Download - Generationenhaus Lissa: von der Wiege bis zum Sarg · Das gilt von der Wiege bis zur Bahre: Ein Stubenwagen aus Korbgeflecht steht deshalb schon lan-ge im Kinderzimmer im Obergeschoss.

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Page 1: Generationenhaus Lissa: von der Wiege bis zum Sarg · Das gilt von der Wiege bis zur Bahre: Ein Stubenwagen aus Korbgeflecht steht deshalb schon lan-ge im Kinderzimmer im Obergeschoss.

das schön, aber auch kniffelig“, erzähltMonika Bruder, die zum Verein Genera-tionenhaus Alte Pfarre gehört, der dasHaus betreibt.

Fluss der Generationen

Das Konzept: Die Traditionen des länd-liches Lebens früher zu zeigen und ganzpraktisch zu bewahren. Das gilt von derWiege bis zur Bahre: Ein Stubenwagenaus Korbgeflecht steht deshalb schon lan-ge im Kinderzimmer im Obergeschoss.Einige von Taatz seinen sieben Kindernschliefen bereits drin. Der Ehrgeiz desGeistlichen besteht aber auch darin, dasGanze zu veranschaulichen: Leben istendlich, ordnet sich in den Fluss derGenerationen, in Höheres außerhalb dereigenen Existenz ein. Taatz besucht mitseinen jeweiligen Konfirmanden-Schü-lern auch ein Delitzscher Bestattungs-haus. Nun hat er es auch geschafft, einenSarg ins Generationenhaus zu bringen.Der steht erst einmal im ehemaligenArbeitszimmer des Pfarrers. Wie genau erdem Besucher präsentiert wird, ist noch inder Ideenfindung. Es gibt schon einige.

Stöbern und benutzen

Bis 1966 war das Haus tatsächlichDienstwohnung für den örtlichen Pfarrer.Dann hatte es unterschiedliche Mieter,war in mehrere Wohnungen aufgeteilt.Auch Adelheid Henneberg, die heuteebenfalls zum Verein gehört, lebte hier.„Da war die Küche“, deutet sie in derzweiten Etage an. Eine ganze Küche stehthier nicht mehr. Aber ein Buffet aus altenZeiten ist da, bestückt mit Geschirr undGewürzen. Stöbern und benutzen sindhier an vielen Stellen erlaubt. Auf denSofas aus dem 19. Jahrhundert mit densteilen Lehnen und auf den betagtenStühlen aus guten Stuben sitzen heuteimmer noch Gäste, wenn Taufen, Konfir-mationen, Jugendweihen, Hochzeitsjubi-läen gefeiert werden. Auch für die Kaffee-tafeln nach Bestattungen in der Kirchenebenan rücken die Vereinsmitgliederdie Möbel zurecht. Dass all das vor fast 15

Pfarrhaus barocke Struktur hatten. DerGarten wurde wieder in diesem Stil ange-legt. Für ein Dorf mag er zu seiner Zeit garnicht typisch gewesen sein. Aber es lässtsich denken, dass die Pfarrfamilie die Ideeaus der Stadt mitgebracht hat. „Idyllischwar das Leben trotzdem nicht“, schätztTaatz ein. In den alten Aufzeichnungensind Streitigkeiten um Pachteinnahmenund um die Entlohnung zu finden. Erhal-ten, aber wirklich nur zum Anschauen da,sind zum Beispiel auch die Trockenklos.Heute Grusel-Effekt auslösend, stelltensie einst ein gewisses Höchstmaß an Kom-fort dar, weil sie nicht im Hof, sondern imInneren des Hauses zu erreichen waren.Auch die Mägdekammer mit den putzi-gen Fensterscheiben in Richtung Flursieht zwar gemütlich aus, aber im Winterdürfte sie kalt gewesen sein. Der Raumwar, wie die damaligen Schlafräume oft,nicht zu beheizen.

Weiter im Wandel

Vom Flur aus geht der Blick hintersHaus. Ein Pavillon mit spitzem Zeltdachund hölzernen Stangen ist gerade aufge-baut. Er ist extra für Open-Air-Eventsbeschafft worden, die hier immer wiederstattfinden. Am Wochenende steht nundas Kartoffelfest an. Auch das Fest zumSchulanfang hat sich etabliert. Seit zehnbis zwölf Jahren gibt es hier die musikali-sche Lesenacht, die jeweils nachmittagsstartet. Kinder und Erwachsene lesen Stü-cke, die ihnen am Herzen liegen. Vor eini-gen Monaten wurden auch endlich dieBuchregale montiert und eingeräumt.Immer wieder bekommt die Gemeindeganze Büchernachlässe vererbt. Dank derVerteil-Bibo können sie neue Nutzer fin-den.

Die „Alte Pfarre“ ist weiter im Wandel.Wie schon früher. Als das Pfarrhaus 1729erbaut wurde, hatte es nur ein Erdge-schoss. Erst später, als mit dem Zuckerrü-benanbau der Wohlstand in die Regionkam, kam das zweite Stockwerk dazu.Auch in der heutigen Geschirr-Spül-Fra-ge gibt es bald eine Verbesserung. DerVerein plant eine Waschstrecke für diegrößeren Veranstaltungen, die im Freieninstalliert werden kann und für die größe-ren Events zur Verfügung steht.

Das Generationenhaus Alte Pfarre in Lissa ist mit den Gebrauchsgegenständen unserer Vorfahren ausgestattet. Dabei werden sie im ehemaligen Pfarrhaus im Westen des Landkreises Nordsachsens nicht wie in einem Museum aufbewahrt, sondern auch genutzt, für Feiern zu fröhlichen ebenso wie traurigen Anlässen.

schnell eingeholt, ging der Antrag nochrechtzeitig in die Post. „Dann kam eineWeile nichts“, erzählt Taatz die Geschich-te weiter. Dann die Auszeichnungsveran-staltung, von der die Jugendlichen wie-derkamen: Alle möglichen Projektewaren mit Auszeichnungen bedacht wor-den. Aber Lissa nur mit einer Anerken-nung. Das war wohl nichts, so der Gedan-ke. Bis der Anruf kam, wohin denn das

Geld überwiesen werden sol-le. „Denn alle Projekte,

die anerkannt sind,werden gemacht“,

erzählt der Pfarrerlachend. „Das

waren 160 000Euro. Ein sehrguter Stun-d e n l o h n “ ,erklärt er.„Das habeich nie wie-der erreicht.“

Allerdings wardas nicht das

gute Ende, dennplötzlich war das

Geld im Fördertopfdoch alle. Wieder half

das Glück: Die Alte Pfarrewurde aufs Leader-Programm

umgelenkt. Damit konnten dann dieNebengebäude und der Garten mit ein-bezogen werden. Ohne das Zugreifen derLissaer selbst war trotzdem nichts zumachen: So hatten die Kameraden derFreiwilligen Feuerwehr zum Beispiel fürdie Entkernung des Hauses gesorgt. FürTaatz war’s nicht das erste Bauprojekt die-ser Art. Dank seiner Initiative war bereitsdie alte Fachwerkscheune aus Breunsdorfbei Borna vor den Braunkohlebaggerngerettet worden und in den Pfarrgartennach Schenkenberg umgezogen. Derzeitschickt sich nun der bisher eher kahleLöbnitzer Kirchgarten an, zum Begeg-nungsort zu werden.

Bei den Aufräumarbeiten in Lissa wur-de auch entdeckt, dass die Beete vorm

Jahren möglich wurde, ist ebenfalls einewundersame Geschichte: Als in den90er-Jahren der letzte Bewohner auszog,war das Haus nicht mehr zu vermieten.„Wir haben erst damals mitbekommen, inwelch schlechtem Zustand das Gebäudewar“, erinnert sich Taatz. Aber wenn dieLissaer Christenlehre und Konfirmations-unterricht weiter im Dorf halten wollten,war es auf alle Fälle nötig. Jedenfalls war

der Gemeinde-kirchenrat beider FrageErhalten oderAbreißen natür-lich fürs Erste.Doch es blieb diegroße Frage nachdem Wie. GlücklicherZufall: Der Pfarrer fanddie Aufforderung, sich amJugendwettbewerb „Nichts los aufdem Dorf“ zu beteiligen beim Aufräumendes Wegwerf-Papierstapels. Er hatte eszuvor nur flüchtig überflogen und dannweggelegt, denn gewöhnlich gab’s wenigGeld bei hohem Antragsaufwand. Undfür das Pfarrhaus waren schon einigeHunderttausend Euro nötig. Gerade nochrechtzeitig hatte er entdeckt: Bei diesemWettbewerb gab es tatsächlich sechsstel-lige Beträge. Über Nacht hatte er dieinhaltliche Konzeption fürs Generatio-nenhaus entworfen. Nun ist mittlerweileder Begriff „Mehrgenerationenhaus“ fürbesondere Wohn- oder Sozialprojekteetabliert, doch in der „Alten Pfarre“ gehtes um gelebte Historie. „Und wir warenzuerst“, betont der Pfarrer. Jedenfallswurden die nötigen Unterschriften

„Kampf dem Verderb“ – heute mutet der Spruch auf dem Deckel des Vorratsfasses aus Steinzeug kurios an.

Pfarrer Matthias Taatz undMonika Brunder zeigen denSarg, der künftig ebenfalls

zu den Ausstellungsstückendes GenerationenhausesAlte Pfarre Lissa gehören

soll. Fotos: Wolfgang Sens

Generationenhaus Lissa: von der Wiege bis zum Sarg

Im Stubenwagenaus Korbgeflecht

schliefen einst auchdie Kinder der

Pfarrers-FamilieTaatz.

S olche Zeitzeugen mag Matthias Taatzbesonders: „Kampf dem Verderb“ ist

in den Steinzeugdeckel graviert. „Nr. 5“,ist auch noch zu lesen. Wahrscheinlichwurde einst Sauerkraut darunter aufbe-wahrt. „Solche Sprüche wurden zu Hit-lers Zeiten gemacht“, sagt Taatz, der denDeckel zwischen den Gerätschaften inder Küche des Generationenhauses Lissahervorgezogen hat. Dort gibt es vieleGegenstände, die in vergangenen Jahr-zehnten oder gar Jahrhunderten Diensttaten. Heute sind sie aus dem Alltag ver-schwunden. Aber sie funktionieren. Undin der „Alten Pfarre“ sind sie noch imGebrauch. Unterm Waschtisch lassen sichmit dem Drehgestell zwei Schüsselnherausschwenken. In der einen wird dasGeschirr, in Handarbeit natürlich,gespült, in der anderen zum Abtrocknenbereitgestellt. „Wenn Veranstaltungenmit Hundert Leuten laufen, ist das schonbeschwerlich“, schätzt Taatz. Was soschön nach früher aussieht, bedeutet oftmehr Arbeit. In dem Fall meist für die Mit-glieder und Freunde des Alte-Pfarre-Ver-eins. Gewisse Übung ist ebenfalls nötig,um zum Beispiel den mit Holz- und Bri-ketts zu befeuernden Herd nebenan zubetreiben. Er wird auch Küchenmaschinegenannt, denn er dient zum Kochen,

Backen, Hei-zen, alsWarmwasser-Bereiter. „Alswir hier zurWeihnachts-zeit Plätzcheng e b a c k e nhatten, war

VON HEIKE LIESAUS

Monika Bruderführt den

Spültisch mitden schwenkba-ren Schüsseln in

der Küche vor.Das ist ein Mus-Rudel, Pfarrer Matthias Taatz zeigt im Generationenhaus Lissa ein altes Küchengerät.

Der Barock-garten empfängt die Besu-cher vor dem Haus.Foto: Heike

Liesaus

Im trockenen Keller ist Platz für den Vorrat. Hier soll auch noch ein Raum für Treffen eingerichtet werden.

THEMA DES TAGES 27|NR. 235 | DIENSTAG, 9. OKTOBER 2018