegetätigkeit eingegangen sind.

Konkrete Maßnahmen

• Eine der Handlungsempfehlungen gilt daher zuerst dem Abbau der ungleichen Ge-

schlechterrollen im Zusammenhang von Erwerbstätigkeit und Pflege. Betriebliche Ver-

einbarungen sollten Männern durch zeitliche Freistellungen ermöglichen, ohne berufliche

Nachteile eine Pflegetätigkeit aufzunehmen. Das sollte auch für höhere Positionen in der

betrieblichen Hierarchie angestrebt werden. In Österreich hat zum Beispiel ein Arbeit-

nehmer wegen der Pflege eines nahestehenden Angehörigen im eigenen Haushalt einen

Anspruch auf eine Woche bezahlten Pflegeurlaub pro Jahr, wenn der Angehörige im sel-

ben Haushalt wohnt (Falk, 2003), etwa analog zu dem Erziehungsurlaub.

• Für die Pflegetätigkeiten sollte auch Job-sharing möglich sein. Zwei oder mehr Arbeit-

nehmer/innen teilen sich einen Vollzeitarbeitsplatz, der je nach zeitlichem Bedarf geteilt

wird.

• Unternehmen und Erwerbstätige sollten über die Möglichkeiten der Teilzeitarbeit, der

flexiblen Arbeitszeit, über Arbeitszeitkonten, Freistellungen und ähnliches als Maßnahme

zur Unterstützung der Pflegetätigkeit im häuslichen Bereich durch eine Landesinitiative

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Expertise: Freiwilliges Engagement und Solidarpotenziale... Ausführung: ISGOS Berlin

informiert werden. Eine Zusammenarbeit von Pflegeverbänden, Vertretern der Angehöri-

gen mit Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen sollte gesucht werden.

• Die Betriebe müssen besser informiert werden über die Lage der pflegenden Angehöri-

gen und ihren möglichen Beitrag zur Unterstützung der Pflegeperson. Es müssen stärker

die Vorteile für beide Seiten herausgestrichen werden. Eventuell muss ein zusätzlicher

Fonds eingerichtet werden, der betriebliche Kosten abdeckt, die mit der Organisation und

Koordination von Teilzeitangeboten, Arbeitszeitflexibilität, betriebseigene Betreuung Pfle-

gebedürftiger von Mitarbeiter/innen oder auch Wiedereinstiegsprogrammen pflegender

Angehöriger als „Pflegeschutzkosten“ anfallen.

• Die Leistungen der Pflegeberatung sollten in ihren Beratungsauftrag die Ermittlung des

individuellen Pflegebedarfs und die Koordination der Hilfen mit aufnehmen.

• Belasteten Angehörigen sollten Erholungszeiten und Kuraufenthalte ermöglicht werden.

Bei gleichzeitiger Sicherung der Versorgung des zu pflegenden Angehörigen wäre die

häusliche Versorgung weiterhin möglich.

Seit 1996 werden in NRW von der Landesarbeitsgemeinschaft der Alzheimer Gesell-

schaften „Betreute Urlaube“ für Alzheimerkranke und ihre Angehörigen durchgeführt (bis-

her nach SGB XI §39 bezahlt). Die Urlaube wurden in Boltenhagen (Ostsee) verbracht

(Springmann, 2001). Diese vorbildliche Entlastungsmaßnahme sollte weiter ausgebaut

werden.

3.1.3 Unterstützung durch Selbsthilfegruppen

Es liegen seit etwa Mitte der 80er Jahre eine Fülle von Erfahrungen in Selbsthilfegruppen

aus dem Gesundheits- und Sozialbereich vor. Der Umgang mit Krankheit und Behinderung,

der auch die Pflege einschließt, wurde in Eigeninitiative mit sehr unterschiedlicher Unterstüt-

zung gewonnen. Die Begleitung Schwerkranker und Sterbender in Hospizgruppen, die Un-

terstützung auf Gegenseitigkeit in Parkinson-Gruppen, Diabetiker-, Schlaganfall- oder Multip-

le Sklerose-Gruppen, Angehörigenselbsthilfegruppen von Alzheimerbetroffenen oder in einer

der vielen anderen mehrere tausend Selbsthilfegruppen umfassenden Bewegung in NRW, in

denen Betroffene oder auch ihre Angehörige zusammengeschlossen sind, stellt eine ganz

besondere Form des Pflegemix dar, in dem mit alltagsnahen Hilfen, Kommunikation und so-

zialer Beistand und Beratung geleistet wird. In diesen Gruppen wird ein intergenerationelles

Miteinander gepflegt, das nicht erst initiiert werden muss (Reggentin / Dettbarn-Reggentin,

1998).

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Konkrete Maßnahmen

• Die Beachtung der Selbsthilfegruppen im Gesundheitsbereich als Bestandteil eines ge-

sundheitlichen und pflegerischen Versorgungssystem muss sich in der Öffentlichkeit

deutlich verbessern, denn ihre Leistungen tragen zu einer Sicherung des Gesundheits-

systems bei. Hier sind örtliche, regionale und überregionale Förderungen gefragt, die in

angemessener Höhe schon seit zwei Jahrzehnten immer wieder zumeist vergeblich ein-

gefordert wurden. Die bisherige Förderung geschah vornehmlich durch Krankenkassen.

Selbsthilfegruppen sind in eine kommunale Gesamtinfrastruktur einzubinden und ihre

Ressourcen an freiwillig Engagierten wären eine Bereicherung für die Versorgung Pfle-

gebedürftiger. Hierüber könnten derzeit gering Engagierte noch besser erreicht werden,

wie etwa die Altersgruppe der über 65 - 70-Jährigen oder auch Migranten, die sonst

schwer ansprechbar sind.

3.1.4 Alleinlebende Pflegebedürftige ohne familiale Pflegepo- tenziale

Ein wachsender Bedarf an Versorgungsleistungen besteht für einen Teil alleinlebender Men-

schen im hohen Alter. Diese Personengruppe ist gekennzeichnet durch ein sich verkleinern-

des soziales Netz, sowie durch ein hohes Alter. Bei diesem Personenkreis können gesund-

heitliche Einbußen häufiger auftreten, als in jüngeren Altersgruppen. Daher kommen diese

Personen als Unterstützungsgeber nur bedingt in Frage. Ein wachsender Teil von hochaltri-

gen Personen weist überhaupt keine Angehörigen, Freunde und Bekannte auf. Diesen Anteil

schätzen wir auf ca. 10% der alten und hochaltrigen Menschen.

Insgesamt gesehen wächst die Zahl alleinlebender Menschen und somit auch die Anteile an

pflege- und hilfebedürftigen Personen. Die sozialen Netze sind für einen Teil von ihnen aus

unterschiedlichen Gründen nicht (ständig) verfügbar, so dass es Gelegenheiten zur Erweite-

rung, zum Erhalt oder zum Neuaufbau sozialer Beziehungen geben muss. Diese Beziehun-

gen sollten in der Lage sein, bei Hilfebedarf einander gegenseitig zu stützen.

Konkrete Maßnahmen

• Die Pflege durch Partner oder Partnerin bis ins sehr hohe Alter wird zukünftig vermehrt

geleistet werden (müssen), da eine höhere Anzahl an Partnerschaften ein hohes Alter

gemeinsam erreichen wird. Diese Personen müssen durch zugehende soziale Arbeit

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aufgesucht und ihnen entlastende und komplementäre Leistungsangebote offeriert wer-

den.

Eine Methode stellt der präventive Hausbesuch dar. In Zusammenarbeit der Kommune,

Hausärzte und sozialen Dienste werden die Klienten / Patienten eingeladen und in ent-

spannter Atmosphäre über unterstützende Maßnahmen und deren Finanzierung infor-

miert. Insbesondere das Zusammenwirken mit Hausärzten scheint sich erfolgreich für die

Ansprache dieser Zielgruppe zu gestalten (z.B. Holler, 2004).

Die Alleinlebenden sind daraufhin zu unterstützen, Angehörige für die Bereitschaft zur

Betreuung zu gewinnen. Hierzu zählen Enkel und Neffen, die oft eine besondere Verbin-

dung zu den Großeltern haben. Personen mit geringem strukturellem Kapital (Bildung,

soziale Herkunft, Einkommen) weisen häufiger ein „prekäres“ Hilfenetzwerk auf (familien-

intensiv mit wenig Angehörigen). Für diese Personengruppe sind kommunal besondere

Angebote vorzuhalten, die deren gefährdeten sozialen Beziehungen verbessern: Hierzu

zählen Tagesbetreuung mit Abhol- und Bringdienst (wie z.B. die Tagespflege „Wir für

Euch“ in Köln), Angebote des Service Wohnens (alle Formen des betreuten Wohnens)

mit Kommunikationsangeboten und Aktivierung und Besuchsdiensten.

Eine Zunahme der Hilfeleistungen zwischen Nachbarn, Freunden und Bekannten ist ins-

besondere bei Personen mit höherer Schulbildung und höherem sozialen Status zu ver-

zeichnen, die sonst keine Angehörigen haben (individualistische Personen). Diese Per-

sonen sind durch Bringstrukturen mit den vorhandenen Hilfeangeboten vertraut zu ma-

chen.

3.1.5 Versorgung durch Angehörige

Generell gilt die Pflege durch Angehörige zwar auch bei abnehmenden Kinderzahlen als

gesichert, zukünftig wird aber mehr Partnerpflege bis ins hohe Alter vorhanden sein. Wenn

auch der sorgende Umgang untereinander als Vorbild für nachfolgende Generationen ange-

sehen werden darf, so wird seine Umsetzung mit wachsendem Alter schwieriger. Es werden

Angehörige zweiten Grades Pflege- und Betreuungsaufgaben übernehmen müssen, wie es

sich heute in leichten Trends bereits abzeichnet. Für diesen Personenkreis gilt das, was für

pflegende Angehörige bereits gesagt wurde. Die Vermeidung der Überlastung muss für die-

se Personen ebenso gesichert werden.

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Konkrete Maßnahmen

• Es sollten Anreizsysteme zur Motivationserhöhung geschaffen werden, mit denen die

Pflegebereitschaft erhöht werden kann, denn Angehörige zweiten Grades oder entfernte-

re Verwandte sind moralisch nicht so gefordert wie nähere Verwandte, auch wenn sie

einzig verfügbar sind und sie sind andererseits auch keine Ehrenamtlichen, deren Leis-

tung durch Anerkennung aufgewertet wird. Ein Instrument, weitere Angehörige einzube-

ziehen liegt in der verstärkten Beratung derjenigen Personen, die potenziell bereit wären,

Pflege zu übernehmen. Mit einer trägerunabhängigen Beratung (etwa nach SGB XI und

Landespflegegesetz NW §4) hätten die Betroffenen eine neutralere Informationsbasis

und somit einen größeren Entscheidungsspielraum.

• Die Anreizsysteme sollten im Erwerbsbereich auf dem Arbeitsplatz durch Freistellung

(wie bereits angesprochen), Weiterbildung (Anerkennung der Weiterbildung als Bildungs-

urlaub), Vergünstigungen im öffentlichen Leben (z.B. Ermäßigung beim ÖPNV), steuerli-

che Maßnahmen eingerichtet werden. Zusätzlich sind öffentliche Anerkennungen (Einla-

dungen zum Tag der Pflege, Alzheimer Tag u.ä.) auszubauen.

• Es werden in Nordrhein-Westfalen eine Vielzahl von Beratungs-Koordinierungs- und Ser-

vicestellen aufgebaut, bzw. sind bereits tätig, die der Information von Hilfe- und Pflege-

bedürftigen sowie ihrer Angehörigen dienen.

Es ist für die Angehörigen hilfreich eine Anlaufstelle für ihre Fragen zu haben (welche Hil-

fen, welcher Art, Höhe, Kosten / Zuzahlung, Wohnanpassung / geeignete Wohnform

etc.). Daher sollte die kommunale Beratungsstelle darauf achten, dass nicht verschiede-

ne Stellen jeweils nur eine Frage beantworten können.

3.1.6 Familienstützende Leistungen

Gewandelte Partnerschaftsstrukturen, zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen und für

einen Teil der pflegenden Angehörigen hohe Belastungen durch die Pflegetätigkeit machen

entlastende und unterstützende Maßnahmen in der häuslichen Pflege dringlich.

Die veränderten Familienstrukturen werden als Hauptfaktoren angesehen, die auf die Pfle-

gebereitschaft Einfluss nehmen. Ihre Veränderungen bewirken indirekt neue Formen famili-

enähnlicher Strukturen, neue Haushaltsformen. Hier sind zukünftig auch Haushaltsstrukturen

zu zählen, die zwar derzeit noch im 5% Bereich liegen aber in ihrer Bedeutung nicht zu un-

terschätzen sind. Sie unterstützen ein Zusammenleben von nicht verwandten Personen und

von Personen, die nicht in direkter Linie miteinander verwandt sind. Ihre Zahl ist steigend. So

sind beispielsweise auch gemeinschaftliche Wohnformen zu nennen, die derzeit gerade

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auch für Pflegebedürftige mit demenziellen Erkrankungen erprobt werden (siehe hierzu Paw-

letko, 2002 für ambulant betreute Wohngruppen, Reggentin/Dettbarn-Reggentin, 2004 für

stationäre Wohngruppen). Diese Wohnalternativen liegen zwischen stationärer Versorgung

und häuslicher Betreuung. Sie sind für Behinderte wie auch für Pflegebedürftige zukünftig als

Wohnform gegenüber der Familie aber auch in der stationären Versorgung als Alternative

anzusehen. Es gibt aber auch andere Einflussfaktoren, die aus dem Blickwinkel der häusli-

chen Versorgung als positiv zu bezeichnen sind.

Konkrete Maßnahmen

• Eine Begleitung und stufenweise Unterstützung der Pflegehaushalte durch koordinierte

soziale Dienste, ehrenamtliche Hilfen, Tages- und Kurzzeitpflege gemeinschaftliche

Wohnprojekte mit Pflege oder auch betreute Wohnformen in individueller Versorgung al-

leinwohnender Personen stellen die Palette ambulant versorgter Wohnformen dar. Die

kommunale Verpflichtung zur Daseinsvorsorge der (älteren) Bürger/innen beizutragen,

versetzt sie in die Lage, die Beratungs-, Planungs- und Entwicklungsaufgaben, sowie die

Koordination dieser Dienste wahrzunehmen. Sie sollen aber auch anregen und ermutigen

neue Wege zu gehen und eventuell die Lebens- / Wohnform zu wechseln, wenn dies für

nötig erachtet wird.

3.1.7 Teilstationäre Versorgung

Angehörige sind in diese Versorgungsform bisher wenig eingebunden, da sie ihre Pflegebe-

dürftigen zumeist nur bringen und abholen. Ehrenamtliche können dagegen in die Tages-

pflege eingebunden werden.

Konkrete Maßnahmen

• Es wird empfohlen, die Tagespflege mit Tagesbetreuung zu ergänzen – wo dies noch

nicht geschehen ist – und für diesen Teil Ehrenamtliche anzuwerben. Tagespflegegäste

mit gerontopsychiatrischen Erkrankungen sollten im Verhältnis eins zu eins von Ehren-

amtlichen begleitet werden. Die Tagesbetreuung kann auch auf Initiative von Angehöri-

gen oder anderer Personen von Ehrenamtlichen allein geführt werden, sofern eine Pfle-

gefachkraft verfügbar ist. Eine Förderung der Tagesbetreuung durch Selbstinitiative von

Betroffenen sollte analog der Baden-Württembergischen Praxis durch das Land erfolgen

(ca. 5.000 EURO pro Jahr je Initiative) bei einer zusätzlichen Förderung durch die Kom-

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mune. Diese Maßnahme sollte zusätzlich zu den Leistungen im niederschwelligen Be-

reich ergriffen werden.

3.1.8 Stationäre Versorgung

Aus stationären Einrichtungen Nordrhein-Westfalens sind bisher kaum Konzepte bekannt,

die mit einem Pflegemix arbeiten. Vereinzelt werden für bestimmte Aufgaben Angehörige

einbezogen. Ehrenamtliche übernehmen Besuchsdienste für alleinstehende Bewohner/innen

und vereinzelt besuchen Angehörige von Hospizgruppen sterbende Bewohner/innen. Ohne

die Besuche von Angehörigen oder auch von Ehrenamtlichen wäre eine qualitätsvolle Pflege

in stationären Einrichtungen jedoch nicht durchführbar.

Konkrete Maßnahmen

• Zukünftig sollten in stationären Einrichtungen Konzepte zur Einbindung Ehrenamtlicher

und Angehöriger entwickelt werden, in denen die Tätigkeiten, die von Außenstehenden

durchgeführt werden könnten, definiert sind und in denen die Ziele und Erwartungen be-

schrieben werden.

• Die Umstellung der Pflegeheime von medizinisch und pflegerisch orientierten Stationen

zu Wohnstätten sollte eingeleitet werden. Dort wo dies vereinzelt geschieht, ist die Ange-

hörigenbeteiligung gestiegen. Eine Patenschaft für Bewohner/innen eines Pflegeheimes,

die eine regelmäßige Kommunikation einschließt, hat bereits in einem Projekt in der

Schweiz zu merklichen Erfolgen und Verbesserungen in der Zufriedenheit der Bewoh-

ner/innen geführt (Oppikofer u.a., 2000). Eine stationäre Versorgung wäre durch die Ver-

antwortungsübernahme ihrer Bürger/innen für die Bewohner und Bewohnerinnen ein ech-

ter Bestandteil der Gemeinde (siehe hierzu auch Projektdarstellung Reginenhaus).

3.1.9 Versorgung mit Alltagshilfen und komplementären Diensten

Die haushaltsnahe Versorgung Pflegebedürftiger zählt für einen beträchtlichen Teil der Hel-

fer/innen zu den Einkommensquellen, die zwischen Schwarzarbeit und Nachbarschaftshilfe

angesiedelt sind. Wenn auch hierüber keine Zahlen vorliegen, wäre eine Legalisierung wün-

schenswert, denn es besteht u.a. das Problem, dass die Tätigkeiten nicht versichert sind.

Eine Beschäftigung in der Grauzone der Legalität lässt sich auch schwer in einen Pflegemix

einbinden. Für den Pflegebedürftigen sind Mängel schwer reklamierbar und somit seine Be-

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hebung nicht einklagbar. Auch scheint der Grad der Verbindlichkeit geringer als bei legal

bezahlten Diensten.

Konkrete Maßnahmen

• Zu den Aufgaben auf kommunaler Ebene sollte es gehören, eine Anlaufstelle für Perso-

nen zu schaffen, die gerne haushaltsbezogene Dienste leisten. Ohne bürokratischen

Aufwand sollten sie versichert werden, Schulungen angeboten bekommen und dann an

Haushalte vermittelt werden. Dies stellt auch ein Element der Arbeitsförderung dar.

• Eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Schulen (Abgangsklassen) Berufsbil-

dung und sozialen Diensten in Verbindung mit Organisationen, in denen ältere Menschen

tätig sind, könnte das Interesse an Pflegetätigkeiten oder haushaltsbezogenen Diensten

bereits in der Berufseinstiegsphase junger Leute wecken.

• Dienste, die vor dem Hintergrund demographischen Wandels bedeutsam werden könn-

ten, müssen neu entwickelt werden. Hierzu zählen beispielsweise Hausdienste in Anleh-

nung an Hausmeisterfunktionen für den privaten Haushalt. Es könnten auch Pflegehel-

fer/innen (Pflegesitter) für einen bestimmten Zeitaufwand in die Haushalte kommen.

• Eine Informationsplattform innerhalb der Kommune wird zukünftig die Neuen Medien

einbeziehen müssen. In den kommenden Jahren wird der Internetzugang ein normales

Informationsangebot für die Haushalte werden. Informationen zu den wichtigsten Hilfen,

die heute vielerorts nur beschwerlich zugänglich sind, sollten leicht abrufbar für alle Inte-

ressierten verfügbar sein. Ein kommunaler Verbund präsentiert alle relevante Daten und

Angebote zur Hilfe und Pflege (und natürlich darüber hinaus). Er bietet Kommunikation,

vermittelt Alltagshilfen und beteiligt alle Interessierten über einen Chatroom/Foren. Anbie-

ter können sich selbst präsentieren. Es werden Schulungen zur Nutzung der Angebote

hierüber verbreitet, sowie auch Schulungen für Selbsthilfegruppen oder Träger der Pfle-

gedienste (Informationsbüro, Projekt zur Weiterentwicklung komplementärer Dienste der

Stadt Ahlen, 2004). Der Medienzugang und die Verbreitung der wichtigsten Informationen

für Pflegebedürftige, Angehörige und Ehrenamtliche könnten von Bürgernetzinitiativen

(wie in Ahlen) oder Freiwilligenzentralen ausgehen. Die Kommunen sollten mit diesem re-

lativ preiswerten Kommunikationsnetz ihr Rathaus mit den Haushalten vernetzen.

• In jedem Rathaus (Bürgerberatung) sollte ein Lotse in Fragen der Pflegeversorgung und

der Betreuungsangebote Nachfragern die entsprechenden Anlaufstellen benennen kön-

nen.

• Alle Formen zugehender Altensozialarbeit mit dem Angebot niederschwelliger Hilfen sind

zukünftig insbesondere von Einpersonenhaushalten von Bedeutung. In nahezu allen

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Kommunen in NRW existieren Selbsthilfegruppen im Gesundheitswesen und Frauenver-

bände. Die fachlichen und menschlichen Ressourcen sollten mit Haushalten Pflegebe-

dürftiger in Verbindung gebracht werden. Vermittlungsstellen über Internet oder neutrale

Träger sind ein notwendiger Schritt in diese Richtung.

• Eine Förderung der komplementären Dienste durch die Kommunen und durch das Land

sichert mittel- und langfristig den Grundsatz „ambulant vor stationär“. Ein Rückzug der

Kommunen aus dem Bereich der Altenhilfeausgaben hätte gegenläufige Folgen.

3.1.10 Pflege und soziale Sicherung

Die beiden bedeutenden Grundsicherungssysteme der Versorgung, die Pflegeversicherung

(SGB XI) und die Krankenversicherung (SGB V) nehmen in der individuellen Pflegeplanung

(beide Systeme) eine hervorgehobene Stellung ein. Insbesondere die Pflegeversicherung mit

ihrer Ausgestaltung sichert im Falle von Pflegebedürftigkeit, wenn auch begrenzt, so doch

grundsätzlich wesentliche Versorgungsleistungen ab. Ohne hier im Detail auf gesetzlich-

rechtliche Problematiken einzugehen, besteht für die Zukunft der Pflege bei sich verändern-

den Anforderungen ein Anpassungsbedarf, der auf unser Thema bezogen, „Freiwilliges En-

gagement in der Pflege und Solidarpotenziale innerhalb der Familie“ einige Maßnahmen zur

Veränderung der Rahmenbedingungen notwendig macht. Dies betrifft zum einen die Schnitt-

stellenproblematik zwischen Pflegeversicherung und Krankenversicherung sowie auch zwi-

schen diesen beiden und dem örtlichen Sozialhilfeträger. Zum anderen betrifft es die Weiter-

entwicklung der Infrastruktur der Pflegedienste. Es wird zunehmend darauf ankommen, die

individuellen Bedürfnisse anzusprechen. Das setzt wiederum voraus, die Pflege bzw. den

Pflegebegriff nicht einseitig auf verrichtungsbezogene Leistungen zu beziehen, sondern die

Pflege auch als sozialbezogene Tätigkeit aufzufassen. Kommunikation und alltagsstrukturie-

rende Tätigkeiten werden bisher nicht mit erfasst. Das behindert ein Versorgungsarrange-

ment, bei dem eine Kombination verschiedener Leistungsbereiche notwendig ist.

Das Pflegeleistungsergänzungsgesetz weist in diese Richtung und eröffnet die Chance eines

personenbezogenen Bedarfs bei allerdings geringer Förderung. Der Anstoß zu einem Pfle-

gemix ist gegeben und die weitere Ausgestaltung liegt nun in mehreren Händen. Hierzu zählt

die Motivierung und Einbindung verschiedener Träger von Dienstleistungen wie auch Ehren-

amtlicher und hier darf auch der kommunale Beitrag einzubeziehen sein, der die Rahmenbe-

dingungen wie etwa die Errichtung von Beratungs- und Vermittlungsstellen zu stellen oder

zumindest zu organisieren hat. Steuerungen der Ausgestaltung der Pflegeangebote sollte in

der Gesamtverantwortung des Gemeinwesens liegen, wenn nicht Einzelfallhilfe auf dem

grauen Pflegemarkt ohne Versicherung und Schutz der Helfer/innen abgleiten sollen. Im Ein-

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zelnen sollten folgende pflegerische und gesundheitlich bezogene Maßnahmen eingeleitet

werden.

Konkrete Maßnahmen

• Das Anwachsen der Zahl pflegebedürftiger Menschen kann dann in Grenzen gehalten

werden, wenn Maßnahmen zur Prävention und Rehabilitation im Alter wesentlich stärker

berücksichtigt und eingesetzt werden, als es heute der Fall ist. Eine stärkere Intervention

in diese Richtung würde das Ausmaß an Pflegebedürftigkeit deutlich senken. Das Prob-

lem der Rehabilitation liegt darin, dass im SGB XI §31 der Vorrang der Rehabilitation vor

der Pflege zu beachten ist, aber die Zuständigkeit der Reha-Maßnahmen wiederum dem

medizinischen Rehabilitationsträger obliegt, das heißt, die gesetzlichen Krankenkassen

sollen vorrangig dafür aufkommen und die Pflegeversicherung ist Nutznießer dieser

Maßnahmen. Der Anreiz, Reha-Maßnahmen durchzuführen wird dadurch nicht erhöht.

Diese Leistungen sollten gleich der Pflegeversicherung übertragen werden (Enquete-

Kommission Demographischer Wandel, 2002).

• Die eigentliche Pflege und Betreuung wird in zunehmendem Maße von unterschiedlichen

Leistungsträgern erbracht. Die Leistungen müssen auf den Einzelfall abgestimmt werden.

Ihre Koordination ist eine aufwendige Aufgabe, da die Abstimmung nicht nur zwischen

Patient und Diensten, sondern auch zwischen Diensten untereinander erfolgen muss.

Dies betrifft die Abgrenzungen in der Zuständigkeit für einzelne Pflegeleistungen. Pflege-

konzepte sind zu entwerfen, an denen sich alle Beteiligten orientieren und Pflege- bzw.

Betreuungszeiten sind miteinander in Einklang zu bringen. Eine neutrale Beratung im

Sinne eines flächendeckenden Case-Managements (eventuell in Form von Service-

Stellen) sollte den Vorrang der häuslichen Versorgung durch Einschätzung und Abstim-

mung von privaten und sozialversicherungspflichtigen sowie Sozialhilfemaßnahmen leis-

ten.

• Alle Teilbereiche bergen eine Fülle an Überschneidungen und somit auch an Reibungs-

punkten. In der häuslichen Versorgung sollte der Hilfebedürftige bestimmen oder die

Hauptpflegeperson die Richtung angeben, was an Unterstützungen benötigt wird. Die

Stärkung der betroffenen Haushalte in dieser Frage und damit die Stärkung der Selbst-

bestimmung sollte durch die Einführung eines „personenbezogenen Budgets“, wie es

zum Beispiel das SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) in §17 vor-

sieht, in der Pflegeversicherung erfolgen. Eine Trennung der Versorgung pflegebedürfti-

ger alter Menschen von pflegebedürftigen alten Menschen mit einer Behinderung sollte

mit Hilfe von vernetzten Strukturen überwunden werden, in dem Behinderten- und Alten-

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hilfe zusammengelegt werden. Aus Sicht der Betroffenen ist diese Trennung für Betroffe-

ne nicht nachvollziehbar.

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4.0 Potenziale freiwilligen Engagements in der Pflege

4.1 Freiwilliges Engagement

Die Einbeziehung nichtfamiliärer Helfer/innen in die häusliche Betreuung eines pflegebedürf-

tigen Menschen hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Eine Ursache ist in

den verstärkten Aktivitäten zur Anwerbung von Helfern durch Träger sozialer Dienste und

Wohlfahrtsverbände zu sehen. Verschiedene Studien haben den Blick auf die Bereitschaft

zum bürgerschaftlichen Engagement in der Bevölkerung und auf seine Entwicklungsmög-

lichkeiten hingewiesen. Mit Bezug auf die Pflege wird ehrenamtliches bzw. bürgerschaftli-

ches Engagement als stützend und flankierend für die privaten Potenziale angesehen, da im

Zuge des Wandels der Haushalts- und Familienstrukturen wie auch im Zusammenhang mit

steigenden Morbiditäts- und Mortalitätsraten informellen Hilfen eine steigende Bedeutung

zukomme, so die Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ in ihrem Schlussbericht

2002. Die Autoren des Berichts setzen auf die Wirkung des freiwilligen Engagements als

Beitrag zur Erhöhung der Lebensqualität betroffener Pflegebedürftiger und als Beitrag zur

Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern zur Qualitätssicherung der Infrastruktur eines

Gemeinwesen, ohne dies jedoch weiter auszuführen. Ein weiterer Beitrag des freiwilligen

Engagements liegt überdies in der Kostensenkung der Pflege und Betreuung, selbst bei rela-

tiv unveränderter Versorgungslage durch familiäre Unterstützung. In Anbetracht des Aus-

maßes an bürgerschaftlichen Beteiligungsformen liegt die Vermutung nahe, dass ein nicht

unbeträchtliches Potenzial an Helfern und Helferinnen auch in sozialen und gesundheitsbe-

zogenen Betätigungsfeldern engagiert ist.

4.2 Definition

Eine Vielzahl von Bezeichnungen für unbezahlte Tätigkeiten, die sich nicht nur auf die eige-

ne Person, sondern zugleich oder auch ausschließlich auf andere richten, bildet die Formen-

vielfalt ab, in der sich Engagement äußert. Hierunter werden beispielsweise ehrenamtliche,

zivilgesellschaftliche, gemeinwohlorientierte, freiwillige oder auch bürgerschaftlich orientierte

Tätigkeiten gezählt. Ebenso fallen gemeinschaftliche Selbsthilfetätigkeiten, Bürger- und

Freiwilligenarbeit hierunter (Enquete-Kommission „Bürgerschaftliches Engagement, 2002).

Der hier verwendete Begriff „Freiwilliges Engagement“ wird ebenso wie der Begriff „Bürger-

schaftliches Engagement“ für Handlungen und zielgerichtete Tätigkeiten benutzt, die ohne

Zwang als Mitglied eines Gemeinwesens ausgeübt werden. Das bürgerschaftliche Engage-

ment bezieht darüber hinaus noch Handlungen mit ein, die als sogenannte Bürgerpflicht im

Rahmen des politischen Gemeinwesens vorgeschrieben sind.

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Ein weithin mit freiwilligem Engagement synonym verwendeter Begriff ist der des „Ehren-

amts“. Dieser ist jedoch stärker auf die Person zugeschnitten und in regelhafte stärker forma-

lisierte Strukturen eingebunden.

Anders dagegen ist es bei Selbsthilfetätigkeiten in selbstorganisierten Organisationen, die

als Selbsthilfegruppen eine weite Verbreitung gefunden haben und Ausdruck eines veränder-

ten Verständnisses von Engagement darstellen gegenüber der traditionellen ehrenamtlichen

Tätigkeit in formalen Organisationen. Sie versinnbildlichen den Hilfegedanken für Andere –

der ja auch dem Ehrenamt unterlegt ist - mit zugleich einer Orientierung auf sich selbst. Der

Gewinn aus der Selbsthilfetätigkeit ist zumeist zweiseitig angelegt. Selbsthilfegruppen bieten

ihren Akteuren Hilfe auf Gegenseitigkeit. Ihre Problembereiche sind sehr umfassend und

erreichen nahezu alle Felder persönlicher und gesellschaftlicher Themen. Gerade der Sozial-

und Gesundheitsbereich hat in den vergangenen ca. zwei Jahrzehnten eine deutliche Bele-

bung erfahren. Neben den als ehrenamtlich ausgeführten persönlichen Unterstützungsleis-

tungen bieten Tätigkeiten in Selbsthilfegruppen einen bedeutenden Beitrag zur Unterstüt-

zung im sozialen und gesundheitlichen Bereich zu dem vorrangig die Versorgung hilfe- und

pflegebedürftiger Menschen zu zählen ist.

In dieser Darstellung werden unter den Freiwilligen Engagements konventionelle, klassische

Formen des Ehrenamtes ebenso gefasst wie neue Formen gemeinschaftlicher Selbsthilfe

und Nachbarschaftshilfen. Diese Definition folgt der gebräuchlichen Bezeichnung wie sie

etwa auch im Freiwilligensurvey verwendet wurde (Rosenbladt, 2000).

4.3 Ehrenamt im Wandel, Veränderungen der Motivlagen Insgesamt macht der Wertesurvey 1997 bundesweit etwa 38% Engagierte über 18 Jahre aus

(Klages, 2000). Hierunter zählen freiwillige Engagements, die unentgeltlich ausgeführt wer-

den. Im Freiwilligensurvey von 1999 liegt der Anteil freiwillig Engagierter niedriger und wird

nun mit 34% der über 14-jährigen Bevölkerung angegeben, die Aufgaben, Tätigkeiten oder

Funktionen verantwortlich wahrnehmen. Von den bisher nicht Engagierten wäre jeder Vierte

an einem Engagement interessiert. Diese Personengruppe der noch nicht oder nicht mehr

Engagierten interessiert sich zu 16,1% für den Bereich „Soziales und zu 5,2% für den Be-

reich Gesundheit (Rosenbladt, 2000), Helmut Klages bezeichnet dies als „Schlafendes Po-

tential“ (Klages, a.a.O.).

Die Engagementmotive haben sich gewandelt, dies muss auch bei dem „Schlafenden Poten-

tial“ beachtet werden, wenn das Engagementverhalten und die Erwartungen gegenüber

Angeboten im freiwilligen Engagement angesprochen werden. Im Vordergrund scheinen die

selbstgestalterischen Tätigkeiten zu stehen wie sie beispielsweise in Projekten mit zeitlich

limitierter Dauer möglich sind. Solche Tätigkeiten müssen mit anderen Interessen vereinbar

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sein. Die Umsetzung erfolgt auch nicht mehr allein in gewohnten konventionellen Strukturen

von Großorganisationen, sondern weniger formalisiert in selbstgesteuerten Gruppen mit

noch offenen Rollenangeboten wie sie Selbsthilfegruppen bieten. Nach Klages fehlen aber

genügend Zugänge zu Engagementangeboten, so dass ein großer Teil der vorhandenen

Potenziale noch in Latenz verharrt. Der Wertesurvey von 1997 zeigte in seinen Ergebnissen

noch 50% Engagementbereite, die bisher noch keine Tätigkeit im freiwilligen Engagement

aufgenommen hatten (Klages, 1999). Dieses Potenzial wird auch mit dem Freiwilligen-

Survey bestätigt (Klages, 2000).

Bezogen auf NRW gaben ca. 21% der 40- 54-Jährigen an, ein Interesse an einer ehrenamt-

lichen Tätigkeit zu haben. Bei den 55 - 69-Jährigen waren es noch 16% und mit zunehmen-

den Alter lag die Bereitschaft bei den 70-Jährigen und Älteren nur noch bei 5,9% (Freiwilli-

gensurvey von 1999, gewichtet, nach Rohleder, 2002)

Im Wertesurvey wird ein Wachstum bürgerschaftlichen Engagements festgestellt, das sich

„außerhalb konventioneller Organisationsverfassungen und -formen“ vollzogen hat. Unter

dem Eindruck eines Wertewandels werden qualitative Veränderungen in Engagementmoti-

ven herausgestellt, die eine Umschichtung bisheriger Werte und Ergänzung mit neuen Ori-

entierungen sehen. Bisher dominierende Pflicht- und Akzeptanzwerte korrelieren mit „indivi-

dueller Verwirklichung und „aktiv sein“, Selbstentfaltungswerte mit gemeinschaftsorientierten

Werten.

Praktisch hat dies zur Folge, dass ein breites Spektrum an Formen wie auch an Motivlagen

des freiwilligen Engagements bereitstehen, die in konventionellen wie auch in unkonventio-

nellen Organisationsstrukturen zur Entfaltung kommen. Die Erscheinungsformen reichen von

freiwilligen, unentgeltlichen Engagements mit Gemeinwohlorientierung und eher informeller

Organisation bis zu formellen verbindlichen Mitwirkungen in ehrenamtlichen Tätigkeiten, die

in formellen Organisationen eingebunden sind.

Die wesentlichen Aspekte dieser neueren Entwicklungslinien lassen sich zusammenfassend

unter dem Blickwinkel eines Strukturwandels des bürgerschaftlichen Engagements als Aus-

druck einer Pluralisierung und Heterogenisierung von Engagementformen (Olk, 2001) sowie

einer Individualisierung innerhalb der Gesellschaft, die sich als Individualisierung des bürger-

schaftlichen Engagements niederschlägt, darstellen.

1. Pluralisierung des bürgerschaftlichen Engagements

Nicht allein mehr die klassische Organisationsform des Vereins bietet den Rahmen für frei-

willige Tätigkeiten, sondern es sind weitere Formen des Zusammenschlusses entstanden,

die vor dem Hintergrund zeitlicher Befristung, flexibler Einsatzformen und spontaner Entste-

hung direkt auf Fragen und Probleme eingehen können. Ihre Vielfalt entspricht der Pluralisie-

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rung der Lebensformen, die neue Bedürfnisse wie auch Problemlagen aufwerfen. Die Ver-

änderung in den Organisationsstrukturen kommen gerade den nahräumigen Sozialbereichen

zugute wie etwa Nachbarschaftshilfen oder selbst organisierten Sozialdiensten. Hier liegt

auch ein Teil des Neuen, die Selbstorganisation wird zum Bestandteil und zur Bedingung

des Engagements. Sie stellt ein Lernfeld dar und wird zur Bedingung von Zukunftsgestal-

tung.

2. Individualisierung des bürgerschaftlichen Engagements

Auch hier prägt gesellschaftlicher Wandel das Engagement. Traditionelle Bindungen und

Rollenausübungen weichen gegenüber Forderungen nach selbstständiger Lebensgestaltung

und der Suche nach Eigensinn. Die Teilnahme an freiwilligen Engagementformen steht allen

Interessierten offen, die Zugänge sind niederschwellig angelegt und Rollenerwartungen sind

weitgehend zurückgestellt. Das Engagement muss nur genügend Handlungsspielräume be-

lassen, die in die eigene Lebenssituation integriert werden können. Die relativ geringe Bin-

dung an neu geschaffenen Engagementfeldern wird zumeist auch als Problem gesehen, das

mit einer geringen Zuverlässigkeit einhergehe. Es kommt darauf an, welchen Grad der Ver-

bindlichkeit und Verlässlichkeit die jeweilige Tätigkeit erfordert. Freiwilligkeit im Engage-

ment(zugang) auf der einen Seite erfordert auf der anderen Seite Verlässlichkeit in der

Durchführung. Die Pflege und Betreuung eines Hilfebedürftigen kann beispielsweise einen

Orientierungs-Rahmen vorgeben, in dessen Grenzen das freiwillige Engagement geleistet

wird.

Wie lassen sich die neueren Befunde zur Erwartung der Engagierten an das ehrenamtliche

Engagement deuten? Belegen sie die These von einem Wandel an Zugangsmotiven und

Erwartungen an das freiwillige Engagement? Der Wandel von pflichtbezogenen Motiven zu

stärker selbstbezogenen Beweggründen im freiwilligen Engagement wird durch den Freiwilli-

gensurvey bestätigt. Demnach gewinnen Engagements an Bedeutung, die stärker die indivi-

duellen Wünsche und Bedürfnisse einbeziehen (Klages, 1999). Dies geht nicht etwa zu Las-

ten der traditionellen Dienst- und Pflichtbereitschaft, sondern diese Werte werden durch

Selbstentfaltungswerte unterstützt. So sind den ehrenamtlich Aktiven altruistische Motive wie

„Etwas für das Gemeinwohl zu tun“ oder „Anderen zu helfen“ annähernd genau so wichtig

wie eigennützige Erwartungen „Tätigkeit macht Spaß“, „Mit sympathischen Menschen zu-

sammenkommen“ oder „Eigene Kenntnis und Erfahrung erweitern“ (Rosenbladt / Picot,

1999). Gerade jüngere Befragte suchen auch eher den Zugang zu einem freiwilligen Enga-

gement, wenn die selbstentfaltungsbezogenen Erwartungen sich zu erfüllen scheinen.

Selbstentfaltungswerte scheinen somit zu einem Grundbestandteil freiwilligen Engagements

geworden zu sein. Auf der anderen Seite sind pflichtbezogene und auf Helfen orientierte

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Motive eher bei den älteren Menschen zu finden. Nach Ueltzhöffer / Ascheberg (1995) sehen

noch 32 % der über 70-jährigen ihr Engagement als „Bürgerpflicht“ an.

Der Alterssurvey zeigt ähnliche Motive bei den höheren Altersgruppen in NRW. Die über 55-

Jährigen engagieren sich in annähernd gleich gewichteten Motiven weil sie „Spaß haben

wollen“, sympatische Menschen treffen wollen“, das „Gemeinwohl fördern“ und „Menschen

helfen wollen“. Für mehr als 80% der Befragten aller Altersgruppen in NRW ist die Gemein-

wohlförderung ebenso „wie anderen helfen zu wollen“ ein Grundbestandteil ihres Engage-

ments (Rohleder a.a.O.).

Motivbündel als Auslöser für ehrenamtliches Engagement sind auch bei ehrenamtlichen

Kräften in Altentagesstätten und Altenclubs sowie bei den Teilnehmern von Altenselbsthilfe-

gruppen in NRW zu finden24. Hier wird noch einmal besonders der Wechsel in den Zu-

gangsmotiven zum freiwilligen Engagement deutlich. Selbst in so themengleichen Einrich-

tungen wie den Altentagesstätten mit wöchentlich an mehreren Tagen Besuchszeiten und

Altenclubs mit wöchentlicher oder seltenerer Öffnungszeit sind voneinander abweichende

Zugangsmotive beobachtbar. Ganz ähnlich wie in den Motiven, Familienangehörige unter-

stützen zu wollen liegen auch in den speziellen Einrichtungen der offenen Altenhilfe die Moti-

ve auf sehr persönlicher zwischenmenschlicher Ebene. Die in den Altenclubs anzutreffende

Gemeinschaftsorientierung wird auch durch Motive der hier engagierten Ehrenamtlichen un-

terstützt. Die Ehrenamtlichen sehen sich stärker in der Altersnähe der Besucher/innen und

ihren Problemen und suchen daher stärker die Einrichtung für diesen Personenkreis zu er-

halten. So liegen die Werte der Betroffenenmotive und die der sozialkritischen Motive deut-

lich höher als in den Altentagesstätten, in denen der Besucherkreis offener und die Ange-

bote vielfältiger ausgerichtet sind. In den Altentagesstätten überwiegen dagegen Selbster-

fahrungs- und Selbstgestaltungsmotive sowie kompensatorische Motive. Für deren Kreis

Ehrenamtlicher ist es wichtig, nicht nur für andere, sondern auch für sich etwas zu tun und

sie suchen einen Ausgleich für berufliche und/oder private Veränderungen.

An Einzelnennungen liegt das altruistische Motiv „weil man anderen Menschen helfen möch-

te“ an erster Stelle der Nennungen mit 76%, gefolgt von dem „Wunsch nach Mitgliedschaft in

einer Gemeinschaft“ mit 69% Nennungen. An dritter Position steht das Motiv: „Weil

man sich geistig und körperlich fit halten möchte“ (64%). Es folgen „Weil die Arbeit in der

Altentagesstätte, Altenclub ... unterstützt werden soll“ (60%) und mit 58% Nennungen die

24Dettbarn-Reggentin / Reggentin, 2002b, Freiwilliges Engagement älterer Menschen, Band 2 Modernisierungs-bedarf in der offenen Altenarbeit. Diese Studie wurde auf der Basis einer repräsentativen Befragung der ehren-amtlichen Mitarbeiter/innen der Altentagesstätten und Altenclubs in Nordrhein-Westfalen erstellt, sowie der Träger und der Kommunen (Kreise und kreisfreie Städte). In NRW existieren ca. 6.600 solcher Einrichtungen.

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religiösen Motive mit „Weil der Glaube und die christliche Nächstenliebe praktiziert werden

soll und „Weil man Mitglied einer Kirche bzw. eines Wohlfahrtsverbandes ist“ (57%). Etwa

jede/r Zweite gab die „Suche nach Kontakten zu anderen Menschen und Freundschaften“

(52%) als Kontaktmotiv an.

Die Befragten Ehrenamtlichen in den Altenbegegnungsstätten repräsentieren einen Kern

ehrenamtlich Aktiver, die dem Bild eines selbstlos Helfenden entsprechen und oft bereits

Jahrzehnte ihr Engagement ausüben. Die Antworten zeigen, dass auch bei diesen freiwillig

Engagierten immer auch ein Eigeninteresse Bestandteil ihres Wirkens gewesen ist

Abbildung 6: Engagementmotive ehrenamtlich Tätiger in NRW in %

Kontaktmotive15%

Sozialkritische Motive11%

Altruistische Motive25%

Kompensat. Motive8%

Religiöse Motive15%

Betroffenenmotive14%

Selbstgestaltungs-motive

12%

Ökonomische Motive0%

ISGOS 2000Mehrfachantworten auf 100% gesetzt

Quelle: Dettbarn-Reggentin / Reggentin, 2002b, N=279

Das noch am häufigsten genannte Motiv, anderen Helfen zu wollen, ist auch in der Selbsthil-

fe präsent, es steht jedoch als eigenständiges Motiv nicht auf der Liste der Nennungen. Es

ist verbunden mit Interesse an der Sache oder den Menschen und deren (gleichartigen) Pro-

blemen. Der Glaube und die christliche Nächstenliebe als Beweggrund, anderen und somit

auch sich helfen zu wollen, war zwischen 1992 und 1998 deutlich rückläufig. Auslöser für ein

Engagement waren immer mehrere Anlässe und Beweggründe. Auch die sind von der An-

zahl her gestiegen.

Noch deutlicher wird der Unterschied zwischen altem Ehrenamt und neuem Engagement,

wenn wir einen Vergleich der Motive der Akteure zwischen Ehrenamt in Einrichtungen der

offenen Altenhilfe und (neuer) Selbsthilfe in Altenselbsthilfegruppen, -projekten und -

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initiativen anstellen. Das Alter der hier Befragten liegt in den Altenbegegnungsstätten zwi-

schen 40 und 85 Jahren (im Mittel bei 64 bis 68 Jahren), in den (Alten-)Selbsthilfegruppen

zwischen 30 und 90 Jahren (im Mittel bei 64 Jahren)25

Abbildung 7: Engagementmotive im Vergleich in NRW in %

0 5 10 15 20 25Kon

takt

mot

ive

Sozi

alkr

itisc

he M

otiv

e

Ehrenamt Selbsthilfe

ISGOS 2000Mehrfachnennungen auf 100% gesetzt

Ehrenamtliche in Altenbegegnungsstätten in NRW, N=279; Mitglieder von Selbsthilfegruppen in NRW, N=694 Ökonomische Motive sind in der Selbsthilfe kein Thema, während die Antwort: „Weil man

anderen Menschen helfen möchte“ auf die Frage nach dem Motiv sich in der Selbsthilfe so

nicht stellt und daher auch mit den Motiven der Ehrenamtlichen nicht direkt verglichen wer-

den kann.

Kontaktmotive und Selbstgestaltungsmotive liegen in Selbsthilfegruppen erheblich über de-

nen der Ehrenamtlichen. Auch kompensatorische Motive und etwas abgeschwächt die Be-

troffenenmotive sind ebenfalls klar höher, als bei den Ehrenamtlichen. Dagegen sind die reli-

giösen Motive bei den Ehrenamtlichen deutlich stärker vertreten und die sozialkritischen Mo-

tive liegen leicht über denen der Selbsthilfegruppenteilnehmer/innen.

25 Reggentin / Dettbarn-Reggentin, 1998, Selbsthilfe im Alter, Projekte älterer Menschen und Seniorenbeiräte in NRW.

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In den Kommunen in NRW konnten drei Orientierungen des sozialen Engagements Älterer

unterschieden werden:

Das ist erstens das Ehrenamt in seiner beschriebenen Ausprägung mit stark altruisti-

schem Kern und im Motivbereich religiös und gemeinschaftsorientiert. Diese Orientie-

rung ist unter den Älteren heute abnehmend aber für die Unterstützung von Men-

schen/Besuchern höheren Alters weiterhin bedeutungsvoll und unentbehrlich.

Die zweite Ausrichtung geht in die Richtung, die auch als neues Ehrenamt bezeichnet

wird. Dieser Personenkreis rekrutiert sich altersmäßig vornehmlich aus den jüngeren

Alten und sucht neben Unterhaltung neue Angebote wie Reisen, neue Medien, zeit-

lich begrenzte Aufgaben. Dieser Anteil ist wachsend. Ganz ähnliche Ergebnisse er-

brachte der Freiwilligensurvey, bezogen auf NRW (vgl. Rohleder / Bröscher, 2002).

Der dritte Schwerpunkt seniorenbezogenen Engagements umfasst die Aktivitäten in

Selbsthilfegruppen, Initiativen und Projekten. Vornehmliche Altersgruppe ist die der

Jungen Alten, aber auch Teilnehmer/innen höheren Alters finden hier Möglichkeiten

der Selbsterfahrung, Selbstgestaltung und des Einsatzes für sich und andere (Dett-

barn-Reggentin / Reggentin, 2002b).

4.4 Verbreitung ehrenamtlichen Engagements in Nordrhein- Westfalen

Alle angesprochenen Formen des Engagements sind auch in dem hier angesprochenen

Thema verbreitet. Insgesamt hat sich der Sozial- und Gesundheitsbereich als eine treibende

Kraft in der Entwicklung immer neuer Solidarformen erwiesen. Gemessen an der Verbreitung

des freiwilligen Engagements in NRW im Jahr 2001, in dem etwa 2,24 Millionen Menschen

über 16 Jahren (16,8% der über 16-Jährigen)26 regelmäßig mindestens einmal monatlich in

einer freiwilligen Tätigkeit aktiv waren (auf der Basis von SOEP), stellt der Sozial- und Ge-

sundheitsbereich einen geringen aber auch ausbaufähigen Anteil. Insgesamt verteilt sich das

freiwillige Engagement zu etwa 10% auf den Sozial- und Gesundheitsbereich (Freiwilligen-

Survey, 1999). In NRW nimmt der Sozialbereich in der Beliebtheitsskala einen mittleren

Rang ein, wobei die Beliebtheit mit steigendem Alter steigt: Sozialer Bereich bei 40 - 54-

Jährigen zu 11,8%, bei 55 - 69-Jährigen zu 16,7% und bei über 70-Jährigen zu 18,7% (Roh-

leder, a.a.O.) Bei neueren Engagementformen stellt dieser Teilbereich heute beispielsweise

den Hauptanteil an allen Selbsthilfegruppen.

26 Klenner / Pfahl u.a. kommen in ihrer Studie „Ehrenamt und Erwerbsarbeit (WSI-Studie, 2001) zu ähnlichen Ergebnissen von 16% für NRW, wie das SOEP.

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Das freiwillige Engagement im Vergleich der Bundesländer sieht Nordrhein-Westfalen nach

dem Freiwilligen-Survey auf einem mittleren Rang liegend mit etwa gesamtdurchschnittlichen

Werten (Rosenbladt, 2000). Demnach übt in Nordrhein-Westfalen etwa jede(r) Dritte (35%

der Bevölkerung über 14 Jahren) in irgendeiner Form ein freiwilliges Engagement aus. Da in

dem Freiwilligen-Survey auch Engagements mit sporadischem Umfang einbezogen werden,

ist der angegebene Prozentsatz deutlich höher, als in dem Sozioökonomischen Panel

(SOEP). Für unsere Darstellung sind jedoch nur Tätigkeiten relevant, die regelmäßig ausge-

übt werden und die liegen bei annähernd 17% der über 16-jährigen Bevölkerung in NRW.

Ähnliche Anteile beschreibt die Zeitbudget-Studie 2001/2002. Danach sind 18% der Erwach-

senen bundesweit (über 18-Jährige) ehrenamtlich tätig (Stat. Bundesamt, 2003). In dem Al-

ters-Survey von 1996 wurden 13,1% der 40 - 85-jährigen Bevölkerung in NRW ermittelt, die

eine ehrenamtliche Tätigkeit in Vereinen und Verbänden ausüben (Rohleder a.a.O).

Der Alterssurvey hat auf unser Thema bezogen drei relevante Beteiligungen zusammenge-

zogen: Beteiligung an ehrenamtlichen Tätigkeiten, (Enkel-)Kinderbetreuung und Pflegetätig-

keit.

Mehr als jede dritte Person dieser Altersgruppe war mindestens in einem der drei zusam-

mengefassten Bereiche tätig. Der Anteil der Frauen lag um etwa 1%-Punkt höher, der Anteil

der Männer um etwa 1%-Punkt darunter. In der folgenden Grafik wird die Verteilung nach

Altersgruppen vorgenommen.

Abbildung 8: Beteiligung an ehrenamtlichen Tätigkeiten, Pflege und Enkelbetreuung BRD (alt)

0 5 10 15 20 25 30

40 - 54 Jahre

55 - 69 Jahre

70 - 85 Jahre

40 - 85 Jahre

Ehrenamt Pflegetätigkeit Enkelbetreuung

Quelle: Künemund, 2000. Alters-Survey 1996, gewichtet.

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In dieser Übersicht wird die abnehmende Beteiligung an freiwilligen Engagements mit stei-

gendem Alter sichtbar aber auch die Veränderung in der Pflegetätigkeit, die in der oberen

Altersgruppe ebenfalls zurückgeht.

Rohleder u.a. ermitteln an Hand des Sozioökonomischen Panels für NRW in der Altersgrup-

pe der 40 - 54-Jährigen einen Anteil Ehrenamtlicher von 4,4%, die Hilfe- oder Pflegebedürfti-

ge in Privathaushalten versorgen. Bei den 55 - 69-Jährigen sind es 6,7% (Rohleder, a.a.O.)27

Bei aller Verschiedenheit der Ergebnisse zum Anteil Engagierter in der Gesellschaft, die auf

unterschiedliche Fragestellungen und Annahmen in der Zuordnung zu diesem Feld herrüh-

ren, gibt es Merkmale, die über die verschiedenen Repräsentativstudien (SOEP, Freiwilligen-

Survey, Alters-Survey) hinweg annähernd Gemeinsamkeit aufweisen.

1. Im Vergleich der Altersgruppen untereinander kommen alle drei Studien zu dem Er-

gebnis, dass mit steigendem Alter ein Rückgang im freiwilligen Engagement zu ver-

zeichnen ist.28 So finden sich bei den 40 - 54-Jährigen die höchsten Engagementra-

ten, während sie kontinuierlich abnehmend in der Altersgruppe der über 70-Jährigen

die geringste Ausprägung erfahren.

2. Die Beteiligung der Frauen am freiwilligen Engagement liegt unter derjenigen der

Männer. Mit steigendem Alter wird dieser Abstand noch größer.

3. Das Engagement der Frauen liegt zwar generell unter dem der Männer, in einigen

Bereichen liegt die Frauenquote jedoch über derjenigen der Männer. Insbesondere in

den Bereichen Schule / Kindergarten, sozialer Bereich und in dem Gesundheitswe-

sen dominieren Frauen mit einem Anteil von ca. zwei Drittel (Freiwilligensurvey,

2000).

Merklich unterscheiden sich die Zahlen und Quoten bei der Einschätzung des Anteils Enga-

gierter an der Bevölkerung. Mit einer Einschätzung von 18% ehrenamtlicher Beteiligung der

Erwachsenen im Jahr 2001/2002 liegt die Zeitbudgetstudie am unteren Ende der Teilnahme-

quoten. Der Freiwilligensurvey geht von 34% der Bevölkerung aus, die sich freiwillig enga-

gieren, das Sozioökonomische Panel macht im Jahr 1999 32,1% freiwillig Engagierte aus,

also ganz ähnlich wie der Freiwilligen-Survey (für NRW 32,7%29 und für 2001 etwas geringer

mit 29,8%). Unter Berücksichtigung aller Merkmale, die zur Einschätzung der Quoten in die

genannten Studien eingeflossen sind, erreicht der Alters-Survey vergleichbare Quoten. So

lässt sich zusammenfassen, dass in den vergangenen Jahren sich ein Anteil von freiwillig

Engagierten herausgebildet hat, der im Jahr 2001 etwa jede dritte Person im Alter zwischen

16 und 85 Jahren erfasst hat. Berücksichtigt werden Personen mit regelmäßiger freiwilliger

27 Allerdings liegen hier nur geringe Fallzahlen vor und sind nicht repräsentativ für NRW. 28 Der Vergleich verschiedener Repräsentativstudien auf der Basis von NRW-Daten (gewichtet) wurde von Roh-leder / Bröscher in dem Projekt “Freiwilliges Engagement älterer Menschen“, 2002, Band 1, vorgenommen. 29 Eigene Berechnung, gewichtet.

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Tätigkeit für andere ebenso wie Personen mit eher sporadischen Einsätzen (weniger als ein-

mal monatlich).

In den Zeitreihen des Sozioökonomischen Panels (SOEP)30 lassen sich gewisse Trends ab-

lesen, welche Schwankungen in einzelnen Altersgruppen und welche regelmäßigen oder

eher sporadischen Engagements im Zeitverlauf wahrgenommen werden. Da die Zeitreihe

des SOEP die einzige Erhebung ist, die über einen längeren Zeitraum unter anderem auch

die ehrenamtlichen Tätigkeiten gemessen hat, soll mit Hilfe des SOEP in der folgenden Ta-

belle die Entwicklung des Ehrenamts in NRW verdeutlicht werden. Hier sind Personen von

über 16 Jahren einbezogen worden. Von 1986 bis 2001 sind leichte Steigerungen in der Be-

teiligung zu verzeichnen. Dabei fällt die Entwicklung in den verschiedenen Altersgruppen

unterschiedlich aus. In der jüngsten Altersgruppe der 16 - 39-Jährigen ist bis 1999 eine kon-

tinuierliche Steigerung zu erkennen, die dann aber rückläufig ist. Leicht schwankend fallen

die Beteiligungsraten in den beiden nächst höheren Altersgruppe aus, während in der höchs-

ten Altersgruppe die Zunahme annähernd kontinuierlich verläuft.

Abbildung 9: Entwicklung des Ausmaßes des ehrenamtlichen Engagements in NRW in Vereinen, Verbänden und sozialen Einrichtungen nach Alter in %

0,0

5,0

10,0

15,0

20,0

25,0

30,0

35,0

40,0

45,0

in %

1988 1994 1999 200116-39 Jahre 40-54 Jahre 55-69 Jahre 70 Jahre u.ä.ISGOS

30 Das SOEP führt seit 1984 jährlich wiederholte Befragungen bei Haushalten und Personen durch, die repräsen-tative Quer- und Längsschnitte der deutschen Bevölkerung aufzeigen. Der Fragenblock zur ehrenamtlichen Tä-tigkeit erfolgt ca. alle zwei Jahre mit der Frage: „Welche der folgenden Tätigkeiten üben Sie in Ihrer freien Zeit aus? Geben Sie bitte zu jeder Tätigkeit an, wie oft Sie das machen?“ Wir haben uns hier nur auf die ehrenamtli-chen Tätigkeiten in Vereinen, Verbänden und sozialen Diensten beschränkt. Die Angaben zu Parteien, Bürgerini-tiativen sind für unser Thema nicht relevant. Quelle: Sozio-ökonomisches Panel, eigene Berechnungen, gewichtet, hier wurden die Daten zum Ehrenamt zu-sammengefasst ((jede Woche, jeden Monat, seltener), hier ohne Ausländeranteile.

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Im Zeitverlauf sind zwei Merkmale zu erkennen. Zum einen verläuft die Steigerung der Betei-

ligungsraten der Frauen kontinuierlicher und zum anderen sind die Wachstumsraten in der

höchsten Altersgruppe am größten.

Zahlen für den Bereich Ehrenamt und Pflege liegen derzeit für NRW nicht vor. Eine Evaluati-

on von Projekten zum Thema Versorgung demenziell Erkrankter und Ehrenamt, die im Rah-

men der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW gefördert wurden, ist derzeit begonnen worden. Er-

gebnisse liegen noch nicht vor. Eine systematische Bestandsanalyse und Wertung steht für

NRW noch aus. Dies gilt auch für den Bereich der niedrigschwelligen Angebote in NRW, die

nach Aussage des Ministeriums für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie im Juli 2004

ca. 300 Gruppen umfassen.

4.5 Zeitaufwand und Zeitverfügung

Wir hatten bereits dargestellt, dass der Engagementbereich Soziales und Gesundheit in der

Nachfrage der Engagierten eher im Mittelfeld der Themen angesiedelt ist. Das Engagement-

feld wird deutlich von Themen wie Sport und Bewegung oder Freizeit und Geselligkeit domi-

niert. Umso bedeutender ist die Beobachtung, dass gerade die Themen Gesundheit und

Sozialer Bereich die höchsten Zeitaufwendungen pro engagierter Person aufweisen. Die in

diesen Feldern sich engagierenden Personen wenden im Mittel 23,5 Stunden im Bereich

Gesundheit und 20 Stunden im Bereich Soziales auf. Zum Vergleich: Im Bereich Sport und

Bewegung liegt der wöchentliche Stundenaufwand bei 16 Stunden und für Freizeit und Ge-

selligkeit werden 12,9 Stunden eingesetzt. Der monatliche Zeiteinsatz liegt dabei bei einem

Drittel der freiwilligen Akteure bei 20 Stunden und mehr (Freiwilligensurvey, 2000).

Auch in der Zeitbudgetstudie (2003) wurde der Aufwand an ehrenamtlicher Tätigkeit gemes-

sen. Sie hat einen wöchentlichen Zeitaufwand von 52 Minuten im Durchschnitt aller Erwach-

senen (über 18 Jahren) ermittelt. Werden nur die Personen berücksichtigt, die auch tatsäch-

lich ein Ehrenamt ausüben, so liegt der zeitliche Anteil jedoch schon bei 4 3/4 Stunden pro

Woche. Alleinlebende sind nach dieser Studie mit ca. 6 Stunden wöchentlich am stärksten

engagiert. Dabei beträgt der Unterschied zwischen den Geschlechtern lediglich 10 Minuten

zugunsten der Männer. Einen vergleichbaren Stundenaufwand ermittelte auch der Alten-

Survey für die Ausübung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und Verbänden mit im Mittel

annähernd 18 Stunden monatlich (Künemund, 2000). Etwa jede zweite Person war täglich

(7,4%) bis wöchentlich (44,4%) im Einsatz 31.

31 Der Freiwilligen-Survey (2000) gibt einen vergleichbaren Aufwand von täglich bis wöchentlich für 49% der Eh-renamtlichen an, wobei mehr als 20 Stunden pro Monat von ca. einem Viertel der Engagierten geleistet wird.

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Wird einer beruflichen Beschäftigung nachgegangen, investieren Arbeitnehmer/innen in den

Westbundesländern 14,3 Stunden im Monat (Klenner u.a., WSI-Studie, 2001), das sind ca.

acht Stunden weniger, als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung nach dem Freiwilligen-

Survey. Hier scheint sich das knappere Zeitbudget der Erwerbstätigkeit auszuwirken. Ande-

rerseits muss vermerkt werden, dass unter den abhängig Beschäftigten ein „hochaktives“

Potenzial an Ehrenamtlichen zu finden ist. Dieses Potenzial liegt bei 3% aller Beschäftigten

und stellt somit etwa jede(n) Dritte(n) ehrenamtlich tätigen Erwerbstätigen (ebda.). Die bun-

desweit erhobenen Daten werden durch die auf NRW erweiterte Studie des WSI bestätigt.

4.6 Zugangswege zum ehrenamtlichen Engagement, früheres Engagement

Es ist für das freiwillige Engagement junger Menschen förderlich, wenn sie zwischen 14 und

24 Jahre alt sind, in ihrem Wohnort geboren sind, dort gerne leben und einen großen Be-

kanntenkreis haben. Zudem ist eine starke Kirchenbindung, politisches Interesse sowie eine

höhere Schulbildung förderlich (Rauschenbach, 2001). Spaß haben, das Ehrenamt jederzeit

wieder beenden können und die Möglichkeit der Mitbestimmung wahrnehmen zu können

steht in der Reihenfolge der Wünsche an das Ehrenamt nach der Shell-Jugendstudie von

1997. Das fördert die Beteiligung an Einzelprojekten mit konkreter Zielsetzung und Thematik.

Ein anderer Aspekt betont die „biografische Passung“, nach der die Zugehörigkeit zu einem

sozialen Milieu nicht mehr die Bedeutung zukommt, sondern wichtiger noch ist die Koppe-

lung der freiwilligen Tätigkeit an eigene biografisch konstituierte Erfahrungen und Fähigkei-

ten (Heinze / Olk, 1999).

Werden ältere Ehrenamtliche in NRW heute nach ihren Vorerfahrungen im freiwilligen Enga-

gement befragt, so geben bei den über 55-Jährigen die überwiegende Mehrheit der Enga-

gierten an, den Zugang bereits in jungen Jahren bzw. im mittleren Lebensalter gefunden zu

haben. Von den über 55-Jährigen üben 60% ihre ehrenamtliche Tätigkeit bereits länger als

10 Jahre aus (Rohleder, 2002, nach Freiwilligen-Survey 2000).

Der Freiwilligen-Survey ermittelte auf Bundesebene ein hohes Potenzial an Interessenten

am freiwilligen Engagement. Bei den derzeit bereits Engagierten würde etwa jeder Dritte o-

der 11% von allen Befragten ihr Engagement erweitern. Bei den Personen, die derzeit nicht

engagiert sind, würde annähernd jeder Zweite mit Engagementerfahrung (10% von allen

Befragten) und mehr als jeder Dritte von den bisher noch nicht Engagierten (16% von allen

Befragten) ein Engagement aufnehmen. Insgesamt ermittelte der Freiwilligen-Survey 37%

der Bevölkerung ab 14 Jahren mit einem Interesse an freiwilligem Engagement, zusätzlich

zu den bereits gezählten freiwillig Engagierten. In allen Zahlen sind auch Engagierte enthal-

ten, die nur eine sporadisch ausgeführte Tätigkeit angaben.

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Expertise: Freiwilliges Engagement und Solidarpotenziale... Ausführung: ISGOS-Berlin

Die Auswertung des Freiwilligensurvey für NRW hat bezüglich der Mobilisierbarkeit von bis-

her nicht Engagierten durchaus vergleichbare Werte ergeben. Differenziert nach den Alters-

gruppen, die auch das Hauptpflegepotenzial stellen zeigt sich, dass mit steigendem Alter die

Bereitschaft zu einer ehrenamtlichen Tätigkeit sinkt. So könnte sich jede/r Zweite im Alter

zwischen 40 und 54 Jahren (Antwort: ja und vielleicht zusammengefasst) vorstellen, eine

ehrenamtliche Tätigkeit aufzunehmen. Bei den 55 - 69-Jährigen sinkt diese Zahl auf 34,5%

und in der Altersgruppe der 70-Jährigen und Älteren beträgt dieser Anteil lediglich 12,9%

(Rohleder u.a., 2002).

Was stehen dem Engagement für Gründe entgegen?

Barrieren gegen die Aufnahme eines ehrenamtlichen Engagements sind in den Altersgrup-

pen der 40 - 54-Jährigen insbesondere in der fehlenden Versicherung, im Alter (so etwas ist

nichts für Leute in meinem Alter), oder in der fehlenden persönlichen Eignung zu sehen. Die

Altersgruppe der 55 - 69-Jährigen sieht in der fehlenden Zeit, in der fehlenden Versicherung,

im Alter wie auch in der fehlenden persönlichen Eignung Hinderungsgründe, während die

über 70-Jährigen den fehlenden Versicherungsschutz, ihr Alter und etwas abgeschwächt die

fehlende Zeit, sowie finanzielle Belastungen als Argument hervorbringen.

Wenn das Potenzial für die Übernahme von ehrenamtlichen Aufgaben gewonnen werden

soll, müssen die wesentlichen Hinderungsgründe beseitigt werden. Das hieße für NRW:

1. Die Ehrenamtlichen müssen für ihre Tätigkeit versichert werden.

2. Den Personen, die sich nicht für geeignet halten, muss eine klare Aufgabenstellung ver-

mittelt werden mit fachlicher Begleitung und mit Einführungskursen, die auf persönliche

Voraussetzungen eingehen.

3. Die Angebote im Pflege- und Betreuungsbereich sollten zunächst zeitlich limitiert werden,

um die Angst vor einer Vereinnahmung zu nehmen. Damit könnte auch die Angst ge-

nommen werden, Alter als Hinderungsgrund anzusehen.

4. Finanzielle Einbußen durch ehrenamtliches Engagement müssen nicht sein, daher sind

für alle ehrenamtlichen Tätigkeiten im Pflegebereich ausreichende Auslagenerstattungen

zu gewähren. Eine finanzielle Vergütung wird nur von einem kleinen Teil der freiwillig En-

gagierten gewünscht und betrifft die 40 - 59-Jährigen zu etwa 22 - 25%. In höheren Al-

tersgruppen spielt dies keine Rolle mehr.

Der Sozial- und Gesundheitsbereich zählt zu den Feldern ehrenamtlicher Tätigkeit, in denen

in drei Bereichen von aktiven Ehrenamtlichen überdurchschnittlich häufig Verbesserungen

eingefordert werden. Zu den benannten vier Hinderungsgründen für ein ehrenamtliches En-

gagement müssen diesen Kritikpunkten ebenso hohe Beachtung geschenkt werden, da

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Expertise: Freiwilliges Engagement und Solidarpotenziale... Ausführung: ISGOS-Berlin

sonst die heute freiwillig Engagierten sich auf längere Sicht aus dem Ehrenamt zurückziehen

könnten. Diese Bereiche sind:

5. Bessere Information und Beratung über Gelegenheiten zum ehrenamtlichen Engage-

ment,

6. Öffentliche Anerkennung durch Berichte in Presse und Medien wie auch

7. Öffentliche Anerkennung in Form von Ehrungen u. ähnlichem (Rosenbladt, 2000)

Gegen den als zu hoch empfundenen Zeitaufwand, der eine Unvereinbarkeit mit Familie und

Beruf auslöst und für eine große Zahl von bereits ehrenamtlich Engagierten der Grund zur

Aufgabe ihres Engagements war, lässt sich jedoch nur wenig entgegensetzen.

Interessant an diesem Ergebnis ist das hohe Interesse an Tätigkeiten im Sozialbereich und

im Gesundheitsbereich (Klages, 2000). Ebenso bedeutend ist die Vermutung, dass sich die

Potenziale nicht einfach abrufen lassen, dass die „stille Reserve“ sich bei Bedarf nicht ein-

fach aktivieren lässt. Vielmehr muss angenommen werden, dass das Ehrenamt sich dann

aktivieren lässt, wenn es als solches auch in seiner Bedeutung von denen wahrgenommen

wird, die das Handlungsfeld bereitstellen. Es muss erkennbar gemacht werden, welche Er-

wartungen an die Tätigkeit gesetzt werden können, hinzu kommen Anerkennungsfragen,

Weiterbildungsmöglichkeiten, Aufwandsentschädigungen, Spielraum für selbstständiges

Handeln und Zuerkennung von Verantwortung. Aber auch die Chance zum Wechsel ohne

große Rechtfertigungszwänge ist ein Kriterium für die Beteiligung.

Für ein Engagement im Bereich der Pflege gibt es ebenso viele gute Gründe wie auch ge-

genläufige Argumente, die aus der Sicht potenziell Interessierter an ehrenamtlicher Tätigkeit

bestehen. Die in Kapitel 7 aufgeführten Beispiele belegen die guten Gründe und machen

Hoffnung, dass sich aus dem Kreis von Anwärtern viele Interessierte dem Pflegelbereich

zuwenden.

4.7 Gender - Geschlecht

Der Anteil von Frauen an einem freiwilligen Engagement liegt in den hier einbezogenen Stu-

dien insgesamt unter der Quote der Männer. Der Freiwilligen-Survey (a.a.O.) benennt für

NRW 31,1% der weiblichen Bevölkerung gegenüber 36,0% der männlichen Bevölkerung in

einem freiwilligen Engagement. Zu ähnlichen Befunden kommen auch andere Studien wie

etwa der Alters-Survey (a.a.O.), der bezogen auf den Bereich ehrenamtlicher Tätigkeiten die

Männer in den alten Bundesländern mit 19,1% vorne sieht gegenüber den Frauen mit 8,1%.

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Auch das SOEP ermittelt in NRW für Männer höhere Beteiligungsraten mit 33,0% gegenüber

22,9% für Frauen unter Berücksichtigung auch der nur sporadisch ausgeführten Engage-

ments (Rohlder u.a., 2002).

Frauen sind in den verschiedenen Bereichen des Engagements unterschiedlich präsent und

unterscheiden sich auch hierin von Männern. So sind sie stärker in Bereichen mit gesund-

heitlich, betreuenden oder helfenden Aufgaben engagiert. Männer sind stärker in Bereichen

mit Freizeitbezug, bildungsorientiert oder in politisch ausgerichteten Tätigkeiten einbezogen.

4.8 Ehrenamtliches Engagement und Erwerbstätigkeit

Das meist genannte Argument, das sich gegen die Teilnahme an einem Ehrenamt richtet

lautet: „Für so etwas fehlt mir die Zeit“. Verständlich, das diese Antwort aus der Altersgruppe

der 40 - 54-Jährigen kommt, die mitten im Berufsleben und zumeist auch familiär hoch bean-

sprucht sind (Freiwilligen-Survey, 2000). Sie wirft jedoch ein schiefes Licht auf die Voller-

werbstätigen. Die Koordination von Beruf und Ehrenamt scheint doch zu gelingen.

In NRW sind ebenso viele abhängig Beschäftigte ehrenamtlich tätig wie nicht Erwerbstätige,

Selbstständige oder nur Nebenerwerbstätige. Jedoch sind die abhängig Beschäftigten mit

weniger Zeitaufwand (25 Stunden im Monat) in einem Ehrenamt tätig, als nicht Erwerbstätige

(33 Stunden) (Klenner u.a., 2001). Die Tätigkeitsbereiche der Beschäftigten in NRW sind wie

bereits in der Gesamtbevölkerung gesehen, geschlechtlich unterschiedlich besetzt. In den

hier interessierenden Bereichen Soziales und Gesundheit dominieren die Frauen in ihrem

Engagement eindeutig. Der Sozialbereich wird von 16,3% der Frauen und 8,5% der Männer

und der Gesundheitsbereich/Pflege von 5% der Frauen und 1,5% der Männer gewählt. Ins-

gesamt überwiegt jedoch die Beteiligungsrate der Männer an einem Ehrenamt. In West-

deutschland sind 20,3% der vollerwerbstätigen Männer und 12,8% der vollerwerbstätigen

Frauen ehrenamtlich tätig. Bezogen auf eine Teilzeittätigkeit ergibt sich ein leicht umgekehr-

tes Bild. Hier sind 18,8% der Männer gegenüber 20,7% der in Teilzeit erwerbstätigen Frauen

ehrenamtlich tätig. Die Teilzeiterwerbstätigkeit der Frauen, die auch noch eine Familie und

Kinder zu versorgen haben, erreicht deutlich höhere Beteiligungsquoten, die nur noch von

alleinerziehenden Männern mit 27,3% Beteiligung überboten werden. Beeinflusst werden die

Teilnahmemöglichkeiten durch Sonntags-, Samstags oder Schicht- bzw. Nachtarbeit. Wenn

diese regelmäßig durchgeführt wird, fällt die Teilnahme der Frauen auf ein Niveau von 8% ab

während Männer auch bei dieser Arbeitszeit weiter im Durchschnitt der Beteiligungsraten

liegen. Probleme ergeben sich aus der zeitlichen Koordination von Erwerbsarbeit und Eh-

renamt, in NRW gelingt diese Koordination nur bei 39% der Vollzeitbeschäftigten aber zu

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Expertise: Freiwilliges Engagement und Solidarpotenziale... Ausführung: ISGOS-Berlin

52% bei den Teilzeitbeschäftigten. Männer in Vollzeitbeschäftigung (ohne regelmäßige Ü-

berstunden) mit einem Ehrenamt stehen zu 36% einer kürzeren Arbeitszeit gegenüber.

Förderlich für eine Vereinbarung von Ehrenamt und Erwerbstätigkeit sind auch Arbeitszeit-

konten und Gleitzeitkonten, die mehr Zeit für eine Gestaltung des Ehrenamtes lassen.

Freistellungsrechte für die Ausübung eines Ehrenamtes in der Pflege sind bisher nicht rele-

vant, sie sind in der Praxis kaum verbreitet. Sie treffen eher auf andere Bereiche wie gericht-

liche oder politische Ehrenämter zu. In NRW besitzen ca. 22% aller Erwerbstätigen Freistel-

lungsrechte (Männer 30%, Frauen 15%). Für Ehrenämter im Sozialbereich sind Feristel-

lungsrechte vermutlich sehr selten anzutreffen. Solche Rechte bestehen etwa für Mandats-

träger in politischen Ämtern, Schöffen, Betriebs- und Personalräte, Jugendvertreter/innen,

Schwerbehindertenvertrer/innen, Frauenbeauftragte, Feuerwehr u.ä.. Da Männer in diesen

Bereichen gegenüber den Frauen dominieren, nehmen sie auch die Freistellungsrechte häu-

figer wahr. Von den berufstätigen Ehrenamtlichen mit Freistellungsrechten nutzt etwa zwei

Drittel diese Rechte, davon aber nur jeder Zweite höchstens einmal pro Jahr. Diese seltene

Nutzung des Freistellungsrechts führt in der Regel nicht zu Schwierigkeiten mit dem Arbeit-

geber. Die Unterstützung durch Freistellungsrechte wird aus Sicht der Arbeitnehmer nur von

jedem Vierten mit der Hoffnung verbunden, hierüber eine bessere Vereinbarkeit zwischen

Ehrenamt und Berufsarbeit zu bekommen. Es werden andere Lösungen favorisiert, insbe-

sondere von Männern, da Frauen durch ihre überwiegende Teilzeitbeschäftigung weniger

Probleme mit ehrenamtlicher Tätigkeit haben (Klenner u.a., a.a.O.).

Generell scheint die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Ehrenamt auf den ersten Blick

für die Mehrheit zu gelingen. Für Männer mit guter Ausbildung und einem Vollzeitjob scheint

dies sogar förderlich zu sein. Frauen beteiligen sich dann höher, wenn sie in Teilzeit arbei-

ten, da sie noch in den überwiegenden Fällen Familie und Kinder zu versorgen haben.

4.9 Regionale Unterschiede und milieuspezifische Einflüsse

Die repräsentative Erhebung des Freiwilligen-Survey hat ergeben, dass die Anteile freiwillig

Engagierter sich regional unterscheiden. Dies ist nicht nur nach Ost - West Bundesländern

beobachtet worden, sondern auch in einem Nord-Süd Gefälle vorhanden. Die Unterschiede

zwischen Gemeindegrößen mögen überraschen. In den Großstädten ist die Engagement-

quote am niedrigsten, auf dem Lande bzw. in ländlichen Regionen am höchsten (Ro-

senbladt, 2000). Diese Beobachtung konnte auch in NRW gemacht werden. Die Verbreitung

von Selbsthilfegruppen älterer Menschen, deren Mitglieder sich in Sozial- und Gesundheits-

bereichen engagierten, lag in ländlichen Gebieten über denen in Ballungsräumen und Groß-

städten (Reggentin / Dettbarn-Reggentin, 1998).

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Expertise: Freiwilliges Engagement und Solidarpotenziale... Ausführung: ISGOS-Berlin

Einflüsse werden auch aus den seit mehreren Jahrzehnten erfolgenden Suburbanisierungs-

prozessen erwartet. In ihrer Folge werden die ersten Generationen der „Stadtflüchter“ das

Rentenalter erreichen. Die Ballungsräume der Großstädte in NRW werden von diesem stär-

keren Anstieg sogenannter Junger Alter profitieren können, da hierin die Altersgruppe zu

finden ist, aus der die Mehrheit der Hauptpflegepersonen entstammt und ein Potenzial für

ehrenamtliche Tätigkeiten erwächst. Denn, so ist zu vermuten, setzt sich die Bewohnerschaft

in diesen Siedlungsräumen aus Personen zusammen, die ähnliche Strukturen in ihrer Res-

sourcenausstattung (gute Ausstattung mit strukturellem Kapital) aufweisen und somit günsti-

ge Bedingungen für ehrenamtliches Engagement aufweisen.

Hierzu gegenteilige Entwicklungen liegen in der sozial-räumlichen Entwicklung von Gebieten,

die einen Strukturwandel durchgemacht haben, in dessen Folge hohe Arbeitslosigkeit, Früh-

verrentung und soziale Ungleichheiten zugenommen haben. Für die Entwicklung einer Eh-

renamtskultur waren diese Segregationsprozesse nicht förderlich.

Beide Orientierungen polarisieren in Gebieten mit ehrenamtskulturellen Aufschwungzonen

und in Gebieten mit „negativer Hilfebilanz“ (Heinze u.a., 1992). In ihrer Studie zum Freiwilli-

gen Engagement älterer Menschen beschreiben Rohleder u.a. die prekäre Lage in „Stadttei-

len mit besonderem Erneuerungsbedarf“, die einen hohen Bedarf an Selbsthilfe, ehrenamtli-

cher / freiwilliger Arbeit sowie Stärkung der sozialen Netze aufweisen. Es fehlt an Ressour-

cen für freiwilliges soziales Engagement. Auf die enge Verbindung zwischen strukturellem

Kapital und sozialem Engagement bzw. Hilfebereitschaft hatten wir bereits verwiesen. Eine

Gegensteuerung erfolgte von Seiten des Ministerium für Soziales in NRW (MASSKS) bereits

seit 1993 mittels eines Programms „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf, in dem in

einem integrierten Ansatz Arbeitsmarkt, Strukturmaßnahmen und städtebauliche kulturelle

und sozialpolitische Initiativen gestärkt wurden. Wichtig in diesen Konzepten ist die Integrati-

on sozio-kultureller Maßnahmen, mit denen die Aktivierung der vorhandenen Potenziale er-

reicht werden kann. Die Orientierung auf den Bereich Aktivierung und Selbstorganisation,

Pflege und Betreuung sowie insgesamt das Selbsthilfepotenzial ist in diesen Regionen nicht

stark ausgeprägt. Deshalb muss in solchen Projekten gezielt dieser Aspekt einbezogen wer-

den32.

32 Mit Programmen wie „Stadtteile mit besonderm Erneuerungsbedarf“ (ab 1993, ressortübergreifend, 1999 in 25 Städten gefördert), „Wohnungslosigkeit vermeiden – dauerhaftes Wohnen sichern“ mit dem besondere Zielgrup-pen, die auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt sind, angesprochen wurden. In diesen Programmen werden Fa-milien und Netzwerke besonders unterstützt. In Programmen, die das gemeinschaftliche Wohnen fördern (MFJFG und MBW) werden Wohnformen für alte und pflegebedürftige Menschen erprobt (seit 1997). Das MBW stellt im Rahmen der öffentlichen Wohnungsbauförderung ein Kontingent für „Zukunftsweisende Bauvorhaben“ zur Verfü-gung (1999), in dem ältere und behinderte Menschen sowie soziale Integrationsprojekte besonders gefördert werden. Allen Programmen ist gemeinsam, dass sie einer sozialen Segregation entgegenwirken sollen.

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Expertise: Freiwilliges Engagement und Solidarpotenziale... Ausführung: ISGOS-Berlin

Mit welchen Problemen müssen Einrichtungen umgehen, wenn sie Ehrenamtliche suchen?

Die Neugewinnung von Ehrenamtlichen ist in sozial benachteiligten Regionen grundsätzlich

eine Herausforderung, so ist es für ca. 90% der Einrichtungen, die regelmäßig Ehrenamtli-

che einwerben, schwierig:

- überhaupt neue Ehrenamtliche zu finden 66,6%

- eine ausreichende Zahl Ehrenamtlicher zu finden 24,2%

- persönlich und inhaltlich geeignete Ehrenamtliche zu finden 45,5%

- Ehrenamtliche zu finden, die längerfristig mitmachen 54,4%

(Rohleder a.a.O.).

Wie werden in diesen Problemgebieten Ehrenamtliche gewonnen? Die erfolgversprechends-

te Methode scheint die direkte Ansprache zu sein. Die Personen müssen in direktem persön-

lichem Kontakt angeworben werden. Die direkte Ansprache verspricht am ehesten, beste-

hende Barrieren gegenüber einem freiwilligem Engagement abzubauen. Die Erfahrungen mit

Freiwilligenzentralen, Seniorenbüros oder sonstigen zentralen Vermittlungsstellen scheinen

dagegen keine Erfolge zu verzeichnen. Zu groß ist offenbar die Distanz zu solchen Einrich-

tungen, daher, so die Einschätzung von Rohleder (2002), müssen die Impulse zur Motivie-

rung von Engagement direkt aus dem Stadtteil selbst kommen.

Eine Förderung des freiwilligen Enbgagements sollte generell den besonderen Anforderun-

gen sozial-räumlicher Gegebenheiten angepasst sein (etwa vorwiegend auf „Bring-Struk-

turen“ setzen).

4.10 Engagementbereiche in der Pflege und Betreuung

Es können vier Orientierungen des Engagements unterschieden werden:

1. Die direkte selbstorganisierte ehrenamtliche Tätigkeit als personen- oder/und haushalts-

bezogene Hilfe,

2. die durch eine Organisation vermittelte und gesteuerte ehrenamtliche Hilfe, auch als klas-

sisches Ehrenamt bekannt,

3. das Engagement als Selbstbetroffene(r) innerhalb einer Gruppe von Gleichbetroffenen

bzw. Gleichgesinnten,

4. das Engagement mit gesellschaftspolitischer Zielsetzung, zumeist von Organisationen

ausgehend und in ihnen ausgeübt, zielt es auf Korrektur und Veränderung des sozialen und

gesundheitlichen Versorgungssystems.

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In den umfassenden Surveys sind alle erfragten Tätigkeiten zusammengefasst, die sich im

oben genannten Sinne den Engagementbereichen zuordnen lassen. Sie unterscheiden zu-

nächst nicht nach individueller, gemeinschaftlicher oder gesellschaftlicher Orientierung der

Tätigkeit. In diesen umfassenden Recherchen spielt auch die Frage nach den Beweggrün-

den und Erwartungen zur Aufnahme eines freiwilligen Engagements eine bedeutende Rolle.

Im Zuge stärkerer öffentlicher Wahrnehmung von bürgerschaftlichem Engagement, freiwilli-

gem Engagement, Selbsthilfetätigkeiten in Gruppen oder auch ehrenamtlicher Betätigung

neuen Zuschnitts sind auch engagierte Personen für die Hilfeleistungen in häuslicher Pflege

angeregt und gewonnen worden Hier stellen insbesondere die Helferinnenkreise eine bedeu-

tende Form bürgerschaftlichen Engagements dar. Erste Helferinnenkreise entstanden bereits

Mitte der 90er Jahre in Baden-Württemberg. Ihre Zielgruppe sind demenziell Erkrankte, die

mit ihren Angehörigen oder auch allein leben. Ihre Leistung liegt in der stundenweisen

Betreuung der Erkrankten zur Entlastung der Pflegepersonen. Organisatorisch sind sie un-

terschiedlich bei Trägern sozialer Dienste, bei Angehörigen- oder Seniorenberatungsstellen,

der Alzheimer Gesellschaft oder auch bei Einrichtungen der Altenhilfe angesiedelt. Die be-

stehenden Helferinnenkreise zählen zu den niedrigschwelligen Hilfe- und Betreuungsange-

boten und unterscheiden sich strukturell und organisatorisch voneinander. Einige sind aus

Selbsthilfebestrebungen pflegender Angehöriger entstanden, andere mit Hilfe von Modellpro-

jekten oder Fördermitteln. In Nordrhein-Westfalen werden im Rahmen des Pflegeleistungs-

ergänzungsgesetzes derzeit ca. 300 solcher Gruppen gefördert (am 31.3.04 waren es 250

Angebote im niedrigschwelligen Betreuungsbereich, Versorgungsamt Düsseldorf, 2004).

Das Versorgungsamt unterscheidet 7 Typen von Hilfe- und Betreuungsangeboten:

1. Betreuungsgruppe

Zwischen 4 und 9 Pflegebedürftige mit demenziellen Erkrankungen und 2-3 Betreuer/-

innen, die Betreuung erfolgt zumeist außerhalb des eigenen Haushaltes.

2. Helferkreise

Mehrere Helfer betreuen jeweils alleine stundenweise eine(n) Pflegebedürftige(n) in sei-

ner eigenen Häuslichkeit.

3. Kleingruppe

2- 3 Pflegebedürftige mit einem(r) oder mehreren Betreuern/innen bilden eine Kleingrup-

pe. Die Betreuung kann bei angemessenen Räumlichkeiten auch bei einem Pflegebe-

dürftigen zu Hause stattfinden. Diese Betreuungsform ist besonders für den ländlichen

Bereich geeignet.

4. Einzelbetreuung

Die Einzelbetreuung kann über einen ganzen Tag bzw. eine Nacht oder auch darüber

hinaus andauern.

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5. Familien entlastende und Familien unterstützende Dienste

Hier wird ein breites Spektrum von Beratungs- und Betreuungsleistungen insbesondere

im Behindertenbereich angeboten.

6. Beratungsagentur

Eine Agentur vermittelt Angebote von Betreuungsleistungen gegen Vergütung

7. Sonstige Angebote

Hierunter fallen Entlastungsangebote zum Beispiel im Betreuten Wohnen oder andere.

Wenn einerseits eine genügende Anzahl von Menschen sich freiwillig engagieren will bzw.

bereits tätig ist, ist es andererseits bedeutsam für einen Bereich, wie den der Pflege und Be-

treuung, ein Potenzial an Interessierten vorzufinden, die auf eine Tätigkeit in diesem Feld

angesprochen werden könnten. Deshalb erscheint es sinnvoll, den umfassenden Bereich

ehrenamtlicher Tätigkeit und freiwilligen Engagements zur weiteren Orientierung enger ein-

zugrenzen. Auch hier stützen wir uns zunächst auf repräsentative Umfragen, die konkret die

Pflege und Hilfeleistung für andere einbezogen haben.

Die Unterstützung von Familienangehörigen, Freunden oder Nachbarn scheint eine wesent-

liche Erfahrung für die Pflege und Betreuung nichtverwandter Personen mitzubringen. Für

diese Form ehrenamtlicher Tätigkeit außerhalb des Haushaltes finden insgesamt 17,2% ein

Betätigungsfeld (Kohli u.a., 2000).

Eine Quote von 11% der Pflegehaushalte mit regelmäßiger Unterstützung durch Ehrenamtli-

che, wie es Infratest Sozialforschung (a.a.O., Schnellbericht, 2003) ermittelte, scheint auf

den ersten Blick noch ein bescheidenes Ausmaß zu haben, zumal der Bedarf an Entlastun-

gen der pflegenden Angehörigen erheblich ist. Ebenso scheint die Quote von 9% Pflegebe-

dürftigen, die regelmäßig an allgemeinen Freizeitangeboten teilnehmen, noch sehr gering zu

sein. Die Kernklientel für diese Inanspruchnahme liegt bisher im Bereich der Pflegestufen 1

und 2. Bei „nur“ Hilfebedarf (3% ehrenamtliche Unterstützung) und bei Schwerpflegebedürf-

tigen (6% ehrenamtliche Unterstützung) liegt die Nachfrage noch deutlich darunter. Dennoch

darf diese Quote bereits als Erfolg bewertet werden, da die Familien sich erst seit wenigen

Jahren nach außen öffnen, um haushaltsfremde Personen an der Pflege- bzw. Betreuungs-

tätigkeit zu beteiligen

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4.11 Motive freiwillig Engagierter in der Pflege Eine der wenigen Studie zur Erfahrung von Helfer/innen in der Pflege zur Unterstützung

pflegender Angehöriger von demenziell Erkrankten in Nürnberg (Gräßel u.a., 200333) gab für

die Befragten mehrere Beweggründe für ihre Tätigkeit an. Die häufigsten Nennungen waren:

• Anderen helfen wollen

• Suche nach sinnvollen Aufgaben

• Wissen über Demenz vergrößern wollen

• Bestehender oder früherer Kontakt zu Demenzkranken im beruflichen/privaten Bereich

Die zweithäufigsten Nennungen waren ebenfalls selbst- und fremdbezogen:

• Pflegende Angehörige entlasten wollen

• Da ich selbst pflegender Angehöriger war

• Freie Zeit / nicht ausgelastet

• Vorerfahrungen / Vorwissen in die Tätigkeit einbringen können

• Chance zu beruflichen Wiedereinstieg

Neben einigen weiteren Motiven mit geringerer Bedeutung konnten in dieser Studie sieben

Faktoren gebildet werden, die für sieben unabhängige Motivgruppen von Helfer/innen ste-

hen:

1. „Die / der Wissenshungrige“: Motiv ist Wissenserweiterung zum Thema Demenz

(nicht aus dem Grund, anderen helfen zu wollen und nicht aus dem Grund, stunden-

weise tätig sein zu wollen).

2. „Die / der an die Zukunft Denkende“: Freie Zeit haben und sich auseinandersetzen

mit Demenz als Vorbereitung für später.

3. „Die / der sozial Engagierte“: Suche nach sinnvoller Aufgabe und Sicherheit im Um-

gang mit Demenzkranken erhalten wollen, dabei keine Erfahrung als pflegender An-

gehöriger.

4. „Die / der finanziell Orientierte“: Aufwandsentschädigung als Grund für die Tätigkeit

und Chancen des beruflichen Wiedereinstiegs erhöhen.

5. „Die / der Unschlüssige“: Kontakt mit Demenzkranken im privaten / beruflichen Be-

reich und noch keine Entscheidung für die Helfertätigkeit.

33 Elmar Gräßel und Barbara Schirmer (2003): Freiwillige Helferinnen und Helfer in der stundenweisen Betreuung von Demenzkranken. Zwischenergebnisse einer prospektiven Studie und Ergebnisse einer retrospektiven Befra-gung. Das Projekt wurde getragen von der Alzheimer-Gesellschaft Mittelfranken e.V: und der Angehörigenbera-tung e.V. Nürnberg. Gefördert wurde dieses Projekt mit dem Forschungspreis der Deutschen Alzheimer Gesell-schaft.

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6. „Die / der ehemalige pflegende Angehörige“: Vorwissen und zugleich pflegende(r)

Angehörige(r) gewesen.

7. „Die / der an einer Neuorientierung Interessierte“: Ein neuer Lebensabschnitt beginnt

und positive Vorerfahrungen in der Betreuung alter Menschen gemacht (Gräßel u.a.,

2003).

Wenn auch nur eine kleine Fallzahl diese Motivtypen begründen, zeigen ihre Beweggründe

ein ähnlich breites Bild, wie bereits oben dargestellt. Zwei Teilnahmehintergründe sind für

die Aufnahme eines Ehrenamtes in der Pflege nach dieser Studie bedeutungsvoll. Da ist

erstens der hohe Anteil an Personen mit Erfahrungen im Ehrenamt (mehr als jede(r) Zweite),

die im Umgang mit alten Menschen erworben wurden und zweitens die Erfahrung als pfle-

gende(r) Angehörige(r) zu nennen. Der weibliche Anteil der Teilnehmer/innen liegt bei 90%

in der einen Gruppe bzw. 82% in der zweiten Gruppe. Das Alter lag im Mittel bei etwa 50 bis

55 Jahren (ebda.).

In dem Projekt „Halma“ in Würzburg 34 waren Helfer/innen als Alltagsbegleiter/innen für die

Patienten in die häusliche Pflege einbezogen worden. Sie sollten die professionellen Dienste

in der häuslichen Versorgung unterstützen. Ihre Motivation war an erster Stelle dadurch be-

stimmt, ehrenamtlich tätig sein zu wollen. Demnach ergab sich folgende Rangfolge der Be-

weggründe:

• Etwas Sinnvolles tun (38,7%)

• Erfahrungen für den Beruf sammeln (21,3%)

• Interesse an der Altenarbeit (17,3%)

• Geld hinzuverdienen (9,3%)

• Die fachliche Begleitung der Tätigkeit durch den Träger (5,3%)

• Eine geplante Umschulung (5,3%)

• Für die eigene Familie etwas dazulernen (2,7%)35.

Es besteht bei den Helfer/innen ein relativ hohes Maß an Vorkenntnissen im pflegerischen

oder sozialen Bereich. Von den Helfer/innen im Projekt Halma wiesen 63% Vorerfahrungen

auf, entweder als selbstpflegende Angehörige oder beruflich in einer stationären Altenhilfe-

einrichtung.

34 Modellprojekt Gerontopsychiatrisches Verbundnetz in der Altenhilfe in Würzburg: Integration und ambulante Versorgung älterer Menschen mit psychischen Störungen, 1992 – 1996. Abschlussbericht von U. Weber / H. Oppl 1997, Baden-Baden. 35 N=75, Mehrfachangaben waren möglich.

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Eine Pflegeerfahrung durch die Pflege von Angehörigen oder auch sich hierauf vorbereiten

zu wollen ist in den bisher bekannten Beweggründen freiwillig Engagierter im Pflegebereich

eine begünstigende Voraussetzung zur Übernahme einer ehrenamtlichen Betreuung und

ebenso bedeutsam wie generell die Erfahrung mit ehrenamtlicher Tätigkeit. So verweist bei-

spielsweise ein Großteil der 40 - bis 60-Jährigen nach einer Repräsentativbefragung in einer

süddeutschen Kleinstadt auf persönliche Pflegeerfahrung in der Familie (Klie / Blaumeiser,

2002).

4.12 Können freiwillig Engagierte das soziale Netz stärken und Pflegekräfte ergänzen?

Die Angehörigen-Selbsthilfeaktivitäten sind getragen von Alltagsvorstellungen im Umgang

mit der Krankheit. Ihre Deutungen und Einstellungen gegenüber Betroffenen und dem was in

ihren Augen für gut und richtig erscheint, entspringt ihrem Verständnis vom richtigen Leben

und somit auch von der „richtigen“ Pflege. Die Lebenssituation kann von professionell Pfle-

genden schwer nachvollzogen werden, da sie anderen Rationalitäten folgen, denen ihres

Berufes. Laienhelfer/innen haben hier eine andere Chance, wenn sie sich in ähnlichen Le-

benssituationen befinden, ähnliche Wertehaltungen einnehmen, weil sie aus dem selben

Milieu kommen oder weil sie ähnliche Erfahrungen selbst einmal gemacht haben. Nach Blin-

kert / Klie (1999) hat etwa jeder zweite Erwachsene Erfahrungen mit der Pflege eines Ange-

hörigen gemacht. Diese Problem- oder Milieunähe macht sie zu Experten. Ihre Aufgabe liegt

neben der instrumentellen Unterstützung bei Alltagsverrichtungen und bei Anregung geben-

den Aktivitäten in der emotionalen Stärkung der Pflegebedürftigen wie auch der Pflegeper-

son. Sie wirken stabilisierend im Sinne von identitätsstützend, weil sie die Verläufe von An-

näherung und Entfremdung zwischen Pflegeperson und Pflegebedürftiger/n kennen.

Nicht jede(r) freiwillig Engagierte ist in der Lage, derart verantwortungsvolle Tätigkeiten aus-

zuführen. Für den Angehörigen ist es schwer, eine Person mit diesen Fähigkeiten zu finden.

Vermittlungs- und Anlaufstellen könnten im Vorfeld entsprechende Personen für diese Auf-

gabe auswählen und vorbereiten.

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Expertise: Freiwilliges Engagement und Solidarpotenziale... Ausführung: ISGOS-Berlin

5.0 Handlungsempfehlungen zu Teil B 5.1 Potenziale Freiwilligen Engagements

Die Förderung des Ehrenamtes erfolgt primär auf kommunaler Ebene. Die Kommunen be-

stimmen selbst ob und in welcher Form eine Unterstützung der Engagementförderung er-

folgt. Die Zukunft der Pflege baut auf die Einbindung von freiwilligem Engagement und ohne

diese pflegeergänzenden Hilfen wird eine häusliche Versorgung in diesem Umfang auf Dau-

er kaum zu halten sein. Der Bedarf an informellen Hilfen durch freiwillig Engagierte kann nur

grob geschätzt werden. Als Anhaltspunkt bietet sich eine Orientierung an den Pflegesituatio-

nen, die über keine private informelle Hilfe verfügen (ca. 8%), sowie Pflegesituationen, in

denen nur ein informeller Helfer verfügbar ist (ca. 36%) (Infratest, 2003)36. Beide Situationen

bedeuten für die pflegebedürftige Person im ungünstigen Fall ein Risiko, zum einen im Hin-

blick auf eine ungenügende Versorgung oder riskante Pflege durch eine überlastete Pflege-

person und zum anderen die Gefahr einer sozialen Isolation, bei einem Mangel an Zuwen-

dung und Kommunikation

Zusammen machen diese beiden Pflegesituationen 44% aller Pflegefälle in NRW aus, das

bedeutet bei einer Zahl von ca. 324.000 Pflegebedürftigen, dass in etwa bei 140.000 bis

145.000 Pflegehaushalten der Bedarf an informeller (oder auch formeller) Unterstützung be-

steht, wenn die beschrieben Risiken gemindert werden sollen.

Die Palette der Unterstützung dieser Haushalte reicht von der Aktivierung entfernterer Ver-

wandter, Einbeziehung von Freunden und Nachbarn, Einbindung bezahlter Dienste bis zur

Einbeziehung ehrenamtlicher Kräfte, die stundenweise oder auch länger im Haushalt der

Pflegeperson bei der Verrichtung der Alltagsdinge unterstützen.

Was wird bisher geleistet?

Die Pflegehaushalte nehmen bisher zu 11% ehrenamtliche Kräfte in Anspruch (unbezahlt

und regelmäßig, vermittelt über eine soziale Einrichtung, Infratest, 2003). Das wären ca.

35.000 ehrenamtliche Kräfte. Weitere 9% der Pflegehaushalte beschaffen sich privat auf

eigene Kosten zusätzliche Hilfen von Nachbarn und Bekannten und 4% eine Haushaltshilfe.

Damit erhalten weitere 13% bzw. 42.000 Pflegehaushalte in NRW eine Unterstützung.

36 In den Prognosen und Berechnungen beziehen wir uns auf die aktuelleren Daten von Infratest-Sozialforschung von 2003.

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Expertise: Freiwilliges Engagement und Solidarpotenziale... Ausführung: ISGOS-Berlin

Eine weitere Form von Hilfe bieten Selbsthilfegruppen. Hier erhalten die Mitglieder Hilfen auf

Gegenseitigkeit. In der Regel erhalten und geben Angehörige von Pflegebedürftigen Hilfen.

In Ausnahmen nehmen auch Pflegebedürftige an den Selbsthilfegruppen teil.

In NRW existierten 1999 ca. 12.000 Selbsthilfegruppen die mit ihren über 300.000 Mitglie-

dern dem Gesundheitsbereich zuzurechnen sind. Ihre Leistungen sind zwar nicht generell

auf den Privathaushalt zugeschnitten, doch sie bieten eine Fülle an Leistungen, die von Be-

ratung bis zu praktischen Pflegetips reichen. Auch rehabilitative Angebote werden von vielen

einbezogen. Bezogen auf pflegebedürftige Personen wird nahezu jede zweite Gruppe in

diesen Bereich einzuordnen sein. So sind beispielsweise von den chronisch kranken und

behinderten Menschen etwa 2 - 5% in einer gesundheitsbezogenen Selbsthilfegruppe aktiv

(Ministerin Fischer 1999 auf dem 4. landesweiten Selbsthilfetag).

Die neu sich entwickelnden niederschwelligen Angebote vor dem Hintergrund des Pflegeleis-

tungsergänzungsgesetz bieten ehrenamtlichen Helfer/innen ein Betätigungsfeld. In kurzer

Zeit sind 300 solcher Projekte entstanden. Die Anzahl der ehrenamtlich Aktiven könnte bei

etwa 1.500 bis 2.000 Personen liegen.

Der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand in NRW gibt an, 247.188 Engagierte im

Bereich häuslicher Pflege gegen Unfall versichert zu haben (infoplus, 2/2004).

Die hier aufgeführten Zahlen dürften sich zum Teil überdecken. Wie viele nun letztlich als

Potenzial für die Pflege zur Verfügung stehen, kann nur vermutet werden. Zusammenge-

nommen stehen den ca. 1.000.000 Hilfe- und Pflegebedürftigen etwa 300.000 freiwillig En-

gagierte gegenüber. Bezogen auf die Zahl der Personen die ohne oder nur mit einer Person

als privaten Helfer oder Helferin auskommen, dürfte die oben genannte Anzahl ausreichend

sein. Wenn jedoch auch die Pflegepersonen mit Entlastungsbedarf einbezogen werden, er-

gibt sich ein anderes Bild, denn ca. 83% der Pflegepersonen von Pflegebedürftigen und 39%

der Betreuungs- und Pflegepersonen von Hilfebedürftigen sind sehr stark oder eher stark

belastet (Infratest 2003). In NRW wären demnach insgesamt 535.000 Personen derart be-

lastet, dass Unterstützungen durch weitere Kräfte erforderlich werden.

Es wird vermutet, dass sich für den überwiegenden Teil der belasteten Pflegepersonen die

Pflege-situation mit Hilfe von externen Helfern entspannen lässt. Insbesondere für den Teil

der Pflegepersonen deren Situation als prekär angesehen wird, die über keine Zugänge zum

„Helfermarkt“ verfügen, müssen Unterstützungen in Form von zugehender Beratung, geleis-

tet werden.

Aus der Zahl der insgesamt verfügbaren informellen Helfer/innen wird geschlossen, dass

sich zur Zeit für eine Betreuung genügend Personen gewinnen lassen. Das Problem dürfte

eher darin zu sehen sein, dass für bestimmte Bereiche Helfer/innen fehlen. Hier sei beispiel-

haft auf den sich in den kommenden Jahren weiter ausdehnenden Bedarf an Unterstützung

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bei der Versorgung demenziell Erkrankter hingewiesen. Allein bis zum Jahr 2010 werden ca.

25.000 Personen mehr an Demenz erkrankt sein als heute. Auch verläuft die Verteilung der

Ehrenamtspotenziale asymmetrisch. In strukturschwachen Regionen ist deutlich weniger an

Bereitschaft zu freiwilligem Engagement zu verzeichnen als in prosperierenden Regionen.

Daher muss in diesen Gebieten verstärkt um Ehrenamtliche geworben werden.

Die Entwicklung und Förderung einer Ehrenamtskultur kann auf fünf verschiedenen Wegen

geschehen (siehe Tabelle 14).

Tabelle 14: Modelle zur Entwicklung von Ehrenamtskulturen

Modell 1 Modell 2 Modell 3 Modell 4 Modell 5

Verbesserung der Infrastruktur

Verbesserung der Nachfragestruktur

Verbesserung der Vermittlungsstruk-tur

Verbesserung der Förderstruktur

Verbesserung der Gesamtinfrastruk-tur

Die Angebote zur häuslichen Ver-sorgung werden gezielt ergänzt

Ehrenamtliche Kräfte werden gesucht und ge-schult

Es werden Kon-takt- und Vermitt-lungsstellen einge-richtet

Es werden Modelle gefördert und neue Wege der Informa-tion entwickelt

Die Kommune plant, steuert und vernetzt die Ange-bote

Entlastung der pflegenden Ange-hörigen

Entwicklung einer Kultur bürger-schaftlichen Enga-gements

Verbesserung der Leistungstranspa-renz

Verbesserung der Angebotstranspa-renz

Schaffen eines Gesamtrahmens zur Versorgung Hilfe- und Pflege-bedürftiger

Quelle: Dettbarn-Reggentin / Reggentin 2002 b

Bezogen auf die ehrenamtlich Engagierten lassen sich mit Naegele / Rohleder (2001) vier

Strategien unterscheiden:

1. Die individuumsbezogene Förderstrategie, nach der die Träger die Motivations- und In-

teressenlagen der Ehrenamtsbereiten stärker berücksichtigen,

2. die kooperationsbezogene Förderstrategie, die eine Verbesserung der Zusammenarbeit

von Haupt- und Ehrenamtlichen zum Ziel hat,

3. die gemeinwesenbezogene Förderstrategie, nach der trägerübergreifende Infrastrukturen

geschaffen werden und letztlich

4. gesellschaftsbezogene Förderstrategien, die eine Ausgestaltung der gesellschaftlichen

Rahmenbedingungen wie etwa die Vereinbarkeit von Familie und Ehrenamt oder die

Vereinbarkeit von freiwilligem Engagement und Erwerbstätigkeit verbessern. Welche

Rahmenbedingungen sind zur Förderung und Weiterentwicklung des freiwilligen Enga-

gements in der Pflege erforderlich? Welche Infrastrukturen sind zweckmäßig und förder-

lich?

Die oben benannten Modellbereiche bilden den Rahmen für eine Engagementförderung. Im

Idealfall wird eine Förderung in allen fünf Modellbereichen angestrebt.

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Expertise: Freiwilliges Engagement und Solidarpotenziale... Ausführung: ISGOS-Berlin

Konkrete Maßnahmen

In den Kommunen oder Kreisen, in denen bereits Teilbereiche umgesetzt werden, sollten die

entsprechenden Ergänzungen vorgenommen werden. Im Einzelnen sind folgende Ergän-

zungen zu beachten:

• Im Rahmen von Förderstrategien sollten in sozial-räumlich benachteiligten Regionen und

Stadtvierteln eine stärkere und umfassendere Förderung (asymmetrische Förderung)

vorgesehen werden, damit auch Personen mit geringen materiellen und immateriellen

Ressourcen einbezogen werden können und weitere Benachteiligungen für diese Perso-

nen vermieden werden. Generelle Verbesserungen der Beteiligungsmöglichkeiten und

Einbindungen in tragfähige Netzwerke sollten allen Personen zugute kommen. Die Ein-

beziehung von Vereinen sollte unbedingt erfolgen.

• Die Berufsnähe vieler ehrenamtlicher Tätigkeiten in der Unterstützung hilfe- und pflege-

bedürftiger Menschen veranlasst bereits Träger, hier im Vorfeld sich aus dem Potenzial

der Helfer „Nachwuchs“ für die spätere berufliche Tätigkeit auszusuchen und diese anzu-

sprechen. Dieser Aspekt wird bisher in Diskussionen zu unrecht vernachlässigt, da er auf

dem Arbeitsmarkt des Dienstleistungssektors neue Chancen für Quereinsteiger eröffnet.

Es wird empfohlen, eine Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt zu suchen, um weitere Po-

tenziale an Helfern auf Dauer zu gewinnen.

• Eine weitere Ansprechgruppe mit bisher Unterrepräsentanz in der ehrenamtlichen Arbeit

sind Arbeitslose. Im zuvor benannten Sinne wären auch sie ansprechbar, wenn ihnen mit

ihrer Tätigkeit neue Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt eröffnet werden.

• Die frühe Erfahrung mit einem sozialen Engagement führt in vielen Fällen auch in späte-

ren Jahren wieder zu einer freiwilligen Tätigkeit in diesem Feld. Der frühe Einstieg ist ü-

ber schulische, berufsbildende oder freiwilligen Dienste zu fördern. Auch Personen, die

einmal gepflegt haben, sind häufig bereit, auf ehrenamtlicher Basis weiter Menschen zu

betreuen. Diese interessierten Personen sollten in ihrem Umfeld „abgeholt“ und ihnen

weitere Betätigungen angeboten werden.

• Den Beratungsstellen für soziale Dienste und Pflege sollte eine Wohnberatungsstelle

angeschlossen sein, die kompetent in Wohnanpassungsmaßnahmen berät und entspre-

chende Verfahren einleitet. Freiwilligenagenturen sind stärker auf das Thema Senioren

und Ehrenamt und Pflege zu orientieren. Diese Thematik war bisher nicht ein Thema der

Freiwilligenagenturen. Wohnberatungsstellen sollten ihr Beratungsangebot erweitern, im

Zusammenspiel mit einer Fachberatung SGB V und XI. Freiwilligendienste sind bei einem

übergeordneten Träger dann gut angesiedelt, wenn es innerhalb der Kommune/des Krei-

ses einen Pflegeverbund oder Geronto(psychiatrischen)verbund gibt, an dem alle Anbie-

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ter von sozialen und komplementären Diensten beteiligt sind. Sollte dies nicht möglich

sein, müsste die Kommune eine entsprechende Vermittlungsstelle ausbauen (eventuell

ein Bürgerbüro oder Seniorenbüro oder ähnliches einbinden). Freiwillig Engagierte brau-

chen Anlaufstellen und sie brauchen Unterstützung bei der Ausübung ihrer Tätigkeit wie

Begleitung, Weiterbildung, Versicherung, Auslagenerstattung, Anerkennung.

• Das Personal in den ambulanten Diensten sollte im Umgang mit Ehrenamtlichen und mit

Angehörigen geschult werden. Es sollten konkrete Absprachen und Kooperationen im

Hinblick auf die Pflegeziele stattfinden. Das Fehlen solcher Absprachen führt zu Span-

nungen zwischen den Beteiligten und zu unnötigen Reibungsverlusten.

• In den vergangenen drei bis fünf Jahren sind insbesondere Angebote von Ehrenamtli-

chen zur Unterstützung der Pflege entwickelt worden. In der oben dargestellten Konstel-

lation von möglichen Pflegearrangements spielten die ehrenamtlichen Kräfte noch keine

Rolle. Dies wird in der Pflege und Betreuung demenziell Erkrankter in den kommenden

Jahren vermutlich deutlich anders werden (Auswirkungen der Maßnahmen des Pflege-

leistungsergänzungsgesetzes). Anders dagegen gestaltet sich die Situation in der Ver-

sorgung von Pflegebedürftigen, die 2002 zu 11% regelmäßig ein- bis mehrfach in der

Woche Betreuungsleistungen durch Ehrenamtliche erhalten. Diese Quote sollte auch in

der speziell auf demenziell Erkrankte zugeschnittenen Pflege erreicht werden können.

Insgesamt sind hier noch Potenziale, die unter verbesserten strukturellen Bedingungen

für den Einsatz im Betreuungsbereich Pflegebedürftiger die Anzahl der Ehrenamtlichen

verdoppeln könnten.

• Zur Gewinnung von Ehrenamtlichen sind Anreizsysteme zu entwickeln (siehe auch Kapi-

tel Best Practice), die Jugendliche, Arbeitslose, Menschen in der Berufsfindungsphase

ebenso ansprechen wie Vollerwerbstätige. Kooperationen zwischen Betroffenenverbän-

den, Ausbildungsstätten und sozialen Diensten sind zu schaffen. Die Jugendlichen und

auch die schwer vermittelbaren Arbeitslosen sind an die Thematik der Pflege heranzufüh-

re. Jugendliche Arbeitslose könnten gegen geringes Entgelt (etwa 2 EURO die Stunde)

zusätzlich zu ihrem Arbeitslosengeld leichte Betreuungsaufgaben übernehmen.

• Erwerbstätige sollten bei einer Pflegeübernahme durch die Kommune Vergünstigungen

erhalten, zumindest steuerliche Erleichterungen. Es sollten in gemeinsamen Aktionen mit

Arbeitgeberverbänden oder auch mit einzelnen Arbeitgebern Modelle zur Vereinbarkeit

von Pflege und Erwerbstätigkeit entwickelt werden.

• Ein großes Betreuungspotenzial wird in der Altersgruppe der über 65-Jährigen gesehen.

Sie sollten an ihren „klassischen“ Treffs, den Altenbegegnungsstätten abgeholt werden.

Es wären viele Besucher dieser Treffs bereit, ehrenamtlich Aufgaben zu übernehmen

(Dettbarn-Reggentin / Reggentin, 2002b). Auch wären diese Treffs geeignete Beratungs-

stellen für Angehörige.

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• Die Angebotsseite muss offensiver werden. Helfer/innen sollten stärker auf die Möglich-

keit der Weiterbildung angesprochen werden. Mit der Aufnahme eines Ehrenamtes ist

auch eine Qualifizierung verbunden, die so etwas wie eine berufliche Neuausrichtung be-

deuten kann. Der vorgesehene Landesnachweis NRW – Anerkennung für das Bürger-

schaftliche Engagement kann hier eine große Aufmerksamkeit bewirken. Ein solcher

„Kompetenznachweis“ hat vielseitige Bedeutung, da er den Personen, die noch im Er-

werbsleben stehen, zusätzlich erworbene Kenntnisse bescheinigt und denen, die bereits

am Ende ihres Erwerbslebens stehen, einen Neuanfang in neuen Tätigkeit sichtbar

macht. Die Ausgestaltung des Nachweises sollte jedoch abgestimmt mit Bundesbestre-

bungen und mit Gewerkschaften erfolgen. Dies sollte zunächst modellhaft erfolgen.

• Von den bisher ehrenamtlich Tätigen wird in überwiegender Zahl geäußert, das die öf-

fentliche Wertschätzung ihrer Tätigkeit zu wünschen übrig lässt. Es sind erheblich mehr

Anstrengungen zu unternehmen, die Kultur des Ehrenamtes zu fördern. Zusätzlich ist

auch die Kultur der Pflege öffentlich in ihrem Wert zu schätzen etwa durch den Tag der

Pflege.

• Mit Vereinen und Verbänden sind Strategien zur persönlichen Ansprache potenziell eh-

renamtlich Interessierter zu treffen. Insbesondere in Problemgebieten scheint dies zu den

wenigen erfolgversprechenden Maßnahmen zu Gewinnung von freiwillig Engagierten zu

gehören.

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6.0 Pflegearrangements und deren beteiligte Personen

Die Zukunft der Pflege bis ca. 2030 in NRW beruht auf der Annahme, dass Familienpflege

durch Angehörige auch weiterhin wie bisher geleistet wird. Die familiäre Versorgung von

pflegebedürftigen Angehörigen wird jedoch nicht ohne ergänzende, pflegeentlastende Unter-

stützung auskommen können. In Modellrechnungen, der verschiedenen Szenarien zugrunde

liegen, haben Blinkert / Klie mehrere Faktoren benannt, die Einfluss auf die Familienpflege

nehmen und deren Basis, die Netzwerkstruktur gefährden. Unter Berücksichtigung verschie-

dener Parameter wie der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf z.B. bei Zunahme des Beschäf-

tigungsgrades der Frauen oder der auf die Pflegetätigkeit abgestimmten Rahmenbedingun-

gen etwa durch ein erweitertes Angebot an unterstützenden ambulanten Diensten aber auch

durch einen Wandel der pflegekulturellen Orientierung in Richtung stärkerer Nutzung ge-

mischter Pflegearrangements lassen sich bereits heute Auswirkungen auf die familiären

Pflegeleistungen beschreiben, die sich positiv wie auch negativ auf deren Erhalt auswirken

können.

Die Folge wäre eine Erhöhung der Zahl Pflegebedürftiger in stationären Einrichtungen von

derzeit ca. 30% auf 35% in den kommenden Jahren und bis 2050 auf 40% (Scmähl und

Rothgang rechnen mit einem Anstieg auf 46% in diesem Zeitraum) erscheint durchaus rea-

listisch, wenn man bedenkt, dass in NRW die Zahl der Heimunterbringungen in den vergan-

genen drei bis vier Jahren um ca. 10% angestiegen ist. Dies betraf vor allem bei den vollsta-

tionären Pflegeplätzen auf Personen mit der Pflegestufe 1 und 2 zu (Info Altenpolitik 1/2001).

Prognosen die von dynamischen oder auch normativen Fortschreibungen vorhandener Aus-

gangszahlen ausgehen sind anfällig gegen Einflüsse aus Steuerungsmaßnahmen und Ver-

haltensänderungen. So muss bei der Zahl der Heimunterbringungen beispielsweise berück-

sichtigt werden, dass zukünftig die Heimversorgung für Personen der Pflegestufe 1 gegen-

über heutigen Regelungen in der Kostenhöhe der ambulanten Pflege gleichgestellt wird. Al-

lein durch diese Regelung wird der Heimzugang beeinflusst werden, mit der Folge dass der

betreffende Personenkreis der Pflegestufe 1 in andere Versorgungsnetze untergebracht

werden muss. Das bedeutet zum einen, die häusliche Versorgung muss ausgebaut werden

und zum anderen, die Alternativen zum Heim müssen verbessert und flächendeckend entwi-

ckelt werden. In Frage kommen sowohl Betreutes Wohnen und Service Wohnen als bereits

heute bekannte Wohnformen, die eine relativ selbstständige Lebensform unterstützen. Des

weiteren sind nachbarschaftsorientierte Wohnformen mit selbstorganisierten Hilfen durch die

Bewohner/innen sowie gemeinschaftsbezogene Wohngruppen für Menschen mit Betreu-

ungsbedarf erheblich auszubauen. Alle Formen unterstützen sogenanntes „normales“ Woh-

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nen, das bedeutet, es werden keine Sonderwohnformen unterhalb der Pflegestufe 2 neu

eingerichtet. Die bestehenden Heime würden dann zu reinen Schwerstpflegebereichen mit

vorrangig demenziell erkrankten Menschen umgestaltet werden müssen.

Eine zentrale Unterstützung für die familiäre Pflege liegt in der Absicherung der beruflichen

Orientierung von Frauen in Pflegehaushalten. Deren Beteiligung am Arbeitsmarkt muss

durch entsprechende arbeitsfördernde und somit auch pflegefördernde Maßnahmen wie in

Kapitel 3 beschrieben, gesichert werden, um eine Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu

erreichen.

Auf die Pflege bezogen bedeutet diese Praxis, dass es eine strukturelle Verschiebung des

Pflegekräftebedarfs, sowie eine Verdoppelung des Pflegekräftepotenzials (allein demogra-

fisch bedingt) nach sich ziehen würde. Aus der Perspektive dieser Prognosen würde sich die

Pflege der Zukunft stärker auf die Ressourcen der ambulanten Pflege in Verbindung mit in-

formellen Pflegehelfer/innen stützen müssen. Aber auch aus Sicht der informellen Versor-

gung Pflegebedürftiger besteht ein Anpassungsdruck der Pflegeressourcen auf die sich

wandelnden Anforderungen.

Nicht alle Pflegeleistungen können heute noch privat erbracht werden und allein mit neuen

Pflegearrangements ist den zukünftigen Anforderungen auch nicht beizukommen. Es müs-

sen Präventionsprogramme aufgelegt werden, um das Ausmaß an Pflegebedürftigkeit redu-

zieren zu helfen, wobei das Rehabilitationspotenzial ausgeschöpft werden muss (Schmidt,

2003). Auch aus Kostengesichtspunkten gilt es, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder zu-

mindest zeitlich hinauszuzögern. Der Vierte Altenbericht (2002) verweist auf diese Problema-

tik und regt neue Unterstützungsnetzwerke an, die beispielsweise durch Selbsthilfegruppen

(Alzheimer Gesellschaft u.a.) oder freiwillig Engagierte gebildet werden könnten, da die Ge-

sellschaft die weitere Entwicklung auf dem Pflegesektor finanziell sonst nicht verkraften kön-

ne. Eins scheint bei weitgehender Übereinstimmung notwendig zu werden: Die Zukunft der

Pflege liegt in der Entwicklung von modernen Pflegemixen unter Beteiligung informeller Hil-

fen, professioneller Dienste sowie freiwilliger Hilfen aus dem Voluntary-Sektor (Klie / Blau-

meiser, 2002).

Da im Falle von Pflegebedürftigkeit die Heime als wenig geeigneter Ort der Versorgung an-

gesehen werden, muss über Kooperationen und Arrangements in der Pflege und Betreuung

nachgedacht werden. Im Jahr 2003 würden 4% der Angehörigen von Pflegebedürftigen sehr

wahrscheinlich und 7% eher wahrscheinlich ihre Angehörigen in ein Heim bringen. Aus der

Sicht der Pflegebedürftigen halten es 9% für sehr wahrscheinlich und 10% für eher wahr-

scheinlich, dass eine Heimunterbringung für sie in Frage kommen würde (Infratest, 200337).

Es erscheint somit aus beider Seiten Sicht als nicht sinnvoll, in ein Heim zu wechseln.

37 Es wurden Personen befragt, die Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen, also aktuell pflegen.

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Auf einen Einstellungswandel gegenüber der häuslichen Pflege bei Teilen der Bevölkerung

machen Blinkert / Klie aufmerksam. Sie prognostizieren eine Abkehr vom Selberpflegen ins-

besondere in den Milieus der „liberalen bürgerlichen“ Bevölkerung, die zukünftig zahlenmä-

ßig stärker zunehmen werden. Auf der Basis ihrer Studie folgern sie für die Zukunft, dass

neue Mischformen von privater Solidarität und professionellen Dienstleistungen innerhalb

und außerhalb von Institutionen gefragt sind38. Aus beiden Perspektiven werden neue Pfle-

gemixe gefordert (Blinkert / Klie, 1999)..

Die alleinige Versorgung pflegebedürftiger oder auch hilfebedürftiger Personen in privaten

Haushalten durch pflegende und betreuende Angehörige ist in der Regel begrenzt, wenn bei

dem zu Pflegenden eine gerontopsychiatrische Erkrankung auftritt oder mit steigendem Alter

den Hauptpflegepersonen durch deren Ressourcen natürliche Grenzen gesetzt werden. Die

hohe Inanspruchnahme pflegender Angehöriger führt in einer steigenden Zahl von Fällen

bereits heute zu Überbelastungen, wie bereits in Kapitel 1 dargestellt. Aber auch eine Verla-

gerung der Leistungserbringung auf soziale und gesundheitliche Dienste kann die Versor-

gung nicht sicherstellen, da nicht nur fachliche Unterstützung benötigt wird, sondern auch

kommunikativer, sozialer und emotionaler Beistand erforderlich ist. Eine alltagsbezogene

häusliche Versorgung hilfe- und pflegebedürftiger Menschen setzt sich aus verschiedenen

Elementen zusammen.

Die steigende Lebenserwartung und damit einhergehend ein längerer andauernder Hilfebe-

darf haben die Selbsthilfefähigkeit in vielen Familien geschwächt. Es muss nach differenzier-

ten Versorgungskonzepten gesucht werden. Im Ansatz sind bereits Arrangements getroffen

worden, die auf die persönliche Lebenssituation abgestimmt worden sind. Als alleinige Ver-

sorgungsinstanz trifft die Familie zwar noch in mehr als jedem zweiten Pflegefall zu, jedoch

in 45% aller Pflegefälle treffen wir auf einen Pflegemix, der je nach Bedarf und Verfügbarkeit

private selbstfinanzierte Hilfen, professionelle Hilfen und / oder ehrenamtliche Kräfte einbe-

zieht (Schneekloth, 2002).

Mit ihrer repräsentativen Erhebung zum Hilfe- und Pflegebedarf in Privathaushalten in

Deutschland im Jahr 2003 hat Infratest Sozialforschung auch das häusliche Pflegearrange-

ment erfragt. Mit diesen aktuellen Daten haben wir zwar keine allein für NRW ausgewerteten

38 Die Befragung von Blinkert / Klie von ca. 400 Personen wurde in der schwäbischen Kleinstadt Munderkingen in der Altersgruppe der 40 – 60-Jährigen durchgeführt und hatte zwei Alternativen zur Entscheidung vorgelegt: 1. Die Verwandten zu Hause allein und ohne fremde Hilfe zu pflegen oder 2. für die Verwandten einen Platz in ei-nem gut geführten Pflegeheim in der Nachbarschaft zu suchen. Diese fiktiven als „entweder/oder“Fragen sind problematisch, da die geschilderten Alternativen die heutige Praxis nicht abbilden und somit auch keine verbrei-tete Vorstellung mit der Pflegesituation besteht. In der Infratest-Studie sind im Durchschnitt etwa 2 Helfer/innen an der Pflege eines Angehörigen beteiligt. Nur etwa ein Drittel der zu Pflegenden wird gemäß dieser Studie von einer einzelnen Person gepflegt. Problematisch erscheint auch die Gegenüberstellung von Alleinpflege ohne fremde Hilfe zu Hause (Belastung ist vorprogrammiert) und gut geführtes Pflegeheim in der Nachbarschaft (diese Pflegesituation trifft in der Regel nicht zu). Im Altersurvey kommen die Autoren zu anderen Ergebnissen, danach würden mehr als 80% der Befragten 40-85-Jährigen ihren Angehörigen pflegen (siehe auch Kapitel 3).

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Vorlagen (diese liegen erst Ende des Jahres 2004 vor) aber wir können davon ausgehen,

dass die Werte im Durchschnitt auch auf NRW anwendbar sind.

• Mehr als jeder zweite Pflegebedürftige (55%) bekommt ausschließlich private Hilfeleis-

tungen aus dem Kreis der Angehörigen oder Bekannten.

• Weitere 9% beziehen privat finanzierte Hilfen (nicht im engeren Sinne pflegerische Hil-

fen) mit ein, nehmen aber sonst keine pflegerischen Hilfen in Anspruch.

• Ein Anteil von 28% der Pflegebedürftigen erhält sowohl private als auch professionelle

Hilfen.

• Von allen Pflegebedürftigen erhalten noch 8% ausschließlich professionelle Pflege.

Bei Hilfebedürftigkeit (keine Pflegeanerkennung durch SGB XI) liegt die Eigenversorgung

naturgemäß höher als bei Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit. Von allen Haushalten mit pfle-

gebedürftigen Personen halten 18% die Hilfen nicht für ausreichend (14% nicht genügend

pflegerische Hilfen und 12% nicht genügend hauswirtschaftliche Hilfen).

• Personen mit einem Hilfebedarf erhalten zu 75% ausschließlich private Unterstützung.

• Weitere 9% beziehen privat finanzierte hauswirtschaftliche Hilfen mit ein. Dies sind je-

doch keine pflegerischen Hilfen im engeren Sinne.

• Ein kleiner Anteil von 1% verfügt über private und professionelle Pflege.

• Ausschließlich selbst finanzierte Hilfen ohne private Unterstützung suchen 3% der Hilfe-

bedürftigen.

• Von allen Hilfebedürftigen verzichten 12% auf private wie auch auf selbst finanzierte re-

gelmäßige unterstützende Dienstleitungen.

Von allen Haushalten mit einer hilfebedürftigen Person halten 12% die Hilfen nicht für aus-

reichend (8% nicht genügend pflegerische Hilfen und 9% nicht genügend hauswirtschaftliche

Hilfen). Diese aktuellen Zahlen machen deutlich, dass es bereits Pflegearrangements gibt,

die auf unterschiedliche Weise eigene wie fremde Ressourcen bündeln. Die Mehrheit sucht

im eigenen Angehörigenkreis Unterstützung. Es zeigt aber auch einen nicht gedeckten Hilfe-

bedarf auf (ebda.).

6.1 Aufgaben professioneller Pflege im Rahmen von Pflegear- rangements

Die Rahmenbedingungen für die Pflege in der Familie (Familienpflege) werden von der Ver-

fügbarkeit professioneller Pflege mitbestimmt. Dabei ist die Definition von Familienpflege wie

auch von professioneller Pflege nicht eindeutig. Familienpflege wird als Übernahme von

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Pflege durch den (Ehe-)Partner und/oder die Kinder einschließlich der Schwiegerkinder ver-

standen. Die Pflege wird durch die nahen Angehörigen direkt gegeben oder von diesen or-

ganisiert, wobei dann betreuerische Aufgaben (Kommunikation, soziale und emotionale Un-

terstützung, Aktivierung) mit übernommen werden. Als maßgeblich für die Bezeichnung

„Familienpflege“ (bzw. im Kontext „pflegende Angehörige“) wird hier die Verantwortungs-

übernahme über die Versorgung der pflegebedürftigen Person verstanden, die als Selbst-

pflege oder auch als Organisation der Pflege mit ergänzenden eigenen Leistungen gegeben

werden kann. Die organisatorischen Leistungen der Abstimmung unterschiedlicher Leis-

tungserbringer wird als Bestandteil der Familienpflege angesehen. Dies wird im Durchschnitt

bereits in zwei von drei Pflegehaushalten geleistet, da hier zwei und mehr Personen an der

Pflege beteiligt sind.

Diese Koordinationsleistungen werden an Bedeutung zunehmen, wenn sich die Berufstätig-

keit pflegender Angehöriger erhöht. Die deutliche Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frau-

en ist bereits in Kapitel 2 dargestellt worden. Die stärkere Einbindung der Männer in die Pfle-

ge wird dann erforderlich und zum Beispiel mit der Übernahme von Steuerungs- und Koordi-

nationsleistungen wäre sie auch zeitlich leistbar.

Die Familienpflege kann dann eine sichere Basis für die Versorgung Pflegebedürftiger sein,

wenn sie sich als flexibel erweist und unterstützende Angebote von außen annimmt. Über

dem steht die Leitorientierung die Verantwortung für die Familienmitglieder und diese ist wie

wir dargestellt haben nicht schwindend. Was sich ändert, sind die Vorstellungen von Pflege-

aufgaben, die selbst übernommen werden und solchen, die von beruflichen Pflegenden er-

bracht werden müssen.

„Berufliche Pflege gegen Entgelt“, wird auch als professionelle Pflege verstanden, „die theo-

riebasiert agiert, über ihre eigenen Wissensbestände und Standards sowie über eine gewis-

se fachliche Autonomie verfügt und mit berufsständischer und ethischer Selbstregulierung

ihre Eigenständigkeit und Autonomiefähigkeit unter Beweis stellt“, wie Blinkert und Klie dies

in Anlehnung an eine Formulierung der DGGG zusammenfassen (Blinkert / Klie, 2001: 83).

Dieses Pflegeverständnis ist für die Aufgaben im häuslichen Bereich von Bedeutung, da der

Pflegebegriff mehr umfasst, als die direkten Pflegeaufgaben.

Die immer wieder gestellte Frage nach den Aufgaben professioneller Pflege im Rahmen von

Pflegearrangements muss zudem vor dem Hintergrund unterschiedlicher Pflegekonzepte

beantwortet werden. Folgt die Konzeption bzw. Auffassung von der besten Versorgung des

Pflegebedürftigen einer funktionalen Betrachtung von Pflege und Versorgung mit der Maxime

von sauber und satt, stehen Pflegeleistungen instrumenteller Art wie Bettenmachen, Nah-

rungszufuhr, Hygiene, An- und Ausziehen u.ä. im Vordergrund. Weitere Ansprüche werden

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entsprechend der verfügbaren Zeit und der eigenen Vorstellung vom Alltagsleben gegeben.

Diese Orientierung, in den stationären Einrichtungen als Funktionspflege bekannt und am

stärksten verbreitet, wird jedoch heute kritisiert.

Eine andere Auffassung begründet sich aus der Betrachtung eines lebensweltorientierten

Konzeptes, in der die Leistung auch vermittelnde, aktivierende und fachlich auch auf Pflege-

besonderheiten wie bei Alzheimer-Patienten ausgerichtete Anforderungen umfasst.

Auf die berufliche Pflege in ambulanten Pflegediensten kommen nach Entzian / Klie (2000)

folgende Aufgaben zu:

• Körpernahe Versorgung im Bereich der Basisaktivitäten

• Mitarbeit bei der ärztlichen Diagnostik

• Sicherstellung einer fördernder Umgebung.

Es genügt nicht, die Pflege auf ein Spektrum von definierten Leistungen zu beziehen. Die zu

pflegende Person soll in ihrem Lebenszusammenhang ernst genommen werden. Dazu zählt

die Einbeziehung der räumlichen und sozialen Umwelt des Pflegebedürftigen. Und dazu

zählt ebenfalls die Auseinandersetzung mit der pflegebedürftigen Person und ihren Angehö-

rigen sowie das Aushandeln der zu erbringenden Leistungen. Damit kann eine „Übererwar-

tung“ an die zu erbringenden Leistungen vermieden werden aber auch die Bereitschaft för-

dern, sich auf den pflegebedürftigen Menschen einzulassen.

In der Betreuung von pflegebedürftigen Personen mit einer Demenz, die über einen längeren

Zeitraum progressiv verläuft, ist ein Zusammenspiel der Betreuenden Voraussetzung für eine

optimale Versorgung des Patienten. Die professionellen Pflegekräfte haben dabei nach Ka-

nowski (2001) drei unterschiedliche Rollen zu übernehmen:

1. Behandlung und Betreuung des Patienten,

2. die Unterstützung und Beratung von Familienangehörigen oder anderen Laien in der

Pflege,

3. die jeweiligen berufsspezifischen Fähigkeiten und Erfahrungen optimal einzubringen

und gleichzeitig offen zu sein für eine wirkungsvolle Kooperation mit allen anderen an

der Betreuung und Versorgung Beteiligten (ebda., 2001).

In der personenzentrierten Pflege liegt bereits tendenziell der Ansatz zu einem Pflegearran-

gement, indem unterschiedliche Anforderungen von Seiten des Patienten zu einer Rollentei-

lung führen. Die fachlich-organisatorische Rolle wird von Pflegefachkräften erwartet. Die

hieraus entspringende Rollenerwartung an die Pflegefachkräfte sieht zwar die Orientierung

am Krankheitsprozess als wesentlich an, geht jedoch hierüber hinaus und sucht die Lebens-

perspektive des Patienten mit einzubeziehen. Hierzu zählt das soziale Umfeld, also auch der

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Expertise: Freiwilliges Engagement und Solidarpotenziale... Ausführung: ISGOS-Berlin

Angehörige, die Freunde und Nachbarn und gegebenenfalls ein/e ehrenamtliche/r oder be-

zahlte/r Helfer oder Helferin.

Die häusliche Versorgung pflegebedürftiger Menschen erfolgt nach dem sogenannten „Nor-

malitätsprinzip“, das heißt, der Patient oder die Patientin wohnt so, wie andere Menschen

auch, in gewohnter selbstbestimmter Umgebung. Die Planung seiner Versorgung baut auf

der Kenntnis seiner Vorlieben und Gewohnheiten auf (biografieorientiert). Hierzu ist eine

Kenntnis der individuellen Besonderheiten erforderlich und diese ist ohne eine Mitwirkung

der Angehörigen nicht erreichbar.

Vor dem Hintergrund sich wandelnder Familienstrukturen und der sich daraus resultierenden

verändernden Aufgabenstellungen der Familienmitglieder auf der einen Seite wie auch der

professionellen Pflege auf der anderen Seite, ist zu erwarten, dass die Aufgabenteilung auch

gemeinsam verantwortet wird. Pflegebedürftige mit ihren Angehörigen stimmen zusammen

mit den Pflegefachkräften die Pflegeplanung ab. So kann es zukünftig gelingen, bei verän-

derten familiären Voraussetzungen die häusliche Pflege sicherzustellen und die Verantwor-

tung nicht der Familie abzunehmen, sondern mit ihr zu teilen. Hierin liegt eine der zentralen

Bedingungen für die weitere häusliche Pflege.

6.2 Pflege und Betreuung durch Angehörige

Mehr als jede zweite pflegebedürftige Person wird ausschließlich durch Angehörige versorgt.

Bei Hilfebedürftigen sind dies sogar 75%, die ausschließlich von Angehörigen betreut wer-

den. Ihre fachliche Kompetenz in der Pflege ist umstritten, da nur in Ausnahmen Pflegefach-

kompetenzen vorliegen. So rührt auch ein Teil der Belastungen durch Pflege aus einer zu

geringen Sachkenntnis.

Die Leistungen reichen von der Grundpflege bis zur emotionalen Betreuung. Eine Abgren-

zung findet zur Behandlungspflege statt. Sonst werden alle Leistungen selbst gegeben. Hier

offenbart sich ein grundlegendes Problem. Für die Durchführung von Pflegeaufgaben weisen

die pflegenden Angehörigen nur in Ausnahmen auch ausreichende Fachkompetenz auf. Nur

ein geringer Anteil der pflegenden Angehörigen hat an Pflegekursen, Anleitungen zum Pfle-

gen oder Schulungen teilgenommen, obwohl dies kostenfrei über die Pflegeversicherung

angeboten wird (§45 SGB XI). Da Familienpflege zumeist als Partnerpflege beginnt, oft erst

in höherem Alter, sollte eine Pflegeberatung durch professionelle Dienste besondere An-

sprachen an diese Betreuungsgruppe anwenden, um hier unterstützend zu wirken. Mit stei-

gendem Alter der zu Pflegenden geht die häusliche Pflege dann auf die Kinder über, bei ei-

ner hohen Bereitschaft zur Übernahme der Pflegeaufgaben. Die Motivation besteht aus einer

Mischung von Zuneigung, Solidarität und Pflichtgefühl, wie auch bereits im zweiten Kapitel

beschrieben.

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Inwieweit Pflegebedürftige und ihre Angehörigen Außenstehende in die Pflege einbeziehen,

ist ihnen selbst überlassen. Da die Leistungen der Pflegeversicherung flächendeckend ver-

breitet sind, stehen professionelle Dienste wie auch Laienhilfe zur Wahl, auch besteht die

Möglichkeit Geldleistungen zur Unterstützung der Pflegetätigkeit aus der Pflegeversicherung

zu erhalten. Es wird zunächst immer darum gehen, den Verbleib in der eigenen Häuslichkeit

sicherzustellen. Auf welche Bereiche richten sich die Aktivitäten in der häuslichen Pflege?

Elsbernd beschreibt nach Christeiner folgende Bereiche:

• Präventive Bemühungen zur Aufrechterhaltung von Gesundheitsverhalten,

• Versuche der Selbstbehandlung bei alltäglichen Beschwerden und Erkrankungen,

• soziale Unterstützung von kranken Angehörigen, Nachbarn oder Freunden bei der Be-

wältigung ihrer Krankheit oder Folgen einer medizinischen Behandlung,

• dauerhafte Betreuung und Pflege von chronisch erkrankten und pflegebedürftigen Ange-

hörigen, Nachbarn oder Freunden,

• selbstorganisierte und gegenseitige Hilfe von durch Gesundheitsproblemen ähnlich Be-

troffener in gesundheitsbezogenen Selbsthilfeinitiativen oder -gruppen (Elsbernd, 2000

nach Christeiner,1999)

Eine der zentralen Fragen richtet sich an die Qualität der Pflege. Diese Frage stellt sich nicht

allein professionellen Pflegekräften, sondern auch den Angehörigen. Was wollen sie mit der

Betreuung in der häuslichen Umgebung erreichen? Welches Pflegeziel soll umgesetzt wer-

den? Was kann der Angehörige dazu beitragen? Bei gravierenden Beeinträchtigungen sto-

ßen die Leistungen zum Eigenbeitrag des Angehörigen in der Regel an seine Grenzen. Aus-

gehend von der Erkenntnis, dass die Pflegequalität in der häuslichen Pflege in erster Linie

von den pflegenden Angehörigen abhängt, erscheint es sinnvoll, diese in die Lage zu ver-

setzten, ihre pflegerischen Maßnahmen auch fachlich versiert durchzuführen. Hierzu werden

Pflegekurse, wie bereits angesprochen, angeboten oder Beratungen zu Hause durchge-

führt39. Aufklärung, Information und Schulung erscheint in Anbetracht der oben angeführten

Aktivitätsbereiche in folgenden Themen wichtig. Die Ehrenamtlichen (und auch die Angehö-

rigen, wie im Folgenden auch) sollen ihr Handeln besser verstehen lernen. Sie sollen ihre

Erlebnisse verarbeiten und einordnen können und sie sollten wissen, dass sie sich in jedem

Fall an eine Vertrauensperson wenden und um Rat bitten können (Elsbernd a.a.O.).

39 Seit 1995 ist es theoretisch möglich, dass Pflegekurse für pflegende Angehörige zuhause stattfinden können. Seit dem 1. Januar 2002 fordert der Gesetzgeber, dass die Schulungen zu Hause angeboten werden sollen. Es soll verstärkt auf die individuell pflegerische und räumliche Situation des Betroffenen eingegangen werden (Braun/Göbel, 2003).

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6.3 Pflege und Betreuung durch Ehrenamtliche

Die Leistungen der Ehrenamtlichen liegen schwerpunktmäßig im betreuerischen Bereich,

weniger in körperbezogener Hilfe und Pflege. Ihre Angebote gelten als „niedrigschwellig“,

weil zu ihrer Durchführung keine professionelle Ausbildung vorausgesetzt wird. Anders als in

der Betreuung durch Angehörige sind sie wöchentlich nur stundenweise verfügbar. Die

Kombination von Angehörigen und ehrenamtlichen Hilfen stellt eine zunehmende Verbin-

dung dar. Die Leistungen ehrenamtlicher Kräfte umfassen Unterstützungen in der Erhaltung

sozialer Kompetenz durch regelmäßige Gespräche, Begleitung bei Freizeitaktivitäten und

Begegnungen mit anderen Personen, Aufsuchen von Institutionen, Ärzten oder notwendigen

Besorgungen, der Kommunikation dienen Gespräche, auch Vorlesen oder Spiele. Sind An-

gehörige vorhanden, erfolgt die Unterstützung zumeist während deren Abwesenheit (Schulz

u.a., 2003). Andere Übungen regen die Neugier, das Interesse an (schönen) Dingen und

wecken das Bedürfnis zur Mitwirkung durch Musik, Malen oder das Interesse an Tieren sollte

auch durch Ehrenamtliche ausgeführt werden können.

Ein wichtiger Aspekt in der Betreuung demenziell Erkrankter ist die Stärkung der Orientie-

rung an Tageszeit, Jahreszeit oder anderen Zeitmarken. Die Erinnerung an Personen und an

Ereignisse können ebenfalls durch Ehrenamtliche gefördert werden. Hierin liegt ein Stück

Biografiearbeit, die das Alltagsleben und die Orientierung zumindest zeitweise deutlich ver-

bessern kann.

Ein wesentliches Merkmal ehrenamtlicher Arbeit in der Pflege liegt in der Erweiterung der

Handlungsfähigkeit durch Weiterqualifizierung. Kaum ein anderer Tätigkeitsbereich bietet

Ehrenamtlichen ein so breites Spektrum an (Weiter-)Bildung an, wie der Pflegebereich.

Deshalb ist hier auch eine Grenzziehung zur professionellen Pflegearbeit notwendig, da die

Einsätze nicht vergütet, sondern lediglich Auslagen erstattet werden, aber hier scheinen die

Grenzen fließend zu sein. Einzelne Projekte in der Betreuung demenziell Erkrankter vergü-

ten bereits zu einem niedrigen Stundensatz und stehen damit auf der Stufe bezahlter Laien.

Die Grenze von der ehrenamtlichen Tätigkeit zur bezahlten Laienarbeit ist mitunter fließend.

Die Bezahlung der Tätigkeit selbst im Niedriglohnbereich von 5,- bis 10,- EURO (Schulz u.a.,

a.a.O.) macht bereits den Unterschied zum Ehrenamt aus. Die Vergütung soll einen Anreiz

und eine Kontinuität in den Einsätzen bei den Helfern bewirken. Überdies wird mit einer Ver-

gütung eine höhere Verbindlichkeit in der Arbeit gesehen und andererseits werden durch die

Bezahlungen auch Qualitäten versprochen, die eingelöst werden müssen.

Verschiedenen Studien entnehmen wir, dass die Bezahlung ein zwar steigendes Kriterium

aber insgesamt noch immer keine Voraussetzung für die Mitwirkung in ehrenamtlichen Tä-

tigkeiten ist. So liegen die Wünsche für eine finanzielle Vergütung des freiwilligen Engage-

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ments verschiedenen Umfragen zufolge zwischen 20 und 25% der Befragten (Dettbarn-

Reggentin / Reggentin, 2002a; Rohleder / Gröschel, 2002; Rosenbladt, 2000).

Anders wird die Weiterbildung und die fachliche Begleitung bewertet. Hier sucht nahezu je-

de/r zweite Ehrenamtliche oder Ehrenamtlicher nach Unterstützung.

6.4 Pflege und Betreuung durch bezahlte Laien und angelernte Kräfte

Nur jeder elfte Haushalt mit einer pflegebedürftigen Person nimmt Leistungen in Anspruch,

die nicht von professionellen Pflegekräften geleistet aber auch nicht ehrenamtlich geleistet

werden (Infratest, 2003). Soweit es bekannt ist, werden hauswirtschaftliche Leistungen getä-

tigt, wie saubermachen, einkaufen, Begleitdienste, Essen zubereiten. Grundpflegeleistungen

oder gar Behandlungspflege sind hier vermutlich die Ausnahme und werden dann mit geleis-

tet, wenn die Hilfe eine altenpflegerische oder krankenpflegerische Ausbildung aufweist.

Die zuvor genannten Hilfen werden generell den sogenannten niedrigschwelligen Hilfen oder

„weichen“ Hilfen zugeordnet. Sie sollen bei der Bewältigung der Alltagsverrichtungen unter-

stützen, daher scheint der Begriff „Alltagshilfen“ hier angemessen, wie Göpfert-Divivier

(2004) fordert, zumal auch die Bezeichnung „komplementäre Hilfen“ als komplementär zu

den Leistungen des SGB V und XI angesehen wird und somit ebenfalls in vielen Fällen, in

denen noch keine derartigen Dienste in Anspruch genommen werden, nicht zutreffend ist. An

möglichen Leistungen führt Göpfert-Divivier Beispiele an wie, Blumen gießen, Hund ausfüh-

ren, Vorlesen, Einkäufe erledigen, Kehrwoche besorgen, „Zeit, in der wir ganz für sie da

sind“. Diese Dienste hatten wir bereits den ehrenamtlichen Helfern zugeschlagen. Sie sind

natürlich auch über den Markt beziehbar. Werden diese Leistungen bei Sozialdiensten ange-

fordert, so sind Preise zwischen 13,50 und 16,00 EURO zu zahlen. Nach Göpfert-Divivier

verkaufen Pflegedienste, soweit sie dies in ihrem Repertoire haben, in Zeiteinheiten von

mindestens 30 Minuten und in Zusammenhang mit SGB V oder XI – Leistungen auch in klei-

neren Zeiteinheiten. Die Mitarbeiter/innen sind angelernte Kräfte und zumeist fest angestellt.

Sie erhalten zwischen 6,65 und 7,15 EURO je Stunde. Das Angebot von Pflegediensten bil-

det bisher eher die Ausnahme. Solche Leistungen werden bisher auf dem „grauen“ oder dem

„schwarzen“ Markt erbracht. Es sind auch Fremdfirmen aus der Reinigungsbranche oder der

Versicherungsbranche, die auf diesen Markt gehen. Eine Abgrenzung kann nur über die

Fortbildung der Mitarbeiter/innen erfolgen und in der Nähe zu professionellen Pflegediensten

weitere Leistungen vorhalten, die bei Bedarf sofort abgerufen werden können. Einige Dienste

bieten in Kooperation Alltagshilfen an. Die Partner können beispielsweise mobile soziale

Dienste sein, Nachbarschaftsvereine oder Träger mit Leistungsangeboten, die bereits sozia-

le und technische Hilfen zusammen anbieten. Hier kommen dann auch Teilnehmer/innen im

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Freiwilligen Sozialen Jahr, Zivildienstleistende, Praktikanten/innen oder Personen aus ABM-

Programmen zum Einsatz.

6.5 Abgrenzung Ehrenamt und professionelle Pflege

Die Pflegeleistungen können beruflich oder auch nicht beruflich erbracht werden. Von den

Pflegenden werden gewisse professionelle Mindeststandards verlangt und zumindest in der

gegenwärtigen Diskussion um die Pflegequalität auch gefordert. Somit stehen auch die Eh-

renamtlichen und die bezahlten Laienhelfer/innen unter einem fachlichen Professionalisie-

rungsdruck. Es muss damit gerechnet werden, dass die bis dato freiwillig erbrachten Leis-

tungen in naher Zukunft in Form von Erwerbsarbeit getätigt werden. Es wird angenommen,

dass nicht qualifizierte Hilfskräfte wie beispielsweise Laienhelfer/innen immer stärker in die

Pflegearbeit einbezogen werden und die qualifizierten Arbeitskräfte aus ihren angestammten

Arbeitsbereichen verdrängt werden (Polak u.a., 1999). Die Pflegefachkräfte übernehmen

wiederum in stärkerem Maße Behandlungspflege und spezielle Pflege, sowie Steuerungs-

und Koordinierungsleistungen. Ein weiterer Aufgabenbereich der professionellen Kräfte er-

wächst mit der Anleitung der ehrenamtlichen Kräfte (s.a. Elsbernd, a.a.O.).

Eine Abgrenzung und somit eine Unterscheidung zwischen den professionellen Helfern und

Helferinnen und den ehrenamtlich Tätigen sowie auch zu den bezahlten Laienhelfern wird in

der Regel an der Fachlichkeit der Helfer/innen und deren berufsmäßiger Ausübung gemes-

sen.

Nichtberufliche und berufliche Pflege

Nichtberufliche Pflege Berufliche Pflege

Angehörige Freunde Nachbarn

Ehrenamtliche Helfer/innenkreise Selbsthilfegruppen

Fachkraft Helfer/in Angelernte Kraft

Traditionelle Pflegeberufe Hauswirtschaft Heilpädagogik Sozialarbeit u.a. Komplementäre Dienste

Die Pflegearrangements setzen sich je nach Bedarf und Bereitschaft der Pflegebedürftigen

aus den nichtberuflichen und den beruflichen Kräften zusammen. In der beruflichen Pflege

besteht ein Professionalisierungsdruck, der mit steigender Verantwortung für Pflegeanam-

nese und Pflegesteuerung einhergeht (Blinkert / Klie, 2001). Auch an die nichtberufliche

Pflege werden vermehrt Qualitätsanforderungen gestellt. Dies macht sich besonders in der

Pflege und Betreuung demenziell Erkrankter bemerkbar. Weiterbildung gilt häufig bereits als

Bedingung für ehrenamtliche Helfer/innen. Sie müssen in vielen Einsatzgebieten Qualifizie-

rungsmaßnahmen nachweisen. Das Land NRW hat durch den Erlass einer Rechtsverord-

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nung im August 2003 Regelungen zur Anerkennung der Arbeit für niederschwellige Hilfen

und Betreuung entwickelt. Hierzu zählen:

„Anleitung der Helferinnen und Helfer durch qualifizierte Fachkräfte und

„verpflichtende Qualifizierungsangebote für die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mit-

arbeiter“ (Versorgungsamt Düsseldorf, 2003).

Neben der fachlichen Qualität werden von Laien und Ehrenamtlichen weitere Qualifikationen

gefordert, wie sie sonst auch von beruflichen Leistungserbringern erwartet werden. Hierzu

zählen Verlässlichkeit, Kontinuität, Verantwortungsübernahme und Einfühlungsvermögen.

6.6 Schulung und Qualifikation von Angehörigen und Ehren- amtlichen

Angehörige wie auch freiwillig Engagierte stehen in der Betreuung und Pflege vor der Frage,

wie eine Pflege geleistet werden muss, wenn man nichts falsch machen möchte. So stellen

Unterstützungsmaßnahmen bei chronisch Kranken, gerontopsychiatrisch Veränderten oder

bei Funktionsstörungen der zu pflegenden Person bereits Anforderungen an die richtige

Pflege, die Ehrenamtliche nur zu oft überfordern. Pflegende und Ehrenamtliche sollten sich

wie professionell Pflegende auch zunächst ein Pflegeziel setzen. Ganz allgemein wäre dies

die Stärkung der Handlungskompetenz der zu pflegenden Person. Es soll die Selbsthilfefä-

higkeit gefördert werden. Diese liegt bei jedem Krankheitsbild anders und muss jeweils be-

stimmt werden. Eine Schulung oder auch Beratung der Angehörigen, der freiwilligen Hel-

fer/innen geht von dieser ersten Bestimmung aus. Weitere Aspekte beinhalten die psychi-

schen und die emotionalen Anforderungen der Pflegesituation. Die körperbezogenen Aspek-

te sind ebenso Bestandteil der Schulung / Beratung wie die sozialen Beziehungen der zu

pflegenden Person. Pflegende Angehörige benötigen Beratung im Umgang mit der Verände-

rung der Betreuungsbedürftigen insbesondere bei demenziellen Erkrankungen. Es müssen

Entlastungsangebote und Krisenmanagement einbezogen werden, für die pflegenden Eh-

renamtlichen sind biographiebezogene Daten wichtig, so dass letztlich ein Bündel an The-

men die Helfer/innen in ihrer Tätigkeit unterstützen soll. Verbreitet sind derzeit Angebote an

ehrenamtliche Laien, Helfer/innen und Angehörige zur Schulung, die auf die zukünftigen

Aufgaben vorbereiten sollen und zum Teil auch begleitend zur Pflege gegeben werden.

Ganz überwiegend sind die Schulungsprogramme für beide Personengruppen, für die Ange-

hörigen wie auch für die Ehrenamtlichen gleich.

Empfohlen werden sollte generell der Besuch eines Rote-Kreuz-Lehrganges sowie die Ab-

solvierung eines Grundlagenseminars, das je nach Pflegeanfordeung bis zu ca. 30 Stunden

plus 10-stündiger begleitender Schulung und/oder Fallbesprechung umfassen kann.

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Das Grundlagenseminar sollte sich zumindest mit den Themen Motivation zur ehrenamtli-

chen Tätigkeit in der Pflege, der Situation der zu pflegenden Personen, relevanten Rechts-

fragen, den Krankheitsbildern und dem Umgang mit den Erkrankten befassen. Biographiear-

beit und Validation helfen im Umgang mit dem Kranken und sind deshalb auch Schulungs-

bestandteile. Weitere Themen sind Ernährung und Folgen von Fehlernährung und Dehydra-

tation, Hilfen in schwierigen Alltagssituationen mit verhaltensauffälligen Personen oder der

Aufbau von Betreuungsgruppen. Derartige Kurse werden von Alzheimer Gesellschaften,

Weiterbildungsinstituten oder auch von Trägern sozialer Dienste angeboten und sind in der

Regel kostenfrei. Die Absolventen/-innen bekommen am Ende ein Zertifikat und werden da-

mit zusätzlich motiviert, ihre ehrenamtliche Tätigkeit weiterzuführen.

Als eine wichtige Quelle, die notwendigen fachlichen Voraussetzung zur Betreuung zu erhal-

ten, wird das Pflegeleistungsergänzungsgesetz angesehen. Im SGB XI §45 finden sich die

Bestimmungen, die u.a. auch die Schulung der Helfer/innen über die Pflegekassen finanzie-

ren. „Personal- und Sachkosten, die mit der Koordination und Organisation der Hilfen und

der fachlichen Anleitung und Schulung der Betreuenden durch Fachkräfte verbunden sind“

werden gefördert, heißt es dort. Die Förderung steht im Zusammenhang mit der Pflegeaner-

kennung durch den MDK und wird nur dann gewährt, wenn eine Pflegestufe vorliegt. Die

Schulung sollte jedoch allen ehrenamtlich Interessierten kostenfrei gewährt werden. Hier

sollte die Kommune oder ein Träger einspringen und die Kosten übernehmen.

Welche weiteren Dienste bzw. Tätigkeiten werden zukünftig stärker nachgefragt werden?

Alltagshilfen-Diensteanbieter in Kooperation mit sozialen Diensten

Hilfeleistungen durch Anbieter auf dem Markt der Dienstleistungen fehlen weitgehend

(Göpfert-Divivier, 2004). Die Prognosen gehen dahin, dass derartige Leistungen zuneh-

men werden. Für derartige Leistungen gibt es offenbar noch preisliche Schranken, soweit

sie nicht marktfähig sind. Da diese Hilfen privat bezahlt werden müssen (Ausnahme in

besonderen Fällen durch das BSHG übernommen), summieren sich hier die Kosten bei

täglichem Bedarf. Diese Leistungen sind in der Regel haushaltsbezogen, weniger perso-

nenbezogen und benötigen Wissen in haushaltsbezogenen Diensten. Die Recherchen

von Göpfert-Divivier haben ergeben, dass Preise von 13,50 – 16,00 EURO die Stunde

als marktfähig angesehen werden können. Im Zusammenhang mit Pflegediensten wer-

den meist festangestellte Kräfte eingesetzt.

Diese Leistungen werden auch von Dritten angeboten, die dann allein oder in Kooperati-

on mit Pflegediensten ein bestimmtes Leistungsspektrum anbieten. Hier sind insbesonde-

re Betreute Wohnformen oder das Service-Wohnen angesprochen.

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Reha-Maßnahmen oder präventive Maßnahmen, die von Ehrenamtlichen oder bezahlten

Hilfskräften begleitet werden

Die Absicherung der selbstständigen Lebensweise in einem privaten Haushalt wird un-

terstützt durch Trainings die körperliche wie auch geistige Übungen einschließen. Einen

Teil davon können auch Ehrenamtliche zusammen mit den Pflegebedürftigen durchfüh-

ren, bei entsprechender Einweisung oder Schulung. Hierzu zählen Gedächtnistraining

und Sturzprophylaxe, Gehübungen, Orientierungsübungen sind leichte täglich durchführ-

bare Übungen, die unter Anleitung von Hilfskräften bereits Verbesserungen bewirken

können.

Beratungs- und Koordinierungsleistungen

Ein verschwindend kleiner Anteil der privaten Pflegepersonen tauscht sich regelmäßig

mit den professionellen Fachkräften aus. Nur 16% der Hauptpflegepersonen nehmen re-

gelmäßig Beratungs- und Unterstützungsformen in Anspruch (Infratest, 2003). Allein eine

bedarfsgerechte Ausstattung der Wohnung (barrierefreier Zugang, angepasstes Bade-

zimmer, Haus- oder Notruf, Schutzvorrichtung in der Küche u.ä.) ist bei der Mehrheit der

Pflegehaushalte nicht vorhanden. Hier liegt ein zukünftiges Betätigungsfeld für Wohnbe-

ratungsstellen sowie auch für Handwerker und Lieferanten, die solche Wohnungsanpas-

sungen vornehmen. Allein in Haushalten mit Pflegebedürftigen (323.000 in NRW) und mit

Hilfebedürftigen (678.000 in NRW) besteht ein hoher Beratungsbedarf, der die Woh-

nungsanpassungsmaßnahmen betrifft. Über eine pflegegerechte Ausstattung verfügt

nicht einmal jeder dritte Haushalt.

Aufsuchende soziale Arbeit zur Ermittlung alleinstehender Menschen mit Hilfebedarf

Etwa jede fünfte alleinlebende pflegebedürftige Person kann auf keine privaten Hilfen zu-

rückgreifen, 7% der alleinlebenden Pflegebedürftigen werden von privaten Hauptpflege-

personen unterstützt, die mehr als 30 Minuten entfernt wohnen und bei 14% dieser Per-

sonengruppe wohnen private Hauptpflegepersonen zwischen 10 und 30 Minuten entfernt

(Infratest, 2003).

Dieser Personenkreis benötigt im akuten Gefährdungsfall schnelle Hilfe und kurzfristig

oder auch länger täglich Personen, die in den Alltagshilfen unterstützen

Aufsuchende Hilfen niederschwelliger Art sind eine „klassische“ Domäne geschulter ehren-

amtlicher Kräfte. Auch bezahlte angelernte Kräfte wären hierfür geeignet. Ein Pool von Hel-

fern und Helferinnen und Diensten sollte in einer Vermittlungsstelle kurzfristig abrufbar sein.

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6.7 Pflegearrangement / Pflegemix - Perspektiven Die Zukunft der häuslichen Pflege wird in den kommenden Jahren, davon bestimmt, die vor-

handenen primären Netzwerke zu sichern und dort, wo sie prekär sind, zu ergänzen (zu

komplettieren) und gegebenenfalls zu verbessern.

Die Perspektive in der Pflege liegt somit in der Verschränkung von privat erbrachten Leistun-

gen mit ergänzenden Diensten. Die entstehenden „Hilfemixturen“ (Klie / Blaumeiser, 2002)

umfassen idealtypisch alle Felder sozialstaatlicher Wohlfahrt. Zu diesen zählen die zuvor

beschriebenen privat erbrachten Hilfen durch Familie und Freunde. Weitere Leistungen wer-

den von den freigemeinnützigen und privat-gewerblichen Trägern sozialer und gesundheitli-

cher Dienste, die auf dem Markt in unterschiedlicher Verbreitung und Leistung verfügbar sind

angeboten. Staatliche Leistungen und infrastrukturellen Ausstattungen und nicht zuletzt die

ehrenamtlich erbrachten Leistungen und die in Selbsthilfegruppen zusammen mit Gleichge-

sinnten geleistete Hilfen vervollständigen das Leistungsspektrum an Hilfen.

Bereits heute wird es für einen großen Teil schwierig, die Pflege allein durchzuführen. Eben-

so kann die Pflege durch Institutionen ohne das Zutun privater Helfer/innen nicht alle Bedarfe

abdecken. Eine Abstimmung zwischen Nachfrager und Anbieter muss für eine individuelle

Passung alltäglichen Wohlfahrtsmixes sorgen. Dies geschieht auf der Basis eines Case Ma-

nagements. Auch in diesem Gutachten gehen wir von einer steigenden Bedeutung der Ab-

stimmung der Hilfen aus. Die zunehmende Pluralisierung der Familien (siehe Kapitel 2), die

Individualisierung im Lebensstil von Menschen auch im hohen Alter oder etwa die steigende

Berufstätigkeit der Frauen (Hauptpflegepersonen) müssen durch das Case-Management

berücksichtigt werden.

Die gesamte Angebotsbreite an verfügbaren Wohlfahrtsprodukten ist auf ihren Nutzen für die

Förderung des Pflegebedürftigen zu prüfen. So werden sich unterschiedliche Konstellationen

im Arrangement ergeben. Eine alleinlebende pflegebedürftige Person wird Angebote benöti-

gen die stärker alltagsorientiert und sozial bezogen sind, während Personen, die in Familien

eingebunden sind, eher auf pflegefachliche Leistungen zurückgreifen werden.

Eine am konkreten Bedarf orientierte Versorgung sieht sich nicht nur einer vielfältigen Nach-

fragegruppe gegenüber, sondern muss sich auch mit einer äußerst heterogenen Träger- und

Finanzierungsstruktur auseinandersetzen. Diese werden zukünftig weitere Anbieter auf dem

Markt vorfinden, insbesondere im Bereich komplementärer Dienste werden mit der Expansi-

on häuslicher Pflege auch die realen wie die virtuellen Hausbesuche zunehmen. Es liegen

hierüber wenige Erfahrungen vor. Neu ist die Einbeziehung bürgerschaftlichen Engagements

in die Pflege die auch durch die Aufnahme der häuslichen Versorgung in das Pflegeleis-

tungsergänzungsgesetz Bestandteil geworden ist. Hierüber werden niederschwellige Ange-

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bote mit ehrenamtlichen Helfer/innen gefördert, die Pflegepersonen in Haushalten mit de-

menziell Erkrankten entlasten sollen. Die Einbeziehung ehrenamtlich Tätiger umfasst dar-

über hinaus auch Selbsthilfegruppen und deren Mitglieder sowie soziale Projekte.

Eine zentrale Aufgabe im Hinblick auf die Entwicklung eines Wohlfahrtsmix kommt der

Kommune als Steuerungsinstanz zu. Sie ist selbst Träger von Einrichtungen wie z.B. Pflege-

diensten und was für die Zukunft von mindestens ebenso großer Bedeutung ist, sie ist Trä-

ger von Wohnungsunternehmen. Mit innovativen Wohnprojekten in ihrem Bestand würde sie

Alternativen zum Bau stationärer Einrichtungen schaffen und zugleich den Wettbewerb an-

kurbeln. Mit der Eigeninitiative der Kommunen käme eine politische Steuerung zustande, die

Wildwuchs im Dienstleistungssektor und ein Qualitätsgefälle eindämmen könnte.

Die politische Gestaltung für die Vorhaltung einer ausreichenden Trägervielfalt liegt in der

Verantwortung der Kommunen. Sie hat für die Verfügbarkeit der notwendigen Leistungen zu

sorgen und diese in einer gewissen Qualität sicherzustellen. Vorrangig werden entsprechend

dem Subsidaritätsprinzip freigemeinnützige Träger die Dienstleistungen bereitstellen. Eine

Übertragung auf den Wohnungsmarkt könnte parallel hierzu auf die gemeinnützigen Woh-

nungsunternehmen übertragen werden. Die Sicherung mit Wohnraum für die Zielgruppe al-

leinwohnender alter Menschen mit Unterstützungsbedarf enthält auch Anforderungen an den

Wohnungsbau, die sonst nicht vorausgesetzt werden können (z.B. Gemeinschaftsräume,

Service-Verträge, Hausbesuche u.ä.). Einen weiteren Versorgungsaspekt hat die Kommune

zu berücksichtigen. Dies sind nicht-marktfähige soziale Dienste für gruppenspezifische Ziel-

gruppen, die nicht von privatgewerblichen Trägern angesprochen werden. Deren Bedarf an

Diensten ist von der Kommune zu sichern.

Die Aufgabe der Kommunen ist darin zu sehen, die miteinander konkurrierenden wie koope-

rierenden Angebote zu bündeln und zu koordinieren. Dazu bedarf es einer Übersicht über

die Anbietervielfalt und deren Leistungen.

• Zur Förderung des Case-Managements wird die Abstimmung zwischen Leistungen und

Leistungsträgern einerseits mit den informellen Helfer/innen und deren Netzwerk ande-

rerseits erfolgen müssen. Mögliche Kooperationsstrukturen sind zu entwickeln.

• Die Überwindung der Schnittstellenproblematik zwischen Leistungen des SGB V und

SGB XI (Beispiel: Krankenhaus – Pflegeheim oder ambulante Versorgung zu Hause)

sollte gefördert werden.

• Die örtliche Gesamtplanung sollte das gesamte System an Hilfen und Leistungen trans-

parent darstellen (Altenplan) und potenziellen wie auch die realen freiwillig engagierten

Helfer/innen einbeziehen. Der Plan ist jährlich unter Einbeziehung der vorhandenen fach-

lichen Potenziale anzupassen. In NRW ist das Konzept der Pflegekonferenzen entwi-

ckelt, dies wäre ein möglicher Ort der Diskussion.

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Expertise: Freiwilliges Engagement und Solidarpotenziale... Ausführung: ISGOS-Berlin

• Der Zugang für bestimmte Personengruppen mit Zugangsschwellen zu bestimmten Leis-

tungen ist abzubauen und durch zugehende Beratungsleistung gegenzusteuern. Die Er-

mittlung des Hilfebedarfs bei Personen, die allein leben und aufgrund ihrer körper-

lich/geistigen Verfassung nicht in der Lage sind, für sich entsprechende Hilfen zu organi-

sieren sollte durch präventive Hausbesuche erfolgen (z.B. Beispiel in Aachen). Wo das

nicht möglich ist sind andere Wege (z.B. über Hausärzte) zu suchen.

• Die Ermittlung der Verbraucherwünsche sollte auch mit Hilfe moderner Technologien

ermittelt werden (Ansätze, eigene Angebote über das Internet zu verbreiten bietet bei-

spielsweise das Netzwerk ExtraNett in Düsseldorf oder das Projekt LernNet in Ahlen).

Angesichts der Vielfalt möglicher Leistungen und Leistungsanbieter und in Anbetracht der

begrenzten Möglichkeiten, Leistungen aus dem geschlossenem Leistungskatalog des SGB

XI herauszunehmen und mit anderen Leistungen zu mischen, ist eine flexible Mischung aus

Pflegeleistungen und informellen Hilfen sowie komplementären Diensten erschwert. Als er-

folgversprechend für eine optimal angepasste Nutzung der Angebote wird eine Verfügbarkeit

über ein personenbezogenes Budget (nach dem Prinzip der Subjektförderung) angesehen.

Damit würde die pflegebedürftige Person bzw. ihre Angehörige in die Lage versetzt werden,

individuell zusammengestellte und auf die vorhandenen Ressourcen abgestimmte Hilfeleis-

tungen einzuholen.40

Welche Auswirkungen könnten die neuen Pflegearrangements für das freiwillige bürger-

schaftliche Engagement haben? Freiwillig Engagierte nehmen in den Überlegungen zum

Pflegemix eine exponierte Stellung ein, die sie heute kaum einmal ansatzweise zeigen. In

diesem Gutachten wird davon ausgegangen, dass die Bereitschaft zur ehrenamtlichen Arbeit

in der Pflege in der Zukunft entwickelbar ist. Ausgehend von den derzeit ca. 10% aller Pfle-

gehaushalte (siehe Kapitel 4), die von der Hilfe Ehrenamtlicher Gebrauch machen, wird sich

diese Zahl in Zukunft deutlich steigern lassen, allerdings müssen hierzu erhebliche Anstren-

gungen unternommen werden. Es muss auch davor gewarnt werden zu glauben, dass diese

Leistungen ohne Kostenaufwand zu bekommen seien. Die Anwerbung, Schulung, Anerken-

nungsgratifikationen, Auslagenerstattung, Versicherung (Haftpflicht, Unfall) und die Koordi-

nation (Verwaltung, Steuerung) müssen aufgebracht werden, sei es vom Träger sozialer

Dienste direkt oder von der Kommune, die letztlich eventuell auch mit Unterstützung durch

Landesmittel die Steuerung sichern muss.

40 Eine nähere Erläuterung zum personengebundenen Budget kann hier nicht aufgenommen werden. Hier kann auf einen Beitrag von Arntz / Spermann (2004) in Sozialer Fortschritt 1/2004 verwiesen werden, der unter dem Titel: „Wie lässt sich die gesetzliche Pflegeversicherung mit Hilfe personengebundener Budgets reformieren“ erschienen ist.

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Expertise: Freiwilliges Engagement und Solidarpotenziale... Ausführung: ISGOS-Berlin

Die Ehrenamtlichen stehen erstmals als direkt eingeplante „Anreicherung der örtlichen Hilfe-

strukturen“ (Enquete-Kommission Demografischer Wandel, 2002: 287) im Blickpunkt des

Gemeinwesens. Sie heben sich dadurch allerdings auch etwas von den weiterhin agierenden

Selbsthilfegruppen ab, deren Teilnehmer alle Leistungen füreinander kostenfrei erbringen

und die ihre Steuerung selbst leisten (mit Ausnahme der Gruppen, die an Selbsthilfekontakt-

stellen angeschlossen sind). Die Krankenkassen und einige Kommunen haben die Selbsthil-

fe bisher gefördert. Es ist zu hoffen, dass beide Formen bürgerschaftlichen Engagements

nicht in Konkurrenz zueinander, sondern weiterhin nicht nur nebeneinander, sondern zukünf-

tig auch miteinander agieren.

Die Investitionen in die ehrenamtlichen Helfer/innen sowie die für sie zu zahlenden Auf-

wandsentschädigungen sind ein Mindestmaß an Leistungen, die der/die Hilfeempfänger/in

oder sein/e Vertreter/in übernehmen sollte. Unter den ehrenamtlichen Tätigkeiten sind derar-

tige Hilfen mit einem zum Teil hohen Einsatz verbunden. Ohne solche Entschädigungen wä-

ren etwa auch die sozial Schwächeren ausgeschlossen, da beispielsweise allein das Fahr-

geld mit mehr als 50 EURO monatlich zu Buche schlagen kann. Über einen negativen Ein-

fluss auf die solidaritätsstiftende Wirkung bürgerschaftlichen Engagements ist bisher nichts

bekannt.

Die Prinzipien der Freiwilligkeit und der Partizipation von freiwillig Engagierten bleiben unse-

res Erachtens auch unter dem Zeichen eines Pflegemix unberührt, da dieses Feld ehrenamt-

licher Arbeit äußerst schwierig ist und wer hier bleibt (auch gegen Entgelt oder geringe Ver-

gütung, die in keinem Verhältnis zur Erwerbsarbeit steht) ist Träger des Gedankens der Soli-

darität. Es ist auch hier wieder die Kommune gefordert, die Ehrenamtskultur als eine Kultur

des wechselseitigen Respekts zwischen Helfern und Hilfebedürftigen wie auch zwischen

Ehrenamtlichen und Professionellen auszuzeichnen.

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7.0 „Best-practice“ - Beispiele“ für freiwilliges Engagement in der Pflege

Die folgenden Beispiele sind nach unterschiedlichem Hilfe- oder Bereuungsbedarf geordnet

und sollen aufzeigen, wie in Zukunft verschiedene Maßnahmen, Träger und Initiativen zu-

sammenwirken können. Die Beispiele tragen zumeist noch Projektcharakter, sind in ihrer

Anlage jedoch bereits richtungsweisend. Die Zuordnung folgt dem Schwerpunkt der Projekte

und wäre auch anders möglich, da alle Modelle dem Ziel nachgehen, einen Beitrag für zu-

künftige Pflegearrangements zu leisten.

7.1 Stationäre Pflege und Betreuung

In der stationären Versorgung sind bisher nur wenig Vorhaben bekannt, die in Form eines

Pflegemixes Angehörige oder auch Ehrenamtliche gezielt einbeziehen. Im Einzelfall werden

aus beinahe jeder stationären Einrichtung von Ehrenamtlichen berichtet, die Besuche ma-

chen, von Angehörigen, die auch die eine oder andere Aufgabe für ihre Verwandte über-

nehmen (Wäsche besorgen, zu Arztbesuchen begleiten, spazieren gehen u.ä.). Ohne eine

solche Unterstützung wären viele Heime kaum in der Lage, eine qualitätsvolle Versorgung zu

leisten. Das Problem liegt offenbar darin, diese Leistungen als solche anzuerkennen und

diese nicht als Einmischung in die Pflegeabläufe zu sehen. Andererseits wären mehr Ange-

hörige und eventuell auch Ehrenamtliche bereit, in Heimen zu unterstützen, wenn die Heime

mehr zu Wohnstätten umgestaltet werden würden. Beobachtungen in Wohngruppen zeigen

eine höhere Bereitschaft von Angehörigen zur Mitwirkung (Reggentin / Dettbarn-Reggentin,

2004).

7.1.1 Das Reginenhaus in Hamm-Rhynern Handlungsfeld Ehrenamtliche sind in verschiedenen Aufgabenbereichen des Altenheimes (71 Be-

wohner/innen) eingebunden. Sie übernehmen Arbeiten im Besuchsdienst, in der Betreuung, der Cafe-

teria, in der Qualitätssicherung insbesondere in der Mitwirkung bei Dementia Care Mapping, in der

Sterbebegleitung und in der Rezeption.

Träger/in Kirchengemeinde St. Regina, Reginenhaus Hamm-Rhynern und Förderverein

Zielgruppe 71 Bewohner/innen des Altenheimes und Ehrenamtliche für verschiedene Aufgabenberei-

che (u.a. als Paten für die Bewohner/innen)

Konzept Mit Hilfe von 71 ehrenamtlichen Besuchern aus dem Kreis der insgesamt ca. 150 Ehrenamt-

lichen wird jedem Bewohner und jeder Bewohnerin ein Pate zur Seite gestellt. Jede Bewohnerin und

jeder Bewohner hat somit einen Paten aus dem Ort, der ihn besucht. Da die Bewohner/innen vorwie-

gend aus dem umgebenden Stadtbezirk kommen kennen sie sich zum Teil untereinander oder auch

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Expertise: Freiwilliges Engagement und Solidarpotenziale... Ausführung: ISGOS-Berlin

die ehrenamtlichen Paten. Diese Besucher/innen bilden die erste Säule im Ehrenamtskonzept des

Reginenhauses. Die zweite Säule bildet das Betreuungsangebot der Ehrenamtlichen. Hier wirken 24

Freiwillige mit. Sie spielen, singen, musizieren oder organisieren Veranstaltungen für die Bewoh-

ner/innen. In der dritten Säule arbeiten 44 Freiwillige in der Cafeteria mit. Die Sterbebegleitung (vierte

Säule) wird von 8 freiwilligen Helfern und 2 hauptamtlichen Mitarbeiter/innen des Hauses getragen.

Eine weitere Säule stellt die Mitarbeit an der Rezeption an Samstagen und Sonntagen mit ihren 8

Ehrenamtlichen dar. Letztlich sind Ehrenamtliche an der Qualitätssicherung des Heimes beteiligt.

Sechs Freiwillige und 6 Hauptamtliche führen gemeinsam das Dementia Care Mapping durch. Sie

sind speziell ausgebildet und beobachten die Wirkung des Pflegehandelns.

Ziel Erhöhung der Lebensqualität und des Wohlbefindens der Bewohner/innen.

Vorgehen Die angeworbenen Ehrenamtlichen werden entsprechend ihren Wünschen weiterqualifi-

ziert und dann dort eingesetzt, wo sie es gerne möchten. Sie bestimmen selbst den Zeiteinsatz und

die Dauer.

Motive der Ehrenamtlichen Sie wollen nicht ihr Gewissen beruhigen, sie verstehen sich als Nach-

barn und als Garanten für das Aufrechterhalten des sozialen Netzes“ (Kochanek, Heimleiter)

Gender Es werden keine geschlechtsbezogenen Themen angeboten oder entwickelt.

Vorhandene Rahmenbedingungen Die Ehrenamtlichen werden in einem Förderverein aufgenom-

men (für sie kostenfrei). Die Anwerbung geschieht über die örtlichen Organisationen. Über den För-

derverein können sie mitbestimmen, wofür Geld ausgegeben wird und hierzu Vorschläge einbringen.

Zur Zeit melden sich die Bewerber/innen für eine Tätigkeit im Reginenhaus schon von selbst.

Abgrenzung zu professioneller Pflege Ehrenamt ist kein Stellenersatz, der Pflegeschlüssel muss

eingehalten werden. Ehrenamtliche tragen zusätzlich zur optimalen Pflege und Versorgung bei. Sie

werden wie Hauptamtliche behandelt aber sie werden nicht bezahlt.

Kosten Die im Zusammenhang mit dem Einsatz der Ehrenamtlichen entstehenden Kosten werden

bisher vom Träger übernommen (Lahrmann, 2003).

Das Reginenhaus hat ein sehr weitgehendes Konzept entwickelt und kann nach einer ca. 20-

jährigen Ehrenamtstradition auf eine Kultur des Miteinanders verweisen. Der Umfang des

Ehrenamtspotenzials belegt eine große Verankerung in der Kommune. In Zusammenarbeit

mit der Caritas-Konferenz ist eine Angehörigengruppe entstanden, so dass eine Pflegeorien-

tierung in den ambulanten Bereich hinein reicht.

Im Projekt SESA (Servicebüro für Ehrenamtlichkeit in der Stationären Altenhilfe, Federfüh-

rung Diakonisches Werk im Kreis Neuss) im Kreis Neuss soll vom Servicebüro ausgehend

die Einbindung von Ehrenamtlichen in die stationäre Altenhilfe forciert werden. Hierzu soll ein

Konzept zur systematischen Gewinnung, Einbindung und Begleitung in Einrichtungen entwi-

ckelt werden. Es haben sich vier stationäre Einrichtungen im Kreis Neuss aus unterschiedli-

cher Trägerschaft bereiterklärt, dieses Projekt in ihrem Haus zu unterstützen. Hier geht das

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Expertise: Freiwilliges Engagement und Solidarpotenziale... Ausführung: ISGOS-Berlin

Konzept vom Ehrenamtlichen aus und sucht Partner in Heimen der Region (Konzept: Diako-

nisches Werk, SESA).

In dem von der Stiftung Wohlfahrtspflege geförderten Projekt „Begegnungen“ soll durch das

Engagement von Freiwilligen die Lebensqualität demenziell Erkrankter in stationären Einrich-

tungen verbessert werden. Einbezogen in das Projekt sind neun Altenhilfeeinrichtungen der

Arbeiterwohlfahrt in Ostwestfalen-Lippe mit insgesamt 900 Plätzen. Von den Bewoh-

nern/innen sind 50% und 75% demenziell erkrankt. Zur Zeit sind 35 Freiwillige Helfer/innen

in den Einrichtungen aktiv. Die Ehrenamtlichen wurden für das Projekt „Begegnungen“ ge-

wonnen (AWO 2002, Projektbericht).

7.2 Teilstationäre Pflege und Betreuung

Die teilstationären Pflegeangebote waren als ein bedeutender ergänzender Bestandteil zur

häuslichen Pflege angesehen worden. Ihre Entwicklung und Inanspruchnahme wird jedoch

diesem Baustein in der Pflegekette nicht gerecht. Die Inanspruchnahme von teilstationären

Pflegeleistungen in Form von Tages- oder Nachtpflege erreichte 2003 lediglich rund 1% der

Pflegebedürftigen (Schneekloth, 2002). Bisher wurden die hohen Kosten der Tagespflege,

deren Nutzung auf die Gesamtpflegeleistungen angerechnet wird und somit die ambulanten

Dienste in ihrem Umfang reduziert, als Grund für eine zurückhaltende Nutzung angesehen.

Hier werden jedoch noch weitere Faktoren eine Rolle spielen wie etwa der Wandel der Nut-

zer zu mehr Hochaltrigen und Demenzkranken oder die Nähe einiger Tagespflegeeinrichtun-

gen (wie Kurzzeitpflege im übrigen auch) zu einer stationären Einrichtung. Daher sind Be-

strebungen wichtig, diesen Versorgungstyp in das kommunale Leben einzubeziehen.

7.2.1„Bürger engagieren sich und teilen Alter“ – Das BETA- Projekt in Baden-Württemberg

Handlungsfeld Die Tagespflege in der Gemeinde soll mit Hilfe von Ehrenamtlichen in örtlichen Ge-

meinden als pflegeflankierendes Element aufgebaut und der Daseinsvorsorge in ländlichen Regionen

ein fester Platz gegeben werden.

Träger/in Im Verbund unter der Koordination des DRK-Zentrums Fickerstift haben sich fünf Träger in

fünf Gemeinden beteiligt: Deutsches Rotes Kreuz, Seniorengenossenschaft (2x), Samariterstift, Deut-

scher Paritätischer Wohlfahrtsverband.

Zielgruppe Angesprochen werden Pflegebedürftige in privaten Haushalten und Freiwillige, die sich in

den fünf Standorten engagieren wollen.

Konzept Die Tagespflege soll zu einer wirksamen Entlastung der häuslichen Pflege beitragen. Eine

kommunale Akzeptanz und damit Verankerung soll über die Einbeziehung von Angehörigen und Eh-

renamtlichen erreicht werden. Im Unterschied zu herkömmlichen Tagespflegeeinrichtungen soll durch

das Betriebskonzept des „Wohlfahrtsmix“ und durch ihre Vernetzung und Kooperation in und mit den

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örtlichen Kommunen sowie durch eine starke Gemeindeorientierung jeweils ein lebendiges Zentrum

für gegenseitige Hilfsbereitschaft entstehen – im Gegensatz zu den bisherigen Zentren für speziali-

sierte Behandlung. Das freiwillige Engagement spielt in dem BETA-Projekt eine zentrale Rolle.

Ziel Schaffung einer Kultur des Miteinanders, indem die Kommune eine aktive Rolle einnimmt. Sie ist

Auftraggeber, Katalysator, Moderator, Vermittler und Unterstützer sowie Handlungsraum für Gesel-

lung. Es soll eine Dienstleistung mit niedrigschwelligen, differenzierten Angeboten geschaffen werden

und als Teil der Gemeinwesenarbeit in die Kommune implementiert werden.

Vorgehen Es sind vier Strategien vorgesehen: 1. Es werden verbindliche Kooperationen aufgebaut,

an denen die Freiwilligen von Anfang an beteiligt sind, 2. werden die Ressourcen innerhalb der Ge-

meinde in den beteiligten Einrichtungen erschlossen, 3. sind Ideen zu entwickeln, wie die Freiwilligen

sich einbringen, welche Konzepte umgesetzt werden sollen und wie die Schulungen und Trainings

von den Ehrenamtlichen geleistet werden und 4. werden Anlässe gesucht oder geschaffen, das Pro-

jekt in die Gemeinde hineinzutragen.

Motive der Ehrenamtlichen Etwas für andere tun zu wollen, zu einer Gruppe (von Engagierten) ge-

hören zu wollen, eigene Erfahrungen einbringen zu können, etwas Neues lernen zu können.

Qualifikation Es werden Lernbausteine mit Trainingscharakter umgesetzt in denen Themen wie:

Mentorenkurs (Umfeld Lebensqualität für das hohe Alter), Erinnerungspflege (Klienten sind hoch be-

tagt und/oder demenzkrank), Assistenz zur Verbesserung der Alltagsqualität (u.a. Bewegung, Sturz-

prophylaxe, Kommunikation), Wohngruppen- und haushaltsbezogene Assistenz (Dementia Care

Mapping, Heimfürsprecher). Weitere Lernbausteine sind auf die Förderung von Projektprozessen

ausgerichtet wie der Aufbau von betreuten Hausgemeinschaften, Erinnerungszentren (Lernorte) oder

niedrigschwellige Initiativen.

Gender Es sind keine besonderen geschlechtspezifischen Ansprachen vorgesehen.

Vorhandene Rahmenbedingungen Die Träger stellen die Einrichtung und die benötigten Ressour-

cen, die Kommunen unterstützen (Projektförderung durch Bundesministerium für Gesundheit und das

Land Baden-Württemberg).

Abgrenzung zu professioneller Pflege Die Leistungen der Ehrenamtlichen liegen außerhalb des

Aufgabenbereiches der hauptamtlichen Mitarbeiter/innen der Träger. Sie assistieren in den unter-

schiedlichen Bereichen mit niederschwelligen Hilfen.

Kosten Im Projektverlauf durch öffentliche Fördermittel angeschoben, weitere Kosten liegen bei den

Kommunen und den Trägern (Bagso-Nachrichten online, 2001).

Die Unterstützung der häuslichen Betreuung durch Tagespflege entfaltet bisher nur eine be-

grenzte Wirkung. Die hohen Kosten hindern an einer breiteren Inanspruchnahme. Der Be-

kanntheitsgrad ist zudem in vielen Regionen nur gering. In ländlichen Regionen sind oft

Transportprobleme hinderlich und der häufige Wechsel des Personals wirkt sich ungünstig

auf die Akzeptanz der Besucher/innen aus. Eine Kombination von Tagespflege und Tages-

betreuung kann dagegen mehr Personen erreichen. So werden auch Personen mit geringem

Pflegebedarf angesprochen, die zudem auch einen geringen Kostensatz tragen müssen.

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7.3 Ambulante Pflege und Betreuung

Ein zunehmender Anteil älterer Menschen mit Betreuungsbedarf wohnt allein und benötigt im

Falle eintretender Hilfebedürftigkeit oft nur niederschwellige Hilfen, Kontakte, die zur Aktivität

anregen, Maßnahmen zur Stützung der kognitiven und der physischen Fähigkeiten oder so-

zialen Beziehungen. Für diesen Kreis sind niederschwellige Hilfen ausreichend. Diese sind in

der Regel auch finanzierbar, weitergehend sind bei eintretendem Pflegebedarf professionelle

pflegerische Hilfen. Diese sollten dann mit den ergänzenden Maßnahmen abgestimmt wer-

den. Hier ist Case-management gefragt.

7.3.1 Haltestelle Diakonie, Berlin, Perspektiven für Menschen mit Demenz

Handlungsfeld Mit der Unterstützung alleinstehender und alleinwohnender Menschen mit Demenz

(generell trifft dieses Konzept auf alle alleinstehenden Menschen mit Hilfebedarf zu) sucht dieses Pro-

jekt ein Betreuungs- und Pflegearrangement zu treffen, mit dem „alte“ und „neue“ Angehörige im Zu-

sammenspiel mit Alltagshilfen und ambulanten Diensten das Alleinwohnen so lange wie möglich zu

sichern helfen.

Träger/in Ev. Verband für Altenarbeit und Ambulante Pflegerische Dienste (EVAP) im Diakonischen

Werk Berlin-Brandenburg. Konzept und Evaluation durch ISGOS Berlin.

Zielgruppe Angesprochen werden alleinwohnende Menschen mit demenziellen und psychischen

Erkrankungen, im Einzelfall auch schwer somatisch Erkrankte und Personen mit Hilfebedarf.

Konzept Mit Methoden der aufsuchenden und aufspürenden Altensozialarbeit werden Hilfebedürftige

ermittelt. Zusammen mit Fachkräften beteiligter Sozialdienste und Hilfen ehrenamtlicher Kräfte werden

Pflegearrangements zusammengestellt und versucht, soziale Netze aufzubauen, in die „alte“ Angehö-

rige (Angehörige, die weiter entfernt wohnen oder die sehr stark durch die Pflege belastet sind) und

„neue“ Angehörige (Nachbarn, Bekannte, Ehrenamtliche) in die sozialen Netze einbezogen und somit

soll das Alltagsleben für die Betroffenen sicherer gemacht werden.

Ziel Erhalt der größtmöglichen Selbstständigkeit auch bei auftretender Demenz mit Verbesserung der

Lebensqualität der Betroffenen durch den Aufbau sozialer Netze und Sicherung der Alltagsgestaltung,

Verhinderung sozialer Isolation.

Vorgehen 1. Es werden Ehrenamtliche für die Angebote niederschwelliger Hilfen und die Durchfüh-

rung von Maßnahmen zur Prävention von somatischen Erkrankungen und zur Verlangsamung des

Demenzverlaufes durch Trainings der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit eingesetzt. 2.

Parallel hierzu werden Alleinwohnende aufgespürt über drei verschiedene Wege, die schwerpunkt-

mäßig: a) über Hausärzte und Nervenärzte, b) über Institutionen der Gesundheits- und Sozialverwal-

tungen und c) über informelle Organisationen und Einrichtungen sowie über Einzelpersonen, die mit

Pflege- und Hilfebedürftigen in Kontakt kommen, gesucht werden.

Motive der Ehrenamtlichen Suche nach einer sinnvollen Aufgabe, Pflegeerfahrung einsetzen, Neues

lernen.

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Qualifikation Wird begleitend erworben durch 40 Stunden Weiterbildung in Gerontopsychiatrie.

Gender Es werden Männer wie auch Frauen gleichermaßen zur Mitarbeit angesprochen, bisher ha-

ben mehrheitlich Frauen angefragt.

Vorhandene Rahmenbedingungen Ein Träger sozialer Dienste muss vorhanden sein als Anlauf-

und Vermittlungsstelle (ambulanter Dienst); ein(e) Berater/in bzw. Koordinatorin stellt die Kontakte her

und setzt die Ehrenamtlichen ein.

Abgrenzung zu professioneller Pflege Die Hilfeleistungen umfassen bei anerkannter Pflegebedürf-

tigkeit (SGB XI) des Hilfebedürftigen keine Tätigkeiten, die durch Pflegedienste erbracht und abge-

rechnet werden können. Bei fehlender Voraussetzung für eine Pflegestufe nach SGB XI werden Leis-

tungen erbracht, die von professionellen Diensten nicht angeboten werden.

Kosten Ein Arbeitsplatz mit Computer und Telefon, sowie eine drittel Stelle für die Koordinatorin, des

weiteren Weiterbildungskosten für die Ehrenamtlichen (Carekonkret, 2004, Projektantrag ISGOS).

Das Thema der alleinwohnenden Menschen mit Pflegebedarf wird zukünftig noch stärker in den Vor-

dergrund rücken. Hier sind vor allem die städtischen Regionen und ihr Einzugsbereich betroffen. Im

Verbund mit der Wohnungswirtschaft sind einige nachbarschaftsorientierte Angebote entstanden, in

denen die Bewohner/innen mitwirken. In diese Richtung soll auch das oben beschriebene Projekt

weiter entwickelt werden. Hier kommt den Kommunen und den Wohlfahrtsverbänden eine moderie-

rende Aufgabe zu.

7.4 Angehörigenunterstützung

Zu den bereits verbreiteten Unterstützungsleistungen pflegender Angehöriger zählen Pflege-

entlastungen durch Betreuungsangebote. Diese sind in der Regel niederschwellig angelegt,

das heißt, die Leistung liegt in der Betreuung, weniger oder gar nicht in der Pflege. Der Vor-

teil liegt in der Chance, eine Betreuungsgruppe mit relativ wenig Aufwand einrichten zu kön-

nen und diese Gruppe mit vorrangig Ehrenamtlichen führen zu können. Allerdings sind Per-

sonen mit schwerer Demenz nur schwer integrierbar, da hier ein spezielles Betreuungskon-

zept erforderlich ist. Die Angebote sind auf die Einbeziehung Ehrenamtlicher begründet und

sie werden als Teil eines Gesamtangebotes, häufig bereits als Netzwerk oder Kooperations-

angebot entwickelt. Zielgruppe ist vermehrt die zunehmende Gruppe der Demenzkranken

und ihre Angehörigen.

7.4.1 Forum Demenz, Duisburg – Angebote zur Begleitung und Unterstützung von Demenzkranken und ihren Angehörigen

Handlungsfeld Unterstützung pflegender Angehöriger, Aufbau, Verbreitung und Vernetzung nie-

derschwelliger Angebote als Entlastungshilfen für demenziell veränderte Menschen und ihre Angehö-

rigen.

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Träger/in Das Forum Demenz ist ein Projektverbund der Arbeiterwohlfahrt e.V., des Ev. Christophe-

ruswerkes e.V. und der Gesellschaft paritätischer Sozialarbeit in Duisburg.

Zielgruppe Entwicklung und Erweiterung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten für Demenz-

kranke und ihre Angehörige.

Konzept Das Forum Demenz versteht sich als Kooperationsprojekt, dass auf verschiedenen Projekt-

ebenen Angebote für pflegende Angehörige offeriert und sie im Verbund zusammenfasst. Die Leis-

tungen der Kooperationspartner umfassen folgende Angebote: Zur Verbreitung der Projektziele wer-

den Initiatoren von Betreuungsgruppen geschult, freiwillige Helferkreise aufgebaut (derzeit 20 Perso-

nen), auf den verschiedenen Ebenen potenzielle Projektpartner/innen gesucht und zusammengeführt.

Des weiteren wird ein häuslicher Unterstützungsdienst aufgebaut und niederschwellige Angebote in

verschiedenen Stadtbezirken entwickelt (Angehörigengruppe „Seitenwechsel“, „Cafe Kränzchen“,

Cafe Röschen“, „Cafe Mikado“, „Cafe Gingko“, „Blaues Cafe“ mit Gruppenangeboten für Angehörige).

Eine Bestandsermittlung durch Erfassen der Angebote und Ermittlung von Angebotslücken soll eine

zielgenaue Ausrichtung der vorgeschlagenen Maßnahmen ermöglichen.

Ziel Aufbau eines bedarfsorientierten Beratungs- und Unterstützungsangebotes zur Entlastung pfle-

gender Angehöriger

Vorgehen Aufbau einer zentralen Beratungs- und Vermittlungsstelle für Betroffene und Angehörige

und Begleitung im Sinne eines Case-Managements. Mit der überregionalen Initiatorenschulung für die

Einrichtungen niederschwelliger Angebote werden Multiplikatoren eingesetzt. Anlaufstellen sind in

Form von Cafes entstanden, die regelmäßig Betreuungsgruppen anbieten und die Angehörigen ent-

lasten.

Motive der Ehrenamtlichen Neue Kontakte, Lebenserfahrung und Fähigkeiten einbringen, Verant-

wortung übernehmen, anderen helfen (Fürsorge und Zuwendung geben).

Gender Es sind keine geschlechtsspezifischen Angebote vorgesehen.

Vorhandene Rahmenbedingungen Die Projektträger entwickeln selbstständig und eigenverantwort-

lich im Projektrahmen bzw. Projektverbund ihre Angebote. Teilbereiche werden gemeinsam umge-

setzt wie Initiatorenschulung, Information und Vermittlung oder Erfassen der Angebotsstruktur. Abgrenzung zu professioneller Pflege Freiwillig Engagierte übernehmen Aufgaben im nieder-

schwelligen Bereich wie stundenweise Betreuung. Dafür bekommen sie eine 30-stündige kostenlose

Schulung mit Abschlusszertifikat.

Kosten Für einen Betreuungseinsatz (2-3 Stunden) erhalten die Ehrenamtlichen eine Aufwandsent-

schädigung von 10 EURO. Für die Pflegebedürftigen entstehen Kosten von 10 EURO pro Nachmittag

Betreuung in einem der Cafe-Angebote. Die Abrechnung kann bei entsprechender Voraussetzung

über das Pflegeleistungsergänzungsgesetz erfolgen (Konzepte und Anlagen, Forum Demenz).

Regelmäßige Betreuungsangebote benötigen ein Raumangebot, das für ca. 8 bis 10 Perso-

nen zugeschnitten ist. Personell sollte je Besucher/in eine ehrenamtliche Betreuungsperson

vorhanden sein. Eine Fachkraft für die Betreuungsgruppe ist ebenfalls einzuplanen. Des wei-

teren muss der Fahrdienst organisiert werden. Der Beitrag pro Besucher/in für Betreuung

und Kaffee liegt zwischen 10 und 20 EURO pro Nachmittag.

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In Baden-Württemberg wurden in den neunziger Jahren erste Helferinnengruppen gegrün-

det, die pflegende Angehörige stundenweise und zum Teil auch tagsüber entlasten konnten.

Diese Initiativen fanden bald Verbreitung und mit Hilfe von Landesfördermitteln konnte eine

gewisse Institutionalisierung erreicht werden. Auch in Nordrhein-Westfalen sind zahlreiche

Angebote für eine stundenweise Betreuung in einer Betreuungsgruppe entstanden. Ganz

ähnlich wie das Forum Demenz in Duisburg arbeitet die Diakonie in Düsseldorf in einem

Netzwerk, das eine offene Versorgungsstruktur mit einem breiten Angebotsspektrum enthält.

Die Alzheimer Gesellschaft im Kreis Warendorf (Konzept, Alzheimer Gesellschaft im Kreis

Warendorf e.V.) bietet zweimal monatlich Betreuungsnachmittage an. Mit hierfür geschulten

ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen und einer hauptamtlichen Kraft werden die Gäste versorgt.

Auch hier wie in vielen anderen neu entstandenen Helfergruppen stehen demenziell erkrank-

te Menschen im Mittelpunkt, stets mit dem Ziel verbunden, die Angehörigen für eine Zeit zu

entlasten. Eine solche Initiative kann auch von bestehenden Treffs, Zentren, Begleitdiensten

o.ä. ausgehen wie etwa in Huckarde, wo das örtliche Frauenzentrum Huckarde 1980 e.V: ein

wöchentliches Betreuungsangebot für demenzkranke ältere Menschen entwickelt hat. In

Münster entstand aus einem Gesprächskreis für pflegende Angehörige ein Besuchskreis, in

dem jede besuchte Person eine feste Ansprechpartnerin hat. (Pflegende Angehörige, 2003).

Das Projekt „Lichtblick“ ist ebenfalls in Münster entstanden. Es bietet für psychisch erkrank-

te ältere Menschen und deren Angehörige einen häuslichen Besuchsdienst. Träger ist das

gerontopsychiatrische Zentrum –Alexianer-Krankenhaus-. Es handelt sich hierbei um ein

kostenloses Angebot im niederschwelligen Bereich, das überwiegend durch Freiwillige aus

dem Kreis der Mitarbeiter/innen geleistet wird. Das Besondere hieran ist, dass es sich bei

Mitarbeiter/innen überwiegend um Studierende handelt. (Pflegende Angehörige, 2003).

7.5 Gemeinschaftliche Selbsthilfe

Pflegeleistungen auf der Basis von Selbsthilfe ohne fremde Hilfe oder Unterstützung durch

soziale Dienste wird von mehr als jedem zweiten Haushalt mit einer pflegebedürftigen Per-

son erbracht. Zusammen mit ebenfalls betroffenen Angehörigen, Interessierten und freiwillig

Engagierten Pflege als Gemeinschaftsaufgabe wahrzunehmen, wird zur gemeinschaftlichen

Selbsthilfe. Diese Form der Selbstorganisation sind im Gesundheits- und Sozialbereich all-

gemein gegenüber anderen Sektoren wie Kultur oder Politik deutlich stärker verbreitet (Frei-

willigen-Survey, 2000; Reggentin / Dettbarn-Reggentin, 1998). In diesen Gruppen stehen

Aktivitäten im Vordergrund, die den Umgang mit dem eigenen Leiden erleichtern sollen. Im

Einzelfall werden auch pflegerische Tätigkeiten gegeben. Im Bezug auf eine Dauerpflege im

Zusammenspiel mit anderen Leistungserbringern sind Wohngruppen für Pflegebedürftige

entstanden und hier wiederum Wohngruppen für demenziell Erkrankte. Diese auf Selbsthilfe

basierenden Pflegearrangements zählen zu dem Pflegemix, die zukunftsweisend die vor-

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handenen Ressourcen bündeln und personennah mit Bezug zum Betroffenen die Versor-

gung leisten. Da Wohngruppen für Demenzkranke auch in NRW selten anzutreffen sind und

die Gründung einer solchen Wohngruppe durch eine Selbsthilfegruppe von betroffenen An-

gehörigen und weiteren Engagierten selbst bundesweit die Ausnahme darstellt, soll das

Bremer Modell hier beispielhaft dargestellt werden.

7.5.1„Die Woge“ - Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz e.V., Bremen

Handlungsfeld Pflegeversorgung durch betroffene Angehörige in selbstorganisierter Wohngruppe

als Alternative zum Heim und zur häuslichen Einzelversorgung.

Träger/in Die Woge e.V., eine Gruppe von Angehörigen, Fachkräften aus der Pflege, Sozialpädago-

ginnen und Interessierten.

Zielgruppe Personen mit einer demenziellen Erkrankung, die in häuslicher Umgebung nicht oder

nicht mehr versorgt werden können. Angehörige, die in der Pflegearbeit den auf Selbsthilfe begründe-

ten Verein in irgendeiner Form unterstützen wollen.

Konzept Die Mitglieder/innen des Vereins planen eine Wohngruppe, führen die Umsetzung durch

und sichern die Betreuung. In diesen Prozess werden Angehörige, Betreuer, Ärzte und andere Perso-

nen einbezogen. Die Pflegeleistung wird von anerkannten Fachkräften geleistet, andere Arbeiten von

Präsenzkräften, die auch aus dem Kreis der Angehörigen gewonnen werden. Andere relevante Tätig-

keiten wie Abrechnung und Buchhaltung werden ebenfalls von Angehörigen bzw. Vereinsmitgliedern

durchgeführt.

Ziel Mit dem selbstgesteuerten Pflegeeinsatz soll eine möglichst personennahe Betreuung gewähr-

leistet werden. Die Alltagsorganisation erlaubt eine „Normalität“ in der Pflege, die einen gemein-

schaftsorientierten familienähnlichen Charakter trägt. Dieser milieubezogene Ansatz soll bei den Be-

troffenen zu einer größeren Vitalität führen und Verhaltensauffälligkeiten abbauen. Den Patienten und

Patientinnen wird somit weiterhin das Wohnen in einer häuslichen Umgebung ermöglicht.

Vorgehen Der Zusammenschluss der Teilnehmer/innen erfolgte auf der Grundlage einer Vereinssat-

zung. Es wurden die Aufnahmekriterien für die Bewohner/innen festgelegt (leichte bis mittelschwere

Demenz, Pflegestufe II) und die Aufgaben der Betreuung bestimmt. Kostenträger mussten feststehen

und Absprachen mit dem Sozialhilfeträger getroffen werden. Per Aufruf in verschiedenen Medien wer-

den weitere Bewohner/innen und Mitwirkende gesucht. Parallel wurde ein angemessener Wohnraum

gesucht, der pro Bewohner und Bewohnerin ein eigenes Zimmer mit ca. 16 qm Größe, Sanitärräume,

einen Gemeinschaftsraum mit Kochgelegenheit, einen Garten oder große Terrasse bietet. Der Verein

mietet die Räume an und schließt mit den einzelnen Bewohnern Mietverträge ab.

Motive der Ehrenamtlichen Die Ablehnung der stationären Versorgung, Beteiligung an der Versor-

gung, Übernahme von Aufgaben, die Gewissheit einer „besseren“ Versorgung als es zuletzt im eige-

nen Haushalt möglich war und wie es in einer stationären Einrichtung zu erwarten ist.

Gender Es gibt keine geschlechtsspezifischen Ausrichtungen des Konzeptes.

Vorhandene Rahmenbedingungen Es stellt sich als mühsam heraus, wenn die angesprochenen

Institutionen (z.B. Heimaufsicht, MDK, Bauaufsicht, Sozialamt, Kostenträger, überörtlicher Sozialhilfe-

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Expertise: Freiwilliges Engagement und Solidarpotenziale... Ausführung: ISGOS-Berlin

träger) unterschiedliche Vorstellungen von einem selbst getragenem Projekt haben. Ansonsten Ko-

operation mit der Bremer Heimstiftung (Vermieter des Wohnraumes für die erste WG).

Abgrenzung zu professioneller Pflege Es erfolgt insofern eine Abgrenzung, als die abrechnungsfä-

higen Leistungen von Pflegefachkräften ausgeführt werden. Alle anderen alltagsbezogenen Dienste

werden von den betreuungsbereiten und -fähigen Angehörigen erbracht.

Kosten Die Selbsthilfearbeit hilft einen Teil der Kosten sparen, die für Verwaltung, Betreuungsleistun-

gen, hauswirtschaftliche Dienste, Begleitdienste u.ä ausgegeben werden müssten. Die reinen Pflege-

leistungen werden gem. Pflegestufe als ambulante Leistung abgerechnet (Konzept: Die Woge, Bre-

men).

Die Einrichtung von Wohngruppen wird in den Bundesländern und auch innerhalb der Bun-

desländer sehr unterschiedlich behandelt. Die Mehrheit der bisher bekannten Projekte hatte

bisher Schwierigkeiten in der Akzeptanz, obwohl Eigeninitiative eine erhebliche Ersparnis bei

der Bereitstellung stationärer Pflegeheimplätze darstellt, die geschaffen werden müssten,

wenn die Bewohner/innen von Wohngruppen nicht weiter im häuslichem Bereich versorgt

werden können. Der Pflegemix in den Wohngruppen ist bisher noch nicht auf seine wahre

Kostenersparnis und damit verbunden, seine Pflegequalität untersucht worden. Es wird ver-

mutet, dass es hier zu Verbesserungen in der Koordination und Kooperation wie auch zu

Ersparnissen bei den Kosten führen kann.41

7.6 Kommunales Verbundnetzwerk der Altenhilfe

Die Verantwortlichkeit für die Daseinsfürsorge obliegt in einem Gemeinwesen in besonderer

Weise den Kommunen bzw. Kreisen. Die Besonderheit ihrer Verantwortung rührt nicht zu-

letzt an der starken Segmentierung der Leistungen aus den sozialen Sicherungssystemen.

Der individuelle Leistungsbedarf wird von diesen nur begrenzt abgedeckt, Leistungsergän-

zungen werden notwendig und diese müssen vorgehalten werden. Der Kommune kommt

hierbei die Schlüsselstellung zu, denn die Konzeption, die Planung und die Steuerung stellen

eine für den Bürger und die Bürgerin neutrale, von Interessen Dritter unberührte Leistung

dar. Da Leistungen nicht nur begrenzt, sondern auch aus unterschiedlichen Systemen ent-

springen und dort auch sich gegeneinander abgrenzen, sind Leistungsbündel oder Lei-

stungsmixe erforderlich, die auf die Personengruppe der Pflegebedürftigen zugeschnitten

werden müssen. Konzeptionell konkurrieren hier medizinisch-pflegerische Sichtweisen mit

sozial- und milieuorientierten Vorstellungen von Versorgung. Auf der einen Seite wird die

pflegerische Arbeit als Hauptleistung angesehen, auf der anderen Seite werden stärker die

gemeinschaftsbezogenen und milieuorientierten Unterstützungen mit Beteiligung von nahe-

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stehenden Personen betont. Insgesamt stehen diese auszuhandelnden Arrangements vor

der Zukunftsaufgabe, Menschen zu finden, die bereit sind, einen Beitrag beruflich oder privat

hierzu leisten zu wollen.

7.6.1 Integration und ambulante Versorgung älterer Menschen mit psychischen Störungen -„Das Modellprojekt Halma“ in Würzburg

Handlungsfeld Schaffung einer angemessenen Versorgung psychisch erkrankter älterer Menschen

durch die Entwicklung eines gerontopsychiatrischen Verbundnetzes der Altenhilfe in der Stadt Würz-

burg, zugleich wurde eine fachliche Qualifizierung vorgenommen. Die Koordination wurde vom Allge-

meinen Sozialdienst der Stadt vorgesehen. Das Projekt ist stadtteilorientiert und soll in einem dezen-

tralen Hilfeansatz die patientenzentrierte gerontopsychiatrische Versorgung im häuslichen Bereich

verbessern.

Träger/in Der Trägerverein HALMA e.V. ist ein Zusammenschluss der Stadt Würzburg, der Alzheimer

Gesellschaft Würzburg/Unterfranken und der fünf Würzburger Wohlfahrtsverbände (AWO, Bayeri-

sches Rotes Kreuz, Caritas, Diakonie, Paritätischer Wohlfahrtsverband).

Zielgruppe Es sollten psychisch erkrankte ältere Menschen mit demenziellen, depressiven und para-

noiden Syndromen in der häuslichen Versorgung ambulant betreut werden.

Konzept Die Zusammenarbeit der Projektträger mit dem Universitätskrankenhaus, Fachärzten und

Angehörigen bzw. den gesetzlichen Vertretern der Patienten sollte im Arbeitsansatz ein Case-

Management umsetzen. Bestandteil war / ist die gerontopsychiatrische Pflege, sowie sozio- und mi-

lieutherapeutische Maßnahmen mit rehabilitativem Charakter

Ziel Durch Kompetenzstärkung der Patienten im Zusammenspiel von psychiatrischer Krankenbe-

handlung und Einzelfallhilfe mit Grundpflege, sozialpflegerischer Unterstützung oder Alltagsbegleitung

sollten Heimeinweisungen vermieden werden.

Vorgehen Die Versorgung der Zielgruppe durch die Mitarbeiter/innen des Trägervereins „Halma“ soll-

te die gerontopsychiatrische Pflege einbeziehen. Hierzu wurden die Mitarbeiter/innen der beteiligten

Einrichtungen geschult und zu Multiplikatoren ausgebildet. Die Mitarbeiter/innen sollten dazu befähigt

werden, sich auf die Patienten einzulassen, eine Bezugspflege herzustellen.

Ein Laienhelferkreis wurde in die Arbeit eingebunden und intensiv fachlich begleitet. Regelmäßige

begleitende Schulungen (Grundkurs) trugen zur Entlastung der Helfer/innen bei. Motive der Ehrenamtlichen Etwas Sinnvolles tun, Erfahrungen für den Beruf sammeln, Interesse an

der Altenarbeit waren die häufigst genannten Motive. Beruflich war ein eindeutiges Übergewicht aus

dem sozialen Bereich festzustellen, davon zwei Drittel mit Vorerfahrungen in der Pflege.

Gender Auch wenn hier keine geschlechtsspezifischen Ansprachen an die Helfer/innen erfolgte, mel-

deten sich überwiegend Frauen (87%) als ehrenamtlich Engagierte.

41 Zum Thema Wohngemeinschaften hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2002) eine Broschüre herausgebracht. Hierin hat der Autor Klaus-W. Pawletko auch einige Rechenbeispiele angeführt.

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Vorhandene Rahmenbedingungen Der gerontopsychiatrische Verbund unter der (zunächst) Steue-

rung der Kommune erleichterte einen Zusammenschluss unterschiedlicher Träger. Des weiteren wur-

den die Patienten bzw. ihre gesetzlichen Vertreter/innen und die Angehörigen einbezogen. Eine Ab-

stimmung mit Ärzten und der Klinik sichert den fachlichen Hintergrund.

Abgrenzung zu professioneller Pflege An diesem Projekt waren während der dreijährigen Laufzeit

ca. 100 Helfer/innen interessiert. Sie sollten das Fachpersonal nicht ersetzen. Sie sollten die Lebens-

qualität der psychisch Erkrankten verbessern durch soziale Kontakte. Die Förderung der zwischen-

menschlichen Beziehungen war ihre Aufgabe.

Kosten An den Kosten waren Krankenkassen, Pflegeversicherung, Patienten und Sozialhilfe betei-

ligt. Eine generelle Berechnung fand auf Grund der unterschiedlichen Voraussetzungen der Fälle nicht

statt. In 85% der Fälle, die eingehend untersucht wurden, konnte eine Heimeinweisung verhindert

werden. Gegenüber einer Heimversorgung lagen die Kosten für die ambulante Betreuung in diesem

Modell bei ca. 40% (Weber / Oppl, 1997).

Verbünde auf kommunaler Ebene herzustellen, benötigen eine Steuerung, die im Aufgaben-

bereich der Kommunen nicht als Pflichtleistung vorgesehen ist. Im Falle enger finanzieller

Spielräume können solche zwar einsehbaren aber nicht unmittelbar notwendigen Aufgaben

bald Einsparungen zum Opfer fallen. Eine Regelung auf Landesebene, die stärker verpflich-

tend die Aufgabenübernahme regelt, könnte durchaus im Sinne neuer Steuerungsaufgaben

hilfreich sein. Dieses Projekt verweist bereits auf dokumentierte Erfahrungen, die ver-

gleichsweise bei ähnlich ausgerichteten Projekten in NRW (noch) nicht vorliegen.

7.7 Qualifizierung Ehrenamtlicher

Der Einsatz ehrenamtlicher Kräfte wird in der Diskussion um die Zukunft der Pflege überein-

stimmend als notwendig angesehen. Kritisch sind aber auch Stimmen zu vernehmen, die

Ehrenamtliche unter reinen Kostengesichtspunkten zu betrachten oder sie in allen Feldern

der Sozial- und Gesundheitsarbeit für einsetzbar zu halten. Unter dem Titel „... Laienhelfer

können viel Schaden anrichten“ hat Elsbernd (2002) darauf verwiesen und warnt vor der

Übernahme pflegerischer Tätigkeiten durch Ehrenamtliche. Ohne Zweifel ist davon auszuge-

hen, dass die Übernahme von Betreuungen und Pflege durch Professionelle oder durch eh-

renamtliche Pflegekräfte ein Maß an Fachwissen verlangt. In der Pflege und Betreuung de-

menziell erkrankter Menschen ist dies von besonderer Wichtigkeit. In diesem Fall ist der Ef-

fekt der Entlastung pflegender Angehöriger einzubeziehen. Je höher die Pflege- und Betreu-

ungskompetenz umso höher steigen auch die Entlastungseffekte bei den Angehörigen.

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7.7.1„Pflegebegleiter“ ein Modellprojekt des Forschungsinstituts Geragogik mit institutionellen Kooperationspartnern, Kreis Viersen

Handlungsfeld Ehrenamtliche sollen als Pflegepartner/innen pflegende Angehörige in der Pflege

begleiten (ähnlich wie Hospizhelfer/innen) und diese in Form einer „zugehenden“ Beratung und Be-

gleitung unterstützen, da davon ausgegangen wird, dass pflegende Angehörige kaum die Kraft auf-

bringen, Veranstaltungen außerhalb der eigenen Wohnung zu besuchen. Träger/in VHS – Kreis Viersen, Forschungsinstitut Geragogik Witten (Durchführung)

Zielgruppe Freiwillig Engagierte, die im Pflegebereich tätig werden wollen.

Konzept Freiwillig Engagierte werden zu „Pflegebegleitern“ ausgebildet und sollen durch Unterstüt-

zung pflegender Angehöriger deren psychische, physische und finanzielle Kosten in der familiären

Pflege reduzieren. Die freiwilligen Helfer/innen bieten „Hilfe zur Selbsthilfe“ an. In Form einer zuge-

henden sozialen Arbeit für pflegende Angehörige unterstützen sie in Gesprächen bei Pflegeproble-

men, geben Informationen und Angebote weiter und helfen bei der Organisation und Planung des

Pflegealltags.

Ziel Ehrenamtliche werden systematisch als Pflegepartner/innen ausgebildet. Angehörige sollen in der

häuslichen Pflege gestärkt werden und die Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement soll ins-

gesamt gefördert werden.

Vorgehen Bildungsanbieter (z.B. VHS) bieten engagementbezogenes Lernen an. Ehrenamtliche

sollen qualifiziert und im Zusammenspiel mit bestehenden Angeboten zur Unterstützung der häusli-

chen Pflege werden „Kooperationen statt Konkurrenz“ entwickelt.

Motive der Ehrenamtlichen Interesse an persönlicher wie auch an gemeinschaftlicher Weiterbildung.

Etwas „ für sich“, „mit anderen“ und „für andere“ tun wollen.

Gender Das Projekt ist nicht geschlechtsspezifisch konzipiert worden. Da bereits viele der Teilneh-

mer/innen bereits als pflegende Angehörige tätig gewesen sind, ist zu erwarten, dass eher weibliche

Ehrenamtliche angesprochen werden, da diese die Hauptpflegeleistung erbringen.

Vorhandene Rahmenbedingungen In diesem Projekt waren die Unterstützungen durch die VHS im

Kreis Viersen tragend, da der Fachbereichsleiter der VHS die Organisation des Projektes übernom-

men hatte und die Initiatorin sich ehrenamtlich als Beraterin engagierte.

Abgrenzung zu professioneller Pflege Die Leistungen der Helfer/innen liegen in Bereichen, die von

professionellen Pflegekräften nicht geleistet werden. Es werden keine Pflegeleistungen oder Betreu-

ungen geboten, sondern Hilfen im psychischen und mentalen Bereich der pflegenden Angehörigen.

(Bubolz-Lutz, 2003).

Kosten Die Träger von Bildungseinrichtungen qualifizieren die freiwillig Engagierten. Die Kosten hier-

für trägt außerhalb dieses Modellprojektes der Bildungsträger, die Kommune oder die Institution, die

diese Helfer/innen einsetzen will (ebda.).

Dieses Projekt zielt als Weiterbildungs- und Qualifizierungsmodell auf die Kompetenzent-

wicklung primär der Ehrenamtlichen, sekundär auf die pflegenden Angehörigen ab. Es soll

eine Entlastung der Angehörigen erreicht werden, indem ein Lernmodell vorgeschaltet wird.

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Der Lernprozess erfolgt in doppelter Hinsicht: Selbstbestimmung im Lernprozess der Pflege-

partner/innen ist Voraussetzung und Bestandteil des Lernens und ermöglicht situationenspe-

zifisches Handeln, in dem wiederum Lernschritte angelegt sind. Die Angehörigen lernen da-

bei mit sich und Situationen umzugehen. Das Lernen ist situations- und handlungsbezogen

angelegt.

Ein ähnlich ausgerichtetes Projekt gibt es in Recklinghausen (VHS und Caritas Verband),

dort werden ehrenamtliche Seniorenbegleiter/innen für den ambulanten und stationären Be-

reich ausgebildet (Pflegende Angehörige, 2003).

Insgesamt können drei voneinander verschiedene Zugehensformen für Lernmodelle unter-

schieden werden, wobei alle drei Modelle die Stärkung der Kompetenz der beteiligten Akteu-

re im Auge haben. Neben der im beschriebenen Modell gestärkten Kompetenz der Angehö-

rigen durch psychische und mentale Unterstützung über zuvor qualifizierte Ehrenamtliche

geht ein anderes Modell von der Stärkung der Betroffenen durch ebenfalls zuvor qualifizierte

Ehrenamtliche aus. In dem vom ISGOS (2003) konzipierten Modell der aufsuchenden Alten-

arbeit werden die Ehrenamtlichen als „Trainer“ der Pflegebedürftigen weiter gebildet. Die

Erhaltung kognitiver und physischer Fähigkeiten der Betroffenen soll die pflegenden Angehö-

rigen auf eine andere als die zuvor beschriebene Art entlasten. Hier ist die Stärkung der

Selbstständigkeit (vornehmlich demenziell) erkrankter älterer Menschen angesprochen. Eine

dritte Form der Unterstützung durch Bildung liegt in der Betreuung und zeitweisen Entlastung

durch Ehrenamtliche, die es den Angehörigen ermöglicht, für einige Stunden von der Pflege-

aufgabe entlastet zu werden. Auch hier werden die Ehrenamtlichen nach vorher ausgearbei-

teten Konzepten qualifiziert. Dieses Modell gehört eher zu den „klassischen“ Entlastungsmo-

dellen, die bereits seit einigen Jahren praktiziert werden.

In den Angehörigengruppen, die sich unter dem Dach eines Verbandes oder einer sozialen

Einrichtung treffen, werden Informationen über Krankheitsbilder, das Auftreten und den Um-

gang mit ihr vermittelt. Im Demenzbereich sind viele Gruppen unter der Bezeichnung „Alz-

heimergruppen“ entstanden, die auch nach außen hin Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Eine

ebenfalls beachtliche Verbreitung nehmen Hospizgruppen ein. Auch zum Thema Sterbebe-

gleitung werden Hilfen in Form von Kursen gegeben.

7.8 Jung und Alt

Die intergenerationellen Begegnungen sind Bestandteil einer zukünftig gesicherten Versor-

gung hilfe- und pflegebedürftiger Menschen. In den kommenden drei Jahrzehnten scheinen

hier noch die demographischen Voraussetzungen vorzuliegen. Das darf für etwa drei Viertel

der Bevölkerung gelten. Diese Beziehungen werden intern durch Transfers gegenseitiger

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Hilfen und Unterstützungen gestärkt (Kohli et.al., 2000) und durch Aussagen zu den Motiven

für die Unterstützung von Angehörigen „Ich finde, dass ich einfach die Pflicht habe, meinen

Angehörigen zu helfen“, die sogar von mehr als 80% der Befragten aller Altersgruppen zwi-

schen 40 und 85 Jahren zustimmend beantwortet wurden.

Für eine Generationenbeziehung im öffentlichen Raum ist es dagegen schwer Gemeinsam-

keiten zu entwickeln. Beobachtungen sehen hier ein nur geringes Interesse der Generatio-

nen aneinander (Mey, 2002). Der öffentliche und auch der halböffentliche Raum scheint für

Begegnungen der Generationen nicht geeignet. Erfahrungen im Umgang mit anderen Gene-

rationen begünstigen eine spätere Begegnung, vor allem wenn Unterstützungen benötigt

werden. Daher möchten wir ein Beispiel aufzeigen, die solche Begegnungen fördern können.

7.8.1 Altersbilder und Pflegeberufe: Begegnung von Jung und Alt in der Orientierung vor dem Einstieg in die Berufsaus- bildung von Schülerinnen und Schülern im letzten Pflicht- schuljahr. Ein Projekt der Freiwilligen Agentur Ahlen e.V.

Handlungsfeld Die Schüler und Schülerinnen der Abschlussklasse der Geschwister-Scholl-Hauptschule, in einem Stadtteil mit besonderem Förderbedarf werden von Seniorinnen und Senioren

der Freiwilligen Agentur Ahlen ein halbes Jahr unterstützt und begleitet um in einem berufsrelevanten

Feld der Altenhilfe einen leichteren Einstieg zu finden.

Träger/in Die Freiwilligen Agentur Ahlen hat die Trägerschaft übernommen und kooperiert mit der

Geschwister-Scholl-Schule, mit Fachkräften der sozialen Altenarbeit und dem Arbeitsamt.

Zielgruppe Schüler/innen mit Schulproblemen und Schüler/innen ohne Schulabschluss im letzten

Pflichtschuljahr. Zum Teil Spätaussiedlerkinder oder auch Flüchtlingskinder.

Konzept Ausgewählte Schüler/innen werden ein halbes Jahr von Seniorinnen und Senioren der

Freiwilligen Agentur unterstützt. Sie erhalten Orientierungshilfe und Unterstützung zur beruflichen

Integration für den Bereich der sozialen Altenhilfe und -pflege und erwerben berufsrelevante Kennt-

nisse. Der Kontakt mit älteren Menschen erschließt ihnen neben beruflichen auch lebensbezogene

Einblicke in den Alltag und die Probleme von alten Menschen.

Ziel Der Projektbericht benennt acht Ziele: 1. Vermittlung der Schüler/innen der letzten Pflichtschul-

klasse in Berufsfelder der sozialen Altenarbeit, 2. Vermittlung von berufsrelevanten Erkenntnissen, 3.

besondere Berücksichtigung des Gender Mainstream, 4. Einbeziehung von Schülern mit Migrations-

hintergrund, 5. Ausbau der Kooperationsstrukturen im Stadtteil, 6. Anregung von intergenerationellem

Austausch- und Lernstrukturen / Unterstützung nachberuflicher Tätigkeitsfelder von Senioren und 8.

Übertragbarkeit des Projektes.

Vorgehen Innerhalb von 15 Wochen werden jeweils zwei Unterrichtsstunden gehalten mit umfeldbe-

zogenen, altersbezogenen und fachlichen Themen sowie ein Praxisblock einbezogen. Vor Beginn

sind die Schüler/innen wie auch die Seniorinnen und Senioren vorbereitet und an der Programmges-

taltung beteiligt worden.

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Motive der Ehrenamtlichen Unterstützung hilfebedürftiger und benachteiligter älterer Menschen,

neues Betätigungsfeld, Weitergabe von Erfahrungswissen, Erwerb neuer Fähigkeiten (z.B. Rhetorik,

Gesprächsführung, Fachwissen).

Gender Das Projekt will gezielt einen gleichberechtigten Zugang zum Berufsfeld fördern. Ge-

schlechtssensible Ansprache, ausgeglichenes Verhältnis der Geschlechter, Jungen- und Mädchenar-

beit und Geschlechterrollen werden thematisiert.

Vorhandene Rahmenbedingungen Es werden neue Kooperations- und Vernetzungsstrukturen ge-

schaffen zu denen ausgewählte Fachkräfte aus Altenpflegeeinrichtungen ebenso zählen wie einige

Einrichtungen selber.

Abgrenzung zu professioneller Pflege Die Schüler/innen sind Lernende bzw. Hospitanten. Sie sol-

len einmal im Pflegeberuf arbeiten. Die Ehrenamtlichen sind Begleiter/innen (im Sinne von Mentoren),

die selbst keine Tätigkeiten in den Einrichtungen ausüben.

Kosten Je Projekt entstehen Kosten für Personal (Koordination, Organisation, Weiterbildung und

Sachkosten (Telefon, Rechner, Öffentlichkeitsarbeit u.ä.). (Konzept: Freiwilligenagentur Ahlen e.V.

und Geschwister-Scholl-Hauptschule, Ahlen).

Wenn sich Generationen aufeinander zubewegen und die Beteiligten sich zuvor nicht ken-

nen, braucht es in der Regel eine Moderation oder einen Anlass. So haben Mitarbeiter/innen

der Eduard-Mörike-Seniorenwohnanlage zusammen mit dem Familienservice Stuttgart eine

Kinderbetreuung als Kinderfreizeit (Familienfreizeit) angeboten. Für zwei Wochen gab es ein

Programm für die Kinder und die Bewohner/innen im Pflegeheim (WeitWinkel, 2003). Ein

Schulprojekt in Form eines Sozialpraktikums führt die Realschule Korntal in Baden-

Württemberg durch. An zehn Nachmittagen arbeiteten acht Schülerinnen jeweils zu zweit

mit. Schule und Ausbildungsvorbereitung bieten häufig Gelegenheit zur intergenerationellen

Vermittlung im Altenhilfebereich. Sonst sind solche Begegnungen im Zusammenhang mit

Pflege nur schwer inszenierbar (WeitWinkel, 2001).

Innovative Projekte und Modelle Hinter den unterschiedlichen Formen des Pflegemix stehen eine Fülle von Hemmnissen wie

auch förderliche Bedingungen. Die Einbindung von ehrenamtlichen Kräften in die unter-

schiedlichen Versorgungsstrukturen gelingt am ehesten, wenn hier traditionell eine Ehren-

amtskultur besteht. Das Beispiel aus Hamm-Rhynern überrascht auch deshalb durch seine

außergewöhnliche Anzahl an ehrenamtlich Engagierten, weil es hier um eine stationäre Ein-

richtung geht. Klare Aufgabenstellung, zeitliche Limitierung, feste Zuordnungen und persönli-

che Ansprache, sowie Verantwortungsbereiche für Personen und Sachen sind förderlich für

eine Kultur des Miteinanders. Förderlich für das Klima scheint auch die Anerkennung der

Arbeit durch die hauptamtlichen Kräfte und die Leitung des Hauses.

Auch im Tagespflegeprojekt in Baden-Württemberg wird ein hoher Grad von Verbindlichkeit

gefordert. Die Aufgaben für die Ehrenamtlichen sind vielfältig und das Konzept ist kommunal

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ausgerichtet, es bestehen offene Strukturen, die von den Ehrenamtlichen inhaltlich mitgestal-

tet werden. Die Partizipation der Ehrenamtlichen an der Gestaltung der Tätigkeit ist für viele

ein Motiv, mitzuwirken.

Die Mitgestaltungsmöglichkeiten liegen im Normalfall nicht vor. Derartige Wünsche stören

den Ablauf, daher fühlen sich interessierte Ehrenamtliche selten angesprochen.

Gegenüber der Teamarbeit in der vollstationären und teilstationären Altenhilfe sind die eh-

renamtlichen Mitarbeiter/innen in der ambulanten Hilfe mehr auf sich angewiesen. Einzel-

betreuung oder mitunter auch Gruppenunterstützung zwingt stärker zu alleinigen Entschei-

dungen. Generell stellen Besuchsdienste eine attraktive Tätigkeit für Ehrenamtliche dar. Im

Pflegebereich und besonders bei demenziell Erkrankten sinkt die Nachfrage potenziell Eh-

renamtlicher nach Betreuungsdiensten. Hier melden sich zumeist betreuungs- und pflegeer-

fahrene Personen, die den Umgang mit Pflegebedürftigen kennen. Die Anwerbung gestaltet

sich dennoch als schwierig. Förderlich sind Angebote zur (Weiter-)Bildung mit Zertifikat, die

eine Neuorientierung auch dokumentieren.

Eine vergleichende Tätigkeit, wie im ambulanten Bereich stellt die Unterstützung pflegender

Angehöriger in Betreuungsgruppen dar. Diese sind attraktiver für Ehrenamtliche, da sie eine

Konstanz in der Begegnungsstätte, im Besucherkreis und deren Angehörige sowie im Auf-

gabenfeld vorfinden. Die Zeit lässt sich gegenüber den häuslichen Besuchsdiensten auch mit

anderen so teilen, dass eine gewisse Flexibilität besteht.

Die Versorgung demenziell Erkrankter durch die Beteiligung von Ehrenamtlichen und / oder

Angehörigen ist eine neue Ausrichtung der Pflegekonzepte. Bisher liegen keine messbaren

Erfahrungen vor. Aus Berliner Projekten sind unterschiedliche Reaktionen bekannt. Die

Schwierigkeiten der Selbsthilfegruppe eine Pflegewohngemeinschaft aufzubauen, sind er-

heblich gewesen, begonnen bei der Beschaffung der Räumlichkeiten, über die Pflegesatz-

verhandlungen bis zur Anerkennung durch den Sozialhilfeträger. Letztlich mussten auch die

Einrichtungen der Räume selbst beschafft werden. Der Erfolg dieser Gruppe bestärkt den

Gedanken, dass bei weniger Widerstand eine erhebliche Anzahl an solchen Projekten auch

in NRW entstehen könnten. Deshalb wurde das Beispiel hier angeführt.

Der kommunale Verbund in der Altenhilfe wird als Voraussetzung angesehen, einen Pflege-

mix zu steuern, der kommunal unterstützt wird und dezentral wirkt. Solche Projekte bestehen

auch nach der Modellphase weiter, wenn alle Beteiligten dahinterstehen.

Die frühe Heranführung junger Menschen an die Problematik der Pflege gelingt glaubhaft,

wenn die Altersnähe der Vermittler zu der Klientel (annähernd) gegeben ist. Freiwillig Enga-

gierte unterstützen Lernbemühungen von lernschwachen Jugendlichen und vermitteln zu-

gleich Altersthemen. Auch für diese Aufgaben gab es keine Probleme ehrenamtliche Kräfte

zu finden.

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Insgesamt ist das Ehrenamt in der Pflege sehr lernbezogen, denn ohne Schulung werden die

Aufgaben nicht im Sinne der Betroffenen bewältigt werden können. Lernen und Partizipation

an der Gestaltung der Aufgaben sind förderlich für die Gewinnung freiwillig Engagierter. Feh-

len diese Bedingungen, wird es schwer in allen Feldern der Pflege die notwendige Unter-

stützung durch freiwillige Helferinnen und Helfer zu bekommen.

7.9 Kosten und Personalaufwand (z.B. für Trägerorgani-

gerorganisationen) für Organisation und der Begleitung ehrenamtlicher Dienste Kostenbeispiele: Alltagshilfen ehrenamtlicher Dienste durch Nichtverwandte • Kostenerstattung des Fahrgeldes (bei Privatauto km-Geld) • Kostenerstattung sonstiger Auslagen

• Kleine Präsente

Die Aufwendungen für Personen, die im eigenen Haushalt bei der Betreuung unterstützen und Hilfen geben sollen, liegen pro Besuch zusammengenommen bei ca. 5,- bis 10,- EURO. Bei demenziell Erkrankten sollte je Besuch eine Zeit von 2 - 3 Stunden gerechnet werden. Es

wird vorausgesetzt, dass die Anwerbung der Hilfe durch den Pflegehaushalt selbst vorge-

nommen wird. Eine Schulung bzw. ein Kurs zur Vorbereitung ist nicht enthalten, das Risiko

mangelhafter Ausführung liegt bei dem Pflegehaushalt. Hier steht kein Träger als Vermittler

dazwischen. Die Helfer/innen werden durch persönliche Ansprache, Annonce oder Aushang

gewonnen.

Alltagshilfen ehrenamtlicher Betreuung mit Kostenerstattung und Anerkennung Hier sind mehrere Varianten möglich. Die aufgeführten Leistungen stellen einen Standard

dar, der reduziert oder weiter ergänzt werden kann:

• Versicherung (Haftpflicht und Unfallversicherung) durch den Träger sozialer Dienste,

über den die Ehrenamtlichen vermittelt werden oder den Hilfebedürftigen (Unfallversiche-

rung wird bei Vorliegen einer Pflegeanerkennung durch die Pflegekasse geleistet, werden

Ehrenamtliche über die Kommune eingesetzt kann hier die Gemeindeunfallversicherung

wirken)

• Kostenerstattung Auslagen (im Monat bis zu 50 EURO / Person

Fahrgeld

Sonstige Auslagen

• Vergütung unterhalb des Mindestlohnes vergleichbarer Tätigkeiten

• Gewährung von Gratifikationen, Ehrungen, Vergünstigungen

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Bei einer selbst angeworbenen Hilfe sollte nach einem Einführungskurs oder nach der Quali-

fikation gefragt werden. Liegt eine Pflegeanerkennung des Pflegebedürftigen vor, sind einige

Leistungen hierüber abrechenbar in Verbindung mit dem §45 SGB XI besteht die Möglichkeit

Leistungen erstattet zu bekommen (460 EURO pro Jahr). Weitergehende Leistungen oder

bei Fehlen der Anerkennung einer Pflegestufe bezahlen die Pflegehaushalte diese Leistun-

gen selber.

Die Kosten sind regional schwankend und liegen zwischen 5,- und 10,- EURO je Stunde plus

Fahrgeld. Im Rahmen des Pflegeleistungsergänzungsgesetzes können wiederum bei Aner-

kennung einer Pflegestufe Stundensätze bis zu 12 EURO je Stunde abgerechnet werden,

bei Förderung einer Helferinnengruppe, aus der die Helfer und Helferinnen kommen werden

nur noch Kostensätze bis 5,- Euro die Stunde erstattet.

Weitere Kostenerstattungen liegen im SGB XI § 39 (Verhinderungspflege 1.432 EURO pro

Jahr und Pflegeperson) und im BSHG (Hilfe zur Pflege §§ 68ff) begründet.

Die Helfer/innen können auf der Basis der „Überleitungspauschale“ nach §3 Nr.26 Einkom-

menssteuergesetz einen Betrag von bis zu 1.848 EURO im Jahr sozialversicherungs- und

steuerfrei als Aufwandsentschädigung erhalten.

Ein Träger, der ehrenamtliche Kräfte einsetzen will, benötigt hierfür eine Person mit 0,3 Voll-

zeitstelle (BAT V), die koordiniert und die Helfer/innen begleitet. Die Schulung der Helfer und

Helferinnen werden pro Kurs mit 40 Stunden bei 10 bis 15 Teilnehmer/innen ca. 1.500,- bis

2.000,- EURO anfallen. Die Koordinierungsstelle beim Träger benötigt einen Arbeitsplatz,

Telefon und Computer sowie einige Sachmittel.

Die Kosten für Schulungen sind für einen Träger schwer kalkulierbar. In der Regel werden

Schulungen durch Fachkräfte von außen durchgeführt. Die Kosten für eine Unterrichtseinheit

(45 Minuten) liegen bei etwa 70 – 80 EURO plus Nebenkosten, die Teilnehmerzahl sollte

zwischen 8 und 20 Teilnehmern liegen.

Professionelle Alltagshilfen und komplementäre Dienste • Alltagshilfen wie Wohnungsreinigung, Essensdienste und Essen auf Rädern, Bring- und

Abholdienste oder Hilfen bei der Tierhaltung, Blumenversorgung bzw. Gartenpflege wer-

den von bezahlten Kräften übernommen. Die Koordination obliegt der hilfe- oder pflege-

bedürftigen Person und ihren Angehörigen. Mitunter bieten auch soziale Dienste diese

Leistungen mit an. Sie haben hierzu eigene Kräfte fest angestellt oder kooperieren ihrer-

seits mit anderen Leistungsanbietern.

Der Aufwand wird zumeist nach Stunden abgerechnet wie z.B. nach halbstündigem Ein-

satz oder nach Modulen. Bei Reinigung auch nach Quadratmetern oder nach Stück.

Werden diese Leistungen von Pflegediensten angeboten, sollte die Preisgestaltung be-

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achtet werden und die kalkulierte Zeit mit dem Angebot anderer Anbieter verglichen wer-

den.

Komplementäre Dienste werden hier als Ergänzung zu anderen Diensten, wie pflegerische

Dienstleistungen angesehen. Die Kosten hierfür werden zumeist mit bei den Kosten für die

einzelnen Dienstleistungen aufgeführt. Die Preise liegen pro Stunde zwischen 13,50 und

16,00 EURO, im Einzelfall etwas darunter oder auch darüber. Günstig sind Leistungen im

Zusammenhang mit ambulanter Pflege, da hier die extra Anfahrtskosten entfallen.

Professionelle Dienste Beruflich ausgeübte Pflege verlangt Kontinuität, Basisversorgung und Grundpflege (Körper-

pflege), Behandlungspflege, Organisation der Hilfen, Moderation, Koordination, Zusammen-

wirken mit (Haus-)Arzt, Erkennen des Pflegebedarfes, Mitarbeiten bei der Therapie, Beraten

zur Inanspruchnahme von zum Beispiel fördernder Maßnahmen.

Die abrechenbaren Leistungen trägt die Pflegekasse bei Vorliegen der entsprechenden Vor-

aussetzungen, sonst zahlt der Kunde die bereits angesprochenen Preise bzw. der Sozialhil-

feträger übernimmt hiervon einen Teil.

Betreuungsgruppen als Tagesbetreuung In Baden-Württemberg haben sich Betreuungsgruppen bewährt. Sie sind auf Initiativen hin

entstanden und werden vom Land im Rahmen der Fehlbedarfsfinanzierung jeweils pro Jahr

mit 5.120 EURO gefördert. Dabei wird erwartet, dass sich die Kommunen angemessen

beteiligen, da die Mittel des Landes nicht ausreichend tragfähig sind. Eine weitere Einnah-

mequelle der Betreuungsgruppen sind die Beiträge der Teilnehmer/innen, die bei 15,- EURO

pro Teilnehmer und Teilnehmerin und Nachmittag liegen. Sind die Teilnehmer und Teilneh-

merinnen von der Pflegeversicherung als pflegebedürftig anerkannt, erhalten sie von der

Pflegekasse pro Jahr 460 EURO erstattet.

Eine weitere Erstattungsmöglichkeit der Teilnahmebeiträge an der Betreuungsgruppe liegt in

der Möglichkeit, die Verhinderungspflege (§39 SGB XI) einzubeziehen. So erfolgt bei der

Inanspruchnahme einer Ersatzpflege, die nicht mehr als 8 Stunden am Tag tätig ist, keine

Kürzung des Pflegegeldes für diesen Tag und keine Anrechnung auf die Höchstanspruchs-

dauer von 28 Tagen im Jahr (Hipp, 2003).

7.10 Weitere Pflegearrangements

Pflegehelfer: „Pflegesitter“, „Tagesmütter“

Eine Perspektive für Pflegedienste bietet das Konzept Pflegehelfer/-innen, das auf der

Grundlage des Pflegeleistungsergänzungsgesetzes (PflEG) Pflegeleistungen durch Helfer

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und freiwillig Engagierte fördert. Ambulante Dienste schulen Laienhelfer, organisieren und

koordinieren deren Einsätze und tragen zur Entlastung der pflegenden Angehörigen bei. Neu

an dieser Ausrichtung der Pflege auf die ehrenamtlichen Helfer ist die Förderung (460 EURO

im Jahr je Pflegefall), die nicht nach dem Sachleistungsprinzip, sondern nach dem Prinzip

des Pflegebudgets geleistet wird. Die Angehörigen „kaufen“ zusätzliche Betreuungsleistun-

gen ein und ergänzen somit die soziale Betreuung. Besonders erreicht werden sollen de-

menziell Erkrankte aber auch Sterbenden kann durch ehrenamtliche Sterbebegleitung in der

häuslichen Umgebung die letzte Lebensphase erleichtert werden.

Die Nutzung dieses Budgets steht bisher nur bei anerkannter Pflegebedürftigkeit zu. Im Sin-

ne einer Handlungsempfehlung sollte dieser Budget aufgestockt und auch Personen eröffnet

werden, deren Pflegebedarf zwar durch „eingeschränkte Alltagskompetenz“ ausgelöst wird,

aber die sonst keine Pflegebedürftigkeit aufweisen (etwa Pflegestufe 0). Mit der Einführung

des PflEG sind die Zahlen Ehrenamtlicher im Pflegebereich bereits deutlich gestiegen, so

dass ein direkter Zusammenhang vermutet wird, da Strukturen der Angebote sich stärker auf

die Ehrenamtlichen ausrichten. Eine Verzahnung mit ambulanten Hospizdiensten wäre für

die häusliche Pflege auch dahingehend förderlich, dass hier die palliativpflegerische Bera-

tung durch entsprechend vorhandene Kenntnisse einfließen und weitere Kooperationen mit

entsprechend erfahrenen Pflegediensten und Ärzten entstehen könnten.

Ein Ausbau dieses Konzeptes würde auch die Einführung eines generellen personenbezo-

genen Budgets erleichtern, deren Umstellung mit einer Reihe von Fragen begleitet sein wird,

auf die hier nicht weiter eingegangen wird.

Haus- und Wohngemeinschaften

Eine andere Form des Zusammenwohnens bieten Haus- und Wohngemeinschaften hilfe-

und pflegebedürftiger Menschen. In Wohngruppen (als Wohngemeinschaft, wenn sie in einer

Wohneinheit leben oder als Hausgemeinschaft, wenn jeder der Bewohner eine eigene ab-

geschlossene Wohneinheit aufweist) mit individuell und mit gemeinsam genutzten Räumen

werden Hilfebedürftige versorgt, die unterschiedlich begründeten Bedarf an Unterstützungen

aufweisen und in einem eigenen Haushalt auf Dauer in ihrer Selbstständigkeit gefährdet wä-

ren. Solche Wohngruppen sind mit verhältnismäßig geringem Aufwand an baulichen Voraus-

setzungen zu errichten. Meist genügt die Zusammenlegung von zwei bis drei Wohnungen im

Bestand, der Anbau, die Aufstockung oder die Anpassung bei genügend vorhandenem

Wohnraum. Wohngruppen sind für Bewohner wie auch für deren Angehörige förderlich,

selbst bei Schwerstpflegebedürftigkeit und demenzieller Erkrankung.

Die baulichen Maßnahmen liegen bei etwa 10% bis 30% eines Neubaues vergleichbarer

stationärer Heimplätze. Konzeptionell werden die Angehörigen in der Mehrheit der bekann-

ten Projekte stärker einbezogen, als in stationären Einrichtungen. In wieweit dies zu Kosten-

ersparnissen in der Pflege und Betreuung führt, wird unterschiedlich berichtet (Pawletko,

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2002). Einer Studie zur Belastung pflegender Angehöriger zufolge liegt die Gesamtbelastung

von Angehörigen Demenzkranker unterhalb der Werte vor Angehörigen in häuslicher Pflege

oder auch in stationärer Versorgung /Dettbarn-Reggentin / Reggentin 2002).

Wohngruppen für ältere Menschen brauchen ebenso wie andere Wohnformen eine Mindest-

ausstattung, wenn sie eine echte Alternative zu anderen Wohnformen werden sollen. Hier

sollten die Trägerverbände und die Kostenträger zusammen mit den Bewohnervertreter/-

innen Kriterien aufstellen, die überprüfbar und transparent alle Leistungen aufzeigen. Es wird

empfohlen, die Initiierung eines Organs der freiwilligen Selbstkontrolle mit zu unterstützen.,

denn die Wohngruppen werden zukünftig einen hohen Stellenwert in der Versorgungskette

der Pflegebedürftigen bekommen (allein in Berlin existieren Mitte des Jahres 2004 ca. 90

Wohngruppen).

Es sollten mehr Konzepte von Wohngruppen im ambulanten (und stationären) Bereich er-

probt werden mit Einführung der Möglichkeiten, die Leistungen der Angehörigen konzeptio-

nell in die Pflege einzubinden. Personenbezogene Budgets und die Einbeziehung teilstatio-

närer Angebote wären in Form eines Pflegenetzwerkes flexibel in der Lage, auf örtliche Be-

sonderheiten zu reagieren.

Wohnen gegen Hilfe -Homeshare Dieses Prinzip beruht auf dem Austausch von Leistungen: Ein Vermieter bietet Wohnraum

im Austausch für eine Hilfeleistung an. Diese Gegenleistung wird vorher vereinbart und kann

beispielsweise eine haushaltsbezogene Leistung (Hausarbeit) sein oder Hilfen und finanziel-

le Leistungen. Dieses aus Großbritannien stammende Konzept ist bisher ausgehend vom

Raum Darmstadt in einigen Großstädten verbreitet. Die Wohnpartner erhalten ein eigenes

Zimmer in der Wohnung des Vermieters und benutzen Küche, Bad und Garten. Dafür leisten

sie eine Anzahl von Stunden Hilfe. In England sind dies meist 10 Stunden pro Woche, in

Deutschland und Österreich werden zumeist je Quadratmeter des vermieteten Zimmers eine

Stunde Hilfe im Monat vereinbart und dazu eine geringe Miete. In den USA ist das Homesha-

re/Wohnen für Hilfe am stärksten verankert und dort werden zumeist Kombinationen aus

Miete und Hilfen geleistet. Dieses Programm spricht insbesondere junge Menschen in der

Ausbildung an. Es werden hiermit mehrere Probleme gelöst. Zum einen sollen Wohnraum-

angebote erhöht werden und zugleich die Solidarität zwischen den Generationen gefördert

werden.

Das Ziel liegt in der Unterstützung älterer Menschen, weiterhin unabhängig in ihrer eigenen

Wohnung zu bleiben. Das Programm kann sich auf bisher selbstständige ältere Menschen

richten oder an die Bedürfnisse von Menschen mit Hilfebedarf (leichte bis mittlere Pflegebe-

dürftigkeit, behinderte Menschen).

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Die Leistungen des Mieters können sehr unterschiedlich ausfallen und umfassen Hilfen im

Haushalt wie kochen, putzen, Gartenarbeit, Betreuung von Haustieren, Geselligkeit, Sicher-

heit durch Anwesenheit nachts und persönliche Hilfen (Homeshare international, 2004).

Das Homeshare Programm ist auf eine Personenkonstellation zwischen jungen Menschen

mit zeitlich begrenztem Einsatz, wie typisch bei Studenten und Auszubildenden vorzufinden

ist und Menschen höheren Alters (nicht nur, aber hauptsächlich) mit Bedarf an konkreten

Alltagshilfen, Kommunikation oder auch Interesse an Austausch mit jungen Leuten. Als Ver-

mittler eignen sich Träger mit entsprechenden Beziehungen zu beiden Kreisen. Auch wenn

diese Form der Alltagshilfen begrenzt ist, sind seine Wirkungen für die Beteiligten erheblich.

Im Gesamtrahmen sollte dies ein Baustein in der Versorgungskette mit alternativen Wohn-

und Hilfemöglichkeiten ausmachen.

Neue Modelle der Familienpflege: Pflege in Gastfamilien Die häusliche Pflege durch haushaltsfremde Personen in deren Privathaushalt ist eine in

Deutschland neue Form der Versorgung Pflegebedürftiger. Bisher sind nur wenige Modelle

bekannt, in denen dieses Konzept umgesetzt wurde. Es spricht alleinstehende Menschen an,

deren Versorgungsalternative in der Unterbringung in einer stationären Einrichtung liegt. Ein

Modellvorhaben, diese Betreuungsform in einer Region mit psychisch kranken alter Men-

schen umzusetzen, ist in Brandenburg 2002 durchgeführt worden Schöneberger/Stolz,

2000). Zwischenzeitlich sind in Deutschland ca. 700 Personen mit psychischer Erkrankung in

Gastfamilien untergebracht worden. Ein Versorgungsmodell dieser Art für demenziell er-

krankte alte Menschen ist in Baden-Württemberg umgesetzt worden. In drei Landkreisen im

Bodensee-Bereich wurden von 2001 bis 2003 gerontopsychiatrisch erkrankte Menschen in

Gastfamilien betreut.

Die Projekterfahrungen belegen, dass eine grundsätzliche Möglichkeit besteht, Gastfamilien

als Ort der Integration und der häuslichen Versorgung anzusehen. Voraussetzung ist eine

dem Demenzkranken angepasste Umgebung und eine intensive Begleitung der Gastfamilie

durch den Fachdienst. Auch Gastfamilien brauchen Entlastung über z.B. Kurzzeitpflegemaß-

nahmen. Eine Kooperation der beteiligten Einrichtungen vom Facharzt bis zur stationären

Einrichtung unterstützt diese Konzeption. Die Vermittlung der demenzkranken Personen er-

wies sich im Modellprojekt als sehr aufwändig und daher wird eine Betreuung nur in Kombi-

nation mit der Betreuung von Personen, die an einer Depression, Psychose oder Sucht er-

krankt sind und sowohl verhaltensauffällig als auch körperlich pflegebedürftig sind. als er-

folgversprechend angesehen (Konrad u.a.,2003). Für den Pflegemix der Zukunft stellt dies

Konzept eine bisher ungenutzte Ressource dar. In Kombination mit pflegeentlastenden

Maßnahmen dürfte dies ein kommunal sehr interessantes zusätzliches Angebot darstellen.

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Gastfamilien böten auch ein zusätzliches Angebot für die häusliche Pflege bei Verhinderung

(SGB XI, §39). Da im Einzelfall Zahlungen bis 1.432 Euro pro Pflegeperson und Kalenderjahr

möglich wären, könnte durchaus ein Anreiz bestehen, auf niederschwelliger Ebene die An-

gebotspalette zu ergänzen.

Auch aus Liverpool sind solche Konzepte bekannt. Dort werden bis zu maximal drei pflege-

bedürftige Personen an eine Gastfamilie vermittelt. Nach eingehender Prüfung und Schulung

der Gastgeber werden die Pflegebedürftigen durch einen Trägerverein vermittelt. Die weitere

Kontrolle und Begleitung erfolgt durch Fachpersonal des Trägers.

Es sollten Träger für ein solches Vorhaben gefunden werden, die über einen längeren Zeit-

raum Erfahrungen hierzu sammeln und einen Gastfamilien – Pool aufbauen (ähnlich wie in

Liverpool). Die Möglichkeiten des SGB XI sind hier noch nicht ausgeschöpft. Des weiteren

sollte auf eine Versteuerung der verhältnismäßig geringen Entschädigung für diese gemein-

nützige Arbeit verzichtet werden, wie es beispielsweise bei Pflegeeltern von Kindern und

Jugendlichen bereits gehandhabt wird.

Nutzen des freiwilligen sozialen Jahrs (FSJ), des Freiwilligen Ökologischen Jahres (FÖJ) und des Freiwilligendienstes (EFD)

Die zuvor genannten Beispiele der Versorgung pflegebedürftiger Menschen in Gastfamilien

benötigt ein Unterstützungspotenzial, das nicht allein fachlich, sondern auch persönlich

durch Interesse an der sozialen Arbeit gestützt ist. Die Einbeziehung junger Leute im sozia-

len Bereich außerhalb der klassischen Tätigkeiten in Altenheimen, Krankenhaus u.ä. könnte

den Blickwinkel auf die ganz alltägliche Lebenssituation der Erkrankten erweitern. Eine frühe

Erfahrung mit Tätigkeiten, die ein gewisses Engagement erfordern, erleichtert in späteren

Jahren auch den Zugang zu einem freiwilligen Engagement in diesem Themenbereich. Die

hier Engagierten lernen früh, wie Anforderungen bewältigt werden können, eine spätere Be-

rufswahl unter dem Aspekt des eigenen Bedürfnisses und der praktischen Notwendigkeit

dieser Tätigkeit getroffen werden kann. Schwierige Ausgangslagen für Berufseinsteiger mit

ungünstigen schulischen und sozialen Voraussetzungen könnten durch die Teilnahme an

einer der oben bezeichneten Möglichkeiten überbrückt werden.

Forschungsbedarf In vielen Themen zur Pflege und zum Einsatz von Laien in der Pflege, zum Solidarpotenzial

und zur Motivation an der betreuerischen und pflegerischen Tätigkeit fehlen Kenntnisse. Die

zukünftige Bedeutung freiwilligen Engagements kann nur vermutet werden. Selbsthilfegrup-

pen im Gesundheitsbereich gibt es bereits in größerer Verbreitung seit den 80er Jahren. Ü-

ber ihre pflegerischen Leistungen oder generell über die Leistungen in diesen Gruppen und

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deren Wirksamkeit ist wenig bekannt. In Stichworten sollen einige weitere Themen benannt

werden:

• Evaluation ambulanter Wohngruppen

• Angebote für ältere Behinderte und nicht Behinderte

• Migranten: Pflege und Ehrenamt

• Pflegemix im Privathaushalt

• Pflege und Erwerbstätigkeit

Ein weiterer bedeutender Themenbereich ist in kommunalen Verbundstrukturen zu sehen.

Aufgabe und Rolle der Kommune sollten klarer beschrieben werden.

Alle Bemühungen, den zukünftigen Anforderungen an Betreuungs- und Selbstgestaltungs-

angeboten im Hilfe- und Pflegebereich gerecht zu werden, hängen letztlich auch davon ab, in

wie weit es gelingt, vorhandene Ressort- und Haushaltsgrenzen zu überwinden. Ansätze zu

systemübergreifenden Subjektförderungen, Ausbau von kleinen tragfähigen Netzwerken und

kleinräumigen Gemeinschaften mit umfassenden Beteiligungsmöglichkeit der engagierten

Helfer sind nicht nur in den Zugängen für die Bürger, sondern auch in den Kosten ver-

gleichsweise „niederschwellig“ anzusehen und in den Kommunen und Kreisen umsetzbar.

Zusammenfassend für die Handlungsempfehlungen können die angeführten Beispiele be-

nannt werden, die vom Ansatz her die Sichtweise der Betroffenen einnehmen. Was hier fehlt

und diesem Gutachten nicht näher ausgeführt wurde, sind Integrationsansätze zu der wach-

senden Gruppe behinderter alter Menschen, deren „Normalisierungsanspruch“ in keiner

Weise hinter dem der pflegebedürftigen Menschen im Alter zurückstehen darf. Auch hier

muss es gelten: „Ambulant vor Stationär“. Deshalb sind Integrationsansprüche nicht nur auf

alte Menschen, Menschen mit Betreuungs- und Pflegebedarf zu richten, sondern auf die

Gruppe der behinderten Menschen zu erweitern. Generationsübergreifende stadtteiloffene

Begegnungsmöglichkeiten für diese Personengruppen, in die auch stationäres Wohnen ein-

bezogen wird, sollte die perspektivische Ausrichtung sein.

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8.0 Zusammenfassung

Die hier zusammengetragenen Ausführungen zur Einschätzung der Fragen nach den Soli-

darpotenzialen innerhalb der Familie und zum Freiwilligen Engagement in der Pflege haben

für Nordrhein-Westfalen das Bild einer noch weiter entwickelbaren und zu gestaltenden Ver-

sorgungsstruktur ergeben. Es wird in diesem Gutachten davon ausgegangen, dass die Ein-

stellung der Bevölkerung zur Übernahme von Pflegeleistungen innerhalb der Familie mittel-

fristig bis ca. 2030 als stabil anzusehen ist. Dafür sprechen auch neuere Untersuchungen zur

Hilfsbereitschaft gegenüber Familienangehörigen und zum sozialen freiwilligen Engagement

junger Alterskohorten wie sie etwa die Ergebnisse des Sozioökonomischen Panels im

Längsschnitt zeigen.

Dennoch sind die Verhaltenseinstellungen nicht vorhersagbar. Das gilt nicht allein für die

Pflegenden in den Familien, sondern muss auch für die anderen Akteure im Pflegeprozess

angenommen werden. Die Absicherung der von uns vorgenommenen Annahmen muss von

sozial- und pflegepolitischen Maßnahmen begleitet werden, wenn deren Beständigkeit un-

terstützt werden soll.

Viele Maßnahmen zur Stützung der häuslichen Pflege haben erst in den vergangenen ein bis

zwei Jahren begonnen. Aussagen über deren Auswirkungen sind daher nur begrenzt mög-

lich. In den folgenden Punkten werden Themenbereiche zusammengefasst, die einer zukünf-

tigen Sozial- und Pflegepolitik stärkere Beachtung geschenkt werden sollten:

1. Unterstützung des Solidarpotenzials in der Familie

Die Sicherung der Pflege wird nicht ohne die Herstellung einer Vereinbarkeit von Erwerbsar-

beit und Pflege erfolgen. Hierzu zählen betriebliche Maßnahmen wie verstärkte Teilzeitange-

bote auch für Männer (Genderaspekt), Verringerung der Sonderarbeitszeiten für Pflegende,

Arbeitszeitkonten oder Vorruhestandsregelungen, die es ermöglichen gegen Bezahlung und

Weiterversicherung Pflegeaufgaben zu übernehmen. Dies hätte den zusätzlichen Effekt ei-

ner Erhöhung der Alterseinkommen. Die Unterstützung der Pflegenden durch Einführung

einer Pflegezeit (analog zur Erziehungszeit) und die Finanzierung eines Pflegeurlaubs mit

Mitteln der Pflegeversicherung erhöhen die Bereitschaft zur Übernahme einer häuslichen

Pflege.

Neben betrieblichen Maßnahmen sind pflegeinfrastrukturelle Maßnahmen ergänzend hierzu

einzusetzen. Im Zentrum dieser Maßnahmen stehen tagesentlastende Angebote mit Tages-

pflege und Tagesbetreuung. Solche Angebote sind stärker auszubauen. Tagespflegeeinrich-

tungen sollten zu kleinen Pflegezentren ausgebaut werden und niederschwellige Hilfen ein-

beziehen. In der Versorgungskette stellen sie nicht nur für die zu Pflegenden, sondern auch

für deren Angehörige ein wichtiges Glied dar.

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Die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflege wird durch einen dritten Schwerpunkt von

Versorgungsleistungen ergänzt. Dies betrifft den gesamten Bereich der Versorgungsinfra-

struktur mit ambulanten Pflegediensten sowie mit hierzu komplementären Versorgungsan-

geboten einschließlich niederschwelliger Hilfen durch Ehrenamtliche und der Angebote von

Selbsthilfegruppen. Die Bündelung aller örtlich verfügbaren Unterstützungsleistungen sollte

eine vorrangige Aufgabe der Kommune sein. Deren Nutzung hängt nicht zuletzt von dem

Wissen über die Angebote ab.

Alle drei Ebenen, die betriebliche, die tagesentlastende und die Angebotsebene stellen zu-

sammengenommen ein Aktionsfeld für Steuerungsmaßnahmen dar.

2. Freiwilliges Engagement in der Pflege

Der Zugang zu ehrenamtlichen Tätigkeiten im Pflegebereich ist bisher im Vergleich zu ande-

ren Bereichen bisher nur gering ausgeprägt. Das steht im Widerspruch zu der Bedeutung,

die der ehrenamtlichen Tätigkeit für diesen Bereich zugesprochen wird. Zumeist fehlt es an

gezielter Ansprache und Werbung für den Pflegebereich. Es ist wenig bekannt, dass ehren-

amtliche Arbeit sehr vielfältig und auch weiterbildend angelegt ist. Die Sicherung der Pflege

wird zukünftig auf die Unterstützung durch freiwilliges Engagement angewiesen sein. In un-

terschiedlichen Pflegearrangements und Einsatzgebieten, die vom Privathaushalt über Ta-

gesbetreuung bis zu stationärer Versorgungsformen einschließlich des Betreuten Wohnens

reichen, wird der Einsatz freiwillig Engagierter notwendig werden. Pflegebezogene Betreu-

ungsaufgaben bedürfen der Vorbereitung auf die Aufgaben. Von der Schulung bis zur Ein-

weisung bedarf der Aufbau einer „Ehrenamtskultur“ eines intensiven Einsatzes verschiede-

ner Mittel. Die Anwerbung Ehrenamtlicher muss für diese auch eine gewisse Attraktivität be-

kommen und sie müssen in ihrer Position im Pflegeprozess definiert sein. Die Pflegekonzep-

te sollten auch Gegenleistungen wie Anerkennung, Gratifikationen, Auslagenerstattungen

und in Verbindung zur Erwerbstätigkeit die Ausstellung eines Kompetenzpasses mit den in

der ehrenamtlichen Tätigkeit erworbenen Fähigkeiten vorsehen.

Es ist bereits aus diesen wenigen Anmerkungen ersichtlich, dass die Kommune eine zentrale

Rolle spielen muss, wenn das Ehrenamtspotenzial, das zweifellos allerorten vorhanden ist,

aktiviert werden soll.

3. Bildung

Die Anforderungen an die berufliche Pflege wird zukünftig steigen. Veränderte Pflegeaufga-

ben und vermehrt Pflegeleistungen für Menschen mit kognitiven Störungen und Krankheiten

erfordern fachlich wie organisatorisch erweiterte Qualifikationen. Das Berufsbild der Pflege

wird ebenfalls berührt, denn die Aufgabenschwerpunkte in Richtung Steuerung und Koordi-

nierung des Pflegeprozesses erweitern das Selbstverständnis dieses Berufsbildes. Pflege-

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partnerschaft mit geteilter Verantwortung für Fachkräfte, Weiterbildung und Qualifizierung für

Hilfskräfte und in begrenztem Maße für Ungelernte begleiten die Pflegetätigkeit. Die (Neu-)

Orientierung liegt auf dem Akzent der Gestaltung. Mit dieser Ausrichtung wird die Attraktivität

des Pflegeberufes erhöht. Die Einbeziehung von freiwillig Engagierten und von Angehörigen

in Bildungsmaßnahmen tragen zu einer positiven Wahrnehmung von Pflegeleistungen bei. In

diese Richtung muss sich die Pflegepolitik orientieren, wenn der sich abzeichnende Mangel

an Pflegekräften vermieden werden soll.

4. Kommunale Steuerung, Case-Management

Die Sicherung der häuslichen Pflege kann nur zu einem Teil durch die Pflegeversicherung

erfolgen. Der Anteil nichtberuflich erbrachter Leistungen aus dem familiären und dem Ehren-

amtsbereich wie auch ergänzende berufliche Hilfeleistungen muss mit den Pflegeleistungen

abgestimmt werden. Die Kommune hat nicht nur sicherzustellen, dass entsprechende Ange-

bote für die Versorgung der Pflegebedürftigen vorhanden sind, sondern auch Gestaltungs-

aufgaben wahrzunehmen. Dazu zählt die Entwicklung einer Ehrenamtskultur, die Initiierung

von Versorgungsalternativen zur Heimversorgung sowie eine moderierende Rolle in der Ab-

stimmung der unterschiedlichen Leistungsträger.

Die Rolle als gestaltender Akteur umfasst ein umfassendes Beratungsangebot. In Kenntnis

der örtlichen Strukturen bietet sich eine Kooperation mit einer unabhängigen case-

management-Instanz an. In diesem Feld kommunaler Kooperation liegen jedoch noch keine

Erfahrungen vor.

5. Gesetzliche Rahmenbedingungen

Die Leistungen der Pflegeversicherung folgen dem Sachleistungsprinzip, das wegen seiner

starken Reglementierung häufig kritisiert wird. In der ambulanten Versorgung hat sich dieses

Prinzip als hemmend auf die Leistungsfähigkeit der Pflege erwiesen. Daher wird eine Flexibi-

lisierung der Sachleistungen gefordert, die es ermöglicht, Leistungen dem jeweiligen Bedarf

entsprechend zu geben unter Einbeziehung sozialer und kommunikativer Hilfebedarfe. Eine

solche Öffnung würde es ermöglichen, häusliche Pflegearrangements derart zu gestalten,

dass eine Heimversorgung nicht mehr als einzige Alternative zur häuslichen Pflege angese-

hen wird.

Es wird zukünftig notwendig, innerhalb des Leistungsrechts des SGB XI Anreize zu schaffen,

teilstationäre Einrichtungen stärker als Mittel zur Unterstützung der Erwerbstätigkeit der Pfle-

gepersonen einzusetzen. Ein weiterer Weg der Anpassung des Leistungsrechts für die häus-

liche Pflege wird in der Einführung eines personenbezogenen Pflegebudgets gesehen, mit

deren Hilfe auch neue Versorgungsformen (Wohngemeinschaften, Pflegefamilien u.a.) ein-

bezogen werden könnten.

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