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DAS GROSSE EVANGELIUM JOHANNES - BAND 5

Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre

Inhaltsverzeichnis

Jesus in der Gegend von Cäsarea PhilippiEv. Matth. Kap. 16 (Fortsetzung)

1. Das wunderbare Mahl

2. Wie Wunder bewirkt werden

3. Die Vorsehung Gottes und des Menschen Willensfreiheit

4. Das neue Anwesen des Markus, ein Wunderwerk Raphaels

5. Die Kinder der Welt und die Kinder des Herrn

6. Verhaltensgebote des Herrn für den Gastwirt Markus

7. Vom römischen Oberpriester. Eine Kritik am Heidenpriestertum in Rom

8. Die religiösen Verhältnisse in Rom zur Zeit Jesu

9. Des Herrn Voraussage über das Schicksal Roms und Jerusalems

10. Ein Evangelium fürs weibliche Geschlecht

11. Der Nubier Ansichten über das Wunderwirken

12. Von der Rechthaberei

13. Die Möglichkeit, Größeres zu wirken als der Herr

14. Das Wunderwirken des in Gottes Willen eingegangenen Geistesmenschen

15. Der Herr tröstet die nicht zur Gotteskindschäft berufenen Nubier

16. Die Deputation von Cäsarea vor Cyrenius

17. Die weise Gesetzgebung in Mathaels Königreich am Pontus

18. Des Cyrenius und Roklus Rechtsstreit

19. Die eigentliche Absicht des Roklus und seiner Gefährten

20. Roklus besichtigt den Wunderbau

21. Das gottesleugnerische Glaubensbekenntnis des Roklus

22. Roklus beweist seinen Atheismus

23. Des Roklus Ansichten über Götter und Priester

24. Roklus sucht seinen Atheismus als die wahre Weltanschauung zu begründen

25. Des Roklus Wesen, vom Herrn beleuchtet

26. Des Cyrenius freundliche Entgegnung an Roklus. Die Ursachen des Verfalls des Priestertums

27. Das künstliche Allerheiligste im Tempel zu Jerusalem. Indische Bußgreuel

28. Die indische Priesterwirtschaft

29. Die Residenz des Lamaoberpriesters

30. Roklus kritisiert die indische und die jüdische Religionslehre

31. Roklus preist die Gottlosigkeit und das Nichtsein

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32. Die Naturphilosophie des Roklus

33. Der Gott der Naturphilosophen

34. Roklus vergleicht die Taten der Menschen mit denen Gottes

35. Roklus zeigt das Herz als Sitz der wahren Gottheit

36. Roklus wird an Raphael verwiesen

37. Raphael schildert Gottes Wesen

38. Zweck der Bußwerke in Indien

39. Die Gefahren hoher wissenschaftlicher Bildung

40. Entstehung der Sklaverei

41. Die egoistische Haushaltung der alten Ägypter und deren Übelstand

42. Die Staatsordnung der alten Indier

43. Der religiöse Verband Indiens mit China

44. Roklus erzählt von den Zaubereien eines indischen Magiers

45. Raphael erklärt die Zaubereien des indischen Magiers

46. Das Priestertum als Feind des Lichtes

47. Die Früchte der Nacht und die Früchte des geistigen Lichtes

48. Roklus verteidigt das Essäertum und seine Trugwunder

49. Der Unterschied zwischen Lebensklugheit und Betrug

50. Die Gefahren der Trugwunder des Essäerordens

51. Die wahren und die falschen Wundertäter

52. Des Roklus Zweifel an Raphaels Macht

53. Roklus rechtfertigt die Gründung des Essäerordens

54. Des Roklus Erfahrungen und Ansichten über den Nazaräer

55. Die von Roklus geforderte Wundertat Raphaels

56. Der Essäer Mutmaßungen über die Person Raphaels

57. Des Roklus Rede über die Wichtigkeit eines ausgebildeten Verstandes

58. Der Liebe Einfluß auf den Verstand

59. Raphael enthüllt des Roklus innerste Gedanken über den Herrn

60. Vom Wesen der Liebe

61. Die Erkenntniskraft der Liebe. Die Unzulänglichkeit des Verstandes und der Vernunft

62. Die Liebe und ihr Erkenntnislicht

63. Roklus und seine Gefährten beraten sich

64. Ruban spricht bei seinen Gefährten für den Herrn

65. Rubans Rede an den Herrn

66. Des Herrn Rat und Rede an die Essäer

67. Roklus sucht vor dem Herrn seine Unwahrhaftigkeit zu rechtfertigen

68. Das Priestertum als stärkstes Hindernis für die Ausbreitung der Lehre des Herrn

69. Der wahre Lebensweg

70. Das Wesen Satans und der Materie

71. Das jenseitige Schicksal der materiell gewordenen Seele

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72. Die Erklärung des Wortes S HE OU LA (Hölle). Vom Hellsehen

73. Wie man Gott über alles liebt. Die wahre, gottgefällige Arbeit des Menschen

74. Fragen über Krankheiten und deren Heilung

75. Schmerz, Krankheit und Tod

76. Die Freiheit des menschlichen Willens

77. Vom rechten und vom unrechten Eifer

78. Die Ausbildung des freien Willens. Die Nachteile des übertriebenen Eifers

79. Andeutungen des Herrn über Sein letztes Abendmahl und Seinen Kreuzestod

80. Raphael als Vielesser

81. Raphaels Person und Wesen im Unterschiede zum Erdenmenschen

82. Das Wunderwirken Raphaels

83. Lebensvollendung und Wunderkraft durch Gottes- und Nächstenliebe. Wahre und falsche Propheten

84. Die Bedeutung der Gotteskindschaft auf dieser Erde

85. Die Übergänge im Reiche der Naturgeister

86. Vom Wesen des Diamanten und des Rubin (Thummim und Urim)

87. Vom Gold- und Edelsteinschmuck der Herrscher

88. Glaube und Verstand

89. Die Gefahren des Goldes

90. Die Hauptaufgabe des Menschen: ein vollkommenes Ebenbild Gottes zu werden

91. Alles hat seine Zeit

92. Der Pharisäer Anstoß und Ärger über das fröhliche Mahl des Herrn

93. Des Roklus scharfe Rede an die Pharisäer

94. Raphael erklärt Roklus die Begriffe >Satan< und >Teufel<

95. Des Roklus Einwände

96. Die Dämonen und ihr Einfluß

97. Der freie Wille des Menschen. Die Hilfe der göttlichen Gnade

98. Die Selbstbestimmung der Seele

99. Floran verweist den Pharisäern ihre lieblose Kritik am Herrn

100. Der Segen der römischen Herrschaft für das jüdische Volk

101. Roklus und Floran im Gespräch über Stahar

102. Roklus beleuchtet das Pharisäertum

103. Roklus ereifert sich über Stahars geistige Blindheit

104. Stahars Selbstbekenntnis und Lebenserfahrungen

105. Die unbegreiflichen Wege der Vorsehung. Stahars Gründe für die dem Herrn gegenüber geäußerten Zweifel

106. Der Engel begrenzte Einsicht in das Denken des Herrn

107. Eine Voraussage des Herrn über die Zukunft: Die Völkerwanderung

108. Das Zeitalter der Technik

109. Vom Selbstgericht der Menschen

110. Die zukünftige Heimsuchung der Erde. Das Geborgensein der Gotteskinder

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111. Das Ende der Erdmaterie

112. Die dereinstige Verwandlung der materiellen Welten in geistige Gotteskinder und Gottesgeschöpfe

113. Die Menschen der Sternenwelten und die Gotteskindschaft

114. Der Große Schöpfungsmensch und die Erde

115. Wesen und Inhalt einer Hülsenglobe

116. Die Unzulänglichkeit der menschlichen Erkenntnis. Der Trost in der göttlichen Liebe

117. Die Erkenntnis der Gottheit Jesu als Vorbedingung zur wahren Gottesliebe

118. Goldene Richtlinien für die Verbreitung des Evangeliums

119. Der Unterschied zwischen einem wahren und einem falschen Führer

120. Die Zukunft und Reinerhaltung der Lehre des Herrn

121. Ohne Täter des Wortes - keine Kenner des Wortes!

122. Die Wichtigkeit des Tatchristentums

123. Die Weisheit als Wirkung der Liebetätigkeit

124. Vom Vielwissen ohne Lebenstat

125. Die Notwendigkeit der Selbstprüfung

126. Die Nächstenliebe als Regler der Sparsamkeit

127. Die Liebe als wahrstes Gotteslob. Des Herrn Gleichnisse von der Erde und von der Anpflanzung

128. Der geistige Sinn der beiden Gleichnisse

129. Die geistige Reife der Schnitter des Herrn

130. Lehrwinke des Herrn für die Ausbreitung des Evangeliums

131. Das Handeln nach der Lehre und Gottes Verheißungen. Vom Zeremoniendienst

132. Die Erlösung vom Joche des Zeremoniendienstes und des Gesetzes

133. Das Verhältnis der Kinder Gottes zu den politischen Staatsgesetzen

134. Grundzüge der Kindererziehung

135. Die Verlegenheit des Essäerinstitutes

136. Das Verbot der betrügerischen essäischen Totenerweckungen

137. Die Grundsätze des neugeordneten essäischen Institutes

138. Des Roklus Versuch, Notlügen zu rechtfertigen

139. Die Berechtigung der Vernunft und der Klugheit

140. Verhüllte Wahrheiten und verhüllte Lügen. Falsche Propheten und ihre Wunder

141. Demut und Bruderliebe. Roklus und seine Gefährten in Verlegenheit

142. Des Roklus Reformvorschläge für das Essäerinstitut

143. Des Herrn Rat an Roklus

144. Das zukünftige Verhältnis der Essäer zum Priestertum

145. Pharisäer klagen den Herrn als Staatsaufwiegler bei Cyrenius an

146. Die Entlarvung der falschen Ankläger

147. Die Verhandlung mit den Pharisäern

148. Das Geständnis des Pharisäers

149. Des Cyrenius Zeugnis für den Herrn

150. Die Dummheit und Blindheit der Pharisäer

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151. Die Tempelmoral des Pharisäers. Die Wunder Mosis in pharisäischer Beleuchtung

152. Weitere Erklärungen von alttestamentlichen Wundern

153. Die Naturphilosophie des Pharisäers

154. Der Hinweis des Cyrenius auf des Herrn Wunder

155. Die Belehrung der Pharisäer durch ein Weinwunder

156. Die Zweifel des Pharisäers am Dasein Gottes

157. Die Erde, eine Übungsschule für Gotteskinder

158. Die Not als Erziehungsmittel

159. Die wahre und die falsche Art weltlicher Tätigkeit

160. Der egoistische Streber nach der Wiedergeburt

161. Der Eindruck der Wunderwerke des Herrn auf die Pharisäer

162. Cyrenius enthüllt des Pharisäers Ansichten über die Wunderwerke des Herrn

163. Der materialistische Glaube des Pharisäeranführers

164. Die Religionsphilosophie des Pharisäers

165. Des Markus Rede über den Glauben und den Unglauben

166. Der Pharisäer Bekehrung

167. Des Herrn Abschiedsstunde bei Markus

168. Über Geiz und Sparsamkeit

169. Eine Verheißung für Hilfesuchende. Des Herrn Abschied vom Hause des Markus

170. Des Petrus blinder Eifer und Sorge um den Herrn. Ev.Matth. 16, 20-23

171. Das Wesen Satans und der Materie. Ev.Matth. 16, 24-28

172. Der Herr mit Seinen Jüngern im Fischerdorf bei Cäsarea

173. Der Stoizismus der Bewohner des Fischerdörfchens

174. Der wunderwirkende Glaube

175. Des Fischers Aziona stoische Weltanschauung

176. Johannes enthüllt das Leben des Aziona

177. Derwahre, lebendige Glaube

178. Der Weg zum wahren Glauben

179. Der Traum des Hiram

180. Das Schauen der Seele im Traume

181. Hirams stoisch-naturalistische Weltanschauung

182. Die Gestaltungskraft der menschlichen Seele im Traume

183. Hirams magische Erlebnisse

184. Die Vor- und Nachexistenz der menschlichen Seele

185. Hirams Bedenken gegen die ewige Fortexistenz des Menschen

186. Unendlichkeit, Ewigkeit und Seligkeit

187. Drei Einwände gegen das Fortleben nach dem Tode

188. Die notwendige Verschiedenheit der Wesen und Verhältnisse auf Erden

189. Die Messiasfrage

190. Johannes bangt es vor Hirams Verstandesschärfe

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191. Das Feuerwunder des Johannes

192. Das wunderbare Nachtmahl

193. Das nahende Schiff mit den Häschern

194. Das Gericht über die Häscher

195. Die Lebensgeschichte der Häscher

196. Die Geldgier des Judas. Die Vorzüge der Nachtruhe auf Liegestühlen

197. Die Urgeschichte der Menschen

198. Die Urgeschichte der Lebewesen der Erde

199. Die Verschiedenheit der Welten

200. Der Unterschied zwischen den Menschen dieser Erde und denen der anderen Welten

201. Ein Blick in den Saturn

202. Die Messiasfrage

203. Hirams Messiasbegriff

204. Messias und Erlösung

205. Die Erklärung des Messiasbegriffes

206. Hirams Zeugnis über den Herrn

207. Die Sammlung und Bergung des Strandgutes. Die Neugier der Dorfbewohner

208. Die Vorbereitungen zum Morgenmahle

209. Aziona und Hiram im Gespräch mit ihren Nachbarn

210. Epiphan der Philosoph

211. Der Mensch als unvergängliches Wesen

212. Epiphans Zweifel und Fragen

213. Die Notwendigkeit des wahren, lichten Glaubens

214. Der Leicht-und Aberglaube

215. Die Mission des Herrn. Epiphans Zweifel am Verständnis der Menschen für die Lehre des Herrn

216. Von der Wunderkraft des Wortes. Lehren ist besser als Zeichenwirken

217. Die wunderbare Verwandlung der Gegend. Willensfreiheit und Aufgehen in Gottes Willen

218. Wichtigkeit der Gemütsruhe

219. Epiphans Mut

220. Der Zweck der Kreuzigung des Herrn

221. Epiphans Vorschläge zur Vermeidung des Todes des Herrn

222. Die Verwunderung der Jünger über die veränderte Gegend. Vom Fasten

223. Feindliche Kundschafterschiffe in Sicht. Der Sturm als Abwehr

224. Azionas Frage nach dem Leben der Seele nach dem Tode

225. Kinder Gottes (von oben) und Kinder der Welt (von unten)

226. Das Leben der Weltmenschen im Jenseits

227. Die Nichtigkeit einer Kraft ohne Gegenkraft

228. Der Gegenpol Gottes

229. Die beiden Pole des Daseins

230. Der Weg zur Erlösung

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231. Die Frage nach der Erlösung der Unwissenden

232. Jenseitsführung und Wiederverkörperung

233. Das Vergehen und Entstehen der materiellen Schöpfungen

Jesus in der Gegend von KapernaumEv. Matth. Kap. 17

234. Die Verklärung des Herrn auf dem Berge Tabor. Ev. Matth. 17, 1-2

235. Der Herr im Gespräch mit Moses und Elias. Ev. Matth. 17, 3

236. Die drei Jünger im Verkehr mit den Jenseitigen. Der Geist Gottes im Menschen als Führer in alle Wahrheit. Ev. Matth. 17, 4-9

237. Johannes des Täufers Inkarnationen. Ev. Matth. 17, 10-13

238. Die Auferstehung des Fleisches

239. Der Segen der Mäßigkeit. Die Zubereitung des Fleisches unreiner Tiere

240. Die Heilung eines besessenen Knaben. Ev. Matth. 17, 14-21

241. Des Herrn Aufenthalt in Jesaira und Einkehr in des Petrus Fischerhütte bei Kapernaum

242. Der Herr spricht über Sein bevorstehendes Leiden. Ev. Matth. 17, 22-23

243. Petrus und der Zöllner. Ev. Matth. 17, 24-27

Der Herr im Hause des Simon PetrusEv. Matth. Kap. 18

244. Vom Größten im Himmelreich. Von den Ärgernissen. Ev. Matth. 18, 1-9

245. Die Erklärung der Bilder von den Ärgernissen

246. Die Kinder als Vorbilder für die Jünger. Gott und Mensch im Herrn. Ev. Matth. 18, 10

247. Das Geheimnis von Golgatha. Ev. Matth. 18, 11-14

248. Vom Vergeben. Ev. Matth. 18, 15-22

249. Das Gleichnis vom Schalksknecht. Ev. Matth. 18, 23-35

250. Die Notwendigkeit weltlicher Gerichte. Die Ursachen der Verbrechen und ihre Verhütung

251. Ein Heuschreckenzug

Jenseits des Jordan am Galiläischen MeereEv. Matth. Kap. 19

252. Die Überfahrt des Herrn und der Seinen zum jenseitigen Seeufer. Ev. Matth. 19, 1

253. Die Heilung des Blindgeborenen und anderer Kranker. Ev. Matth. 19, 2

254. Der Herr und die Seinen im Hause des griechischen Herbergswirtes. Wahrheit macht frei

255. Das Verbot der Ehescheidung. Ev. Matth. 19, 3-9

256. Ausnahmefälle in ehelichen Dingen. Ev. Matth. 19, 10-12

257. Der Herr segnet die Kinder. Ev. Matth. 19, 13-15

258. Der reiche Jüngling. Ev. Matth. 19, 16-26

259. Die Frage der Jünger nach dem himmlischen Lohn. Ev. Matth. 19, 27-30

260. Der Herr besucht mit den Seinen einen Ort im Gebirge

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261. Im Hause des Ortsvorstehers. Der Wunderwein

262. Die Heilung der verkrüppelten Tochter des Wirtes

263. Barnabe erinnert sich des zwölfjährigen Jesus im Tempel

264. Die Heiligung des Sabbats

265. Das Zeugnis der geheilten Elisa für den Herrn. Die Verwandlung der Zugänge zum Gebirgsdorf

266. Das geistige Schauen

267. Die Entsprechungen zwischen Materie und Geist

268. Die Heilung des von der Giftschlange Gebissenen. Der Wunderwein

269. Vom rechten Wege und vom rechten Salze

270. Der Salzfelsen. Das wundervolle und gesegnete Abendmahl

271. Von der Bescheidenheit, Sanftmut und Demut. Die goldene Mittelstraße

272. Die Entsprechungssprache der Propheten

273. Die Geldgier des Judas Ischariot

274. Von den Essäern und ihren Wundern

275. Ein Blick in den Sternenhimmel

276. Des Herrn Abschied vom Gebirgsdorfe

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Band 5 (GEJ)Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre.Durch das Innere Wort empfangen von Jakob Lorber.

Nach der 7 Auflage.Lorber-Verlag – Hindenburgstraße 5 – D-74321 Bietigheim-Bissingen.Alle Rechte vorbehalten.Copyright © 2000 by Lorber-Verlag, D-74321 Bietigheim-Bissingen.

1. Kapitel – Jesus in der Gegend von Cäsarea Philippi, Fortsetzung (Kap.1-233)[001,01] Sage Ich: „Es ist aber nun auch schon eine Stunde über den Mittag, darumsorge du, Markus, für ein Mahl; Mein Raphael helfe dir! Nach dem Mahle wollen wir dannsehen, was uns der Tag noch alles bringen wird. Ordnet euch alle an die Tische, und du,Raphael, aber schaffe die beiden Gehirnhaufen von unserem Tische, dann erst hilf demMarkus!“[001,02] Raphael tat das in einem Augenblick und sagte dann zum Markus: „Soll ichdir nach eurer Menschenart behilflich sein oder nach meiner Art? Sage, wie es dir lieber ist!Weniger Aufsehen würde es offenbar machen, wenn ich dir nach menschlicher Weise helfe;aber nach meiner Art ersparten wir viel Zeit, und diese ist denn doch etwas sehr Kostbares!Was du demnach willst, das werde ich tun, und du wirst nirgends etwas auszustellen haben,als wäre irgend etwas versäumt worden.“[001,03] Sagt Markus: „Ja, Freund aus den Himmeln, deine Art, die Speisen schnellstauf die Tische zu bringen, wäre freilich sehr vorteilhaft – denn trotz der Hilfe derDienerschaft des Cyrenius geht es doch so hübsch lange her, bis die Speisen für so vieleMenschen auf die Tische gebracht werden; aber es hat hier einen andern Haken! Die Speisensind in genügender Vielheit noch gar nicht völlig bereitet! Wenn da deine überirdischeGewandtheit etwas vermag, da wäre sie wohl vorderhand am allerrechtesten Platze; sonstwird es wohl noch einer guten halben Stunde benötigen, bis alles zum Auftragen bereitet seinwird!“[001,04] Sagt Raphael ganz gemütlich zum Markus: „Das meine ich ja auch:schnellst bereiten und ebenso schnell die Tische mit den geziemenden Speisen und Getränkenversehen! Ich sage dir, man muß nur wollen, und es geht dann alles! Wenn du willst, so kostetes mich nur einen allerkürzesten Augenblick, und alle Speisen stehen allerbest bereitet auchschon auf den Tischen vor den Gästen!“[001,05] Sagt Markus: „Wäre schon alles recht; aber dann werden die Menschen dasfür eine himmlische Zauberei halten und vielleicht eine ganz erklärliche Furcht vor denSpeisen bekommen und werden sich kaum getrauen, dieselben zu genießen, – besonders dieSchwarzen, die hier ohnehin auf alles so aufmerken, daß ihnen sicher gar nichts entgeht!“[001,06] Sagt Raphael: „Oh, denen macht es gerade am wenigsten; denn diese sindans Wunderbare schon gewöhnt! Spät ist es auch schon, und der Herr wird etwa nach demMahle etwas von großer Wichtigkeit vorhaben, was nur Er allein wissen kann, und so ist esoffenbar besser, wir machen es mit meiner geistigen Schnelligkeit, und es wird sich daranniemand stoßen! Zugleich ist dies das letzte Mittagsmahl, das der Herr hier einnimmt, und esschadet darum nichts, wenn es so ein wenig wunderbar aussieht! – Bist du da nicht auchmeiner Ansicht?“[001,07] Sagt Markus: „Ganz vollkommen; denn du als ein erster Geist aus denHimmeln wirst es wohl besser wissen und verstehen als ich, was hier schicksamer undvorteilhafter ist! Daher tue du nun nur ganz vollkommen nach deinem Gutdünken!“[001,08] Als Markus solches dem Raphael kundgab, begaben sich beide in dieKüche, in der wie gewöhnlich des Markus Weib, seine Töchter und Söhne und noch etlicheDiener des Cyrenius alle Hände voll zu tun hatten, und dennoch war das Mahl für so viele nur

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kaum erst bis zur Hälfte fertig.[001,09] Da sagte Markus: „Oh, da wird's noch eine Stunde hergehen, bis da allesfertig wird!“[001,10] Sagt dessen Weib: „Ja, mein lieber Gemahl, wir beide können keineWunder wirken, und es läßt sich da nichts übers Knie brechen. Da heißt's geduldig ausharren,bis man alles herrichten kann!“[001,11] Sagt Markus: „Weißt du was, laß du nun samt den Töchtern das Kochen,Sieden und Braten stehen; der Raphael als ein wahrer Schnellkoch wird damit bald zu Endesein!“[001,12] Sagt das Weib: „Das wäre wohl gut; denn es sind alle schon recht müde vonder vielen Arbeit!“[001,13] Mit dem traten alle Köche und Köchinnen zurück, und Raphael sagtedarauf: „Nun könnet auch ihr an euren Tisch gehen! Alles ist bereits auf den Tischen, und alleGäste nehmen bereits das Mahl ein. Komm, alter Markus, und setze dich als mein Mitarbeiterzum Tische und iß nun einmal von meiner Küche, und beurteile, ob ich wohl auch zu kochenverstehe! Dein Weib und deine Kinder und die Köche des Cyrenius aber haben ohnehin eineneigenen Tisch vor dem Hause, der mit denselben Speisen und Getränken bestens bestellt ist.“[001,14] Sie gehen nun alle aus der Küche, und als sie die Hunderte von Gästen anden Tischen essend und trinkend ersehen, da sagt Markus, höchst erstaunt über dieseErscheinung: „Ja, wie ist denn das möglich? Du hast mich ja doch nicht einen Augenblickverlassen, und alle Tische sind voll, und das, wie man's sieht, in großem Überfluß! Du hastauch nicht eine Speise bereiten und noch weniger auf die Tische stellen können! Ich bittedich, sage mir doch nur ein bißchen was, wie du das zustande gebracht hast; denn wahrlich,alles begreife ich eher als deine ganz verzweifelt unbegreifliche Schnelligkeit, besonders inHandlungen, die doch an eine gewisse zeiträumliche Ordnung für diese Erde notwendiggebunden sind! Ich bitte dich nochmals, mir darüber nur so einen kleinen Wink zu geben, wiedu die Speisen bereitet hast und woher sie genommen! Denn von den in meiner Küchehalbbereiteten ist nichts auf diese vielen Tische gekommen, weil ich sie soeben noch ganzwohlbehalten darin ruhend und ihrer Bestimmung harrend gesehen habe!“[001,15] Sagt Raphael: „Da hast du nicht gut genug geschaut; denn dein ganzerVorrat ist erschöpft! Sieh nur nach, ob es nicht also ist!“[001,16] Markus macht schnell einen Nachblick und findet Küche undSpeisekammer rein ausgeräumt. Nun kommt er mit noch größerem Staunen heraus und sagt:„Ah, Freund, da ist es aber mit dir rein nicht mehr auszuhalten! Wahrlich, ich mag keinenBissen drei Tage lang über meine Lippen kommen lassen, so du mir nicht irgendeinen Winkgibst, wie du das angestellt hast!“[001,17] Sagt Raphael: „Gehen wir nun auch an den Tisch; dort wollen wir davoneinige Worte miteinander tauschen!“[001,18] Auf das begibt sich Markus mit dem Raphael zu unserem Tische, an dem esschon recht lebhaft herging. Raphael greift gleich zu, legt auch dem Markus einen schönenFisch vor und nötigt ihn zu essen. Markus mahnt ihn zwar zur Erklärung der Schnellkochereiund der ebenso schnellen Bedienerei; aber Raphael sagt ganz freundlich: „Jetzt, lieber Freund,iß und trink! Wenn wir beide für den Leib wieder die erforderliche Stärkung durch diegesegnete Speise und den gesegneten Trank bekommen haben werden, dann wollen wir auchein paar Wörtchen über meine Schnellkocherei und Schnellbedienerei miteinanderverplaudern!“[001,19] Markus folgt nun dennoch dem Raphael und ißt und trinkt recht wacker.

2. Kapitel[002,01] Als das Mahl etwa nach einer Stunde vollends verzehrt ist, sagt Markuswegen der Erklärung abermals zum Raphael: „Nun, Himmelsfreund, wirst mir doch etwassagen?!“[002,02] Sagt Raphael: „Ja sieh, Freund, ich möchte es dir wohl erklären; aber eswird vorderhand trotz alles Erklärens die Sache dennoch eine sehr wunderbare bleiben,

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solange du nicht auch mit dem Heiligen Geiste aus den Himmeln wirst getauft sein! Wird desHerrn Geist einmal in deiner Seele ganz erstanden sein und eins sein mit ihr, dann wirst dualles das auch ohne eine Erklärung sonnenhell einsehen; jetzt aber wird dir selbst die triftigsteErklärung ganz entsetzlich wenig Licht geben können! Denn selbst die vollkommenste Seelefür sich begreift das nimmer, was da rein geistig ist; nur der Geist in ihr kann das begreifenund die Seele endlich durch ihren Geist! Weil du aber denn doch so einen Wink haben willst,so sieh dich ein wenig um und sage mir, was du gesehen!“[002,03] Markus sieht sich ganz verwundert nach allen Seiten um und ersieht beijedem Tische eine Menge dem Raphael ganz ähnliche Jungen, die da die vielen Gästebedienen und stets mit allem versehen, und mehrere holen sogar ganz frische Fische aus demMeere, eilen damit in die Küche und gleich wieder mit schon zubereiteten zu den Tischen;denn die Mohren haben viel Hunger, und zudem reizte sie auch noch der SpeisenWohlgeschmack.[002,04] Nun fragte Raphael den Markus: „Begreifst du nun, wie so manches mirschnellst zu bewerkstelligen möglich und gar leicht ist, zumal wenn du bedenkst, daß einGeist, als das alles Innerste der Wesen und Dinge durchdringende Prinzip, mit aller Materieauch am wirksamsten und allzeit am gelungensten schalten und walten kann, wie er will undmag, und nichts kann ihm ein Hindernis legen?! Zudem habe ich als ein Erzengel äonenMitdiener, die alle von meinem Willen in jedem Augenblicke abhängen. So ich aus demHerrn heraus zunächst etwas will, so erfüllt dieser Wille auch schon zahllose mirunterstehende Diener, die sogleich in die vollste Tätigkeit treten und eine verlangte Tat dennauch leicht möglich in einen dir kaum denkbar schnellsten Vollzug setzen! Ich selbstgleichsam persönlich tue freilich nichts; aber durch meinen Erzwillen werden Äonen zurTätigkeit vom innersten Seinsgrunde heraus bestimmt, und eine verlangte Tat wird denn auchauf diese Weise leicht schnellst in Vollzug gebracht, und das um so sicherer, weil vom Herrnund dann von uns aus schon lange alles zu irgendeiner Tat vorgesehen und vorbereitet ist, wasdann für euch im Notfalle als schon lange vollendet schnellst in die äußerlich ersichtliche Tatübertragen werden kann.[002,05] Hast du doch gesehen, wie oben auf dem Berge eine Eselin entstanden ist;und siehe, so entsteht alles, wenn unser Wille die aus unseren Gedanken hervorgehendenUrnaturgeister zu einer bestimmten so oder so geordneten Tätigkeit innerlichst anregt und zurTätigkeit nötigt! Und das allein, Freund, diene dir zur Erklärung, die du von mir gewünschthast! Mehr kann ich dir mit den höchst beschränkten Welt- und Zungenworten nicht sagen!Frage auch nicht weiter; denn bis du in deiner Seele nicht selbst Geist wirst, wirst du von alldem nie mehr verstehen, als du nun verstehst! Denn in des reinen Geistes Wissen undErkennen kann keine Kreatur je für sich dringen! – Verstehst du nun etwas mehr?“[002,06] Markus aber war mit dieser Erklärung ganz zufrieden und sagte: „Ich dankedir für diese ganz gute Erklärung; denn nun verstehe ich denn doch, wenn ich so alleszusammennehme, was ich gesehen und gehört habe, so ganz zu meiner vollen Zufriedenheit,wie du, liebster himmlischer Freund, deine Wunder verrichtest, und besonders den schnellstenVollzug der von dir verlangten Taten. Und ich kann nun ganz offen die Behauptungaufstellen, daß bei einem jeden Wunder es dennoch so ein bißchen natürlich zugeht und esimmer auf einen Verein von Kräften ankommt, so irgendwo eine Tat entweder sehr schnelloder mit periodenmäßiger Einteilung in den Vollzug gesetzt werden soll. Ja, ich finde nunzwischen euren geistigen Wundertaten und zwischen den Zaubereien der irdischen Magiereine gewisse leise Ähnlichkeit, und diese besteht in dem, was du als Vorsehung undVorbereitung benanntest![002,07] Weißt du, mein himmlischer Freund, ich rede nun schon einmal so ganzgeradeheraus, wie ich mir's denke! So ganz plötzlich ohne alle Vorbereitung und Vorsehungdürfte es euch vielleicht ebenso schwer werden, eine so recht exsekrable Wundertat zustandezu bringen, wie einem Magier ohne irgendeine Vorbereitung und ohne vorangegangeneEinverständnisse mit andern Menschen, die den Magier zu unterstützen haben. Freilich dürfendavon alle andern Menschen nichts wissen, sonst sähe es mit der Zauberei etwas schlecht aus!Ich ziehe für mich diesen sicher schwer zu widerlegenden Schluß heraus: Dem Herrn und

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euch durch Ihn sind alle Dinge möglich, aber nie unvorhergesehen, sondern vielleichtewigkeitenlang vorbereitet und geistig also schon lange in einen periodenweisen Vollzuggesetzt! Was demnach als äußere Tat hier nun in Vollzug kommt, das ward schon langegeistig vorgesehen und vorbereitet![002,08] Darum kann eine Erde, wie diese unsrige da ist, nicht mit einem purenallmächtigen ,FIAT‘! in ein solch vollendetes Dasein treten, sondern mit der Zeit erst nachlangen vorangegangenen Vorbereitungen, auf welche diese gegenwärtige Erde, wie sie nun istund besteht, als eine notwendige Folge ins Dasein treten mußte. Aus demselben Grunde kanndann auch so gut wie ganz unmöglich irgend etwas plötzlich in ein vollendetes und haltbaresDasein treten. Was denn immer irgend schnell entsteht, das vergeht auch ebenso schnell. DerBlitz zum Beispiel entsteht schnell, vergeht aber auch ebenso schnell. Eine andere Gegenfolgeist aber dann auch das, daß etwas einmal in einem haltbaren Dasein Befindliches auch so gutals unmöglich mehr irgend plötzlich vergehen kann, sondern nur periodenweise, wie esentstanden ist. Etwas, das noch nie vorgesehen und vorbereitet ward, kann sonach nie durchirgendeinen, selbst mit dem festesten Willen unterstützten Machtspruch ins Werk gesetztwerden, weder im Falle der Entstehung noch im Falle der Auflösung und Vergehung. Es istdemnach alles nur als ein zeitweiliges Wunderwerk anzusehen, und jedes Geschehen ist einenotwendige Folge von vielen, periodenweise weiligen Vorgängen![002,09] Siehe, du mein Freund aus den Himmeln, dem Herrn allein alles Lob; aberwie es mir vorkommt, so habe ich deine mir gemachte Erklärung vielleicht tiefer aufgefaßt,als du es dir anfänglich magst vorgestellt haben! Ja, mein liebster Raphael, siehe, ganz so aufden Kopf gefallen sind die alten Römer nicht, als wie sich's so manche vorstellen! Na, wasmeinst du, Freund, nun? Habe ich dich verstanden oder nicht?“

3. Kapitel[003,01] Sagt Raphael lächelnd: „So einen kleinen Dunst hast du wohl bekommen;aber mit deinen ,notwendigen Folgen‘ und mit unseren ,notwendigen Vorsehungen‘ und,langwierigen Vorbereitungen‘ bist du sehr auf dem Holzwege, – wovon dich sogleich einpaar recht handgreifliche Beispiele vollkommen überzeugen sollen! Da sieh irgend hin,bestimme mir einen Platz und verlange von mir ganz nach deiner freiesten Willkür, wo dueinen und was für einen oder auch mehrere vollkommen ausgebildete und reichlichst mitvollreifen Früchten bestbestellte Bäume haben willst! Oder willst du verschiedene Gattungen?Kurz, sprich es aus, und sie werden auch unvorgesehen und unvorbereitet für bleibend dasein,und ein Jahrtausend soll ihre Daseinsspuren nicht völlig zu vertilgen imstande sein! Alsosprich du aus, was du willst, und du sollst alsbald ein wahres Wunder sehen, das noch nieirgend vorbereitet und vorgesehen worden ist!“[003,02] Sagt Markus: „Ja ja, das wäre, du mein Freundchen, schon alles recht, so dumir darin eine volle Überzeugung verschaffen kannst, daß nun mein Wollen und Begehrenganz in meiner freiesten Gewalt steht! Das aber dürfte dir selbst denn doch am Ende vielleichtnoch um vieles schwerer fallen als die von mir verlangten verschiedenartigen Fruchtbäumeauf einer beliebigen Stelle! Du hast mir einen starken Zweifelswurm in den Kopf gesetztbezüglich dessen, daß selbst ihr allermächtigsten Geister ohne Vorsehung und Vorbereitung,gewisserart aus nichts, ein blankes Wunderwerk zustande zu bringen fähig seid! In eine volleAbrede will ich die Sache gerade nicht stellen; aber nach all dem zu urteilen, was auf dieserErde je war, ist und auch sein wird, ist das wohl sehr schwer anzunehmen, weil dagegenschon die göttliche Allwissenheit ein starkes bißchen zu laut ihre Stimme erhebt und mandagegen mit der etwaigen leeren Behauptung, als hätte Gott geflissentlich für etwas nichtwollend und nicht wissentlich Seine Allerkenntnis angestrengt, wohl nicht kommen kann. Hatsich aber Gott nicht auch in diesem Punkte von Ewigkeiten her völlig unwissend erhaltenkönnen, daß in einer Zeit Sein Engel Raphael hier nach dem Wunsche eines Menschen Bäumeherwundern wird, so wird es auch ebenso schwer zu erweisen sein, daß dieses Wunder nichtauch schon von Ewigkeiten her vorgesehen und vorbereitet war! Ganz geistig vorgesehen wares sicher ganz gewiß!“[003,03] Sagt Raphael: „Das macht aber ja auch nichts, wenn es nur bis zum

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materiellen Sich-Ergreifen nicht vorbereitet ist! Zudem ist ja aber doch der Wille desMenschen derart frei, daß weder der Herr noch wir je denselben durch ein Vorsehen und nochweniger durch ein Vorbereiten im allergeringsten zu stören uns in eine Tätigkeit versetzen.Du kannst sonach vollkommen versichert sein, daß dein freiester Wille in seiner Art wedervorgesehen und noch weniger irgend vorbereitet ist. Darum verlange, und du wirst es sehen,daß der Herr entweder ganz für Sich allein oder durch mich als Seinen Altknecht sicher ohnealle Vorbereitung dir die von dir frei verlangten Fruchtbäume für bleibend hinwundern wird!“[003,04] Markus denkt hier ein wenig nach und sagt nach einer Weile: „Freundchen,müssen es denn gerade lauter Fruchtbäume sein? Ich könnte zufälligerweise ja auch etwasanderes wollen?! Könnte auch das hergewundert werden?“[003,05] Sagt Raphael: „O allerdings, uns macht eins wie's andere eine ganz gleicheMühe! Verlange, was du willst, und es wird dasein!“[003,06] Auf diese Versicherung denkt Markus noch eine Weile hin und her, ob ihmnicht etwas beifiele, womit er den Engel so ein wenig in die Enge treiben könnte. Da ihm abergerade kein Einwurf mehr einfällt, so sagt er zum Raphael: „So stelle mir ein besserbewohnbares und festeres Haus her, das ist eine ganz förmliche Herberge für Fremde undEinheimische, einen gut umzäunten Garten, bestellt mit allerlei wohlgenießbarenObstbäumen, und solle nicht fehlen die Dattel, und im Garten fließe eine frischeBrunnquelle!“[003,07] Sagt der Engel: „Aber Freund, wird das nicht ein wenig zu viel sein aufeinmal?“[003,08] Sagt Markus: „Aha, gelt, mein Freundchen, da hat's dich schon ein wenig?Ja, ja, ohne Vorsehung und Vorbereitung wird sich's etwa doch nicht recht tun lassen! Ich willdich aber dennoch zu nichts zwingen; was du nun hervorwundern kannst, das wundere her,das andere von mir Verlangte lasse hinweg!“[003,09] Sagt der Engel: „Das wird ganz, wie du's verlangt hast, hergestellt. Und imNamen des Herrn sei alles da, was du von mir verlangt hast! Gehe hin und besieh dir alles,was da ist, und sage mir danach, ob dir alles also recht ist! Hast du irgend etwas auszustellen,so tue das; denn sieh, jetzt kann daran noch so manches abgeändert werden! Morgen würde eszu spät sein, weil wir sicher nicht mehr dasein werden. Gehe also hin und besieh dir alleswohl!“

4. Kapitel[004,01] Markus sah sich um und ward ganz betroffen von dem Anblicke dessen,was da alles in einem Nu entstanden war. Es stand ganz vollendet ein schönes ausBacksteinen gemauertes Haus rechts gen Nordost vom alten Fischerhaus und reichte mit dersüdöstlichen Front nahe ganz ans Meer hinaus. Es hatte ein Stockwerk mit einem bequemenGang ums ganze Haus herum, und zu ebener Erde bestand es aus einer geräumigen Küche,aus einer großen Speisekammer und noch aus achtzehn Räumen, darunter fünf Wohnzimmernund dann dreizehn großen Gemächern zu allerlei landwirtschaftlichen Zwecken, als allerleiGetreidekammern, Fleischkammern, Kammern für Obst, Gemüse, für Hülsen- undWurzelfrüchte. Eine große Kammer stellte einen mit weißem Marmor ausgemauertenWasserbehälter dar, der gut seine zwanzig Quadratklafter maß und im ganzen durchgängigeine Wassertiefe von sechs Fuß hatte; das Wasser stand aber nur viereinhalb Fuß hoch, waszur Behaltung von Edelfischen tief genug war.[004,02] Dieser innere Fischbehälter bekam sein reinstes Wasser aus einer ganzneuen reichlichen Quelle; es drang von unten durch kleine, aber viele Öffnungen einerSteinplatte in den Behälter bis zur bestimmten Höhe. Von da lief eine Abzugsröhre hinaus insMeer, konnte aber, so man etwa den Behälter voll Wasser haben wollte, von außen zugestopftwerden. Um den Wasserbehälter ging ein sehr schönes, durchbrochenes, zweieinhalb Schuhhohes Geländer, ebenfalls aus weißem Marmor angefertigt, und auf einer Seite war, für denFall, daß der Wasserbehälter mit Wasser voll angelassen würde, ein sehr zierlicherAbzugskanal angefertigt, der natürlich durch die Mauer des Hauses ging und ebenfalls unfernder tieferen Abzugsröhre ins Meer mündete. Die Wände und der Fußboden waren ebenfalls

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mit weißem Marmor verkleidet, des Gemaches Decke aber bestand aus Zedernholz reinsterund festester Art ohne Ast und Splint. Dies Gemach ward durch fünf Fenster erhellt, die alleeine marmorne Einrahmung hatten, und jedes maß eine Höhe von fünf und eine Breite vondrei Schuh. Die Fenster waren mit höchst reinen Kristalltafeln versehen und zum Auf- undZumachen eingerichtet, wie im gleichen auch alle andern Fenster des Hauses.[004,03] Das Haupttor war aus goldähnlich schimmerndem Erz, alle Zimmertürenaber aus bestem Zedernholz gar zierlich und nett gearbeitet und mit guten Riegeln undSchlössern zweckmäßigst versehen. Der erste Stock aber war durchgängig mit Zedernholzhöchst zierlich ausgetäfelt, und jedes Gemach gewährte einen wundervollsten Anblick.Zugleich aber waren zu ebener Erde wie im ersten Stockwerk alle Gemächer mit allemmöglichen, was eine beste Herberge erfordert, auf das reichhaltigste eingerichtet undversehen, und die Getreidekammer war voll Getreide, die Speisekammer voll von allemmöglichen, was man in einer Küche braucht. Kurz, es war nicht nur das verlangte Haus ganznach der schon lange innegehabten luftschlösserbaulichen Idee des Markus auf das solidestehergestellt, sondern mit allen Mund- und andern Vorräten auf das reichlichste für Jahreausgestattet.[004,04] Hinter dem Hause waren noch Stallungen für allerlei Vieh, und mehrereFischergerätehütten waren aufs geschmackvollste und zugleich zweckmäßigste erbaut und mitallem Erforderlichen eingerichtet und reichlichst versehen, und um alle die neuen Gebäudezog sich ein bei zwanzig Joch großer, ganz dicht eingezäunter Garten, vormals eine herrenloseSandsteppe, nun der fruchtbarste Boden, bestellt mit allerlei von den besten Fruchtbäumen.Ein paar Joch aber waren ganz mit den besten Weinreben bestellt, die alle von den schönstenund saftreichsten und schon vollreifen Trauben strotzten. Auch an Gemüse hatte es keinenMangel.[004,05] In der Mitte des Gartens war noch ein bestes Gesundheitsbad mit einemTempel aus Marmor errichtet. Es hatte zwei gesonderte Becken: das eine zur Heilung derGichtbrüchigen mit sehr warmem Quellwasser und das zweite zur Heilung der Aussätzigenmit lauen Schwefel- und Natronquellen versehen, die durch Raphaels Macht nach MeinemWillen erst aus dem Innersten der Erde dahin geleitet wurden. Zugleich ersah er auch einenmit lauter Geviertsteinen eingefaßten Seehafen und fünf große, bestkonstruierte Schiffe mitSegeln und Rudern im sehr geräumigen Hafen, dessen Eingang, obwohl sechs Klafter breit,zur Nachtzeit mit einer ehernen Kette ganz abzusperren war. Es war dieser Hafen genau nachder oft gehabten Idee des alten Markus, der bei der Besichtigung alles dessen, was dawunderbar entstanden war, sich immer die Augen ausrieb, da er gleichfort der Meinung war,daß er schlafe und diese Dinge also im Traume sähe.[004,06] Als er mit der Besichtigung, die nahe eine Stunde andauerte, fertig war, kamer (Markus) nahe ganz schwindlig zurück und sagte voll Staunens: „Ja, ist denn das wohl allesWirklichkeit oder sehe ich das alles nur in einer Art beseligender Träumerei? Nein, nein, daskann keine Wirklichkeit sein! Denn so habe ich schon mehrmals mir in meiner müßigenPhantasie eine Herberge ausgemalt und auch schon etliche Male in Morgenträumen geschaut,– und du, Freund aus den Himmeln, hast mich in einen künstlichen Schlaf versetzt, und ichhabe meine eigenen Ideen nun einmal wieder im Traume beschaut!“[004,07] Sagt Raphael: „Du kleingläubiger Römer du! Wenn das alles einTraumgesicht wäre, so würde es nun nicht mehr zu sehen sein, und das wirst du denn dochnicht mehr behaupten wollen, daß du noch schläfst und gleichweg träumst? Sende nun deinWeib und deine Kinder hin, daß sie auch nachsehen, was alles da ist, und sie werden dannkommen und dir aus dem Traume helfen!“[004,08] Sagt Markus, sich noch einmal nach dem neuen Hause umsehend: „Oh, esist kein Traum, es ist lautsprechende Wirklichkeit! – Wird sie aber wohl bleiben?“

5. Kapitel[005,01] Spricht Raphael: „Sagte ich dir's denn nicht, daß dies alles, das heißt, wasda fest gebaut ist, ein Jahrtausend nicht völlig verwischen wird? Nur die verschiedenenObstbäume, Edelgesträuche und die Pflanzen, wie auch die fünf Schiffe werden nicht solange

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anhalten; aber das Mauerwerk wird bestehen gar lange und sehr lange! Auch sogar nachzweitausend Jahren werden davon noch Spuren zu entdecken sein; aber freilich wird daniemand mehr an überirdische Erbauer dieser Mauern halten. Sogar in der Jetztzeit werdendie nächsten Nachbarn, so sie alles dessen ansichtig werden, sagen, daß solches alles dieanwesenden Römer aufgebaut hätten, da viele und kräftige Hände auch Wunder zuwegebrächten! Du aber laß es den Weltmenschen gelten; denn so in einem Lande zehn mal zehnmal hunderttausend Menschen leben in der jetzigen Art, so wirst du in allem kaumfünftausend Menschen antreffen, die dir nach vielen Besprechungen das vernunftgemäßglauben würden. Einen blinden Glauben aber könntest weder du und noch weniger wirHimmelsgeister brauchen. Es liegt auch gar nichts daran, ob da viele oder wenige glauben;denn der Herr kam nur Seiner wenigen Kinder wegen in die Welt und nicht derWeltmenschen wegen. Und es wird also bleiben bis ans Ende dieser Welt und ihrer Zeiten![005,02] Wann immer der Herr Sich auf dieser Erde wieder offenbaren wird,entweder durchs Wort allein oder zuweilen auch persönlich auf Momente, so wird Er dasallzeit nur Seinen wahren Kindern, die von oben her sind, tun! Die Welt und ihre Kinderwerden von Ihm wenig oder auch nichts zum Genusse bekommen! Für die ist die Ewigkeitlang genug, um sie zu irgendeinem höchst untergeordneten Lichte zu bringen.[005,03] Glaube du ja nicht, daß dies höchste Licht aus den Himmeln je alleMenschen der Erde durchdringen wird! Nur die wahren Kinder, allzeit in geringer Anzahl,werden damit rein und reichlichst versehen werden, und der Welt Kinder werden sich nur ausihrem Unflate Tempel und Götzenhäuser erbauen und sie mit ehernen Gesetzen und blinddummenRegeln umzäunen, aber darum den wenigen wahren Kindern doch nie etwas anhabenkönnen, wofür der Herr allzeit auf das getreueste Sorge tragen wird. Es soll darum unter denWeltmenschen kein Jeremias mehr seine Klagelieder anstimmen! – Gehe aber nun hin zumHerrn und bedanke dich für solch ein Großgeschenk!“[005,04] Hier kommt Markus zu Mir und will Mir mit einem Pomp von denallerausgesuchtesten Worten zu danken anfangen.[005,05] Ich aber sage zu ihm: „Erspare deiner Zunge die Mühe; denn Ich habe denDank deines Herzens schon vernommen und brauche darum den der Zunge nicht! Ist dennnicht ein jeder ehrliche Gastwirt seines Lohnes wert? Du bist auch ein ehrlicher Gastwirt undhast uns unverdrossen nahezu acht Tage lang auf das beste bewirtet; das können wir von dir jadoch nicht umsonst verlangen! Diese Herberge wird dir und deinen späteren Nachkommeneine beste Versorgung bereiten! Aber du sorge dafür, daß Mein Name an diesem Orte, dasheißt bei deinen Nachkommen, fest stehenbleibt; denn mit dem Verluste Meines Namens ausihren Herzen würden sie dann auch bald alles andere verlieren! Wer zwar alles verlöre in derWelt, behielte aber dessenungeachtet Meinen Namen, der hätte immerhin noch gar nichtsverloren, sondern nur alles gewonnen; aber wer da verlöre Meinen Namen aus seinem Herzen,der hätte alles verloren – und besäße er auch alle Güter auf der Erde!“

6. Kapitel[006,01] (Der Herr:) „Darum sei vor allem um die Erhaltung Meines Namens imHerzen besorgt! Wem der bleibt, dem bleibt alles; wem aber der nicht bleibt, den hat dannaber auch alles verlassen![006,02] Wer Mich aber wahrhaft liebt und seinen Nächsten wie sich selbst, der trägtMeinen Namen wahrhaft und lebendig in seinem Herzen und daran einen Schatz, den ihm alleEwigkeiten nicht zu nehmen imstande sein werden; denn Gott wahrhaft in aller Tat lieben, istmehr denn ein Herr aller Schätze nicht nur dieser, sondern aller Welten in der ganzenUnendlichkeit sein.[006,03] Aber es genügt nicht, Mich nur zu bekennen der Weisheit gemäß, sondernder vollwahren Liebe gemäß im Herzen.[006,04] Es werden zu dir kommen allerlei Arme; was du denen tun wirst ohneirdisches Entgelt, das hast du Mir getan, und Meine Liebe wird es dir entgelten.[006,05] Wenn jemand zu dir kommt, der nackt ist, den bekleide! Wer ohne Geld zudir kommt, dem enthalte es nicht vor, so er dessen benötigt in der Welt!

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[006,06] Ich wollte zwar, daß alle Menschen als Brüder ohne dieses verderblicheTauschmittel untereinander lebeten; aber da sie solches zur größeren Bequemlichkeit ihresHandels und Wandels als Weltmenschen in der Welt schon von alters her eingeführt haben, sowill Ich es denn auch belassen, – aber Segen wird es den Menschen erst durch Meine Liebebringen![006,07] Lege nie einen andern Wert als nur den Meiner Liebe darauf, so wird es dirauch Meine Liebe und Meinen Segen bringen! Wer eines Groschens benötigt, dem gib zwei,auch drei, und Meine Liebe wird es dir anderseitig zehn- und dreißigfach ersetzen![006,08] Kurz, in was du jemanden als arm erschaust, und du hilfst ihm für MeineLiebe mit freudigem Herzen, so wirst du allzeit auf Meine Entgeltung rechnen können, dienimmer unterm Wege verbleiben wird![006,09] Es komme zum Beispiel zu dir ein sonst vermöglicher Mensch ins Bad, deraber von der Gicht behaftet ist, so rechne ihm nach dem Maße der Billigkeit die Herberge unddie Verköstigung; aber das Bad lasse ihm frei![006,10] So aber jemand kommt bloß des Vergnügens wegen ins Bad, dem rechneBad, Herberge und Verköstigung teurer an denn einem andern! Will er aber die Wahrheit vondir, so gib sie ihm unentgeltlich; denn darin ist er ein Armer![006,11] So aber da kommt ein Weltkluger und will von dir die Wahrheit hören, demgib sie nicht umsonst, sondern lasse dir bezahlen für ein jedes Wort einen Groschen; denn fürsolch einen Wahrheitssucher hat die Wahrheit erst dann einen Wert, so er durch vieles Geldzu ihrem Besitze gekommen ist![006,12] Wenn ein Armer hungrig zu dir gekommen ist, dem gib zu essen und zutrinken und entlasse ihn nicht als einen Armen von dir; kommt aber einer, dem es einVergnügen macht, bei dir zu Tische zu sein, der zahle auch das, was neben ihm ein Armerverzehrt hat![006,13] Jede Armut unterstütze umsonst, und jedes bloße Vergnügen lasse dirbezahlen! – Hast du Mich wohl verstanden?“[006,14] Sagt Markus, vor Freude weinend: „Ja, Herr!“[006,15] Sage Ich: „So gehe und zeige alles den Deinen!“[006,16] Markus ging zu seiner über alle Maßen staunenden Familie hin und gab ihrden Wink von Mir kund, und alle gingen eiligen Schrittes hin zum neuen Hause und natürlichauch in dasselbe, und besichtigten alles klein durch. Das Weib und die Kinder wurden ganzschwach vor lauter Seligkeit und Wonne und wußten vor lauter Freude nicht aus und nichtein. Es fragten Mich aber nun alle am Tische Sitzenden, ob auch sie dieses auffallendsteWunderwerk in Augenschein nehmen dürften.[006,17] Sagte Ich: „Liebe Freunde! Dieses Werk wird bleiben, und ihr werdet esdann noch oft genug besehen und bewundern können; Ich aber werde nicht bleiben, außerdurch die Liebe in euren Herzen.[006,18] Bleibet darum hier bei Mir, dieweil Ich noch bei euch verbleibe; denn Ichbin ja doch mehr denn jenes Wunderwerk, dem zahllos gleiche Ich in einem Augenblickezustande bringen könnte!“[006,19] Sagen alle: „Ja, ja, ja, o Herr, wir bleiben, wir bleiben alle bei Dir, o Herr;denn Du allein bist mehr denn alle die ganze Unendlichkeit erfüllenden Wunderwerke DeinerMacht, Weisheit und Güte!“

7. Kapitel[007,01] Sagt Cyrenius: „Herr, Du kennst mein wichtiges und schweresRegierungsamt; aber nun kommt es mir vor, als läge gar nichts daran und als täte es sich vonselbst auch ohne mich und besorgte sich von selbst ohne mein Zutun! Ich komme mir nunschon ordentlich also vor wie ein fünftes Rad am Wagen; denn ich weiß, daß Du, o Herr, nunalle Geschäfte für mich besorgst und in meiner Regierung noch nie eine größere Ordnungbestanden hat als eben jetzt, da Du, o Herr, für mich sorgest![007,02] O du glückliches Kaiserreich! Rom, du mein Vaterhaus, wie sehr kannst dudich im geheimen freuen darum, daß der Herr Sein gnädiges Auge dir zugewandt hat und Sich

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auch aus deinen alten Mauern und Burgen und Hütten Kinder zeihen will! Herr, ich stehe Dirmit meinem Leben: Wärest Du statt hier in Rom und hättest vor den Römern ein solchesZeichen gewirkt, nicht ein Mensch bliebe übrig, der Dir nicht zollte die höchste göttlicheVerehrung! Aber Du kennst Deinen Plan und kennst Deine Wege, und es ist darum schon soam besten, wie Du es angeordnet und bestimmt hast!“[007,03] Sagte endlich auch Meine Jarah, die bisher wie eine Maus geschwiegenhatte: „Wegen Rom sei du, hoher Statthalter, ganz ruhig! Die eigentlichen Römer wohl, dielasse ich mir schon noch gefallen; aber in Rom gibt es auch sehr viele Götzenpriester, die alleunter einem sogenannten PONTIFEX MAXIMUS stehen! Diese haben das Volk im Sackeund mit ihren Hades- und gar Tartarusstrafen, welch letztere nur gleich ewig in einerallergräßlichsten Art fortbestehen sollen, beim Gewissenskragen! Wehe dem, der sicherkühnte, in solch ein Wespennest hineinzustechen! Wahrlich, dem würde es wohl ehest ganzerbärmlich schlecht ergehen! Ich glaube, daß eure Priester da noch um tausend Male ärgerwären denn unsere Templer, die doch noch den Moses und die Propheten auf dem Rückenund an der Brust tragen, wennschon zumeist nur auswendig. Die euren aber haben auchauswendig nichts; all ihr Tun und Treiben ist die höchste Selbstsucht und unbezwingbareLust, zu herrschen gleich nur über alles.[007,04] Haben mir doch einmal zwei bei uns Herberge nehmende untergeordnetePriester Roms erzählt und gesagt, daß der Pontifex maximus ein so hohes Wesen sei, daßsogar Zeus selbst, der alljährlich ganz gewiß einmal den P. m. besuche, sich sicher drei bissieben Male vor ihm verneige, bevor er sich getraue, mit seinem allerhöchsten Stellvertreterauf Erden ein Wort zu reden und ihm in größter Ehrfurcht irgend neue Gesetze für dassterbliche Volk der Erde zu geben. Freilich ehre Zeus den P. m. nicht gerade seinetwegen,sondern nur der dummen Sterblichen wegen, die aus dem erkennen sollen, welch eineunaussprechliche und unermeßliche Hoheit und Majestät den allerhöchsten Stellvertreter desallerhöchsten Gottes auf Erden umkleidet.[007,05] Er sei ein Herr auf Erden über alle Kaiser, Könige, Fürsten, Feldherren undviele andere größte Herrlichkeiten. Dann habe er alle Elemente in seiner ausschließlichenGewalt. Wenn er mit seinem heiligsten Fuße zornig auf die Erde stampfe, so bebe sie gleichvor Furcht wie das Laub einer Espe im wütendsten Sturme, und die Berge der Erde fingen anFeuer auszuspeien und unterstützeten so den erzürnten Pontifex maximus, damit er destoergiebiger kühle seine allzeit gerechte Rache im Namen des Zeus.[007,06] Von ihm allein hingen gute und schlechte Jahre ab. Segne er die Erde, sogebe es gleich überreiche Ernten auf der ganzen Erde; segne er die Erde aber nicht, so werdees auf der Erde mit den Ernten schon sehr mager aussehen, – und möchte er gar einen Fluchüber die Erde aussprechen, da wäre aber dann schon alles rein hin, und über die Erde kämenKrieg, Hungersnot, Pestilenz und noch tausend andere allerunerhörteste Plagen! Außer demZeus müßten ihm alle anderen Götter gehorchen; im Verweigerungsfalle könnte er sie aufhundert Jahre von der Erde verbannen, – was aber nie geschähe und nie geschehen werde,weil alle Götter von der unaussprechlichsten Hoheit des Pontifex maximus zu sehr und zulebenstief überzeugt seien.[007,07] Es habe demnach ein Pontifex maximus eine dreifache Hauptgewalt: erstensüber alle Götter bis auf den Zeus, mit dem er natürlich auf einer ganz gleichen Rangstufestehe, zweitens über die ganze Erde und deren Elemente, und endlich drittens über alleMenschen, Tiere und Bäume, Gesträuche und Pflanzen. Nebst dem aber gebiete er noch überalle Planeten und über alle Sterne, habe die Wolken, Winde, Blitze, den Donner, Regen,Hagel und Schnee in seiner Hand, und das Meer bebe in einem fort vor seiner unendlichenMacht![007,08] Und so in dieser Weise haben mir die zwei römischen Priester noch eineMenge von ihrem Pontifex maximus vorgesagt. Ich dachte eine Weile, daß sie sich mit mirnur einen unzeitigen Spaß erlaubt hätten; aber ich überzeugte mich leider nur zu bald, daß diebeiden Narren solches ganz ernstlich nahmen. Denn, als ich ihnen darauf von dem alleinwahren Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs zu vermelden begann und von Seinen Taten, dafingen sie an, mich recht brav auszulachen, und versicherten mir auf das lebendigste, daß ich

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total irrig und falsch daran wäre; denn sie hätten tausend Beweise für einen, daß es also sei,wie sie es mir kundgetan hätten.[007,09] Ich fragte sie, ob sie nicht wüßten, ob der Pontifex maximus sterblich oderunsterblich sei. Darauf hatte sich der eine etwas voreilig verschnappt und sagte, daß der P. m.zwar für die Erde wohl noch sterblich sei; sowie er aber sterbe, da nehme ihn Zeus sogleichins höchste Elysium, allwo er dann hundert Jahre hindurch am Tische des Zeus speise unddadurch endlich auch im Reiche der Götter selbst eine wirkliche Gottheit werde. DieseErzählung war dem andern gar nicht recht; denn er korrigierte gleich also: ,Du hast nunwieder einen germanischen Stiefel zusammengeplaudert! Seit wann ist denn ein P. m.sterblich gewesen?! Was du von ihm aussagtest, das gilt ja nur von uns Unterpriestern,besonders, so wir uns nicht ganz und gar des P. m. Gunst haben zu erwerben verstanden; derP. m. stirbt nie und kann nicht sterben, weil ihm Zeus für alle Zeiten die Unsterblichkeitverliehen hat! Siehe‘, sagte er weiter, ,ich kenne nun schon bereits den vierten, und von allenvieren ist noch keiner je gestorben, und dennoch sitzt stets nur ein Unsterblicher auf demThrone und nicht vier, obwohl sie alle vollkommen unsterblich sind, da kein P. m. je sterben,wie auch des allerhöchsten Thrones auf Erden nie verlustig werden kann!‘[007,10] Sagte endlich einmal wieder ich: ,Aber das ist ja rein unmöglich! Wiekönnen denn vier einer sein und einer vier?! Das kommt mir wohl wie ein germanischerStiefel vor! Kurz‘, sagte ich, ,euer Pontifex maximus ist durch euch zu einem Weltnarrengestempelt und ist sonst ebensogut ein sterblicher Mensch wie unsereiner, und seine Machtbesteht vor allem in den Waffen des Kaisers, in der großen Dumm- und Blindheit desverwahrlosten Volkes und endlich in einer Art schlechtester Zaubereien; denn vor sehrdummen und geistig blinden Völkern ist leicht Wunder wirken! gehet, laßt mich mit eurenDummheiten gehen! Es wird wohl genug sein, daß ihr so recht blitzdumm seid! Warum sollauch noch ich an eurer Seite es werden?‘[007,11] Darüber wurden die beiden ganz grimmig auf mich und auch unter sich undfingen bald an, sich gegenseitig die bittersten Vorwürfe zu machen, und prügelten sichgegenseitig zur Tür hinaus. Ich aber fragte sie noch zum Fenster hinaus, als sie sich wie einpaar Hunde herumbalgten, ob das auch der Pontifex maximus verordnet hätte durch ein neuesZeus'sches Gesetz aus dem Elysium. Aber sie vernahmen zum Glück meine Stimme nicht undbewiesen einander gegenseitig pro und contra stets mehr die Unsterblichkeit des Pontifexmaximus, bis endlich einige unserer Hausknechte sie auseinanderbrachten.[007,12] Nun aber bitte ich dich, du lieber, hoher Cyrenius, wie hätte sich bei solcheiner dümmsten Volksfanatik der Herr in Rom ausgenommen? Ohne Feuer undSchwefelregen sicher schlechter als schlecht! Oh, der liebe Herr wußte es schon von Ewigkeither, wo es zu dieser Seiner Zeit auf der Erde noch immer am besten und am zweckmäßigstensein werde, und ist darum auch gerade dahier und nirgends anderswo in die Welt unter SeineMenschen getreten! Siehe, das ist so meine Ansicht; wie lautet dagegen etwa die deinige?Was hältst denn du oder der Kaiser in Rom von dem so ominösen Pontifex maximus?“

8. Kapitel[008,01] Sagt Cyrenius: „Mein Kindchen, du hast schon ganz recht; es steht in Rom,natürlich nur populärerweise, mit dem Pontifex maximus schon gerade also, und es läßt sichvorderhand auch nichts daran ändern! Aber ich kann dir auch ganz gut die Versicherunggeben, daß nur der allergemeinste und aller höheren Bildung lose Pöbel noch so einen halbenGlauben daran hat; vom besseren Volksteile glaubt wohl niemand mehr daran, und es istdarum mit uns Römern schon immer noch etwas zu machen.[008,02] Es wird des niedersten Volkes wegen dereinst die Verbreitung dieser reinstgöttlichen Wahrheiten wohl manchen unliebsamen Kampf herbeiführen, aber auch Bekenner,die nach echt römischer Sitte Gut, Blut und Leben für diese Lehre mit Freuden einsetzenwerden. Denn nicht leichtlich gibt es irgendein Volk auf der Erde, das sich vor dem Todenoch weniger fürchtet als eben die Römer! Ist ein wahrer Römer einmal für etwas sehreingenommen, so setzt er auch allzeit sein Leben daran! Das tut ein anderes Volk nicht,dessen kannst du ganz versichert sein!

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[008,03] Unsere Priester sind nun gerade ein fünftes Rad am Wagen, und ihreVolksfeste und Predigten dienen nur noch zur Belustigung des Volkes. Mit den Sitten kehrtsich niemand mehr daran. Dafür sorgt unsere alles umfassende Rechtslehre, die ein Auszugvon den besten und weisesten Philosophen ist, die als Menschen irgendwo und irgendwanndiese Erde betreten haben.[008,04] Der Pontifex maximus wird vom Staate aus nur des gemeinsten Volkeswegen erhalten und ist in seinem vormals freien Wirken sehr beschränkt worden. Ja, vor etwaein paar Jahrhunderten ging es noch ganz rar zu; da war der P. m. wohl sozusagen eine ArtGott unter den Menschen! Er für sich war stets ein sehr wissensreicher Mensch und mußte essein, weil er sonst nicht leichtlich zu solch höchstem Amte hätte gelangen können. Er mußtebewandert sein in den Mysterien Ägyptens und mußte völlig bekannt sein mit allen Orakelnund ihren Geheimnissen. Auch mußte er ein vollendeter Magier sein, worüber er in einemgeheimsten Kollegium vor den ältesten Patriziern Roms stets eine strengste Prüfung ablegenmußte. Hat er alle die erforderlichen Eigenschaften besessen, so wurde ihm das Pontifikaterteilt mit allen seinen Rechten, Vor- und Nachteilen.[008,05] Nun konnte er freilich so manches unternehmen dem Volke gegenüber,mußte aber geheim vor den Patriziern stets den gebührenden Respekt haben und auch tun, wasdiese verlangten. Wollten diese Krieg, so mußte er seine prophezeilichen Sachen stets soeinrichten, daß daraus das Volk die Notwendigkeit des Krieges aus dem Willen der Götterersah; aber die eigentlichen Götter waren dennoch nur die Patrizier des Reiches und mit ihnendie ersten und gebildetsten Bürger, Künstler und Dichter, die zuerst von der Idee ausgingen,daß man nur der Phantasie der Menschen eine zwar reichhaltige, aber dennoch bestimmteRichtung geben müßte, um sie vor den schmählichsten Abirrungen zu bewahren.[008,06] Denn ein jeder Mensch hat eine Naturphantasie. Wird diese verwahrlost, sokann durch sie aus dem edelsten Menschen eine reißendste Bestie werden; wird aber seinePhantasie geregelt und auf edlere Formen hingeleitet, unter denen sie sich ganz geordnet zubewegen beginnt, so wird sie auch selbst edlere Formen zu schaffen anfangen, in ein reineresDenken und Trachten übergehen und für das Beste ihrer inneren Schöpfungen den Willenbeleben.[008,07] Und so ist also die ganze Götterlehre nichts als ein stets mehr und mehrgeordnetes Phantasiegebilde, zur Regelung der gemein menschlichen Phantasie ausgedachtund soviel als möglich mit allen humanen Mitteln praktisch ins ersichtliche und wirkendeWerk gesetzt worden. Für uns weise und kundige Patrizier aber legte sich von selbst die leichtbegreifliche Notwendigkeit auf, daß wir das zu sein scheinen mußten, als was seiend wir dasVolk haben wollten.[008,08] Wie es aber damals war, also ist es auch jetzt noch, nur mit demUnterschiede, daß nun auch schon das Proletariat in vieles eingeweiht ist, in was ehedem nurwir Patrizier eingeweiht waren, und darum ans ganze Pontifikat ganz verzweifelt wenig mehrglaubt. Die meisten glauben wohl an ein höheres Gottwesen, viele aber glauben an gar nichtsmehr, und ein gebildeterer Teil sind Platoniker, Sokratianer und sehr häufig Aristoteliker.[008,09] Jene Priester aber, die dir den Pontifex maximus beschrieben haben, sindzum Teil ihrer Art nach oft wirklich so dumm, daß sie das alles auf ein Wort glauben, wasihnen eingebleut wurde; oft aber sind sie ganz fein abgedrehte Stricke, die vor dem Volkeeinen ganz entsetzlichen Lärm schlagen und tun, als spielten sie mit den Göttern gleich alleTage am persischen Schachbrette! Aber für sich glauben sie nichts als bloß die Worte desEpikur, die ungefähr also lauten: EDE, BIBE, LUDE! POST MORTEM NULLAVOLUPTAS; MORS ENIM EST RERUM LINEA.[008,10] Wenn du, meine sonst allerliebste, für dein Alter wunderbar weise Jarah,uns nach den zwei Unterpriestern schätzen möchtest, da tätest du uns sehr unrecht; denn wirRömer sind genau also, wie ich uns dir nun beschrieben habe. Alles andere kann nur eineverbrannte Aussage eines Laien sein, der das Wesen Roms so wenig kennt, als du es vor demgekannt hast, was ich als ein Mitbeherrscher Roms nun enthüllt habe. Da du aber nun solchesweißt, so mußt du uns Römer schon ein wenig nachsichtiger beurteilen und behandeln! – Wasmeinst du, ist meine Anforderung an dich gerecht oder nicht?“

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9. Kapitel[009,01] Sagt die Jarah: „Das versteht sich ja von selbst! Wenn es offenbar nur alsoist, wie du mir's nun ganz offen enthüllt hast, dann habe ich gegen euch auch gar nichtseinzuwenden. Habt ihr einen guten Willen, so kann auch dessen Erfolg im Grunde desGrundes nicht schlecht sein, auch dann nicht, wenn er sich vor den Augen der Welt auch nichtals vorteilhaft herausstellt. Ich lasse mich durch den Schein sicher am allerwenigstentäuschen; aber das sehe ich auch ein, daß man von Natur aus viel eher zu einem ganz ehrlichguten Willen denn irgend zur reinsten Wahrheit gelangen kann, die dann erst dem gutenWillen zu einer wahren und wirksamsten Lebensleuchte wird. Den guten Willen habt ihrdeiner Kundgebung nach schon unverändert im allgemeinen immer gehabt; einzelneTrübungen haben am Ganzen wenig oder nichts zu ändern vermocht.[009,02] Nun bekommet ihr zu eurem guten Willen aber auch noch der ewigenWahrheit reinstes Licht hinzu, durch das euer schon vom Ursprunge an guter Wille auch dierichtigen Wege und wahren Mittel zur sicheren Erreichung der besten Erfolge überkommenmuß, und es läßt sich von euch dann ja offenbar nichts als nur das Allerbeste erwarten! – OHerr, segne Du diese meine schlichten Worte, daß sie zur für alle Zeiten bleibenden Wahrheitwürden!“[009,03] Sage nun Ich: „Ja, du Meine tausendgeliebteste Jarah, sie sollen gesegnetsein, deine wunderschönen und sehr wahren Worte![009,04] Rom soll so lange der beste Aufenthaltsort Meiner Lehre und Meinerbesonderen Gnaden verbleiben, und es soll diese große Kaiserstadt ein Alter in der Welterreichen, wie ein gleiches nur sehr wenige Städte Ägyptens erreichen werden, jedoch nichtso unversehrt wie Rom. Die äußeren Feinde sollen dieser Stadt wenig je etwas zuleide tun;wenn sie schadhaft wird, so wird sie das nur der Zeit und ihren wenigen inneren Feinden zuverdanken haben![009,05] Aber in der Folge wird leider auch in dieser herrschenden Stadt diese MeineLehre in eine Art Abgötterei übergehen; aber ungeachtet dessen wird Mein Wort und nochimmer der beste Sinn der Lebenssitten im allgemeinen darin erhalten werden.[009,06] Gar in die späten Zeiten hinaus wird der Geist dieser Meiner Lehre dort sehrverschwinden. Die Menschen werden an der äußersten Rinde kauen und sie fürs geistige Brotdes Lebens halten; aber da werde Ich schon durch die rechten Mittel sie wieder nach und nachauf den rechten Weg zurückführen! Und hätte sie noch soviel Hurerei und Ehebruchgetrieben, so werde Ich sie schon wieder reinigen zur rechten Zeit![009,07] Im übrigen aber wird sie stets eine Verkünderin der Liebe, Demut undGeduld verbleiben, darum ihr viel durch die Finger nachgesehen wird zu allen Zeiten, und dieGroßen der Erde werden sich vielfach um sie scharen und aus ihrem Munde die Worte ihresHeiles vernehmen wollen.[009,08] Ganz rein aber wird sich auf dieser Erde im allgemeinen nie etwas für einezu lange Dauer erhalten, somit auch Mein Wort nicht; aber am reinsten für den Zweck desLebens und als Geschichtsreliquie noch immer in Rom![009,09] Diese Versicherung gebe Ich dir, du Mein liebster Freund Cyrenius, undnun hier als volle und wahre Segnung der schönsten und wahrsten Worte unserer allerliebstenJarah![009,10] Ein Jahrtausend ums andere wird es dir zeigen und sagen, daß dieser MeinAusspruch bezüglich Roms Dauer und Stellung in die volle Erfüllung übergehen wird![009,11] Jerusalem wird also zerstört werden, daß man schon von jetzt an gar nichtwissen wird, wo es dereinst gestanden ist. Wohl werden die späteren Menschen allda einekleine Stadt gleichen Namens erbauen; aber da wird verändert sein Gestalt und Stelle. Undselbst dies Städtchen wird von anderwärtigen Feinden viel Schlimmes zu bestehen haben undwird fürder ohne Rang und Bedeutung verbleiben ein Nest von allerlei Gesindel, das einkümmerliches Dasein vom Moose der Steine aus der Jetztzeit fristen wird.[009,12] Ja, Ich wollte wohl diese alte Gottesstadt zur ersten der Erde machen; abersie hat Mich nicht erkannt, sondern behandelt wie einen Dieb und Mörder! Darum wird sie

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fallen für immer und wird sich fürder nicht mehr erheben aus dem Schutte des altenwohlverdienten Fluches, den sie sich selbst bereitet und mit dem eigenen Mundeausgesprochen hat! – Bist du, Meine tausendallerliebste Jarah, nun mit dieser Meiner Segnungzufrieden?“[009,13] Sagt die Jarah, ganz zu Tränen weich gemacht: „O Herr, Du meine ganzalleinige Liebe! Wer sollte auch nicht zufrieden sein mit dem, was Du, o Herr, aussprichst,und besonders mit solch einer großen, in die fernsten Zeiten weit und tief hineinreichendenVerheißung? Auch mein lieber, hoher Cyrenius scheint damit sehr zufrieden zu sein undebenso der Kornelius, der Faustus und unser Julius. Ob aber auch die Kinder aus Jerusalem,deren auch mehrere an diesem Tische und noch mehrere an anderen Tischen um uns sitzen,mit Deinen Verheißungen bezüglich Jerusalems auch so zufrieden sein werden, das scheintmir eine ganz andere Frage zu sein; denn aus ihren Gesichtern strahlt nicht jene Heiterkeit wieaus den Gesichtern der Römer.“[009,14] Nach dieser ganz triftigen Bemerkung erhoben sich etliche, die ausJerusalem waren, und sagten: „Man soll wohl seinem Vaterhause keinen Untergangwünschen, solange es nicht Dieben und Räubern zur Wohnstätte ward; ist es aber einmal das,da soll es auch nicht mehr geschont bleiben! Der Nachkomme hat da – ohne Furcht, eineSünde zu begehen – das Recht, es mit eigener Hand über den Häuptern der darin hausendenBösewichter zu zerstören und jede Spur von einem einstmaligen Dasein für ewig zuverwischen.[009,15] Wenn Jerusalem nun unseres getreuesten Wissens aber nichts ist als einbarstes Raubmördernest, wozu sollen wir trauern, so der Herr diesem Neste den schon langewohlverdienten Lohn geben will und auch sicher geben wird?! Das Traurige daran ist nur, daßdiese so höchst begnadigte Stadt Gottes es endlich trotz aller Warnungen zu einem drittenMale dahin gebracht hat, von Gott Selbst ausgehend auf das allerempfindlichste gezüchtigetzu werden! Aber Seine bekannte Langmut und Geduld ist uns auch ein sicherster Beweis, wiesehr sich eine solche Stadt einer strengsten Züchtigung verdient gemacht hat und darumwahrlich nicht im geringsten zu bedauern oder gar zu betrauern ist.[009,16] VOLENTI NON FIT INIURIA! Wer es selbst will, bei allem noch so hellenSonnenlicht in eine Grube sich zu stürzen, wird den wohl jemand bedauern oder betrauern?Wir nicht! Für echte dümmste Esel und Ochsen empfanden wir noch nie Mitleid, besonderswenn sie vor aller Welt als Weiseste glänzen wollen; und noch viel mehr ganz besondersverdienen sie kein Mitleid, wenn ihre vorgeschützte Hochweisheit, die aber im Grunde nurkrasseste Eselei ist, sich durch allerlei Bosheit und durch eine allerabgefeimtesteVerschmitztheit als reell geltend machen will.[009,17] Es ist schon ganz richtig, daß auch eine kranke Menschenseele mehr Mitleidverdient als eines kranken Menschen gebrechlicher Leib. Wenn aber zu einem leibeskrankenMenschen, der noch bei vollster Vernunft ist, ein grundgescheiter und bestbewährter Arztkommt, die Krankheit wohl erkennt und dem Kranken nur zu gewiß helfen könnte und würde,der Kranke aber, statt mit aller Freude den heilsamen Rat des Arztes anzunehmen, denselbendurch seine Knechte zur Tür hinauswerfen läßt, – wer, fragen wir, wird mit solch einerkranken Seele auch noch ein Mitleid haben? Wir nicht, und sonst sicher auch nicht jemandanders! Solch ein reines Vieh von einem Menschen soll dann nur in eine möglich allerbittersteund schmerzvollste Krankheit verfallen und erst aus seinen Schmerzen lernen, wie dumm eswar, den allergeschicktesten Arzt zur Tür hinauszuwerfen![009,18] Dummheit für sich verdient Mitleid, weil ein Dummer nicht dafür kann, daßer dumm geblieben ist schon von der Wiege an; aber es gibt Menschen – wie da sind dieallermeisten Hohenpriester, Pharisäer und Schriftgelehrten –, diese sind nicht dumm, machensich aber geflissentlich dumm, um die arme, durch sie dumm gemachte Menschheit danndesto leichter für ihre schändlichen, im höchsten Grade selbstsüchtigen Zwecke gebrauchenzu können! Derlei Menschen haben keine kranken Seelen, sondern sie sind nur ganz kräftigeund gesunde Wölfe in Schafspelzen und verdienen nicht mehr, als mit den schärfsten Pfeilenniedergeschossen zu werden; denn da wäre ein jedes Mitleid eine grobe Dummheitirgendeines menschlichen Herzens.

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[009,19] Wem auf der ganzen Erde sollte es wohl leid sein um die Nacht, der dieaufgehende Sonne den Garaus macht? Oder welcher Narr wird um den lästigen Winter, umeinen rasenden Sturm, um eine aufgehört habende Pestilenz und um verschwundene schlechteJahre weinen? Und wir glauben, daß es eine noch um sehr vieles größere Dummheit wäre,darum zu trauern, so der Herr uns jüngst einmal die größte Seiner Gnaden erweisen will. Ja,sehr traurig ist es, daß Jerusalem das hellste Geisteslicht nicht erkennen und annehmen will;denn da heißt es, sich ganz dem Satan der Welt einverleibt haben! Wo aber das, da nur Feuerund Schwefel vom Himmel! Sodom und Gomorrha ruhen lange gut im Grunde des TotenMeeres; wer würde beweinen wollen die Verruchten? Und so wird man auch Jerusalem nichtbeweinen![009,20] Und du, holdeste Jarah, hast dich mit deinem Urteile über uns denn auch einwenig getäuscht! Siehe, der Schein ist nicht immer ein Abglanz der Wahrheit und trügt unsdann und wann! Meinst du nicht, daß es also ist und wahrscheinlich auch für immer alsoverbleiben wird? Haben wir recht oder nicht recht?“[009,21] Sagt die Jarah: „Aber Herr, Du meine Liebe, warum muß es mir denngeschehen, daß ich die Menschen stets falsch und nicht recht zu beurteilen imstande bin? Esist geradewegs schon nahezu ärgerlich! Vorher habe ich vom Cyrenius einen freilich nursanften, aber immerhin einen Verweis bekommen, jetzt aber gleich von einer Menge! Siehaben alle recht, – nur ich offenbar nicht, weil sie der Wahrheit nach recht haben und ich abernicht. O Herr, gib mir doch eine bessere Einsicht, damit ich mit meinen Urteilen nicht ineinem fort aufsitze!“

10. Kapitel[010,01] Sage Ich: „Nur schön sachte, Mein liebes Töchterchen! Du mußt dich darumnur mehr zurückhalten und nicht vorlaut sein gegenüber vielerfahrenen Männern! Dann mußtdu nie nach der Äußerlichkeit gleich irgendein Urteil schöpfen, sondern allzeit schönabwarten, was zuerst die welterfahrenen Männer über eine oder die andere Erfahrung sagenwerden![010,02] Hat sich möglicherweise irgend jemand ein wenig verirrt, dann erst ist esZeit, ihn ganz zart und sanft daran zu erinnern, wie und wo er etwa einen Seitenhieb ins Blauegemacht hat, – aber ja nicht früher![010,03] Denn es wäre gar nicht fein, wenn Mädchen den erfahrenen Männern dieWahrheit zuerst sollten kennen lehren; aber wenn die Männer dann und wann vom rechtenWege irgendeinen unweisen Seitentritt machen, dann wohl ist es an der rechten Zeit, daß einWeib gar zart und sanft hinzutritt und sagt: ,Mein Freund, sieh dich vor; denn du hast da einenfalschen Weg eingeschlagen! Die Sache verhält sich so und so!‘ Das wird den Mann sehrfreuen, und er wird gerne der holden, zarten und sanften Stimme Folge leisten.[010,04] Aber mit dem Vorlautwerden ist es nichts, und es macht den Mann leichtmürrisch und verdrießlich, und er achtet dann oft gar nicht auf die schöne und sanfte Stimmeeines noch so geschmeidigen Weibchens.[010,05] Siehe, das ist auch ein Evangelium, aber bloß nur für dein Geschlecht!Welches Weibchen solches achtet, welches wird auf der Erde stets gute Tage haben, aberdieses Evangelium nicht achten wird, wird sich's selbst zuzuschreiben haben, wenn es vonden Männern nicht geachtet wird.[010,06] Ein rechtes Weib ist ein Symbol des höchsten Himmels – und ein unrechtes,eigensinniges und dominieren wollendes Weib ein Ebenmaß des Satans, der da ist schongleich eine schlechteste, unterste und allertiefste Hölle.[010,07] Dann darf ein rechtes Weiblein schon gar nie gegen einen Mann je völligärgerlich werden; denn im weiblichen Wesen muß ja die größte Geduld, Sanftmut und Demutvorherrschen. In ihm muß der Mann erst die rechte Ruhe seines Sturmgemütes finden undselbst sanft und geduldig werden! Wenn aber am Ende das Weib vor dem Manne zu polternbegänne, was soll dann ein Mann erst tun, bei dem es ohnehin stets mehr stürmisch dennfriedlich aussieht?![010,08] Darum also nur nie vorlaut, Mein sonst gar allerliebstes Töchterchen, –

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sonst würdest du noch öfter in die Gelegenheit kommen, dich ärgern zu müssen, so dichwieder jemand zurechtwiese! – Hast du mich wohl verstanden?“[010,09] Sagt Jarah: „Verstanden wohl, – aber es geschieht mir nun schwer beimHerzen darum, daß ich dumm und vorlaut war. Ich habe nun doch schon mehrere Stundenlang geschwiegen, und es war gut; es hat mich aber nun gelüstet, auch ein bißchen was zureden, und da wäre es besser gewesen, so ich noch fort geschwiegen hätte. Aber von jetzt ansoll meine Zunge einen Rasttag bekommen wie keine zweite in einem weiblichen Munde!“[010,10] Sage Ich: „Das, Mein liebes Töchterchen, ist gerade auch nicht gar sostrenge notwendig, sondern du schweigst, wenn du zu reden nicht aufgefordert wirst! Wirst duaber aufgefordert zu reden, und du schweigst, so wird der Mann das für einen recht dickenEigensinn, für Bosheit und Verschlagenheit ansehen und sein Herz von dir wenden.[010,11] Also: reden zur rechten Zeit, und schweigen zur rechten Zeit, aber allzeitvoll Sanftmut, Liebe und Ergebung, das ist eines Weibes schönster Schmuck und ist ein garliebliches Lebensflämmchen, ganz geeignet, jedes Mannes Herz zu beleben und ihn gleichsanft und weich zu machen![010,12] Es gibt aber bei den Jungfräuleins eine oft sehr grell auftauchende Unart,und diese heißet Eitelkeit, welche nichts als ein recht gesundes Samenkorn des Hochmutes ist.Läßt ein Fräulein solches in sich aufschießen, so hat es schon seine himmlische Weiblichkeitverwirkt und sich der Gestalt des Satans sehr genaht. Ein eitles Fräulein ist kaum desAuslachens wert, ein stolzes und hochmütiges Weib aber ist ein Aas unter den Menschen undwird darum von jedermann mit Recht tief verachtet.[010,13] Daher sei du, Mein Töchterchen, weder je auch nur ein wenig eitel und nochweniger je stolz und hochmütig, so wirst du unter vielen glänzen wie ein schönster Stern amhohen Himmel! – Hast du das alles wohl aufgefaßt und begriffen?“[010,14] Sagt die Jarah: „O ja; aber nur werde Du mir nicht gram darum, weil ichwirklich recht dumm war!“[010,15] Sage Ich: „Sei nur ruhig darum! – Nun kommt Markus wieder und dieSeinen, und wir werden sehen, was die uns allen erzählen werden!“[010,16] Als die Jarah sich zufrieden gibt und besonders über den Punkt Eitelkeitsehr nachzudenken beginnt, kommt Markus abermals mit seiner ganzen Familie zu Mir, undsein Weib und seine Kinder fangen an, Mich über alle die Maßen zu loben und zu preisen.[010,17] Ich aber segne sie und heiße sie sich zu erheben vom Boden, und sage zumWeibe und zu den Kindern: „Worin das bestehet, wodurch ihr euch Meines Wohlgefallens fürimmer werdet versichern können, sowie auch Meiner jedesmaligen Hilfe, so ihr deren irgendbesonders benötigen werdet, wisset ihr und ganz besonders Markus, der euch nachderhand inallem unterweisen wird.[010,18] Aber da ihr euch die ganze Zeit hindurch um Mein und Meiner Jüngermaterielles Wohl gar so unverdrossen und angelegentlichst bekümmert habt, so habe Ich euchalles, was ihr nun gesehen habt, zu einem Gegengeschenke gemacht und habe alles alsoeingerichtet, wie es zu eurem großen zeitlichen und auch ewigen Vorteile dienen kann. Abernun lasset euch auch von dem Raphael alles zeigen, wie es zu gebrauchen ist; denn zu solcheinem Besitze gehört auch das Wissen, ihn zweckdienlich gebrauchen zu können!“[010,19] Hier berufe Ich den Raphael und sage zu ihm: „Gehe mit ihnen hin undzeige ihnen, alles ordentlich zu gebrauchen; und den zwei Söhnen zeige auch, wie sie die fünfbesegelten Schiffe zu gebrauchen haben, und wie sie sich damit auch jeden Wind zunutzemachen können! Dadurch sollen sie die ersten und besten Schiffahrer auf diesem ganzenMeere werden, und nach ihrer Art werden dann bald alle die Schiffe am großen Meereeinzurichten sein, was den Römern gut zustatten kommen wird.“ – Darauf geschah schnelldas, wozu Ich den Engel beauftragt hatte.[010,20] Ich sagte aber auch zum Cyrenius: „Laß du einige deiner offensten Dienermitgehen, auf daß sie auch etwas lernen für euren weltlichen Bedarf! Denn Ich will, daß alle,die Mir nachfolgen, in allen Dingen weise und tüchtig sein sollen.“ – Darauf beorderteCyrenius sogleich nach Meinem Rate einige seiner Diener und ließ auch den Knaben Josoemitgehen, weil der eine große Vorliebe zur Wasserfahrt hatte.

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11. Kapitel[011,01] Als auch dieses in der Ordnung war, trat wieder der Oubratouvishar zu Mirund sagte: „Du allein bist allmächtig über allmächtig! Siehe, ich und meine Brüder undSchwestern haben nun das Heil aller Menschen gesehen, die redlichen Herzens und einesguten Willens sind, die da sehen auf die Bildung des Herzens und des Gemütes und nicht vorder Zeit auf die des Verstandes, der eigentlich nur ein rechter Arm des Herzens sein soll. Diesist und bleibt der allein richtige Weg des wahren Lebens und dessen Heiles, was wirSchwarzen alle wie ein geweckter Mann wohl einsehen und begreifen.[011,02] Aber bei aller unserer Lebensreife und Einsicht plagt uns nun diesesWunder gar sehr, und es ist darum unter uns ein Hin- und Herraten darin entstanden, daßeinige von uns meinen, solch ein Wunder könnte auch ein durch Deinen Geist ganzvollendeter Mensch zustande bringen. Andere wieder meinen: Solche Dinge hervorzubringen,sei für ewig nur Gott allein möglich; denn dazu gehöre ein allmächtiger Gotteswille, den nieein geschaffener Geist für sich haben könne, weil er kein unendlicher, sondern nur ein höchstbeschränkter Geist ist.[011,03] Sie sagen weiter und meinen, man merke das schon an den Kreaturen dieserErde. Je größer sie würden, mit desto mehr Kraft und Macht träten sie auf, und je kleiner sieseien, desto geringer sei auch ihre Kraft. Man erzählt sich bei uns von einstigenRiesenelefanten, gegen welche die auf Erden nun vorkommenden nur kleine Affen wären.Diese Tiere sollen eine solche Kraft innegehabt haben, daß sie mit ihrem Rüssel die stärkstenBäume zu entwurzeln gar leicht imstande waren. Wenn denn aber schon auf dieser Erde eineKreatur, je größer sie ist, in einer desto größeren Kraft auftrete, um wieviel mehr desUnterschiedes müßte man dann erst bei den Geistern, als der Grundbedingung der Kraft inden mannigfachen Kreaturen, merken! Was demnach Dir als dem urewigsten Geiste möglichsei, weil Du allein von der allerunendlichsten Größe seist, das sei keinem endlichgeschaffenen Geiste möglich, und daher also auch nicht möglich, solch ein Haus, solch einenGarten und solche herrlichen Schiffe hierherzuschaffen aus nichts![011,04] Meine Meinung ist da selbst ein wenig gespalten; denn ich sagte zu ihnen,mich an die Meinung der ersteren haltend: In einem Momente ein Werk hervorzurufen, dasaber auch Menschen – wenn auch mit vieler Mühe und Zeit – zustande brächten, dürfte Gottdenn doch leichter möglich sein als ein anderes, das den Menschen für immer unmöglichbleiben wird und bleiben muß.[011,05] So können Menschen gar wunderbar herrliche und überaus große Gebäudemit der Zeit zustande bringen; aber alle Menschen der Erde können nicht einmal auch nur einMoospflänzchen erschaffen, daß es wüchse, blühete und Samen trüge ganz tauglich zurFortpflanzung, geschweige irgendeinen Fruchtbaum oder gar ein Tier, das sich frei bewegen,seine Nahrung suchen und seinesgleichen zeugen kann.[011,06] Solche Dinge aus nichts allein durch den allmächtigen Willenhervorzubringen, wird durch einen noch so vollendetsten Menschen wohl schwerlich jehervorzubringen möglich sein; denn dazu gehört mehr als die endliche Kraft eines sowohl derZeit als dem Raume nach endlichen Menschengeistes. Aber Dinge, die er schon einmal alsendliche, wenn auch mühsam, geschaffen hat, dürften dem ganz vollendeten Geiste einesMenschen wohl ganz füglich möglich sein, sie in einem Momente ins Dasein zu rufen. Esbliebe nur noch die Frage übrig, ob für bleibend oder ob nur auf wenige Augenblicke alleinfür die Erscheinlichkeit bei einer Gelegenheit, bei der man ohne alle Selbstliebe bloß zurVerherrlichung Deines Namens den Blinden ein rechtes Licht zu geben bemüht wäre![011,07] Wolltest Du, o Herr, mir darüber nicht einen ganz richtigen Bescheidgeben? Habe ich recht, oder die andern? Ich würde dich mit dieser Frage sicher nicht belästigthaben, wenn ich nicht gemerkt hätte, daß Dir nun eine kleine Muße – natürlich ganz durchDeinen höchst eigenen Willen – gegönnt ist. So Dein heiliger Wille es demnach Dirgestattete, mir auf meine Frage einen für ewig gültigen Bescheid zu erstatten, so wäre unsallen auch das eine übergroße Gnade, für die wir Dir nie zur Genüge danken könnten.“

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12. Kapitel[012,01] Sage Ich: „Ja, du Mein sehr lieber Freund, da wird es Mir sehr schwerwerden, dir oder deinen etwas anders meinenden Gefährten recht zu geben! Denn stelle direinen Stock vor, der etwas locker in der Erde steckt; dieser soll, um dann etwas fest anhängenzu können, mittels einiger Holzschlägelschläge fester ins Erdreich getrieben werden. Eskommen aber zwei etwas ungeschickte Zimmerleute, noch sehr Jünger ihrer Kunst, hinzu, undeiner, der sich für tüchtiger erachtet, sagt zu seinem Gefährten: ,Bruder, gleich ist zwar unsereKunstfertigkeit; aber dennoch gib mir den Schlägel, auf daß ich den ersten Hieb führe auf desStockes Haupt! Denn mir ist das sehr eigen, den Nagel auf den Kopf zu treffen!‘ – ,Gut‘, sagtder andere, ,laß sehen, wie du der Nägel Köpfe gar so treffend zu behandeln imstande bist!‘Darauf nimmt der erste den Schlägel und führt einen kräftigen Hieb. Er trifft den Stock, abernur auf der linken Seite streifend, was den Stock durchaus nicht fester gemacht hat. Darüberlacht sein Kollege und sagt: ,Gib nur wieder mir den Schlägel; denn mit solcher Bearbeitungseines Kopfes wird der Stock wohl nimmer fester als zuvor in der lieben Mutter Erdestecken!‘ Spricht der, der den Stock nicht auf den Kopf getroffen hatte: ,Da, nimm denSchlägel und versuche du dein Glück!‘ Nun führt auch dieser einen allerkräftigsten Hieb, trifftdes Nagels Kopf aber auch nicht, sondern streift ihn auf der rechten Seite. Und es entspinntsich nun unter beiden ein Streit darum, welcher von ihnen etwa doch den besseren Hiebgeführt habe. Daß darüber die beiden nicht leicht einig werden, ist begreiflich; denn wo zweiuntereinander zu streiten anfangen, da nimmt der Streit nicht eher ein Ende, als bis einStärkerer und Geübterer hinzukommt und den beiden Streitern ums Recht zeigt, wie man denNagel auf den Kopf trifft. Nachher geht es bei den beiden auch; aber ohne den dritten hättendie beiden wohl noch einige Zeit lang bloß darum gestritten, wer von ihnen den besseren Hiebgeführt habe, ob der Streifhieb nach links besser war denn der nach rechts.[012,02] Und siehe, gerade also steht es mit eurem Streite, und Ich muß am Ende derdritte sein, der eurem Weisheitsstreite dadurch ein Ende macht, daß er den Nagel vor euch aufden Kopf trifft, ansonst ihr unterwegs zu einem blutigen Streite gelangen könntet, und dasalles darum, ob der verfehlte Streifhieb nach links besser war als der ebenso verfehlte nachrechts![012,03] Also weder du noch deine Gefährten habt in bezug auf das zustandegebrachte Wunder, und ob ein solches ein geistig ganz vollendeter Mensch auch zu bewirkenimstande wäre, die Wahrheit gefunden, sondern kaum nur an dieselbe nach links und rechtsgestreift![012,04] Nun, daß Ich den Nagel wohl auf den Kopf treffen werde, das ist sicher undgewiß; aber bevor Ich noch darin für euch den sichern Hieb führen werde, mußt du hingehenzu deinen Gefährten und ihnen sagen, daß da weder die links noch die rechts meinende Parteirecht hat, sondern eine jede kaum an die Wahrheit gestreift ist. Ihr müßt euch zuvor darinvergleichen, daß ihr völlig nichts wisset und verstehet in dieser Angelegenheit. Dann erstkomme, und Ich werde dir dann kundtun, was da wahr und recht ist zu wissen und zu denkenin dieser Sache!“[012,05] Mit dem geht der schwarze Anführer wieder zu seinen Gefährten und sagtihnen alles. Diese aber sagten recht klug: „Es ist ganz recht, wohl und gut, daß der Herr Selbstuns gegeben hat diesen Bescheid; denn er taugt nicht nur für jetzt, sondern für alle künftigenZeiten. Wie oft kam es schon unter uns vor, daß einer eine Sache so, und ein zweiter andersund ein dritter noch verschiedener anders beurteilte! Wer von den dreien hatte denn der vollenWahrheit gemäß recht geurteilt? Gar keiner hatte den Stock auf den Kopf getroffen, vielleichtoft kaum gestreift! Es mußte endlich durch einen allgemeinen Rat und durch die Mehrheit derStimmen entschieden werden, wer da in der Beurteilung einer Sache oder einer Handlungrecht habe; und da geschah es sicher nicht selten, daß gerade derjenige von derStimmenmehrheit das Recht zuerkannt bekam, der seinen Hieb am fernsten vom Stockegeführt hatte. Hätten wir damals schon solch weisesten Wink von jemandem erhalten, wieviele unnötige Zänkereien wären da hintangehalten worden! Aber so hatten wir diesenheiligen Wink nicht und gerieten oft in Zank und Hader bloß darum, weil ein jeder von unsder Weiseste sein wollte.

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[012,06] Aber es hatte das doch auch wieder sein Gutes; denn dieses ewige Zankenhat unsern Durst nach einer reinen Wahrheit stets mehr und mehr geweckt. Ohne diesenhätten wir fürs erste dich, Oubratouvishar, sicher nie zu unserem Wegweiser erwählt; ohnedich aber wären wir nie nach Memphis, und ohne Memphis noch weniger je hierhergekommen, wo wir nun gar die allerreinste Wahrheit aus dem Munde Dessen vernehmenkönnen, der der ewigste Urgrund alles Lebens, alles Seins und aller Dinge ist. Gehe nun hinund entrichte unser aller innigsten Dank für den an uns alle gerichteten göttlich weisestenWink, den wir durch die Tat von Nachkommen zu Nachkommen allerlebendigst undwahrhaftigst ehren wollen und werden! Keinen Zank darum unter unverkennbaren Brüdern!“

13. Kapitel[013,01] Mit diesem Bescheide kam der Anführer, begleitet von seinem Diener, zuMir und wollte Mir buchstäblich kundtun, was seine Gefährten zu ihm geredet hatten.[013,02] Ich aber sagte zu ihm: „Freund, dessen bedarf Derjenige, der der MenschenHerzen und Nieren prüft, nicht! Ich weiß schon so um alles, was deine Gefährten dir rechtsehr klug anvertraut haben, und du kannst nun aus Meinem Munde erfahren, was davollkommen Rechtens ist in eurer strittigen Sache. Siehe, höre und verstehe![013,03] Wenn ein Mensch auf dieser Erde oder auch erst jenseits, was zumeist derFall sein wird, die höchste geistige Lebensvollendung wird erhalten haben, so wird er bloßauch nur durch seinen freien Willen nicht nur das, was Ich nun tue vor euren Augen, und wasda in allen Schöpfungssphären ist und geschieht, auch tun und entstehen und bestehen lassenkönnen, sondern noch viel Größeres! Denn ein vollendeter Mensch ist erstens als Mein Kindeins mit Mir in allem, und nicht etwa nur im gewissen Sonderheitlichen, und muß, weil MeinWille ganz auch der seine geworden ist, ganz natürlich auch alles das zu leisten imstande sein,was Ich Selbst zu leisten vermag.[013,04] Zweitens aber verliert deshalb kein noch so vollendeter Mensch seineneigensten freien Willen, wenn er auch noch so willenseins mit Mir geworden ist, und kanndeshalb nicht nur alles aus Mir heraus wollen, sondern auch ganz ungebunden frei aus sichheraus, und das wird dann ja doch ein offenbares Mehr über Meinen Willen hinaus sein.[013,05] Es klingt dir solches nun zwar ein wenig fabelhaft, und dennoch ist es alsound wird auch für ewig dann also verbleiben. Damit du aber das ganz klar einsehen magst,will Ich die Sache noch ein wenig heller machen durch die Aufmerksammachung auf eineSache, die dir von Memphis aus nicht mehr völlig fremd ist.[013,06] Du hast in Memphis bei eurem ersten Dortsein, und zwar beim Obersten,dem weisen Justus Platonicus, mehrere Arten Spiegel gesehen, aus deren höchst geglätteterOberfläche dir dein Ebenbild entgegenstrahlte.[013,07] Der Oberste aber zeigte dir am Ende auch einen sogenannten magischenSpiegel, in welchem du, dich über Hals und Kopf verwundernd, dich selbst um vieles größererschautest, als du für deine Größe in der Natur bist.[013,08] Der Oberste zeigte dir aber auch noch eine andere Eigenschaft diesesSpiegels. Er ließ nämlich die Sonne hineinscheinen und zündete dann im überaus lichtenBrennpunkte, der so beiläufig eine gute halbe Mannslänge außerhalb der von allen Seitengegen die Mitte eingebogenen Fläche sich befand, allerlei brennbare Dinge an, was dich in einnoch höheres Erstaunen versetzt hat.[013,09] Nun frage Ich dich, wie denn das möglich war? Wie ging denn das zu, daßder vom sogenannten magischen Spiegel zurückgeworfene Strahl der Sonne eine viel größereWirkung zustande brachte als die Sonne mit ihren geraden, ungebrochenen Strahlen? Unddoch war der Strahl aus dem magischen Spiegel kein anderer als einer aus einer und derselbenSonne![013,10] Der Spiegel blieb dabei sicher ganz kalt! Ja, woher nahm denn hernach derStrahl solche das natürliche, freie Sonnenlicht so weit übertreffende Wirkung? Du siehst dochso manches ein und wirst mir da auch irgendeinen Grund angeben können, wenigstensinsoweit, als dir solchen der Oberste anzugeben imstande war!“[013,11] Sagt der Anführer: „O Herr, Du weißt wahrlich, wahrlich um alles! Ja, es ist

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wahr, der Oberste in Memphis hatte uns solche Spiegel gezeigt und auch ihre mannigfacheWirkung; aber mit seinen Erklärungen darüber war ich, geradeheraus gesagt, amallerwenigsten zufrieden. Er schien da stark neben Deinem Stocke, denselben nicht einmalstreifend, den Hieb geführt zu haben. Kurz, je länger er mir zwar mit allem Eifer die Sacheaufzuhellen suchte, desto dunkler war es bei ihm und mir.[013,12] Nur das einzige schien mir richtig, daß solch ein eingebogener Spiegel dieEigenschaft habe, die von der Sonne ausgehenden Strahlen zu verdichten, und täte dasselbe ineinem viel dichteren und gediegeneren Grade, als so man viele ganz ebene Spiegel, die dieSonne in ihrer ganz natürlichen Größe, wie sie unserem Auge erscheint, zeigen, alsoaufstellen würde, daß aller Strahlen auf einem und demselben Flecke zusammenkommenmüßten, welcher Fleck dann auch um vieles heller leuchten würde, als der Lichtfleck nur auseinem einzigen Ebenspiegel gehend. Und das sei denn eine offenbare Verdichtung desSonnenlichtstrahles, und die Erfahrung zeige es, daß die Steigerung des Lichtes auch einegleiche Steigerung der Wärme und Hitze zur Folge habe. So etwas ließe sich zwar nach derMeinung des Obersten nimmer genau berechnen; aber es ist dennoch das von ihm Gesagte dervielfachen und wohlerprobten Erfahrung nach sicher.[013,13] Das, o Herr, ist nun aber auch schon alles, was ich als Besseres aus desObersten Munde vernommen habe. Was ich aber daraus etwa für einen weiteren guten Schlußziehen sollte oder könnte, dazu sind die Erkenntniskräfte meiner Seele zu gering, und ich bitteDich darum abermals, daß Du mir Lichtlosem ein wahres, verdichtetes Licht in meine Seelegießen möchtest, sonst wird es in ihr ebenso dunkel sein, als wie dunkel und schwarz da istmeines schlechten Leibes Haut durch und durch an meinem Fleische!“

14. Kapitel[014,01] Sage Ich: „Nun wohl denn, und so höre Mich! Ich bin die Sonne allerSonnen und aller Geisterwelten und der auf ihnen befindlichen Wesen aller Art und Gattung.[014,02] Wie aber diese irdische Sonne mit ihrem Lichte und mittels desselbenerregter Wärme in alle auf einem Erdkörper wohnenden Wesen und auf den Erdkörper nur ineiner gewissen abgemessensten Ordnung einfließt und dadurch den ganzen Erdkörper sichtbarnaturgemäß belebt, ebenso auch fließe Ich in der ewig strengsten, und gemessensten und vonMir aus unwandelbarsten Ordnung in alles, was von Mir geschaffen ist, ein; und es kanndarum die Erde nicht mehr Erde sein und werden, als sie ist, der Feigenbaum nicht noch mehrFeigenbaum, der Löwe nicht noch mehr Löwe, und so bis zum Menschen herauf kann keineKreatur mehr oder auch weniger in ihrer Art und Gattung werden, als wie und was sie ist.[014,03] Nur der Mensch allein kann seelisch und geistig noch fort und fort mehr undmehr Mensch werden, weil ihm von Mir aus das unvertilgbare Vermögen erteilt ist, stets mehrvon Meinem geistigen Lebenslichte durch die Befolgung Meines ihm kundgemachten Willensin sich aufzunehmen und für alle Ewigkeiten zu behalten.[014,04] Nun, wenn der Mensch so ganz ordentlich nach dem Gesetze lebt, aberdabei weder nach etwas besonders Höherem strebt, sich aber aus seiner einmalangenommenen Ordnung auch nicht für etwas Niedereres gebrauchen läßt, also für die Weltso ein ganz tadelloser Mensch ist, da gleicht er einem Ebenspiegel, der das Bild der Sonne aufseiner Glattfläche weder vergrößert noch irgend verkleinert. Er wird darum auch jede Sacheso ganz natürlich einsehen und damit ein ganz gewöhnliches Gedeihen in allen Dingenerzielen.[014,05] Ein Mensch aber, der wegen ein bißchen Lichtes, das er sozusagen geradeirgendwo erschnappt hat, unter den ganz Lichtlosen in einer oder der andern Sache vielAufhebens macht und tut, als wäre schon gerade er selbst der erste Erfinder der Urweisheit,und alle andern für dumm über dumm hält, – ein solcher Mensch bläht sich auf und gleichteiner Kugel, deren Oberfläche sehr glatt poliert ist und dadurch eine nach außenhinausgebogene Spiegelfläche abgibt.[014,06] Auf einer solchen Fläche wirst du zwar das Bild der Sonne auch nochwiderstrahlend erschauen, aber ganz klein, und du wirst nichts mehr merken von einerWärme. Bei diesem zurückstrahlenden Schimmerlichte wird sich ewig nichts entzünden, und

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wäre es selbst ein allerleichtest entzündbarer Naphthaäther! Das tut der Hochmut der Seele, sosie sich auf etwas höchst wenig Sagendes sehr viel einbildet. Und je mehr eine solche Seeleda ihre Einbildung erhöht, desto ordentlich spitzrunder wird ihr Spiegel und desto kleiner dasAbbild der geistigen Sonne auf solcher nahe spitzrunden Erkenntnis- undWissensspiegelfläche.[014,07] Diese zwei nun bezeichneten Menschengattungen werden nicht stets mehrMensch, sondern die letztbezeichnete nur stets weniger.[014,08] Aber nun kommt eine dritte, freilich etwas selten gewordene Menschenart!Sie ist äußerlich äußerst gefällig, dienstfertig, geduldig, sanft, bescheiden und voll Demut undLiebe gegen jedermann, der ihrer Dienste benötigt.[014,09] Diese Art gleicht unserem magischen, nach innen eingebogenen Spiegel.Wenn das Licht des Lebens und des Erkennens aus Mir auf solch einen Seelenspiegel fällt, sowird dessen ins irdische Tatenleben herüber zurückstrahlendes Licht das Gemüt und deneigenen freien Willen für alles Gute, Liebe, Schöne, Wahre und Weise erbrennen machen,und alles, was unter den Brennpunkt des vielfach verdichteten Geisteslichtes fällt, wird höchstklar erleuchtet und durch des innern Lebens hohen Lebenswärmestand schnell in seinerganzen Fügung entfaltet. Und der Mensch mit solch einem Seelenspiegel erkennt dann bald ingrößter und lebendigster Klarheit Dinge, von denen ein gewöhnlicher Mensch wohl nie einenTraum haben kann.[014,10] Ein solcher Mensch wird dann auch stets mehr und mehr Mensch; und jemehr und mehr Mensch er wird, desto vollendeter wird er auch in sich. Und wenn mit dergerechten Weile sich sein Lebensspiegelumfang oder – durchmesser mehr und mehrausgedehnt und an Tiefe gegen das Lebenszentrum zugenommen hat, so wird der nach außenwirkende und um vieles größer und lichtdichter gewordene Brennpunkt auch sicher noch umvieles Größeres bewirken als Mein für alle Kreatur genauest abgegrenztes Sonnenlicht, vondem auf dem ordnungsmäßigen und natürlichen Wege nie ein gewisses außerordentlichesMehr zu erwarten ist und man nicht annehmen kann, daß der Sonne ganz natürliches auf dieseErde fallendes Licht je einen Diamanten schmelzen wird, wohl aber der verdichteteLichtstrahl aus einem großen sogenannten magischen Spiegel.[014,11] Gerade also aber verhält es sich denn auch mit einem höchst vollendetenMenschen, von dem Ich früher gesagt habe, daß er noch Größeres leisten werde denn Ich. Ichleiste nur alles nach der von Ewigkeit her genauest abgewogenen Ordnung, und es muß dieErde in der bestimmtesten Entfernung von der Sonne ihre Bahn halten, in der sie imallgemeinen stets unter einem gleichen Lichtgrade steht.[014,12] Ich kann somit wohl leicht einsichtlich nie irgendeinmal des Wissens oderetwa gar eines Scherzes halber mit Meines Willens Allmacht diese oder eine andere Erdeganz knapp an die Sonne hinsetzen; denn ein solcher Versuch würde diese ganze Erde ehest ineinen puren weißlichblauen Dunst verwandeln.[014,13] Aber ihr Menschen könnet durch derlei Spiegel auf dieser Erde der Sonnezerstreutes Licht auf einen Punkt zusammenziehen und dessen Kraft an kleinen Teilen derErde versuchen und tuet dadurch schon, nur ganz naturmäßig betrachtet, mit dem Lichte ausder Sonne ein Mehreres und Größeres denn Ich, – um wieviel mehr mit Meinem Geisteslichteaus dem vollkommensten Demutshohlspiegel eurer Seele![014,14] Ja, Meine wahren Kinder werden Dinge zustande bringen und Tatenvollziehen in ihren kleineren Bezirken, die an und für sich offenbar in dem VerhältnismaßeMeinen Taten gegenüber größer sein müssen, weil sie nebst der vollendeten Erfüllung MeinesWillens auch nach ihrem freiesten Willen, in dem sich Mein Licht bis zu einerunaussprechlichen Potenz verdichten kann, zu handeln vermögen und dadurch in einemkleinen Bezirke mit der allerintensivsten Feuermacht Meines innersten Wollens Tatenverrichten können, die Ich der Erhaltung der ganzen Schöpfung wegen nie verrichten darf,wenn Ich es freilich wohl auch könnte.[014,15] Kurz, Meine wahren Kinder werden sogar mit jenen Kräften MeinesHerzens und Willens ordentlich herumspielen können, die Ich in engster Beziehung noch sowenig je in eine tatsächliche Anwendung gebracht habe, als Ich je diese Erde einmal darum

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ganz knapp an die Sonne hingeschoben habe, um einige Bergspitzen des Scherzes wegen anihrer für euch unaussprechlichen Hitze abzuschmelzen, was nicht möglich wäre, ohne gleichdie ganze Erde mit in den alten Äther zu verwandeln. Was Ich sonach weder im Großen undnoch weniger im Kleinen tun darf, das können Meine Kinder mit den magischen Spiegelneinmal schon natürlich und dann um so mehr geistig verrichten![014,16] Verstehest du, Mein lieber Freund, nun so ganz gut, wahr und recht, was Ichdir nun über deine Fragen Erklärliches gesagt habe? Bist du nun zufrieden, oder hast du nochirgendwo einen Zweifel unter deiner schwarzen Haut?“

15. Kapitel[015,01] Sagt der Anführer: „Ja, Herr, mir ist nun alles klar, und meine Seele fühltsich nun wie ganz in allem völlig daheim zu sein! Aber ich merke es bei Deinen Jüngern, wiesie zumeist alle dieses Bild von den drei Spiegelgattungen durchaus nicht recht zu fassenscheinen! Ich danke Dir innigst für solche Deine Aufhellung, die allen meinenLebensgefühlen vollkommen entspricht; aber wie gesagt, es ist mir unangenehm zu sehen,wie gerade diejenigen dies alles am wenigsten zu verstehen scheinen, die es als eigentlich zurKindschaft Berufene am meisten verstehen sollten!“[015,02] Sage Ich: „Das kümmere dich wenig oder gar nicht! So du es verstehst, waskümmert's dich weiter? Diese werden es dann schon verstehen, wenn es an der Zeit für siesein wird; denn sie werden noch länger um Mich sein, während ihr morgen in euer Landziehen werdet![015,03] Es ist ja doch wohl eine gute Sitte von alters her bei allen Völkern, daß derfremde Gast eher bedacht werde denn die Kinder des Hauses. Die Kinder werden darum nichtzu kurz kommen! Euch war diese Sache vorderhand leicht verständlich zu machen, weil ihrmit dem Wesen der Spiegel schon bekannt waret; aber von Meinen wahren Jüngern undKindern hat noch nie einer einen andern Spiegel gesehen als allein den einer ruhigenWasseroberfläche. So Ich ihnen aber diese Sache näher werde erläutern wollen, da werde IchMir wegen der leichteren Verständlichung ebenso leicht die betreffenden Spiegel zuverschaffen verstehen, als wie Ich Mir das Menschengehirn zu verschaffen verstand, und wieIch es verstand, dem alten Markus dieses neue Haus mit allem Zubehör zu verschaffen.[015,04] Es sei dir darum Meiner Jünger und Meiner wahren Kinder wegen nichtbange; denn Ich Selbst gebe dir die Versicherung, daß sie alle nicht zu kurz kommen werden.Denn die Fremden kommen wohl und gehen wieder; aber die Kinder bleiben im Hause! –Hast du auch dieses verstanden?“[015,05] Sagt der Anführer: „Ob ich's verstanden habe, – aber heiterer ist darummeine Seele nicht geworden; denn es klang aus Deinem Munde gar so entfernt, mit demNamen ,Fremde‘ benamset zu werden! Aber wir werden es ewig nicht ändern können, was Duvon Ewigkeit her schon einmal also bestimmt hast, und sind Dir als Fremde aber dennochaufs liebeglühendste dankbar für alle diese auch nie verdienten übergroßen Gnaden, die Duuns nun erwiesen hast!“[015,06] Hier treten dem Anführer Tränen in die Augen, wie auch seinem Diener,und die Jarah sagt zu Mir ganz heimlich: „Herr und Vater aller Menschen, siehe, die beidenSchwarzen weinen!“[015,07] Ich aber sage: „Das macht nichts, Mein liebstes Töchterchen; denn ebendadurch werden sie zu Kindern Meiner Kinder, die auch nicht aus dem Hause des Großvatersgestoßen werden!“[015,08] Als die beiden Schwarzen solche Worte aus Meinem Munde vernommenhatten, sanken sie vor Mir auf ihre Knie und schluchzten laut, aber nur aus Freuden.[015,09] Und nach einer Weile rief der Anführer laut aus: „O Gott voll Gerechtigkeit,Weisheit, Liebe, Macht und Erbarmung, mit der größten Zerknirschung meines ganzenWesens danke ich Dir in meinem und in meines Volkes Namen, daß wir uns wenigstensKinder Deiner Kinder nennen dürfen!“[015,10] Sage Ich: „Sei ruhig, du Mein Freund! Den Ich annehme, der ist Mir keinFremder mehr! Du siehst die Erde, wie sie voller Berge ist, und es gibt darunter hohe und

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niedere. Die hohen sind zwar die ersten und eigentlichen Ursöhne der Erde, und die niederensind erst nach und nach als Absitzlinge der hohen entstanden, – und siehe, während dieallerersten und allerhöchsten ihre Häupter mit ewigem Schnee und Eise schmücken, säugendie niederen Nachkömmlinge fortwährend die Milch der Liebe aus der Brust der großenMutter![015,11] Ich sage es euch: Wer Liebe hat und Liebe tut, der ist Mein Kind, MeinSohn, Meine Tochter, Mein Freund und Mein Bruder! Wer aber die Liebe nicht hat und alsoauch nicht nach ihr tut, der ist ein Fremder und wird als solcher behandelt. So Ich dich aberMeinen Freund nenne, da bist du kein Fremder mehr, sondern gehörst zu Meinem Hausedurch Mein Wort, das du in dein Herz treulichst aufgenommen hast. Gehe aber nun getrosthin und verkünde das alles deinen Brüdern!“[015,12] Der Anführer begibt sich nun mit seinem Diener hin zu den Gefährten undverkündet ihnen alles, was er nun von Mir vernommen hat, und alle fangen förmlich an zujauchzen vor Freude über solch eine für sie so übertröstliche Nachricht. Wir überlassen sienun ihrer gerechten Freude. Aber Cyrenius, der die Erklärung mit den Spiegeln auch nichteben zu klar aufgefaßt hatte, obwohl er von den verschiedenen Spiegelgattungen einen ganzguten Begriff hatte, fragte Mich, ob Ich ihm darüber nicht etwas Näheres sagen wollte. Ichaber beschied ihn, sich darob ein wenig zu gedulden, da wir sogleich mit einer etwas traurigaussehenden Deputation aus Cäsarea Philippi zu tun bekommen würden. Und Cyrenius stelltesich damit zufrieden.

16. Kapitel[016,01] Als Ich solches kaum ausgeredet hatte, kamen schon ums alte Haus gebogenzwölf Männer daher; es waren sechs Juden und sechs Griechen. Die nun in einigen Hüttenkampierenden Cäsaräer hatten nämlich durch ihre Hirten und Fischer die Nachrichtüberkommen, daß dem alten Fischer Markus ein großer Teil Landes vom römischenStatthalter wäre geschenkt und als sein volles Eigentum mit einer unüberwindbaren Mauerwäre umgeben worden. Die Cäsaräer hielten aber allen Grund weit und breit um die Stadt fürein Gemeindegut und wollten vom Cyrenius nun erfahren, mit welchem Rechte er sich amEigentume der Stadt habe vergreifen können, da die Stadt davon stets sowohl an die Römerwie auch nach Jerusalem den Tribut entrichtet hätte. Ich hatte dem Cyrenius aber schonvorher geheim einen Wink ins Herz gelegt, und er wußte denn auch schon zum voraus, umwas es sich da handeln werde, bevor noch jemand von der Deputation den Mund aufgetan,und war darum auch zur Genüge vorbereitet in dem, was er der höchst unbescheiden traurigenDeputation zu erwidern hatte.[016,02] Es trat denn nach allen gemachten Verbeugungen ein feiner Grieche namensRoklus zum Cyrenius hin, tat seinen Mund auf und sprach: „Allergerechtester, gestrengsterund allerdurchlauchtigster Herr, Herr, Herr! Wir nahen uns dir in Anbetracht dessen, daß demalten Krieger und nun Fischer Markus durch deine Munifizenz (Freigebigkeit) einbedeutender Teil von unseren mit starkem Tribut belegten Gemeindegründen zumeingefriedeten Eigentume ist eingeantwortet worden. Dies haben wir vor einer Stunde durchunsere um das schöne Stück Landes traurigen Hirten in unsere noch trauriger aussehendeErfahrung gebracht.[016,03] Welch ein Unglück uns sonst so wohlhabende Cäsaräer getroffen hat, davonzeugen die hier und da noch dampfenden Ruinen. Wir sind nun im vollen Sinne des Wortesdie elendsten Bettler von der Welt. Wohl dem, der bei dem mächtigen Brande etwas vonseiner Habe zu retten vermochte! Uns armen Faunen ist solch ein Glück nicht möglichgewesen; denn das Feuer griff so schnell um sich, und wir und noch viele von uns mußten denGöttern noch sehr dankbar sein, daß wir mit dem nackten Leben davongekommen sind. EtwasVieh ist nun unsere ganze Habe, wir sind nun wieder Nomaden geworden; aber wie selbstdiese letzte Habe erhalten, wenn deine Munifizenz gegen eingeborene Römer uns unserebesten Gründe wegnimmt und sie denen als volles, unantastbares Eigentum einfriedet, die dasGlück haben, in deiner hohen Gunst zu stehen?![016,04] Wir wollen dich demnach nur bittend fragen, ob der nun so überglücklich

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gewordene Markus an uns eine Entschädigung zu leisten haben wird oder nicht! So ganz ohneEntschädigung wäre in dieser unserer gedrücktesten Lage diese Wegnahme wohl etwas, wasdie Geschichte der Menschheit schwerlich irgendwo und -wann aufzuweisen hätte. –Allerhöchster Herr, was haben wir Armen zu erwarten?“[016,05] Sagt Cyrenius: „Was redet ihr, und was wollet ihr unverschämtenHalbmenschen?! Dieser Grundanteil hat seit fünfhundert Jahren zu diesem Berge und zudieser Fischerhütte gehört und war völlig wertlos, weil er eine pure Sand- und Schottersteppewar. Es gehörten aber noch zwanzig Morgen Landes hierher, die nicht eingefriedet und somitder Stadtgemeinde zur freien und beliebigen Benutzung überlassen wurden. Zudem habt ihreuch als komplette Arme und Bettler nun bei mir aufgeführt, die aller ihrer Habe bargeworden sind! Was soll ich aber nun zu solch eurer boshaften Lügenhaftigkeit sagen?! Wohlweiß ich, daß euch eure Stadthäuser durchs Feuer zerstört worden sind, und weiß genau, wiehoch sich euer Schaden beläuft; aber ich weiß auch um eure großen Besitzungen in Tyrus undSidon, und weiß, daß eben du, Roklus, dort so viel der Schätze besitzest, daß du dich mit mirohne weiteres messen könntest! Und ebenso sind alle die elf, die nun mit dirhierhergekommen sind![016,06] Ihr zwölfe habt noch so viel der Schätze und Reichtümer, daß ihr allein diedurchs Feuer zerstörte Stadt wenigstens zehnmal von neuem aufbauen könntet; und dochkommet gerade ihr, beklaget euch der Armut und wollet mich eines Unrechtes beschuldigen,weil dem alten Markus, der in jeder Fiber seines Lebens ein Ehrenmann ist, sein blankes undrechtmäßigstes Eigentum von dem eurigen abgesondert wurde! Saget, mit welchen Namen icheuch belegen soll![016,07] Gehet hin und besehet den Grund, der über der Gartenmauer noch als vollesEigentum des Markus sich befindet! Es sind noch gut über zwanzig Morgen Landes. Ichverkaufe ihn an euch um zehn Silbergroschen. Wenn ihr findet, daß er es wert ist, dann erlegetdie zehn Groschen, und der Grund gehört euch! Ein schlechteres Klebah gibt es außer aufSaharia in Afrika nicht auf der lieben, weiten Erde; denn außer Sand und taubem Steingeröllund hie und da eine verkümmerte Distelstaude werdet ihr nichts finden![016,08] Ihr aber seid reiche Leute, könnet Erde von weit her bringen lassen unddamit diese kleine Wüste überlegen und zum fruchtbaren Lande machen! Auch könnet ihr vonweit her eine sehr kostspielige Wasserleitung anlegen, um das also kultivierte Landstück inhier gewöhnlich trockenen Sommern recht tüchtig bewässern zu können, und ihr habt dadurchein recht ertragbares Stück Landes in euren rechtmäßigen Besitz gebracht! Aber mit solcheuren allerunbegründetsten Ansprüchen werdet ihr bei mir ewig nichts ausrichten, und ichwerde es euch faktisch beweisen, daß nach eurer gegenwärtig allerungerechtesten Petitionstets nur der Mächtigere das Recht für sich hat! – Was wollet ihr nun tun?“[016,09] Sagt Roklus, stark eingeschüchtert durch die energische Sprache desOberstatthalters: „Herr, Herr, Herr! Wir sind es nicht selbst, die da sucheten ein Recht fürsich, sondern wir sind nur Repräsentanten derjenigen, die in der zerstörten Stadt im vollstenErnste ein gar jämmerliches Dasein fristen. Wir haben für sie schon viel getan, und die ganze,nun ganz verarmte Stadtgemeinde hat uns aus Dankbarkeit nur alle die umliegenden Gründezum vollen Eigentum eingeantwortet und sagte uns, daß auch diese Gründe am Meere ihrGemeineigentum seien![016,10] Wenn also, dachten wir, da kann es uns durchaus nicht gleichgültig sein,daß sich unbefugtermaßen jemand einen Teil davon nimmt, kultiviert und den kultiviertenTeil gleich mit einer unüberwindlichen, allerfestesten Mauer einfrieden läßt, und das in einerwahrhaft zauberhaften Schnelligkeit, – was natürlich euch kriegsgeübtesten Römern möglichsein kann, weil ihr im Felde nicht selten in wenigen Augenblicken ein Lager fürhunderttausend Mann zu errichten verstehet![016,11] Nun sich aber die Sache ganz anders verhält, so stehen wir ganz einfach vonunserer Forderung ab und begeben uns nach Hause! Die noch übrigen, außerhalb der Mauerliegenden zwanzig Morgen Landes kann sich der alte Biedermann auch noch dazu einfriedenlassen, und wir geben hiermit unsere Erklärung dahin ab, daß er weder je von uns noch vonder Stadtgemeinde aus in seinem freien Besitze soll gestört werden. Aber das glauben wir

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doch, daß er an die Stadt wegen seines ausschließlichen Fischerrechts den altherkömmlichenZehent fortan zu entrichten haben soll!“[016,12] Sagt Cyrenius: „O ja, aber ihr müßt es erweisen, in welcher Zeit die Stadtdieses Recht ersessen hat! Mir ist in dieser Hinsicht kein Dokument bekannt, da ich seitmeiner hiesigen, nun schon bei fünfunddreißig Jahre langen Dienstzeit davon nie etwas zuGesichte bekommen habe. Denn erst unter mir ist der frühere Flecken zu einer Stadt erhobenworden, und zwar zu Ehren meines Bruders, der Rom über vierzig Jahre lang beherrscht hatte.Mir sind sonach alle die noch so kleinen Verhältnisse dieser eurer Stadt ungemein bekannt!Von einem von dieser Stadt rechtlich zu fordern habenden Fischzehent weiß ich nichts; wohlaber weiß ich, daß man solchen widerrechtlich von der Stadt aus gefordert hatte und meinMarkus genötigt war, euch solchen stets zu entrichten, wofür er, so er schlecht wäre, einevollgültige Rückerstattung verlangen könnte, was er jedoch nicht tun wird, weil er ein zuehrlicher und zu echt guter Mensch ist. Aber daß er in der Folge an euch keinen solchen ganzwiderrechtlichen Zehent entrichten wird, dafür stehe ich euch![016,13] Anstatt euch nun irgendein Recht einzuräumen, mache ich euch Deputiertedieser Stadt damit bekannt, daß ich laut meiner Macht, vom Kaiser ausgehend, den altenMarkus zum Obersten über die Stadt und über ihr weites Umgebiet, mit aller Macht, die mirselbst eigen ist, ausgerüstet, setze, und daß in der Folge er allein über euch und alle eureAngelegenheiten das volle Recht zu sprechen haben soll und ihr alle an ihn den pflichtigenTribut zu entrichten haben werdet! Das sage ich euch nun mündlich, er aber wird sich voreuch mit der Schrift, mit dem Stabe und mit dem Schwerte und mit der goldenen Waage derGerechtigkeit ganz vollkommen gesetzlich ausweisen! Nur in ganz besonderen Fällen wirdeine Berufung an mich zulässig sein, sonst aber wird er völlig alles zu schlichten haben! –Seid ihr damit zufrieden?“

17. Kapitel[017,01] Sagt Roklus: „Zufrieden oder nicht zufrieden, – was wollen wir gegen eureMacht? Den ohnmächtigen Würmern muß ja alles recht sein; denn wehe ihnen, wenn sie sichnur ein wenig in ihrem Nichtigkeitsstaube zu rühren anfangen, so werden sie sogleich von denlustigen Vögeln aus der Luft bemerkt, gefangen und gefressen! Der Schwache muß ja demMächtigen gehorchen, wenn er leben will, und so werden auch wir dem nun Herrn HerrnMarkus gehorchen müssen, so wir nicht gefressen werden wollen. Aber angenehm – um ganzaufrichtig zu reden – ist es uns durchaus nicht, daß dieser alte, schroffe Krieger über unsgebieten wird; denn das ist der allerrücksichtsloseste Mensch, der uns noch je vorgekommenist. Rechtlich ist er, das kann niemand in Abrede stellen, und er hat laut seiner vielenErfahrungen auch ein stets ganz gesundes und richtiges Urteil; aber im übrigen ist er derungesellschaftlichste Mensch, und von einer Humanität ist bei ihm gar keine Rede! Na, na, essei uns gratuliert, daß der unsere Behörde geworden ist! Wahrlich, da werden wir, unsereKinder und Kindeskinder von guten Zeiten zu erzählen wissen! Auswandern wäre hier freilichdas beste, – aber wohin?“[017,02] Hier erhebt sich Mathael und sagt: „Gut, so ihr auswandern wollet, dawandert in nun mein Reich, das über Kleinasien hinaus am weiten Pontus liegt! Es ist eingroßes Reich und von zwei großen Meeren begrenzt, im Westen vom Pontus und im Ostenvom MARE CASPIUM. Dort werdet ihr unter meinen aber wohl allerstrengsten Gesetzenganz sicher und recht sehr ruhig zu leben haben. Nur das sage ich euch, daß in meinem Reicheauch nicht einmal ein Schein von einer ungerechten Handlung vorkommen darf, und eine jedeLüge wird auf das allerschärfste und unnachsichtlichste bestraft; aber der vollkommenrechtliche, wahrheitsliebende und von aller Selbstsucht freie Bürger soll unter meinemehernen Zepter das beste Leben haben![017,03] Niemand soll bei mir tributfrei sein; denn wer da eine Kraft zu einer oderder andern Arbeit hat, der soll nur arbeiten und sich etwas verdienen! Wer sich aber etwasverdient, der kann auch einen Tribut an den König entrichten, der stets für das Wohl desganzen Reiches zu sorgen hat und daher stets mit vielen und großen Schätzen versehen seinmuß, um eine Wehrmacht zu unterhalten, die stark genug ist, um irgendeinem kecken Feinde

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die Spitze bieten zu können.[017,04] Er, der mächtige König, muß Schulen und Zuchthäuser unterhalten und mußdie Grenzen des Reiches mit starken, unüberwindlichen Festungen versehen, über dieirgendein Feind nicht gar zu leicht springen kann, – wozu aber sehr viel Geld erfordert wird.[017,05] Ihr sehet aus dem, wie ein König gar strenge darauf sehen muß, daß einjeder Mensch ihm den pflichtigen Tribut zahlt; und so könnet ihr nun schon in mein Reichüberwandern, so euch die Verpflichtungen, die ich von jedem Untertan mit allerunnachsichtlichsten Strenge fordern werde, behagen! Meine Bewilligung habt ihr; sollte euchdas Joch Roms unter der Verwaltung des alten Markus zu sehr drücken, dann wisset ihr nunschon, wohin ihr auszuwandern habt![017,06] Um euch aber mit allen meinen Einrichtungen im allgemeinsten bekannt zumachen, so sage ich euch noch das, daß bei mir kein unbeschränktes Erwerbsrecht jejemandem gestattet wird. Jedermann steht es zwar offen, sich ein Vermögen zu sammeln; dasaber die Zahl ,zehntausend Pfunde‘ niemals, sogar bei Todesstrafe, übersteigen darf. Alles,was jedermann irgend darüber erwerben würde, müßte er allergewissenhaftest an dieallgemeine Staatskasse abführen; im Gegenfalle, der sich nach meiner Einsicht schnellstauffinden und erweisen läßt, wird der Übertreter dieses für das allgemeine Staatswohl allermeiner Völker so überaus heilsamen Gesetzes seines ganzen Vermögens verlustig erklärt unddazu noch mit anderen schärfsten Strafen belegt werden.[017,07] Zudem wird es auch niemandem gestattet, sich in einer zu kurzen Zeit dieerlaubten zehntausend Pfunde zu erwerben; denn es ist nur zu einleuchtend, daß ein solcherGewinn in einer zu kurzen Zeit ohne allerlei Betrug und andersartige gewaltsameErpressungen nicht denkbar möglich ist, außer durch ein Geschenk oder durch eine Erbschaftoder durch einen möglichen Fund.[017,08] Bei Schenkungen, Erbschaften und Auffindungen aller Art aber besteht inmeinem Reiche folgende höchst weise Anordnung, daß davon stets die Hälfte an dieStaatskasse abzuliefern ist, aus welcher fürs erste die unmündigen Kinder erzogen und ernährtwerden, wie auch andere arme, jeder Arbeit unfähige Menschen. Kurz, in meinem Reiche istdie Anordnung also getroffen, daß darin niemand Not leiden, aber auch niemand einenunnötigen Überfluß haben soll! Er müßte denn ein gar außerordentlich guter, weiser undallerrechtlichster Mensch sein, dann soll er auch über zwanzigtausend Pfunde zu gebietenhaben, – über mehr aber schon niemand in meinem ganzen Reiche, außer mir und meinenallervertrautesten Beamten und Feldherrn![017,09] Wenn ihr mit dieser meiner Staatseinrichtung zufrieden seid, so packet eureSachen zusammen und übersiedelt in mein Reich!“[017,10] Sagt Roklus: „O du feiner König des Pontus und des Mare Caspium, wirwünschen dir sehr viel Glück in deinem Reiche, werden aber von deinem löblichen Antragedennoch keinen Gebrauch machen! Da sind wir schon lieber römische Sklaven denn deineallerersten Reichsuntertanen. Nein, so eine Staatseinrichtung könnte uns etwa so ein bißchengestohlen werden! Die Mohren dort haben sicher eine menschlichere! Ist etwa noch so einKönig irgend hier, der uns so einen herrlichen Antrag machete?![017,11] Es mag sich zwar deine Regierung recht gut machen, so man sich derselbeneinmal so angewöhnt hat wie der Ochse an sein Joch; aber jetzt? Höre, da sollen noch eherzehn Städte über unsern Häuptern zusammenbrennen und zwanzig Markusse über uns gesetztwerden! Lebe wohl, du weiser König des eisgrauen Nordens!“

18. Kapitel[018,01] Hierauf wendet sich Roklus wieder an den Cyrenius und sagt: „Herr, Herr,Herr, wo ist der Markus, nun unser Herr und Gebieter, auf daß wir ihm darbrächten unsereHuldigung?“[018,02] Sagt Cyrenius: „Dessen hat es keine Not; denn mit einer Huldigung vollleerer Worte ist ihm nicht gedient, und anderer Schätze benötigt er nicht, da er mit derlei mehrdenn zur Übergenüge ausgerüstet ist.[018,03] Die beste Huldigung aber wird ihm sein, daß ihr allzeit redlichen und

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offenen Herzens zu ihm kommet und ihm euer Anliegen vortraget; da wird er euch auchanhören und euch ein volles Recht verschaffen! Jede Lüge aber, die sein Scharfsinnaugenblicklich entdeckt, wird er auf das strengste und unnachsichtlichste ahnden! Denn es istdes Kaisers und auch mein vollernstlicher Wille, die Lüge und den Betrug aus dem ganzenReiche zu verbannen und nur allein die reine Wahrheit, gepaart mit der ebenso reinen unduneigennützigen Liebe, herrschen zu lassen über alle Menschen, die weit und breit Romangehören; denn nur unter dem Zepter der Wahrheit und der Liebe können Völker wahrhaftglücklich leben. Und wer weiß es, ob es mir nicht gefallen wird, des nordischen Königsüberaus weise Regierungsmaximen auch im römischen Reiche einzuführen; denn ich habe siezu wahrem, brüderlichem Gedeihen der Menschen eines großen Reiches für überaus weiseund zweckmäßig gefunden.[018,04] Durch solche weisen Beschränkungen muß Wahrheit und Liebe in einemStaate den Menschen zur zweiten, wahren und bessern Natur werden! Denn nach meinernunmaligen Ansicht gibt nichts so sehr der Lüge, dem Betruge und der Selbstsucht Vorschubals der unbeschränkte Erwerb. Eine weise Beschränkung dieses wahren Vaters der Lüge, desBetrugs, der Selbstsucht, des Hochmuts, der Herrschgier und der geizigsten Hartherzigkeit istwahrlich mit keinem Golde zu bezahlen, und ich werde diese Ansicht jüngst dem Kaiser zurPrüfung einsenden. Unterdessen aber werde ich wenigstens in meinem unumschränktenRegierungsgebiete diese nordische Regierungsweise sobald als tunlich einführen; dennwahrlich, sie ist wie von einem Gott gegeben weise!“[018,05] Sagt Roklus: „Unweise ist sie gerade nicht, wo sie schon, wenn auch nurannäherungsweise, seit mehreren Hunderten von Jahren besteht; aber sie nun hier einführenwollen in diesen an allerlei Fürsten und Vierfürsten verpachteten Ländern, das wird sich soleicht nicht tun. Mit der absoluten Macht kann man zwar sehr viel ausrichten, aber allesdennoch lange nicht, weil ein Kaiser denn doch auch die Verträge, die er mit auch nicht ganzmachtlosen Fürsten geschlossen hat, nicht von heute bis morgen umstoßen kann, sondern sieals ein von ihm ausgehendes und festgestelltes Recht respektieren muß so lange, bis ihrestipulierte (vereinbarte) Zeit abgelaufen ist oder die Kontrahenten die bedungenenVerbindlichkeiten entweder böswillig oder als leistungsunfähig nicht eingehalten haben, wasnach der Art des gemachten und geschlossenen Vertrages denselben entweder ganz oderwenigstens zum Teil aufhebt! Solange sonach aber der Kaiser die Länder an gewisse Fürstenverpachtet und diese in ihren Landen auch für ihre Untertanen Gesetze zu geben das Rechthaben, weil sie es teuer genug bezahlen, so lange muß der Kaiser das festgesetzte Recht auchrespektieren. Wir alle leben wohl in einer gewissen Hinsicht unter römischen Gesetzen, so wiruns eines Verbrechens gegen den Staat schuldig machen, was bei uns wahrlich nicht der Fallist; in allem übrigen aber sind wir unter den Gesetzen eines jeweiligen Pachtfürsten stehend,der uns in der bedungenen Pachtzeit gegen willkürliche Eingriffe des Kaisers in vollen Schutzzu nehmen hat.[018,06] Weißt du, hoher Herr, Herr, Herr, wir kennen den Standpunkt genau, aufdem wir stehen, und benötigen diesfalls keines Kommentars! Wir kennen unsereVerpflichtungen gegen Rom und die gegen unsere Fürsten. Bevor wir bei euch ein Rechtsuchen, gehen wir zu unserem Fürsten. Bescheidet der uns nach Rom, dann erst kommen wirzu euch. Daher glauben wir, daß es dir vorderhand etwa doch nicht zu leicht werden sollte,hier in ganz Palästina des nordischen Königs weise Regierungsnorm einzuführen!“[018,07] Sagt Cyrenius, nun schon ein wenig in eine Art Hitze gebracht: „Du hastzwar einesteils recht, daß die Kontraktpunkte einzuhalten sind; aber an eines hast du nichtgedacht, daß sich nämlich der Kaiser in einem jeden Länderpachtkontrakte die unbedingteund augenblickliche Auflösung des Vertrages stets weislich vorbehalten hat, wenn er selberseiner Ansicht nach als der Regierung förderlich, für nötig erachten würde. Der Pächter hat insolchem Falle bloß eine einjährige Vergütung vom Kaiser anzuflehen, und dem Kaiser fälltvon dem Augenblick der Bekanntmachung solches seines Willens an das Regiment des früherverpachteten Landes anheim, und jedermann hat sich dessen Gesetzen zu fügen. Es steht zwardem Pächter das ihm gnädigst gewährte Recht zu, dem Kaiser eine Vorstellung dahin zumachen, daß er bei ihm belassener Pachtung sich jedes Rechtes entschlage, ein von ihm

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ausgehendes Gesetz zu geben, sondern ganz nach dem gegebenen kaiserlichen Gesetze seineRegierung fortführen werde, worauf der Kaiser ihm dann freilich den Pachtvertrag als fürdergeltend erklärt, so er will; aber Zwang ist da keiner denkbar möglich, wohl aber die pure,freieste Gnade des Alleinherrschers.[018,08] Für Palästina bin sogar ich mit denselben Vollmachten gegen jeden Pächterversehen und kann jede Pacht sogleich völlig auflösen! Du bist demnach sehr irre, so dumeinst, ein Kaiser werde sich irgend eines Rechtes begeben und also sich selbst die Händebinden. Oh, so weise ist sicher ein jeder Monarch, daß er niemandem ein Recht erteilt, dasheißt in seinem Reiche, das er nach Umständen nicht bloß durch sein Wort schon im nächstenMomente gänzlich aufheben könnte![018,09] Ein Kaiser kann alles, was er will, ausführen! Nur Wunder kann er natürlichnicht wirken und keine Welt erschaffen; sonst aber kann er schon alles zustande bringen, diealten Gesetze verwerfen und neue dafür schaffen, – ja er kann sogar die alten Götter samtihren vielen Tempeln zerstören und dafür dem einen, wahren Gott einen neuen undallerherrlichsten Tempel erbauen, und niemand wird zu ihm sagen dürfen: ,Herr, Herr, Herr,was tust du?!‘ Und so kann er morgen schon des weisen Königs Gesetze in seinem ganzenReiche ausrufen lassen. Wer wird sich denselben widersetzen wollen und können, ohne daß ererreicht würde von des mächtigen Kaisers Zorn?!“

19. Kapitel[019,01] Sagt Roklus: „Ich sage ja nicht, daß des nordischen Königs Gesetze unweiseoder gar ungerecht und grausam seien; nur für unsereinen wären sie nun denn doch ein wenigunbequem! Und ich meine darum doch, Rom, dir und dem alten Markus keine Unehreanzutun, so ich ganz festweg behaupte, daß mir Roms gegenwärtige Gesetze um sehr vieleslieber sind denn die sicher nicht unweisen des nordischen Königs, dessen Reich einer altenSage zufolge gar bis ans Ende der Welt reichen soll und somit wohl das größte Reich der Erdesein wird. Ob es ihm aber möglich sein wird, seine weisen Gesetze allen Völkern seinesweitesten Reiches nur zu verkünden, das ist eine ganz andere Frage! Wohl ihm und seinenVölkern, so er dazu imstande sein wird! – Nun erlaube mir aber noch eine ganz harmloseBemerkung; denn so ich schon einmal offen sein muß, da bin ich gerne ganz offen und scheuejede Verdecktheit![019,02] Du, hoher Herr, Herr, Herr, hast ehedem die Bemerkung gemacht, daß einKaiser keine Wunder wirken könnte und keine Welt erschaffen; aber dem scheint eswenigstens mir nicht völlig also zu sein. Denn dies neue Prachthaus des alten Markus, diegroße Gartenmauer, woran hundert der besten Maurer mindestens fünf Jahre vollauf zu bauenhätten, wenn man die Behauung der schönsten Granitquadersteine und ihre Herbeischaffungmit in den Anschlag nimmt, und endlich sogar die Versetzung eines so großen Gartens in denvollsten Kulturstand, und gar am Ende noch, wie ich nun erst bemerke, die Erbauung einessehr großen und sicheren Hafens und mehrerer ganz neuer, großer Segelschiffe, was nachunserer genauen Bemerkung von einem Hügel der Stadt aus alles wie durch einenZauberschlag auf einmal fix und fertig dastand, – ja, wenn das nicht Wunder wirken heißt,dann leiste ich auf alles Verzicht, was bei mir Mensch heißt, und will ein Krokodil sein![019,03] Und weil ich denn nun schon einmal ohne Schiffbruch diesen zwar kleinen,aber dennoch sehr kitzligen Punkt berührt habe, so muß ich nun schon im Namen meiner elfGefährten offen eingestehen, daß mein ganzes früheres, tolles Verlangen eigentlich bloß einereine Finte war, um durch sie zu diesem Geheimnisse zu gelangen und zu erfahren, wiesolches möglich war! Denn auf einem natürlichen Wege ist das alles unmöglich entstanden!Und so sage ich dir nun erst die Wahrheit, daß uns die Neugier auf Leben und Todhierhergezogen hat! Wir alle dachten einstimmig, als wir das alles in Blitzesschnelle entstehensahen: Da muß entweder ein Gott oder ein urindischer großer Magier zugegen sein, da soetwas mit natürlichen Menschenkräften doch unmöglich auszuführen ist! Wir entschlossenuns denn auch schnell, unter irgendeinem Vorwande hierherzueilen, um hinter das Wunderund dessen Meister zu gelangen.[019,04] Alle unsere früher vorgeschützte Rechtsangelegenheit ist eine reine Null,

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eine pure, nichtige Finte, um doch irgendeinen Anhaltspunkt zu haben, der sich ganz knappum das entstandene Wunder dreht. Und siehe, die Finte war gut, da wir durch sie doch zumeigentlichen Grunde unseres Hierherkommens gelangten! Wir ersuchen dich nun demnachflehentlichst, uns darüber ein kleines Lichtlein zu geben, – koste es, was es wolle! Wir wollendem guten, biedern, alten Markus nicht nur nichts wegnehmen, sondern verpflichten uns nochobendrauf, für ihn den andern, noch brachliegenden Grundanteil in den besten Kulturzustandauf unsere Kosten – und müßten wir das Erdreich aus Europa herbeischaffen! – zu setzen;aber nur hinter dies Wundergeheimnis laß uns blicken!“[019,05] Sagt Cyrenius: „Ja, das hat nun mit euch freilich ein ganz anderes Gesicht,bei dem ihr offenbar besser fortkommen werdet als mit eurer früheren, höchst ungerechtenAnforderung, mit der ihr bei mir wahrlich schlecht zum Teile gekommen wäret!“[019,06] Sagt schnell Roklus: „Das wußte ich und wir alle recht gut, und das ausvieler Erfahrung! Du bist nun schon stark über die dreißig Jahre unser allergerechtester undzugleich gütigster Gebieter, und wir kennen dich und alle deine schwachen Seiten. Man mußdich zuvor ja allzeit in einen gewissen Eifer versetzen, wenn man von dir etwasAußerordentliches erfahren will, und so war es denn auch hier, was du uns sicher der gutenSache wegen gerne verzeihen wirst!“[019,07] Sagt Cyrenius: „Ja, aber auf was stützet ihr denn eure Behauptung dafür,daß dies alles auf eine wunderbare Weise entstanden sei? Ihr habt es wohl heute als fertigentdeckt, habt aber die sieben Tage hindurch wahrscheinlich wenig oder auch gar nicht daraufgeachtet, wie meine Soldaten und Krieger daran gearbeitet haben!“[019,08] Sagt Roklus: „Herr, Herr, Herr, lassen wir das gut sein! Seit du mitten untereiner bedeutenden Streitmacht dich uns wohlbekanntermaßen hier aufhältst, haben wir unsernHügel wohl Tag und Nacht nicht verlassen, um von weitem zu erspähen, was etwa doch vonhier aus alles von euch Römern unternommen werden möchte. Heute hatte uns derwunderherrlichste Morgen um so früher herausgelockt. Unsere Blicke waren natürlichfortwährend auf diese Gegend gerichtet. Bis vor einer kleinen Stunde sahen wir nichts, alswas, seit wir diese Gegend kennen, zu sehen war; aber, wie gesagt, vor einer kleinen Stundeentstanden hier Haus, Garten, Hafen und Schiffe, wie gerade vom Himmel herabgefallen! –Und höre, – das sollte kein Wunder sein?![019,09] Haben wir doch vor drei Stunden die ganze Legion, oder wie viele ihrerwaren, von Mohren hierherziehen sehen und haben auch bemerkt, wie ihr heute morgen vomBerge herabgegangen seid; denn wir haben ziemlich scharfe Augen! Es ist dies alsounbestreitbar ein Wunder der allerkolossalsten Art, und wir möchten darum denn doch nur einganz kleines Lichtlein haben, wie und durch wen solches bewirkt worden ist!“[019,10] Sagt Cyrenius: „Nun also denn, – wenn ihr es besser wisset denn ich, sobleibet beim Wunder! Das ,Wie‘ aber und ,Durch wen‘ brauchet ihr gar nicht zu erfahren;denn dazu wird ein mehreres erfordert, als bloß hierherzueilen und schlauerweise hinter solchein Geheimnis zu gucken![019,11] Wenn ein kluger Staatsmann gleich aller Welt seine besonderenGeheimnisse auskramen wollte, da würde er mit seiner Politik ganz verdammt kurze Sprüngemachen, und seine Untertanen würden ihn nur zu bald bei der Nase nach rechts und nach linksherumziehen! Weil aber ein Staatsmann schon zumeist durch Politik sein Reich und seineUntertanen regieren muß, weil sie als jedes für sich selbständig das allgemeine Staats- undVölkerwohl nicht zu erkennen imstande sind, so würden die Einzelstände, die außer sichniemanden sehen und kennen, sich dazu kaum herleihen, und es wäre damit für irgendeinarmes Volk schlecht gesorgt.[019,12] Ein rechter Regent muß daher eine rechte Macht, Wissenschaft in allenDingen und eine gar feine Klugheit besitzen, – und also ist er erst ein rechter Herr, Gebieterund Leiter von vielen tausendmal Tausenden von blinden Menschen, die gar nicht zuberechnen imstande sind, welch ein großer Wohltäter ihnen ein rechter Herrscher ist! Daß einrechter Herrscher aus gar sehr weisen Gründen seine Untertanen nicht allzeit in die Karteblicken lassen kann und also vor der Zeit verraten seinen guten Plan, das ist ganz klar undsehr begreiflich, und so wird es auch euch sehr klar und ganz begreiflich sein, warum ich euch

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dieses Geheimnis nun nicht näher enthülle; denn das werdet ihr wohl einsehen, daß einRegent mehr zu leisten imstande sein muß denn ein anderer Mensch, ansonst er sicher einganz magerer Regent wäre! Welchen Respekt hätten seine Untertanen wohl vor ihm, so erihnen gegenüber im Notfalle nicht auch so ein bißchen allmächtig wäre? Gehet nun hin undbesehet euch euer Wunderwerk näher, und kommet dann erst wieder; vielleicht wird sichdann mit euch ein etwas vernünftigeres Wörtlein reden lassen! Aber für jetzt sind wir fertig!“

20. Kapitel[020,01] Darauf eilen die zwölfe freudigst in den Garten und besehen mit der größtenVerwunderung alles, was der Garten enthält, und werden auch vom Markus selbst ins Hauseingeführt, wo sie alles in den verwundertsten Augenschein nehmen. Aber Markus sagt ihnenso wenig wie Cyrenius etwas Näheres, trotz alles ihres noch so artigen Fragens; denn Ich habesolches alles dem Cyrenius eingegeben, wie auch zuvor dem Mathael, was sie zu reden hatten,und so ward hier die Möglichkeit angebahnt, auch diese Erzkäuze zur Wahrheit des Geistes zubekehren, die nun nach einer halben Stunde samt Markus wieder voll Neugier zu unskommen.[020,02] Als Markus mit dem Raphael, der ihm die Zwecklichkeit alles dessengezeigt hatte, was sich im Hause vorfand, und mit den zwölf Deputierten ankam an MeinemTische, sagte der Raphael geheim zu ihm: „Erspare dir diesmal ein lautes Mundlob an denHerrn, der solches ohnehin laut genug aus deinem Herzen vernimmt; denn es handelt sich nundarum, daß möglicherweise diese zwölf Cäsaräer, die eigentlich gar keinen Glauben haben,sondern pure Atheisten aus der schönen Schule Epikurs, eines Hauptgründers des liebenEssäergremiums, sind, auch zum Herrn bekehrt werden![020,03] Es sind sechs Griechen und sechs Juden, die aber alle vollkommen einesSinnes und einer Ansicht sind und geheim dem Orden der lieben Essäer angehören. Kurz, essind das zwölf so rechte Mordskerle, mit denen durchaus nicht leicht zu verhandeln sein wird.Sie sind sehr reich und besitzen unermeßliche diesirdische Schätze, aus welchem Grunde siemit dem Oberstatthalter auch so ganz leichtweg reden, als wären sie ihm ebenbürtig.[020,04] Es wird schwerhalten, sie zu bekehren! Aber wenn es gelingt, sie – nicht sosehr durch irgend auffallende Wunder als vielmehr durch Worte – zur Wahrheit zu führen, soist damit sehr viel gewonnen; denn von diesen zwölfen hat ein jeder gut über hunderttausendMenschen als ein Herr zu verfügen.[020,05] Der Herr darf ihnen vorderhand gar nicht verraten werden. Der Mittelpunktbleibt nun Cyrenius, und nach ihm, wenn es not tun sollte, kommst du; und wenn sich's gutfügt, dann komme erst ich, und am Schlusse erst der Herr Selbst! Bleibe aber nun nur hier;denn es wird das eine Haupthetze werden! Aber nun stille!“[020,06] Fragt Cyrenius den Roklus: „Nun, wie gefiel euch mein Wunderbau?Könntet ihr auch einen gleichen aufführen?“[020,07] Sagt Roklus: „Höre du mir auf mit dem Wunderbaue, wie aus deiner Handhervorgehend! Du bist zwar ein mächtigster Herr, Herr, Herr durch die große Anzahl deinerSoldaten und ihrer scharfen Schwerter; aber das Haus und den Garten und den Hafen und diegroßen Schiffe hast du ebensowenig wie wir erbaut![020,08] Du hättest sie wohl erbauen können mit vielen Bauleuten in 5-10 Jahren,das lasse ich dir sehr gerne gelten; denn des Schwertes und des Geldes Macht ist groß indieser Welt. Einer eurer sehr berühmten Dichter, den ich gelesen habe, sagt von denMenschen: ,Nichts ist den Sterblichen zu schwer; sogar den Himmel will erklimmen derMensch in seiner Tollkühnheit!‘ (Horaz) Und es ist also mit dem Menschen, diesem nacktenWurme des Staubes! Man gebe ihm Mittel, Macht und Zeit, und er wird dir bald ganze Bergezu versetzen anfangen und Meere und Seen austrocknen und wird geben den Strömen einneues Rinnsal! Das ist demnach aber alles zusammen kein Wunder, sondern ein ganznatürliches Handeln der Menschen mit vereinten Kräften zu einem und demselben Zwecke.[020,09] Aber das Haus hier, der Garten und sein allerüppigster Kulturzustand, dieihn umfassende und schützende Mauer, die wie gegossen dasteht und das Ansehen hat, alswäre sie aus einem Marmorstücke, ebenso die große und hohe Hafenmauer, die hie und da

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wohl eine Tiefe von 10-20 Mannshöhen haben dürfte, und gar die fünf großen Flaggschiffemit dem vielen Tauwerk! Mein sonst sehr weiser und mächtigster Gebieter, das zaubert dietollkühne Menschheit, wie auch das ,Tischchen deck dich!‘ der persischen Zauberer, in einemAugenblicke nicht daher, wie es hier vor uns der Fall war und ist und auch sicher bleibenwird; denn das ist keine morganische Sinnentäuschung durch leere und nichtige Gebilde derLuft, sondern die allergediegenste Wahrheit, die da ein jeder empfinden wird, so es ihngelüsten sollte, mit dem Kopfe durch diese Mauern rennen zu wollen.[020,10] Ich habe noch nie gesehen bei all den hundert von mir gesehenen Magiern,daß irgendeines ihrer Werke für bleibend stehengeblieben wäre. Es geschieht wohl etwas,wovon man nicht weiß wie und mit welchen Mitteln, und es kommt auch allzeit etwas zurSicht; aber bald vergeht es wie eine Schaumblase auf dem Wasser, und ist es einmal weg, soruft es kein Magier mehr ins Dasein zurück! Ich möchte aber den Zauberer sehen, der mirdiese Werke auch so mir nichts dir nichts hinwegblasen könnte! Bei dir möchte ich ohneweiteres mein ganzes Vermögen daransetzen, daß es dir nimmer gelingen würde, das allesbloß so mit einem Gedankenstriche hinwegzuhauchen!“

21. Kapitel[021,01] (Roklus:) „Daher ist nun mein Gedanke von der Art: Ich habe zwar an keineGottheit mehr geglaubt, sondern an eine geheime, rein geistige Allkraft der Natur, dieallenthalben ganz ernstweise und dabei dennoch freundlich sich zeigt und nach den ihrzugrunde liegenden Gesetzen in einer bestimmten Ordnung gleichfort wirkt und sich sichernie darum kümmert, was die vergänglichen Menschen machen. Sie kennt kein Gutes und keinBöses; denn das bewirken nur die argen Menschen unter sich. Die große, heilige Natur weißnichts davon![021,02] Es ist ein großes Unglück für den Menschen, ein Sklave zu sein; aber werhat ihn zum Sklaven gemacht? Die großheilige Natur sicher nicht, sondern nur der zufälligstärkere Mensch hat aus lauter Lust fürs höchsteigene Nichtstun und dennoch dabei Gut- undBequemleben den Schwächeren zu seinem Lasttiere gemacht, und im gleichen Maße auch dasVieh. Wer warf an den Nacken des Ochsen das harte und schwere Joch, wer belastete denEsel, das Kamel und das mutige Pferd, und wer erbaute sogar Türme auf dem Rücken desgeduldigen Elefanten? Wer erfand das Schwert und wer die Ketten, die Kerker und gar dasallerschmählichste Kreuz, an das ihr Römer die unfolgsamsten und eigensinnigstenMenschen, die auch herrschen und morden möchten, festknebelt und sie unter den größtenSchmerzen den Tod erleiden laßt? – Alles, alles das Elend stammt vom Menschen her![021,03] In der großen Natur ist alles frei; nur der Mensch ist gleichsam ein Fluch fürsich und für die gesamten anderen freien Werke der großen Meisterin, der Natur. MüßigeMenschen fingen einst an, sich Luftburgen zu erbauen und erfanden die nichtigen Götter, diesie ganz nach sich und mit allen den menschlichen bösen Leidenschaften ausgerüstet sichdachten und auch also gestalteten. Mit diesen Göttern errichtete also der Mensch sich neuePlagegeister, die für sich dem Menschen sicher nie etwas zuleide tun würden; aber derMensch erbaute diesen von ihm erfundenen Göttern, die in der Wirklichkeit nie irgend warenund auch nie irgend sein werden, Tempel und weihte sich selbst zu ihren Stellvertretern,versehen mit allerlei Treib- und Schreck- und Plagemitteln, und führte dadurch nebst seinerHerrschaft über die schwache Menschheit auch die allerunerbittlichste Tyrannei der von ihmerfundenen unsichtbaren Wesen ein. Die in der Wirklichkeit nie irgend existiert haben,existieren nun fort und fort zur Qual der armen Menschheit, aber dafür desto mehr zumNutzen und Frommen der Mächtigen, weil diese durch ihre vorgeschützte mächtigeEinflußnehmung viel leichter denn durch das ledige Schwert die Menschheit im blindenGehorsam erhalten. Und so kann man naturgerecht mit der reinen Vernunft denken wie manwill, so steht überall der starke und mächtige Mensch für alles alles, was nur immer irgendvorkommen kann, da und herrscht bald als ein mit Schwert und Lanze wohlversehener Königund gleich daneben aber auch als ein schon allmächtigster Stellvertreter der Götter. Wehedem, der da sich als ein uneingeweihter Mensch erkühnen würde, hinter den von Menschengewebten Schleier der Isis zu blicken! O weh, o weh, o weh, – den würden die Götter schön

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zurichten![021,04] Das war bis jetzt mein freier Glaube, der aber nun durch diese Erscheinungeinen ganz jämmerlichen Rippenstoß erhielt, und ich fange nun an, denn doch an ein höheresGottwesen ganz leise zu glauben, weil ich nur zu auffallend einsehe, daß so ein Werk keinMensch mit seinen bekannten Kräften zuwege bringen kann und auch nie zuwege bringenwird. Das kann denn nur eines Gottes Werk sein, der zwar auch nur eine Art Mensch seinkann, aber ein Mensch, dem die Kräfte der großen Natur leicht und allzeit sicher derartgehorchen wie die gemeinen Krieger einem erprobt einsichtsvollen Feldherrn, von dem siewohl wissen, daß er noch niemals irgendeine Schlacht verloren hat.[021,05] Aber diesen Gottmenschen möchte ich hier nun kennenlernen! Du, hoherCyrenius, bist es in keinem Falle. Denn wäre dir das möglich, so wäre das große römischeKaiserreich schon lange mit einer berghohen Mauer umfangen, über die zu fliegen selbsteinem Adler grauen müßte. Gib uns, du hoher Herr, Herr, Herr, darüber nur einigen Bescheid,und wir wollen dann ganz ruhig von hier wieder heimkehren!“[021,06] Sagt Cyrenius: „Wäre schon alles recht, wenn dies nur gleich so mir undeuch nichts gang und gäbe sein könnte; aber dem ist nicht also, als wie ihr es euch etwavorstellet! Ihr könnet wohl einen Feldhüter fragen, um welche Zeit es sei, und er wird euch,wenn die Sonne scheint, nach seinem in die Erde gesteckten Pfahle genau und ohne Anstandkundtun des Tages Stunde, wofür ihr ihm dann einen Stater zu entrichten habt; aber hier gehtdas nicht gleich also! Geduldet euch, vielleicht kommt am Ende denn doch noch etwasheraus; aber es wird das schon etwas mehr kosten als einen Feldhutstater!“[021,07] Sagt Roklus: „Nun, für so etwas können wir auch ein Pfund Goldes undzehn Pfunde Silbers, ja auch noch mehr, in die Schanze schlagen!“[021,08] Sagt Cyrenius: „Ja, wenn man so etwas um viel Gold und Silber erkaufenkönnte, so wäre das freilich etwas anderes! Aber ich kann euch diesfalls dahin dieallerbestimmteste Versicherung geben, daß das um gar keine Schätze der ganzen Welt erreichtwerden kann! Wofür es aber erreicht werden kann, darüber müßt ihr erst belehrt und durchnoch so manche Proben aus euch selbst geläutert werden! Vom größten Unglauben an einenGott der Person nach und an andere persönliche, gottähnliche Wesen durchdrungen und imselben förmlich erzogen, wollet ihr, um dann eine recht derbe Lache über uns alle in euremAlleinbeisammensein erheben zu können, nun gleich von mir eine Anzeige Dessen erfahren,dem es möglich war, alles bloß durch Seinen allmächtigen Willen im schnellsten Momentehervorzurufen! Da sage ich: Halt, meine Lieben, wir werden erst sehen, ob ihr irgendeinesGlaubens fähig seid! Kann bei euch gar kein Glaube mehr Eingang finden, so kann an euchauch die von mir verlangte Mitteilung nicht gemacht werden! Ist bei euch aber noch einGlaube möglich, so werdet ihr mit dessen Lebendigwerden auch alles andere zu erhaltenimstande sein! – Habt ihr mich wohl verstanden?“[021,09] Sagt Roklus: „Verstanden ganz sicher; denn keiner von uns ist vernageltenGehirnes! Aber es ist für uns dein Verlangen vorderhand so gut wie rein unmöglich, wofürwir dir zum Teil unsere Gründe schon dargetan haben und dir, so du sie zu hören wünschest,noch weiter dartun wollen und können!“[021,10] Sagt Cyrenius, durch Mein ihm auf die Zunge gelegtes Wort angetrieben:„So tut solches, und ich werde daraus entnehmen, wie weit ihr euch vom Wege der Wahrheitentfernt habt! Lasset denn hören eure Gründe, und ich werde daraus ganz wohl zu entnehmenimstande sein, ob ihr einer wahren, geistigen Bildung fähig seid, und ob man euch eurenWunsch wird gewähren können! Denn seid ihr keiner reingeistig wahren Bildung mehr fähig,dann möget ihr wieder in Frieden von hier ziehen und leben nach den Lehren eures Epikur,der für mich einer der allerletzten Weltweisen ist![021,11] Ja, man kann nach Epikur als ein reicher und physisch kerngesunderMensch mit dieser Welt am besten auskommen; denn der Grundsatz: ,Man sei seiner selbstwillen ehrlich und wohlverträglich gegen jedermann, – aber stets gegen sich selbst amehrlichsten!‘ läßt sich zwar mit weltlichen Ohren anhören, aber eines Menschen von GottesOdem erweckte Seele schaudert davor, weil so ein Epikuräer doch stets nur ein abgefeimterEgoist ist und nur für seine Haut sorgt! Was kümmern ihn alle Menschen? Kann er von ihnen

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keinen Vorteil ziehen, so können sie alle vom Blitze getötet werden.[021,12] Das sind so die Hauptzüge eines Epikuräers! Wieviel Geistiges in solcheinem steinernen Gemüte Platz hat, das wird hoffentlich wohl schon sogar für jeden Blindenmit Händen zu greifen sein. Ja, zum Reichwerden auf dieser Erde taugen des Epikur Lehrenam meisten, besonders wenn sie mit dem stoischen Zynismus unterspickt sind, wie es beieuch der Fall ist; aber zum Geistig-Reichwerden taugen sie am allerwenigsten, weil sie diereine Liebe zu Gott und zu dem armen Nächsten gänzlich ausschließen. So viel zu eurerSelbstbeleuchtung! Und nun lasset eure Gründe für euer recht essäisches Atheistentumhören!“

22. Kapitel[022,01] Sagt Roklus: „Du hast recht, wir sind das alles, wie du soeben einen echtenEpikuräer gezeichnet hast, und befinden uns diesirdisch ganz wohl dabei! Für unsernAtheismus aber haben wir so viele der allertriftigsten Beweise, daß wir damit das ganze,große Meer ausfüllen könnten. Ich will dir nur über die dir schon bekanntgegebenen nochwelche hinzufügen, und ich hoffe, daß du daran genug haben wirst, und du wirst uns auch mitoder ohne deinen Willen recht geben müssen! Und so wolle mich denn gnädigst anhören![022,02] Sieh, alles, was irgend ein wie immer geartetes Dasein hat, äußert sich stetszu Zeiten auf eine für alle Menschen ohne Ausnahme fühlbare Weise! Ist das daseiendeWesen ein mit irgendeiner Art Vernunft begabtes, so wird diese aus seinen Werken gar leichtund bald ersichtlich sein; ist aber ein Wesen, wie zum Beispiel eine Bildsäule, mit gar keinerVernunft begabt, so werden vom selben entweder gar keine oder nur solche Werke ersichtlichsein, die der blindeste Zufall an dem Wesen verübt oder demselben angefügt hat. Wodemnach irgendeine wenn noch so beschränkte Intelligenz vorhanden ist, da wird sie sichauch ehest durch die von der innern Intelligenz ausgehenden ordentlichen Erscheinungswerkeäußern.[022,03] Zum Beispiel: Eine noch so einfache Moospflanze beschafft sich selbsteinmal eine ganz ordentliche Form und bildet dafür auch ihren Organismus aus, aus dem siesich dann im weiteren Verfolge Blüte, Samenkorn und mit diesem dieFortpflanzungsfähigkeit beschafft. Bei höherstehenden Pflanzen ist nach einer gewissenStufenfolge eine größere und entschiedenere Intelligenz noch um vieles ersichtlicher underkennbarer.[022,04] Gar entschieden tritt dann erst bei den Tieren eine innere Intelligenz auf,deren Werke, wennschon in der Anzahl und im Wechsel noch sehr beschränkt, die desMenschen in vielfacher Hinsicht übertreffen. Des Menschen Werke zeugen wohl von seineräußerst umfangreichen Intelligenz; aber nirgends ist eine von innen ausgehende Vollendungersichtlich, ein Etwas, das den Werken der Tiere durchaus nie und nirgends abzusprechen ist.Also stehen auch eines Tieres Außenwerke inniger mit seinem Wesen und Charakter imVerbande, als wie das beim Menschen, diesem Gotte der Erde, der Fall ist.[022,05] Des Menschen Werke sind eigentlich nur eine Nachäfferei und bestehen ausplumpen, bloß äußeren Formierungen, die jedes eigentlichen inneren reellen Wertes bar sind.Der Mensch kann zwar aus allen möglichen fügbaren Stoffen eine Art von Bienenwachszellennachäffen, ja er kann sie auch nachzeichnen und nachmalen, – aber welche Plumpheit,abgesehen des Stoffes, aus dem die Biene ihre Zellen baut, waltet da vor! Es scheintüberhaupt, daß die Natur mit dem Menschen sich einen nahe mit Händen zu greifendenScherz erlaubt hat! Es wohnt ihm eine umfassendste Intelligenz wohl offenbar inne undebenso auch der Sinn für eine wahre Vollendung; aber er kann da schon tun, was er nurimmer will, so erreicht er diese doch nimmer und nimmer![022,06] Wenn wir denn annehmen, daß alle organischen Wesen auch beseelt sindund die Seele überall das handelnde Prinzip ist – ob mehr oder weniger vollkommen, das isthier ganz einerlei –, so kann diese Annahme dadurch zur evidenten Wahrheit erhoben werden,daß man logisch richtig von der Wirkung auf die Ursache zurückschließt oder von denWerken auf die Kraft, die wir denn die Seele nennen wollen. Nach dem Grade der Vollendungund Ordnung der Werke einer Seele schließt man denn auch folgerichtig erstens auf ihr

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Dasein und zweitens auf ihre Tüchtigkeit. Finden wir aber irgendein chaotisches Gemengewild und ordnungslos durcheinanderliegen ohne eine Regung und Bewegung, also ohne alleSpuren irgendeines Lebens, so denken und sagen wir: Da waltet der sich selbst gänzlichunbewußte Tod, dessen Fürgehen ein volles Zunichtewerden ist, – eine Erscheinung, die manim Herbste an gar vielen Bäumen und Gesträuchen bemerken kann, von denen das früher soschöne und bestgeordnete Blätterwerk der Baumseele in der wildesten Unordnungherunterfällt, verdorrt und den Winter hindurch nahe völlig zunichte wird.[022,07] Wer aber ist der Feinfühler, der in der totalsten Ordnungslosigkeit auchnoch eine wirkende Seele erblicken wollte?! Ein Entfliehen und Zunichtewerden derselben –ja, – aber kein neues und etwa gar ein vollendeteres Werden! Wohl wird durch das verwesteLaubwerk der Boden der Erde fetter und empfänglicher für die Feuchtigkeit aus der Luft unddurch diese ernährungsfähiger für die darauf wachsenden Pflanzen; aber das herabgefalleneLaub wird daraus nimmer als eines und dasselbe wieder erstehen, weil dessen Seele so gutwie gar keine mehr ist.[022,08] Man kann demnach füglich den Satz also feststellen, daß man sagt: Jegeordneter und vollendeter ein Werk ist, desto vollkommener ist auch die dasselbehervorbringende Kraft, die man ,Seele‘ oder auch ,Geist‘ nennt. Man kann also ganzfolgerichtig von den Produkten oder Werken auf das Dasein einer Seele oder eines Geistesschließen und auf ihre Tüchtigkeit.[022,09] Wo finden wir aber jene Werke und jene Ordnung in ihnen, die uns nur miteiniger Wahrscheinlichkeit auf ein allerhöchstes, allerweisestes und zugleich allmächtigesWesen der Gottheit schließen ließen? Nur zu bekannt ist der Lehrsatz aller Theisten undTheosophen. Sieh an die Erde, ihre Berge, Felder, Meere, Seen und Flüsse und alle diezahllosen Kreaturen, die sie bewohnen! Alles das weiset hin auf das Dasein von höherenGottwesen!‘ –, oder wie bei den blinden Juden auf nur einen Gott, was im Grunde um einHaar vernünftiger ist und zugleich denn doch auch bequemer, als gar so viele unsichtbareHerren zu haben, wo man sich mit dem einen offenbar verfeinden muß, so man dem andernhuldigt und opfert. Ich möchte den kennen, der mit der Juno und mit der Venus zugleich gutauskäme, oder mit dem Mars und Janus, oder mit Apollo und Pluto![022,10] Auch da sind die Juden wieder um ein Haar besser daran; denn sie habeneinen Jehova, der auch ein Herr über ihren Pluto, den sie ,Satan‘ nennen, ist. Nur ist der JudenPluto ein höchst dummes Luder, weil er seine Diener, statt sie auszuzeichnen und zubelohnen, gar böse und übel mitnimmt; und es läßt sich daher kein ehrlicher Jude darum eingraues Haar wachsen, seinen Herrn Pluto nach aller Möglichkeit auf das tiefste zu verachten,und er erscheint dann dem Jehova um so angenehmer, mit je mehr Energie er den Judenplutoverachtet und dessen Willen zuwiderhandelt, was ich keinem echten Römer und Griechenraten möchte! Wer dies täte, der käme dann den allerbösartigsten Plutopriestern recht. Daheißt es, dem Pluto so gut Opfer bringen wie dem Zeus, sonst sitzt einem armen Sünder derliebe Pluto im Genicke, und Zeus kann da von Rechts wegen gegen Pluto nichts tun undirgend etwas ausrichten; denn das SUUM CUIQUE steht als ein Satz des Fatums obenan,gegen das selbst Zeus kein Urteil fällen kann, ohne sich der Gefahr auszusetzen, mit allenandern Göttern in eine Kollision zu geraten.“

23. Kapitel[023,01] (Roklus:) „Wir haben mit einigen kleinen Seitensprüngen nun zweiGottheitsbegriffe, von denen eine nur einigermaßen geweckte menschliche Vernunft rein zumLachen genötigt wird. Bei den Ägyptern, Griechen und Römern wimmelt es von großen,kleinen, guten und bösen Göttern; bei den Juden sitzt nur einer auf dem Throne, der sehr ernstund streng gerecht, aber dabei dennoch gut und zuweilen barmherzig ist. Aber böse machendürfen ihn die Juden, die er sein Volk nennt, auch nicht; denn geht ihm einmal die Geduldaus, dann hat bei ihm aller Scherz rein aufgehört. Er taucht dann gleich die ganze Menschheitunters Wasser auf ein Jahr lang, und läuft dann – Gott weiß wohin – das Wasser ab, so sindMillionen geheilt und fühlen sicher keinen Kopfschmerz mehr! Oder er läßt gleich Blitz-,Schwefel- und Pechfeuer vom Himmel herab über ein lasterhaftes Völkchen einen halben

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Monat lang regnen, und das Völkchen ist samt dem Laster von der Erde verschwunden! Auchmit Pestilenz und andern Übeln ist der Eingott der Juden sehr freigebig; und fängt er einmalan, seine Zuchtrute über ein Völklein zu schwingen, dann ist von einem baldigen Aufhörenschon lange gar keine Rede! Bei den Juden kommt sonach alles Gute und Schlimme voneinem und demselben Gotte, während bei uns Griechen viele Götter eines oder das andere zubesorgen haben. Wer nun mit seiner Götterei besser daran ist, dürfte hier sehr schwer zuentscheiden sein.[023,02] Aber was Götter entweder im Himmel oder im Orkus und Tartarus!? Das istalles ein blauer Nebeldunst! Die müßigen und arbeitsscheuen Priester sind die Götter, und derJuden Eingott ist der Hohepriester zu Jerusalem! Diese Menschen sind mit mannigfachenErfahrungen und Wissenschaften wohl ausgerüstet, von denen sie ja weislich nichts ins blindgemachte und fürder mit aller möglichen Gewalt blind gehaltene Volk übergehen lassen. Nurin ihrer böswilligen Kaste werden die oft sehr breiten Erfahrungen vieler Jahrhunderte und diemannigfachsten Künste und Wissenschaften aufbewahrt, und das als stets unantastbare,heilige Geheimnisse. Damit treiben sie loses Spiel mit den Menschen, die ihnen dafür rechtdick opfern müssen, daß sie von ihnen dann um so leichter so breit als möglich betrogen undnach allen Lebensseiten hin mißhandelt werden können. Mein ganzes Vermögen und selbstden letzten Funken meines Lebens gebe ich dem, der mir das Gegenteil faktisch beweisenkann![023,03] Es mag hie und da in den Urzeiten wohl ehrlichere und biederere Menschengegeben haben, die, mit einer besonderen Geistesschärfe schon von Geburt an ausgerüstet undmit der Zeit durch mannigfache und viele Erfahrungen bereichert, gerne und mit aller Liebeihre geistigen Errungenschaften mit ihren nicht so hoch geweckten Mitmenschen teilten undam Ende auch die Segnungen an ihren Brüdern von den besten und nachhaltigsten Erfolgenbegleitet ersahen. Es muß sich gar herrlich haben leben lassen in einer Volksgemeinde, in derkein Mensch vor dem andern irgendein selbstsüchtiges Geheimnis barg und alle in alleseingeweiht waren zu ihrem Frommen, was der eine Erfahrenste unter ihnen wußte! Aber wielange konnte ein solch glücklicher Zustand dauern?[023,04] Ein solcher erster Wohltäter seiner Mitmenschen ward von ihnen sicher aufden Händen getragen, und nicht minder sein Nachfolger. Das erweckte bei so manchen denMüßiggang Liebenden den Neid und die Sucht, auch von den Nebenmenschen auf denHänden getragen zu werden. Sie suchten sich auch mit Erfahrungen einer und der andern Artzu bereichern, fingen aber damit schon an, stets mehr und mehr geheimzutun, um sichdadurch bei ihren Nebenmenschen wichtig zu machen. Da sagte einer, der es längere Zeitüber sich vermocht hatte, stumm wie ein Fisch, aber dabei mit erhabener Mieneeinherzuschreiten, so er natürlich von vielen Neugierigen auf das dringlichste befragt ward,warum er stets so stumm und tiefsinnig einherwandle: ,Wüßtet ihr das, was ich weiß, undhättet das gesehen, gehört und erfahren, was ich gesehen, gehört und erfahren habe, dannwürdet ihr vor lauter innerem Staunen noch stummer und tiefsinniger euch ergehen denn ich!‘[023,05] Wenn die vor Neu- und Wißbegier ordentlich brennenden, noch ganzeinfachen Menschen so etwas von einem listigen Gauner und Tagediebe hören, so geben sieihm schon gar keine Ruhe auf so lange mehr, bis er ihnen Bedingungen zu machen anfängt,unter denen er ihnen nur etwas Weniges von seinem unendlichen Vorrate mitteilen will. DieBedingungen werden bereitwilligst eingegangen, und der pfiffige Gauner hat sich dadurch zueinem Propheten und Priester unter seinen Mitmenschen emporgeschwungen, denen er dannallerlei mystische Dinge vorzumalen anfängt, die weder er und noch weniger jemand andersversteht und verstehen kann, weil sie sonst nirgends vorhanden sind als nur im ziemlichphantasiereichen Gehirne unseres Gauners, der durch solchen seinen listigen Betrug am Endealle die wirklichen alten, redlichen Naturweisen zum Schweigen bringt, und zwarhauptsächlich dadurch, daß er das Volk an sich zieht und demselben begreiflich macht, daß erallein mehr weiß und versteht denn zehntausend ihrer alten Weisen.[023,06] Um seinen Truglehren aber bei dem Volke den vollsten und bleibendstenEingang zu verschaffen, darf er nur etliche Zauberstücklein hinzufügen, und das arme, guteVolk läßt sich von ihm, dem herz- und gewissenlosen Gauner, gleich mit tausend

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scharfsichtigen, scharfhörigen und gewöhnlich allmächtigen Göttern auf das allerfestestevernageln![023,07] Und wehe dem ehrlichen und wohlmeinenden Biedermanne, der aus wahrerEinsicht und reiner, uneigennütziger Liebe zum Volke sagete: ,Glaubet diesem falschenPropheten nicht; denn jedes Wort aus seinem Munde ist eine bergdicke Lüge, aus der nichtsals eine brennendste Eigenliebe und die tyrannischste Herrschsucht herausschaut, die eurejetzt noch freien Glieder ehest mit den schwersten Ketten belegen wird! Er wird euchunerträgliche Gesetze unter dem Titel ,Götterwille‘ aufbürden und auf die Übertretungderselben die schwersten Strafen, ja sogar den Martertod bestimmen. Dann werdet ihr undeure Kinder unter dem mächtigsten Drucke eines solchen Falschlehrers seufzen undwehklagen und werdet laut rufen um Abhilfe! Aber euer Rufen wird ein völlig vergeblichessein; denn gegen die Macht des Tyrannen, der weder ein Herz noch irgend eine humaneNächstenliebe besitzt, wird sich schwer etwas ausrichten lassen!‘[023,08] Solch einer Gegenbelehrung, die in den Anfängen der Volksknechtungensicher häufig wird stattgefunden haben, kann doch keine rechtliche und gesundeMenschenvernunft etwas entgegen haben! Aber das Volk ließ sich durch etliche Wunderbreitschlagen und glaubte entweder an einen oder gar an eine Menge von allerlei Göttern undließ sich von ihnen, das heißt von ihren allerstolzesten und allerhochmütigsten undallergrausamst herrschsüchtigsten und eigennützigsten Stellvertretern, auf dasallerunbarmherzigste mißhandeln, als selbst nachzudenken anzufangen und zurückzukehrenzur alten, naturreinen Menschenvernunft. Wenn man, gleich mir und auch meinen elfGefährten, die Sache so ziemlich genau kennt, so wird es etwa wohl begreiflich sein, warumich ein Atheist bin.“

24. Kapitel[024,01] (Roklus:) „Wenn nun auf diese schwer widerlegbare Weise mehr dennhandgreiflich klar dargetan ist, wie sicher alle Götter entstanden sind, und wie ihre Priesternach und nach die eigentlich mächtigsten Gebieter über Leben und Tod ihrer Brüdergeworden sind, so wirst du, hoher Herr, Herr, Herr, auch begreifen, wie und warum wirAtheisten geworden sind! Siehe, wir wenigen haben den klaren Weg zur alten, reinenMenschenvernunft gefunden und sind zur großen und heiligen Mutter Natur wiederzurückgekehrt, die uns eine sichtbare und stets gleich in der schönsten Ordnungwunderwirkende Gottheit ist, während alle sonstigen durch irgendeines Menschen Mund sichoffenbarenden Gottheiten nichts als eine Phantasie eines gehirnkranken und arbeitsscheuenFaulenzers sind, der von irgend jemandem ein paar magische Künste erlernt oder selbsterfunden hat, um vor den Blinden sich als ein von Gott erwähltes Werkzeug zu offerieren unddessen Willen ihnen kundzutun.[024,02] Die Natur hat noch nie eines Stellvertreters bedurft, und der Sonne ist esauch noch nie etwa in den Sinn gekommen, sich einen Stellvertreter zu wählen aus der Zahlder elenden Menschen; sie wirkt selbst, leuchtet und erwärmt alles auf eineallerunvergleichbarste Weise! Kurz, es ist in der ganzen, großen Natur bis auf den Menschenalles in der Ordnung. Auch der Mensch, diese größte und vollkommenste Affengattung, wasseine Natur anbelangt und was da betrifft seine Form, läßt sicher nichts zu wünschen übrig.[024,03] Aber der Mensch, besser das wortbefähigte, aufrecht gehende, alsovollkommenste Tier, hat denn auch eine Vernunft und einen daraus sich frei entwickelndenVerstand. Durch diesen kann und soll er die Herrschaft über die gesamte, ihm unterstehendeWesenreihe betreiben. Aber es ist solch ein von der Natur dem Menschen erteilter Vorzugihm nicht genug; er will auch seinesgleichen in seinem Gottähnlichkeitsdünkel mit seinenFüßen treten! Und da ist der kritische Punkt dann, wo der Mensch über seine Schrankenhinaustritt und sich zu einem Gotte macht. Da aber weiter doch ein jeder Mensch, wenn ernicht ein Taubstummer oder gar ein gänzlich Irrsinniger ist, sich denn selbst in seinemFleische als ein gleicher Fleischmensch mit allen andern Fleischmenschen doch nichtunmittelbar zu einem Selbstgotte machen kann – was er sicher auch täte, so er sich nichtfürchtete, vom ganzen Volke darob ausgelacht und gar gezüchtiget zu werden –, so begnügt er

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sich mit der bloßen Gottesstellvertreterschaft auf dieser Erde; denn ist diese nur schlau genugbegonnen und auf festem Grunde erbaut, so steht sie für viele Jahrhunderte fest.[024,04] Man gebe mit der Errichtung irgendeiner Gottesstellvertreterschaft nur aucheinige ersichtlich weise und bürgerlich nützliche Anordnungen hinzu, und man hat es mit demvon Natur aus stets kindlich guten und sanften Menschengeschlechte auf ein Jahrtausendgewonnen! Auf ein weises Gesetz kann man dann den Aberglaubenden schon tausend derabsurdesten Lügen und Dummheiten anhängen, und sie werden von der gutwilligen, aberdabei sehr blinden, armen Menschheit mit einer allerehrfurchtsvollsten Bereitwilligkeitangenommen. Vom Verstehen kann da natürlich keine Rede sein, weil solche divinativeMysterien als Hirngespinste eines Schlaukopfes nie zu verstehen sein können. Aber das machteben nichts; denn die Menschheit betrachtet das ja stets am liebsten, was ihr amunerklärlichsten, unbegreiflichsten und am allerfremdartigsten ist.[024,05] Wer die Menschheit langweilen will, der trage ihr nur recht gute, bekannteund leicht faßliche Wahrheiten vor, und ich stehe dafür, daß er gar bald allein am Flecke sichbefinden wird! Kann er aber so recht aus dem Salze lügen und aus seiner Phantasie erzählen,daß er zum Beispiel im weiten Indien Tiere gesehen habe, die gleich berggroß einhergehen,hundert Köpfe haben, und zwar jeden Kopf einem andern Tiere vollkommen ähnlich, und inder Mitte der hundert verschiedensten Tierkopfgattungen rage auch ein riesigsterMenschenkopf auf einem langen und dicken Halse sitzend empor, der alle Sprachen der Weltganz deutlich, nur aber mit einer donnerähnlichen Stimme spricht und den Menschen sogarGesetze vorschreibt, wie sie sich gegen das ganze andere große Heer von seinen Tierköpfenzu benehmen haben. – –! Ja, er kann ihnen, den ihn alleraufmerksamst anhörenden Menschen,ganz keck hinzu erzählen, daß auf dem großen Rücken dieser wundersamen, größten Tiere dieschönsten Städte und Gärten angelegt seien, in denen Menschen und Tiere wohnen und eingar angenehmes Leben führen, wenn sie des menschlichen Mittelkopfes Gesetze an diesemriesigsten Tiere genau handhaben; versündigen sie sich aber, so werden sie vom Tigerkopfedieses Tieres sogleich aufgefressen! Zu dieser sicher allerabsurdesten Lüge kann er noch eineMenge anhängen, und sie werden alle fest geglaubt; und wehe dem, der nun sagen möchte:,Aber was höret ihr diesen Hauptlügner an?! Ich war doch selbst mehrere Male in Indien undhabe nie nur von ferne hin etwas Ähnliches weder gesehen noch davon reden gehört!‘ Dasnützt alles nichts! Er wird als ein Verleumder solch einer wunderbaren Sache zum für ihnheilsamen Schweigen gebracht, und der Hauptlügner, der Indien nie gesehen hat, behauptetdas Feld. Das habe ich selbst zu öfteren Malen erfahren, wie die Menschen eine noch sokolossalste Dummheit um vieles eher annehmen und sie auch glauben denn eine noch soerwiesen nützliche Wahrheit.[024,06] Und ist es bei solch bekannten Eigenschaften der Menschen denn zuverwundern, daß wir nun schon mit lauter Göttern ordentlich eingesalzen und einbalsamieretsind? Und ist es nicht vielmehr hoch zu verwundern, wie unter so vielen dümmsten Menschennoch Menschen von meiner Art bestehen können? Und kannst du, hoher Herr, Herr, Herr,dich wundern, so wir zwölf tieferfahrenen Griechen und Juden notwendig Atheisten seinmüssen, und zwar aus dem ganz einfachen Grunde, weil es doch alleroffenbarst keinen nachsolcher menschlich dummen Weise gearteten Gott geben kann, der von den Menschen die oftallerlächerlichsten Dinge, sage, zu seiner Ehre verlangen würde, auch den Ankauf desTempelmistes und – dreckes zur Segnung der Felder, Äcker, Gärten und Wiesen und nochtausend ärgere Absurditäten dazu, was alles der noch immer weisere Eingott der Judenverlangt, – geschweige der gar allerdümmsten und allerabgeschmacktesten, dieMenschenwürde entehrendsten Dinge, Opfer, Sitten und Gebräuche, die von unserengriechischen, gut bei zehntausend Göttern verlangt und mitunter sogar strenge gebotenwerden?[024,07] O wehe, wehe, wehe dem, der es wagte, auch nur einer der geringstenhölzernen Gottheiten einen Nasenstüber zu versetzen! Der würde als ein SACRILEGUSMALEDICTUS auf das allerübelste bedient werden von den Stellvertretern Gottes! DieZerstörung oder auch nur eine zugefügte Beleidigung einer in Holz geschnitzten Lüge wirdnun noch immer als ein höchstes, unverzeihliches Verbrechen mit dem Schwerte auf das

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schärfste bestraft. Aber wenn Tausende von den arbeitsscheuen Völkerbetrügern jede noch soreine Wahrheit und die wahre Ehre der Menschheit mit Füßen treten, sie überall verfolgen undjedes irgend emporkeimende Gute mit aller Gewalt und mit den grausamsten Mittelnunterdrücken, so ist das vollkommen recht und, – DICO – den weisen und allmächtigenGöttern im hohen Grade wohlgefällig. Ah, da bedankt sich die wahre Menschheitallergehorsamst für alle die Götter und Gottheiten! Kannst du als ein bekannt wahrhaft weiserHerr und Völkerregent es mir verargen, daß es mir zum Speien eklig wird, wenn irgend voneinem Gotte nur etwas noch so leise als möglich angezogen wird?![024,08] Als ich als Handelsmann zum dritten Male nach Indien kam, habe ich rechtviel Gescheites und Gutes angetroffen, aber danebst auch wieder so gräßliche Dummheitengefunden, daß man sich darob gerade selbst kreuzigen könnte, um nur nicht mehr mit solchkolossalsten Gottheitsdummheiten jemals in Berührung zu kommen. Nach dem, was ich dortaus ihrer Theosophie vernahm, erweise der höchste Gott Lama, der auch den BeinamenDelaih hat, alljährlich einmal seinem höchsten Stellvertreter, der auch unsterblich sei, diehöchste Ehre und zeige sich ihm und auch seinen Oberpriestern, aber nur auf einer hohenBergesspitze! Da muß der Stellvertreter dann auf des allerhöchsten Gottes Geheiß auf einreinstes, weißes Tuch hostieren (Kot lassen), den Kot dann trocknen und ihn nachher zuPulver machen. Dieses ,Pulver Gottes‘, wie es die Indier benamsen, wird dann granweise inhölzerne, sehr kleine Schächtelchen getan und wohlverwahrt an die Häupter der Völker gegenein großes Lösegeld gesandt, welche hohen Häupter dann nach vorgeschriebener gewirkterBuße dieses Dreckpräsent Gottes allerehrerbietigst zu verzehren haben. Das und noch einegroße Menge der allerabsurdesten Dummheiten mehr sind Tatsachen, von denen ein jederdahin Reisende sich selbst überzeugen kann.[024,09] Was aber soll ein nüchterner Mensch im Besitze einer reinen Vernunft undeines gesunden Verstandes dazu sagen, so er von dem indischen höchsten Gotte solch eineechteste Schweinerei vernimmt, mit der er höchst verehrt sein will? Ja, da möchte man jagleich wieder aus der Haut fahren vor Ärger über solch eine kolossale Dummheit derMenschen, an der sie vielleicht schon etliche Tausende von Jahren mit Leib und Lebenhängen und durch gar keine vernünftige Vorstellung mehr abzubringen sind![024,10] Ja, lasse du mich einmal mit einem vernünftigen Gotte zusammenkommen,und ich will aufhören, ein Atheist zu sein, wozu mich diese wunderbare Tatsache, die sich vormeinen Augen zutrug, sehr mächtig reizen könnte und auf den Glauben bringen, daß es trotzallen den von Menschen ausgeheckten allerdümmsten Gottheiten denn doch noch eine wahreund der reinsten Vernunft entsprechende Gottheit geben könne, was ein hoher und schönsterGedanke des Menschen wäre! Wäre aber die Gottheit am Ende auch irgend also geschwollen,wie das bisher mit allen mir bekannten Gottheiten noch immer der Fall war, so mag sie mirnoch tausend solche Wunder vor meiner Nase verüben, und ich werde ihr wahrlich keine Ehreantun![024,11] Da hast du mich nun ganz, wie ich bin, denke und handle! Und so kannst dumir nun schon etwas anvertrauen, wenn du etwas noch Besseres und Wahreres weißt, und ichwerde es gewiß nicht undankbar annehmen! – Wie ist also des alten Markus neue Behausungentstanden? Wer rief sie ins Dasein?“

25. Kapitel[025,01] Cyrenius ist auf alles das, was er nun vom Roklus vernommen hat, sehrnachdenkend geworden und weiß durchaus nicht, was er ihm darauf für eine Antwort gebensoll. Er wendet sich darum an Mich und sagt mit halblauter Stimme: „Herr, unrecht hat derMensch im ganzen nicht, und es kommt mir vor, daß er trotz seines Atheismus ein ganz gutesHerz für die echte Menschheit haben muß. Wäre er zum wahren Theismus zu bewegen, sowäre er bei seiner enormen Verstandesschärfe und durch seine vielseitigsten Erfahrungen jagerade eine Goldperle für Deine rein göttliche Sache. Aber weil er eben so viele Erfahrungenbesitzt und eine Urteilsschärfe dazu, als wie scharf da sein muß der Blick eines Adlers, so istes wenigstens für mich schwer, ihm nun eine Antwort zu geben, von der man bei ihm einenbesten Erfolg erwarten könnte. Wie wäre es denn, so Du Selbst ihn nun in Bearbeitung

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nähmest? Du könntest ihm mit wenigen Worten sicher mehr sagen als ich. Herr, tue das andiesem Menschen; denn seine Ansichten kommen mir ganz kerngesund vor!“[025,02] Sage Ich: „Du hast den Menschen ganz richtig beurteilt, und es stehet alsomit ihm; denn so viel natürlich gesunde Welterfahrung hat wohl niemand von euch allen wiedieser Roklus und durch ihn auch seine elf Gefährten. Aber weil er in dieser Zeit und häufigdurch seine bedeutenden irdischen Schätze auf lauter List und Betrug gekommen ist und dieGottheit überall durch die größten und abgefeimtesten Betrüger vertreten fand, so kann mansich denn auch gar nicht wundern, daß er am Ende notgedrungen das Kind samt dem Badewegschütten mußte.[025,03] Er suchte Gott wohl recht emsig und machte darum auch seine großenReisen. Aber je weiter er kam, desto mehr Unsinn, Narrheit und mit Händen zu greifendenBetrug fand er. Er ließ sich am Ende sogar bei den Essäern einweihen und fand deshalbWohlgefallen daran, weil diese ihren Divinationsbetrug doch wenigstens zum ersprießlichenNutzen der Menschheit zusammengestellt haben und dabei unter sich sehr gute und klugeMenschen sind, bei denen einer dem andern ein offener Bruder ist und nichts vor seinemNächsten voraushaben will; denn dieser Sekte Grundsatz ist: ,Gleichviel wissen, gleichvielhaben, gleichviel sein, und an keinen Laien das Geheimnis der hohen und dicken Mauernverraten, aus denen für keinen Menschen der Erde irgendein Unheil, sondern nur einmöglichstes Heil hervorgehen soll!‘[025,04] Das ist an und für sich gewiß ganz löblich, aber mit dem Glauben an einenGott hat es einen ungeheuren Haken; denn das ist bei ihnen die allerausgemachteste Sache,daß es außer den geheimen Kräften in der Natur ewig nirgends einen Gott gebe und gebenkönne. Und darum ist es schwer, so einen echten Erzessäer zum Glauben an einen Gottumzustimmen. Man muß ihm zuvor noch viel mehr Gelegenheit geben, sich so ganz nachseiner Herzenslust frei zu entäußern in allem und jedem. Erst wenn er sich vor dir ganzenthüllt hat, wird mit ihm schon noch etwas ganz Besonderes zu machen sein. Aber jetzt ist ernoch nicht reif dazu, weil in ihm noch vieles steckt, mit dem er infolge eines Mißtrauensgegen deine römische Schwertgerechtigkeitspflege noch lange nicht zum Vorscheinegekommen ist.[025,05] Solange aber ein Mensch zu jemandem nicht ein vollstes Vertrauen zufassen sich getraut, wird er auch nie ein wahrer Freund von ihm. Solange er aber nicht einwahrer, volltrauigster Freund von jemandem wird, da wird er sich ihm auch nicht völligeröffnen. Eröffnet er sich aber jemandem nicht völlig, so fällt die notwendig völligeEntäußerung von selbst notwendig in den Bach. Du mußt demnach trachten, dir diesen Rokluszu einem volltrauigsten Freunde zu machen, und er wird dir dann noch ganz sonderbare Dingekundtun, über die du ganz erstaunen wirst![025,06] Aber deine hochrichterlich römische Miene und Tugend mußt du vor ihm indie eines rechten Freundes umwandeln, und zwar so offen und aufrichtig als möglich, sonstwirst du nichts ausrichten mit ihm! Hast du ihn aber dahin gewonnen, dann wird mit ihmleicht zu unterhandeln sein, und Ich kann dann erst ein Weiteres mit zu reden anfangen; aberjetzt würde er bei der vollen Belassung seines freien Willens Mir nicht einmal Rede stehen,sondern Mir ganz einfach sagen: ,Freund, ich kenne nur den Oberstatthalter und habe nur mitihm zu verhandeln; denn dich kenne ich nicht und weiß darum auch nicht, wieviel ich diranvertrauen kann!‘ Und Ich könnte ihm vorderhand dagegen nichts anderes erwidern als:,Freund, du hast ganz richtig und gut geurteilt!‘ Suche du darum ihn vorerst ganz freundlichstzu gewinnen und leite ihn sodann erst zu Mir, und wir werden dann die ganze Sache baldabgemacht haben!“[025,07] Sagt Cyrenius: „Versuchen will ich's wohl; aber ich ahne es, daß mir meinVorhaben eben nicht zu sehr nach meinem Wunsche gelingen wird!“[025,08] Sage Ich: „Fasse es nur bei der rechten Seite an, dann wird es schon ganzgut gehen!“

26. Kapitel[026,01] Hierauf wendet sich Cyrenius wieder an den Roklus und sagt: „Nun höre,

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Freund, ich habe alles das, was ich von dir vernommen habe, reiflichst überdacht und hin undher überlegt, habe deine Gründe zwar sehr wahr und triftig gefunden und kann nicht umhin,dir zu sagen, daß du in vieler Hinsicht recht hast, – aber ganz in allem dennoch nicht, da dudenn doch bei allen deinen gesunden Ansichten den Fehler eines übertriebenen Eifers hastund das Kind samt dem Bade ausschüttest, deine Urteile nach der Gegenwart richtest und einGebäude aufführst, das keinen soliden Grund hat, auf dem Sande steht und von den Stürmenleicht zerstört werden kann.[026,02] Es ist wohl wahr, daß die Priester, besonders die hohen, zumeist höchstherrschsüchtige und darum auch zumeist herzlose Menschen sind und die Unterpriesterzumeist nach ihrer Pfeife tanzen müssen, besonders jene, die in der unmittelbaren Nähe derGroßen und Hohen ihr Amt zu versehen haben; aber ganz so leer und als ein purster Betrugstehen denn die Sachen doch nicht da, als wie du es dir vorstellst und nimmst![026,03] Denke dir nun den Unterschied in der Sprache zwischen jetzt und derVorzeit! Vor tausend Jahren sprach man in lauter Bildern und entsprechenden Gleichnissen.Die ganze Sprache war eine rechte Poesie, aus welchem Grunde die Alten denn auch alles inVersen geschrieben und auch gemeinhin miteinander geredet haben; denn die sogenannteelende Prosa kam erst dann zum Vorscheine, als die Menschen grundverderbt ins reinmateriellste Fleischleben übergegangen sind.[026,04] Es mögen demnach die alten Propheten und Seher immerhin den Menschenden wahren und den rechten Gott beschrieben und gezeigt haben, und die ersten Menschenhaben sie auch sicher besser verstanden, als wir sie nun verstehen; aber durch die damalsstrikte Befolgung der bekannten weisesten Gebote Gottes kamen schon die jüngstenNachkommen in einen großen Wohlstand. Dieser machte sie bald übermütig, sinnlich undgemein. Derlei Menschen hatten nur gar zu bald mit der bildlichen Seelensprache nichts mehrzu tun und verstanden die Sprache der alten Propheten und Seher ehest darauf gar nicht mehr.[026,05] Man fing an, am Buchstabensinne, der nicht belebt, sondern nur tötet, zukleben, und kam auf diese Weise nur zu bald um den Lichtkern der Wahrheit. Wir alle, wiewir hier sind, bis auf zwei unter uns, wußten samt und sämtlich von einem inneren, geistigenWahrheitssinne nichts, und es kam uns, wie dir, alles als eine blankste Torheit vor, was wirvon allen den Sehern und Orakeln vernommen haben. Aber die beiden, die auch unter unssind, und besonders der Eine, haben uns eines Bessern belehrt und gezeigt, wie ganz und garentsetzlich irrig wir alle die alten Seher und Propheten verstanden haben.[026,06] Aus solch irrigem Verständnisse mußten am Ende ja auch ganz verkehrteLebensgrundsätze herauswachsen, und aus diesen andere Torheiten in einer Unzahl, und dieGotteslehren konnten am Ende ja auch kein besseres Gesicht haben als alles andere, was derMensch tat und zustande brachte.[026,07] Weil aber die Menschheit in ihrer inneren geistigen Lebenssphäre gar sosehr ins Trübe gekommen ist und sich von dem höheren, göttlich geistigen Einflusse wie totalverlassen fühlen mußte, so fing die Selbstsucht an, sich zu steigern, umpanzerte sich, witterteallenthalben Feinde und rüstete sich gegen ihren allfälligen Angriff mit lauter äußeren Waffengleich einem Menschen, den im dichten Walde die Nacht überraschte, und der aus Furcht vorirgend feindlichen Kreaturen auch alles mögliche aufbietet, um sich einen Schutz gegen seinevermeintlichen, auf ihn eindringen wollenden Feinde zu bereiten.[026,08] Ja, mancher treibt es mit seiner Furcht so weit, daß er die Möglichkeit vomDasein eines ihm freundlichen Wesens in die vollkommenste Nullität zieht und setzt, sichgegen jedermann verschließt und ein vollendetster Geizhals ist, der alles zu seiner Sicherungzusammenrafft und niemanden neben sich aufkommen läßt! Er umgibt sein Haus mit hohenund dicken Mauern, seine Schätze verschließt er in ehernen Särgen und verscharrt sieobendrauf oft unter die Erde, gewöhnlich an einem solchen Orte, der von Menschenschwerlich irgendwann betreten wird.[026,09] In solchem Zustande wird der Mensch dann auch sehr herrschsüchtig,umgibt sich mit allerlei Macht und sucht dann auf die schonungsloseste Weise sich alleszuzueignen, aus Furcht, irgendeinmal zuwenig haben zu müssen.[026,10] Gehe hin und frage so einen echten Geizhals, für wen er denn alles also

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zusammenraffe, da er ja doch selbst für seine Person das in tausend Jahren nicht verzehrenkönne, was er sich zusammengeknickert hat. Da wird er dich gleich als seinen Erzfeindansehen und dir sicher keine Rede und Antwort geben. Und also sind nun in geistigerBeziehung namentlich vor allem die Priester.[026,11] Sie sind zwar im äußeren Besitze der alten prophetischen Überlieferungenund lesen und betrachten sie auch am meisten; aber eben dadurch geraten sie auch zuerst undzumeist in einen dichtesten Wald voll Finsternis und Zweifel, aus denen sie sich nimmerzurechtfinden können. Weil sie aber schon einmal Priester sind, so müssen sie sich vor demVolke durch allerlei törichtes Außengepränge den Schein geben, als wüßten und verstündensie etwas; aber sie wissen und verstehen nichts, außer das – aber nur geheimst bei sich selbst –, daß sie total nichts wissen, verstehen und erkennen![026,12] Sie verwenden daher ihre Zeit nur darauf, wie sie immer wirksamer ihretotalste Unwissenheit vor dem Volke verbergen und demselben einen recht dicksten blauenDunst vormachen könnten, was ihnen, die es mit ihrem Denken doch so weit gebracht haben,daß sie bei sich selbst gar nichts wissen – wozu schon sehr viel gehört –, eben eine nicht zuschwierige Aufgabe ist.[026,13] Manche kommen hinterdrein freilich oft durch ein Ungefähr zu einemLichte rechter Art; aber sie können nun das einmal aufgebaute Gebäude, leider voll Trug undLug, nicht mehr des einmal verfinsterten Volkes wegen umstoßen. Sie müssen nun einmal mitdem Strome fortschwimmen und höchstens ganz geheim bei sich die bessere Überzeugungbehalten.[026,14] Glaube du mir sicher, daß es unter den Priestern von was immer für einerGotteslehre Männer gibt, die ihre total falsche Außenlehre nur zu gut kennen und ganztüchtige Kenntnisse von einem wahren und einigen Gotte haben, dem sie in ihrem Herzenauch völlig anhängen; aber sie können ein für alle Male am alten, irrsäligen Gebäude dennochnichts ändern! Sie überlassen das ganz geduldig Dem, der die Macht hat, die Tempel desTruges umzuschmeißen, wann es Ihm beliebt und Er es für gut finden wird. Denn Er werde esauch schon am allerbesten wissen, warum Er es zugelassen habe, allerlei Truggöttern undGötzen Tempel zu erbauen und sie mit Mauern und Schwertern zu befestigen![026,15] Wenn du nun das so recht reiflich überlegst, so muß es dir denn schonwenigstens darin ein wenig heller zu werden anfangen, daß du bei aller deinerVerstandesschärfe und bei allen deinen vielen Erfahrungen als ein kompletter Atheist nicht inallen deinen angeführten Gründen durchaus recht hast und von der reinen, inneren Wahrheitnoch sehr ferne stehst![026,16] Nun ist wieder die Reihe an dir, dich zu rechtfertigen, wie du magst undkannst; denn nun stehen wir uns als Freunde gegenüber, und es ist dir das freieste Wort ohnedie geringste richterliche Ahndung gestattet! Du kannst dich nun ganz offen aussprechen, wiees dir ums Herz ist, und ich werde dich darauf nicht als ein erster Gewaltträger Roms, nichtals ein oberster Richter, sondern als Mensch und Bruder auf den rechten Weg zu bringentrachten durch Wort, Rat und Tat! Willst du aber das nicht, so kannst du nach deinemfreiesten Willen dich allerungehindertst von hier begeben und hinziehen, dahin du magst undwillst! Es wird mir zwar sehr leid sein, dich in deinem Wahne von hinnen ziehen zu lassen;aber dessenungeachtet sollst du schon wegen deiner Verstandesschärfe, die ich zu achtenverstehe, von mir nicht den allerleisesten Zwang irgend zu erleiden bekommen. – Redesonach nun weiter ganz frei und offen mit mir, deinem Freunde!“

27. Kapitel[027,01] Sagt Roklus: „Herr, Herr, Herr, ganz gut und weise war dein Gegenwort,das ich von Silbe zu Silbe reiflichst erwogen und gar wohl überlegt habe! Ich fand somanches Wahre und Gute darin, wie auch, daß du mir kaum begreiflichermaßen ein ganzvollkommen echter Kosmopolit bist, wie es leider besonders in deiner Höhe nun wohl ganzverzweifelt wenige mehr gibt.[027,02] Es wäre die Idee von einem einigen, allerweisesten, aber dabei auchallerhumansten Gotte gar schön und höchst löblich; aber wo existiert solch eine Gottheit

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anders als eben in der schönen Idee eines poetisch geweckten Menschengemütes? Denn wäreirgend anders eine göttliche Realität, so müßte sie sich ja doch durch irgend etwas Besonderesäußern! Aber da kann man schon tun, was man nur immer will, und suchen und forschen mitdem höchsten Fleiße von der Welt und mit aller der intensivsten Aufmerksamkeit undVerstandesschärfe, und das stets mit dem besten Willen von der Welt, so nützet das alles aberdennoch nichts![027,03] Überall, wohin man sich auch suchend wendet, steht ein vermummterMensch im Vordergrunde, so wie im Tempel zu Jerusalem vor dem kostbaren VorhangeWächter stehen, damit ja kein Laie je hinter den mysteriösen Vorhang treten könne.Unsereiner aber kam durch sein Gold als Nichtjude auch hinter solchen Isisschleier und fandhinter demselben nichts, als was Menschenhände erzeugt haben: einen sarkophagähnlichenKasten aus schwarzem und braunem Holze, und in der Mitte dieses Kastens war ein ehernesBecken befestigt, aus dem Naphtha in heller und hoher Flamme brannte, welche Flamme dieGegenwart des allerhöchsten Gottes darstellte![027,04] Ich aber frage, wieviel Blindheit und Dummheit dazu erfordert wird, um dasglauben zu können! Wo ist da der Gott und nicht der Mensch, der alles das zusammengesetzthat zur Illusion seiner Nebenmenschen, denen er alle Kenntnisnahmen auf Leben und Todvorenthält, auf daß sie gleichfort so dumm und blind als möglich bleiben sollen und mitbluttriefenden Händen Tag und Nacht arbeiten, auf daß die arbeitsscheuen StellvertreterGottes sich recht mästen können auf Kosten der armen, dummen Faune. Was kümmert so einemenschgöttliche Hoheit auch das Leben von Millionen? Diese müssen, um sich nicht alleFurien an den Hals zu ziehen, alle Augenblicke bereit sein, ihr Leben irgend in die Schanze zuschlagen, um ihren Gottes Stelle vertretenden, unvertilgbaren Quälgeist, der eigentlich ihrgrößtes Übel ist, zu erhalten![027,05] Freund, wenn ich dich also nennen darf, gehe nach Indien und besieh dirdort die Menschheit, und dir werden die Haare zu Berge stehen! Da wirst du Büßer antreffen,von denen deiner Phantasie noch nie irgend etwas hat träumen können! Hier hat man gegenVerbrecher Strafen, die von den Richtern verhängt und von den Gerichtsvollstreckern imschlimmsten Falle längstens einen Tag lang an den Sündern wider's Gesetz vollzogen werden.Dort dauert die leichteste Bußstrafe mindestens ein bis zwei Jahre, die der Sünder an sichselbst ohne alle Gnade in den bestimmtesten Vollzug setzen muß, und da ist die leichtesteaber schon derart grausam, daß eine römische Kreuzigung als ein förmliches Nichts dagegenanzusehen ist. Ich werde dir nur so einige leichteste Beispiele kundgeben, und du wirst andenen sicher vollkommen genug haben![027,06] Ich sah einen solchen leichten Büßer! Dieser hatte durch die Waden dreieherne Nägel gezogen, mußte aber dennoch eine bedeutende Last um einen Baum ziehen.Wollte sein Fleisch ermüden, so nahm er eine mit ehernen Spitzen versehene Peitsche undversetzte sich selbst die gewaltigsten Hiebe. Sein tägliches Büßeressen bestand aus siebenFeigen und einem Kruge Wasser. Dieser Büßer verrichtete seine Buße schon im zweiten Jahreund war noch am Leben.[027,07] Einen andern, auch leichten Büßer, sah ich am ganzen Leibe mit Stachelngleich einem Stachelschweine besteckt, nur mit dem Unterschiede: Bei dem Stachelschweinesind die scharfen Spitzen nach außen gekehrt, bei dem Büßer aber waren sie nach innengekehrt und staken mindestens zwei Daumen dick im Fleische. Diese Stacheln, entweder aushartem Holz, Bein oder auch aus Erz, muß sich der Büßer nach Vorschrift des freundlichstenBußpropheten selbst ins Fleisch stoßen, und zwar an jedem Tage um einen mehr die ganzezweijährige Bußzeit hindurch, so daß er am Ende seiner verzweifelten Bußzeit ebenso vieleheilige Bußstacheln im Leibe und Fleische stecken hat, als wie viele Tage zwei volle Jahreenthalten. Hat der Büßer noch mit Beibehalt des Lebens seine Buße überstanden, so beginntdann erst die freiwillige Nachbuße des Verdienstes wegen vor den allsehenden Augen Lamas;denn der erste Pflichtteil der Buße war nur da, um vom Lama die Vergebung einer Sünde zuerlangen. Erst durch die Nachbuße kann der Sünder sich ein Verdienst vor dem Lamaerwerben.[027,08] Ich fragte den sonst sehr freundlichen Bußverkünder, worin denn die

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Nachbuße dieses bestachelten Büßers bestehen werde. Da sagte dieser: ,In zwei-, auchdreierlei! Entweder: er behält die Stacheln bis an sein Lebensende im Fleische steckend, wasmit sehr vielen Unbequemlichkeiten verbunden ist, besonders bei der Nachtruhe; denndergleichen Büßer können dann nur auf dem Flugsande oder mit angebundenen Schläuchen,die mit Luft gefüllt sein müssen, im Wasser die Nachtruhe halten. Fürs zweite aber können siesich die Stacheln schon wieder aus dem Fleische ziehen; aber an einem Tage nicht mehr alsnur einen, und so haben sie mit dem Ausziehen dann ebenso lange zu tun wie früher mit demHineinstoßen. Sie können sich aber fürs dritte auch alle Stacheln auf einmal herausziehenlassen und darauf ein Balsambad nehmen. Das heilet schnellst die Wunden, und der Büßer istdarauf gleich wieder ein brauchbarer und arbeitsfähiger Mensch; aber er muß dafür entwederein tüchtiges Opfer dem Lama verabreichen oder vier Jahre lang der Sklave eines Priesterssein und dessen Äcker, Wiesen und Gärten bestellen, wobei er sich aber ganz aus eigenenMitteln zu verpflegen hat. Daß es ihm dabei eben nicht am besten ergeht, läßt sich wohl vonselbst denken!‘[027,09] Das gab mir so ein freundlicher Bußverkündigungspriester zur Kunde,worauf ich ihn dann fragte, was so ein Sünder denn verbrochen haben müsse, damit ihm solcheine Marterbuße auferlegt werden könne. Da sagte der Bußverkünder: ,Es ist dazu oft gar keineigentliches Verbrechen notwendig, sondern das alles liegt in der nie erforschbaren weisenWillkür des ewigen Lama! Er offenbart seinen heiligen Willen nur allein seinem oberstenPriester auf Erden. Dieser verkündet ihn dann uns Unterpriestern, und wir unterrichten daraufdann erst das Volk, das uns blindest zu gehorchen hat. Denn sind wir auch unendlich kleinund wenig vor des Lama höchstem Priester, so sind wir aber dennoch unendlich viel und großund willensmächtig vor dem Volke! Ein Wort aus unserem Munde ist dem Volksmenschenein unwandelbares Gesetz, weil das Volk es wohl weiß, daß des Lama und unser Wort einsist!‘[027,10] Ich fragte ihn, ob Lama denn nie einen Grund angäbe, warum er über soeinen Menschen solch ein entsetzlich grausames Bußwerk verhänge. Sagte der Priesterabermals mit der freundlichsten und mit der demutsvollsten Miene von der Welt: ,Sagt Lamaauch je einem Menschen, wie, wann und warum er ihn mit einer schmerzlichsten Krankheitbehaftet? Lama ist höchst weise, allmächtig und gerecht. Er tut, was er will, und fragt niejemanden um Rat, und der Menschen Urteil ist ihm ein Greuel! Wer aber kann sich demWillen Lamas widersetzen, der da allmächtig ist? Es wäre das Entsetzlichste des Entsetzlichenund das Schrecklichste des Schrecklichen, ihn gar zornig zu machen! Es ist darum demMenschen heilsamer, auf dieser Welt, auf der alles sein Ende hat, sich alle Martern anzutun,als in der andern Welt ewig im erschrecklichsten Zornfeuer Lamas zu brennen.‘[027,11] Darauf fragte ich den freundlichen Mann, der mit der größten und frömmstaussehenden Gemütsruhe jahrelang zuschauen konnte, wie hundert Büßer auf dasunerträglichste nach dem ihnen kundgemachten Willen Lamas ihr Fleisch peinigten undabtöteten, warum denn unter den Büßern kein junges Weib, noch weniger ein Mädchen,ebenso auch gar kein Priester sich vorfinde. Man sähe bloß so mehr bejahrte Menschen,zumeist Mohren, und ganz alte, gewöhnlich sehr häßliche Weiber! Darauf sagte der frommePriester nichts als: ,Lieber, wißbegieriger Fremdling, jede Erklärung liegt in dem ,Lama willes also!‘ Weiß man das, so ist jedes weitere Fragen überflüssig!‘“

28. Kapitel[028,01] (Roklus:) „Diese Antwort ärgerte mich, einen römischen Bürger, und ichsagte zu ihm: ,Freund, würdest du mir auch dann also antworten, wenn ich an der Spitze vonzehnmal hunderttausend Kriegern mit schärfster Miene auf Leben und Tod diese Fragegestellt hätte und dir geboten haben würde, alle diese armen Faune von Büßern augenblicklichihrer Buße zu entheben?‘ Hier stutzte der fromme Mann ein wenig, sah mich mit einem sehrfragenden Blicke an und schien sehr nachzudenken, was er mir auf diese Frage antwortensolle.[028,02] Ich aber sagte zu ihm mit einem ganz ernsten Gesicht: ,Ja, ja, betrachte michnur, damit du mich später an der Spitze eines mächtigsten Kriegsheeres desto eher und

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leichter erkennen wirst, wenn ich die böse und feste Burg eures grausamsten Gottes undseines Oberpriesters angreifen und zerstören werde!‘ Da raffte sich mein vorher gar sofreundlicher Seelenhirte zusammen, machte ein grimmiges Gesicht und sagte zu mir: ,Duirrsinniger Sterblicher, eher zerstörest du den Mond denn Lamas festeste Burg! Aber wo stehtdein Heer?‘[028,03] Sagte ich: ,Das werde ich dir nicht auf die Nase binden! Es bedarf aber nureines Winkes von mir, und du böser Mensch wirst es dann schon noch früh genug erfahren,wo sich mein Kriegsheer aufgestellt hat! Ich sage dir: Wenn du mir nun über den Lama undüber seinen Oberpriester und über euren Verband mit ihm und den Grund dieserschändlichsten Menschenmißhandlung nichts mitteilst der vollsten Wahrheit gemäß, so laßich dich ergreifen und dich martern mit allem, was mir meine Phantasie eingeben wird,zwanzig Jahre lang, damit auch du es verkosten magst, wie es diesen armen Büßern zumutesein muß unter solchen unerhörten Qualen und Martern!‘[028,04] Jetzt sah der fromme Mann, daß mit mir allenfalls kein Scherz zu treibenwäre, und fing an, obwohl sichtlich ungern, mit der Wahrheit herauszukommen, aber wohlmit der Vorbemerkung und Bitte, daß er dann mit mir fortkomme, da er sonst seines Lebensnicht mehr sicher wäre, was ich ihm denn auch zusagte, worauf er gleich also auszukramenanfing:[028,05] ,Es gibt bei uns wohl eine Schrift, die noch von den Erzvätern dieser Erdeherrühren soll. Die Verfertiger derselben sollen nach dem Geheiß des höchsten Gottes, dessenrechten Namen nur der Oberpriester kennt, ein gewisser Kienan, Jared und Henoch sein. Auchvom Nohai und Mihihal sind gedehnte Berichte im großen Weltbuche der Bücher vorhanden;aber wir kennen deren Inhalt nicht und können auch nie einen Blick hineintun, weil darauf diequalvollste Todesstrafe gesetzt ist.[028,06] Es hat von uns Unterpriestern nie je einer den Lama gesehen! Man kannschon von sehr viel Gnade und Glück reden, so man im Leben nur einmal des LamaOberpriester zu Gesichte bekam. Vom Lama selbst ist schon gar keine Rede! Der Oberpriesterhat Kenntnis von den Lebensverhältnissen aller seiner Untertanen und aller der ihmuntergeordneten Fürsten, mit denen er also gebietet wie sonst ein Herr mit seinen Dienern. Siemüssen ihm in allem, was er will, gehorchen, ansonst kostet es ihn bloß ein Wort an seineVölker, die an ihn blindlings und allerfestest glauben und alles Wohl und Wehe einzig undallein nur von ihm erwarten, und diese erheben sich und bringen alle die Fürsten mit dergrößten Freude von der Welt um, weil sie sich dadurch Lamas höchstes Wohlgefallenaneignen würden. Das wissen die Fürsten recht genau und tun demnach aus eigenem Interessedem Oberpriester alle erdenklichen Ehren an und opfern ihm jährlich große Summen Goldesund Silbers und bereichern ihn noch obendrauf mit den schönsten Herden.[028,07] Diktiert er einem oder dem andern eine Leibesbuße, von der auch nicht einFürst ausgenommen ist, so können die Fürsten dieselbe entweder mit Gold und mit denkostbarsten Edelsteinen und Perlen lösen, oder sie können bittlich um die Bewilligungeinkommen, der zufolge dann jemand anders, wenn er ein ganz frommer Mensch ist und nochnie eine Buße zu verrichten bekam, für einen Fürsten eine Bußwirkung als für den Fürstengültig übernehmen kann, so er will; denn das ist des frommen Menschen ganz freiem Willenüberlassen, wie auch die Bestimmung der Stellvertretungsgebühr, die bei solchenGelegenheiten nie gar zu gering ausfällt. Denn dergleichen fromme Stellvertreter holen sichschon vorher bei den Bußverkündern des sichern Rates und können die einem Fürstendiktierte schmerzlichste Leibesbuße in eine beliebige leichtere umgestalten, die vomOberpriester Lamas als für den Fürsten gültig angenommen wird, so er dem Bußsubstituteneine genügend große Summe dafür entrichtet hat, von welcher der jeweilige Substitut(Stellvertreter) zwei Drittel an uns Priester abzuliefern hat.[028,08] Es ist bei den Bußverhängungen überhaupt diese geheimgehaltene Normanzunehmen, daß die Bußen höchst selten über die armen Menschen verhängt werden; undwerden sie schon verhängt, so gehören sie schon allzeit den allerleichtesten Bußarten an.Große und schwere Bußen werden gewöhnlich nur den Reichen und Wohlhabenden auferlegt,die sich entweder zum Teil oder aber auch ganz von der Bußübung loskaufen können, so sie

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gerade wollen. Ganz aber kauft sich außer den Fürsten schon selten jemand los, weil so einvoller Loskauf ihn seines ganzen Vermögens berauben würde. Der Geizige verrichtet dieBuße dann schon selbst und tut sich eher die größten Martern an, ehe er sein Gold und Silberausliefern würde. Hat der, dem eine Buße diktiert ward, etwa eine sehr schöne Tochter oderauch einen sehr schönen und wohlgebildeten Sohn, so kann er diese an der Stelle des Goldesund Silbers dem Oberpriester zum Opfer bringen, freilich mit einer kleinen Mitgift undwohlgeschmückt und reichlichst gekleidet; denn dergleichen kann der Oberpriester und seinezahllos vielen Diener auch gut gebrauchen und zu allerlei Dienst verwenden. Denn er besitztein ungeheuer großes Ländergebiet für sich zumeist in den Bergen und Höhen, die eine solcheAusdehnung haben, daß ein Mensch jahrelang umherzugehen hätte, um alle die Ländereiengesehen zu haben, die dem Hohenpriester als ein Geschenk vom Lama gehören.‘“

29. Kapitel[029,01] (Roklus:) „,Die Stadt, in der er residiert, hat keinen Namen, ist sehr großund für die Ewigkeit fest erbaut. Sie steht, umgeben von lauter unübersteigbar höchstenGebirgen, selbst auf einem hohen Berge, über dessen Felswände wohl niemand zu kletternimstande sein dürfte, wenn er sich auch dem umfangreichen Berge nahen könnte, was aberdadurch zur barsten Unmöglichkeit wird, weil der ganze große Berg, auf dem die namenloseStadt erbaut steht, in der Hochebene, die eine große Ausdehnung hat, mit einer dreifachenRingmauer umgeben ist, durch die nirgends ein Tor geht; man kann über die Mauern nurmittels von oben herabgelassener Strickleitern gelangen.[029,02] Ist man aber auf diese Art auch über die drei gewaltigen Mauern glücklichgekommen, so steht man nun an den kahlen Felswänden des Berges. Man geht dann fleißigeinen ganzen und guten halben Tag um den Berg herum und sucht vergeblich einenmöglichen Aufgang, den man aber unmöglich findet, weil es äußerlich keinen gibt. Nur dieWächter der dritten Ringmauer kennen das Tor in einen Felsen, zu dem man aber auch nurwieder über eine herabgelassene Strickleiter gelangt. Ist man einmal auf dem Felsvorsprungeoben, der vom Boden gut bei zwölf Manneshöhen absteht, so hat man noch nichts erreicht,wenn die Wächter dieses Vorsprunges, der oben einen Flächenraum von gut zwei Morgeninnehat, einem das Tor nicht öffnen und einen mittels eines Fackellichtes durch einen langen,unterirdischen Gang hin auf des Berges Höhe führen.[029,03] Ist jemand nach einer starken Stunde auf unterirdischen Treppengängeneinmal auf der vollen Bergeshöhe angelangt, so kann sich sein Auge nicht satt sehen an dengroßen Naturherrlichkeiten, die es da erblickt. Der obere Flächenraum ist mehrere Hundertevon Morgen groß und besteht aus den üppigsten Gartenanlagen. In der Mitte der Hochflächebefindet sich auch ein bei zwei Morgen großer See, der zwar nicht sehr tief ist, aber dasreinste und wohlschmeckendste Wasser enthält und alle Einwohner der großen und heiligstenBergstadt mit seinem unentbehrlichsten Elemente bestens versieht.[029,04] Man geht nun stundenlang auf der hohen Bergfläche umher und bemerktkeine Spur von einer Stadt. Will man in diese kommen, so muß man erst einen ziemlichgedehnten Wald passieren, kommt dann wieder zu einer Ringmauer von großem Umfange,durch die man aber durch Tore und Zugbrücken gelangen kann. Kommt man also nach vielenMühen und Beschwerden in die große Stadt, so ist da eine Herrlichkeit zu sehen, von der sichkein Sterblicher einen Begriff machen kann. Man kann da alles sehen bis auf den Palast desOberpriesters.[029,05] Dieser befindet sich in der Mitte der großen Stadt auf einem noch höherenFelsen, der einen Umfang von gut dreitausend Schritten hat und noch bei dreißig Mannshöhenüber die anderen Gebäude der großen Stadt ragt. Man gelangt in diesen heiligsten Palast auchnur durch unterirdische Treppen. Wie es aber darin aussieht, kann ich dir nicht sagen, weil icherstens selbst nie darin war und mir auch niemand davon je eine Beschreibung gemacht hat;denn außer den Hochdienern des Oberpriesters darf bei Lebensstrafe niemand jemals eswagen, sich auch nur der Eingangspforte zu nahen.[029,06] Es soll wohl zu öfteren Malen der Oberpriester verkleidet in die Stadtherabkommen, auch in den Gärten Lustwandlungen vornehmen und sich besprechen mit den

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anderen Priestern als den einzigen Bewohnern dieser Stadt; aber es darf ihn da ja niemanderkennen oder ihn gar als Oberpriester begrüßen. Wer von den Priestern das tun würde, würdesich sehr bedenklichen Unannehmlichkeiten aussetzen. Nur viermal im Jahre ist ein Tagbestimmt, an dem er sich im vollsten Ornate den Bewohnern der Stadt zeigt. Das sind aberdann auch die höchsten Feiertage. Drei Nächte vor- und drei Nächte nachher erbrennt derganze Berg von zahllosen Lichtern, so daß davon alle die Umgebirge weit und breit wieglühend erscheinen, was stets einen furchtbar schönen Anblick gewährt.[029,07] Zu dieser Hochebene, in deren Mitte sich der nun beschriebene Berg mit derheiligen Stadt befindet, gelangt man aber auch nicht so leicht, wie du dir's vielleicht vorstellst;denn man muß da zuvor tagereisenlang viele Berge, Täler, Gräben und Schluchten passieren.Am Ende kommt noch ein Engpaß, wie es keinen zweiten irgend in der Welt mehr gebenkann! Um endlich in die Hochebene zu gelangen, muß man über Leitern steigen, ohne die esunmöglich wäre, auf die Hochebene zu kommen. Da kannst du mit aller deiner Machtunmöglich vorwärtsdringen; denn diese Naturfestungen sind für keine irdische Kriegsmachteinnehmbar, weder durch Belagerung, noch durch was immer für andere Gewaltmittel. Dukannst zwar die Völker auf eine Zeitlang von ihrem Lamaoberpriester abschneiden, – aber sievon ihm abwendig machen nimmer! Denn dafür sorgen schon seine mächtigen Fürsten, vondenen dir ein jeder deine Kriegsmacht verdoppeln kann. Ich rate es dir demnach nicht, dicham großen Indien zu vergreifen; denn es würde dir dabei sehr schlecht ergehen!‘ – Hieraufschwieg er wieder, und ich hatte Zeit, mir meinen schönsten Teil zu denken. Daß derIndiergott abermals ein Mensch ist und sich sehr wohl zu befestigen verstanden hat, das habeich herausbekommen und wußte nun eben das, was ich hatte wissen wollen.“

30. Kapitel[030,01] (Roklus:) „Ja, ich hatte früher mich dahin ausgesprochen, daß die Idee desMenschen von einem einigen Gotte, dem von Ewigkeit her schon gleichfort die größteIntelligenz, der klarste Verstand, die höchste Weisheit und der beste und allmächtigste Willeinnewohnte, wohl zu den schönsten und des Menschen würdigsten zu zählen wäre. Aber derBegriff von einem also überaus vollkommenen Gottwesen müßte dem Wesen angemessenauch ein höchst reiner sein, fände er im geistigst transzendentalen Hintergrunde schon eineRealität oder auch keine! Aber unter was für allerlei dümmsten und materiellsten Begriffenwird so ein Gottwesen bekennet, und mit welch allerleiartiger List und oft grausamsterGewalt wird dasselbe den andern noch nüchternen Naturmenschen zur Anbetung und tiefstenVerehrung aufgedrungen![030,02] Da heißt es, wenn man sich als ein erfahrener Denker dagegen sträubt: EinGott muß sein, gleichviel, was er für ein Gesicht macht; ob ein eines Gottes würdiges oder obein noch so fratzenhaft dummes, das ist dem stockblinden Menschen im allgemeinen stetsgleich gewesen! Kann aber das auch einer gebildeten, reinen Vernunft gleich sein? Ich glaubees nicht; denn eine reine Vernunft basiert auf einer mathematisch richtigen, logischenOrdnung und kann sich bei allem Zwange nimmer vorstellen, daß ein Meister, von dem seinekunstvollsten und geordnetsten Werke zeugen, welche vielen Kenntnisse und gediegenstenErfahrungen er besessen haben muß, um solche großartigsten und geordnetst künstlichenWerke ins Dasein zu rufen, noch um vieles dümmer und stupider gewesen sei als derallerdümmste Fisch im Wasser![030,03] Woher aber, sagt man, könnte ich das vermuten, daß eine von MillionenMenschen tiefst verehrte Gottheit gar so entsetzlich dumm sein sollte? Nein, höre, du hoherFreund, dazu gehört wahrlich nicht gar soviel! Ich rede nun ganz offen, wie es mir auch ganzoffen aus dem Herzen im Munde liegt. Gehen wir die Gebote der uns bekannten Gottheitendurch, und betrachten wir ihre uns allein sichtbaren, bildlichen Vorstellungen, und wir habengenug! Mehr braucht man darüber gar nicht zu sagen.“[030,04] Sagt hier Cyrenius: „Na, gegen das Mosaische der Juden wirst duhoffentlich doch nichts einzuwenden haben?“[030,05] Sagt Roklus: „Das ist allerdings noch das beste von allen Geboten, die mirals von Göttern herstammend vorgekommen sind. Die Einheit Gottes hat viel für sich, und die

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Gesetze, wenn schon nicht erschöpfend, sind möglichst human und haben eine großeÄhnlichkeit mit jenen des alten Ägypten; nur hat er ein gar weises Gesetz der alten Ägypternicht wiedergegeben! Es ist sehr schön und löblich, daß die Gottheit Mosis ein Gesetz denKindern gibt, wie sich diese gegen ihre Eltern zu benehmen haben; aber die Isis der Ägypterhatte auch ein recht weises Gesetz den Eltern gegeben, wie sich diese gegen ihre Kinder zubenehmen haben sollen, da auch die Kinder Menschen sind und von ihren Erzeugern etwasGewisses mit allem Rechte zu verlangen haben sollen, das ihnen gebührt; denn sie haben sichnicht selbst in diese Welt hineingezeugt und sind vorher nicht gefragt worden, ob es ihnenwohl recht sein werde, unter oft sehr bitteren Bedingungen in diese Welt gesetzt zu werden.Kurz, die kleinen, schwachen Erstlingsmenschen haben beim Moses wohl ein Gesetz für denVerhalt gegen ihre Alten; aber diese haben keines gegen die Kinder, und so stehen dieserechtlos vor ihren Eltern, gleich den Sklaven gegenüber ihren Herren. Es sind von Moseswohl spätere und nachträgliche Anordnungen auch in dieser Hinsicht gegeben worden; aberim anfänglichen Gesetze, das auf dem Berge von Gott gegeben worden sei, kommt darinnichts vor.“

31. Kapitel[031,01] (Roklus:) „Ich habe viel mit Juden verkehrt und kenne alle ihre Gesetzevielleicht besser als so mancher von ihnen; denn mir lag daran, sie genauest kennenzulernen.Ein altes Sprichwort sagt zwar: ,Wer sucht, der findet!‘, – aber bei mir hat sich dieser Spruchbisher noch nicht bewahrheiten wollen; denn ich fand stets nur das, was ich nicht gesuchthabe. Ich habe die echte und wahre Gottheit gesucht, und das mit vielem Fleiße und mitvielen Aufopferungen von Geldmitteln, Mühen und Strapazen aller Art, und das auch stetsnüchternen Geistes und Verstandes, – fand aber nichts, gar nichts als Menschentrugwerk allerArt und Gattung, wo von einer wahren Gottheit nicht ein Sonnenstäubchen großherausgeschaut hat. Überall fand ich im besten Falle entweder den patriarchalischenAutoritätsglauben, aber stets in einen ganzen Urwald von Mystik eingehüllt, oder imschlimmeren Falle den leichtsinnigsten Aberglauben oder im gar allerschlimmsten Falle dentollsten Glauben aus politisch knechtischem Zwange, unter dessen Ägide (Schutz) es am Endeselbst einem von Natur aus mit den hellsten Anlagen versehenen Geiste nicht mehr möglichwird, sich über dem Schlamme der krassesten Dummheiten zu erhalten. Er wird euch einHeuchler und ein Scheusal in seinen höchst eigenen Augen werden; denn etwasScheußlicheres und Elenderes kenne ich nicht gegen die hohe Würde eines Menschengeistes,auf ein von seiten eines mächtigen Tyrannen sanktioniertes Gesetz hin annehmen zu müssen,daß am Tage nur stets der Mond leuchtet und den Tag bewirkt und in der Nacht aber dieSonne; und wer das nicht glaubt, dem werden die Augen ausgestochen, Nase und Ohrenabgeschnitten und die Zunge aus dem Munde gerissen. Das ist der erste Grad der Strafe fürden Unglauben.[031,02] Glaubt ein so verstümmelter Mensch dann noch nicht, was ihm zumGlauben vorgestellt wird, so wird der Ungläubige auf ein rauhstes Querholz ganz nackt anHänden und Füßen – sage – angenagelt, darauf wird ihm der Bauch nach kreuz und queraufgeschlitzt, und es werden dann ausgehungerte Hunde hinzugelassen, die dem Ungläubigenbei noch völlig lebendigem Leibe Gedärme und Eingeweide aus dem Leibe herausreißen undauffressen! Wer das etwa nicht glauben könnte, der reise nach Indien, und er wird nicht nurdas, sondern noch tausendfach Ärgeres antreffen, was sich die Menschen selbst antun müssen.Und würde sich jemand weigern, sich selbst die scheußlichste Marter als Büßer anzutun, demwehe, wehe, wehe, – dem ist der Tod mit tausend Eiden geschworen, natürlich derallergrausamsten und verzweiflungsvollsten Art! Und, Freund, dahinter solle irgendeinehöchst weise, höchst gute, gerechteste und allmächtige Gottheit verborgen sein? So ich einzehnfacher Narr würde, so wäre mir so etwas anzunehmen dennoch unmöglich![031,03] Darum höret mir auf mit allem Göttertume! Die Menschen benötigen ewigkeines Gottes, wohl aber der wahren philanthropischen Philosophie und einer aufVernunftprinzipien gegründeten Humanität, und sie werden dadurch selbst ganz vollendetvollkommene Götter. Mit der reinen Vernunft und mit ihrem geweckten Forschungsgeiste

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werden die scharf sehenden und fein fühlenden Menschen der großen Schöpferin Natur baldrecht viele und wichtige Geheimnisse ablauschen und wunderbare Taten zustande bringen,von denen keinem von uns noch je etwas geträumt hat, und die Menschen werden ohne diealten, dummen Götter ganz überaus glücklich untereinander im Handel und Wandel leben,und der physische Tod, hinter dem sie zwar weder ein Elysium, noch weniger irgendeinenallerwahnsinnigsten Tartarus in ihrer reinen Phantasie schauen und erwarten werden, wirdihnen sicher eine viel geringere Angst machen denn so, wo sie nach der Ablegung des Leibeserst die rechte und allerscheußlichste Kalamität für ewig dauernd erwartet.[031,04] Ich war Ewigkeiten nicht; fühle ich etwa eine Traurigkeit deshalb, daß ichnicht war? Also werde ich um dies tolle Sein sicher noch weniger etwas von einer lästigenTraurigkeit fühlen im Zustande meines abermaligen und völligen Nichtseins. Ich halte dasvöllige Nichtsein für den glücklichsten Stand eines einmal dagewesenen Menschen; das Sichdaseiend-Fühlen selbst in den glücklichsten Zuständen ist schon an und für sich schlechter,weil mit dem glücklichsten Dasein auch die Furcht mit da ist, entweder in ein unglücklichesDasein gar leicht geraten zu können oder mit dem Tode dereinst den höchst glücklichenZustand doch offenbarst und sicherst verlieren zu müssen.[031,05] Das vollkommene Nichtsein hat weder das Glück zu genießen, nochdesselben sicher kommenden Verlust schon im voraus zu betrauern. Einen rechtenPhilosophen meiner Art wird daher kein Tod, den die Natur gibt, schrecken, wohl aber einMartertod! Denn darum hat die liebe Natur den Menschen ja etwa doch nicht hervorgebrachtaus irgendeinem in ihrem Erdhumus erzeugten Stoffe, damit er sich martern lassen solle vonseinesgleichen!? Kurz, ich sehe in dem Wirken der Natur sehr viel Weises, obwohl ich geradeauch nicht jede Wirkung der rohen Naturkraft für unbedingt allerweisest und zweckmäßigsthalte; aber ich werde darüber nie eine Klage erheben.“

32. Kapitel[032,01] (Roklus:) „Die rohen und dabei dennoch gewaltigsten Kräfte der Naturkönnen nicht anders als nur höchst roh wirken, und ihr sogestaltiges Wirken ist einnotwendiges; denn ihr tobendes Wirken ruft die Kleinkräfte ins Leben, und diese gestaltensich dann erst zu etwas, wenn sie durch das gewaltigste Wirken der großen Rohkräftegewisserart ins Leben gerufen werden. Durch gegenseitiges Anziehen und Abstoßen werdendie kleinen Kräfte erst gestaltig und fangen an, die angenommenen Formen auszubilden,treten also in ein gefühltes Dasein, das sie so lange behalten, als sie in ihrer Abgesondertheiteiner andern, mächtiger auf sie einwirkenden Kraft zu widerstehen vermögen. Hat diese dieKleinkraft überwältigt, so ist es mit der abgesonderten Kleinkraft völlig gar. Es löst sich dasogleich die Form mit ihr auf, und alles wird von der Großkraft wieder verschlungen, wiesolches auch das sicher von einem Weisen der Urzeit ausgedachte Bild des Kronos rechttreffend zeigt, wie er als Genitor der Götter seine Kinder wieder verschlingt. Die Zeit und diein ihr wirkenden Kräfte sind eben der besagte mythische Urgott Kronos. Die Zeit bringt alleshervor; immerwährend erzeugt sie lachende Fluren und zugleich die dürren Stoppelfelder.Werden und Vergehen, Leben und Tod, Sein und Nichtsein wandeln stets gleichzeitigmiteinander einher. Keine Ruhe, keine Rast; eine Woge ruft die Nachbarin ins Dasein, – aberzwischen ihnen gehet auch gleich die Furche, das Grab, einher! Was da trägt den Stempel desLebens, das trägt auf der Kehrseite auch den Stempel des Todes.[032,02] Das alles aber ist für den sorglichen Beobachter der Dinge, wie sie kommenund vergehen, eine notwendige Folge von der beständigen Wechselwirkung derverschiedenen Einzel- und Sonderkräfte in der großen Natur. Diese erwecken sich gleichfortgegenseitig und zerstören sich also wieder kämpfend, wie sie sich kämpfend ins Daseingerufen haben. Ich sehe allenthalben ein fortwährendes Wogenspiel, und die oft fabelhaftenGebilde der in der Hochluft schwebenden Wolken liefern uns einen ganz handgreiflichenBeweis dafür, in welche höchst verschiedenen Formen sich die gegenseitig wirkenden Kräftehineinzwängen. Bald kommt ein Löwe, bald ein Drache, bald ein Vogel, ein Fisch, ein Hund,ja sehr oft sogar ein Menschenkopf, manchmal sogar ein zerfratzter ganzer Mensch zum

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Vorschein! Aber wie lange dauern diese oft recht schön ausgebildeten Formen? So lange, alskeine stärker auf sie einwirkende Kraft sie vorerst um die schöne Form und endlich gar umsDasein bringt![032,03] Ist es denn aber mit unserer Form und mit unserem Dasein etwa sehr vielanders? Durchaus nicht! Wie sehr verändert sich diese beim Menschen von der Geburt an bisin sein Greisenalter, wenn er ein solches erreicht! Und wo ist der stolze Mensch, der vortausend Jahren die ganze Erde zu erobern sich vornahm? Dort, wo die Schneeflocke weilt, diemit ihren Millionen Geschwistern die ganze Erde in Eis zu verwandeln bemüht war! Wo istder Orkan, dem gestern noch die stärksten Zedern im Wege standen, und der ihrem Dasein einvölliges Ende zu machen drohte? Eine mächtigere Gegenkraft hat ihn, wie der Kronos seineKinder, verschlungen! Nur in unserer auch nur zeitweiligen Erinnerung besteht er sehrmattgeistig noch fort; in der Wirklichkeit aber hat er für die ganze Ewigkeit zu tobenaufgehört![032,04] Als ich durch Persien reiste, ward ich Zeuge einer höchst merkwürdigenNaturerscheinung. Es war ein glühheißer Tag, so daß wir mit unserer Karawane unter großen,schattigen Bäumen Schutz vor den zu glühend heißen Sonnenstrahlen suchen mußten. Etwaein paar Stunden vor dem Sonnenuntergange bemerkten wir von Osten her ein starkes,kohlschwarzes Gewölke aufsteigen und die Zugrichtung gegen uns nehmen. Unsere Führerprophezeiten uns einen mächtigen Sturm und rieten uns, den Wald nicht eher zu verlassen, alsbis der Sturm vorübergesaust sein werde. Wir taten das, und in einer halben Stunde war derSturm mit Blitz und Donner über uns. Es krachte und tobte ganz entsetzlich in den Bäumen,und mancher starke Ast hat da sein Dasein eingebüßt, und das arme Laub der Bäume hatgewaltig gelitten. Es fing an zu regnen, aber eben nicht zu reichlich; doch ward es finstererund finsterer. Als der Regen aber einige Augenblicke anhielt, da fingen unter den stetsreichlicher fallenden Regentropfen auch ganz vollkommen ausgebildete Krötenmillionenweise aus den Wolken mit dem Regen auf die Erde zu fallen an. Die ins Wasserfielen, die schwammen ganz gut herum, während nur wenige die auf den harten Erdbodenfielen, mit dem Leben auf einige Augenblicke davonkamen. Merkwürdig war es, daß wenigeAugenblicke nach diesem sonderbaren Sturm, der eine starke Viertelstunde anhielt, als diedem Untergange sich nahende Sonne wieder ihre heißen Strahlen auf den Erdboden schießenließ, auch unsere Kröten verschwanden und nichts als ein schleimiger Schimmel von ihnenübrigblieb, und das auch nur hier und da.[032,05] Nun frage ich, von woher diese zahllos vielen Kröten gekommen sind, undwer sie also gebildet hat? Wer anders als die Naturkräfte, die sich wie zufällig in der Artbegegnet sind, daß aus ihrem gegenseitigen Anstreben gerade die Kröten entstehen mußten!Diejenigen, die ins Wasser kamen, fanden wahrscheinlich eine ihnen zusagende Nahrung inihrem Hauptelemente, und es dürften viele erhalten worden sein; aber die da auf denglühheißen Erdboden fielen, trafen ein ihrem Wesen feindliches Element und ihnen sehrentgegenstrebende Kräfte, und die Folge war die völlige Auflösung ihrer für die Kürze ihresSeins noch zu wenig gediegenen Existenz. Die Natur wirkt, wie man aus gar vielenErscheinungen gar deutlich abnehmen kann, allzeit blind ohne irgendwelche ökonomischeBerechnung; sie erzeugt Dinge von einer oder der andern Art stets in einer solchen Unzahl,von der gewöhnlich kaum der hundertste Teil zu einer gediegenen und dauernden Existenzgelangt. Man betrachte nur einen Baum, der im Frühjahre seine Blüten ansetzt! Wer wollteoder könnte die tausendmal tausend Blüten zählen? Man gehe aber nur acht Tage nach derBlütezeit unter dem Baume herum, und man wird da schon eine große Menge herabgefallenerBlüten samt den Nährstengelchen am Boden finden; darauf aber geht dann das Herabfallendes zu vielen Ansatzes in einem fort bis zum vollen Reifwerden des am Baume Gebliebenen.“

33. Kapitel[033,01] (Roklus:) „Wäre nun irgendein höchst weiser Gott der Schöpfer des Baumesund seines Fruchtansatzes, so würde er doch sicher ökonomischer zu Werke gehen, weil denneine weise Ökonomie doch auch in die Sphäre der Weisheit gehört! Aber aus dem oft höchstunwirtschaftlichen anfänglichen Ansatze der Dinge leuchtet ja doch mehr als klar hervor, daß

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die aus den rohen Naturkräften in ihrem gegenseitigen, sich zumeist auf dieselbe Art stetswiederholenden Kampfe hervorgehenden Dinge in einer Unzahl angesetzt werden, von derdann nur so viele zu Vollendung gelangen, als inwieweit die streitenden Kräfte sichgegenseitig nicht zum Schweigen gebracht haben; denn mit solchem Schweigen hört diewirkende Ursache des Werdens und Erhaltens auf und mit ihr notwendig das hervorgebrachteWerk selbst. Insoweit aber der einmal angefangene Kampf sich noch forterhält und fortwährt,wird auch sein Werk mit ihm fortbestehen, gedeihen und zu einer bestimmten Reife gelangen.[033,02] Würde eine ihrer selbst und jeder ihrer Handlungen klarst bewußte Gottheitmit aller Weisheit und mit aller der beharrlichsten Willensfestigkeit auch also handelnkönnen? Ich sage: Nein, das müßte ihr noch um vieles unmöglicher sein, als so ich mir einenallerweisesten Herrscher denken sollte, der mit dem größten Fleiß und Kostenaufwand Städteund Paläste erbauete, um sie hernach wieder übern Haufen zusammenzuschmeißen, und deres so treiben würde fort und fort! Würde es da wohl noch irgendeinen noch so blödenMenschen geben auf der Erde, dem es einfiele, ihn weise zu nennen?! Nun soll aber derdenkende und vielerfahrene Mensch einen Gott weise nennen, der dasselbe in einem noch vielkomplizierteren Maße tut, der Werke von höchster innerer organischer Vollendung zumgrößten Teile bloß darum ins Dasein ruft, um sie gleich wieder zu verderben und zuvernichten! Nein, das stelle sich vor, wer sich in der großen Beschränktheit seinerErkenntnisse und Erfahrungen so was in seiner großen Blindheit vorstellen kann; mir ist dasunmöglich![033,03] Beim höchst weisesten Gotte muß zwei und zwei so gut die Summe viergeben wie beim im Rechnen kundigen Menschen. Sagte ein irgend bestehender Gott aber:,Du, mein lieber Mensch, bei mir ist zwei und zwei fünf, auch sieben!‘, so würde ich selbst zusolch einem Gotte sagen: ,Entweder bist du ein Narr, oder es beliebt dir, mich für einen zuhalten; denn mit solch einer Rechnungskunde wird sich von dir schwer eine ganze Welterschaffen und erhalten lassen! Eher wird ein Blinder einer der berühmtesten Kunstmaler, alsbis du mir mit solcher deiner Weisheit den schlechtesten Pilz dem Erdboden entlockst!‘ WirGriechen hatten einen Maler namens Apelles, der malte Menschen und Tiere derartnaturgetreu, daß die Natur, man konnte sagen, übertroffen war. Nun, dieser berühmte Malertat gewiß keinen Strich umsonst, sondern hat jeden gar wohl berechnet; wie viele Striche abermacht solch ein weisest sein sollender Gott, bei dem aus ganz besonderen, weisen Gründenzwei und zwei auch sieben sein kann oder gar muß, umsonst![033,04] Da steht oft im Frühjahre alles so schön und hoffnungsreich! Die Menschenfreuen sich schon auf eine gute Ernte, um ihre Arbeit und Mühe belohnt zu bekommen. Siedanken schon im voraus dem unsichtbaren Wesen, das sie nach ihrem ihnen von Kindheit aneingepflanzten Glauben als den allmächtigen Gott oder auch als mehrere Götter anbeten. Abergerade ein paar Wochen vor der Ernte kommt ein gewaltigster Sturm und verheert ein ganzesLand derart, daß die guten Menschen nicht so viel von der angehofften Ernte bekommen, alssie hinter einem Nagel verbergen könnten! Das ist eine Erscheinung, die sich auf der Erde,soweit wir sie kennen, alle Jahre sicher in den verschiedensten Ländern regelmäßig bald hierund bald dort wiederholt.[033,05] Nun eilen die blinden, abergläubischen Schafe von Menschen zu ihrenbodenlos habgierigen Priestern und fragen diese, was sie denn doch verschuldet hätten vorGott oder vor den Göttern, daß diese sie gar so hart heimgesucht hätten! Stehet den Priesternwohlbekannt das Volk so da, daß diese Gesetzgeber an Gottes Statt durchaus nicht gegen diegesetzliche und also von den Göttern geforderte Lebensweise etwas einzuwenden haben, dannnehmen die Priester ein ganz gutmütiges und mitleidiges Gesicht an und vertrösten die armenSchafe, so gut sie's nur können und mögen, ermahnen sie mit gar sanften Worten zur Geduldund erklären ihnen auch so eindringlich als möglich, daß Gott dadurch bloß ihre Geduld, dieStärke ihres Glaubens und die zufriedenheitsvolle Ergebung in seinen Willen, ihretwegenselbst, auf eine Probe des ewigen Lebens nach des Leibes Tode gestellt habe![033,06] Den weinenden Juden wird allzeit bei solchen Gelegenheiten der starkmythische Hiob vorgehalten, was eine recht gute Fabel ist; und für die Heiden gibt es in ihrenReligionsbüchern auch eine Menge solcher die Traurigkeit der armen Völker

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niederschlagenden Anekdötchen. Mit solchen Vertröstungen kehren die Völker dann wiederganz getröstet und gewisserart vergnügt nach Hause zurück und ergeben sich ganz voll derHoffnung auf bessere Zeiten, und daß sie Gott darum doch nicht werde ganz zugrunde gehenlassen!“

34. Kapitel[034,01] Ich aber frage hier bloß, was die weltlichen Gerichte mit einem Menschentun würden, der sich mit mehreren Helfershelfern den bösen Spaß erlauben würde, etwa ineiner Nacht die gesegneten Felder nur einer kleinen Gegend soviel als möglich zu verheeren?Ich glaube, solch einen mutwilligen Bösewicht würden die Römer wenigstens zehnmalkreuzigen, wenn sie seiner habhaft würden, oder sie würden ihn nach einem etwaigenärztlichen Befunde in eine Irrenanstalt auf lebenslänglich verbannen. Aber einen Gott betetman darum noch an und hält ihn für endlos weise! Auch nicht übel, wenn man sich dabei nurglücklich fühlt! Denn der Götter höchste Weisheit hat ja das unbesiegbare Vorrecht in derganzen Schöpfung, die allertollsten Streiche auszuüben; sie kann nach Gutdünken rauben,morden und verderben, und es wird niemandem beifallen, sich auch nur zu denken, daß sie daeinen böstollen Streich ausgeführt habe. Nur das getrauen sich die abergläubischen Menschenaber doch zu denken, daß die vorbesprochene Verheerung der Saaten eben nichts Gutes war;denn wäre sie etwas Gutes, so hätten sich die armen, guten Menschen den Gang zu denStellvertretern der Götter sicher erspart.[034,02] Was geschieht denn einem Menschen, der einem andern sein Haus anzündetund ihm dadurch nicht nur das Haus, sondern auch alles, was im selben aufbewahrt war,zerstört und also aus einem wohlhabenden Bürger einen Bettler macht? Meines Wissensgehört der Mordbrenner nach dem Gesetze ans Kreuz. Wenn aber der Herr Gott Zeus denverheerenden Blitz in jemandes Haus schleudert und ihm dadurch alles durchs Feuerverheeren läßt, so ist das undenkbar anders als höchst gut und höchst weise! Wehe dem, derdas nicht also nähme und eisenfest daran glaubete; den würde der Pontifex maximus dannschon den Zorn des Gottes Zeus auf eine Art fühlen lassen, gegen die das Abbrennen einesHauses als eine enorme Wohltat anzusehen wäre! Ich aber bin so frei, hier die Frageaufzustellen, und sage: Wenn die Gottes Stelle vertretenden Menschen diehäuserabbrennerische Tat als vom Zeus ausgehend für so weise und höchst gut und gerechtansehen, warum sehen sie dann eine gleiche Tat, von einem Menschen verübt, für so höchstverworfen schlecht an, daß sie es für nötig finden, ihn dafür mit dem martervollsten Tode zubestrafen?[034,03] Ich urteile da freilich also und sage: Das wahrhaft Gute und wahrhaft Weisemuß, von wem immer verübt, ewig gut und weise bleiben und verdient darum keine Strafe!Weil aber die auf Erden die Götter vertretenden pfiffigen Menschen es geheim bei sich, gleichuns gutmütigen Essäern, wohl wissen, daß es keine Götter, sondern nur eine urroheallgemeine Naturkraft gibt, deren Wirken ein pur zufälliges ist, das im weiteren Verlaufe undin den verschiedensten Auszweigungen erst in notwendig edlere Formen ausartet, so habenGottesvertreter mittels ihrer Phantasie die Naturkraft als einen Gott allegorisch personifiziertund den anderen Menschen, die selbst nie etwas dachten, zur Verehrung und Anbetunggewöhnlich bildlich vorgestellt.[034,04] Der auf solche Art ausgeheckte Gott mußte sich denn auch zu rührenanfangen, und das natürlich so wundertätig als möglich! Hatte das Volk einmal den Gottdurch mannigfache Wundertaten wahrgenommen, so mußte es sich auch bald scharfe Gesetzevon ihm gefallen lassen. Wehe den Übertretern derselben! Damit die Menschheit in ihrerblinden und dummen Furcht vor dem einmal ungezweifelt angenommenen wundertätigenGotte aber nicht nach einer leicht verübbaren Sünde in eine völlige Verzweiflung übergehenmöchte, so haben die pfiffigen Gottesvertreter an Wiederaussöhnungsmittel mit derbeleidigten Gottheit gedacht und haben dafür Opfer und andere peinliche Bußarten erfunden,durch die der Sünder wieder zur Freundschaft seines beleidigten Gottes gelangen kann. Undso gibt's nun schon überall auf der lieben Erde nebst den bürgerlichen Landesgesetzen auchvon einem oder dem andern Gotte ausgehende Gesetze, die so gestellt sind, daß sich selbst ein

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in allem noch so keuscher und tugendvoller Mensch ohne weiteres täglich mindestenszehnmal dagegen versündigen muß, wodurch er sich der Gnade und des Wohlgefallens seinesGottes ein wenig unwürdig gemacht hat. Er muß sich am Abende, noch vor dem Untergangeder Sonne, durch vorgeschriebene Mittel reinigen, ansonst er gleich in ein größeres Übelverfallen kann.[034,05] Ich kann und will das durchaus nicht schlecht nennen; denn es schadetnicht, so die Menschheit ein zartes Gewissen hat, und gewisse Waschungen undReinhaltungen des Leibes haben noch keinem Menschen je geschadet. Aber mir undmeinesgleichen darf man sie nicht als Anordnungen eines Gottes, der nirgends existiert,aufbürden! Ich und meine Gefährten wissen das, was wir wissen, und niemand kann unsnachsagen, daß wir für unser reinstes Wissen jemals Jünger geworben haben. Aber das wirduns etwa doch geheim wenigstens erlaubt sein, daß wir für uns kein X für ein U haltendürfen?! Wir werden nie jemandem zu nahe treten, da wir sämtlich Menschenfreunde sind;aber wir bitten auch uns ungeschoren zu lassen. Wozu keulen die Priester Jerusalems nun ineinem fort auf uns Essäer? Sie sollen sein, was sie sind, und wir, was wir sind; denn sie sindvor dem Forum der reinen Vernunft nicht um ein Haar mehr als wir, – wir im Grunde auchnicht mehr denn sie. Wir verfluchen sie aber nicht, sondern bedauern sie nur ihrer grobenBlindheit wegen. Wer aber gibt ihnen das Recht, uns zu verfluchen, da wir doch uns selbst dasschwere Problem gestellt haben, nie einen Menschen zu richten und zu verderben, sondernnur jedermann zu helfen mit Rat und Tat?![034,06] Verüben wir auch falsche Wunder – denn wahre hat es nie gegeben –, sogeschieht das darum, um der blinden und blind bleiben wollenden Menschheit desto leichterzu helfen, weil ihr auf einem hellen, rein menschlichen Wege nicht mehr zu helfen ist. Dasaber sollte von solchen Priestern, die sich Schriftgelehrte nennen und doch auch wissenmüßten, wie sie daran sind, doch auch eingesehen werden! Sie sollten sich mit uns vereinenund mit uns gemeinsam wirken, und in wenigen Jahren schon würde es mit der Menschheitganz anders aussehen denn jetzt.“

35. Kapitel[035,01] (Roklus:) „Aber diese Gottesstellvertreter in Jerusalem sind erstens dummwie die Nachteulen am Tage, dabei gefräßig wie die Wölfe und herrsch- und eifersüchtig wieein roter Hahn, und dabei aber dennoch roh, ungeschlacht und unverträglich wie dieWildschweine! Wer kann da mit solchen Nachbarn in Frieden und Einigkeit leben?! Wer mußbei so bewandten Umständen in seiner gerechten Erbitterung nicht gegen sie zeugen?!Solchen Auswürflingen der Menschheit gegenüber muß man ja dann und wann mit der reinenWahrheit vor allen Menschen auftreten und diesen wohlmeinend zeigen, mit welchenallerschändlichsten Lumpen sie zu tun haben! Wir nehmen dadurch der Menschheit gewißnichts anderes weg als ihre alte Blindheit![035,02] Daß das den alten, an Herz und Seele versteinerten Schoßkindern Abrahamseben nicht sehr angenehm ist, läßt sich ganz wohl denken; aber wir können da wahrlich nichtsdafür, und es wäre nun wohl schon hoch an der Zeit, diesen alten Augiasstall einmal zureinigen! Diese Kerle verschreien uns als gottlos und nennen uns Lästerer des Allerheiligsten.Wo ist denn ihr Gott, den wir verlästerten, und was ist ihr Allerheiligstes?! Etwa ihr Tempel,der Vorhang in demselben, oder die halbeherne und halbhölzerne Bundeslade mit derNaphthaflamme oder vormals mit einer Rauchsäule, die freilich etwas schwerer herzustellenwar als die Naphthaflamme?! Oder sollen etwa die riesigen sogenannten Cherubs dasAllerheiligste darstellen, oder das alte Manna in der Lade, der Stab Aarons, oder die altenOchsenhornposaunen, durch deren Schall Jerichos Mauern eingestürzt sind, die goldene HarfeDavids und seine Krone, oder die gesamte sogenannte heilige Schrift, die die Pharisäer nichtmehr lesen, sondern bloß nur anbeten dürfen?! Kurz, ich möchte der Juden Gott und seinAllerheiligstes denn doch einmal anderswo sehen oder in etwas anderem wahrnehmen als insolch einem antiken Gerümpel, darin nichts anderes ersichtlich und wahrnehmbar ist als einealte, ägyptisch typische Plumpheit menschlicher Künstlerhände, die von etwas reinGöttlichem aber noch um vieles weiter entfernt ist als das Blaue des Himmels von der Erde!

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Wenn man aber das verlästert, was an und für sich nichts als eine alte, allerschmählichsteLüge ist, – was Arges tut man denn da?![035,03] Oder soll man etwa so einem alten und verrosteten Menschenbetruge garnoch einen Lobredner machen, um der jüdischen Gottheit, die gleich dem römischen Zeuseine barste Null ist, einen angenehmen Dienst zu erweisen?! Nein, so etwas wird ein ehrlicherEssäer wohl nie tun! Wir kennen ein anderes Allerheiligstes, und das ist ein ehrliches undbiederes Menschenherz! Darin ist der Sitz der wahren Gottheit! Diese soll ein jeder wahre undehrliche Mensch in sich, wie auch in seinem Nebenmenschen, anerkennen! Tut er das, soachtet er seine Menschenwürde auch in seinem Nächsten; tut er das aber nicht, so gibt er sichselbst ein ganz erbärmlich schlechtes Zeugnis und würdigt sich unter das allervernunftlosesteTier herab. Ja, es kann einen Gott geben; aber den findet der Mensch nur in der wahrenLebenstiefe seines eigenen Herzens, und dieses wahren Gottes Name heißt ,Liebe‘! Das ist dieeinzige und wahre Gottheit; außer dieser gibt es ewig keine irgendwo! Wer diese so rechtgefunden hat, der hat das Prinzip des Lebens gefunden und wird dann mit diesem noch einmehreres finden, vielleicht sogar ein ewiges, unverwüstbares Leben![035,04] Man sammle in sich durch Liebe die Liebe und mache sie dadurchmächtiger und mächtiger! Durch solch eine konzentrierte Lebenskraft wird man vielleichtganz leicht und gewiß jenen feindlichen anderen Kräften mit Erfolg die Spitze bieten könnenund wird sich dadurch als ein Sieger seinen Lebensfortbestand inmitten von tausend feindlich,auf ihn blind einwirkenden Kräften für ewig sichern können, wennschon nicht leiblich, sodoch gewisserart geistig, was an und für sich doch ursprünglich eine jede Kraft ist und seinmuß; denn das, was wir einmal zu Gesichte bekommen, ist nicht mehr die wirkende Kraftselbst, sondern nur das von ihr Gewirkte. Wenn wir aber die Werke der allgemeinenNaturkraft mit einem aufmerksamen Blicke betrachten, so finden wir gar bald und leicht, daßsich irgend Kräfte, als Teile der allgemeinen Urkraft, unter irgend von selbst aufgefundenenBedingungen konsolidiert haben müssen, ansonst sie, als stets die gleichen daseiend, es nichtvermöchten, die stets gleichen Wirkungen an das Tageslicht der Welt zu liefern. GleicheWirkungen setzen auch die stets gleichen Ursachen voraus. Eine Kraft aber, die sich aus denstets unverändert gleichen Wirkungen als eben auch unverändert daseiend offenbart, muß insich ein volles Bewußtsein und eine für ihr Wirken ganz genügende und helle Intelligenzhaben, durch die sie sich tunlichst mit den ganz gehörigen Waffen versieht, mittels welchersie allzeit siegreich aus einem Kampfe mit andern, noch roheren Kräften hervorgehen kannund auch wird; denn könnte sie irgend besiegt oder völlig aufgelöst werden, so würde das,was sie durch ihr Wirken hervorgebracht hatte, auch sicher nie und nimmer zum Vorscheinekommen. Nehmen wir nur an, daß die unsichtbare Kraft, aus deren Wirken zum Beispiel dieFeige hervorgeht, irgend von andern Kräften aufgelöst werden könnte, so würde auch keineFeige je irgend mehr zum Vorscheine kommen![035,05] Wenn wir aber durch solche Beobachtung schon eine zahllose Menge vonKräften in ihren verschiedenen Wirkungen von stets gleicher Art als notwendig unzerstörbarkonsolidiert erkennen müssen und auch sehen, wie selbst wir Menschen unserer Form undursprünglichen Beschaffenheit nach gleichfort regenerieren, so können wir auch als ganzbestimmt annehmen, daß jene Kraft, aus der wir hervorgegangen sind, sich selbst notwendigals ein bleibendes Lebensprinzip für ewig konsolidiert hat. Hat sich aber diese erhalten, sokann sich auch jedes Menschenleben, wenn es sein Lebensprinzip wahrhaft gefunden und mitden rechten Mitteln kultiviert hat, für sich konsolidieren und nachher geistig für immer undewig fortbestehen. Denn ich meine, daß eine einmal ihrer selbst bewußte und denkendeLebenskraft, wenn sie sich einmal ordentlich selbst gefunden hat, sich und auch ihreUmgebung ganz erkennt, so dürfte es ihr eben gar zu schwer nimmer werden, Mittel zuerfinden, mittels welcher sie einer übermächtigen, aber nur roh und blind wirkenden Kraft fürewig den entschiedensten Trotz bieten kann, wie solches auch die Menschen auf dieser Weltzeigen. Laßt alle Orkane und eine ganze Million Blitze los über die Pyramiden Ägyptens!Werden sie den in ihren innersten Katakomben weilenden Menschen wohl etwas anhabenkönnen? Kurz, schon auf dieser Welt zeigen die Menschen, daß sie sich vor den allerrohestund bösest wirkenden Kräften ganz gut zu schützen verstehen. Wer lehrte sie das? Die

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Erfahrung, ihre scharfe Vernunft und die Notwendigkeit![035,06] Kann das der im allgemeinen noch sehr wenig gebildete Mensch, umwieviel mehr wird er solches als ein konsolidiertes Geistleben vermögen! Also haben wir aufwissenschaftlichem Felde auch eine gegründete Aussicht auf das Fortleben des Geistes desMenschen nach dem Abfalle des Leibes und benötigen dazu weder eines Zeus undebensowenig eines Lama der Indier und eines Jehova der Juden; die reine Vernunft gibt unsdasselbe im reinsten und hellsten Lichte.[035,07] Und so, mein hoher Freund, habe ich dir nun die Gründe meines bisherigenAtheistentums klar und deutlich gezeigt und auch, daß meine Gründe sicher nicht aus denFingerspitzen gesogen sind, sondern auf dem soliden Boden vieler Erfahrungen stehen! Ichwollte mich aber dadurch gar nicht vom Theismus für immer entheben! Zeige mir andereGründe, und ich bin ein Theist! Wie sieht es nun aus mit diesem wunderbar entstandenenHause für Markus und seine Familie? Gib mir davon doch nur einige Winke; denn nunkennest du mich ja doch schon ganz!“

36. Kapitel[036,01] Cyrenius wußte vor lauter Staunen über des Roklus Erfahrungen und überdessen richtige Beurteilung der Erscheinungen – sowohl im Gebiete der moralischpolitischenLebensverhältnisse der Völker, ihrer mannigfachen Sitten und Lebensweisen, ihrerReligionskulte, wie auch im noch ausgedehnteren Gebiete der Naturerscheinungen aller Art –nicht, was sich nun darauf mit nur irgendeinem haltbaren Grunde erwidern ließe; denn alleDarstellungen des Roklus basierten auf dem festen Grunde der Erfahrungen, dagegen sichstreng genommen nichts einwenden ließ. Das Priestertum kannte der Cyrenius nur zu gut undwußte, auf welchem Grunde es sein altes, finsteres Wesen trieb. Zudem erkannte er im Roklusnoch einen guten und höchst uneigennützigen Menschen, der nur darum ein Essäer ward, umdurch jedes Mittel, das mit der Humanität und wahren Nächstenliebe gegen alle ohne ihrVerschulden blinden Menschen in keinem Widerspruche steht, der stets und überall leidendenMenschheit zu helfen. Kurz, Cyrenius ward für Roklus stets mehr und mehr eingenommen.[036,02] Auch alle andern anwesenden Gäste konnten sich nicht genug erstaunenüber dieses Essäers Verstandesschärfe und bedauerten nur in einem fort, daß Roklus mit Mirnoch keine Bekanntschaft gemacht hatte. Alles war nun schon im höchsten Grade gespannt,was Ich am Ende zu all dem sagen werde. Aber für Mich war es noch immer nicht an der Zeit,Mich mit dem Roklus in eine Art Verhandlung einzulassen, da er denn doch noch so einigesin seinem Herzen barg, was er bei dieser sehr offenen Gelegenheit noch nicht ans Tageslichtstellte; aber für den weiteren Verfolg wäre Cyrenius dem Roklus doch nicht mehr gewachsengewesen.[036,03] Ich berief daher geheim den Raphael und gab auch dem Cyrenius den Wink,von nun an dem Roklus den Raphael vorzustellen und ihm zu sagen, daß ein Weiteres nundieser Jüngling mit ihm abhandeln werde, weil er (Cyrenius) sich für zu schwach und zuerfahrungsarm halte, um für des Roklus allerdings gediegenste Verstandesschärfe solcheGegensätze hervorzubringen, die das Atheistentum des Scharfdenkers zunichte machenwürden; aber dieser Jüngling werde ihm, dem Roklus nämlich, schon die allergegründetstenGegensätze aufzustellen vermögen, dessen er völlig versichert sein könne.[036,04] Cyrenius wandte sich denn darum nun abermals an den Roklus und tat ihmsolches kund.[036,05] Roklus aber sagte darauf gleich zum Cyrenius: „Liebster, hoher Freund,wenn du als ein weiser Greis von königlichem Abkommen, der so lange schon dasRegierungswerk treibt, dich mir mit dem großen Reichtume deiner vielen Erfahrungen undKenntnisse nicht Rede zu stehen getrauest, was wird dann dieser zarte Jüngling mit mirmachen, der offenbar noch nicht zwanzig Jahre zählt? Oder hältst du meine Gründe für zuschwach und gehaltlos, als daß du mir darauf eine Erwiderung gäbest?“[036,06] Sagt Cyrenius: „Nein, nein, das durchaus nicht, sondern es verhält sich dieSache genauest also, wie ich sie dir kundgetan habe! Den Jüngling aber verkoste erst, undurteile dann!“

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[036,07] Sagt Roklus: „Nun denn, so wollen wir sehen, auf welchem Platze er denStein der Weisen gefunden hat!“[036,08] Darauf wandte sich Roklus an den schon neben ihm stehenden Raphael:„Nun, so gib denn kund, was du verstehest! Kannst du zunichte machen meine Erfahrungenoder mit Blindheit schlagen meinen Verstand, dann kannst du an mir ein schwachesSchilfrohr finden, das von allerlei Winden nach allen beliebigen Seiten leichtlich gebogenwird; läßt du mich aber, wie ich bin, so wird es dir schwer gelingen, mich umzugestalten ausdeinen Erfahrungen heraus! Denn du kannst kaum mehr als Rom gesehen haben und das, wasdir auf der Reise hierher alles untergekommen ist! Du warst sicher noch niemals in Ägypten,dem Lande der alten Weisheit, und hast lange nicht aus der Erfahrung kennengelernt, wieviele Arten von Glauben an einen oder mehrere Götter und Göttinnen die verschiedenenVölker haben, und du willst es mit uns zwölf Riesen in den Dingen der Erfahrungaufnehmen? Nun wohl denn, ich habe ja eben auch nichts dawider; wir werden es ja sehen,wie stark behaart etwa deine Zähne sind! Mache dich also auf und widerlege meine reinatheistischen Gründe, und zeige mir den Gott, der sich mit der reinen Vernunft einesMenschen verträgt und mit des Menschen innerstem Lebensprinzip, das offenbar die Liebeist! Aber mit einem andern Gotte komme uns ja nicht; denn der wird schon von vornhineinverworfen, weil es keinen andern geben kann und auch nie geben wird! Ist ihm das recht, sobeginne er, an uns zu fegen!“

37. Kapitel[037,01] Sagt Raphael: „Lieber Freund, du hast dich ein wenig zu früh gegen mich ineinen leeren Eifer gesetzt! Laß mich erst auch ein paar Worte mit dir reden, und es wird sichdann schon zeigen, ob ich dir gewachsen bin![037,02] Höre, du hast gleich von vornherein ein förmliches Interdikt dahin an micherlassen, dir keinen andern Gott aufzubürden als allein einen solchen, den deine Vernunftgutheißt! Und siehe, ich selbst kenne wahrlich auch keinen andern als Den, welchen du mitdeiner Vernunft gefunden hast! Der Unterschied zwischen uns beiden ist nur der, daß du direinen solchen Gott wünschest, den ich wahrhaft persönlich zu kennen die allerhöchste Ehrehabe, und habe zugleich auch noch diese hohe Ehre, Sein allzeit bereitwilligster Diener zusein.[037,03] Dieser allein wahre Gott ist pur Liebe und aus der Liebe heraus erst dievollste Weisheit und durch diese Weisheit allmächtig.[037,04] Dieser Gott ist zugleich die höchste Ordnung, Wahrheit, Gerechtigkeit undalles Licht und Leben Selbst, und alle Wesen und Dinge auf dieser Erde – die Erde selbst mitallen ihren Geistern und Elementen, der Mond, die Sonne und alle die zahllos vielen anderenSterne, die nichts anderes als eben auch ungeheure Weltkörper sind, manche umunaussprechbar viele Male größer als diese Erde, die so gut eine Kugel ist, als wie du denMond und die Sonne nie anders denn als Kugeln gesehen hast, von denen die letzte, die Sonnenämlich, um eine ganze Million Male größer ist denn diese Erde –, alles das sind Werke einesund desselben Gottes, der ganz so beschaffen ist in Seiner ureigentlichsten Wesenheit, als wieIhn deine wahrlich sehr geläuterte Vernunft sich vorstellt![037,05] Er weiß um alle die schlechten und falschen Vorstellungen von Ihm underweckt auch gleichfort Menschen, die von Ihm einen wahren Begriff bekommen; aber siewerden von den trägen und blinden Menschen gewöhnlich auf dieser Welt nie rechtverstanden, und diese bleiben bei ihren alt angewohnten Torheiten.[037,06] Du meintest freilich, daß ein solch reeller Gott denn doch unmöglich solange die Greuel der Menschen ansehen und dulden könnte. Ihm, als dem allmächtigenGebieter, müßte es ja doch wohl möglich sein, all den argen und falschen Quark über denHaufen zu schmeißen. Da hast du im Grunde durchaus nicht unrecht.[037,07] Ich fühle und denke da geradeso wie du, und es geschieht mir dabei um soschwerer, weil auch ich, als ein schon lange vollkommen konsolidiertes Geistlebenswesen,ganz die Macht habe, durch meinen Willen, wenn es darauf ankäme, in einem Augenblickealle jene Berge, die dort über dem Meere emporragen, in ein für deine Sinne blankstes Nichts

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zu verwandeln; denn etwas können und nicht dürfen, ist bitterer gewiß, denn etwas mögenund nicht können![037,08] Daß man aber trotz der innehabenden Macht nicht dreinschlagen darf, wennes einen auch noch so gelüstete, rührt daher, weil es auf dieser Welt für jeden Menschendarauf ankommt – wie du es ganz gut gegen das Ende deiner Besprechung mit dem Cyreniusbemerket hast –, daß sich nämlich ein rechter Mensch selbst finden und als eine konkreteLebenskraft konsolidieren soll, ansonst er sich gegen die beständige und feindlicheEinwirkung der großmächtigen Kräfte unmöglich als ein freies und selbständiges Wesen fürewige Dauer erhalten könnte! Wenn du auch nicht mit eben diesen meinen Worten dichausgedrückt hast, so hast du aber doch denselben Sinn hineingelegt.[037,09] Nun wirst du es schon einsehen, daß beim Menschen hier auf dieser Erde,wo er sein innerstes Lebensprinzip selbst, ohne irgendeine fremde, gewaltsame Beihilfe, reinnach seinen Erkenntnissen und ganz nach seinem freiesten Willen, zu konsolidieren hat, sichnicht mit den dicksten Prügeln dreinschlagen läßt. Solange irgendwo die Menschen aus sicheine solche Lebensordnung herausgefunden haben, unter der sowohl eine moralische wie auchphysische Existenz denkbar ist, so läßt man sie darin so lange bestehen, als sie nicht in zugroße Ausartungen übergehen. Geschieht bei einem Volke aber das, so ist der Herr Himmelsund der Erde auch allzeit da und führt das entartete Volk wieder in die rechte Lebensordnungzurück, wie es soeben beim Judenvolke der Fall ist.“

38. Kapitel[038,01] (Raphael:) „Du warst wohl in Indien und hast so manche Mißbräuchegesehen, namentlich die starken Bußen. Es ist so etwas für den puren Verstandesmenscheneine offenbare Narrheit, verbunden mit wenigstens einer scheinbar grausamen Willkür derdortigen Priesterkaste. Allein dem ist doch nicht ganz also, wie es gerade den Anschein hat.Dieses Volk lebt in einem Lande, das auf der Erde die größte Vegetationsfähigkeit besitzt fürPflanzen sowohl als für Tiere und Menschen. Gehe du in diesem Lande in die Wälder derBerge, und du wirst tagelang umhergehen können, um auf einem noch so alten Baume auchnur ein dürres Zweiglein zu finden, und brichst du von einem Baume einen Zweig ab undlegst ihn ganz frei und offen irgend sogar auf sandigen Boden hin, so kannst du nach einemJahre kommen, und du wirst den Zweig sicher noch ganz grün antreffen, ja sehr oft sogar mitneu ins Erdreich getriebenen Wurzeln.[038,02] Also ist die Lebensfähigkeit, besonders in den Mittelgebirgsregionen,sowohl bei den Pflanzen wie bei den Tieren eine übergroße. Man kann dort einem Tiere oderauch einem Menschen schon eine bedeutende Wunde beibringen, und es wird diese ebenkeine so großen Schmerzen verursachen, weil die sie deckende Luft dort schon heilsamerwirkt als hier das heilsamste Pflaster. Versetzt dir hier jemand einen Schlag mit einem Stockeoder mit einer Rute, so wird es dich etliche Tage lang schmerzen; dort kannst du dir tausendRutenstreiche geben lassen, und du fühlst kaum einen Streich bis zum nächsten. Versuche dirhier einen Nagel ins Fleisch zu stecken, so wirst du schon einen Schmerz fühlen, derunerträglich wird! Du wirst geschwollen werden, eine brennendste Entzündung, ja sogar eintödlicher Brand kann hinzutreten, oder die Wunde wird zu eitern anfangen und dir unsäglicheSchmerzen verursachen; in den vorgenannten Gebieten Indiens gar nicht! Jahrelang kannst dumit einem ins Fleisch gesteckten Nagel umhergehen, so wirst du davon nahe gar keinenSchmerz bald nach dem Hineinstecken mehr wahrnehmen, weil die Luft dort so balsamischheilsam ist, daß bei Verwundungen nahe gar nie eine Entzündung entstehen kann. Entstehtdiese aber nicht, so ist von einem Schmerze, am wenigsten von einem unerträglichen, schongar keine Rede.[038,03] Zugleich aber sind dort die Menschen, weil von zu vielNaturlebenselementen beseelt, immer sehr aufgeregt und würden besonders in der Sphäre desBegattungstriebes in Ausartungen übergehen, die ihresgleichen auf der Erde nicht hätten. Diescharfen Bußwerke halten sie am meisten davon ab. Durch die starken Kasteiungen wird ihrFleisch gewisserart abgetötet, und dazu bewegt sie die ihnen stark eingeprägte Furcht vor demFeuer der Hölle, das ihnen von den Priestern auf eine so lebendige Weise als nur immer

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möglich vorgemalt wird, daß es sie schon durch die Beschreibung ordentlich zu brennenanfängt; denn das Feuer fürchtet der Indier am meisten, weil ihm dieses schon hier dengrößten Schmerz bereitet, den sein Fleisch zu empfinden fähig ist. Durch die scharfenBußwerke, die Gott der Herr bis jetzt und noch für länger hin bei den Indiern zuläßt undduldet, wird doch die Seele dieser Menschen erhalten in ihrer Menschenlebensform und istdann fürs ewige Jenseits fähig, in eine höhere Lebensvollendung überzugehen.[038,04] Du wirst mir dagegen freilich einwenden und sagen: ,Man lasse dies Volknur recht wissenschaftlich bilden, und es wird dann etwa sicher nicht in alle möglichenUnzuchtsausartungen übergehen!‘ – Tut's nicht, mein schätzbarster Freund, trotz deiner nochso reinen Vernunft! Völkern, bei denen die Phantasie von Natur aus zu geweckt ist, ist dieWissenschaft ein wahres Lebensgift! Nehmen wir an, die phantasiereichen undeinbildungskräftigen Indier besäßen die Wissenschaften Griechenlands, Roms undAlexandriens, so wäre die ganze Erde nicht sicher vor ihnen! Ihnen würden allerlei Künsteund Wissenschaften nur die Mittel in die Hände liefern, eines der furchtbarsten undentartetsten Völker der Erde zu werden; denn sie würden bald Dinge ans Tageslicht fördern,die alles, was einst Babylon und Ninive und ganz Ägypten, Athen und Rom gemacht haben,im höchsten Grade überbieten würden. Die Berge würden ihrem Mutwillen weichen müssen,Städte würden sie erbauen, die gleich über ganze fruchtbarste Länder reichten, Flüsse undStröme würden sie eindämmen, auf daß dann ungeheure Seen entstünden. Kurz und gut, die inalle Wissenschaften eingeweihten Indier würden zu einem fürchterlichsten Volke der ganzenErde, wenn sie jetzt auch ein noch so sanftmütiges Gemüt und Gesicht besitzen!“

39. Kapitel[039,01] (Raphael:) „Übrigens aber wird ein Volk, das eine große Phantasie besitzt,schon auch darum nie zu tief wissenschaftlich gebildet, weil die zu mächtige Einbildungskraftund die daraus hervorgehende Phantasie stets hinderlich dagegen wirken. Es behagt diesenMenschen besser, allerlei läppische Bilder in ihrer Phantasie zu schauen, als logisch richtigüber eine oder die andere Erscheinung nachzudenken; übrigens kommen die von dirgesehenen strengen Bußen eben nicht gar so häufig vor, wie du es meinst und man es dirgesagt hat. Denn ein Reicher löst sich auch los, und der Arme wird nur dann dazu berufen,wenn er wirklich ein schon bedeutendes Vergehen wider die bestehenden Gesetze sich hattezuschulden kommen lassen. Es besteht demnach in Indien bis jetzt noch eine solchepatriarchalische Ordnung, gegen die man noch nicht gleich mit Blitz und Feuer aus denHimmeln dreinschlagen kann. Wohl gibt es eine krasseste Masse des tollsten Aberglaubens,dem gesteuert werden sollte; aber da solcher Aberglaube stets eine sicher reichste Frucht beiallen jenen Völkern ist, die eine sehr rege Phantasie besitzen, so kann man dagegen auch nichtsogleich mit den allergewaltigsten Prügeln dreinschlagen![039,02] Denn es ist noch immer besser, das Volk im Aberglauben zu belassen, als esin alle die Wissenschaften einzuweihen; denn der Aberglaube heftet den Indier auf seinenBoden, während ihn die Wissenschaft nur zu bald mit Aarsflügeln versehen würde, sich gleichüber die ganze Erde verderblich auszubreiten. Ja, wenn es möglich wäre, das gesamteIndiervolk mit einem Schlage in die reinste Wissenschaft ohne ihre Mühe zu versetzen, sowürden sie eine Weile staunen darüber, wie sie so lange die große und sinnlose Torheit übersich haben herrschen lassen können. Bald darauf würden sie aber von Zorn und Grimm überihre Priester derart entbrennen und im gleichen auch über sämtliche andervölkerlichePersönlichkeiten, daß diese alle über die allerschärfsten Klingen springen müßten. Sie würdeneine Purifikation vornehmen, über der die ganze Erde ehestens blutrot aussehen müßte. Undwas wäre am Ende damit gewonnen? Der dumme Menschenteil würde natürlichniedergemetzelt werden, und aus den wissenschaftlich geweckten Menschen würden lauterblutdurstige Tiger hervorgehen![039,03] Daß aber dies also ginge, beweisest du als ein rein vernünftiger Menschdurch deinen großen Ärger über alle die Gottheiten und besonders über ihre sogenanntenStellvertreter. Wenn dir so meine Macht zu eigen wäre! O weh, wie geschwinde würdest duallem Priestertume auf der ganzen Erde ein Ende machen! Aber was hernach mit den anderen

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Menschen, die mit Haut und Haaren an ihren Priestern hängen und sich von ihnen nach allenSeiten wie die Lämmer von ihren Hirten leiten lassen?! Würdest du sie wohl auch alle durcheinen Machtspruch in deine reine Vernunft übersetzen können? Ich sage es dir: Das wäre eineschwere Aufgabe! Denn, so dann ein jeder gleich viel wüßte, so müßte auch ein jeder gleichviel an materiellen Mitteln besitzen, so er nicht verhungern wollte. Denn käme er zu seinemNachbarn und trüge ihm seine Dienste an und sagete: ,Ich verstehe nun dieses und jenes!‘, sowürde der Nachbar sagen: ,Dasselbe verstehe ich auch, habe mich schon lange danacheingerichtet und brauche von niemandem etwas! Ein jeder sorge nun für sich!‘[039,04] Wenn ein Vater sagete zu seinen Kindern: ,Tut und lernet dies und jenes!‘,so würden die Kinder sagen: ,Was sollen wir noch tun und lernen? Können und verstehen wirdoch alles, was du kannst und verstehst, und tun danach! Was weiteres verlangst du von uns?‘[039,05] Würdest du im Alter, wo ein jeder Mensch schwächer und gebrechlicherwird, eines Dieners benötigen und zum nächsten Besten, der dir etwas tun könnte, sagen:,Siehe, ich bin schwach geworden und benötige deiner Hilfe, die ich dir gut bezahlen will undwerde; sterbe ich, so will ich dich als meinen Erben einsetzen!‘, – weißt du, was derAngeredete dem Hilfsbedürftigen sagen würde? Höre, er würde gerade das sagen, was duselbst zu jemandem sagen würdest, so er dich anredete um einen beständigen leiblichenDienst! Du würdest diesem sagen: ,Freund, ich habe nicht nötig, jemandem einen Knecht undDiener zu machen, denn ich bin selbst so wohlhabend wie du und habe nicht nötig, Dienste zunehmen, um mir meinen Lebensunterhalt im Schweiße meines Angesichtes zu verdienen!Wer es nötig hat, der plage sich für seinen Nächsten; ich lasse das bleiben!‘ – Siehe, das, wasich dir nun sage, war viele hundert Jahre im alten Ägypten der Fall! Die Menschen wurdenalle stockweise, und ein jeder war reich.“

40. Kapitel[040,01] (Raphael:) „Was für eine Folge hatte das? Sieh und höre: Keiner wolltemehr seines Nächsten Knecht sein, ein jeder arbeitete und lebte am Ende für sich, und für denNutzen seines Nächsten war um keinen Preis jemand zu haben. Die Menschen sahen aber amEnde doch ein, daß ein solch versorgtes Leben im Grunde doch ein ganz gehörig elendes ist.Und die Ältesten des Volkes sahen diesen Übelstand zunächst ein, denn sie hatten eineBedienung vor allem vonnöten, und hielten Rat, wie ihnen da zu helfen wäre. Ein Weisesterunter ihnen sagte: ,Die Erde ist groß; gehen wir aus und erproben, ob es denn nirgends Leutegibt, die arm sind und uns um einen guten Lohn gerne dieneten!‘ Sie gingen nach Asien undfanden bald, was sie suchten. Die nahen Völklein Asiens aber merkten es bald, was denüberreichen Ägyptern abging, zogen weiter in den asiatischen Ländern umher und kauften dieDiener an sich, um sie dann noch teurer nach Ägypten zu verkaufen. Und siehe, so entstanddie Sklaverei und der Sklavenhandel, der leider heutzutage nahezu schon überall gang undgäbe ist. Kannst du preisen solch eine Frucht der einstigen, überhohen allgemeinen Weisheitder alten Ägypter?[040,02] Aber die eigentlich alten weisen Ägypter wurden dabei aus der Erfahrungklug und weihten ihre Diener ja um keinen Preis in ihre tiefe Weisheit ein; denn diese würdeja leicht aus ihren Dienern bald reiche Menschen gemacht haben, denen das Dienen undArbeiten nicht mehr schmecken würde, und sie, die alten Weisen, hätten dann ja abermalsniemanden, der sie ganz treu und nach Wunsch bedienete und für sie arbeitete.[040,03] Hast du aber auch in Indien Sklaven gesehen, das heißt angekaufte? Sichernicht! Es gibt wohl Sklaven des eigenen Aberglaubens, was auch schlimm ist, aber doch nichtso schlimm wie das Kaufsklaventum! Die verkauften und angekauften Sklaven werden bloßals Lasttiere behandelt und lange ferngehalten von jeglicher Geistesbildung. Ihre Sache ist:blind gehorchen, stumm dulden und überviehisch leiden, im Gegenfalle die willkürliche,größte und vor keinem Weltgerichte verantwortliche Mißhandlung derselben! Sogar dieTötung eines Sklaven, wenn sie von seinem Herrn ausgeht, unterliegt keiner gesetzlichenAhndung! Nur so dein Nachbar dir einen Sklaven getötet hätte, ist er dir einen Schadenersatzzu erstatten verpflichtet.[040,04] Und siehe, dieser Jammer an der Menschheit ist und bleibt noch immer als

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eine Folge jener Zeitepoche Ägyptens, in der die Menschheit allgemein in hohem Gradeweise und sehr wohlhabend war und niemand für eine begangene Sünde irgendeine Strafe zuerdulden hatte, weil wahrlich niemand gegen seinen Nachbarn sich zu versündigen auch nurden kleinsten Grund hatte, da ein jeder so viel selbst hatte von allem, was ihm zum Lebennötig war, und seinem Nachbarn jahrelang um nichts zu kommen brauchte! Als dann aber dieSklaverei aufkam, da erfand man Gesetze, laut derer sich ein Sklavenbesitzer gegen seineSklaven auch bei aller seiner Grausamkeit nie versündigen konnte. Wo aber keine Sündenbegangen werden können, für was sollen da die Bußwerke gut sein?!“

41. Kapitel[041,01] (Raphael:) „Als aber später durch die Arbeit der Sklaven die Herren desLandes verschieden reich wurden, so daß einige sehr bedeutend reicher wurden denn einigeandere, da meldete sich bald der Neid, Zank und Hader, und man fand es dann erst fürnotwendig, bürgerliche Gesetze zu entwerfen, denen sich ein jeder fügen mußte, selbst derVar (Pharaon = Hirte) nicht ausgenommen. Da fing man dann auch an, die Sklaven dadurchzu kultivieren, daß man ihnen – natürlich sehr verdeckte – Begriffe von der Gottheitbeibrachte und sonach für jede einzelne von Gott ausgehende und ersichtliche Wirkung gleicheine allegorische Persönlichkeit hinstellte, die die Sklaven als eine Gottheit zu verehrenbekamen. Dadurch wurden die mit der Zeit mächtig gewordenen Sklaven zahmer und sanfterund ertrugen ihr Los mit einer größeren Geduld; denn sie fürchteten die unsichtbarenMachthaber sehr, weil sie durch die geheimen Künste der Ägypter zu einer Art Überzeugungkamen, daß es im Ernste solche Götter gäbe und mit ihnen kein Scherz zu machen sei.[041,02] Wären, wie schon bemerkt, die Sklaven nicht mächtig geworden – sowohldurch ihre Vermehrung, als durch zweimal jährlich erneute Ankäufe –, so hätten die altenÄgypter sie nie irgendwelche falschen und noch weniger irgendwelche mehr rechten Götterkennen gelehrt; nur die Furcht vor der rohen physischen Gewalt und Kraft der Sklaven zwangdie alten, urweisen Ägypter dazu, den Sklaven irgendwelche Begriffe von den Gottheitenbeizubringen.[041,03] Nun denke dir aber selbst die Lage der alten, weisen Ägypter! Sie warenweise und reich; was der eine hatte und verstand, das verstand auch ein jeder andere, hatteauch denselben Reichtum und hatte also durchaus nicht not, bei seinem Nachbarn zu dienenums Brot; ein jeder besorgte zumeist nur sein Eigentum mit seinen Kindern. Solange dieMenschen noch jünger und kräftiger waren, ging es mit solcher weise egoistischenHaushaltung wohl an; als aber die Menschen älter wurden und schwächer und gebrechlicher,da erwachte in ihnen die Sehnsucht nach Bedienung. Aber wer hätte sie bedienen sollen? Dusagst: ,Ihre Kinder!‘ Wäre alles recht; aber in jener Zeit hatte Moses die Gebote Gottes denMenschen noch sehr lange nicht verkündet gehabt. Nach ihren naturweisen Gesetzen aberwaren die Kinder ihren Alten gegenüber auch nichts anderes als ein jeder andere freieMensch. Die Kinder dienten und gehorchten den Eltern nur bis zu ihrer Mannbarwerdung.Nach dieser wurden sie frei und hatten keine Verpflichtung mehr gegen ihre Alten; denn ihrereine Vernunft hatte ihnen solchen weisen Grundsatz aufgestellt, demnach die Kinder alsWerke ihrer Alten ihnen ebensowenig verpflichtet seien, als wie da ein Haus gegen seinenBaumeister für irgend etwas verpflichtet sei, außer daß man darin wohne, – das Wie ist Sachedes Bauführers und Erbauers. Ist das Haus gut gebaut, so wird sich darin auch gut undangenehm wohnen lassen; ist das Haus aber schlecht und fahrlässig erbaut, so wird es auch zueiner schlechten Wohnung dienen, woran dann nicht das Haus, sondern der Baumeister selbstdie Schuld trägt.[041,04] Nun, die Alten hätten ihre Kinder wohl gerne so erzogen, daß sie ihnendann durch ihr ganzes Leben gedient hätten; aber die Kinder hatten auch die fünf Sinnebekommen durch den Unterricht ihrer Alten, oft mehr praktisch denn theoretisch, und sowurden sie wie ihre Alten weise Egoisten, und die Alten wurden dadurch genötigt, sich umfremde Diener umzusehen. Diese kamen und dienten; und die reine Vernunft der alten Weisensagte zu ihnen: ,Wollen wir, daß diese Menschen unsere beständigen Diener bleiben, sodürfen sie von unserer Weisheit nicht das geringste erfahren, sonst würden sie am Ende wie

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unsere Kinder, die uns auch nicht dienen wollen, weil sie in alle unsere Weisheit eingeweihtsind!‘[041,05] Die Sklaven blieben sonach langehin sehr dumm und bekamen keinenandern Unterricht außer den, was sie zu tun hatten als Diener und Knechte. Aber die Sklavenmehrten sich sehr und fingen an, ihre Kraft zu erkennen, die die alten Weisen geheim sehr zufürchten begannen! Da sagte die reine Vernunft den Weisen: ,Machet bald Menschen ausihnen, sonst werden sie als große Herden der reißendsten Tiere euch zerreißen!‘ Darauf ersterfand man für die gefürchteten Sklaven das bekannte Göttertum und ließ von den Göttern imAngesichte der Sklaven allerlei Wunder wirken. Dadurch wurden die Sklaven eingeschüchtertund dienten nun den alten Ägyptern als eine eigene Kaste der Menschen mit doppeltem Fleißefreiwillig. Dadurch erst wurde Ägypten im höchsten Grade blühend, lockte viele Fremde an,unter denen sich auch mitunter Neider und Verräter befanden, durch die in den späterenZeiten große Verlegenheiten bereitet wurden.[041,06] Siehe, das sind lauter Werke der menschlichen, reinen Vernunft, die mirvorkommt wie ein Mensch, der über einen hohen und steilen Berg herabzulaufen anfängt undden Lauf, wenn er einmal so recht darin ist, nimmer einstellen kann! Die Folge davon kannstdu dir leicht vorstellen.“

42. Kapitel[042,01] (Raphael:) „Da haben die Indier ihre Sache bei weitem klüger eingerichtet!Das Volk bleibt bei seinem an und für sich harmlosen Aberglauben, glaubt aber dabeidennoch an ein allerhöchstes Gottwesen und an dessen weltliche Stellvertreter, die für dieAufrechterhaltung der alten stereotypen Ordnung gleichfort dahin die eifrigste Sorge tragen,daß ja nichts Neues hinzugefügt wird, aber auch nichts hinwegkommen darf, was die altenBücher enthalten. Und so wird der Indier in tausend Jahren auch noch ganz das sein, was erjetzt ist und schon vor etlichen tausend Jahren war. Das Schlimmste bei ihm sind seine Bußenund das, daß er sich selbst einen Richter zu machen hat.[042,02] Gegen sich selbst kann er streng sein über alle menschlichen Begriffe, weildem selbst frei Wollenden kein Unrecht geschieht; aber dafür ist bei den Indiern wieder dasGute, daß es bei ihnen keinen bösen Leumund und keinen Verräter gibt. Niemand verklagtseinen Nächsten, und es gibt unter den vielen Millionen Menschen auch nicht einenschadenfrohen! Darin aber liegt auch der Grund, demzufolge die Indier in ihrer Art und Weiseein so altes Volk geworden sind und noch älter werden. Mit den Zeiten, wenn etwa fremdeVölker zu ihnen kommen und ihnen eine andere Religion, andere Sitten und Gebräuchebeibringen werden, dann werden sie auch unruhiger und unzufriedener werden, werden sichselbst nicht mehr richten und keine Bußen mehr verrichten; aber dafür werden sie die anderenrichten, verfolgen und ihnen die schwersten Bußen auferlegen. Sie werden bald sein wie diePharisäer zu Jerusalem, die ihren Gläubigen auch die unerträglichsten Lasten aufbürden undjedermann richten; aber über sich dulden sie ja keinen Richter und rühren keine Last undBürde, auch nicht mit der Spitze des kleinsten Fingers, an! – Findest du das gut oder besserals das, was du bei den harmlosesten Indiern also gefunden hast?“

43. Kapitel[043,01] (Raphael:) „Siehe, über Indien, jenseits der höchsten Berge dieser Erde, gibtes noch ein gar großes Kaiserreich, das wenigstens fünfmal so viele Menschen zählt als dasrömische. Alle jene Menschen haben nahe dieselbe Gotteskunde wie die Indier. Sie leben inder größten Ruhe und Ordnung, sind sehr mäßig, nüchtern, genügsam, arbeitsam,unverdrossen und voll des blindesten Gehorsams gegen ihre Lehrer und Leiter, und ihr Kaiserist ihr vollkommener Herr und sorgt allerwachsamst dafür, daß ja nirgends irgendeinFremdling in sein großes Land dringen kann. Es ist zu dem Behufe auch sein ganzes Land, woes mehr flache Begrenzungen hat, mit einer kolossalsten Mauer von den angrenzendenLändern der Erde abgeschnitten, über die kein feindliches Heer zu dringen vermag. DieseMauer ist auch gleichwegs mit Türmen versehen, innerhalb welcher eine starke Wache aufder beständigen Lauer ist, und die stark genug ist, jede fremde Annäherung auf das

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entschiedenste zurückzuweisen.[043,02] Nur ein Bote des Bramah (Brau ma = hat Recht) aus dem Hochindien hatalle Jahre einmal das zugestandene Recht, über diese Mauer ins Land zu kommen, weil er, derÜberbringer des Lobes oder auch des Tadels vom Lama aus, unmittelbar dem Kaiser selbst eszu überbringen hat in einer schweren, goldenen Büchse. Dieser Bote kommt zwar mit großemund glänzendstem Gefolge zur bestimmten Zeit an den bestimmten Platz bis zu der Mauerund fängt an, unten einen großen Lärm zu machen. Darauf wird ein Korb über die hoheMauer herabgelassen. Der Bote allein nur darf in den Korb steigen, in dem er dannhinaufgezogen wird; sein Gefolge aber muß dann so lange harren, bis der Bote wiederzurückgekommen ist.[043,03] Der Bote aber wird von der Mauer weg die weite Strecke von etlichenzwanzig Tagereisen in einer Sänfte getragen, aus der er nichts als nur den Himmel sehenkann. Erst in der großen Kaiserstadt, die mehr als ganz Palästina Einwohner hat, wird er auffreien Fuß gestellt und mit allen Ehren zum Kaiser geleitet. Dort übergibt er die goldeneBüchse mit ihrem Inhalte und gibt dem Kaiser den Wunsch des großen Lama zu erkennen,worauf er vom Kaiser ansehnlichst beschenkt und in Gnaden entlassen wird. Darauf beginntsogleich seine Rückreise, die der früheren Herreise stets auf ein Haar gleicht.[043,04] Bei einer solchen Gottesbotenreise zum Kaiser und vom Kaiser wieder nachHause strömt stets eine große Menge Menschen an die Straße, auf der der Gottesbote, dennatürlich außer den vertrauten Trägern beim Ein- und Aussteigen niemand zu sehen bekommt,mit einer unbeschreiblich großen Zeremonie zum Kaiser getragen wird.[043,05] Fragst du das Volk, warum es den Gottesboten niemals zu sehen und nochweniger zu sprechen bekommt, so wird dir das Volk, ganz voll der höchsten Demut, zurAntwort geben: ein solches Verlangen wäre schon eine nie verzeihbare Sünde. Es ist derGnade des großen Gottes schon ohnehin in höchster Überfülle, den heiligen Boten des großenGottes von ferne hin tragen zu sehen, wodurch ein jeder so etwas Sehende so viel des Segensüberkommt, daß er damit gut für noch zehnmal hunderttausend andere Menschen des großenReiches, von dem sie meinen, daß es gerade in der Mitte der Welt sich befindet, in Überfülleauf zehn Jahre auslangt. Nun, das wird dem harmlosen Volke also beigebracht, und es glaubtsteinfest daran.[043,06] Der Bote selbst weiß von diesem Glauben zwar auch; aber er weiß nochetwas anderes, nämlich, daß er das Land und dessen Einrichtungen bei Strafe mit dem Todegar nicht sehen darf, um es irgend möglicherweise zu verraten. Denn der Landesverrat ist indiesem Lande das höchste Verbrechen, das selbst wegen einer kaum achtbaren Kleinigkeitgleich auf das schärfste bestraft wird. Das Volk dieses Reiches ist aber bei aller seinerDummheit dennoch sehr treu, wahrhaft und überaus gehorsam. Kannst du dich ärgern, wenndas Volk von den Leitern in der Dummheit erhalten und gepflegt wird und dabei ganzglücklich ist, wenn auch der Kaiser und seine ersten Diener für sich ganz etwas andereswissen? Oder ist das alles nicht gleich eurem Essäerorden? Ist dann Gott unweise undungerecht, wenn Er alles dieses zuläßt und duldet, solange das Volk irgend voll Geduld undDemut verbleibt, und daß Er auch duldet euch wollüstige Essäer? – Rede nun, mein Freund,ob nun du mir etwas einzuwenden hast!“

44. Kapitel[044,01] Roklus, dessen Augen stets größer wurden, je länger er den vermeintenJüngling anhörte, rief in großverwunderlicher Aufregung zum Raphael: „Aber höre, Junge!Du zählst kaum sechzehn Jahre und trittst mir mit Kenntnissen und Erfahrungen entgegen, dieein anderer ehrlicher Mensch sich kaum in sechzig Jahren bei allem Fleiße angeeignet habenwürde. Ich will nun nicht davon reden, daß du mich im Ernste zu der Annahme eines wahrenGottes, der geradeso aussieht, wie ihn mein Herz schon lange heimlich sich gewünscht hat,umgewendet hast und ich dir nun gar nichts dagegen einzuwenden habe, sondern lediglichdavon, wie und wann du zu solchen Kenntnissen und Erfahrungen gekommen bist.[044,02] Du kennst ein Reich noch hinter Indien, von dem ich kaum ein paar Male,und zwar nur in Indien, habe faseln hören; denn ein Indier hat mir davon so wunderliche

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Dinge ganz treuherzig erzählt, daß ich mich dabei des Lachens kaum erwehren konnte. Jetzterst komme ich durch deinen Mund zu einer richtigeren Vorstellung dieses fabelhaftenReiches, dessen Einwohner etwa die größte Kultur bezüglich der Industrie, Künste undGewerbe besitzen sollen. Ja, du hast freilich durchgängig recht und scheinst auch in derMagie aller Völker großartigst bewandert; denn sonst hättest du von einer gewissen Allmacht,die dir eigen sei, wohl sicher nimmer eine Erwähnung gemacht![044,03] Ich sehe nun, wenn auch noch etwas dunkel, wohl ein, daß die Gottheit auswahrlich höchst weisen Gründen alles, wie es nun ist, auf der Erde sein und geschehen läßt,da es ihr nur um die Bildung der Seele, nicht aber um die Wohlfahrt der Leiber der Menschenzu tun sein kann! Aber um meine volle Ein- oder Nichteinsicht in dieser Sache handelt sich'sjetzt auch gar nicht, auch fällt mit einem Schlage keine alte Zeder des Libanon um, – sondernes handelt sich nun, für mich vom höchsten Interesse seiend, ganz einfach nur einzig undallein darum, wie du zu dem allem gekommen bist![044,04] Du brauchst mir nun auch gar nicht mehr zu erzählen, wie des alten Markusneues palastartiges Haus samt Garten und samt dem Hafen und seinen ganz neuen Schiffenentstanden ist; denn du stehst als der zauberische Baumeister ja offenbar vor mir und hast dichals solcher schon verraten, wahrscheinlich absichtlich, um mich zu erproben, ob ich nichttrotz meines geweckten Verstandes zu dumm sei, um solche deine hingeworfenen Worte zuverstehen[044,05] Das Feld der Magie ist ein ungeheures und unbegrenztes, und selbst dergrößte Meister darin ist und bleibt nichts anderes als ein schülerhafter Anfänger. Wir Essäer,unter uns gesagt, verstehen uns gewiß darauf, da wir doch persische und ägyptische Magier inunserem Solde haben, die Wundertaten zu verrichten imstande sind, vor denen unsereinemganz ordentlich zu schwindeln anfängt, obwohl auch ich selbst in dieser Sphäre nicht als einLaie dastehe; aber abgesehen von dem habe ich in Indien Magier gesehen, die da Dingeverrichtet haben, gegen die unsere ganze Magie als ein purstes Kinderspiel anzusehen ist! Ichhätte tausend Pfunde Goldes darum gegeben, wenn mich der Königsmagier von Thiba nureinige seiner unübertrefflichen Zaubereien gelehrt hätte; aber er war um kein Geld dazu zubewegen.[044,06] Und so kannst du ebenfalls irgend in Geheimnisse eingeweiht sein, vondenen mir noch nie etwas geträumt hat, und kannst deine unsichtbaren Helfershelfer unddienstbaren Naturgeister verwenden, wie du sie nur immer willst, und es ist dir also einleichtes, einen ganzen Berg, und um so leichter ein solches Haus usw. in einem Augenblickeherzustellen. Denn ich habe von dem früher erwähnten Magier zu Thiba gesehen, wie er ineinem Augenblicke aus einer vor uns stehenden weitgedehnten Landschaft einen See gebildethat, aus dem mehrere Inseln emporragten und auf dessen Oberfläche mehrere Schiffeherumschwammen. Mehrere Augenblicke lang war dieser See zu sehen; darauf machte derMagier einen Wink, und die frühere Gegend war wieder unversehrt zu sehen.[044,07] Freilich hat er uns zu dem Behufe in ein ganz dunkles Kabinett geführt undließ uns durch ein Fenster die Gegend schauen, die ganz dieselbe war, wie sie außer demKabinett frei zu sehen war. Darauf schloß er das Fenster, machte einige Zeichen, öffnetedarauf das Fenster abermals, und von der früheren, natürlichen Gegend war keine Spur mehr,sondern wir sahen die vorher beschriebene Seegegend weit und weit ausgedehnt, und das allesso natürlich, wie nur etwas natürlich sein kann. Nur merkte ich dabei ein eigenes Ziehen inden Augen, wovon der Grund offenbar in der großen Überraschung lag.[044,08] Der Magier sagte dann, daß er uns durch dasselbe eine Fenster noch eineMenge der wunderbarsten Gegenden vorzaubern könnte, – aber so was würde uns viel Goldeskosten; wir ließen uns daher die weitere Neugierde vergehen. Ich fragte ihn, ob er solch eineGegend auch fixieren könnte, daß sie bliebe. Er bejahte solches und verbarg sich dannplötzlich. Als wir darauf ins Freie kamen, war von der Seegegend keine Spur mehr.[044,09] Ich frage, wie solches möglich, beantworte mir aber die Frage dahin selbst,daß jener Magier von Thiba offenbar mit den geheimen Kräften der Natur um noch vielesvertrauter war. Wie wäre es sonst möglich gewesen, durch ein und dasselbe Fenster, durch dasich vorher ganz gut die wirkliche Naturgegend geschaut habe, eine Seegegend herzuzaubern

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und die frühere Naturgegend ganz vergehen zu machen? Er machte dann freilich wieder dieSeegegend verschwinden und wieder entstehen die erste Naturgegend; aber er hätte auch fürimmer die Seegegend können stehen lassen, – was er aber nicht wollte, weil die frühereGegend schon sehr lange zu einer der fruchtbarsten gehörte und so schöne Äcker, Wiesen undGärten der Menschheit doch offenbar von größerem Nutzen sind als ein meerähnlicher undunabsehbar weit ausgedehnter See mit etwelchen Inseln und Schiffen.[044,10] Für dies Zauberstück hätte ich ihm gerne zweihundert Pfunde Goldesgegeben; aber er wollte davon nichts hören und wissen. Sein Haus mußte ganz voll vonallerlei der allermächtigsten Naturgeister gewesen sein, ohne deren Beihilfe der Magier diebesagte Seegegend nimmer zustande gebracht hätte![044,11] Und so hast denn auch du, junger Zauberer, dieses zustande gebracht,dessen plötzliches Auftauchen uns eigentlich hierher gelockt hat! Es ist ein ganz dem zuThiba von mir und diesen elf Gefährten gesehenen vollkommen ähnliches Zauberstück,dessen Hervorbringungsgeheimnis ich mit viel Gold bezahlen würde; aber ich weiß es, daß dirdas so wenig feil ist wie jenem Magier von Thiba. Denn du bist noch jung und wirst dir damitviel Geldes und andere Schätze verdienen.[044,12] Du siehst auch aus dem nun wohl sicher ein, daß ich dir nicht einmal dasGeheimnis entlocken will; aber nur das einzige möchte ich aus deinem Munde erfahren, wie,wo und wann du zu solcher Weisheit und zu solcher magischen Kunst gelangt bist! Du hastmich samt meinen Gefährten zur Annahme eines wahren, höchsten Gottwesens gebracht, undes wird dich demnach auch gar nicht beirren, so du es mir sagst, wenigstens nur das, wo duhinter alles das in so früher Jugend gekommen bist!“

45. Kapitel[045,01] Sagt Raphael: „Du bist doch ein sonderbarer Mensch! Deine vielenErfahrungen haben dir den Kopf derart verrückt, daß du nun das Falsche vom eigentlichWahren gar nicht zu unterscheiden verstehst! Hättest du den zu Thiba weilenden Magier nuraufgefordert, daß er dir ohne Kammer und Fenster eine Seegegend hinzaubern solle, so würdeer dir das um eine ganze Welt voll Goldes nicht getan haben, weil ihm solches ganzunmöglich gewesen wäre; aber in der bewußten Kammer hätte er dir durch das gewisseFenster noch mehrere andere Gegenden vorzaubern können![045,02] Jener Magier solle nur draußen in der nackten Natur so ein solides Haussogleich für bleibend, mit allem versehen, herzaubern! Das wird er aber, wie gesagt, schönbleiben lassen! Darum ist das, offen gesagt, ein Gotteswerk, – und jenes nur das einesMenschen, der im Grunde nur ein naturkundiger Maschinist und durchaus kein sogenannterMagier ist.[045,03] So das aber ein Gotteswerk ist, da ist auch meine Weisheit ein Gleiches!Alles, was du an mir entdeckest, ist aus Gott! Darum frage ja nicht mehr, wie, wo und wannich zu all dem gekommen bin![045,04] Fürs Auge der Menschen können wohl auch die Menschen wunderähnlicheTaten zuwege bringen; aber es sind das durchaus keine Wunder, sondern mit ganz natürlichenMitteln auch ganz natürlich hervorgebrachte Dinge, die nur darum dem Laien als Wundererscheinen, weil er weder von den Mitteln noch von der Art und Weise, dieselben zu einembestimmten Zwecke zu gebrauchen, irgendeine Ahnung hat. Sagt man ihm aber die Mittel undihren Gebrauch mit den daraus entspringenden Erfolgen an, so wird er sogleich dasselbeWunder zu wirken imstande sein wie derselbe Magier, den er früher für einen Wundertätergehalten hat.“[045,05] Sagt Roklus: „Auch die Gegendherzauberung des Magiers zu Thiba?“[045,06] Sagt Raphael: „Allerdings, aber die Mittel dazu sind etwas schwer zubekommen; denn jener Magier hat ein Mittel selbst erfunden, und das andere auch. Diesebeiden gibt er freilich nicht preis, und so ist es dir schon schwer, dasselbe zu bewirken, wasdort er bewirkt und sich dadurch das Ansehen eines Hauptmagiers gibt.[045,07] Verstündest du aber den reinen Kiesstein zu schmelzen und daraus zubereiten ein reines Glas und endlich dasselbe zu schleifen und zu polieren, wie man

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Edelsteine schleift und poliert – eine den Indiern ganz wohlbekannte Arbeit –, so würdest dudas Wunder bald und ganz klar einsehen, und das um so klarer, wenn du dazu noch so eineArt Apelles wärest, dem es möglich war, das Wasser mit Farben so täuschend zu malen, daßer damit sogar die Vögel täuschte.[045,08] Dein Magier ist ein berühmter Edelsteinschleifer, kann das Glas aus Kiesmachen, ebenfalls schleifen und polieren, und ist dazu noch einer der besten Maler von ganzIndien, besonders im Nachzeichnen und Nachmalen der Gegenden im natürlich sehrverjüngten Maßstabe. Er hat sich eine eigene Vorrichtung konstruiert, seine gemaltenGegenden durch solch ein eigens geschliffenes Glas ansehen zu lassen, und es wird dadurcheine derartige Sehtäuschung bewirkt, wie du sie mit deiner Seegegend selbst angeschaut hast.[045,09] Das ist nun eine ganz verborgene Wissenschaft, die die Phönizier und durchsie auch die Ägypter entdeckt haben, und die sie, sie außerordentlich geheim haltend, zu ihrenaußerordentlichsten Zaubereien gebraucht haben. In ein paar Jahrtausenden werden alleVölker davon die klarste Einsicht haben; dann wird es aber auch keinen Menschen mehrgeben, der, mit der reinen Vernunft begabt, solch eine Erscheinung irgend mehr für einWunder, und das gar von der außerordentlichsten Art, halten wird.“

46. Kapitel[046,01] (Raphael:) „Ich sage dir, daß es kommen wird, daß Menschen aufEisenstraßen so schnell, wie da fliegt ein abgeschossener Pfeil, dahinfahren werden undwerden reden mit der Zunge des Blitzes von einem Ende der Welt bis zum andern, undwerden in der Luft herumfliegen wie die Vögel, weithin über Meere, Länder, – und doch wirdsie niemand für Magier und noch weniger für Götter halten! Wohl wird sich die allzeitbestehende Priesterschaft stets alle Mühe geben, beim Volke solch eine Aufklärung zuverhindern; aber es wird ihre Mühe auch allzeit eine völlig vergebliche sein![046,02] Je mehr sie sich vornehmen wird, das Volk in die Nacht und alle Finsterniszu führen, desto mehr wird sie dadurch die allzeit daseienden Lichtgeister wecken zur destogrößeren Gegentätigkeit, und es wird dadurch stets ein größeres und intensiveres Licht untersVolk ausgebreitet werden, bis am Ende die Priesterschaften selbst werden genötigt sein, inden für sie äußerst sauren Apfel des Lichtes zu beißen und Apostel des Lichtes zu werden;aber es wird dazu viel Kampfes benötigen.[046,03] Es wird kommen, daß die Magier höchst verfolgt werden, und der Keim zudiesen Verfolgungen besteht bereits schon zum Teil im Pharisäertume, das den Magiern sehrungeneigt ist, und zum größten Teile aber bei euch Essäern, die ihr euch nun von aller Weltdie Zauberkünste zusammenkaufet. Ihr sehet nun schon mit heimlich sehr eifersüchtigenAugen auf jeden Wundertäter, besonders wenn er etwa irgendein Wunder bewerkstelligt, dasihr schon zu eurem volkstäuschenden Erwerbe in eure Mauern eingereiht und eingeschlossenhabt.[046,04] Es ist aber Gott dem Herrn nun also gefällig, nach und nach nicht diePriester, sondern ganz unscheinbare Menschen ganz außerordentliche Erfindungen machen zulassen, durch die die Menschen in einen außerordentlichen Kulturzustand versetzt werden.[046,05] Dagegen werden die Priesterschaften freilich überlaut und gar mit Feuer undSchwert zu eifern anfangen, aber es wird ihnen das alles nichts nützen; denn je heftiger siedagegen zu kämpfen beginnen werden, desto nackter werden sie ihre selbst- undherrschsüchtigen, bösen Begierden vor die Augen des Volkes stellen und sich dadurch jedesGlaubens und Vertrauens verlustig machen.[046,06] Denn bei dem man einmal nur gemerkt hat, daß er jemanden hat betrügenwollen, auf den wird man künftighin auch kein Vertrauen setzen, ja sogar dann nicht, wenn ermit einer ganz reellen und wahren Sache zum Vorscheine käme; denn man fürchtet dabeiirgendeine, auf böser Lauer im Hintergrunde steckende, schlechte Absicht. Daher wird es miteiner Priesterschaft, die durch ihren argen Eifer sich einmal zu sehr entblödet hat, nicht nurteilweise, sondern ganz aus sein.[046,07] Solches aber hat Gott der Herr aus Seiner Ordnung schon für immer alsoeingerichtet, daß alles Schlechte und Falsche sich allzeit selbst zerstört; und je mehr dieses

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nach einer Alleinherrschaft zu streben anfängt, desto eher wird es sich selbst zerstören.[046,08] Es gleicht alles Argtun der Menschen dieser Erde einer losen Maschine, dieum so eher ganz unbrauchbar wird, je unausgesetzter und emsiger sie gebraucht wird. Auchdes Menschen Leib nützt sich selbst ab und zerstört sich um so eher, je leidenschaftlicher er inseinem habgierigen Bestreben tätig wird.[046,09] Es ist daher für einen wahren Lebensphilosophen nimmer ein Grund, daruman keinen wahren Gott zu glauben, weil er alle die Priesterschaften Arges wirken und Dingebegehen sieht, darob sich seine Vernunft ganz umkehren möchte. Denn alles das läßt der Herralso zu: erstens, daß dabei die wahre, reine Vernunft desto geweckter werde zur wahrenTätigkeit, und zweitens, daß sich das Arge dadurch desto eher selbst zerstöre und gänzlichzugrunde richte.[046,10] Am Tage sucht niemand ein Licht und achtet nicht einmal den wahren Wertdesselben; denn es drückt ihn ja nirgends die Bürde der Nacht. Am Tage läßt sich gutwandeln, weil man da jedem Graben, jedem Steine auf der Straße und jedem Abgrundeausweichen kann, da man alles das schon von weitem sehen kann. Aber in einer stockfinsternNacht ist das ganz anders; da kann man nur mühsam und höchst vorsichtig vorwärts kommen![046,11] Wie willkommen ist dem Wandler da auch nur ein kleines Lichtflämmchen,das ihm den Pfad zur Not nur auf einige Schritte weit erleuchtet, und mit welcher Sehnsuchtwird der lichtfreundliche Wanderer in der Wüste dem kommenden Morgen entgegenharren![046,12] Und siehe, gerade also ergeht es den geistigen Lichtfreunden in der Mitteeiner geistigen Nacht, die zum größten Teile die schnöde Hab- und Herrschgier der Priesterunter die oft zu leichtgläubigen Menschen gebracht hat; aber je finsterer es wird, desto mehrwird auch stets der Lichtmangel wahrgenommen und desto höher geschätzt der volle Wert desgeistigen Lichtes.[046,13] Menschen, die einmal durch die Erziehung schon von der Wiege an völligverfinstert sind, die merken den geistigen Lichtmangel freilich nicht und fühlen sich ganzbehaglich unter den blinden Tröstungen ihrer Priester, die ihnen stets eine Menge erbaulicherGeschichten zwar schon lange verstorbener, aber nach den Satzungen der Priester dereinstfromm und treu gelebt habender Menschen zu erzählen verstehen, und das mit der möglichstfrischesten Färbung. Das beruhigt die total Blinden ganz und gar; sie weinen dabei oft vorlauter Rührung und werden ganz gemütlich gestimmt, was natürlich dem Priester niemalseinen Schaden bringt.[046,14] Solche Menschen, wie gesagt, verspüren den Druck ihrer geistigen Nachtebensowenig, wie da ein Stockblindgeborener von dem Drucke einer noch so finstern Nachtje etwas verspürt hat; ihm geht nie eine Sonne auf noch unter! Aber ganz anders drückt dieNacht den, der fortwährend im Lichte des ewigen Wahrheitstages zu wandeln gewohnt warund dann als ein bester Sänger mit den Wölfen mitzuheulen anfangen muß, wenn er seinegesunde Haut erhalten will![046,15] Stelle dir eine Lage vor, wo einige wenige Sehende sich unter einerGemeinde befänden, in der jeder ein Blinder ist! Es finge nun aber einer der Sehenden an,eine Beschreibung von der großen Herrlichkeit des Lichtes zu machen und von seinemherrlichsten Farbenspiele. Die Blinden würden ihm aber sogleich zu schweigen gebieten undihn einen frechen und böswilligen Lügner schelten, während er von der hellsten Wahrheitdoch mehr als handgreiflich überzeugt wäre! – Sage mir oder denke dir es, wie's da denSehenden nach und nach zumute werden müßte, und besonders, so die Sehenden die bestenMittel besäßen, die meisten Blinden der ganzen Gemeinde sehend zu machen, so diese es nurwollten! Wie würde es dir da mit deiner reinen Vernunft zumute werden?“

47. Kapitel[047,01] Sagt Roklus: „Das wäre ein allerverzweifeltster Zustand, für einen sehendenArzt auch noch dazu! Da wäre es ja tausend Male besser, schon gar nicht zu bestehen, dennals Sehender unter den Blinden, die voll Mißtrauens, Eigendünkels und Hochmutes sind, zuleben! Aber du hast recht, lieber wohl- und hochweiser Junge! Es ist in der Welt einmal sound nicht anders; daher ist es meines Erachtens besser, die Blinden zu verlassen und jeden

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Zusammenstoß mit ihnen soviel als möglich zu vermeiden. Werden sie dadurch jedessehenden Führers bar, so müssen sie alle endlich über kurz oder auch der Zeit nach etwaslänger an den Rand eines Abgrundes gelangen, der sie alle unvermeidbar verschlingen wird.Ihr Ende ist zwar ein trauriges, aber ein sicheres, und niemand kann sie bewahren vordemselben!“[047,02] Sagt Raphael: „Nun hast du einmal ganz gut geurteilt, und siehe, alsohandelt der Herr mit den Menschen auch gleichfort aus Seiner Ordnung heraus! Wann immerirgendeine Menschengemeinde oder auch ein ganzes Volk frei- und böswillig der Wahrheitund dem Lichte aus den Himmeln feind wird, so läßt der Herr es dann auch zu, daß solch einVolk in die vollkommenste Lebensnacht übergeht. In dieser begeht es dann bald eineschreiende Unklugheit um die andere und offenbart dadurch allen nur ein wenig Sehenden dieeigene böse Blindheit und Lüge in allem Wollen, Streben und Handeln. Solch ein unheilbaresVolk muß dann ja endlich an den Rand eines Abgrundes kommen, der es ohne alle Gnade undErbarmung verschlingen muß. Die Sehenden aber werden sich auszubreiten und mit ihremLichte zu segnen anfangen, den Erdboden geistig und körperlich.[047,03] Aber der Herr läßt ein Volk, solange es nur einen ganz leisen Schimmer deswahren Lichtes unter sich hat, sicher nicht an den Rand des Abgrundes gelangen, weil imSchimmer doch noch eine warnende Ahnung vor dem Verderben wohnt.[047,04] Aber wo bei einem Volke einmal ein förmlicher Haß gegen das Licht derWahrheit eingetreten ist und das Volk und seine Priester einmal die Sehenden auf jedemögliche Weise anzufeinden und zu verfolgen anfangen, wie es nun, ich sage es dir, soebenschon seit langem bei den Juden der Fall ist, da hat dann auch des Herrn Geduld ein Ende,und solch ein Volk entgeht seinem Untergange nimmer.[047,05] Da ist es dann, daß der Herr aus den Himmeln Selbst zur Erde kommt undein Gericht hält über die bösblinden Frevler, wie es nun auch soeben auf der Erde, und zwarim schönsten Lande der Juden, dem einstigen Volke Gottes, der Fall ist![047,06] Der Herr aber wird nun noch die wenigen Treuen und Sehenden um Sichversammeln und ihnen geben ein vollstes Licht aus den Himmeln; aber neben diesem Lichtewird alles Lichtlose nicht bestehen können, sondern getrieben werden an den vollsten Randdes unvermeidlichen Abgrundes. Da nützet dir vor den Sehenden kein falsches Wunder mehr,sondern nur ein solches, das ganz wahrhaftigst aus der Kraft Gottes hervorgeht, die Er in einesjeden Wahrheit sehenden Menschen Herz gelegt hat.[047,07] Denn wie der falsche und der blinde Glaube, der eigentlich ein Aberglaubeist, sich nur zu bald erweist durch allerlei Lüge und Trugwerke und durch eine stets steigendeLieblosigkeit, also erweist sich ein wahrer, lebendiger Glaube durch die vollste Wahrheit inallen Dingen ohne irgendeinen Rückhalt und durch eine stets steigende Liebe unter denMenschen und zu Gott und aus solcher Wahrheit und Liebe in der Gotteskraft und Macht, dieGott in eines jeden wahrsehenden Menschen Herz gelegt hat.[047,08] Was nützet dem Menschen dann alle seine geheime Kunst undWissenschaft, wenn sogar am Ende die sehenden Sperlinge von den Dächern herab es demfalschen Propheten vor aller Welt zurufen: ,Du bist ein stets eigennütziger, arger Betrüger undmachst deine Wunder so und so vor den Blinden! Aber die wahren, sehenden Kinder Gottestäuschest du nimmer; denn diese vermögen etwas anderes aus der Gotteskraft in ihren Herzen,welche da ist der Geist der ewigen Liebe, und durchschauen dein elend Machwerk und deineschnöde Absicht auf das allergenaueste. Packe daher zusammen deine alten Trugmittel undwerde ein sehender Mensch in der wahren Kraft Gottes, – oder wir Sperlinge werden dichnoch des bißchen Schimmers, den du besitzest, berauben!‘ – Sage! Könntest du denSperlingen darum gram werden? Wohl ist dem Betrüger sicher nichts ärgerlicher, als so manihm mit dem Vollichte der Wahrheit entgegentritt; aber anerkennen muß er sie am Endedennoch auf Gnade oder Ungnade![047,09] Da sieh an das unverkennbare Wunderwerk, hervorgegangen aus derwahren Kraft Gottes! – Du bist ein Essäer und dazu ein Hauptmagier dieses Ordens. Dumachst Tote lebendig, den Mond ziehst du den geistig blinden Staunenden nahezu gerade vorihre Nasen herab, machst Bäume und Gras und Wasser, Felsen und Mauern reden. Was

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möchtest du dazu sagen, so diese Sperlinge von Menschen aller Rassen und Klassen es dirnun ganz laut zu erklären anfingen, wie du und deine Helfershelfer, wenn euch eureDienstzeit ins Kloster ruft, eure Toten erwecket und eure Bäume, Gras, Wasser, Felsen undMauern reden machet, und brächten dir dann einen Toten her und forderten dich auf, ihn insLeben zurückzurufen? Was würde deine reine Vernunft und dein scharfer Verstand dazusagen?“

48. Kapitel[048,01] Sagt Roklus: „Ich müßte es mir sicher ohne alle Widerrede gefallen lassen;denn Wahrheit bleibt Wahrheit, ob sie mir schadet oder nützt! Ich weiß aber nun, was du mirdamit so ganz eigentlich etwa sagen willst, und das dürfte allenfalls wohl darin bestehen, daßauch unser Orden etwas Schlechtes sei und endlich seinem Untergange so bald anheimfallenwird, als wie bald das reine Gotteslicht aus den Himmeln der Menschen Herzen durchleuchtethaben wird. Freund, das ist zwar eine Wahrheit, gegen die sich nichts einwenden läßt – dennwenn alle Menschen oder wenigstens nur ein großer Teil derselben in alle unsere Geheimnissevon Gott aus eingeweiht werden, so hat unser Handwerk freilich wohl für immer ein Endeerreicht –; aber man wird uns wenigstens nie nachsagen können, daß wir solches alles mitauch nur einem Funken irgendeines selbstsüchtigen, bösen Willens getan haben, da uns indieser höchst trüben Zeit nichts als nur wenigstens das irdische allseitige Wohl der Menschenam Herzen lag und unser Kloster an und für sich nichts anderes ist als eine Liebe- undFreundschaftsbezeigungsanstalt. Wir wählten dazu auch nicht ein schlechtes Mittel![048,02] Freilich, wohl könnte man sagen: Jeder Betrug ist schon ein schlechtesMittel! Aber da erwidere ich auch einem Gotte ganz entschieden und sage: Ja, ein Betrug istsicher stets ein schlechtes Mittel, wenn ich mit demselben nur im geringsten irgendeine böseAbsicht verbinde aus was immer für einem selbstsüchtigen Grunde! Wenn ich aber sehe, daßder Mensch auf keine andere Weise zu heilen ist als nur durch einen offenbaren Betrug, undich dann auch aus purer Liebe zum leidenden Bruder dieses einzige Mittel ergreife und demMenschen damit unfehlbar helfe, so ist und bleibt selbst der allerdickste Betrug keinschlechtes, sondern nur ein höchst gutes und gerechtes Mittel, gegen das kein Gott mir etwaseinzuwenden imstande sein kann. Ich will dir zur Bekräftigung dessen nur ein Beispiel ausmeiner essäischen Lebenserfahrung mitteilen, und du wirst mir recht geben müssen, undwärest du selbst ein zehnfacher Gott.[048,03] Es kam zu mir ein weinender Mann, dem sein liebes, junges und äußerstbraves Weib in einer Art krank wurde, von welcher Krankheit sie nur durch ein einziges, mirwohlbekanntes Mittel einzig und allein und mathematisch sicher geheilt werden konnte. Jedesandere Heilmittel hätte offenbar den Tod gebracht und den Gatten zum unglücklichstenMenschen der Welt gemacht. Das Weib aber hatte gegen das bekannte Mittel eine solcheAntipathie, daß es lieber zehnmal sterben wollte, als sich dieses Heilmittels für seine sichereHeilung zu bedienen. Da half alles Zureden nichts, und der Mann verfiel dabei aus einerVerzweiflung in die andere. Ich aber, um einen guten Einfall bei solchen Gelegenheiten nochnie verlegen gewesen, sagte sogleich ganz ernst und entschieden vor dem Manne zum Weibe:,Oh, sei du da ganz ruhig, da weiß ich noch um hundert andere Mittel, die solche Krankheitennoch um vieles eher und sicherer heilen denn das benannte!‘ Mit dem aber hatte ich schon imGrunde gelogen wie ein Bär; denn ich wußte wahrlich um alle Schätze der Erde für sie keinanderes. Diese wahre Kardinallüge war demnach schon ein erster Betrug zum Besten derKranken.[048,04] Der zweite und somit noch größere bestand darauf notwendig darin, daß ichdem bekannten Mittel einen andern Namen gab, etwas Gleichgültiges daruntermengte undihm dadurch die Gestalt, Farbe und in etwas auch den Geschmack veränderte, und es auch aufeinen sehr namhaften Betrag stellte. Drei Pfunde Goldes änderten die Sache ganz gewaltig.Das Weib nahm mit vielen Freuden die Arznei ein und ward darauf in etlichen Stunden nichtnur vollkommen gerettet, sondern sogleich frisch, heiter und auch vollkommen gesund! Ichselbst habe mich über diese gute Prellerei kaum des Lachens enthalten können, und es erfuhrdarauf bis zur Stunde weder das Weib noch der Mann von solchem meinem für beide

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heilsamen Betruge auch nur eine Silbe![048,05] Nun frage ich dich, ob dieser Betrug an und für sich gut oder schlecht war?– Du schweigst und kannst mir da nichts einwenden! Ich werde dir aber noch ein anderesBeispiel auftischen und dich darüber dann um dein Urteil angehen.[048,06] Siehe, vor einem Jahre geschah es, daß einem höchst achtbaren und überauswohlhabenden Elternpaare seine einzige, dreizehnjährige Tochter an einem bösen Aussatzeverstarb. Ich bekam zufällig davon Kunde und eilte jählings in das Haus der großen Trauer.Vater und Mutter waren untröstlich um solchen Verlust. Ich besah mir das vollkommen totdaliegende Mädchen genau und fand, daß es eine große Ähnlichkeit hatte mit einem Mädchenin unserer großen Menschenhege- und -pflegeanstalt, und dachte mir: ,Diesem trauerndenPaare kann und soll geholfen werden!‘[048,07] Ich berief sogleich den Vater zu mir und sagte zu ihm: ,Traure nicht! Ich binein wahrer Essäer und sage dir, daß ich diese Schlafende wieder beleben kann durch meinArkanum im Kloster! Laß sie hineinbringen mit allem, was sie je besaß, und mache mir einegenaueste Beschreibung ihres ganzen Charakters, ihrer Sympathien und Antipathien, kurz,von allem, was sie je umgeben hat, und ich stehe dir dafür, daß ich diese deine nun toteTochter dir längstens binnen zwei Monaten in deine Arme zurückbringen werde!‘[048,08] Daß bei meinem Ernste sich die beiden Eltern dazu nicht lange besannen,versteht sich von selbst, da sie mich schon im voraus jedes Betruges für rein unfähig hielten.Was sonach je des Mädchens war von der Wiege an bis zu ihrem Tode, mußte mit ins Klostergebracht werden. Da ich in meiner Dienstzeit sehr oft in dies Haus kam und das Mädchen sehrgut kannte, und da das schon früher erwähnte Hegemädchen der Verstorbenen sehr ähnlichsah und zugleich sehr viel Kapazität besaß, so war da eine Auswechslung sehr leicht möglich.Nach der abgelaufenen Zeit von ein paar Monden war das Hegemädchen schon ganz diewiedererweckte Tochter der beiden gläubig auf deren Wiederkunft harrenden Eltern.[048,09] Ich selbst nahm die Überbringung der Erweckten ins elterliche Haus vor.Als mich die beiden Eltern schon von weitem ersahen und wohl erkannten, so liefen sie mirmit vor Freude aufgehobenen Händen entgegen, und die Pseudotochter tat auf mein Geheißund früheren Unterricht, wie sie sich zu benehmen habe, dasselbe. Da hättest du Zeuge vonder Glückseligkeit der beiden Eltern sein sollen, und du hättest samt mir mitgeweint vorFreuden![048,10] Durch diesen sicher höchst feinen, aber dabei dennoch kolossalen Betrugsind drei Menschen vollkommen glücklich geworden; die zwei Trauernden, Vater und Mutter,haben ihre verlorene Tochter ungezweifelt wieder, und das sonst höchst arme Mädchen ist zueinem Paare Wohltäter gekommen, wie sie sein Herz nur je wünschen konnte. Und was habeich davon gehabt? Ich sage es dir, so wahr, als ich hier stehe: Nichts als das angenehmeBewußtsein, drei Menschen ganz glücklich gemacht zu haben![048,11] Nun frage ich dich, ob dieser Betrug auch schlecht zu nennen ist! Ja, ichselbst heiße jeden Betrug schlecht, der von einem Menschen aus Selbst- und schnöderGewinnsucht gegen seine harmlosen Mitmenschen unternommen wird; aber so ich nur dannzu einem recht feinen Betruge meine Zuflucht nehme, wenn ich die vollste Überzeugunghabe, daß irgendein sehr unglücklicher Mensch auf gar keine andere Weise zu heilen ist, da istein noch so dicker Betrug etwas sehr Gutes und kann von keinem vernünftigen und weisenGotte als schlecht bezeichnet werden, und man muß dem erfinderischen Menschengeiste nochobendrauf höchst dankbar sein, der in unserem Orden allerlei Mittel ersann, die leidendeMenschheit glücklich und gesund zu machen![048,12] Oder hatte nicht auch euer Gott nach eurer Schrift sich gegen den alten undblinden Vater Isaak eines offenbaren Betrugs bedient, um seinem Volke in Jakob einenbesseren Stammvater zu geben, als da war der erstgeborene, rauhe Esau? Ich pflichte dir wohlbei in dem, daß jeder böse Trug, wenn er einmal den Kulminationspunkt erreicht hat, sichselbst zugrunde richten muß, aber ein Betrug zum Guten für die Menschheit sicher durch sichselbst nie, – nur durch irgendeinen mutwillig bösen Verräter, ja! Aber da ist dann dochoffenbar der unseren guten Trug verratende Wahrheitsfreund um tausend Male schlechter alsder schlechteste Volksbetrüger unseres Ordens! – Widerlege mich, wenn du es vermagst! Ich

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bin bereit, mit dir jeden Kampf in dieser Hinsicht zu bestehen.“

49. Kapitel[049,01] Sagt Raphael: „Lieber Freund, ich muß dir offen gestehen, daß mit dirwahrlich etwas schwer zu reden ist; denn du gehst einmal von dem Grundsatze aus, daß einjedes Mittel nur durch die Absicht und den Zweck geheiligt wird, und ich kann dir dazuunmöglich etwas anderes sagen, als daß du bei allem guten Willen und bei aller deinerVerstandesschärfe auf dem Holzwege bist, und daß du von allem von mir dir Gesagten mitaller deiner noch so reinen Vernunft noch durchaus nahe nichts eingesehen hast![049,02] Du siehst nur die irdischen Vorteile und das irdische Glück der Menschen,weil du von den geistigen Verhältnissen eigentlich noch gar keine Ahnung hast.[049,03] Man kann einen Menschen auf dieser Welt wohl ganz glücklich machendurch allerlei Täuschungen; aber man hat ihm dadurch für seine Seele und seinen Geist garnichts Gutes, sondern nur zu oft im Ernste etwas sehr Schlechtes erwiesen.[049,04] Du hast mir ein paar Beispiele aus deinem Leben erzählt, wo ich beimersten eben nichts einzuwenden habe; denn die Behandlung der Kranken war im Grunde keinBetrug, sondern nur eine Lebensklugheit.[049,05] Als Betrug gilt vor Gott jede verdeckte Handlung und Verlockung derMenschen, durch die sie notwendig in einen physischen und moralischen Schaden geratenmüssen. Wenn du aber eine Rede, eine Anlockung oder eine Handlung nur darum verdeckst,um deinem Bruder, der gar oft mit allerlei Schwächen behaftet ist, und dem man auf einemgeraden Wege schwer oder auch gar nicht beikommen kann, auf diese Weise unfehlbarphysisch und moralisch zu helfen, da ist das nur eine gute und sehr anempfehlenswerteLebensklugheit und durchaus kein Betrug.[049,06] Wenn du immer mit einer Handlung, Rede oder Verlockung eine wahrhaftedle Absicht vereinigst, da hast du nichts denn eine Lebensklugheit ausgeübt, für die dir derLohn aus den Himmeln nicht unterm Wege verbleiben wird. Und in diese Kategorie gehörtdein erstes Beispiel; denn durch solche deine Klugheit hast du durchaus nichts andereserreichen wollen als das, was du für die Kranke als vollkommen gut und nützlich erkannt hast.[049,07] Aber dein zweites Beispiel, obwohl es auch einen gleichscheinendgutmütigen Charakter hat, ist von einer ganz andern Art. Damit ist auf lange Zukunftszeitender Menschheit für die wundertätige Kraft dieses eures Klosters ein falscher Beweis geliefertworden, durch den bei der allgemeinen Blindheit der Menschen sich diese Anstalt alleGoldquellen der ganzen Erde eröffnen und in einer nicht zu langen Zeit zu fabelhaftenReichtümern gelangen muß.[049,08] Was macht aber der irdische Reichtum, und was erzeugt er stets? Er machtdie Menschen hoffärtig und herrschgierig und erzeugt Hartherzigkeit, Lieblosigkeit undstinkendsten Hochmut und dadurch Verachtung, Haß und Verfolgung der Nebenmenschen.[049,09] Du hast dich doch schon zum Cyrenius gehörig unlöblich über alle diePriesterschaften expektoriert (geäußert) und gezeigt, wie sie als Stellvertreter eines Gottes diearme Menschheit nicht selten auf eine allerunmenschlichste Art plagen, für sich arbeitenlassen, selbst nichts als nur den allerkrassesten Müßiggang pflegen, aber dafür die laieMenschheit mit geistigen und leiblichen Foltern zwingen, für sie zu leben, zu arbeiten und zusterben! Du hast solche Lebensverhältnisse gehörig beleuchtet und ihre Schändlichkeit anshelle Tageslicht gestellt.[049,10] Ich aber sage dir ganz unverhohlen, daß alle die jetzt allenthalben nochbestehenden Priesterschaften auf viel reineren Füßen stehen denn euer Kloster; denn ihrFundament war feste und reine göttliche Wahrheit aus den Himmeln und ward von denMenschen doch so verkehrt, daß du nun nahe nichts anderes mehr erschauen kannst als Lügeund allerlei Betrug. Was kann denn dann erst aus eurem Institute werden, das nun prinzipiellschon auf nichts als auf lauter Lüge und Trug erbauet ist?![049,11] Meinst du wohl, daß eure Nachfolger sich stets ganz strikte an eurenunmaligen aufgestellten Normen halten werden? Schon in fünfzig Jahren wird darin alles einganz anderes Gesicht erhalten! Die Betrügereien und allerlei Zauberkünste werden noch

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vermehrt und verfeinert werden. Ihr werdet euch auch an die Wiederbelebung alter Personenwagen, wovon manche mehr, die andern weniger gelingen werden.[049,12] Ihr werdet auf den Verrat eurer Geheimnisse die grausamsten undunerbittlichsten Strafen setzen; ja, ihr werdet sogar eine Frage, wie ein und das andere eurerWunderwerke möglich sei, als strafbar erklären! Euer Ausspruch wird sein: ,Du, Volk, hastum nichts zu fragen; nur ein ungezweifelter Glaube ist deine Sache! Fehlt dir etwas, sokomme, und es wird dir geholfen gegen ein vorschriftsmäßig entrichtetes Opfer! AllesWeitere hat dich ewig nicht zu kümmern!‘[049,13] Dadurch aber werden wißbegierige Gemüter geheim erbittert werden,allerlei Forschungen anstellen und von außen her hinter eure Geheimnisse dringen. Das wirdeuch mit geheimer Wut erfüllen, und Rache von der fürchterlichsten Art wird den Frevlern aneurem Heiligtume geschworen und womöglich auch ohne Schonung in die vollsteAusführung gebracht.“

50. Kapitel[050,01] (Raphael:) „Du hast dich aufgehalten über die Bußwerke der Indier! Infünfzig Jahren schon werdet ihr noch zehnfach ärgere einführen; denn habt ihrmöglicherweise es nur dahin gebracht, daß des Volkes größte Anzahl fest an euch hängt inseinem Glauben, zu dem es durch eure Pseudowunder gar leicht zu bringen ist, dann mag dakommen, was nur immer wolle, und das Volk bequemt sich bald und ohne alle Widerrededazu. Denn es kann euch in seiner Dummheit für nichts anderes als für Knechte der Götter aufder Erde halten, die mit allerlei geheimen, göttlichen Allmachtskräften ausgerüstet sind,gegen die kein irdischer Wille und keine weltliche Menschengewalt etwas auszurichtenvermag.[050,02] Durch solche Wunder könnet ihr das Volk ganz sicher in die vollsteZügelgewalt bekommen. Ist aber das einmal geschehen, so dürft ihr zu einem oder zu demandern Menschen sagen: ,Du arger Sünder! Was du Arges gedacht, gewollt und auch schonnahezu getan hast, wir, ja wir sehen schon die bösen Gedanken und Begierden in deinemHerzen keimen, die du erst im künftigen Jahre dir bewußt denken und dir dadurch den vollenFluch und Zorn der Götter über dein loses Haupt ziehen wirst! Wir vermahnen dich, daß dudich aller argen Gedanken und Wünsche für die Zukunft entschlagest und zur diesmaligenBesänftigung der Götter fürs erste ein dir möglichst größtes Opfer zu unseren Füßenniederlegest und danebst noch volle drei Jahre hindurch dich täglich über den nackten Rückenmit einem Stricke nahe blutig kasteiest! Wehe dir für ewig, wenn du diese Buße nicht in denpünktlichsten Vollzug bringst!‘[050,03] Der arme Mensch, der eigentlich nie einen argen Gedanken, noch wenigerje einen bösen Willen in sich hatte aufkommen lassen, wird euch ganz ohne Widerredeglauben, daß er ein großer und aller Verdammung würdiger Sünder sei und sich allem demwilligst unterziehen müsse, was ihr als allmächtige und allwissende Gottesknechte ihmaufgebürdet habt. – Ich aber frage dich nach dem Urteile deiner reinen Vernunft, ob dieserEndzweck, den ihr am Ende doch erreichen müsset, gut und gerecht ist, und ob da auch dasMittel durch den sicher folgenden Endzweck geheiligt wird!“[050,04] Sagt Roklus: „Ja, diese Absicht aber haben wir alle noch nie gehabt,sondern stets nur eine nützende für die arme, leidende Menschheit, – und so sehe ich nochimmer nicht so recht ein, wie mein Mittel, das in der falschen Wiederbelebung desverstorbenen Mädchens bestand, schlecht sein kann! Denn von dem, was du meinst, das wirdadurch erreichen müßten – und am Ende unser ganzes Streben, wenn nun noch so verdeckt,dahinaus geht, solches zu erreichen, – davon kann ich mir bei aller meiner noch so reinenVernunft durchaus keine Vorstellung machen! Denn man muß ja doch irgendeinen Willen füretwas Schlechtes haben, so man es erreichen will. Bei uns allen ist meines Wissensschnurgerade das allerblankste Gegenteil! Woher sollte das Schlechteste des Schlechten inunser Institut kommen?“[050,05] Sagt Raphael: „Freund, nimm du den reinsten Weizen und streue ihn aufeinen noch so reinen Acker, und wenn er aufgehen wird, so wirst du immer noch des

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Unkrautes in die schwere Menge unter demselben antreffen! Nun du und deine Gefährten abernichts als nur allerlei Unkrautsamen in die Erde streuet, wie wollet ihr da Weizen ernten?[050,06] Zu allen Zeiten und in allen Landen der Erde ist ursprünglich von Gott ausden Menschen die allerreinste Wahrheit gepredigt worden durch den Mund der vom GeisteGottes durchdrungenen Propheten. Sieh nun nach etwa ein paar tausend Erdenjahren dieseWahrheiten an! Was sind sie? Zum allergrößten Teile Unkraut, Menschensatzungen, Lügenund bergdicke Betrügereien aller Art! Ihr aber habt euer Institut auf nichts denn Lügegegründet und meinet dadurch, Wahrheit in den Herzen der Menschen zu wecken? Wohin mitder Welt?![050,07] Was nützt es dir denn, ein großes und tiefes Loch in die Erde auf eineroffenen Straße zu schlagen und nicht die entfernteste Absicht dabei zu haben, daß da je einMensch hineinfallen solle?! So dann aber zur Nachtzeit die Menschen diese Straße wandelnwerden, sage, werden sie nicht ebenso in dieses Loches Abgrund stürzen und darin zugrundegehen, als so ihr das Loch eben in der Absicht in die Erde gemacht hättet, daß eben dieMenschen da hineinfallen und zugrunde gehen sollen?![050,08] Oder es kommt zu dir ein Kranker, dessen Krankheit du bei aller deinernoch so reinen Vernunft verkennst, und du gibst ihm dann ein Mittel, das für seinen Zustandgerade ein Gift ist! Er geht daran zugrunde. Kann das Mittel da gut genannt werden, wenn duals Arzt dabei auch die beste Absicht gehabt hast?![050,09] Die auf der Straße, da es sehr morastig ist, ein Loch oder einen tiefenAbzugsgraben machten, ohne eine darüber führende Brücke mit guten Geländern zu versehen,hatten auch eine gute Absicht sogar, nämlich die Straße trockenzulegen; aber ihreKurzsichtigkeit gewährte ihnen nicht so viel Voraussicht, dernach sie doch unfehlbar einsehenmußten, daß solch ein Loch oder ein Graben jenen, die zur Nachtzeit diesen Weg macheten,sehr gefährlich werden müßte.[050,10] Das Mittel der Straßentrockenlegung war sonach auch bei der bestenAbsicht ein schlechtes, weil die Gutabsichtler gar nicht berechnet hatten, wie das Loch oderder Graben zur Nachtzeit den Reisenden doch offenbar allergefährlichst werden mußte. Ah,hätten die Wegverbesserer den Sumpf mit Steinen und Holz ausgefüllt und die Straße alsoausgetrocknet, oder über den Graben wenigstens eine gute und feste Brücke gemacht, dannwäre das Mittel samt der Absicht gut. Weil sie aber nur dachten: ,Nun, am Tage wird dasLoch oder den Graben wohl ohnehin ein jeder Reisende früh genug bemerken und ihmausweichen, – zur Nachtzeit aber soll so niemand reisen!‘, also war das Mittel schlecht undkann durch eine gut sein sollende Absicht nicht geheiligt werden![050,11] Und ebenso ist euer Falschwunderinstitut zum Heile der Menschheit einkernschlechtes Mittel, weil ihr bei seiner Errichtung gar nicht berechnet habt, welche gar nichtauszusprechenden Nachteile daraus für die Menschheit erwachsen müssen. Was nützt dir diefalsche Belebung der Tochter deines Freundes, so er durch jemanden, dem er vollen Glaubenschenken könnte, erführe, daß seine eigene Tochter ganz gut begraben wurde und er ein totalfremdes Kind als seine sein sollende neubelebte Tochter in seine Obsorge erhielt? Meinst duwohl, daß dein Freund mit solch einem Betruge sich auch fürderhin zufriedenstellen wird?Oder kannst du es dir nicht vorstellen, daß ein derartiger Verrat auf euer ganzes Institut einganz absonderlich verheerendes Licht werfen und es um allen Glauben und um allesVertrauen bringen würde?![050,12] Überdenke du dir solch eines Verrates beiderseitige Folgen, und du wirst esdann schon zu begreifen anfangen, ob schlechte Mittel wohl, im Ernste betrachtet, durch eineunberechnete, total blinde gute Absicht und durch die Erreichung eines doch bloß nurscheinguten Zweckes als gut und geheiligt angesehen werden können vor dem Forum desheiligen Richteramtes der wahren und allein gerechten Weisheit Gottes und Seiner lichtvollenGeister![050,13] Oder heißt das nicht die wahrhaftige Kraft des Gottesgeistes, mit dem nichtselten Menschen auf dieser Erde erfüllt wurden, schwächen oder gar zunichte machen wollen,teils aus einer ganz falschen Ehrsucht und teils aus Neid und großer Eifersucht und aus Furchtvor der Erwerbsverkürzung oder gar voller Zugrunderichtung desselben?! Wie muß es einem

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ganz pikfesten Essäer zumute sein, wenn er hier dieses offene Wunder, das am hellen Tagevor aller Menschen Augen bewirkt wurde, so recht in den Augenschein nimmt und sich amEnde selbst vollwahr im geheimen denken muß: ,Sieh, so etwas zu bewirken wirst du fürewighin unfähig sein! Wie nehmen sich da der Essäer Wunderwerke gegen dieses aus!‘?!“

51. Kapitel[051,01] Sagt Roklus: „Für uns Denker ist da freilich wohl ein unendlicher Abstandzu entdecken, aber für den Laien ist bald etwas gut! Wenn ein Wundertäter aus seiner innerenGeisteskraft uns nur nicht vor dem Volke herausfordert und demselben unsere ganz natürlicheMagie entdeckt, so können meines Erachtens wir Naturmagier neben dem wahren Magier ausseiner innern Gottgeisteskraft recht gut bestehen und er neben uns, wenn ihn etwa nicht dieEifersucht plagt!“[051,02] Sagt Raphael: „So, sonst hast du kein Leiden in deinen Eingeweiden?!Meinst du denn, daß der wahre Wundertäter aus der in ihm wohnenden Gotteskraft auch aufeine weltliche Ehre und auf einen irdischen Erwerb schaut?! Gibt es denn für den Menschenkeine höhere und endlichere Bestimmung als die weltliche, möglich beste Leibesversorgungund die Personsehre im Angesichte dieser materiellen Erde? Höre und fühle![051,03] Ein jeder Mensch hat eine unsterbliche Seele und in der Seele einen nochunsterblicheren Geist. Auf daß aber die Seele als ein aus der Materie sich entwickelnder Geistmit dem Urgeiste Gottes, der ,Liebe‘ heißt, vollends eins werde, muß die Seele selbsttätigdahin all ihr Streben richten, fürs erste sich der Materie und ihren wie immer aussehendenAnforderungen zu entziehen und all ihr Trachten, Tun und Treiben allein nach dem reinGeistigen zu richten, und fürs zweite fortwährend allein dafür besorgt sein, eins zu werdenmit dem in ihr ruhenden Geiste der reinen Liebe Gottes, indem Gott Selbst in SeinemUrgrundwesen die allerpurste Liebe ist.[051,04] Wie aber kann ein Mensch es denn erfahren, daß seine Seele eins gewordenist mit dem wahren Geiste Gottes in ihr? – Das erfährt er aus sich überaus leicht! Wenn du indir keinen Hochmut, keinen unnötigen Ehrgeiz, keine Ruhmsucht, keinen Neid, keine HabundGlanzsucht, keine Eigenliebe, aber dafür desto mehr Liebe zum Nächsten und zu Gottlebendig und wahr fühlen wirst und es dir eine wahre, dich tief rührende Herzensfreudemachen wird, dein ganzes Hab und Gut im Notfalle an arme und sehr notleidende Brüder undSchwestern verteilt zu haben, ja, wenn du ein ordentliches Leid in deinem Herzen fühlenwirst, irgend einem Armen nicht helfen zu können, wenn dir Gott alles und die ganze Erdemit allen ihren Schätzen und Schätzen nichts sein werden, dann ist deine Seele schon völligeins mit dem Geiste Gottes in ihr, hat das vollkommene, ewige Leben erreicht, ist weise undwo nötig durch ihr pures Wollen wundertatkräftig![051,05] Um die Menschenseelen aber dazu zu bestimmen, ist von Gott aus somancher frommen, in sich und mit Gott eins gewordenen Seele eben die göttlicheWundertatkraft verliehen in einem besonders hohen Grade, damit sie ein Zeuge sei für dieSchwachen und Kleingläubigen, dafür, wozu von Gott aus die Menschen bestimmt sind, wiesie zu leben haben und wie zu handeln, um solche Bestimmung in sich selbst zur vollstenWahrheit zu bringen.[051,06] Und es tut ein wahrer Wundertäter sicher kein Wunder, um sich von derdummen und blinden Welt anstaunen zu lassen oder gar etwas zu gewinnen, worauf nur diematerielle Welt einen Wert legt, sondern um seinen Nebenmenschen den wahren Lebenswegzu zeigen, ihnen Mut und Vertrauen zu geben zum Kampfe mit der Welt in ihren bösenLeidenschaften, ihnen zu zeigen des Lebens wahren Grund, Wert und Zweck und sie auf dieseWeise auf einem ganz kurzen Wege dahin zu bringen, wozu sie alle von Gott aus berufensind, nämlich zum wahren, ewigen Leben und zu dessen höchster Glückseligkeit.[051,07] Frage du nun dich und dein ganzes Institut, ob ihr auch eure falschenWunder je in dieser Absicht verrichtet habt! Ihr seid wohl weltkluge und gerade eben nichtvon Hause aus böse Menschen; aber ihr seid bei eurem Jagen nach den Gütern dieser Weltselbst ganz blind in der innern Lebenssphäre geworden. Die Welt und ihre Glückseligkeit isteuch alles! Um diese so vollkommen als möglich zu erreichen, ist vor allem notwendig, sich

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durch taugliche und sicher wirksame Mittel ein möglich größtes Ansehen zu verschaffen. Mitdem Schwerte in der Hand geht es nicht immer am besten; aber damit, sich durch allerleiZauberkünste irgendein gottähnliches Ansehen zu verschaffen, geht es eben nicht schwer,weil alle Menschen von Natur aus viel mehr wunder- als kriegssüchtig sind. Es gehört dannnur noch dazu, daß mit Hilfe solcher falschen Wunder für die Schaulustigen irgendeinmaterieller, wenn auch nur scheinbarer Nutzen heraussieht, und das Spiel ist gewonnen.[051,08] Eure Tendenz ist demnach keine andere als folgende, die ich dir nun zumbesten geben will: ,Wir uns in aller Welt umgesehen habende Menschen haben die Erfahrunggemacht, daß der Mensch über dieses Erdenleben hinaus gar kein Leben mehr hat und habenkann. Weil man aber schon einmal auf der Welt leben muß, so suche man wenigstens so gutals möglich zu leben. Um das zu können, erfinde man etwas, wodurch man sich dem Volkeunentbehrlich und scheinbar mit der leichtesten Art und Mühe von der Welt nützlich machenkann. Dann wird das Volk selbst für uns alle schwere Arbeit verrichten, wir werden dabei sehrgut leben, und das uns ganz versorgende Volk wird dabei der Meinung sein, Gott dadurcheinen wohlgefälligen Dienst zu erweisen, so es für uns alles und alles tut! Wir präsentierenuns aber dafür dem Volke infolge unserer Wunderleistungsfähigkeit als fortwährende undunverwüstbare Stellvertreter der Götter auf Erden, und wir werden dafür auch leben wie dieGötter. Aber nur ewig keinen Verräter! Können wir uns nur fünfzig Jahre ohne einen Verraterhalten, so werden Fürsten samt ihren Völkern vor lauter Demut vor uns im Staube kriechen.[051,09] Um die Sache aber so wirkungsreich als möglich zu machen, dürfen wir imAnfange keine Kosten scheuen, um alles also einzurichten, wie es am effektvollsten nurimmer gedacht werden kann. Dann müssen wir vor dem Volke uns stets als die liebe- undteilnahmevollsten und von den Göttern wahrhaft begeisterten Menschen darstellen, und wirwerden von den Völkern auf den Händen getragen werden! Die alten Religionsstifter warenzwar klug in dem, daß sie sich ein Volk zurichteten, wie sie es am besten brauchen konnten;aber wir erfahrungsreichsten Essäer wollen eine Religion aufstellen, zu der am Ende alleVölker samt ihren Herrschern werden kommen müssen! Denn wie es nahe überall anderwärtszugeht, das wissen wir und werden künftig noch ein mehreres erfahren und wissen, und wirwerden unser gelungenstes Institut stets verbessern und mit allem und jedem, was unsdienlich ist, im höchsten Grade bereichern und es so für alle Zeiten der Zeiten als völligunzerstörbar allen unseren Feinden gegenüberstellen!‘[051,10] Nun, wenn die wahren Wundertäter aus dem Geiste Gottes sich etwa auchnoch mit euch vereinen möchten, so wäre euer menschenbetrügerisches Institut freilich etwasvöllig Unbesiegbares, und ihr würdet bald über alle Weltschätze dieser Erde zu gebietenhaben; aber die wahren Wundertäter sind, wie sie waren und auch fürder stets also bleibenwerden, immer die größten Feinde alles Betruges und aller Lüge gewesen und werden sichdemnach mit euch nie vereinen, sondern euch überall entlarven und den Völkern zeigen alleEinrichtungen eures von euch aus betrachtet gar löblichen Institutes! Dadurch werden euregar so schön grün aussehenden Hoffnungen nur zu bald welk werden und vor niemandemirgendeinen Wert mehr haben. Wirst du da dann auch noch behaupten, daß euerFalschwunderinstitut sich neben den Rechtwundertätern aus Gott so ganz gemütlich undeinträchtlich vertragen könnte? Sieh, ich allein wäre ganz wohl imstande, euer Institut miteiner einzigen Wundertat schon derart zu entkräften, daß fürder sicher kein Mensch mehr zueuch irgendeine hilfesuchende Zuflucht nehmen würde! – Glaubst du mir das, oder glaubst dumir es nicht?“

52. Kapitel[052,01] Sagt Roklus: „Wenn du auch so tat- wie wortmächtig bist, da könnte dir soetwas allerdings möglich sein; aber bis jetzt habe ich bei allen Menschen noch die Erfahrunggemacht, daß die wortkräftigsten Weisen auch stets die tatschwächsten waren. Ich gestehe esdir demnach offen, daß ich vor deiner etwas hochtrabend gehaltenen Tatmacht eben keine garzu absonderliche Furcht habe! Möglich ist jedoch gar vieles, wennschon nicht allzeitwahrscheinlich![052,02] Gehe hin zu dem Elternpaare und sage es ihnen, daß die neu vom Tode

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erweckte Tochter nicht die wahre, sondern nur eine wegen der großen Ähnlichkeitunterschobene ist, und du wirst es sehen, ob du einen Glauben finden wirst! Ja, man wird dirwohl die Türe weisen, aber glauben wird man es dir nimmer, und wäre es dir auch möglich,mit einer zweiten, noch ähnlicheren Kopie zustande zu kommen. Denn mit der Erweckung derwirklichen Tochter dürfte es dir denn doch etwa nicht gelingen wollen; denn fürs erste dürftees dir wohl kaum bekannt sein, wo sie begraben ist, und fürs zweite dürfte ihr Körper von denWürmern schon so ziemlich zernagt sein.[052,03] Dies wäre meiner Meinung nach noch das einzige Mittel, die beiden Elternwenigstens auf eine Zeitlang stutzen zu machen; im äußersten Falle würde das gute Elternpaardie wirklich wiedererweckte Tochter wegen der großen Ähnlichkeit als eine Ziehtochterannehmen. Doch lassen wir nun all dieses nichtssagende Wortwechseln und wenden uns zuetwas anderem![052,04] Du bist auch von dieser Gesellschaft einer? Was ist denn so ganz eigentlichder Zweck eures Hierseins? Erteilet hier etwa der Oberstatthalter, wie es schon zu öfterenMalen der Fall war, dem Volke öffentliche Audienzen, nimmt Bitten an und vernimmt allerleiBeschwerden vom Volke und seinen Vertretern, oder hält er etwa hier eine Art Gericht odereinen Kriegsrat? Denn ich bemerke hier ja Menschen von allen Enden und Orten der mirbekannten Erde. Sogar die schwärzesten, von mir früher noch nie so schwarz gesehenenMohren sind hier äußerst reichlich vertreten; Perser, Armenier, Taurer, Griechen, Römer undÄgypter fehlen nicht![052,05] Ich würde darum aus Bescheidenheit und gebührendster Hochachtung vordem weisen und greisen Cyrenius wohl diese Frage nie ans Tageslicht gebracht haben; aberweil wir nun schon gut bei zwei Stunden miteinander Worte gewechselt haben, so faßte ichMut und habe nun vor dir die Frage laut werden lassen! Sage mir etwas darüber, wenn es dirgenehm ist, und sage mir auch etwas von dem, wie denn doch so ganz eigentlich dieses Haussamt Garten, Hafen und Schiffen entstanden ist! Ich weiß wohl noch, was du mir in dieserHinsicht schon gesagt hast; aber mit der puren Gottesgeisteskraft im Menschen kann es dennja doch nicht so ganz sein! Diese Kraft kann dem Menschen wohl die allertauglichsten Mittelzur Hervorbringung eines solchen Werkes anzeigen; aber ohne dieselben aus der Purluft wirdsich das wohl etwa nicht zustande bringen lassen! Geh, lieber, weiser, junger Freund, sage mirdoch aufrichtig, was du irgend davon weißt!“[052,06] Saget Raphael: „Gedulde dich nur noch ein wenig; denn wir sind noch mitder früheren Verhandlung nicht ganz am Ende, und warum hier diese Völker versammelt sind,darf ich vor der Zeit nicht aus der Schule schwätzen! Du wirst späterhin schon noch mehrereserfahren; vorderhand aber bleiben wir nur schön bei dem: ob ich selbst nicht imstande wäre,eurem Institute einen ganz mörderischen Rippenstoß zu versetzen, ohne mir eine zweiteKopie der falschwundersam erweckten Tochter von irgendwoher zu verschaffen! Du zweifelstdaran, und dennoch könnte ich dir augenblicklich eine Überzeugung verschaffen, vor der dirdie Haare zu Berge steigen würden! – Was würdest du dann sagen?“

53. Kapitel[053,01] Sagt Roklus etwas betroffen: „Freund, kein wie immer geartetes Verbrechenmacht erbangen mein Gewissen! Ich lebte stets streng gesetzlich; was sollte mir die Haare genBerg steigen machen? Ist aber unser Institut schon so ein Greuel in den den Menschen niesichtbaren Augen eines Gottes, dessen Dasein ich nun freilich nicht mehr leugnen kann nachall dem von dir Vernommenen, so sollte der allwissende, allsehende und allmächtige, höchsturweise Gott denn ja doch irgendein Mittel haben, durch das Er die Errichtung von derleiInstituten gar leicht verhindern könnte! Wir und eigentlich unsere Vorfahren aber habenweder vor noch bei und nach der Errichtung dieses Institutes von gar keiner Seite herirgendein Hemmnis verspürt; auch der Staat, dem doch der Plan offen vorgelegt ward, hat mitaller Bereitwilligkeit die Errichtung dieses ihm allernützlichst scheinenden Institutes bewilligtund seine Verschwiegenheit für alle Zeiten uns treulichst zugesagt und auch versprochen, unsnötigenfalls mit den Waffen zu schützen und zu schirmen. Das Volk, zu dessen sichtlichemWohle das Institut errichtet ward, hat auch keine Einsprache erhoben. Von keiner Seite also,

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weder von der göttlichen noch von der staatlichen und bürgerlichen, ist bei der Errichtungirgendeine Widersprache geschehen, und es war somit rein unmöglich, sich mit derErrichtung dieses Institutes gegen jemandes Willen zu versündigen, und wir Glieder diesesInstitutes können daher jedermann und auch einem Gotte mit einem ganz ruhigen Gewissenunter die Augen treten, und ich wüßte daher wahrlich nicht, womit du mir die Haarerechtlichermaßen gen Berg treiben solltest![053,02] Du hast zwar nach deinen Worten eine besondere Macht inne, bist am Endeselbst eben derjenige, der dies Wunder verübt hat, kannst vielleicht auch so bloß durch Wortund Willen Tote erwecken, wie nun in unsere Stadt die Sage von einem Nazaräer gekommenist, der solches vor aller Welt Augen etwa gar wohl vermöchte, was ich auch gar nicht ineinem zu hohen Grade bezweifle; denn die Menschen sind inwendig Geister von sehrverschiedenen Größen, und da erfindet bald einer entweder aus sich oder durch einen Zufalletwas, wovon Millionen vor ihm und Millionen mit und nach ihm gar keine Ahnung haben,und er übt es aus und setzt dadurch oft den halben Erdkreis ins größte Erstaunen. Und da ist jaeben wieder unser Institut mit keinem Golde zu bezahlen, das eben solche Erfinder aufsuchtund sich alle Mühe gibt, sie für sich zu gewinnen und ihre vereinzelten Erfindungen zu einemGemeingute der Menschen zu machen![053,03] Wir Essäer werden nie einen Menschen von außerordentlicher Art verfolgenoder ihm auf seinen Wegen Hemmschuhe anlegen, sondern wir leisten ihm noch allenmöglichen Vorschub und suchen ihn womöglich für uns zu gewinnen, was uns schonmehrfach gelungen ist. Daß es ihm dann bei uns nicht schlecht geht, dafür steht das ganzeInstitut wie ein Mann! Siehe, so denken wir, so stehen und so auch handeln wir, ohneHinblick auf irgendeine Belohnung weder diesseits noch jenseits! Wir tun das, was wir nacheinem allgemeinen Rate als gut erkennen, seiner selbst wegen! Vor welch einem Richtersollen wir wohl noch erbeben?[053,04] Bist du am Ende gar jener wunderbare Nazaräer selbst? Auch gut, undeigentlich noch besser; denn da lernen wir den Mann oder Jüngling am Ende doch selbstkennen, von dem wir schon so vieles und überaus Außerordentliches vernommen haben! Nuretwas zu jung siehst du mir für den Nazaräer aus, der nach der Beschreibung mindestensdreißig Jahre haben soll! Aber es macht das nichts, du brauchst der berühmte Nazaräer auchgar nicht zu sein; denn du besitzest ja auch einen sehr regen und strebsamen Geist, bist weitund breit herum gewesen und hast dir allerlei Erfahrungen sammeln können. Warum solltestdu dadurch nicht auch zu Fähigkeiten gelangen können, von deren Größe ich gar keinenDunst haben kann? Oh, ich bin da nicht im geringsten etwa eifersüchtig auf dich! Auchleugne ich nicht, daß es neben unseren Scheinwundern auch wahre geben könnte; denn esmüssen den Scheinwundern allzeit wahre vorangegangen sein, ansonsten die falschen von denMenschen nicht leichtlich je hätten erfunden werden können. Aber nur das eine lasse ich dirdurchaus nicht gelten, daß wir mit Willen durch unsere Scheinwunder je etwas eigentlichanerkannt Böses haben erreichen wollen.[053,05] Freilich, wohl wußten wir nicht, daß durch solch trügliche Wunder diemoralische Seelensphäre der Menschen total zugrunde gerichtet werden muß, was für denMenschen ein großes Übel ist; aber wir waren ja samt und sämtlich Atheisten und konnten jakeine andere Lebensglückssphäre der Menschen vor uns haben als die irdische, da wir an einLeben nach dem Leibestode nicht glaubten, wenigstens an ein seiner selbst bewußtes nicht!Was uns aber von dem Dasein eines Gottwesens abgelenkt und zum vollkommenstenAtheismus geführt hatte, habe ich dir bereits auf die möglich vernünftigst anschauliche WeisePER LONGUM ET LATUM dargestellt und glaube nun, vor dir, und wenn du auch GottSelbst wärest, so rein als möglich dazustehen.[053,06] Einen irgend geheim gehaltenen kranken Gewissenspunkt gibt es nicht inmeinen Eingeweiden, und so stehe ich dir hier ganz mutig entgegen! Den Tod fürchte ichnicht, obwohl ich wahrlich kein Freund von Schmerzen und Leiden bin. Mit was sonstkönntest du einem Manne, der auch von sich sagen kann: ,SI TOTUS ILLABATUR ORBIS,IMPAVIDUM FERIENT RUINÆ!‘, vor Angst die Haare gen Berg treiben? Bleiben wir nunlieber gute Freunde und unterstützen wir uns in allem Guten und Wahren, was sicher allen

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Menschen sowieso frommen muß, und wir werden dann meines Erachtens gar nicht nötighaben, uns gegenseitig die Haare gen Berg zu treiben! Übrigens aber magst du tun, was duwillst, so wird die Welt im allgemeinen dennoch nie besser werden, als sie nun ist und auchallzeit also war![053,07] Am liebsten aber wäre es mir nun schon, mit meinen Gefährten mich wiederzu entfernen! Denn ich bemerkte soeben mehrere Pharisäer hier, und – vergib es mir, Freund!– mit diesen komme ich sehr ungern irgendwo zusammen, weil diese jedem Fortschritte EXDIAMETRO entgegen sind. Ich schenke dir alle weiteren Erklärungen und Mühen! Ich weißnun, woran ich bin, und wie ich mich geistig zu richten habe, um zu erreichen das ewigeLeben aus Gott; mehr benötige ich nicht vorderhand, und die weitere Erklärung diesesHauswunders erlasse ich dir auch, obschon ich sie gerne fundamentalisch vernommen hätte!Aber die mehreren Pharisäer, sogar der echt stierbeinige Oberste aus Cäsarea Philippi auchhier?! Oh, da werden wir bald unsichtbar werden!“[053,08] Sagt Raphael: „Oh, wegen dieser könnet ihr schon bleiben; denn diese sindso wenig mehr Pharisäer, als wie du einer bist! Wer immer hier wandelt, ist ein reiner Menschbis auf einen, der unterdessen der Schrift wegen geduldet wird. Also die hier seiendenPharisäer hast du nicht mehr zu scheuen! Aber du willst von dem wundervollen Nazaräeretwas gehört haben? Erzähle mir etwas davon, und ich will abgehen von dem, dir die Haaregen Berg zu treiben! – Willst du das?“[053,09] Sagt Roklus: „Warum nicht? Viel weiß ich zwar nicht; aber was ich weiß,hat Kopf, Hand und Fuß und verdient allen Glauben. Nur eine ganz kleine Geduld bitte ichmir zu meiner Fassung aus!“

54. Kapitel[054,01] Nach einer kurzen Pause Zeit sagt Roklus zum Raphael: „Liebster, junger,wahrhaft weiser Freund! Ich bin nun da völlig beisammen, um dir zu erzählen, was ich aberauch erst seit kurzem von einigen Handelsleuten aus Nazareth und Kapernaum vernommenhabe, denen ich unbedingt wahrlich in bezug auf die Fakta allen Glauben geschenkt habe,weil das Männer sind, denen man glauben kann. Mehr aber weiß ich natürlich auch um keineSilbe, als was ich eben von diesen meinen Geschäftsverwandten als treu und wahrvernommen habe, – und so wolle du mich vernehmen![054,02] Im Städtchen Nazareth, am oberen Jordan gelegen, nicht im Fleckengleichen Namens im Gebirge, lebte ein Zimmermann und hatte mit seinem zweiten Weibeeinen Sohn gezeugt, den er ,Jesus‘ benamsete. Dieser war bis zu seinem dreißigsten Jahreauch ein Zimmermann und stets ein stiller, viel denkender, aber wenig redender Mensch. Erwar sonst ein äußerst gesitteter Mann; man hörte ihn nie zanken und sah ihn auch nie huldigenweder irgendeiner reizenden Venus und ebensowenig dem Bacchus.[054,03] Eine stete und bescheidenste Nüchternheit war seines Lebensvorherrschender Charakterzug. Daneben war er stets sehr demütig und barmherzig gegen dieArmen und verlangte für seine stets ausgezeichnete Zimmermannsarbeit einen nur ganzkleinen Lohn, den er stets höchst gewissenhaft an seine Eltern abführte. Mit dem Tage aber,als er genau dreißig Jahre alt wurde, legte er alles Werkzeug zur Seite und rührte weder Axtnoch Säge mehr an.[054,04] Seine Brüder und seine etwa noch lebende Mutter, alle vollkommenehrliche Leute, fragten ihn um den Grund, und er soll ihnen folgende höchst mystischklingende Antwort gegeben haben: ,Es ist die Stunde gekommen, von der an ich den Willenmeines Vaters im Himmel erfüllen muß, darum ich denn auch in diese Welt gekommen bin!‘[054,05] Darauf verließ er bald das elterliche Haus, zog in die kleine Wüste unweitdes Ausflusses des Jordans aus dem See, an dem wir uns soeben befinden, nahm dort Jüngeran und lehrte Gott und den Nächsten lieben und warnte sie vor dem alten Sauerteige derPharisäer, ein Etwas, das mir den Mann sehr wert machte, obschon ich noch nicht das Glückhatte, mit ihm irgend persönlich zusammenzukommen; denn ein Gegner der Pharisäer ist stetsunser Freund und kann von uns jede Unterstützung haben.[054,06] Mit solcher seiner höchst achtbaren Lehre verbinde er etwa eine fabelhafte

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magische Willenskraft und verübe Wundertaten, von denen es bis jetzt noch keinemSterblichen etwas geträumt hat. Er soll zum Beispiel jeden Toten ohne alle irdischen Mittelbloß nur durch Wort und Willen wieder ins Leben zurückrufen; so unglaublich und fabelhaftdieses auch immerhin klinge, so sei es dennoch vollkommen wahr! Kurz, er gehe von einemOrte zum andern, lehre die Menschen sich und Gott erkennen auf eine ganz faßliche Weise,und jeder Schritt und Tritt sei von Wundern der außerordentlichsten Art begleitet![054,07] Seine etwa schon sehr zahlreichen und stets mit ihm ziehenden Jüngerhalten ihn für einen Gott, da ein wirklicher Gott mit allen seinen wunderbaren Eigenschaftenunmöglich mehr zu leisten imstande wäre. Lassen wir aber das; denn ein Gott, wie wir ihnunter allerlei Formen und Gestalten uns vorstellen, ist ja ohnehin nichts als eine lockersteAusgeburt einer menschlichen Phantasie mit lauter angedichteten Fähigkeiten, die nichts sindgleichwie ihr nichtiger Träger, der erdichtete Gott nämlich![054,08] Wenn es sich aber mit dem Wundermanne aus Nazareth also verhält, woranich durchaus nicht zweifle, da sehe ich gar nicht ein, warum man ihn nicht für einen Gotthalten könnte oder sollte! Ich denke mir da also: Dieser Mensch, durch seine Naturanlagesicher befähigter als je irgendein anderer auf der ganzen Erde, hat durch seinen Lebenseiferdas Zentrum seines Liebelebens in sich gefunden, hat dann dieses Zentrum allersorgfältigstgepflegt, genährt, gestärkt und ausgebildet.[054,09] Mit diesem wahren Leben, das ihn als vollends herangebildet ganzdurchdringt, setzt er sich in Verbindung mit der allgemeinen Lebenskraft der Natur, und esmuß sein Wille dann nicht nur sein eigenes Lebensorgan leiten, sondern alle Organe in dergesamten Natur, weil er durch sein Leben die Leitfäden alles andern Teillebens in den Wesenin sich vereint und dadurch nach seinem Belieben mit allen Wesen schalten und walten kann.[054,10] Ich hatte dir schon zuvor als noch ein vollkommener Atheist die Bemerkungfallen lassen, daß und wie es ein Mensch nur durch das Auffinden des Lebensprinzips in sichzu einem wirklichen Gotte und zum ewigen Leben bringen kann, vielleicht schon mehrere inder Vorzeit es dahin gebracht haben, in der Folge noch mehrere es dahin bringen werden; undda haben wir den Mann aus Nazareth, der keine Fabel ist, und der meine Behauptungvollkommen rechtfertigt! An den habe ich denn auch gedacht, als ich dir die Bemerkunggemacht habe. Ich gäbe was darum, wenn ich ihn irgendwo auffinden könnte! Ich würdeselbst sein Jünger und würde, wenn sich mit ihm alles also verhält, wie ich es vernommenhabe durch einige meiner Kollegen, ihn sogar ohne alles weitere Bedenken für einen wahrenGott halten und ihn aus allen meinen Lebenskräften lieben und anbeten, und wenn du mirauch tausend jüdische Jehovas und hunderttausend ägyptische Zeuse entgegenhieltest![054,11] Ich sage es dir: Alle Jehovas und alle Zeuse, die ägyptischen, griechischenund römischen, und alle Athmas und Lamas der Indier sind Nullen gegen den einzigenNazaräer, der ein wahrer Wundermann ist, und den wir Essäer gar nicht fürchten, indem sogaretliche von uns sich unter seinen Jüngern befinden und uns schon mehrere Male brieflichbenachrichtigten, wie der Mann ist, was er lehrt, und was alles er tut! Ja, wenn der Mann etwazufällig hier wäre, dann würde ich dich gar nicht fragen, wie dieses Wunderhaus entstandenist; denn da würde ich zu dir sagen: ,Siehe, das ist ein wahres Gotteswerk!‘[054,12] Einem Gotte ist es möglich, auch eine neue Welt hierher zu erschaffen;denn er hat die Zentrallebensfäden in sich, mit denen er alle Wesen und alle Elemente derganzen Natur vollkommen in seiner Gewalt haben muß. Er darf nur irgend etwas fest wollen,und es muß sich gestalten nach seiner allerklarsten und vollendetsten Intelligenz. Archimedes,ein großer Weiser, der mit gar manchen Kräften vertraut war, sagte: ,Einen festen Punkt überder Erde gebt mir, und ich hebe euch die ganze Welt aus ihren Angeln!‘ Das war ein keckeszwar, aber immerhin ein großes Wort; er hätte aber mit seinen Schraubenhebeln schon zu tungehabt, die ganze Erde aus ihren Angeln zu heben.[054,13] Der Nazaräer aber bedarf keiner materiellen Schraubenhebel, sondern einesWillenszuges, und die ganze Welt samt uns liegt in Atome aufgelöst vor uns, das heißt,insoweit wir uns für uns nach der Auflösung auch noch ein Dasein denken können![054,14] Der Nazaräer hat erst den rechten Hebel gefunden und bedarf keines festenPunktes außerhalb der Erde, sondern bloß nur seines Willens, und alle sichtbare Natur hat zu

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sein aufgehört! Und siehe, dieser Nazaräer gehört gewissermaßen auch unserem Institute an,das heißt dem Institute der wahren, uneigennützigen Nächstenliebe, und wir haben darumkeinen größeren und noch wahreren Wundertäter zu fürchten, da wir überzeugt sind, daß esmit ihm auf dieser Erde wohl niemand aufnehmen wird.[054,15] Oder hättest du etwa Lust, es mit ihm aufzunehmen, der du mir die Haaregen Berg treiben wolltest? Siehe, mein liebster und sonst sehr schätzenswerter Junge, nurimmer schön bescheiden! Du kannst sehr vieles wohl vermögen, aber alles noch hübsch langenicht; aber der Nazaräer vermag gar alles! Mit dem würdest du sehr hart Kirschen essen, dumein Lieber du! Ich werde aber mit dem Nazaräer schon noch selbst irgendwozusammenstoßen und werde ihm dich vorstellen; gib aber dann ja acht, wie du vor ihmbestehen wirst! – Na, kennst du nun den Wundermann aus Nazareth?“[054,16] Sagt Raphael: „Na, sollte ich ihn nicht kennen? Stehe doch schon einehöchst geraume Zeit in seinen Diensten!“

55. Kapitel[055,01] Sagt Roklus lachend: „O du Hauptwindmacher! Wenn du noch nie eineUnwahrheit geredet hast, so hast du das jetzt getan! Läßt sich der junge Schlingel von mir denherrlichen Nazaräer zuvor so recht klar beschreiben und sagt nun, daß er schon eine geraumeZeit in seinen Diensten stehe. Nicht übel, gar nicht übel! Früher weiß er noch so gut wienichts von ihm, und nun ist er sein Diener sogar! Nein, jetzt aber fordere ich dich auf, mir daszu beweisen, sonst mache ich dir deine blonden Locken gen Berg stehen! Hast du michverstanden?! Also nur her mit dem Beweise!“[055,02] Sagt Raphael: „Ja, mein Freund, mit dieser deiner Aufforderung machst dumir nicht bange, und ich werde dir alles zu tun imstande sein, was du nur immer verlangst,vorausgesetzt, daß du etwas Vernünftiges und denkbar Mögliches verlangst; denn für etwasDummes und Unmögliches besitze ich keine Kraft und keine Macht. Stelle mir somit raschdie Beweisaufgabe, und ich werde sie auch ebenso rasch in den Vollzug setzen!“[055,03] Hier sah Roklus dem Raphael scharf ins Gesicht und sagte: „Nun wohl, dumein lieber, junger Freund, da habe ich einen bei fünf Pfunde schweren Stein vom Bodengehoben. Es ist ein brauner Granit, der mit keinem mir bekannten Metalle irgendeineVerwandtschaft hat. Mache aus ihm Gold, aber im gleichen Gewichte!“[055,04] Sagt Raphael: „Kurzsichtiger Mensch, wenn daraus Gold wird, so wird derKlumpen wohl dreimal schwerer werden! Das Gewicht kann daher nicht dasselbe bleiben,wenn an der Form und Größe nichts abgeändert werden darf! Was willst du nun, das daverändert würde?“[055,05] Sagt Roklus: „So lassen wir Form und Gestalt, und das Gewicht veränderesich zum Vorteile des Wunders!“[055,06] Sagt Raphael: „So halte nun fest den Stein, daß er dir als ein über dreimalschwerer gewordener Goldklumpen nicht aus der Hand falle; denn die urplötzlicheGewichtserhöhung ist stets nahe so fühlbar, als so dir ein etwa zehn Pfunde schwerer Steinaus der Luft auf die Hände fiele! Du könntest sonach ganz leicht mit dem ganzenGoldklumpen umfallen!“[055,07] Sagt Roklus: „Dieses Unglück wird mich wahrscheinlich nicht treffen!“[055,08] Dieses sagte Roklus nur aus einer Art Zweifel am Gelingen des Beweises.Aber im selben Augenblicke will Raphael den Stein in Gold verkehren. Der Stein wird auchim Momente ganz Gold und wirft durch die plötzliche Gewichtsvermehrung den Roklus zuBoden, und zwar auf eine ganz heftige Weise, so daß sich Roklus sehr wehe tat und sich kaumwieder zum Aufstehen zusammenraffte.[055,09] Als er (Roklus) wieder auf den Beinen sich befand, fing er an, des RaphaelMutwillen zu tadeln, und sagte: „Höre, du wunderbarer, mutwilliger Junge, zehn solcheGoldklumpen sind nicht wert, daß man sich ihnen zuliebe einen solchen Schmerz sollegefallen lassen! Hättest du mir denn nicht sagen können: ,Jetzt geschieht die Verwandlung!‘?Ich habe mich ja am Kopfe und mit den Händen am Boden so stark angestoßen, als wäre ichvon einem hohen Baume herabgefallen! Mich schmerzt der Kopf noch ganz gewaltig! O du

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mutwilliger Wunderjunge, heile mich nun auch zum größeren Beweise für die Wahrheitdeiner Aussage von meinem sehr heftigen Kopfschmerze!“[055,10] Hier blies Raphael den Roklus an, und im Augenblicke fühlte Rokluskeinen Funken Schmerzes mehr, und Raphael sagte zu ihm: „Klaube nun auch denGoldklumpen vom Boden auf und besieh ihn, ob er nicht ganz gediegen Gold ist!“[055,11] Roklus tat das, rief aber zugleich auch seine elf Gefährten herbei und sagte:„Da sehet her und urteilet selbst!“

56. Kapitel[056,01] Alle kamen und sagten: „Freund, das ist reinstes Gold, und der ganzeKlumpen dürfte einen kaum schätzbar hohen Wert haben! Und das hat dieser unbeschreibbarschönste Junge bloß durch seinen Willen bewirkt, daß aus dem braunen Kornsteine nun einebenso großer Goldklumpen wurde? Das kann kein Magier! Das ist sonach ein reinesWunder, nur einem Gotte möglich, – was wir alle bisher zwar für eine Fabel hielten, aberdieses Faktum sagt uns offenbar etwas anderes. Der herrlichste Junge ist ein Gott und sonstnichts mehreres und nichts wenigeres! Der muß von uns ja angebetet werden, und wir müssenihm opfern, was wir nur können, auf daß er uns nicht gram werde und uns ja gar verlasse!“[056,02] Sagt Roklus: „Er behauptet von sich, nur ein Jünger und Diener des stetsberühmter werdenden Nazaräers zu sein. Er ist sonach kein Gott; aber desto klarer tritt hierdie unbestreitbare Gottheit des Nazaräers in den Vordergrund! Auch habt ihr die Heftigkeitmeines Falles zuvor gesehen, der mir sehr heftige Kopfschmerzen erzeugte, und mit einemganz leisen Hauche aus des Jungen Munde waren sie buchstäblich weggeblasen. Also ist derJüngling seiner eigenen Aussage zufolge nur ein Jünger und Diener des Nazaräers, verdientzwar alle unsere Achtung, jedoch keine Anbetung und kein Opfer! Da er aber nunungezweifelt das ist, so lasset uns nun allein nach dem Nazaräer forschen; haben wir den, sohaben wir alles!“[056,03] Sagen die Gefährten: „Am Ende ist aber eben dieser Junge der Nazaräerselbst?“[056,04] Sagt Roklus: „Nein, nein, das ist er nicht! Fürs erste fehlt ihm das Alter;dreißig Jahre, – wo denket ihr hin?! Der Junge hat kaum sechzehn! Und fürs zweite kommtdes Jungen höchsteigenes Geständnis! Der mutwillige Junge ist zwar etwas schlimm, abervon einer Lüge ist bei ihm keine Spur, dafür stehe ich euch, – Keine Spur von einer Lüge beiihm; denn insoweit habe ich ihn wohl kennen gelernt! Wahrhaft ist er ohne weiteres, abermitunter auch etwas schlimm, was wir seiner Jugend recht gerne nachsehen wollen, zumal erein gar so schöner Junge ist, wie ich in meinem Leben noch keinen gesehen habe! Man solltegerade glauben, daß er ein verkleidetes schönstes Mädchen sei; aber er sieht mir zuweilendoch viel zu ernst aus, daher ich ihn denn auch trotz seiner allerweiblichsten Schönheitdennoch für etwas Männliches halten muß. Auch ist er für ein Mädchen viel zu weise; denndie noch so schönen Mädchen sind stets etwas dumm und mögen sich nie und nimmer zurWeisheit eines Mannes erheben. Aber in diesem steckt eine ganz kuriose Weisheit, mit der esunsereiner nicht aufnehmen kann. Das alles aber beweist auch, daß er nicht der Nazaräerselbst, sondern ein rechter Diener desselben ist. Er führe uns irgend zum Nazaräer!“[056,05] Hierauf wendet sich Roklus wieder an den Raphael und sagt: „Höre, duliebster, obschon ein wenig mutwilliger Diener des Nazaräers! Wir beide sind miteinanderfertig, und ich und meine Gefährten ersuchen dich nun nur bloß um das, uns anzuzeigen, wowir den allerberühmtesten Nazaräer finden und treffen können!“[056,06] Sagt Raphael: „Ja, jetzt kann und darf ich es dir schon etwas weitwendigsagen, daß der allerberühmteste Nazaräer sich eben hier befindet! Die rechte Person kannst dudir mit deiner Verstandesschärfe schon selbst heraussuchen aus den etlichen hundert Gästen!Sieh, hättest du nicht einen gar so scharfen Verstand, so hätte ich dir die Person des Nazaräersauch angezeigt; aber deine Verstandesschärfe hindert mich daran! Darum gehe und sucherecht und du wirst wohl das Rechte finden!“[056,07] Sagt Roklus: „Nur zugestichelt, – macht nichts; mein Verstand ist dennochnicht zu verachten! Was er nicht finden mag und kann, das wird mein Herz finden; denn das

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gehört doch auch nicht gerade zu den letzten auf dieser Welt. Sorge dich nicht um mich, meinjunger, hochweisester Freund, ich werde nicht lange suchen und alsbald das Rechte findenund haben!“

57. Kapitel[057,01] Hier ermahnt Raphael den Roklus, zuvor den kostbaren Goldklumpen zuversorgen, mit dem er (Raphael) ihm (dem Roklus) ein Geschenk mache.[057,02] Sagt Roklus etwas erbost: „Freund, wenn ich im Suchen des höchsten Gutesder Menschen begriffen bin, da lasse ich den gefährlichsten Unflat dieser Welt ruhen!Verstanden, du nun schon etwas naseweis werden wollender junger Freund?! Ich kann dir dievollwahrste Versicherung geben, daß ich diesen Kothaufen auch mit keinem Finger mehranrühren werde, und du kannst ihn zu deinem Privatvergnügen wieder in das verkehren, waser früher war![057,03] Glaubst denn du, daß ich nach Gold giere, weil ich ein Grieche und einEssäer bin? Oh, da irrst du dich gewaltig! Fürs erste besitze ich als ein irdisches Erbgutdaheim hundertmal so viel des gelben Erdkotes, als dieser ungeschickte Klumpen da ist, undkann darum diesen neugebackenen schon entbehren, und fürs zweite ist mein Herz noch niedaran gehängt; denn hätte ich je nach den Erdengütern gegeizet, so wäre ich wohl nie zumeiner Verstandesschärfe gelangt, die, wennschon nicht das Allerhöchste selbst zu begreifenvermögend, doch ein Stückchen Weges dazu ist und auch darum allein schon einentausendmal größeren Wert hat denn hunderttausend solcher Goldklumpen.[057,04] Wohl weiß ich nun, daß der Mensch beim Erforschen der höchsten geistigenLebensdinge mit dem puren Verstande, wenn dieser auch noch so rein und scharf ist, nieauslangen wird; aber in völliger Ermangelung dieses Seelenlichtes wird der Mensch nochschwerer zu den höher und tiefer liegenden Wahrheiten des Lebens gelangen! Ein rechtgebildeter Verstand des Menschen ist meiner Ansicht nach immerhin ein ganz tüchtiges StückWeges zu der ewigen und unvergänglichen Lebenswahrheitsfülle aus Gott und ist, von diesemGesichtspunkte aus betrachtet, sicher auch schon von einem sehr hohen Werte, und es istdaher durchaus nicht recht, daß du, junger Freund, gar so kneipisch von meinerVerstandesschärfe sprichst![057,05] Siehe, in der abgebrannten Stadt irren noch gar viele Menschen herum, überderen Verstandesschärfe du dich sicher nimmer beklagen würdest; warum kommen sie dennnicht hierher, diese Schafe und Lämmer, um zu suchen des Lebens tiefere Wahrheiten? Siesahen alle hierher und mochten dies neue Wunderhaus wohl auch entdeckt haben; aber denenist das eins![057,06] Was kann einem Menschen, der des Denkens rein unfähig ist, irgendeinInteresse ablocken? Ich sage: Gar nichts, außer daß sein etwa hungriger Magen einem ihnsättigenden Bissen gar emsigst nachrennen wird! Stelle du diesen stets hungrigenMenschenlasttieren ein Gericht Speisen auf und wirke neben ihnen die großartigsten Wunder,– und diese Verstandeslosen werden fressen und nicht im geringsten achten deinerWunderwerke! Und haben sie ihre Magen gefüllt, so werden sie träge und schläfrig undwerden wieder nicht achten auf deine Wunder! So etwas fällt nur dem gebildeten Verstandeauf, und er fängt an, zu denken und allerlei Vergleiche zu machen, und ruhet nimmer, bis ernicht zu irgendeiner Erklärung des Wunders vorgedrungen ist![057,07] Wenn aber unwiderlegbar sich die Sache also verhält, warum machst dudenn immerfort gegen meine Verstandesschärfe spitzige Bemerkungen? Sieh, da bist du trotzaller deiner Wunderkraft rein auf dem allerholprigsten Holzwege von der Welt![057,08] Wenn ich einen Gott wahrhaft erkennen will, so muß ich dabei, und zwarzuerst, auch denken und dann erst fühlen! Was soll mir aber ein besseres und geistiges Gefühlim Herzen erwecken, wenn ich als ein verstandesloser Ochse dastehe?! Du verwiesest mich,den göttlichen Nazaräer nur mit meiner Verstandesschärfe zu suchen und zu finden; ich werdees aber auch tun, um dir zu zeigen, daß ein rechter Verstand auch zu etwas gut ist! Kurz undgut und vortrefflich, ich bin dir recht vielen Dank schuldig und habe dich recht sehr lieb –denn du hast mich einen wahren Gott kennen gelehrt und hast mir darum einen unermeßlichen

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Schatz, den ganze Goldberge nicht aufwiegen, gegeben –; aber daß du noch stets gegenmeinen Verstand etwas zu sticheln hast, das gefällt mir nicht von dir![057,09] Denn das muß mir sogar eines Gottes höchste Weisheit gutheißendzuerkennen, daß der Verstand dem Menschen wegen der Erkenntnis seiner selbst undhauptsächlich wegen der daraus hervorgehenden Erkenntnis Gottes so notwendig ist, wie ihmdie Augen zum Sehen notwendig sind! Ich weiß es wohl, daß ein Mensch mit seinem noch sogeweckten Verstande gar endlos vieles nicht begreifen kann und wird, was die göttliche,höchste Weisheit alles verordnet hat, was sie entstehen ließ, und was da immer ist undgeschieht; aber ohne eine gewisse Verstandesschärfe, die da zu prüfen und zu unterscheidenvermögend ist, begreift der Mensch gleichweg ewig nichts![057,10] Man sagt, daß nur der Glaube die Leuchte des Menschen sei! O du lieberHimmel, was ist denn ein Glaube ohne Verstand? Er ist die Wiegenweisheit der unmündigenKinder, die nach dem Monde langen etwa in der Meinung, daß er ein rundes StückHonigbrotes sei! Und es gibt wirklich erwachsene Menschen auf dieser lieben Erde, die denMond für einen in der Luft herumschwimmenden Laib Brotes halten, der allmonatlich vonden Paradiesvögeln aufgezehrt wird, aber dann gleich wieder von neuem zu wachsen beginnt!Ja, Freund, sage, was ist dir, mir und einem Gotte mit solchem Glauben wohl geholfen? Ist esdenn nicht besser und des Menschen- und eines Gottesgeistes im Menschen würdiger,nachzudenken und mit der Zeit zu finden, daß der Mond denn doch irgend etwas anderes seinmuß denn ein Brotlaib zum Essen für die Paradiesvögel?[057,11] Mein Grundsatz ist: Alles prüfen und davon das Gute und das einerWahrheit wenigstens am nächsten Kommende behalten auf so lange, bis man darüber nichtein besseres und stärkeres Licht von irgendwoher erhalten hat. Ist doch in einer stockfinsternNacht ein leuchtend Würmchen besser denn gar kein Licht; und also ist das Lichtfünklein derSeele – Verstand genannt – ja doch auch besser denn ein aller noch so fernenWahrscheinlichkeit barer stockfinsterster Aberglaube![057,12] Ich setze aber den Fall, daß ich eine mir vorerzählte vollste Wahrheitglauben soll, ohne mich aber doch nur im geringsten überzeugen zu können, daß das wirklicheine Wahrheit sei, weil dazu der Verstand und dazu gehörige Erfahrungen mangeln. Was istauch solch ein Glaube anderes als ein blindester Aberglaube? Denn was kann mir diegeglaubte Wahrheit nützen, wenn ich sie nicht verstehe, ja mich gar nicht überzeugen kann,daß sie eine Wahrheit ist? Zu was wäre das Gold wohl gut, wenn es der Menschenverstandnicht unterscheiden könnte von einem andern, gemeinen und wertlosen Metalle? Wenn derMensch sonach etwas glaubt, so muß er es doch mit einigem Verstande glauben, sonst müssenbei ihm ja Lüge und Wahrheit völlig eins sein![057,13] Wenn du mir sagst: ,Weit hinter jenen blauen Bergen ist eine Stadt, die auslauter allerkostbarsten Edelsteinen erbaut ist, und die darin wohnenden Menschen sind lauterRiesen!‘, so werde ich, wenn ich blind und dumm genug bin, dir das aufs Wort glauben undwerde mich darin sogar begründen; so aber dann ein anderer kommt und zu mir sagt: ‚Du,hinter jenen blauen Bergen gibt es gar keine Stadt, und noch weniger irgend riesenhaft großeMenschen!‘, was werde ich als ein verstandesloser, dummer Finsterling tun? Ich werde beidem ersten bleiben, obwohl es eine schreiendste Lüge ist, und werde mit frechem Hohne dieWahrheit des zweiten von mir weisen! Kann aber das einem höchst weisen Gotte einerleisein?[057,14] Wenn der Nazaräer ein Gott ist voll der höchsten Weisheit, was ich nunnicht mehr bezweifle, weil ich das mit meinem Verstande erkenne, so wäre es ja nachgeradedumm von ihm, so er die Menschen lehrete, zu erkennen die Lüge und ihr Falsches und dafüranzunehmen das Licht der Wahrheit und deren Gutes ohne irgendeine Verstandesschärfe![057,15] Du siehst, daß du hierin gegen mich nicht aufkommst, auch mit tausendgewirkten Wundern nicht; daher wolle mir in der Folge nicht mehr witzeln über meinenVerstand, sondern laß ihn als das gelten, was er ist, und zeige mir darum nur, wo sich etwanun der göttliche Nazaräer befindet, auf daß ich vor ihm geziemend meine Knie beuge undihn auch anbete!“

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58. Kapitel[058,01] Sagt Raphael: „Aber Freund, du hältst dich gewisserart über etwas auf, dasnur du mir unterschiebst; wie kannst du von mir denken, daß ich ein Gegner des richtigenVerstandes der Menschen sei?! So ich dir sage, daß du mit deiner Verstandesschärfe nun hierden Nazaräer ausfindig machen sollst, so wollte ich dir damit nur andeuten, daß da auch einnoch so heller Verstand bei weitem nicht ausreicht, sondern vor allem muß da das Gemüt,also die Liebe, das Such- und Erkennungsgeschäft Dessen übernehmen, der Selbst die höchsteund reinste Liebe ist! Der Verstand darf da freilich nicht fehlen; aber voraus muß die Liebesein! Ohne die richtet da der pure Verstand für sich nichts aus![058,02] An der Person des Nazaräers ist lange nicht alles gelegen, wie an dem nicht,daß du Ihn in deinem Magierenthusiasmus zu einem Gotte machst, sondern alles liegt da andem, was dein Herz dazu sagt![058,03] Hättest du den rechten Grad Wärme dazu und dafür, so hättest du denNazaräer schon erkannt und hättest nicht nötig, mich zu fragen nach Ihm; denn die Liebefindet die Liebe bald und leicht. Aber es war bei dir bis jetzt noch immer der kalte,wennschon ganz nüchterne Verstand vorherrschend, und so mußt du noch immer nach Demfragen, der dir so nahe ist! Meinst du, daß ich damit dem blinden Aberglauben, den ihr Essäernun gerade am meisten kultivieret, ein Wort reden will? Oh, wie grob irrest du dich da an mir![058,04] Wenn ich sage, daß da der pure Weltverstand nicht hinreichet, so ist jadamit so viel gesagt, als daß zu dem Weltverstande, selbst in seiner reinsten Sphäre, noch eineviel höherstehende, rein geistige Erkenntnis hinzutreten muß, um das Allerhöchste erkennenzu können. Wenn ich dir aber doch mit Händen zu greifen das andeuten wollte, wie kannst duals ein Helldenker mir den Vorwurf machen, daß ich ein Gegner des Verstandes sei und füreine höhere Erkenntnis nur die wahren Esel und Ochsen als befähigt ansehe?! Merkst dunicht, wie weit fehl wieder dein purer Weltverstand vom Ziele geschossen hat?![058,05] Siehe, in allen wichtigen bürgerlichen Lebensverhältnissen haben dieMenschen mitunter recht weise Gesetze erfunden und sie auch sanktioniert; darunter gibt esaber auch welche, die ein sehr grausames Gesicht haben, wie zum Beispiel die meistenStrafgesetze.[058,06] Irgendein Individuum hat sich an einem Gesetze, zum größten Teile ausUnkenntnis solch eines Gesetzes, vergangen. Der Arm des Gerichtes ergreift ihn und führt ihnvor den strengen Stuhl des alle Gesetze wohl kennenden Richters. Wenn dieser dann nachdem puren Weltverstande urteilt, so wird er ohne alle Gnade den Inquisiten nach demCODEX POENITENTIARUM zum Tode verurteilen.[058,07] Hat der Richter aber nebst seinem geweckten Welt- und Gesetzverstandeauch ein liebewarm fühlendes Herz, so wird dieses dem kalten Weltverstande folgendeEinsprache machen und sagen: Das Gesetz, vielleicht mehr aus tyrannisch herrscherischerLeidenschaft gar so rücksichtslos gestellt, kann hier doch nicht eine völlige Anwendungfinden!? Denn eine erweisbare völlige Unkenntnis irgendeines bestehenden Gesetzes mußhier berücksichtigt werden![058,08] Denn wenn ein Mensch auf dem Dache steht und einen andern Menschenunten am Boden liegend ersieht, mit bösem Willen auf ihn herabspringt, um ihn zu töten oderihm mindestens einen großen Leibesschaden zu bewirken, so ist ein solcher Mensch mit allerSchärfe zu bestrafen für seinen argen Mutwillen. So aber ein Mensch bloß nur ausUnvorsichtigkeit vom Dache fällt, aber dabei auch einen unten am Boden liegenden oderzufällig vorübergehenden Menschen tödlich verletzt, so ist er an solcher Kalamität ja dochvöllig unschuldig, und eines Richters Sache ist es da, wohl zu unterscheiden, welcheUmstände da der Hebel waren, durch die ein Mensch zu einem Übeltäter gemacht ward![058,09] Wenn ein Fremdling, unserer Schrift, Sprache und unserer Gesetze völligunkundig, sich gleich beim Eintritt in unsere Länder bald und leicht an einem unserer Gesetzevergeht, so haben wir ihn wohl anzuhalten und ihn mit unseren Gesetzen durch einenDolmetsch bekannt zu machen. Erst wenn er sich dann abermals an den ihmbekanntgemachten Gesetzen vergeht, so kann er dann auch schon füglich dafür bestraftwerden. Es ist da unfein zu sagen, Unkenntnis eines Gesetzes, das einmal in einem Lande als

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sanktioniert besteht, entschuldige niemanden; denn wie soll jemand ein Gesetz beachten, vondem er erwiesenermaßen noch nie etwas vernommen hat?![058,10] Siehe und urteile nun selbst: Welcher der beiden Richter hat da nach Rechtund Wahrheit geurteilt, – der erste, der bloß den Gesetzesbuchstaben mit seinem kaltenVerstande zur Richtschnur nahm, oder der zweite, der im Herzen als Mensch ein gerechtesErbarmen mit dem Sünder trug und dadurch des Gesetzes Mängel und Dummheit ansTageslicht förderte?“[058,11] Sagt Roklus: „Offenbar der zweite!“[058,12] Sagt Raphael: „Gut! Was aber erhöhte des zweiten Richters Einsicht undVerstandesschärfe?“[058,13] Sagt Roklus: „Offenbar die Liebe in seinem Herzen, die ihn zur Erbarmungmit dem Sünder weckte! Er wollte den Sünder nicht verdammen, darum er denn auch allesschärfer zu prüfen begann und dadurch auf eine Menge Umstände kam, die dem Sünderzugute kamen.“[058,14] Sagt Raphael: „Gut und richtig gesprochen! Was folgt aber daraus nun fürjeden Menschen anderes, als daß ein durch allerlei Wissenschaften und Erfahrungen schonsehr geweckter Verstand in allen Dingen, Verhältnissen und Richtungen erst dann den rechtenScharfblick erhält, wenn er von der Liebe im Herzen erwärmt und von der stets hellerauflodernden Liebesflamme auch stets heller erleuchtet wird. Machte ich da denn einenVerstandeswidersacher, so ich dich nur durch gewisse Winke darauf aufmerksam machte, wiedeinem scharfen Verstande noch die eigentliche Schärfe sehr bedeutend abgeht und du sie mitder wahren Liebe zu Dem erhöhen sollest, den du nun erst suchst und früher nicht gesuchthast gar so sehr, als wie du jetzt vorgegeben hast?!“

59. Kapitel[059,01] (Raphael:) „Es ist wohl wahr, daß du von dem berühmten Nazaräer somanches vernommen hast, was dir unglaublich schien, und du gerne mit Ihm eineZusammenkunft, wenn es ohne viele Mühe sein könnte, gehabt hättest; aber gerade gesuchthast du das nicht und dachtest dir: ,Wir haben ohnehin einige Brüder gegen ihn abgesandt,und diese werden uns schon berichten, was er lehrt und tut!‘ Aber die etlichen sind dann voneuch völlig geschieden und sind Seine Jünger geworden und haben euch gar keine Nachrichtüber Ihn hinterbracht, und es machte euch das hie und da bangen, und erst dadurch seid ihrdann von Tag zu Tag neugieriger geworden, den Nazaräer persönlich kennen zu lernen.[059,02] Allein, Freund, solche pure Neugier ist noch lange keine Liebe! Denngestehe es nur selber, ob nun deine Liebe zum Nazaräer nicht so ungefähr der gleicht, wie einbesiegter Kämpfer sich seinem Sieger aus purer, in sich erkannter Schwäche allerfreundlichstergibt, damit dieser ja keine weiteren Kraftbeweise an ihm in Vollzug setzen soll! Du hasteigentlich vor dem Nazaräer geheim eine ganz besondere Furcht und tust nur also, als wenndu gar so sehnlichst mit Ihm zusammenkommen möchtest; aber ich sehe in deinem Gemüteeinen ganz andern Wind ziehen. Und weißt du, wie der Wind, in Worte gekleidet, spricht?Höre, ich werde ihn dir verdolmetschen![059,03] Der Wind lautet also: ,O du ganz verzweifelter Nazaräer! Gerade jetzt hat erauftauchen müssen! Unseres feinen Institutes Sache war nun schon im besten Gange! Jetztmuß der Plunder gerade den Nazaräer dahergebracht haben, der – wer kann's wie er?! – nunWunder verrichtet, gegen die alle unsere Werke rein Asche sind und durch ihn noch amehesten verdächtigt und wertlos werden können. Der ist uns erst als eine wahre Laus in unserPelzwerk gekommen, die nicht mehr hinauszubringen sein wird. Nun aber heißt es zumbösesten Spiele auch sogleich eine allerbeste Miene machen. Es werde alles darangesetzt, daßer uns ja nicht feind werde. Denn wird er uns feind, so ist's auf einmal aus mit unseremganzen Institute. Was nachher! Wohin, und was anfangen? Zu besiegen ist der nimmer; somitheißt es hier klug zu Werke gehen und ja sogar von weitester Ferne nichts Unfreundlichesgegen ihn merken lassen, sondern ihn stets mit der größten Aufmerksamkeit behandeln undsich ihm so liebreich und dienstfertig wie nur immer möglich erweisen, so wird er als ein seinsollend guter Mensch gegen uns sicher nie ein Schwert erheben und wird uns zum wenigsten

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ungeschoren lassen!‘[059,04] Siehe, Freund, das und noch so manches enthält euer innerer Lebenswind,gegen den du mir wohl kaum etwas anderes einwenden kannst, als nur alles von mir nunGesagte für eine Lüge zu erklären, was aber auch nicht gehen wird, weil ich dir da sogleichmit von deiner Hand geschriebenen Dokumenten entgegentreten würde, deren sehrschlüpfriger Inhalt hier wahrlich sehr viel Aufsehen machen würde. Und das wäre eben dasStückchen, das dir deine schon ziemlich grauen Haare gen Berg treiben könnte! Hatte ich nunrecht, so ich zu dir sagte, daß du also nur versuchen sollest, mit solch deinem scharfenVerstande den berühmten Nazaräer zu suchen? Was sagst du nun zu allem dem?“[059,05] Sagt Roklus ganz betroffen: „Ja, lieber Freund, wenn du auch meineinnersten Gefühle lesen kannst, dann hat mit dir jede weitere Besprechung aufgehört, und ichmuß nun allen Ernstes vor dir, Junge, niederknien und dich für alles um Vergebung bitten,was ich nur immer dir entgegengesprochen habe!“[059,06] Sagt Raphael: „Siehe, auch das mußte aus dir, und du bist jetzt erst fähig,dem Nazaräer vorgestellt zu werden, und so folge mir nun!“[059,07] Sagt Roklus mit sehr stark verlegen klingenden Worten: „Ja, Freund, es istdas alles sehr schön und sehr erhaben! Ja, ja, darin liegt eine – wie sage ich nur gleich? – ja,ja, es liegt darin eine große Würde und eine gar unmenschlich große Ehre, dem mächtigstenund erhabensten Menschen der ganzen Erde vorgestellt zu werden! Ja ja, das ist es! Aberwenn so ein vollends göttlicher Mensch zu allen seinen unergründlichen Wundertatkräftenauch die sonderbare Fähigkeit besitzt, unsereinen durch und durch zu schauen und einemMenschen, wie ich einer bin, gleich seinen ganzen Lebenslauf vor aller Welt herzuerzählen, –weißt du, da ist dann die nähere Bekanntschaft mit solch einem Gottmenschen durchausnichts Angenehmes mehr! Und ich möchte nun schon lieber von hier laufen, als mich nochlänger allhier aufhalten! Zudem ist es schon so hübsch nahe gegen den Abend gekommen,und wir alle haben noch für heute so manche Geschäfte daheim zu verrichten, – und du wirstuns daher schon für entschuldigt halten, wenn ich nun deinen mir sonst sehr werten Antragablehne, das heißt, so es eben nicht gerade sein muß, daß wir mit dem Berühmtesten allerBerühmtesten bekannt werden. Natürlich, so du aber das als etwas Gutes und Notwendiges füruns ersiehst und verlangst, so versteht es sich von selbst, daß wir uns gegen dich als unserngeistig größten Wohltäter sicher nicht widersetzlich erweisen werden; aber aufrichtig gesagt,es ist mir nun wirklich nicht sehr angenehm, einer gar so ungeheuren menschlichen MachtundWeisheitsgröße gerade ganz knapp unters Gesicht gestellt zu werden, weil man sichdaneben gar zu sehr als ein purstes Nichts zu fühlen anfängt! Man wird zu einemtausendfachen Nichts, während der Gegenpart mit seinem unerforschbaren Alles-in-Allemsich in solcher seiner Allheit nur stets mehr und mehr potenziert. So ein Nichtigkeitsgefühlschmerzt und tut dem Herzen wehe; daher habe ich denn nun auch keine so ganzabsonderliche Freude mehr, dem berühmten Nazaräer vors Gesicht gestellt zu werden.“[059,08] Sagt Raphael: „So ihr Den nicht kennen lernet, so verwirket ihr eurer Seelenewiges Leben! Zudem hast du ehedem doch selbst ganz gut bemerket, daß du, um alles zuhaben, nur den Nazaräer allein zu haben brauchst! Nun ist dazu noch die Gelegenheit, abernur noch bis gen Morgen vorhanden; am frühesten Morgen ist unabänderlich Seine Abreisevon hier festgesetzt. Wohin weiß außer Ihm gar niemand! Daher habt ihr ja nichts zuversäumen, so ihr leben wollt für ewig!“[059,09] Sagt Roklus: „Nun, so führe uns denn hin zu ihm! Umbringen wird er unsbei solchen Umständen ja etwa doch nicht?!“[059,10] Sagt Raphael: „Das wahre Leben euch geben, ja das wird Er, – aber vondiesem eurem nunmaligen Scheinleben euch kein Härchen krümmen! Darum folge mir, wieich dir schon früher den Antrag gemacht habe!“

60. Kapitel[060,01] Nun erst entschloß sich Roklus, dem Raphael zu Mir hin zu folgen undmutig die etlichen dreißig Schritte zurückzulegen. Da Ich aber noch beim Cyrenius so wiefrüher am Tische saß und Mich mit ihm über so manche Regierungsmaßnahmen besprach und

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Raphael den Roklus in der Richtung zum Cyrenius hin führte, so sagte dieser (Roklus) nachzurückgelegten etwa zwanzig Schritten: „Ja, nun führst du mich ja eben wieder zumOberstatthalter hin, mit dem ich schon früher alles abgemacht habe?! Der mir nun zuwohlbekannte Cyrenius wird etwa doch nicht der gesuchte Nazaräer sein?“[060,02] Sagt Raphael: „Das sicher nicht; aber der fest neben ihm zur Rechtensitzende, ganz schlicht aussehende Mann ist es! Du kennst Ihn nun und kannst nun schonselbst dich zu Ihm hinbegeben!“[060,03] Sagt Roklus: „Wäre leicht, – nur etliche zehn Schritte mehr, und ich steheknapp bei ihm! Aber was soll ich dann sagen, wie soll ich ihn anreden?“[060,04] Sagt Raphael: „Aber mit deinem Verstande, mit deinen Kenntnissen undErfahrungen da noch sich in einem Wirrsale befinden?! Das wird am Ende mir selbst einwenig unklar! Gehe hin und sage: ,Herr und Meister, hier vor Dir steht ein Hungriger undDurstiger, sättige seine Seele!‘, so wirst du darauf schon gleich eine geziemende Antworterhalten!“[060,05] Roklus tat das mit vielem inneren Bangen, und Ich wandte Mich mit einemernst- freundlichen Blicke zu ihm und sagte: „Freund, von Tyrus und Sidon bis nach CäsareaPhilippi und von da bis hierher ist offenbar näher als von hier bis nach Hinterindien, wo diemorgenländischsten Sihiniten über Indias höchste Gebirge weit hinaus eine mächtige Mauergezogen haben! Du suchtest dort die Wahrheit – und wieder nicht die Wahrheit; denn hättestdu die Wahrheit auch gefunden, so hättest du die Wahrheit dennoch nicht erkannt! Hättest dusie aber erkannt, so wäre sie dir gar nicht angenehm gewesen; denn ist die Wahrheit nichtvöllig geeint mit Liebe, so gleicht sie dem Sonnenlichte im Norden. Es erleuchtet auch dieErde; aber da das Licht ohne Wärme ist, so belebt es nicht den Boden und alles ist wie imTode erstarrt![060,06] Ein Richter sucht nach dem Gesetze auch die volle Wahrheit. Es wird derVerbrecher mit allen Mitteln zum Geständnisse der vollen Wahrheit genötigt, und es werdenZeugen unter den strengsten Eid genommen. Es stellt sich am Ende die volle Wahrheit heraus;aber zu wessen Frommen und Nutzen? Es ist das auch eine Wahrheit ohne Liebe, also einLicht ohne Wärme, und gehet aus aufs Töten! Und siehe, eine solche Wahrheit hast denn auchdu gesucht und sie großenteils auch gefunden, – freilich nicht zu deiner inneren Belebung,sondern zur Tötung deines Geistes, welcher da ist die Liebe in eines jeden Menschen Herzen.[060,07] Weil aber dein Geist durch die Masse der starren und materiellen Wahrheitwie zu Tode erdrückt war, so mußtest du ja notwendig jede Spur vom Dasein eines Gottesverlieren, da Gott auch nur pur Liebe ist in Seinem Urgrunde und nur durch die Liebe wiederbegriffen werden kann![060,08] Du wußtest zwar so dunkel ahnend wohl, daß die Liebe das Grundelementaller Wesen und Dinge ist; aber was die Liebe in sich ist, das wußtest du nicht und konntestdas auch nicht wissen, weil davon dein Gefühl und deine Sinne der Seele nie angeregt wordensind.[060,09] Dein Wissen von dem Wesen der Liebe glich dem, das du von dem Wesender Sterne hast. Sie leuchten, aber ihr Licht erzeugt keine Wärme, und du kannst esunmöglich durch irgend etwas nur deinem Verstande Bekanntes erfahren, ob ihr Licht etwaauch von einem Feuer herrühre.[060,10] Bei der Sonne aber fühlst du die Wärme und urteilst, daß dieselbe ein Feuersein müsse, und das ein unberechenbar mächtiges, weil es von einer dir nicht ganzunbekannten, überaus großen Ferne die Erde noch so sehr bedeutend zu erwärmen vermag.[060,11] Vom Monde behauptest du das blanke Gegenteil, weil du von diesemGestirne noch nie irgendeine Wärme empfunden hast. Von den anderen Sternen behauptest duschon gar nichts, da du von ihrem Einflusse noch nie etwas anderes als nur ihr spärlichesLicht empfunden hast.[060,12] Weil du aber von den dir klein scheinenden Sternen gar so wenig für deinWahrnehmungsvermögen bekommen hast, so bist du auch nie aus einer Region deines Lebensgewisserart aufgefordert worden, darüber nachzudenken, was etwa doch die Sterne sind, undob ihr Leuchten ein Feuer ist oder nicht, oder ob sie Körper oder nur bloß so irgend wärmeund

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gewichtlose Lichtpunkte sind.[060,13] Um von einer Sache aber zu irgendeiner Vorstellung zu kommen, muß manja doch über dieselbe notwendig einmal nachzudenken anfangen. Um aber über eine Sachemit einem gewissen Eifer nachdenken zu können, muß sie als dessen wert erachtet werden;der Wert aber hängt stets von der Liebe ab, die man zu einer Sache gefaßt hat.“

61. Kapitel[061,01] (Der Herr:) „Die Liebe aber ist abermal eine Folge der Erregung des innerenLebens, auf das eine Sache eingewirkt hat.[061,02] Das innere Leben ist Liebe, also ein Feuer mit aller Wärme. Wird diesesFeuer von der Einwirkung einer Sache, die selbst Feuer in sich hat, genährt gleichwie dasFeuer auf dem Herde durch die Hinzulage von gutem Brennholze, so wird es lebhafter zubrennen anfangen, und es wird stets lebenswärmer und reger für die selbst brennbare Sache.Die Flammen werden dichter, ihr Licht heller, und die Seele wird bald viel Licht über einefrüher ihr ganz unbekannte Sache erhalten. Dadurch aber wird die Liebe zu der Sache stetsgrößer und größer, und man wird von der Sache nicht mehr ablassen, bis sie einem durch unddurch bekannt wird und man vollends im klaren sein wird, was man an ihr hat, und was allesin ihr enthalten ist. Das geschieht aber nur, wenn die Liebe zu der Sache stets größer undintensiver wird.[061,03] Wenn aber das Leben von einer Sache gar nicht angeregt wird, so bleibt eskalt und kümmert sich um die ganze an und in sich noch so denkwürdige Sache nicht imgeringsten, gleichwie da auch die Flamme nach jenen Holzscheiten nicht leckt, die ihr zuferne liegen.[061,04] Der Mensch muß sonach von etwas angeregt werden, um über dasselbe inlebenswarme Gedanken zu geraten. Durch die kalte Wahrheit, die ein Leuchten der fernenSterne ist, kann das innere Leben nie erregt werden, weil seine innere Wärme dabei keineErhöhung, sondern nur eine Erniederung findet.[061,05] Du aber hast bis jetzt alles mit dem eiskalten Verstande gesucht, und derHebel zu deinem Suchen war deine ebenso kalte Vernunft, die nichts als wahr annahm, wassich nicht irgend mit einem Sinne wahrnehmen ließ.[061,06] So suchtest du Gott mit der Rechentafel in der Hand, mühtest dich das A zufinden, fandest aber nicht einmal die Grundlinien zu diesem vielsagenden Buchstaben. Dusuchtest auf Nordens Schnee- und Eisflächen Pflanzen, fandst aber nichts, obschon desSchnees Leuchten dich beinahe blind machte.[061,07] Ich meine hier unter den Schnee- und Eisflächen den kalt urteilendenVerstand und die noch kälter rechnende Vernunft, die keiner inneren geistigen Anschauungfähig sein kann, weil sie als grobmateriell unmöglich sich hat können erregen lassen vonetwas rein Geistigem.[061,08] Es fiel dir manches auf, wie zum Beispiel die Wiederkehr der stets gleichenFormen in der dir schöpferisch vorkommenden Natur. Du dachtest an eine permanenteKonsolidierung einer ihrer selbst bewußten und potenziert intelligenten Lebenskraft, die, alsalles durchdringen und ergreifen könnend, aus den Rohkräften dann die stets gleichen Formenwieder hervorzaubert. Die ganze Erde, Mond, Sonne und auch die Sterne betrachtetest du alseinen Tempel, worin am Ende nun schon lauter unsichtbare Magier hausen. Indien gab dirdazu noch so manche scheinbare Bestätigung, und du wardst dann aus dem Grunde einHaupteinrichter eurer Zauberkammer zu Essäa.[061,09] Aber da du das alles mit dem kalten Verstande tatest und dein Gemüt dabeinie erwachen ließest, so fandst du auch den Grund des Lebens nicht, so nahe du demselbenmit deiner Vernunft auch gekommen bist, und versenktest dich wieder in die kalte und toteMaterie, suchtest in derselben dein Heil und wolltest darin auch das Heil aller andernMenschen begründet erschauen.[061,10] Deine Sache ging schon jetzt eine geraume Zeit mit entschiedenen Erfolgenvorwärts; denn du warst und bist noch ein Haupt dieses Instituts, das ganz geeignet ist, dielaie Menschheit in den finstersten Aberglauben und die bessere und denkende aber in den

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größten und allerdicksten Materialismus zu versenken. Du zerstörtest wohl schon garmanchen lebendigen Götzentempel, aber stelltest nichts Besseres an dessen Stelle. In dir warder Tod, und du fandst an ihm sogar einen willkommenen Gast; denn das Nichtsein ging beidir über alle Lebensgrößen himmelhoch hinaus.[061,11] Warum aber ist mit dir all das also geworden? Weil du nie in deinemHerzen irgendeine Liebe hast erkeimen lassen! Du hattest das innere Lebensfeuer in dir nichtbis auch nur zu einer mäßigen Flamme angefacht! So du aber sogar die Außenflächen deinesHerzens noch nie in eine größere Tätigkeit versetzt hast, wie hättest du dann erst die innerenund sogar allerinnersten Lebenselemente des geistigen Herzensteiles in irgendeine Erregungversetzen können, aus der heraus bald das ganze Herz in der Flamme des wahren Lebensschneller gepocht und dein Bewußtsein erleuchtet hätte zur klaren Erkenntnis deiner selbstund zur daraus hervorgehenden Erkenntnis Gottes?!“

62. Kapitel[062,01] (Der Herr:) „Du wirst daraus nun wohl entnehmen können, daß der Menschmit seiner puren Vernunft und mit seinem noch so klaren und scharfen Verstande von all dem,was geistig ist, nichts fassen kann. Er kann nicht begreifen das Leben und dessen Grund-Endzweck; denn die Vernunft und der Verstand haben ihren Grundsitz im Gehirne und imBlute, das das Gehirn in einer gewissen tätigen Spannung erhält, wodurch dieses die Fähigkeitbeibehält, die Eindrücke und Bilder der materiellen Außenwelt aufzunehmen, sie zuvergleichen in ihren Formen und Wirkungen und sich endlich daraus einen Kreis von allerleiSchlüssen zu bilden.[062,02] Aber alles das sind Dinge und Abbilder der Materie, in der des KopfesSinne nimmer etwas Geistiges zu entdecken imstande sind. Weil aber das Leben doch nuretwas Geistiges sein kann, so kann es auch nur in und durch sich selbst begriffen werden.[062,03] Es müssen im Menschen sonach noch andere Sinne vorhanden sein, durchdie er auch das geistige Lebenselement in sich erfühlen und erschauen und also nach und nachauch begreifen kann in allen seinen Tiefen, Verbindungen und Beziehungen.[062,04] Welches sind aber solche inneren Sinne? – Siehe und höre! Da gibt eseigentlich nur einen einzigen Sinn, und der heißet Liebe, die da wohnt im Herzen. Dieser Sinnmuß vor allem gestärkt, gebildet und geläutert werden, und alles, was der Mensch tut, was erwill, was er denkt, und was er urteilt, muß von der lebensheißen Lichtflamme aus dem Feuerder reinen Liebe erleuchtet und durchleuchtet sein, damit da alle Geister erwachen amMorgen des im Menschenherzen werdenden Lebenstages.[062,05] Werden alle Lebensgeister in den Gedanken, Worten, Taten und Werkenwach, so werden sie sich zu regen anfangen, und der des innern geistigen Lichtes volleMensch wird bald und leicht ihrer gewahr, weil sie schon in dem ersten Beginne ihrerRegungen sich unter allerlei Formen zu äußern beginnen. Diese Formen aber sind keinezufälligen und leeren, sondern alle entsprechen irgendeiner sehbaren geistigen Tätigkeit ausder Sphäre der Ordnung aus Gott.[062,06] Solches aber kann der Mensch mit seinem Verstande und mit seiner eitlenVernunft nimmer erschauen, sondern nur mit den lebensflammenden Augen seines Geistes,der die Liebe ist.[062,07] Darum kannst du das als eine feste Norm annehmen und der nach sagen:Kein äußerer Weltverstand kann es je ergründen und erschauen, was im Menschen ist; daskann allein nur der Geist im Menschen. Und also kann auch niemand Gott erkennen als nurder erweckte und vollauf tätig gewordene Geist Gottes im Menschenherzen, der gleich wieGott Selbst die reinste Liebe ist und ein ewiger Sabbat im Menschenherzen.[062,08] Siehe, diesen alleredelsten Teil in deinem Herzen hast du noch nie gepflegtund hattest auch keine Ahnung von seinem Werte, und es ist darum sehr begreiflich, wie duein festester Gottesleugner geworden bist und alles deines Suchens ungeachtet der ewigen,alles erschaffen habenden, alles durchdringenden und erhaltenden Gottheit nimmer auf dieSpur kommen konntest![062,09] Nun aber wird es auch nicht gar so leicht sein, daß du die Gottheit in ihrem

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wahren Sein und Walten so ganz aus dem Fundamente erkennen werdest, weil dein Gehirnmit all seinen Gebilden schon zu verhärtet ist. Du müßtest nur ein gar gewaltiges Liebefeuerin deinem Herzen anfachen, dein Essäertum ganz aufgeben und dich demütigen in allendeinen Lebenssphären und – verbindungen und müßtest total ein ganz neuer Mensch werden;denn alle deine bisherigen Lebenstheorien und Lebensanschauungen sind der inneren undeinzigen Wahrheit nach grundirrig und falsch, so daß du mit denen niemals auch nur in denVorhof des innersten Gottlebens in dir gelangen wirst![062,10] Aber es ist an dir noch nicht alles verloren, ja du könntest sogar nochGroßes erreichen; aber du müßtest da aus deinem freiesten Willen heraus als selbsttätig undganz selbst wollend ein neuer Mensch werden und aus deiner innern Überzeugung nachdeinen Kräften dazu beitragen, daß eures Institutes loses Treiben ein Ende nehme, ansonst esdir unmöglich würde, je zum wahren Leben deines innern Geistmenschen zu gelangen. Denndas innerste Leben im Menschen ist die höchste Wahrheit, in die du ganz überzugehen hast;diese aber kann nicht, nie und nimmer gedeihen, wenn sie durch die Tätigkeit der Lüge unddes dicksten Betruges genährt werden soll.[062,11] Jeder Schritt und Tritt von dir muß von der höchsten und tiefsten Wahrheitim Denken, Wollen, Reden und Handeln begleitet sein, wenn das wahre, innerste Leben in dirselbst zur lichtesten Wahrheit werden soll; ist aber das nicht der Fall vom Alpha bis zumOmega, so, merke es wohl, ist das innerste Leben in dir selbst eine barste Lüge![062,12] Nun weißt du so ungefähr, wie es mit deiner reinen Vernunft und mitdeinem scharfen Verstande steht! An dir liegt nun die freie Wahl, ob du erreichen willst dasewige Leben oder den ewigen Tod! Ich aber bin Der, der Ich bin! Ich kann dir geben dasewige Leben, aber dir auch belassen den ewigen Tod![062,13] Von dem aber, was Ich dir nun gesagt habe, wird nicht ein Häkchen jenachgelassen werden! Diese Erde und dieser sichtbare Himmel werden vergehen in dieserGestalt, Form und Wesenheit, – diese Meine Worte jedoch ewig nimmer! Tue nun, was duwillst! Ich bin noch da eine kurze Zeit!“

63. Kapitel[063,01] Roklus und alle seine elf Gefährten fangen sich ganz gewaltig hinter denOhren zu kratzen an und wissen nicht, was sie Mir nun erwidern sollen.[063,02] Roklus geht hin und bespricht sich mit ihnen folgendermaßen, sagend: „Dashabe ich mir also schon zum voraus gedacht, als mich der Junge zum Nazaräer hinbeschied,daß er sich da vor allem auf die Zunichtemachung unseres Völkerwohlinstitutes hinwerfenwird; dieses scheint den wundertätigen Nazaräer vor allem am meisten zu genieren! Aber garzu leicht wird er uns immerhin nicht in das Bockshorn treiben mit allen seinen theosophischenPhrasen![063,03] Es scheint wohl recht viel Wahres in seinen Worten zu liegen; aber unserwohleingerichtetes Institut wird er dennoch nicht leicht zu Falle bringen! Doch will ich euchaber mit dem nichts vorschreiben; ihr könnet tun, was ihr wollet, – denn ihr seid Herren derSache so gut wie ich!“[063,04] Sagt ein anderer, der auch mittlerweile aus Cäsarea Philippiherübergekommen war: „Freund Roklus, ich habe vom Anfange bis nun die ganzeVerhandlung mit dem aufmerksamsten Gemüte angehört und alles genau beobachtet, was daalles vor sich gegangen ist, und muß dir nun offen gestehen, daß du mit deinen Behauptungensehr unrecht hast, und es ist zum Rasendwerden mit dir deiner geistigen Blindheit wegen! Duredest offen also, und heimlich denkst du aber ganz anders! Dem Jüngling gegenübervergötterst du den berühmten Nazaräer, und bei dir selbst hältst du ihn für einen Magier derältesten und geheimsten Schule Ägyptens! Wir wissen nun doch, auf welchen Füßen alleMagie und die Aussprüche beinahe aller uns bekannten Orakel stehen![063,05] Denke wohl nach, ob du um eine Zauberart weißt, mittels der man in einemAugenblick einen Granitstein ins reinste Gold umgestalten kann! Dieses Wunder allein hebt jaalle die unseren auf, die auf nichts anderem als auf einem allerpursten Betrug basiert sind!Betrachte danebst dieses neue Prachthaus, den Garten mit seiner weiten Ringmauer, den

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Hafen mit seinen Schiffen, sieh an die Menge der herrlichsten Fruchtbäume im Garten, dieRebengewinde voll der köstlichsten Trauben! Vor vier Stunden war dieser Fleck noch eineWüste und ist als solche um dieselbe Zeit von mir betreten worden, weil ich am See etwas zutun hatte. Betrachte du nun diese Wüste! Welch eine Üppigkeit, welch ein Segen![063,06] Kann das ein Mensch durch irgendeine Art der uns doch durch und durchbekannten Magie bewerkstelligen? Ich sage dir: da hört alles uns bisher Bekannte auf; unsersämtliches Wissen ist Lüge und Trug, es tauget zu nichts mehr! Wollen wir fürder nebendiesen Gottmenschen bestehen, so müssen wir alleroffenkundigst das tun, was der Nazaräerdir mit aller Freundlichkeit angeraten hat![063,07] Ich gehöre zwar nicht zu eurem geheimen Rate und bin erst vor ein paarStunden zu euch gekommen; aber das kann ich euch aus dem von mir treu Beobachtetensagen, daß wir mit unserem noblen Lug- und Truginstitut allerreinst verlesen sind! Es wärehier die größte Torheit, unter solchen Umständen dem Gott aus Nazareth einen gewissenTrotz zu bieten![063,08] Zudem sehen wir ja doch alle mit den offensten Augen von der Welt, daßalle die römischen Großwürden- und Machtträger seine intimsten Freunde sind! Er braucht janur zu sagen: ,Schaffet mir dieses Institut weg!‘, und wir sind vernagelt für alle Zeiten derZeiten! Was aber nachher mit uns?! Ich bin daher der hier sogar sehr maßgeblichen Meinung,daß wir das annehmen und befolgen sollen, was der Gottmensch aus Nazareth dir in allerFreundlichkeit angeraten hat![063,09] Übrigens ist das eine recht schlechte Vermutung von dir – ich sage es dirganz offen und ohne irgendeine Scheu ins Gesicht –, daß du den mit Händen zu greifendenGottmenschen vor uns ansinnen wolltest, als würde er dich nur darum also zugerichtet haben,weil er unser Institut etwa als eine hindernde Wegschranke für seiner Unternehmung Sacheansähe! Das ist ja doch lächerlich über lächerlich! Dem wird unser lumpiges Institut einHemmschuh auf seinen Wegen sein?![063,10] Ich sage es dir und euch allen: So wenig wir den Mond in seinem Aufgangezu stören imstande sind, wenn wir gegen ihn noch so gewaltig blasen und schreien,ebensowenig wird unser luftiges Institut den Wegen dieses allmächtigen Gottmenschen einHindernis sein! Er braucht ja nicht einmal hinzublasen, sondern bloß nur so ein wenig zuwollen, und alle unsere Dinge, wie Gebäude, Mauern, Katakomben und alle unsereZauberapparate sind zu Luft geworden! Was nachher mit uns? Daher ist jetzt die höchste Zeit,daß ihr euch eines Bessern besinnet![063,11] Gehe daher hin zu ihm und sage – aber treu und wahr –, daß du und wir alledas fest wollen, was er dir angeraten hat! Denn verlieren können wir bei diesem Tauscheunmöglich etwas, so wir dann unser Institut ganz so einrichten, wie es ihm genehm ist.Dadurch wird er dann Herr und Meister unseres Institutes, und wir wollen und werden seineallergetreuesten Jünger sein. – Seid ihr damit nicht einverstanden?“[063,12] Sagen die meisten: „Ganz vollkommen, – wenn nur er uns zu seinenJüngern annehmen möchte!“[063,13] Sagt der gute Redner, der Ruban hieß: „Das wird er, dafür bürgt mir sein garüberaus menschenfreundliches Gesicht! – Was meinst denn du, noch immer etwas rechtDummes ausbrüten wollender Roklus?“

64. Kapitel[064,01] Sagt Roklus: „Ja, ja, du hast recht, auch ich bin der Meinung! Aber wenn ersolches uns etwa nur unter der Bedingung tun würde, daß wir am Ende alle unsere offenbarenLügen dem Volke offenbaren sollen und demselben ersetzen so manchen irdischen Schaden,den wir ihm durch unsern Zauberbetrug verursacht haben?! Wer aus euch Lust und Liebe hat,in diese Nuß zu beißen, der beiße; ich habe vorderhand noch sehr wenig Lust dazu, michdarauf vom Volke ordentlich zerreißen zu lassen! Es ist das eine sehr kitzliche Sache![064,02] Ich will aber vorerst vernehmen, was er von uns in dieser Hinsicht so ganzeigentlich verlangen wird! Und so will ich denn noch einmal zu ihm hingehen und sehen undhören, was er in dieser Hinsicht an uns alles für ein Verlangen stellen wird; denn von einer

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Entblödung vor dem Volke kann als von uns ausgehend gar keine Rede sein!“[064,03] Sagt Ruban: „Solches wird er von uns sicher nicht verlangen; denn er selbstwird es besser wissen denn wir alle! Es leidet nichts einen grellen Sprung; eines muß aus demandern hervorgehen in der ganzen uns bekannten Natur! Daß wir manchmal Sprünge gemachthaben mit unseren Trugmitteln, ist nicht als Folge anzunehmen, daß auch er also handelnwerde mit uns! Gehe daher nur hin und tue ganz offen das, was ich dir nun angeraten habe.“[064,04] Sagt Roklus: „Ja, ich tue es aber nur, weil ich es tun will, nicht weil ihrandern es wollt, und weil du, Ruban, es mir angeraten hast!“[064,05] Sagt Ruban: „Das ist mir gleich, aus welchen Beweggründen du etwas tust,wenn du nur das Rechte tust! Aber weißt du, erster Unterdirektor und Leiter der auswärtigenAngelegenheiten des Institutes, das ist noch immer deine alte, hochmütig klingende Weise zureden und zu handeln, daß du beim besten Rate, den dir ein anderer erteilt hat, sagst: ,Oh, dashabe ich schon lange eingesehen, mit mir beraten und werde es nun darum auch tun, weil ichselbst es also will!‘ Ob für immer der göttliche Nazaräer damit auch zufrieden sein wird, weißich kaum; denn er scheint ein Hauptfeind auch schon bloß nur des Scheines von einemHochmute zu sein! Ich habe mich, verstehst du, offen gesagt, mit meiner Vernunft und mit derbesonderen Schärfe meines Verstandes noch nie gebrüstet; aber das Gute habe ich in meinemGemüte, daß ich mich bei einem Menschen schnell auskenne, wie er in seiner Sinnes- undDenkungsweise beschaffen ist.[064,06] Und so kenne ich mich nun auch mit dem göttlichen Nazaräer insoweitschon ganz prächtig aus, wie er in seinem Wollen und Begehren beschaffen ist. Demut scheinter allem vorzuziehen, ohne die wahrlich weder an eine Liebe und noch weniger an eine volleWahrheit zu denken ist. Wir aber stehen ja auf einem Standpunkte, wo von uns aus ein jederBlick, Tritt, ein jedes Wort und eine jede Handlung unseren Nebenmenschen gegenüber einallerdichtester Betrug und eine allerabgefeimteste Lüge ist und nach unseren Ordensregelnauch sein muß, weil unser Wahlspruch dahin lautet, daß alle Welt darum von uns aus betrogenund belogen werden soll, weil sie selbst es also will.[064,07] Das ist aber nicht auch ein Grundsatz des göttlichen Nazaräers. Bei ihmheißt es sicher nur: ,Die vollkommenste und reinste Wahrheit und ihre Gerechtigkeit um jedenPreis, auch um den des Bestandes der ganzen Welt!‘ Darum nimm dich zusammen; denn dustehest vor einem Richter, dessen Sehkraft auch bis zu deinen innersten Gedanken langt!Daher nimm dich in allem zusammen, sonst ist es um gar sehr vieles gefehlt!“[064,08] Sagt Roklus: „Ja, weil du, mein guter Bruder Ruban, dich denn gar so gutauskennest, so gehe du an meiner Statt zum Nazaräer hin und mache alles nach deinemGutdünken mit ihm ab, und uns allen wird dann auch alles recht sein müssen; denn gegeneinen so gewaltigen Strom läßt sich nicht schwimmen! Gehe und tue du das, und ich werdedir sogar obendrauf noch sehr dankbar sein!“[064,09] Sagt Ruban: „Warum nicht? Wenn ihr alle mich dazu bevollmächtiget, willich euch den Gefallen recht gerne erweisen, – ja um vieles lieber, als noch länger mit einabgeschmackter Volksbetrüger sein!“[064,10] Sagen alle zwölf: „Ja, wir bevollmächtigen dich dazu, und es wird uns ganzvollkommen recht sein, was du mit dem Nazaräer ausmachen wirst; denn unser Roklus istwohl ein ganz vortrefflichster Direktor unserer auswärtigen Lug- und Trugangelegenheitenund ist ein feiner Politiker; aber die lichten Sphären der Wahrheit sind seine Sache niegewesen, er würde sich sehr ungeschickt darin bewegen. Es ist darum besser, daß du an seinerStatt hingehest und mit dem göttlichen Nazaräer alles gut und zweckmäßig abmachest!“

65. Kapitel[065,01] Auf diese erteilte Vollmacht bewegt sich nun Ruban zu Mir hin und sagt,als er vollends bei Mir anlangt: „Herr und Meister voll der wahren Gotteskraft! Da der Roklusaus Dir sicher nicht unbekannten Gründen sich nicht zu Dir hierhergetraut hat, wie auchkeiner von seinen elf Gefährten, so haben sie mich bevollmächtiget, mit Dir, DuAllerwahrhaftigster, alles in bezug unseres stark unlöblichen Institutes abzumachen. Es wirddann alles sicher geschehen, was Du nur immer wollen wirst, und wir möchten sogar Dir das

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ganze Institut zu Deiner Verfügung stellen und sämtlich Deine Jünger werden! Sprich nundenn ein gnädig Wort Deines uns allen sicher heiligen Willens aus, und wir werden strengedanach handeln! Willst Du das Institut aber ganz aufgehoben haben, so äußere Dich auchdarüber; denn wir alle sind auch darin übereingekommen, daß das Institut gänzlichaufgehoben wird, wenn Du es verlangst!“[065,02] Sage Ich: „Du bist eine ehrliche Seele, darum dein Haus auch von denFlammen verschont blieb! Aber siehe, so Ich euer Institut aufgehoben haben wollte, da könnteIch es mit ihm ebenso machen, wie mit jenem bedeutenden Felsen im See, an dem schon somanches Schiff im Sturme zerschellt wurde! Siehst du den Fels noch?“[065,03] Sagt Ruban: „Ja, Herr, ich sehe ihn und kenne ihn leider nur zu gut; dennich wäre an seinen Wänden einmal selbst beinahe verunglückt!“[065,04] Sage Ich: „Er werde zunichte und hinfort keinem Schiffer mehr Gefahrbringend!“[065,05] In dem Augenblick war der Fels, der im ganzen über zehntausendKubikklafter festen Inhalt hatte, bis in den Grund des Sees derart aufgelöst, daß von ihm nichtnur keine Spur übrigblieb, sondern auch an der großen Stelle keine Wassertrübung bemerkbarwar. Wohl aber bemerkten alle mit übergroßem Staunen an der Stelle einen starkenWellenschlag, welcher natürlich daher entstand, weil das früher den großen Felsenumgebende Wasser in den hohlen Raum zusammenstürzte und von nun an einekontinuierliche Wassermasse bildete.[065,06] Als unser Ruban solches ersah, da ward er voll Angst und sagte mitbebender Stimme: „Es ist schon gerade also, wie ich's zu Roklus gesagt habe! Da hört alleMagie auf, und es tritt die nackte Wahrheit an ihre Stelle! Was Du, o Herr und Meister, nunmit dem bösen Felsen gemacht hast, das könntest du wohl etwa auch ebenso leicht mit derganzen Erde tun, und um so sicherer mit unserem schlechten Institute! Daher kann ich nunnichts anderes sagen als: Herr und Meister, Dein Wille geschehe! Denn Du bist kein Mensch,sondern Gottes Geist wohnt in aller Fülle in Dir! Sei uns allen armen Sündern gnädig und sehrbarmherzig! Du allein bist alles in allem, und Du allein vermagst alles, Dir ist nichtsunmöglich!“

66. Kapitel[066,01] (Ruban:) „Aber was sollen wir mit unserem Lug- und Truginstitutmachen?“[066,02] Sage Ich: „Es erfüllen mit Liebe und Wahrheit und glauben an MeinenNamen und befolgen Meine Lehre! Denn werdet ihr vollernstlich das tun, so werdet ihr nichtmehr mit Trug und Lüge, sondern mit aller Wahrheit und echten Liebe der Welt zu nützenimstande sein; aber alle die Werkzeuge der Trugmagie müssen von euch verworfen werden.Ist aber eines und das andere darunter, das, in sich besserer Art – als Elektrophoren(Elektrizitätserzeuger) und andere derartige Maschinen –, sich als naturnützlich erweist, sotreibet damit keinen verkehrten, sondern einen wahren und der Natur der Sache angemessenenGebrauch und belehret das Volk, was es ist, und wie die Maschine irgend wirkt der Naturnach, wie sie gebaut ist, so werdet ihr damit wahrhaft viel Gutes zu bewirken imstande sein![066,03] Nie aber achtet auf das Urteil der Welt; denn die Welt ist und bleibt arg undböse, und Lüge, Trug und Hochmut sind ihre Hauptelemente![066,04] Ich sage es euch, daß ihr in Meinem Namen werdet Berge versetzen könnenund noch Größeres tun, als Ich Selbst nun tue; aber nie soll der Gedanke in euch aufsteigen,als hättet ihr etwas getan aus eurer Kraft und Macht; denn deren gibt es nicht auf dieser Welt!Nur durch die Kraft des Geistes Gottes werden euch alle Dinge, die den Menschen zumNutzen gereichen können, möglich sein![066,05] Alle Kraft wird einem wahrhaft gottergebenen Gemüte eigen sein, und dasso lange, als sich jemand dabei nicht übernehmen wird. Wird aber jemand dafür eine Ehre undeinen Lohn nehmen aus Eigennutz, so wird er aber auch im selben Augenblicke diegottesgeistige Eigenschaft in sich völlig verlieren![066,06] Vor nichts aber fliehet mehr als vor dem Reichtume der Welt und seinen

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Verehrern; denn schlechter ist kein Mensch auf der ganzen Erde als einer, der nach irdischenSchätzen giert und geizt; denn der verflucht in der Tat die Liebe und alle Wahrheit desHerzens, die da kommt aus Gott.[066,07] Wenn solche zu euch kommen, so weiset ihnen die Türe und zeiget esihnen, daß Gottes Wort und dessen Kraft nimmer den ungebärdigen Erdschweinen solle zumeitlen Fraße vorgeworfen werden! Ihr sollet ihnen zwar darum nicht fluchen und sie auchnicht verwünschen, denn aller Zorn und alle Rache ist des Geistes Gottes! – aber sie werdendadurch zur Genüge gestraft werden, so sie von eurer Türe und Freundschaft ernstlichhintangewiesen werden![066,08] Wenn solche zu euch kommen werden in einem sie heimgesucht habendenUnglücke, so erhöret sie nicht; denn eine Hilfe wird nicht besser machen ihr Herz, – imGegenteil: sie werden hernach noch vorsichtiger und klüger handeln für ihre Goldsäcke; euchaber werden sie verlachen und verspotten und eure Hilfe für eine leere Windbeutelei erklärenund werden euch ausschreien als faule Maulmacher und Betrüger! Das aber sei ferne; dennGottes Kraft aus euch soll nur denen allein zugute kommen in Worten wie in Handlungen, diesich in aller Demut ihrer Herzen derer würdig gemacht haben![066,09] Auf daß ihr aber wisset, was alles ihr künftighin in Meinem Namen zukennen und zu tun haben sollet, so gehet hin zu jenem Jünglinge; der wird euch ein Buchgeben, darin ihr alles Nötige finden werdet! – Nun aber soll noch Roklus zu Mir kommen;denn Ich habe mit ihm noch so manches zu besprechen! Gehe hin und hinterbringe ihmsolchen Meinen Willen!“[066,10] Roklus machte zwar ein sehr saures Gesicht, als ihm Ruban den von Mirausgesprochenen Wunsch hinterbrachte. Aber er ging dennoch, kam zu Mir und verbeugtesich tiefst vor Mir.[066,11] Ich aber sah ihn freundlichst an und sagte zu ihm in einem fragenden Tone:„Nun, du Mein scharfverständiger Freund, wie denkst du nun von Mir? Was findet an Mirdein scharfer Verstand, und was fühlt daneben dein Herz? Hast du doch früher dem Jungengestanden, als du Mich noch suchtest, daß Ich ein rechter Gott sei, daß du Mich auch ohnealle persönliche Bekanntschaft liebest und den Lebensdrang in dir stets lebendigerwahrnehmest, vor Mir deine Knie zu beugen und Mich sogar im Ernste als einen wahren Gottanzubeten![066,12] Nun kennst du Mich persönlich und wirst auch keinen Zweifel haben, daßIch der berühmte Nazaräer – wie du dich ausgesprochen hast – der vollsten Wahrheit nachbin. Aber noch hast du deine Knie vor Mir nicht gebeugt – was Ich von dir auch nie verlangthaben würde –, und dein Herz scheint noch sehr wenig Liebe zu Mir zu empfinden. Warumhast du, großer Freund der Wahrheit, denn also geredet zu dem Jungen, das da nicht wahrist?“

67. Kapitel[067,01] Sagt Roklus: „Erhabenster der Erhabensten! Solange ich an keinen Gottglauben konnte, war das eine abgemachte Geschichte, der bisher noch alle verständige Weltgehuldiget hat, und diese Geschichte, die eigentlich für sich gar keine Geschichte ist, durchdie aber die meiste Weltgeschichte gemacht wird, heißt Politik, Staatsklugheit. Diese fordert,daß man einem Menschen, den man nicht genau kennt, nicht sogleich alles auf die Nasebindet, was man innerlich vorhat. Man braucht aber durchaus nichts Böses vorzuhaben mitjemandem, mit dem man sich in irgendeine Verbindung stellt, und es ist da doch stets geraten,mit der reinen Wahrheit im Hintergrunde zu verbleiben, weil es sich nach vielen Erfahrungennur schon zu oft erwiesen hat, daß man mit der nackten Wahrheit bei den Menschen mehrUnheil als irgendein Heil angerichtet hat.[067,02] Man muß den Menschen zuvor stets auf allerlei Seitenwegen erst so ganzdurch und durch kennen lernen – was keine leichte Aufgabe und Arbeit ist –, bevor man ihnin alle Wahrheit leitet; denn sonst kann man ja nicht wissen, wo bei ihm die Seite ist, an der erzugänglich ist für die Wahrheit! Denn kein Mensch ist, besonders in bezug auf sich selbst, einbesonderer Freund der lichtvollen Wahrheit. Ein um ihn herum verbreitetes Dunkel ist ihm

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bei weitem lieber, und darin liegt denn auch der Grund, warum ich beim Jünglinge mit meinerinnern Wahrheit ein wenig hinter dem Zaune gehalten habe. Im übrigen ist es aber ja einebekannte Sache in aller Welt, daß die Kinder durch allerlei Unwahrheiten erst zur Wahrheithingeleitet werden, und das ist auch eine Klugheit der Eltern; denn würden diese ihrenKindern gleich die Wahrheit zu verkünden anfangen, so würden sie aus den Kleinen wenigGutes und Gesittetes ziehen.[067,03] Es ist wahr, daß ich mich dem Jungen anders zeigte, als ich war; aber ichverursachte ihm dadurch keinen Schaden und konnte ihm keinen verursachen, weil ich dazunie einen Willen gefaßt habe, und somit glaube ich dadurch nichts Schlechtes begangen zuhaben. Habe aber ich dadurch gesündigt, so sündigen auch alle Eltern gegen ihre Kinder, dieihnen mit einem gewissen Ernste sogar fest beteuernd sagen, daß es auf den weiten und hohenBergen gewisse Bäume gebe, auf denen die Kinder gleich den Pflaumen blühen und wachsen.Dort beständen gewisse Sammler dieser Früchte und trügen sie dann zum Verkaufe in alleWelt. Dann und wann kämen diese Früchte auch auf Bächen und Flüssen, die in jenen hohenBergen entspringen, einhergeschwommen, wo sie dann auch aufgefangen würden.[067,04] Das ist ja etwa doch eine mörderische Lüge, wie man sie sich nimmergroßartiger und dümmer vorstellen kann; aber die Eltern haben dabei sicher den bestenWillen, durch solche rein aus der Luft gegriffenen Dichtungen ihre Kleinen vor allenunkeuschen Gedanken zu bewahren und sie also frisch und gesund an Leib und Seele demmännlichen Alter zuzuführen, und das wird doch hoffentlich nichts Unrechtes sein?! Und sobin ich denn auch der Meinung, daß eine Lüge, der nicht nur keine Spur von einer schlechtenAbsicht, sondern oft nur, nach unserer menschlichen Erkenntnisfähigkeit, eine ganz allerbesteTendenz zugrunde liegt, eher als eine Tugend denn als irgendeine Sünde anzusehen ist![067,05] Und so ist unser Institut im Grunde zwar voll Lügen und Truges; aber bisjetzt haben wir noch durchaus keine böse und eigentlich herrschsüchtige Absicht damitvereinigt, das heißt, insoweit wir mit unseren Erkenntnissen ausreichten. Was sich aber darausin den späteren Zeiten alles entwickeln kann, dafür fehlt uns die prophetischeBerechnungsweise, und wir können dafür keine Bürgschaft leisten, weil unsere Nachkommenebenso freiwillige Menschen sein werden, wie wir es nun sind.[067,06] Ich behaupte sogar, daß im Anfange alle Stifter irgendeiner Religion, in deralle bessere Gesittung eines wie des andern Volkes zugrunde gelegt ist, es mit ihrem Volkeganz gut und ehrlich gemeint haben; aber die späteren Nachkommen, und besonders dieunberufenen, sich selbst geschaffen habenden Priester, die lächerlich schlechten Stellvertreterder Götter auf dieser Erde, haben die nie recht verstandenen Lehrsätze falsch zu erklärenangefangen, haben zu ihrem selbst- und herrschsüchtigen Besten neue hinzugefügt und sieunter dem Titel ,Götterwille‘, ,Götterwort‘ scharf sanktioniert, haben damit die armeMenschheit oft auf das gräßlichste geplagt, wie uns sogar jetzt noch gar viele Beispiele nur zuhandgreiflich überzeugen![067,07] Besehen wir nur die mir gar wohl bekannten Geschichten aus dem Tempelzu Jerusalem und gleich daneben die Tempelgeschichten Roms, und wir haben der Beweisezur Übergenüge, wohin es mit Moses und wie noch weiter es mit aller Urweisheit Ägyptensgekommen ist! Und – ich will keinen bösen Propheten machen –, ich getraue es mir aber, vordir zu behaupten, daß deine reinste und göttlichste Lehre, deren Hauptpunkte der Jungewunderbar schnell schon an meine Gefährten übergeben hat, und soviel ich von ihr Herrlichesgehört habe, schon in einigen Jahrhunderten ein ganz anderes Gesicht haben wird![067,08] Aus deinen Jüngern werden Sendlinge und Ausbreiter solcher deinergöttlichen Lehre. Diese werden nicht überall hinkommen können; sie werden wieder Jüngerwählen und werden sie zu Lehrern und mitunter zu geistigen Vorstehern deiner Lehremachen, und damit ist der Grund zum Priestertume und mit dem zum allerartigenAberglauben gelegt, wofür ich tausend auf eins wetten könnte![067,09] Wenn aber da mit der Zeit überall also, warum sollte da gerade unserInstitut eine Ausnahme machen? Überall walten Menschen. Wenn nun ein wahrer Gott anihrer Spitze lehrend und leitend stehet, werden sie wohl in der Ordnung bleiben; stellt er sieaber auf die notwendige Freiheitsprobe, so werden sie gleich wieder mit einem goldenen

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Kalbe fertig werden gleich den alten Israeliten in der Wüste, als sich Moses von ihnen auf denSinai begab, zu holen die Gebote des Allerhöchsten!“

68. Kapitel[068,01] (Roklus:) „Du, als ein vollkommenster, von allen göttlichen Geisternvollsterfüllter Prophet und begabt mit aller Macht und Kraft wie noch nie ein Mensch auf derErde, wirst das sicher auch zum voraus sehen! Aber wer kann darum? Es ist nun einmal also,war schon stets also und wird auch also bleiben, und wir werden die Sache nicht ändern![068,02] Solange den Menschen ihr Fleisch und ihr freier Wille belassen wird, solange werden sie im allgemeinen auch das bleiben, was sie sind, und werden sich einrichtenmit allerlei nach den klimatischen Landesverhältnissen. Je weiter von uns weg, destoschlimmer, wie ich das auf meinen vielen Reisen nur zu häufig in die vollste Erfahrunggebracht habe! Je weiter ich von diesem nun einzigen geistigen Lichtpunkte mich entfernthatte, desto blinder und dümmer fand ich auch die Menschen schon früher in meinemAtheistentume, und es würde mir das noch auffallender sicher allenthalben begegnet sein,wenn ich um alles das gewußt hätte, um was ich nun weiß.[068,03] Es ist zwar sehr wahr, daß es keine Finsternis geben kann, die durch einentsprechendes Licht nicht augenblicklich zunichte gemacht werden könnte. In der Natur istes einmal ganz sicher also. Ob aber das geistige Licht die geistige Nacht auch so plötzlichvertreiben kann, das ist natürlich eine ganz andere Frage! In einer gewissen Hinsicht warmeine Geistesnacht sicher nicht unbedeutend zu nennen, und der Junge hatte sie mit wenigenLichtworten verscheucht; allein er hatte an mir aber auch einen Menschen, der in so mancherwissenschaftlichen Sphäre nicht zu den gar Letzten zu zählen ist, und der gar vieleErfahrungen in der Welt durchgemacht hat.[068,04] Man stelle sich ein in den absurdesten und finstersten Aberglaubenversunkenes Volk vor! Bei dem werden etliche Worte von noch so großer Helle und selbstmehrere noch so auffallende Zeichen kaum irgendeine Lichtwirkung hervorbringen! Einsolches Volk wird dann noch finsterer, zornig und wird sich eben in Gegenwart des Lichtesals ein größter Feind desselben erweisen, worauf es dann erst recht finster bei einem solchenbestialen Volke wird.[068,05] Wir brauchen da gar nicht weit zu greifen. Richten wir unsere Blicke nurnach dem Tempel zu Jerusalem und betrachten da das in- und auswärtige Pharisäertum, undwir haben der geistigen Nacht so viel vor uns, daß wir uns darüber allerhöchlichst werdenerstaunen müssen! Versuche aber zu denen mit einem rechten innern Geistlichte zu kommennur ungefähr also, wie früher der Junge mir gekommen ist, und er ist binnen kurzem ein Kinddes Todes![068,06] Was haben diese wahren Knechte und Diener der allerdicksten Nacht schonalles gegen unser Institut unternommen! Wären wir nicht in jeder Beziehung so gestellt, undkönnten sie uns von irgendeiner Seite zu, so wären wir schon lange nicht mehr! Es sollte jetztein Moses und Aaron aufstehen und die Wahrheit also lehren, wie sie dieselbe zu ihrer Zeitgelehrt haben, und sie werden sogleich ergriffen und mit Steinen beworfen werden, oder manwird ihnen als Widersachern das verfluchte Wasser zu trinken geben, und ganz sicher dasechte; denn sie haben zweierlei, nämlich ein echtes, das den sichern und unvermeidlichen Todnach sich zieht, und ein unechtes, das niemandem etwas schaden kann, weil es gar kein Gift insich enthält.[068,07] Wenn sie denn einem Sünder gegen sich oder vielmehr gegen ihrTempelwesen irgend aus einer geheimen Ursache wohlwollen, so geben sie ihm das unechteverfluchte Wasser zu trinken. Wer ihnen aber zu gewaltig irgend entgegenträte, der kann sichbei der nächsten und besten Gelegenheit den Durst schon mit dem echten Fluchwasserlöschen für alle ewige Zeiten. Daß die Pharisäer aber das tun zu Jerusalem, wie auch in denandern Orten, ist nun doch schon unter allen Menschen von nur einiger Bildung eine sobekannte Sache, daß sie nahezu niemanden mehr in ein Erstaunen setzt. Aber ich frage, wiedann ein rechtes Wahrheitslicht solch eine pharisäische Nacht erhellen kann?[068,08] Wie es aber unter und mit den Pharisäern steht, so stehet es überall, wo sich

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irgendein Priestertum befindet. Wenn irgend alle Menschen ein wahres Licht annehmen, weilsie dessen Wohltat bald und leicht erkennen, so wird sich das Priestertum dennoch mit allenMitteln und Kräften gegen dieselbe stemmen und sie nicht annehmen, weil es vor lauterHochmut und Herrschsucht so dumm und blind ist, daß es die Wohltat des reinenWahrheitslichtes gar nicht zu erkennen imstande ist.[068,09] Solange aber das Priestertum von Gott wie auch von den weltlichenRegierungen aus geduldet wird, ist es mit allem geistigen Lichte nahe so gut wie nichts! Denndiese allzeit höchst selbstsüchtige und herrschgierige Menschenart wird stets bemüht sein,alles höhere Licht zu verdächtigen und den eigenen alten Unflat als reines Gold anzupreisenund den ihnen unterstehenden Menschen aufzudringen.[068,10] Daher ist es meine in dieser Hinsicht sogar maßgebliche Ansicht, daß manvor allem alles, was nur einen Dunst von einem Priestertume hat, vollends wegschaffen, alsoden alten Augiasstall ausmisten und alsdann erst die wahre Sonne des Geistes über alleVölker zugleich aufgehen lassen muß; sonst erstirbt jeder noch so gute Same, bevor er nochirgend nur so halbwegs feste Wurzeln im Erdreiche des Lebens hat fassen können.[068,11] Ich erkenne in dir, du erhabenster Meister, die volle Gotteskraft, ohne die esdir völlig unmöglich sein müßte, Werke zu verrichten, die nur einem Gotte möglich seinkönnen, weil in ihm alle die zahllosesten Spezialkräfte sich vereinen und ihren ewigenUrstützpunkt haben, von dem aus sie allein nur einer Wirkung fähig sind. Und weil ich das indir gefunden habe, so ist es wohl auch sicher, daß ich dich gar sehr unbegrenzt achte undliebe, was du mit deines Geistes Augen in meinem Herzen und Gehirne noch klarer erschauenwirst als jener Junge dort.[068,12] Aber das sage ich dennoch ohne irgendeine Scheu, daß diese deine Müheund sicher große Aufopferung so gut wie rein vergeblich ist und den Menschen wenigSegnungen bringen wird, solange nur irgendeines Priesters Fuß den Boden der Erde betretenwird! Du müßtest denn nur mit deiner Allmacht alle Menschen und so auch die sämtlichenPriester auf der ganzen Erde plötzlich also umwandeln wie jenen alten Fels im Meere, dannkönnte es vielleicht einmal ganz löblich auf der Erde werden! Es ist nur ewig schade für deineMühe und Arbeit! Würdest du noch zimmern mit Säge und Axt, so würden dich die Pharisäersicher unangefochten lassen; aber so werden sie dich trotz aller deiner von mir unbezweifeltenGöttlichkeit hassen und auf allen deinen Wegen wütend und zornglühend verfolgen! Auchwerden sie die herrlichste Saat, die du nun säest, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mittelnzu verderben trachten.[068,13] Denn das Pharisäervolk kennt irdisch kaum wer besser denn gerade ich, derich wegen unseres Institutes am meisten mit ihnen zu kämpfen hatte! Sie sind zwar nun vonuns aus total geschlagen und besiegt und können mit aller ihrer Wut gegen uns nichts mehrausrichten; denn unsere Ringmauern sind stärker als die um ihren Tempel, und alle Krankenweit und breit suchen nun ihr Heil bei uns, weil wir die Menschheit mit reellen Heilmittelnwieder gesund machen, während die Templer durch nichtige Sprüche und mystische Zeichenund mit allerlei Reliquien – von Gott weiß woher – heilen, aber die Kranken dabei gar keineWirkung von irgendeiner Besserung verspüren.[068,14] Das ist nun mein nacktes Bekenntnis vor dir, o Herr und Meister; du aberwirst nun tun, was dir gefällig ist, – nur stoße unser Institut nicht früher um als den Tempel zuJerusalem! Das ist nun meine inständigste Bitte an dich; am liebsten aber wäre es uns allen, sodu ganz nach deiner Weisheit unser Oberster und Leiter werden möchtest!“

69. Kapitel[069,01] Sage Ich: „Mein Wort habt ihr und Meine Lehre; tut und handelt danach,dann bin Ich euer Meister und Oberster![069,02] Es bedarf da Meiner Person gar nicht in den Mauern eures Klosters, sondernallein nur Meines Wortes und Meines Namens – aber nicht etwa nur trocken geschrieben undausgesprochen mit kaltem, gleichgültigem Munde, sondern in der Tat voll Glaubens und vollLiebe zu Gott und zum Nächsten –, dann werde Ich sein mitten unter euch, und was ihr dawollen werdet in Meinem Namen, das wird auch geschehen, und ihr werdet also noch

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Größeres tun denn Ich.[069,03] Was Ich tue, das tue Ich vor euren Augen, um von Mir Selbst ein gültigesZeugnis abzulegen, auf daß ihr Menschen daraus erkennen möchtet, daß Ich Ebenderselbe binvon Ewigkeit ausgehend vom Vater, von dem alle Weisen und Patriarchen geweissagt haben.[069,04] Ihr sollet und werdet zeugen von Mir aller Kreatur, die blind und taub ist,und werdet zu dem Behufe ein mehreres benötigen denn Ich Selbst nun vor euch, die ihr dochscharfsehend und wohlhörig seid![069,05] Aber eure Trugwunder müssen aus eurem Institute gänzlich ausgewiesenwerden; denn aller Trug ist mehr oder minder eine Eingebung des Satans und kann daher niezu irgend etwas führen, das man wahrhaft gut nennen könnte! Solange man aber irgendeinTrugmittel in einem Heilinstitute gebraucht, da kann daneben in Meinem Namen keineWundertat zum Gelingen gebracht werden![069,06] Wollt ihr aber wirken in Meinem Namen, so muß Ich auch in aller Fülle derWahrheit ganz in euch sein durch die Liebe und durch den lebendigsten Glauben.[069,07] Seid ihr aber das, so möget ihr zu jenem Berge sagen: ,Hebe dich und stürzedich ins Meer!‘, – und es wird geschehen nach eurem Willen! Aber wohl gemerkt, ohne Michvermöget ihr nichts![069,08] Ich aber werde bei euch sein immer fort und fort, solange ihr getreust MeinWort, Meine Liebe und den lebendigsten Glauben an Mich bewahren und einhergehen werdetohne Falsch in eurer Seele! – Sage, ob du Mich nun wohl verstanden hast!“[069,09] Sagt Roklus: „Nicht ganz, um vor dir ein vollends aufrichtiges Geständnisabzulegen; denn ich vernahm etwas von einer Eingebung des Satans! Das ist derselbe bösesteGeist, der nach der jüdischen Lehre der stets unsichtbare Urheber alles Bösen undVerderblichen auf der Erde sein soll. Ich habe das bisher als eine Allegorie der Judenbetrachtet und kann mich nun auf einmal nicht zur Genüge erstaunen, diesen Namen nun ausdeinem Munde zu vernehmen![069,10] Wahrlich, ich halte dich für den weisesten aller Menschen und glaube nunauch fest, daß es einen allweisesten und allmächtigen Gott gibt, von dem alles, was derendlose Raum faßt, erschaffen ist, und daß du nun ein Hauptträger des Gottesgeistes bist; aberdaß du mir nun mit der alten jüdischen Fabel vom Satan und am Ende gar noch mit allerleiTeufeln und etwa auch mit der jüdischen Hölle kommst, das nimmt mich sehr wunder. Istdenn der Satan im Ernste etwas oder irgendein Teufel oder die Hölle? Darüber bitte ich mirwahrlich eine nähere Erklärung aus!“

70. Kapitel[070,01] Sage Ich: „Wie alles dies dir nun noch Unverständliche zu verstehen ist,wirst du finden in dem Buche, das dir der Junge durch Ruban gegeben hat; im übrigen dürftendir die Gegensätze, als da sind Geist und Materie, Leben und Tod, Liebe und Haß, Wahrheitund Lüge, doch schon einen kleinen Fingerzeig geben, daß alles das irgendeinenEntstehungsgrund haben muß, ansonst es nimmer in irgendeine fühlbare Erscheinlichkeitkommen könnte![070,02] Wenn das Böse nicht irgendeinen Entstehungsgrund hätte, woher sollte esdann wohl kommen in den Sinn der Menschen? Du wirst daraus etwa doch bei deiner geübtenDenkkraft wahrzunehmen anfangen, daß sich alles – wie: Wahrheit und Lüge und dergleichenGegensätze mehr – dem höchsten und besten Gottwesen nicht in die Schuhe schieben läßt![070,03] Oder kannst du das annehmen, daß Gott, als die höchste, tiefste WahrheitSelbst, dem Menschen einen lügenhaften Sinn ins Herz gelegt hat, auf daß er dann sündigewider die Ordnung Gottes und unflätig würde in allen seinen Reden und Handlungen? Oh, dassei ferne! Gott schuf den Menschen geistig nach Seinem Ebenmaße, also rein, wahrhaft undgut.[070,04] Da der geistige Mensch aber auch zu seiner ferneren Existenz bedinglichden Weg des Fleisches durchzumachen bekam, so mußte er dieses aus der Materie der Erdeentlehnen nach der Anordnung des allerhöchsten Geistes Gottes; und in das Fleisch ist für denGeist des Menschen ein denselben probendes Gegengewicht gelegt und heißet Versuchung!

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[070,05] Diese rastet aber nicht nur im Fleische des Menschen, sondern in allerMaterie; und weil die Materie das nicht ist, als was sie dir erscheint, so ist sie dem sich selbstprobenden Menschen gegenüber Lüge und Trug, also ein Scheingeist, der da ist und nicht ist.Er ist da, weil die verlockende Materie da ist fürs Fleisch des Menschen; er ist aber auch nichtda, weil die Materie nicht ist, was sie zu sein scheint.[070,06] Und sieh und fasse es recht! Dieser Truggeist, als durch und durch Lüge insich selbst, ist eben der Geist aller Welt der Materie und eben das, was da ,Satan‘ oder ,allerTeufel Oberster‘ heißt. Die ,Teufel‘ aber sind die Spezialbösgeister aus dem dir nun gezeigtenallgemeinen Bösgeiste.[070,07] Ein Mensch, der sonach allerlei Materie mit der Liebe erfaßt und sich darintätig begründet, der sündigt wider die Ordnung Gottes, die ihm nur darum die Materiezeitweilig unter sein Dasein legte, daß er mit ihr kämpfe und sich zur Unsterblichkeit kräftigemit dem Gebrauche des ganz frei gestellten Willens. Und die Folge der Sünde ist der Tod oderdas Zunichtewerden alles dessen, was sich des Menschen Seele aus der Materie angeeignethat, weil alle Materie, wie Ich dir's gezeigt habe, in dem, als was sie erscheint, nichts ist.[070,08] Liebst du demnach die Welt und ihr Getriebe und willst dich bereichern mitihren Schätzen, so gleichest du einem Narren, dem ernstlich eine wohlgeschmückte Brautvorgestellt ist, die er aber nicht will und nach ihr auch kein Verlangen trägt; wohl aber wirft ersich mit aller Glut eines blindesten Fanatikers auf den Schatten der Braut und koset denselbenüber alle Maßen! So aber dann die Braut den Narren verlassen wird, so wird etwa ja auch ihrSchatten mit ihr ziehen! Was aber wird dann dem Narren übrigbleiben? Offenbar nichts![070,09] Wie wird dann wehklagen der Narr, daß er verloren hat, was er so sehrliebte! Aber da wird man zu ihm sagen: ,Blinder Tor, warum erfaßtest du denn nicht die volleWahrheit anstatt deren Schatten, der doch offenbar nichts war?!‘ Was kann der Schatten auchirgend anderes sein als ein Lichtmangel, den eine jede dichte Form geben muß nachirgendeiner dem Lichte gegenüberstehenden Seite, weil der Lichtstrahl nicht durch den festenund dichten Körper dringen kann?[070,10] Was aber dein Schatten ist zu dir, so du irgend im Lichte stehest odergehest, dasselbe ist alle Materie und ihre Schätze gegenüber dem Geiste! Sie ist einnotwendiger Trug und in sich selbst eine Lüge, weil sie das nicht ist, als was sie den Sinnendes Leibes erscheint.[070,11] In dem aber liegt eben ein Gericht der Lüge und des Truges, daß sie vor denAugen des Geistes als etwas Vergängliches und nur als ein äußeres, entsprechendesSchattenbild einer innern, tiefen Wahrheit sich offenbaren muß, während sie nach der blindenWeltliebe der Seele lieber das in einer Realität verbliebe, was sie zu sein scheint.“

71. Kapitel[071,01] (Der Herr:) „Wenn aber also, was nützt es dann der Seele, so sie für denFleischmenschen gewönne alle materiellen Schätze der Erde und sich also versenkte in dasFleisch und seine gemeine, tierische Gier, in ihrer geistigen Sphäre aber dann Schaden litteund verlöre des wahren Lebens Realität?! Woher wird sie dann jenseits etwas nehmen, daß siedann als ein mit dem Nichts der Materie selbst gewordenes Nichts nun ein wahres Etwaswerde?![071,02] Ja, Freund, wer da hat, dem ist jede Gabe ein Gewinn, daß er dann allzeitnoch mehr hat! Aber ganz anders verhält es sich mit dem, das an und für sich nichts ist undnichts hat! Wie soll man denn dem etwas geben können, das sich zuvor von der Lüge hatgefangen und zunichte machen lassen?![071,03] Oder kannst du in ein Gefäß eine Flüssigkeit hineintun, das bloß in deinerIdee und sonst nirgends da ist, oder – wenn auch ein Gefäß da ist – aber so viele Löcher nachallen Seiten hat, daß man sie kaum zählen könnte? Wird es wohl auch nur einen Tropfenbehalten?[071,04] Ach, wäre die Materie für sich also, wie sie ist, eine bleibende undunwandelbare Realität – was aber unmöglich ist –, so wäre sie als das, was sie ist, eineWahrheit, und der sie gewönne und besäße, wäre dann im Besitze einer Wahrheit; und würde

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die Seele übergehen in die Materie, so würde sie zu einer wahren und bleibenden Realität![071,05] Weil aber die Materie nur ein Gericht des Geistigen ist, welches nichtbleiben kann und darf, sondern nur so lange, als das geistige Urelement sich im selbenansammelt, erkennt und dann bei einiger entsprechenden Kraftgewinnung die Materie um sichauflöst und sie ins entsprechende Geistige verkehrt, so muß ja eine weltliche und materiellgewordene Seele am Ende das Los der Materie teilen.[071,06] Wird die Materie aufgelöst, so geschieht das auch der Seele. Sie wird,wenigstens zum größten Teile, in die substantiellen, psychoätherischen Urkraftatomeaufgelöst, und es bleibt dabei der eigentlichen Seele nach dem Abfalle des Fleisches nichts alsetwa ein oder der andere licht- und oft nahe völlig lebenslose tierskelettartige Grundtypusübrig, der mit dem Wesen eines Menschen keine leiseste Ähnlichkeit hat.[071,07] Eine solche Seele befindet sich dann in einem Zustande, den die mit demgeistigen Sehvermögen begabten Urerzväter She oul a (Hölle = Durst nach Leben) nanntenund auch sehr wahr und richtig bezeichneten.[071,08] Demnach ist aber auch die ganze Erde und kurz alles, was du mit deinenmateriellen Sinnen nur immer wahrzunehmen imstande bist, eine wahre Sheoula. Es ist dasder Seele, die ein Geist ist oder vielmehr werden soll, Tod; denn wer immer als das, was erwar, zu sein aufgehört hat, der ist auch als das, was er war, völlig tot.[071,09] Eine Seele ist dann nach dem Abfalle des Leibes auch tot, so sie ausvorbeschriebenen Gründen ihr Menschwesliches nahezu total verloren hat und von ihrhöchstens ein Tierskelett übrigblieb. Für dich undenkliche Zeitenläufe werden wiederverstreichen müssen, bis solch eine sich in alle Materie versenkt habende Seele zu einemmenschähnlichen Wesen wird, und wie lange wird es hergehen, bis aus solch einer Seele erstvöllig ein Mensch wird![071,10] Du denkst nun freilich, daß bei Gott solches alles auch in einemAugenblicke möglich sein muß. Ich aber sage dir darauf, daß bei Gott freilich wohl alle Dingemöglich sind. Wenn Gott Puppen und Automaten haben will, so ist dazu ein Augenblickhinreichend, um damit den ganzen sichtbaren Raum voll anzufüllen![071,11] Aber alle diese Wesen werden keinen eigenen und freien Willen haben undkein eigenes, für sich dastehendes, selbsttätiges Leben. Sie werden sich regen und bewegennur nach dem sie durchströmenden Willen Gottes. Ihre Sehe wird die Sehe Gottes und ihreGedanken werden die Gedanken Gottes sein. Solche Geschöpfe werden sein gleich wie dieeinzelnen Glieder deines Leibes, die sich ohne dein Erkennen und Wollen durchaus nicht fürsich bewegen und tätig sein können.[071,12] Verhält es sich aber nicht ganz anders mit deinen Kindern, die auch ausdeinem Fleische und Blute hervorgegangen sind? Diese warten nicht mehr auf deinen Willen;sie haben ein völlig eigenes Leben, Erkennen und Wollen. Sie werden dir wohl folgen undwerden Lehre und Gebote von dir annehmen, aber dennoch nicht nach deinem, sondern stetsnur nach ihrem höchst eigenen Willen, ohne den du sie so wenig in irgend etwas belehrenkönntest als irgendein gemeißeltes Bild oder einen Stein![071,13] Und siehe, Geschöpfe mit freiem Erkennen und Wollen, die sich selbst zubestimmen und zu vervollkommnen haben, um dadurch denn auch für ewig freie und sichselbst bestimmende Wesen zu bleiben, müssen von Gott aus auch also geschaffen sein, daßihnen solches zu erreichen möglich wird![071,14] Von Gott aus darf da nur gewisserart der Same, versehen mit allenerdenklichen Lebensfähigkeiten, wie in einer Hülse eingeschlossen, geschaffen werden; dieweitere, freiere Lebensentwicklung und die Ausbildung desselben muß dem Samen selbstüberlassen werden. Er muß das ihn auch nach außen umströmende Leben aus Gott selbst ansich zu ziehen anfangen und daraus ein eigenes, für sich dastehendes Leben bilden.[071,15] Und sieh, so etwas geht nicht so schnell, wie du es meinst, weil dasEmbryoleben in sich nicht so mächtig und tatkräftig sein kann wie das von Ewigkeiten herallervollendetste Leben in Gott![071,16] Und weil eine jede noch so verdorbene Seele immer die gleicheBestimmung hat, so kann ihr auch jenseits zu ihrem Lebensheile nicht möglich auf eine

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andere Art geholfen werden, als sie sich mit wenigen, ihr noch zu Gebote stehenden Mittelnselbst helfen kann und nach der ewigen Ordnung Gottes auch selbst helfen muß.[071,17] Ich habe dir nun hoffentlich klar und deutlich zur Genüge erklärt, was soganz eigentlich Satan und was die Hölle und was der eigentliche ewige Tod ist, und du wirstnun wohl kaum mehr eine Frage übrig haben über etwas, das dir nicht klar wäre zur Genüge.Sollte dir aber noch etwas unklar sein, so frage; denn sieh, die Sonne neigt sich demUntergange zu, und wir werden dann ein Abendmahl einnehmen!“

72. Kapitel[072,01] Sagt Roklus: „Herr und Meister, ich habe nun gesehen, daß deine Weisheitund allergediegenste Einsicht in allen Dingen von einer nie ergründbaren Tiefe ist, und ichmuß hier offen bekennen, daß du als ein purer Mensch solches unmöglich wissen undeinsehen könntest, so du deinem Geiste nach an aller Schöpfung nicht den größten Anteilgenommen hättest, – und mir ist nun gar sehr vieles licht und überhelle geworden, was ich mirje vorher auch nie hätte denken können! Aber da du schon so gütig warst, mir soaußerordentliche Dinge zu erklären, so ersuche ich dich, mir den Ausdruck ,Sheoula‘ und,sage, den ewigen Tod noch ein wenig näher zu erörtern; denn darin bin ich noch nicht völligim klaren. Das heißt, ich verstehe die Sache so zur Not wohl; aber daß ich behaupten könnte,daß ich darin schon so ganz zu Hause sei, da würde ich mich selbst anlügen! Erkläre mirdemnach diese erwähnten zwei Dinge ein wenig näher!“[072,02] Sage Ich: „Nun so höre! She', auch shei oder shea heißt: ,es dürstet‘; oulauch voul: ,der in sich selbst verlassene Mensch‘, man könnte sagen: ,Tiermensch‘ (Ochse); a:,nach der Konsistenz dessen, was da ausmacht die innere Weisheit und Erkenntnis‘.[072,03] Daß unter dem Buchstaben a aber solches zu verstehen ist, bezeiget dieForm der alten ägyptischen Pyramiden, die eine großmaßstäbige Nachbildung derGehirnpyramiden sind, und deren Bestimmung es war, den Menschen zuWeisheitsschulhäusern zu dienen, wovon noch heutzutage ihr Name und ihre innereEinrichtung Zeugenschaft geben. Denn Pira mi dai heißt doch offenbar: ,Gib mir Weisheit!‘Und die innere Einrichtung war auch also bestellt, daß der Mensch, darin von der Außenweltganz abgeschlossen, in sein Inneres hat zu schauen anfangen müssen und finden sein innerstesLebenslicht. Darum war es in den weiten inneren Gängen einer solchen Pyramide stetskohlpech- und rabenfinster, und es ward nicht eher helle, als bis der Mensch mit seineminnern Lebenslichte alles zu beleuchten anfing.[072,04] Dieses klingt dir freilich etwas seltsam; allein es ist alles das dennoch also!Denn so einem Menschen die innere Gemütssehe geöffnet wird, da gibt es für ihn auf derErde keine Nacht und keine Finsternis mehr. Einen sozusagen handgreiflichen Beweis liefernalle die sehr sensitiven und in einer Entzückung sich befindlichen Menschen. Diese sehen mitvollkommen geschlossenen Augen um sehr vieles mehr als sonst tausend Menschen mit denallerbesten, gesündesten und schärfsten Augen; denn diese sehen durch die noch so feste undundurchsichtigste Materie, sie schauen leicht durch die ganze Erde hindurch, und selbst dieSterne sind nicht so weit, daß sie, die recht verzückten (magnetischen) Menschen, sie nichtklein zu durchschauen vermöchten.[072,05] Wie aber Menschen in den seligen Zustand der Verzückung kommenkönnen – und das am Ende, wann und wie oft sie wollen –, das ward eben innerhalb derPyramiden gelehrt und hauptsächlich sehr tätig geübt.[072,06] Weil denn die Pyramiden dazu dienten, so gab man ihnen auch den sehrrichtigen und alles bezeichnenden Namen SHE' OUL A. Davon nahm der alte Hebräer seinabgekürztes SHEOL', der Grieche sein SCHOLE, der Römer seine SCHOLA, und der Perserund Indier sein SCHEHOL.[072,07] Weil denn aber die alten Weisen in ihren verzückten Gesichten gar gutwußten, in welch einen sehr bedauerlichen Zustand die sehr materiellen, die Welt und sichselbst über die Maßen liebenden Seelen jenseits nach dem Abfalle des Leibes gelangen, sonannten sie eben solch einen bedauerlichen Zustand auch She oul a, Hölle![072,08] Daß ein solcher Zustand gegenüber dem Lebenszustande eines wahren

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Weisen in der Ordnung Gottes mit dem Ausdrucke ,Tod‘ bezeichnet ward, ist doch sicherganz der Wahrheit gemäß. Und weil das eine ewig stets und notwendig gleiche und bleibendeEigenschaft alles dessen ist, was da ,Welt‘ und ,Materie‘ heißt, so wird es auch klar sein,warum man solches den ,ewigen Tod‘ genannt hat![072,09] Solange denn eine Seele hier oder jenseits in solch einem Zustandeverbleibt, ist sie auch offenbar im Zustande des ewigen Todes, von dem sich loszuwindensicher eine höchst schwierige Lebensaufgabe ist! Manche Seele dürfte wohl ein Weltenalterzu tun haben, bis sie aus sich selbst wieder zu etwas kommen dürfte! – Sage Mir nun, ob dunun im klaren bist!“[072,10] Sagt Roklus: „Ja, Herr und Meister über alles, nun ist mir auch das wahrhaftvöllig klar; aber nun noch eine kleine Frage, und diese besteht darin, wie sich nämlich einMensch in den verzückten, allsehenden Zustand versetzen kann! Wenn ich das noch wüßte,wenn nur die Wege dazu, so würde ich alles Erdenkliche aufbieten, um mich selbst auch vonZeit zu Zeit in einen solchen sicher höchst beseligenden Zustand zu versetzen! Herr undMeister über alle Dinge, habe die Güte und gib mir auch darin einige gute Winke!“[072,11] Sage Ich: „Die Schulen Ägyptens sind eingegangen und bestehen in der Artund Weise schon gar lange nicht mehr; denn zu Mosis Zeiten hat es darin sehr zu hapernangefangen. Schon damals fing man an, nur einen äußerlichen Unterricht zu erteilen, und einPlato und ein Sokrates waren so ziemlich schon die letzten, die von der innern Lebensschulenoch einen leisen Begriff hatten.[072,12] Ich aber bin ja nun darum in das Fleisch dieser Welt gekommen, um euchMenschen eine noch bessere Lebensvorschrift zu geben, nach der ein jeder sich in die höchsteLebensweisheit versetzen kann. Und diese Vorschrift lautet ganz kurz: ,Liebe Gott aus allendeinen Kräften über alles und deinen Nächsten wie dich selbst!‘ Wer das übt und vollauf tut,der ist Mir gleich und wird auch eben dadurch in alle Weisheit und ihre Kraft und Machtgeleitet werden![072,13] Denn wer voll Liebe zu Gott ist, in dem ist auch Gott mit Seinerunendlichen und unbegrenzten Liebe und mit deren höchstem Lichte gegenwärtig. Die Seeleund ihr Geist schwelgen dann in allem Weisheitslichte aus Gott, und sie muß dann ja auchalles das schauen und erkennen, was das Licht Gottes sieht und erkennt. Und weil alle dieewigste Allmacht und Allkraft Gottes eben in Seiner unbegrenzten und unendlichen Liebebesteht, so darf die Seele in solcher göttlichen Liebe ja nur wollen mit dem Willen der in ihrherrschenden Liebe des Geistes Gottes, und es muß geschehen, was die Seele will! – Das istso klar und wahr, als nur irgend etwas klar und wahr in dieser Welt sein kann.[072,14] Aber solches nur zu wissen und noch so lebendig zu glauben, genügt beiweitem noch lange nicht, sondern man muß das vollauf tun in allen noch so schwierigenLebensverhältnissen und muß sich darin zu jeder Zeit üben; denn nur eine unausgesetztefleißige Übung macht aus dem Jünger erst einen Meister!“

73. Kapitel[073,01] Sagt Roklus: „Herr und Meister, wie kann ich aber dahin kommen, Gott,den unsichtbaren, ewigen Geist, aus allen Lebenskräften über alles zu lieben? Denn es kommtmir vor, als wäre das Herz eines Menschen zu klein und zu unfähig, den unendlichen undewigen Geist Gottes, von dem man sich unmöglich eine Vorstellung machen kann, über alledie Maßen zu lieben.[073,02] Mit der Nächstenliebe ist es ein leichtes; aber mit der Liebe zu Gott, so indas Allerendloseste hin, hat es doch sicher für uns sehr kleine Menschen eine höchst hinkendeBewandtnis! Wie ist sonach das anzustellen, daß man Gott über alles lieben kann?“[073,03] Sage Ich: „Leichteres gibt es wohl nicht in der ganzen Welt! Man betrachtedie Werke Gottes, Seine Güte und Weisheit und halte gewissenhaft Seine Gebote, liebe seinenarmen Nächsten wie sich selbst, und man liebt dadurch auch schon Gott über alles![073,04] Kannst du dir aber von Gott keinen dich ergreifenden Begriff machen, sosieh nun Mich an, und du hast dann auch jene für ewig gültige und bleibende Form vor dir,unter der allein du dir deinen Gott und Schöpfer vorstellen kannst! Denn Gott ist auch ein

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Mensch, aber der in und aus Sich ewig vollendetste! Siehst du Mich, so siehst du auch alles! –Hast du Mich nun auch darin wohl verstanden?“[073,05] Sagt Roklus: „Herr und Meister über alle Dinge, nun habe ich alles, und ichwill Dein Diener sein! Aber nun laß mich in Frieden ziehen! Denn länger zu weilen bei Dirbin ich nicht wert.“[073,06] Sage Ich: „Wer den inneren Frieden hat, der kann ziehen, wohin er nurimmer will, so ziehet er in Frieden! Du hast den inneren Frieden aber nun erreicht, und so duziehest wohin, so ziehest du im Frieden. Doch nun kannst du mit deinen Gefährten wohl nochverziehen (bleiben) eine Weile hier, allwo du mit den Deinen noch so manches vernehmenwirst zu euer aller Belehrung![073,07] Es ist nun zwar schon stark an der Neige des Tages, und die Sonne, die denTag hindurch ungetrübt der Erde geleuchtet hat, hat bereits den Saum der Berge erreicht undwird in einigen Augenblicken nicht mehr zu sehen sein, und wir alle können es sagen, daßdieser Tag gut zugebracht ward. Wir haben tüchtig gearbeitet und mehr verrichtet in Stunden,als was pure Menschenhände in Jahren zustande gebracht hätten. Wer aber arbeitet, der sollauch essen und stärken seine Glieder! Ihr habet auch gearbeitet und sollt darum auch essenmit uns! Darum auch möget ihr hier verbleiben und halten mit uns ein Abendmahl!“[073,08] Sagt Roklus: „Herr und Meister über alle Dinge! Was wohl habe ich mitmeinen Gefährten allhier nun getan, das man als eine Arbeit bezeichnen könnte? Reden undMeinungen und Erfahrungen austauschen ist alles, was wir hier, als sonst ganz müßig stehend,gemacht haben, – und das wird etwa doch keine Arbeit zu nennen sein?“[073,09] Sage Ich: „Wo und wann immer ein Mensch wahrhaft für das Heil seinerSeele gearbeitet hat, dort und dann hat er auch am meisten und wahrhaft und amalleruneigennützigsten gearbeitet; denn eine rechte Tätigkeit zum Wohle und Heile dereigenen Seele schließt ja ohnehin alle andere selbstsüchtige Tätigkeit ganz vollständig aus,weil die Selbstsucht und Eigenliebe die Liebe zu Gott und zum Nächsten völlig ausschließt.[073,10] Wer irdisch für seinen Leib sorgt, der sucht die Schätze dieser Welt, wühltin der Materie und vergräbt seine Seele also ins Gericht und in den Tod. Wenn ein solcherMensch auch den ganzen Tag hindurch auf dem Felde mit Pflug und Haue gearbeitet hat mitsolchem Eifer, daß er am Abend im eigenen Schweiße ganz ordentlich gebadet war, so war erdem gegenüber, was Ich Arbeit nenne, dennoch ein Tagedieb, ein fauler Knecht für das Felddes Reiches Gottes.[073,11] Denn wer für den wahren, von Gott ihm gestellten Zweck nicht arbeitet imGeiste nach Recht und Gebühr in der Ordnung Gottes, der arbeitet sicher auch zum zeitlichenund ewigen Wohle seines Nächsten nicht, und Gott zu suchen und näher zu erkennen findet ernicht der Mühe wert. Wer aber Gott zu finden und wahrhaft zu erkennen sich keine Mühegibt, der gibt sich noch weniger eine rechte Mühe zum Wohle seines Nächsten, und so erschon für ihn etwas tut, da tut er das nur seiner selbst willen, damit der Nächste irgend fähigwerde, ihm mehrfach dafür zu nützen, als was er ihm bloß einfach Gutes getan hat.[073,12] Du hast aber nun Gott gesucht und dich selbst – und Gott und dichgefunden; und siehe, das war eine rechte Tätigkeit von dir, und Ich sage es dir, daß du nun inden etlichen Stunden mehr getan hast als sonst durch dein ganzes Leben! Und darum kannstdu nun auch schon hier verweilen, dir nehmen eine rechte Ruhe und mit uns halten einAbendmahl!“

74. Kapitel[074,01] Sagt Roklus: „Herr und Meister über alle Dinge! Jedes Wort aus DeinemMunde ist mehr denn reinstes Gold, und eine Wahrheit erhebt die andere! Auch ist keinesDeiner Licht- und Lebensworte bei mir auf unfruchtbaren Boden gefallen, und ich fühle esnun in mir, daß daraus sicher die segensreichsten Früchte für die Scheunen des wahrenLebens erwachsen werden; aber da ich nun schon einmal die Gnade habe, mit Dir zu reden, somöchte ich denn auch in der Hinsicht eine Aufklärung von Dir haben, ob wir in der Folge dieKranken durch unsere natürlichen Heilmittel von ihren Krankheiten heilen sollen oder bloßnur im möglich festesten Vertrauen auf Deinen Namen? Denn mir kam nun der Gedanke, daß

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es etwa nicht allzeit Deinem göttlichen Willen gemäß wäre, gerade jeden Kranken zu heilen.Denn es gibt darunter ja welche, denen Deine göttliche Liebe und Weisheit eine leiblicheKrankheit oder auch irgendeine Seelenkrankheit zukommen ließ zur Besserung eben ihrerSeele.[074,02] Es ist eine nur zu bekannte Sache, daß oft die leiblich gesündestenMenschen eben nicht die sittlich tugendhaftesten sind. Ja, die leibliche Gesundheit macht denMenschen gar oft mutwillig, weltsüchtig und genußgierig, während Kranke, besonders die aneinem chronischen Übel Leidenden, gewöhnlich geduldig, sanft und ergeben in den göttlichenWillen dahinsiechen; man hört sie selten klagen, sie sind voll Demut und haben keinneidisches Herz. Würde sich ihr guter Seelencharakter etwa nicht ändern, wenn man sie aufeinmal ganz kerngesund machte?[074,03] Dann kommt aber noch eins: Sicher ist es jedem Menschen einmalbestimmt, dem Leibe nach zu sterben, – und wäre dieses nicht der Fall, so müßten Menschenvon Adams Zeiten her noch leiblich leben. Wenn wir aber alles, alt und jung, was als krank,auch todeskrank, uns unterkommt, alsogleich wieder völlig gesund machen, und uns selbstauch gegenseitig, so dürfte nach und nach das Sterben auf dieser Welt im Ernste etwas seltenwerden, besonders, so durch Deine Lehre mit der Zeit etwa auch die Kriege überflüssigwürden![074,04] Heilen wir jemanden nicht, der bei uns Hilfe gesucht hat, so werden wir alsharte und mitleidslose Menschen gescholten werden; läßt Du es aber einmal nicht zu, daßjemand, der schon zu öfteren Malen von uns geheilt ward, etwa zum zehnten Male wiedergeheilt wird, trotz unseres Willens und unserer Bestrebung, so wird entweder die Kraft DeinesNamens oder unser eigenes Vertrauen auf denselben verdächtigt und lückenhaft, und desVolkes Glaube wird Schiffbruch leiden! Denn dahin bringen wir die einmal in der Materielebenden Menschen nicht, daß sie zur Gewinnung eines höheren Lebens im großen Jenseitsdies irdische Leben so gering zu achten beginnen möchten, in Erkrankungsfällen nichts mehrfür selbes zu tun.[074,05] Selbst der Greis von hundert Jahren und darüber wird nach der Arznei zurVerlängerung seines Lebens sogar dann noch greifen, so er auch wüßte, daß die Ablegungseines morschen Leibes mit der möglich höchsten Anmut verbunden wäre. Daß der MenschenGier, gesund und so lang als möglich, selbst in oft ganz schlechten Verhältnissen, auf dieserräudigen Welt zu leben, eine unersättliche ist, das lehrt uns im allgemeinen eine mehr alstausendjährige Erfahrung; und werden das die Menschen allgemeiner wissen, daß bei ihnenallein durch die Gewalt Deines Namens jedes Übel geheilt werden kann, ja daß im Notfallesogar Verstorbene ins Leben zurückgerufen werden können, da werden wir eine Belagerungdurch das Volk um die andere zu bestehen haben![074,06] Es wäre meines Erachtens für uns und auch für wen anders immer in dieserHinsicht eine nähere Instruktion wohl durchaus nicht zu den überflüssigen zu zählen! Oderhast Du für jene Menschen, die völlig in Deiner Ordnung leben werden, etwa von jetzt an denalten Fleischestod ganz aufgehoben, so daß von jetzt an die Menschen mit schon verklärtenLeibern gleich fortan leben werden, der Fleischestod aber nur ein Anteil der Sünder widerDeine Lehre und wider Deine Gesetze bleiben wird?[074,07] Herr und Meister über alle Dinge! Sieh, der untergegangenen SonneStrahlen vergolden noch sehr mächtig den Abendhimmel, und des Mondes Sichel und derAbendstern wetteifern ordentlich, das Licht der untergegangenen Tagesmutter zu ersetzen. Esist so überherrlich der Anblick Deiner leuchtenden Werke, o Herr; aber noch ums endloseherrlicher ist das Gefühl des innern Lichtes, das aus Deinem Munde unsere finsterenLebenswinkel erhellet! Da es somit noch Zeit ist, so erkläre mir noch vor dem Abendmahledas, was ich mir selbst nimmer zu erklären imstande bin!“

75. Kapitel[075,01] Sage Ich: „Mein Freund, da forschest du nach etwas, was zu wisseneigentlich weder dir noch jemand anderm irgend not tut, weil das ganz allein Meine Sache ist,was soviel sagen will als: Es ist das die Sache des ewigen Vaters im Himmel, also eine

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Ordnung, von der in Hinsicht des Fleisches sogar Ich Selbst keine Ausnahme machen darf,machen kann und werde![075,02] Was das Fleisch angezogen hat, wird dasselbe auch wieder ausziehenmüssen, ob nun mit oder ohne Schmerz, das ist eine ganz gleichgültige Sache; denn nach derTrennung hat aller diesweltliche Schmerz aufgehört. Denn die Luft, die des Menschen Seeleeinatmen wird in der andern Welt, wird eine ganz andere als die Luft dieser materiellen Welthier sein. Wo es keinen Tod mehr gibt, da gibt es auch keinen eigentlichen Schmerz, weil desFleisches Schmerz stets nur eine Folge einer teilweisen Losschälung der Seele vom Fleischeist.[075,03] Es ist aber damit gar nicht gesagt, als wäre eine Seele in ihrem reinenZustande etwa ohne Gefühl und Empfindung – denn ohne das wäre sie ja offenbar tot; abersie wird in der ihrem Wesen entsprechenden Welt nur nichts finden, das sie drängte, drückte,kneipte und preßte und dadurch ein schmerzliches Gefühl erzeugte, und so wird sie auchkeinen Schmerz je wahrnehmen.[075,04] Oder ist ein ganz kerngesunder Mensch selbst in seinem Fleische fürsGefühl des Schmerzes unempfänglich, weil er noch nie das Unglück hatte, krank zu sein, undnoch nie von jemandem einen Schlag oder Stich erhielt?! Es mangelte bei ihm also nur einschmerzerzeugender Grund.[075,05] Der Hauptgrund zu einem Schmerze, den stets nur die Seele, nie aber dasFleisch empfindet, liegt also im Drucke, den irgendein zu träg und somit auch zu schwergewordenes Fleisch auf irgendeinen Lebensteil der Seele ausübt.[075,06] Es ist daher zeitweilig jede Krankheit zu heilen, wenn man die Fleischmassezu erleichtern versteht; aber fürs Alter des Fleisches gibt es keine Erleichterung mehr, obwohlein in guter Ordnung lebender Mensch noch bis in ein sehr hohes Alter im ganzen wenig voneinem Schmerze zu erzählen wissen wird. Sein Fleisch wird bis zur letzten Stunde noch ganzfügsam und geschmeidig verbleiben, und die Seele wird sich nach und nach ganz sachte ihremFleische entwinden können in der eigentlichen, besten und wahren Ordnung. Sie wird zwarauch nicht wünschen, gerade selbst im höchsten Erdalter sich vom Fleische zu trennen; wennaber an sie der ihr wohl vernehmbare, beseligendste Ruf aus den Himmeln ergehen wird:,Komme du aus deinem Kerker ins freieste, ewige, wahre Leben!‘, so wird sie aber auch keineSekunde Zeit Säumens machen, zu verlassen ihr morsches Erdhaus und hinauszutreten in dieLichtgefilde des wahren, ewigen Lebens.[075,07] Nun, dieses werdet ihr mit keinem Kräutersafte und auch nicht durch dieMacht Meines Namens je zu verhindern imstande sein, weil das nicht Meines Geistes Willesein kann. Mit der Kraft Meines Namens aber werdet ihr nur nach Meinem in euren Herzensich klarst zu erkennen gebenden Willen und nie wider denselben wahrhaft Wunder zu wirkenimstande sein. Daher müsset ihr auch vor allem Meinen Willen, der ein wahrer Wille Gottesist, vollkommen zu dem euren machen, und es wird euch dann unmöglich etwas mißlingen,das ihr aus Mir und somit aus Meiner ewigen Ordnung heraus wollen werdet.[075,08] Es kann daher davon keine Rede sein, als könnte etwa jemand, der euchverliehenen Heilkraft wegen, in und durch Meinen Namen niemals sterben. Wohl sollet ihrdie Heilung niemandem vorenthalten, wo euch mein Geist sagen wird im Herzen: ,Dem werdegeholfen!‘; wird aber der Geist sagen: ,Den lasse in der Plage seines Fleisches, auf daß seineSeele satt bekomme, zu frönen den Gelüsten des Fleisches!‘, so lasset den und heilet ihn nichtvon seinem Fleischübel – denn er soll es erdulden zum Heile seiner Seele![075,09] Und also sieh du nun, daß deine Besorgnis eine etwas eitle war! Gehe alsoein in Meine rechte Ordnung, und es wird dir dann schon alles klar werden! Hast du etwanoch einen Anstand, so rede, bevor unser Wirt aus der neuen Küche mit dem Mahle kommenwird!“

76. Kapitel[076,01] Sagt Roklus: „Ja, Herr und Meister über alle Dinge, wenn wir nur das alsWunder effektuieren können, was Du allein willst, und zwar alles in Deiner ganzenurweltlich-natürlichen, ewigen Ordnung, da ist uns ja unser eigener freier Wille rein zu nichts,

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und mit den hie und da doch sehr nötigen Wundern als den besten und wirksamsten Beweisenfür die Macht und Kraft Deines Namens wird es dann gar sehr mager auf der Erde auszusehenanfangen![076,02] Deines Willens Wunder geschehen Tag für Tag ohnehin, ob wir mit wollenoder nicht, und unser Wille ist gegen den Deinen allzeit gleich einer barsten hohlen Nuß. DieSonne, der Mond und die Sterne gehen auf und unter ohne unsern Willen; und ebenalsogrünet die Erde und bringt ihre Früchte; und die Wolken ziehen, und die Winde spielen mitden Wogen des Meeres; und es wird Winter und Sommer, und die Zeiten vergehen undkommen nimmer wieder, ganz ohne unsern Willen! Ob wir nun das mit wollen oder nicht, soist das einerlei! Aber wie sieht es dann mit den oft auch notwendigen besonderen Wundernaus?“[076,03] Sage Ich: „Ja, lieber Roklus, mit dir ist noch immer ein wenig schwerzurechtzukommen, weil in deinem Gemüte noch zu viele irdische An- und Rücksichtenwalten![076,04] Siehe, wer seine Hände an den Pflug legt und dabei nach rückwärts schaut,der ist noch nicht geschickt zum Reiche Gottes! Meinst denn du, daß Gott in Seinem hellstenDenken und Wollen etwa auch so einförmig und eintönig ist wie das starre Eis des Nordens?[076,05] O Mensch, erkenne erst Gott recht und Seinen allmächtigen Willen, und duwirst dann schon auch erkennen, ob ein Mensch, dessen Herz voll des Geistes aus Gott ist,nichts anderes mehr wollen und tun kann, als bloß nur so ganz stumm und geduldig mit demewigen Willen Gottes einen Tag um den andern werden und vergehen zu lassen und ganzglückselig zuzusehen, wie die verschiedenen Kräuter wachsen und blühen und dann wiederverdorren![076,06] Wenn es Gott mit den Menschen nur um das zu tun gewesen wäre, so hätteEr ihnen nie einen eigenen Willen zu geben vonnöten gehabt, sondern Er hätte sie bloß nurden Meerespolypen gleich, wenn auch in Menschenform, wie die Pilze aus der Erdeherauswachsen lassen können mit im Erdboden haftenden Saug- und Nährwurzeln; diesehätten dann gleich Tag und Nacht können zusehen, wie die Sterne nach dem Willen Gotteswenigstens dem Anscheine nach auf- und untergehen, und wie schön das Gras um sie herumwächst! Eine freie, ortsveränderliche Bewegung wäre ihnen gar nicht nötig; denn eineneigenen Willen hätten sie ja ohnehin nicht, und den stets gleichen und stereotpyen WillenGottes könnten sie als Statuen noch um vieles besser durch sich gehen und walten lassen alsirgendein noch so frommer und gottergebener Mensch mit seinem Willen![076,07] Denn einem Menschen, der denn doch immer noch einen eigenen Willenund eine freie Bewegung hat, kann es ja doch noch bei aller seiner Ästhetik einmal in denSinn kommen, einige Schritte über einen schönen Grasboden zu machen; und wieunvermeidlich muß er da das nach dem Willen und nach der ewigen Ordnung Gottes aufrechtgewachsene und stehende Gras zu Boden drücken und danebst noch so mancher Blattmilbedas Lebenslicht vor der Zeit ausblasen! – Merkst du nun schon so ein wenig das Albernedeiner Besorgnis?[076,08] Nun aber denke dir erst, daß der freiwillige Mensch zu seiner physischenNahrung nicht nur allerlei herrliche, mit Fruchtsamen wohlversehene Früchte mit seinenZähnen zermalmt und sie dann als Speise für seinen Leib ohne alle Gnade und Schonungverschlingt, sondern sich sogar über allerlei Tiere hermacht, sie tötet und endlich auch ihrgebratenes Fleisch mit einer wahren Gier verzehrt. Hie und da sucht er sich große Plätze aus,auf denen zuvor viele Jahrtausende hindurch das schönste Gras, andere heilsame Kräuter,Gesträuche und Bäume in der schönsten und allerungestörtesten Ordnung Gottes gewachsensind, und baut dann tote Häuser und Städte darauf. Ja, Freund, kann das nach der von dirgedachten Ordnung Gottes wohl recht sein?[076,09] Oder, so du dir deine mit der Zeit zu lang gewachsenen Nägel, Bart undHaare abkürzest, handelst du da nicht wider die Ordnung Gottes, nach dessen stereotypemWillen Nägel, Bart und Haare gleich wieder fortwachsen und nicht so kurz bleiben wollen, alsihr ihnen mit der Schere das Maß vorgeschrieben habt?[076,10] So es Gott denn durchaus nicht wollte, daß irgendein frei denkendes und

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frei wollendes Wesen wider die Stereotypie Seines Schöpfungswillens handelte undzerstörende Eingriffe wider die bestehende, stets unwandelbar gleiche Ordnung im großenwie im kleinen machte, würde Er wohl weise gehandelt haben, sich Wesen zu erschaffen, dieschon ihrer Existenz wegen genötigt sind, allerlei zerstörende Eingriffe in dieUrschöpfungsordnung, die doch auch ein Werk desselben allmächtigen und höchst weisenGottes ist, zu machen?![076,11] Wenn aber Gott, der Herr und Schöpfer aller Dinge und Wesen, es zuläßt,daß die lebenden Wesen, und zwar namentlich die frei denkenden Menschen, die mit einemfreien Willen begabt sind, Ihm die Wälder zerstören, Bäume umhauen, Hütten und Häuserdaraus bauen und den größten Teil davon verbrennen, Ihm das schöne Gras zertreten,abmähen und als Heu den Kühen, Ochsen, Eseln, Schafen und Ziegen verfüttern, und auchniemandem auf die Hand schlägt bei zahllos vielen anderen Eingriffen in Seine stereotypeOrdnung, um wieviel weniger wird Er dort Sich mit Seinem allmächtigen Willenentgegenstemmen, wo es sich darum handelt, des Menschen kleinste Willensfreiheit zurgrößten göttlichen heranzuziehen![076,12] Hast du denn nicht gesehen, wie zuvor der Junge, der im Grunde auch nurein Geschöpf Gottes ist, den Stein wider die Stereotypie des urgöttlichen Willens in Goldumwandelte? Hat ihn jemand darum zur Rede gestellt, weil er einen so gewaltigen Eingriff indie Grundordnung Gottes gemacht hat? Im Gegenteil, es hat nur der göttliche Wille, vereintmit dem des Jungen, solches zuwege gebracht![076,13] Wenn du die leichten Gebote Gottes hältst und Gott wahrhaft über allesliebst, so wirst du ja doch offenbar stets einiger mit dem Erkennen und Wollen Gottes. Duwirst sonach weiser und weiser und im gleichen Maße auch mächtiger und einsichtsvoller imWollen. Dein inneres Licht aus Gott wird zu einer Allsehe erhoben werden, mittels der du imsonst noch Lebensdunkeln nicht nur fühlen, sondern schauen wirst die wirkendenLebenskräfte und durch die Inhabung des freiesten Willens Gottes sie auch wirst bestimmenkönnen, so oder so tätig zu werden. Eben dadurch aber, daß du die zahllos vielen, von Gottstets ausgehenden Kräfte speziell und individuell erkennst und erschaust, kannst du als einBesitzer des göttlichen Willens sie ergreifen und sie auch bestimmen und verbinden zuirgendeinem weisen Tatzwecke, und sie werden sofort auch ebenalso tätig sein, als so Gott sieunmittelbar Selbst zu irgendeiner Tätigkeit bestimmt hätte.[076,14] Denn alle die durch die ganze Unendlichkeit von Gott ausströmenden Kräftesind gleich wie zahllos viele Arme eines und desselben allmächtigen Gottes und können jaunmöglich irgend anders tätig werden und sein als allein nur durch die Anregung desgöttlichen Willens, weil sie im Grunde nichts als pure Ausstrahlungen des göttlichen Willenssind.[076,15] Wenn der Mensch denn seine winzigste Willensfreiheit mit der endlosgroßen göttlichen vereint, sage Mir, ob es da nur denkbar möglich ist, einen puren stummenZuschauer des pur göttlichen Willens zu machen, oder ob der also groß frei-willig gewordeneMensch mit solch einer Willensfreiheit aus Gott nicht so manches zustande zu bringenvermögend sein wird!“

77. Kapitel[077,01] Sagt Roklus: „Ja, Herr und Meister über alle Wesen und Dinge, jetzt, durchdiese Deine gnädigste Erklärung hat freilich bei mir alles ein anderes Licht bekommen, und esist mir nun so manches früher unentwirrbare Rätsel völlig aufgelöst! Ja, nun fange ich auch soein wenig an zu begreifen, was so ganz eigentlich ein Mensch ist, und was er in dieser Weltzu suchen und zu erreichen hat und nach Deinem Worte auch erreichen kann und eigentlicherreichen muß! Ja, nun ist es dann ein freilich höchst beseligend Leichtes, Deine Gebote zuhalten und buchstäblich zu erfüllen Deinen Willen; denn jetzt sieht man und kann es sogar mitHänden greifen, was man von Dir aus notwendig erhalten muß! Denn so ich einen Ort noch soweit vor mir sehe und in der geradesten Richtung auf den Ort los- und zuwandle, so muß ichihn endlich doch einmal erreichen![077,02] Ich kann aber nun nichts anderes tun als vor allem für solche Deine Mühe

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mit mir Dir danken aus allen meinen Lebenskräften und Dir versichern, daß ich Deinallergewissenhaftester Jünger sein und bleiben werde. Ich gebe Dir auch die vollsteVersicherung, daß ich alles aufbieten werde, um unser Institut von allen den alten Welt- undLügenschlacken zu reinigen, und es soll in der Folge nichts mehr im selben vorgenommenwerden als allein das nur, was sich mit Deiner Lehre, o Herr und Meister, vereinbaren läßt![077,03] Schon jetzt fühle ich eine früher nie empfundene Kraft in mir, vor der imfesten Vertrauen auf Dich alle Berge weichen und durch die alle Toten aus ihren Gräbernerstehen müßten! Was wird darauf erst dann folgen, so mein künftiges Leben ganz Dein Willesein wird, und zu welcher Kraft wird unser Institut sich erheben, wenn alle Glieder desselbeneines Sinnes und eines Willens sein werden?![077,04] Darum nun keines Säumens mehr! Auf, und alle Hände in die Tätigkeit fürdies neue Werk aus Gott gelegt! Wer da Säumens macht, begeht eine gröbste Sünde an demHeile der gesamten Menschheit der ganzen Erde!“[077,05] Sage Ich: „Dein Eifer ist nun schon recht, und du wirst das, was du dir nunvornahmst, auch durchsetzen; aber dieser dein gegenwärtiger Eifer ist noch sehr ähnlicheinem Strohfeuer, das auch gleich in gar gewaltiger Flamme auflodert, daß man meinen sollte:wenn das so fortgeht, so brennt in wenigen Augenblicken schon gleich der ganze Erdboden!Aber in wenigen Augenblicken ist es mit dem großen Strohfeuer zu Ende, und man merkt esnachher kaum noch, wo der lockere, große Strohhaufen abgebrannt ward![077,06] Der rechte Eifer steigert sich wie das Licht und die Wärme der aufgehendenSonne. Würde das Licht und die Wärme der Sonne gleich mit einer afrikanischen Mittagsglutauftauchen am Morgen, so würde sie sehr verheerend wirken auf alle Pflanzen und Tiere, wasein jeder gute und erfahrene Landwirt schon aus den sogenannten Sonnenblicken ersehenkann.[077,07] Einen Sonnenblick aber nennt man, wenn bei einem Gewitter dasFirmament dicht mit Regenwolken bedeckt ist und es bereits auch regnet; auf einmal aber, sobereits die Erde und ihre Früchte etwas abgekühlt sind, zerreißen die Wolken infolgeirgendeiner Luftströmung, und der Sonne Licht und Wärme fällt plötzlich auf die Pflanzenund Bäume und auf allerlei zartes Getier, und sieh, der dadurch angerichtete Schaden ist danngrößer, als so es eine Stunde lang so ganz tüchtig gehagelt hätte! – Ich führte dir diesesBeispiel nur darum vor, um dir so recht praktisch zu zeigen, wie ein gewisserart oft unzeitigerEifer viel mehr verdirbt als irgend gut macht.[077,08] Daher wolle du in eurem Institute nun auch nicht alle alten und sehr morschgewordenen Bäume gerade mit einem Hiebe aushauen, sondern mit einem redlichen Eiferganz wie unvermerkt so nach und nach, und du wirst also erst den wahren Segen in deinemInstitute verbreiten! Aber mit einem Schlage, mein Freund, geht das nicht! Dazu gehörennoch mancherlei Besprechungen unter euch selbst und darauf erfolgte Erweisungen der neuenWunderwerke in Meinem Namen! Und wenn so erst alle, nicht du allein, in dies neue Lichteingeführt wurden, dann erst läßt sich alles Alte mit dem besten Erfolge ausjäten.[077,09] Wenn ein recht weiser Landmann es merkt, daß da Unkraut mit dem reinenWeizen aufgehet, so läßt er das angehen bis zur Ernte. Beim Schnitte erst läßt er sondern dasUnkraut von dem Weizen, und es bleibet ihm dadurch gesund der Weizen, und das Unkrautwird getrocknet und verbrannt auf dem Acker, und der Boden wird damit gedünget. Siehe, dasnenne Ich Selbst weise und der Wahrheit gemäß gehandelt![077,10] Glaube du es Mir, daß Ich mit ganz Jerusalem und seinen Pharisäernebensoschnell fertig würde wie zuvor mit jenem Felsen im Meere; aber dieser Eifer würdeMir schlechte Früchte tragen! Dadurch würden dann alle, die erführen, daß Ich durch Meinegöttliche Allmacht solch eine Verheerung angerichtet habe, wohl Mir zufallen, aber auf demWege der innern Überzeugung sicher nicht, sondern auf dem Wege des Selbstgerichtes. AusFurcht und Zagen würde sich keiner mehr zu rühren getrauen; ein jeder würde maschinenartigdas tun, was Ich von ihm verlangte![077,11] Wäre aber dann das eine Bildung des freien Willens als des Hauptgutesjeder Menschenseele und ein Erheben desselben zur höchsten Potenz des göttlichen,allerfreiesten Willens, in dem allein nur eine allerhöchste Lebensseligkeit besteht und

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bestehen kann?!“

78. Kapitel[078,01] (Der Herr:) „Daß aber des Lebens allerhöchste Seligkeit eben im Besitze derallerungebundensten Willensfreiheit und ihrer stets erfolgvollsten, tatsächlichen Wirksamkeitbesteht, davon geben alle die Selbstsüchtler und herrschgierigen Menschen schon auf dieserErde den allerstärksten Beweis![078,02] Um nur ein bißchen so etwas Machthabendes zu sein, gibt ja so manchergerne sein Hab und Gut her! Wer haßt etwa Krone, Thron und Zepter, besonders wenn er sichselbst hinaufschwingen kann!?[078,03] Aber warum denn haben diese drei effektiven Herrscher in sich einen sounaussprechlichen Wert in den Augen der Menschen? Die Antwort liegt ganz nahe und ganzin der Natur der Sache. Weil der, welcher auf dem Throne sitzt, von seinem Willen unterMillionen von Menschen den allerfreiesten und in der Welt wirksamsten Gebrauch machendarf und kann![078,04] Nach dem aber, der auf dem Throne sitzt, wird dann schon ein jeder garüberaus glücklich, wenn er von dem Herrscher nur mit irgendeinem Amte betraut wird, inwelchem er dann auch, wenngleich nur im Namen des Herrschers, einen kleineren Herrscherspielen und etwas mehr seinem freiheitsdurstigen Willen Luft lassen kann. Er unterdrücktzwar auf das kräftigste seinen grundfreien Willen und macht dafür vollends des HerrschersWillen zu dem seinigen, wenn er bei sich mit demselben auch oft gar nicht einverstanden ist;aber das alles tut er, um nur so ein bißchen auch mitherrschen zu können und zu irgendeinereffektiven Geltung zu bringen seinen Willen. Denn bei besonders Hochstandsstaatsbeamtengibt es ja doch immer hie und da Gelegenheiten, vom ganz eigenen, freien Willen Gebrauchzu machen, und das ist dem Menschen schon auf dieser Erde eine allerhöchste Seligkeit.[078,05] Was kann sie aber im Vergleiche zu jener Seligkeit sein, die aus derEinigung des hier immer höchst beschränkten Menschenwillens mit dem Willen Gottes fürdie ganze Unendlichkeit und Ewigkeit hervorgehen wird und hervorgehen muß?![078,06] Aber bevor solches erfolgen kann, wirst du selbst einsehen, daß dazu eineganz allerernstlichste Hauptbildung eben des menschlichen Willens durch alle Lebensstadienallerweisest geführt werden muß, ansonst es sicher höchst gefährlich wäre, des Menschenfreien Willen mit einer effektiven Machtvollkommenheit auszustatten![078,07] Um aber den Willen der Menschen dafür fähig zu machen, muß man dahinwirken, daß der Mensch völlig freiwillig sich auf die Wege des Lichtes begebe und aufdenselben so lange mit aller Liebe und weltlicher Selbstverleugnung sich fortbewege, bis erdas rechte Ziel durch seine eigene Tätigkeit und vollkommene Selbstbestimmung erreicht hat.[078,08] Dazu aber dient weder ein äußerer noch ein innerer Zwang, von denen einjeder ein Gericht ist, durch das nie ein Menschengeist in seinem Willen frei werden kann.Solange er aber das nicht kann, da kann auch von der Vereinigung seines Willens mit demallerfreiesten Willen in Gott ewig keine Rede sein![078,09] Es sind daher die Menschen nur durch einen allerweisesten Unterrichtvorerst zur wahren Erkenntnis ihrer selbst und des einig wahren Gottwesens zu führen, unddas mit aller möglichen Güte, Geduld und größten Sanftmut; nur hartnäckig widerspenstigeCharaktere, bei denen im Hintergrunde ein in sich nahe ganz zweckloser böser Mutwille undeine wahrhaft teuflische Schadenfreude steckt, sind durch ein weltliches äußeres Strafgerichtzu Paaren zu treiben, aber ja nicht so bald durch einen sie strafenden Wunderakt.[078,10] Denn es muß dabei stets darauf die nie aus den Augen und Herzen zulassende Rücksicht genommen werden, daß der zu Bestrafende auch ein Mensch ist, derebenfalls zum rechten Gebrauche seines freien Willens geführt werden soll, und daß leichtlichein arglistiger und rachgieriger Dämon sein Fleisch so und so beherrsche und also aus demsonst vielleicht ganz harmlosen Menschen ein wahres Scheusal zeihe![078,11] Daher muß ein jeder übertriebene Eifer selbst in der besten Sache so langehintangehalten werden, bis er jene bescheidene Reife erlangt hat, die alles mit einer ruhigenund liebevollen Überlegung und klugen Berechnung unaufhaltsam und beharrlich ins Werk zu

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setzen trachtet mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln, und zwar mit steter Berücksichtigungjenes lebendigen Gegenstandes in allen seinen Stadien und Verhältnissen, den sie zubehandeln hat.[078,12] Daß Mir euer Institut, wie es nun noch ist, sicher nicht gefallen kann, daswirst du nun wohl aus allen Lebenswurzeln heraus einsehen! Aber stünde es noch auf hundertschlechteren Prinzipien, als es nun steht, so wäre es ebenso unklug, es plötzlich zuverdächtigen und zu vernichten, als so man nun Jerusalem oder das vielfach arge heidnischeRom in einem Nu von der Erde schaffete.[078,13] Trachte du demnach von nun an nur dahin, daß so nach und nach, wie sichdie Sache gewisserart von selbst gibt, alles Falsche aus eurem Institute entfernt werde, so wirdnach und nach das Institut und das ihm anhängende Volk gebessert sein der vollen Wahrheitnach! Würdest aber du nun mit deinen Gefährten gleich das Oberste zuunterst und dasUnterste zuoberst kehren wollen, so würden dich die gar vielen Institutsgenossen fürwahnsinnig und aberwitzig erklären und dich auf jede mögliche Weise dem Institute, das siefür höchst zweckmäßig eingerichtet betrachten, unschädlich zu machen trachten, und dirwürde dadurch alle Gelegenheit benommen, nur so ganz sachte und unbemerkt alles Falscheaus dem Institute zu entfernen und an seine Stelle die vollste Wahrheit zu stellen.“

79. Kapitel[079,01] (Der Herr:) „Du hast an Mir hier ja selbst das sprechendste Beispiel! Dukennst nun Mich, Meine Lehre und die wahre Lebenstendenz derselben. Du kennst auchMeine Macht, mittels welcher Ich diese ganze Erde ebenso schnell und so leicht ins Nichtsumgestalten könnte wie zuvor jenen dir wohlbekannten alten Felsen im Meere! Aber damüßte Ich Mir am Ende ja Selbst zurufen: ,So Du nichts statt einer Welt voll DeinerHerzenskinder haben wolltest, denen Du ihre Natur und Beschaffenheit gabst, so hättest Du jalieber gleich anfangs gar keine Erde ins Dasein rufen sollen!‘ Aber die Erde und dieMenschen sind nun einmal da, und es heißt dann, alles mit aller Liebe und Geduld erhaltenund leiten nach der Weisheit aus Gott, damit da von allem, was diese Erde trägt und in sichselbst enthält, auch nicht ein Sonnenstäubchen groß verloren gehe![079,02] Ja, Ich sage es dir: die Mir allerwiderwärtigsten und sicher schlechtestenMenschen auf der ganzen Erde sind offenbar die Pharisäer und Schriftgelehrten zu und inJerusalem; aber bevor Ich sie richte und ans Kreuz hängen lasse, eher noch will Ich dasselbevon ihnen an Mir Selbst tun lassen!“[079,03] Da springt Roklus ordentlich auf und sagt: „Nein, nein, Herr und Meister!Das hieße die Geduld viel zu weit ausdehnen! Wegen der Handvoll Lumpen zu Jerusalem –wenn sie auch alle zu nichts aufgelöst würden – wird das Reich Gottes weder auf dieser Erdeund noch weniger jenseits je irgendeinen Schiffbruch erleiden; daher hinweg mit derschwarzen Drachenbrut, und Du bleibest!“[079,04] Sage Ich: „Wie du diese Sache nun verstehst, also redest du auch! Dochnach etwa drei Jahren, von nun an, wird dich dein eigener Geist eines andern und Bessernbelehren; darum lassen wir nun das und bereiten uns zum Abendmahle vor! Dieser Tisch wirdetwas verlängert werden, und ihr, nun mit Ruban dreizehn an der Zahl, werdet daran schonganz gut Platz finden und ein Bild eines künftigen Abendmahles darstellen, das mit Meinemletzten auf dieser Erde eine entsprechende Ähnlichkeit haben soll!“[079,05] Sagt Roklus: „Herr und Meister! Du wirst nun auf einmal mystisch undrätselhaft; woher und warum das?“[079,06] Sage Ich: „Freunde, Ich hätte euch noch gar vieles zu sagen; aber ihrkönntet es nun noch nicht ertragen! Wenn aber nach jenem letzten Abendmahle der HeiligeGeist in eure Herzen fahren wird, so wird er euch in alle Fülle der lebendigsten Wahrheitleiten, und du wirst dann erst ganz verstehen, was Ich nun zu dir geredet habe. – Aber nunkommt Markus schon mit den Schüsseln; daher ordnen wir uns zum fröhlichen Abendmahle!Euer Tisch ist bereits fertig und gedeckt.“[079,07] Mit diesen Meinen Worten macht Roklus eine tiefe Verbeugung vor Mir,geht dann zu seinen Freunden und Gefährten hin und sagt: „Vom Fortgehen nun ist keine

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Rede, wir müssen zuvor das Abendmahl, das soeben aufgetragen wird, und zwar amHerrentische dort, mitmachen! Der Herr und Meister will es also haben, und da findet keinAblehnen statt! Darum kommt nun schnell mit mir und nehmet mit mir Platz am freienTischteile dort, wo die Herren bereits schon lange sitzen!“[079,08] Sagt Ruban: „Oh, das wird sich eben nicht gar zu absonderlich gut für unsausnehmen! Wir Nichtse neben dem Großherrn aller Herren der Erde!“[079,09] Sagt Roklus: „Nehme sich die Sache aus, wie sie wolle! Der Herr undMeister über alle Dinge will es einmal also, und wir haben nichts anderes dabei zu tun, als zugehorchen, und das mit dem freudigsten Herzen von der Welt! Daher gehen wir, auf daß daniemand auf uns warte! Zugleich aber habe ich auch schon im Ernste einen recht tüchtigenHunger und freue mich so recht von Herzen auf ein recht reichliches und sehr wohlbereitetesMahl! Auch ganze Krüge und große Becher voll Weines sehe ich mit den Speisen auf dieTische setzen, und der holde Junge scheint besonders für unsern Tisch recht viel Sorge zutragen; daher gehen wir nur schnell hin!“

80. Kapitel[080,01] Auf diese Anrede des Roklus begeben sich nun alle hin zum für siebestimmten Tische, machen vor der hohen Gesellschaft eine dreimalige Verbeugung, undRaphael weist sogleich einem jeden seinen Platz an und setzt sich am Ende als vierzehnter zuihnen an den neuen Tisch. Roklus ersieht vor sich eben jene Speise, die ihm unter allen fürsein Leben die liebste war; es war ein gebratenes Lamm mit der Beispeise, bestehend in denallerbesten und vollkommen reifsten Pomeranzen. Er konnte sich da nicht genug verwundern,wie möglich man in der Küche gar so genau seinen Geschmack hatte erraten können. Aber erermahnte sich bald und bedachte sich, in welcher Gesellschaft er sich befinde, und daserklärte ihm alles. Ebenso bekam ein jeder der dreizehn Gäste gerade das, was er seineLieblingsspeise mit allem Fug und Recht nannte; nur Raphael hatte vor sich auf einer großenSchüssel acht große und sehr wohlzubereitete Fische, mit denen er, wie bekannt, nicht vielSäumens machte, was den dreizehn sehr auffiel.[080,02] Und der Roklus konnte sich nicht enthalten, den vermeinten Jüngling ganzfreundlich zwar, aber dabei doch sehr verwundert zu fragen, wie es ihm denn wohl möglichwäre, acht so große Fische so hastig und so schnell zu verzehren, und ob er nun noch etwasessen könnte.[080,03] Und Raphael erwiderte auch ganz freundlich lächelnd: „Oh, nur her nochmit zehnmal soviel, und ich werde mit ihnen ganz leicht und ohne alle Anstrengung fertigwerden; aber ich bin nun auch mit diesen ganz gut und vollkommen gesättigt!“[080,04] Sagt Roklus: „Dein Magen muß in deiner Kindheit überschoppt wordensein, sonst könnte ich mir das unmöglich erklären! Kannst du mir vielleicht auch mein Lammverzehren helfen? Denn sieh, ich habe da mit einem achten Teile mehr als übergenug!“[080,05] Sagt Raphael: „Nur her damit, ich werde mit sieben Achteln ganz leichtfertig!“[080,06] Roklus, der nur einen hintern Fußkeil zum Verzehren nahm, gab allesandere dem Raphael, und dieser war mit Fleisch und Knochen in einem Augenblicke fertig.[080,07] Das nun war dem Roklus denn doch ein wenig zu bunt, und er sagte ganzverdutzten Angesichtes: „Nein, du mein sonst allerholdester und allerweisester Junge, dasgeht bei dir durchaus nicht mit natürlichen Dingen zu! Ich wollte vom Verzehren desFleisches im Grunde gar nichts sagen; aber daß du über einen Wolf auch mit Knochen, diedoch sonst kein Mensch genießt, so schnell fertig warst, – weißt du, das geht bei mir nunschon ins Dunkelblaue über, und du mußt mir jetzt diese Sache schon näher erklären!“[080,08] Sagt Raphael: „Nun, so gib mir einen Stein, und du sollst da auch deinWunder sehen![080,09] Roklus hob schnell einen recht tüchtigen Stein vom Boden und gab ihn demRaphael.[080,10] Dieser aber sagte: „Sieh nun her, ich werde auch diesen Stein verzehren wieein allerbestes Stück Brot!“

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[080,11] Hierauf nahm Raphael den Stein, führte ihn zum Munde, und wie der Steinmit dem Munde Raphaels in Berührung kam, verschwand er auch aus dem irdischen Dasein![080,12] Als Roklus und seine Gefährten solches sahen, entsetzten sie sich, undRoklus sagte: „Nein, junger Freund, mit dir ist nicht gut Gast sein; denn am Ende könntest dudich auch über deine Mitgäste hermachen! Erlaube du mir die ganz zarte Bemerkung, durchdie ich dir nichts anderes kundtun will als das: Willst du auch uns fressen, so tue das liebergeschwinde, auf daß wir auf unsern Untergang nicht lange ängstlich zu harren haben! Nein,ich wollte von den acht Fischen größter Gattung, die Galiläas Meer in sich faßt, nichts sagen,auch von meinen sieben Achteln Lamm samt Knochen nichts, obwohl das schon – erlaube esmir – eine ganz entsetzliche Freßabnormität ist; aber das Verzehren des wenigstens bei zehnPfund schweren Steines ist ein Etwas, das uns alle mit völlig gerechtem Entsetzengefangennehmen muß! Wo soll diese Geschichte denn am Ende hinaus? Uns zwar geht daswenig oder gar nichts an; aber, obschon du im Namen aller Götter alle Berge der Erdeverschlingen kannst, wir wollen gerade dennoch nicht Zeugen von deiner ungeheurenGefräßigkeit sein! Verstanden, mein lieber junger Vielfraß?“

81. Kapitel[081,01] Sagt Raphael: „Mein Freund, du mußt also reden, weil du mich nichtkennst; würdest du mich kennen, so würdest du das alles so natürlich finden, als wie natürlichdu es findest, daß du nur deinem Hunger nach kaum einen achten Teil des Lammes verzehrthast![081,02] Ich bin wohl auch ein Mensch wie du, und es fehlt mir vorderhand keinSinn und kein Glied auch dem Leibe nach; aber mein Leib ist ein ganz anderer als der deine;deiner ist noch sterblich, der meine nicht! Du kannst als Seele und Geist deinen Leib nichtausziehen, wann du willst, ihn auflösen und im Nu verwandeln in dein geistiges Element; ichaber kann und vermag das wohl. Ich bin so ganz eigentlich pur Geist, trotz dieses meinesScheinleibes; du aber bist noch nahezu pur Fleisch und wirst noch sehr zu tun bekommen fürdich selbst, bis du dich als eine reife und freie Seele in deinem Fleische zu fühlen anfangenwirst.[081,03] Hast du etwas gegessen, so braucht es eine Zeit, bis das Gegessene zumBlute und Fleische in deinem Leibe wird, und du weißt es nicht und nimmer, wie solcheVerwandlung in dir zugeht. Du kennst deines Leibes organischen Bau nicht demallerkleinsten Teile nach; mir aber ist jedes Atom meines und auch deines Leibes derartallerhellst bekannt, daß es in der ganzen Welt nichts Helleres geben kann! Denn ich muß mirdiesen meinen nunmaligen Leib von Atom zu Atom, von Nerv zu Nerv, von Fiber zu Fiberund von Glied zu Glied selbst bilden und erhalten; du aber weißt es von Anbeginn an nicht,aus was dein Leib besteht, und wer ihn gleich fort und fort bildet und erhält.[081,04] Dein Leib ist ein gezeugter, geborener und wider dein Erkennen und widerdeinen Willen gewachsener, – der meine ein erschaffener nach meinem Erkennen undWollen! Dein Daseinsbewußtsein ist noch ein Schlaf, und dein Wissen, Erkennen und Wollenist ein Träumen in deinem Daseinsschlafe; ich aber befinde mich im hellsten undallerwachesten Leben des vollkommensten ewigen Lebenstages. Ich weiß, was ich rede undtue und kenne davon den wahren und tiefsten Grund, – und du weißt nicht einmal wie, durchwas und warum allerlei Gedanken in dir entstehen! Und so denn weiß ich auch, warum ich,solange ich unter den Sterblichen wandle, um ein bedeutendes mehr Speisen zu mir nehmenkann und muß als du und alle deine Gefährten zusammen. Ja, ich kann dir den Grund davonjetzt noch gar nicht klarmachen, weil du solchen mit deinen gegenwärtigen Kenntnissen garnicht fassen würdest; aber es wird später schon eine Zeit kommen, in der du alles das gar gutfassen und begreifen wirst, was ich dir nun nur so hingeworfen habe.[081,05] Aber daß du mir zumutest, ich möchte wegen meiner zu großen Freßgiermich am Ende gar auch an euch gleich einer Hyäne oder gleich einem Wolfe vergreifen, dasist ein wenig läppisch von dir! Ich meine, daß meine geistige Bildung und meine für euchersichtliche Weisheit euch doch eines Bessern belehren sollte! Ich kann nicht nur einen Steinalso verzehren, wie ihr euch nun überzeugt habt; das Manöver könnte ich auch mit ganzen

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Bergen und Weltkörpern ausführen, wozu ich eine hinreichende Macht besäße! Allein, wäreich unweise und würde die Macht haben, die mir eigen ist, dann würde ich handeln nachirgendeiner blinden Leidenschaft, und ihr wäret an meiner Seite dann freilich eures Daseinsund Lebens nicht sicher! Aber die urewige Weisheit Gottes, aus der eigentlich mein ganzesWesen gebildet ist, gebietet mir vor allem die Erhaltung aller durch die Kraft und AllmachtGottes erschaffenen Dinge, von denen ewig kein Atom verlorengehen darf, auch nichtverlorengehen kann, weil Gottes Wille und Sein allsehend Lichtauge gleichfort den ganzenewigen und unendlichen Raum vom Größten bis zum Kleinsten klein durchdringt unddurchwirkt; und so ist deine Furcht vor meiner von euch vermeinten Freßgier eine völlig eitle!– Hast du, Roklus, diese Worte wohl in ein wenig nur verstanden?“[081,06] Sagt Roklus: „Von einem eigentlichen Verstehen kann da keine Rede sein;aber so viel entnehme ich daraus, daß wir an deiner Seite für unsere Existenz gerade nichts zubefürchten haben, und das ist schon sehr viel für uns vorderhand! Aber wohin verschlingst dudenn solche Massen? Hast du denn so eine Art Straußenmagen, der meines Wissens etwaauch die härtesten Steine verdaut? Sogar die härtesten Metalle sollen für ihn eine ordentlicheLieblingskost sein! Aber sei ihm nun, wie ihm wolle, – du bist und bleibst einmal einwundersames Wesen![081,07] Die Juden reden von gewissen urgeschaffenen Himmelsboten (Engeln), wirGriechen und Römer haben unsere Genien und die sogenannten Halbgötter; vielleicht bist duso ein verkappter Engel oder zum mindesten so ein Genius oder Halbgott?! Es ist mir füreinen Erdenmenschen auch dein ganzes Aussehen zu zart und subtil; denn es könnte keinenoch so keusche Vestalin bezüglich der körperlichen Zartheit und Schönheit mit dir einenVergleich aushalten. Du bist mir schon früher sehr aufgefallen, und ich irrte mich nicht, so ichdich geheim gleichfort für eine Art zauberisches Phantom hielt! Es kam mir immer vor, alswärest du einerseits denn doch etwas, anderseits aber doch sonst nichts als nur so ein redendesLichtbild eines allerhöchsten Gottwesens, das dir nur für eine bestimmte Zeit Form, Bestandund die nötige Weisheit und Macht verleiht. Bist du ihm aber nicht mehr nötig, dann ist esaber auch vollkommen aus mit dir! – So wenigstens habe ich in mir gedacht, gefühlt undempfunden.“[081,08] Sagt Raphael: „Bis aufs vollkommene Aussein mit mir bist du der Wahrheitso ziemlich nahe gekommen! Nur mit dem völligen Aussein mit mir hat es einen unendlichstarken Haken; denn siehe, dir nicht begreifbar lange früher, als je noch eine Welt imendlosesten Raume zu schweben und zu leuchten begann, war ich schon ein ganz vollendeterDiener des allerhöchsten Geistes Gottes! Das bin ich noch und werde es auch für ewigbleiben, wenn vielleicht etwas verändert nach dem Maße des Herrn, dem nach nun wohl allenoch so vollendeten Geister streben und fortan streben werden. Aber darum werde ichdennoch stets das verbleiben, was ich bin, nur in einem noch vollendeteren Maße, auswelchem Grunde ich mich denn nun auch in diese Vorschule des materiellen Lebens begebenhabe durch die Gnade des Herrn. Aber für jetzt bleibe ich noch, wer, wie und was ich bin! –Hast du mich jetzt schon ein wenig besser verstanden?[081,09] Sagt Roklus, ganz große Augen machend: „Ah so, nun ja, wie ich's mirgedacht habe! Du bist also – wie man sagt – nur ein AD INTERIM scheinverkörperter Geist,und zwar aus den Himmeln, hier, um dem Herrn der Herrlichkeit zeitweilig zu dienen und inVollzug zu bringen Seinen Willen?! Ja, so, aha, aha, ja, da ist freilich wohl ein ungeheurerUnterschied zwischen uns, und es läßt sich mit dir so ganz eigentlich kein irdisch Wort mehrreden!“[081,10] Fragt Raphael schnell: „Und warum denn nicht?“[081,11] Spricht Roklus, nun ein ganz ernstes Gesicht machend: „Ich mute es deinersicher unbegrenzten Weisheit zu, daß du den Grund auch ohne meine wenig sagendeErklärung noch besser einsehen wirst als ich; aber weil ihr geheimnisvollen Geistwesen vonuns armseligen, sterblichen Menschen denn schon stets eine Entäußerung verlanget, so mußich dir's sagen, – ob du auch ohnehin schon ein jedes Wort zum voraus weißt, das ichaussprechen werde! Und so wolle mich vernehmen:[081,12] Es gibt auch auf dieser Erde gewisse Verhältnisse und Stände, die

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nebeneinander sich nie löblich ausnehmen. So ist zum Beispiel ein Maulwurfshügel nebendem hohen Ararat sicher ein sehr lächerlich mißliches Verhältnis, ein Schweinestall nebendem Kaiserpalaste in Rom, ein Fliegenhaus neben einer ägyptischen Pyramide, eine Mückeneben einem Elefanten, ein Tropfen Wassers neben dem großen Weltmeere! Aber dieseerwähnten Verhältnisse nehmen sich noch um vieles besser aus als das Verhältnis zwischenuns und dir; auch ein nächtlich schimmerndes Leuchtwürmchen neben der Sonne nähme sichnoch offenbar besser und behaglicher aus! Was ist meine Rede vor dir? Ein allerdümmstesDreschen eines vollkommen leersten Strohes; denn das, was ich dir nun sage, hast du schonvor einer ganzen Ewigkeit von Wort zu Wort gewußt! Aber ich rede hier nicht deinet-,sondern meinet- und meiner Gefährten wegen, auf daß sie es laut erfahren, wie ich in dieserunserer Stellung nun denke! Gleiches taugt zum Gleichen: der gemeine Mensch zumgemeinen Menschen und der Hohe und Mächtige zum Hohen und Mächtigen.[081,13] Die Waage gibt uns hier das richtigste Maß. Ein Sonnenstäubchen hat sicherauch noch irgendein Gewicht, ansonst es mit der Zeit nicht zur Erde fiele. Aber müßte danicht sogar ein wirklicher Ochse zum Lachen kommen, so jemand vor seinen Augen einSonnenstäubchen gegenüber von zehntausend Pfunden auf die Waage legte, um zu sehen, umwieviel das Stäubchen leichter ist als das große Gewicht von zehntausend Pfunden?! Und alsoist es, daß du zu unserer Gesellschaft ebensowenig taugst wie wir zu der deinigen.[081,14] Du bist nach der Juden Schrift einer der Größten im Himmel, und wirstehen auf dieser Erde noch kaum am Rande des Wiegenlebens, und es geht uns noch ganzentsetzlich viel ab, bis wir nur auf dieser Erde das geistige Mannesalter erreichen werden! Wirbitten dich darum, daß du uns verlassest, weil wir uns nun an deiner Seite zu sehr für nichtsansehen müssen! Du kannst bei uns sicher nichts gewinnen und wir bei dir im Verhältnisse,was du bist und zu leisten imstande bist, auch soviel als nichts!“

82. Kapitel[082,01] Sagt Raphael: „Daß ich in eurer Gesellschaft bin, ist nicht mein, sonderndes Herrn Wille, und dem müssen wir ebensogut gehorchen wie ihr und alle erschaffenenWesen, welcher Art und Gattung sie auch sein mögen. Ein kleiner Unterschied besteht nurdarin, daß wir dem Willen des Herrn nicht als Blinde, sondern als Sehende gehorchen,während alle andere Kreatur dem Willen des Herrn ganz blindlings gehorchen muß.[082,02] Und zwischen mir und euch aber besteht der Unterschied, daß ich als einebenfalls mit freiestem Willen begabter Geist den Willen des Herrn ganz wie zu meinemhöchst eigenen gemacht habe; ihr aber habt bisher noch kaum erkannt, daß es einen Herrngibt. Von der Erkenntnis Seines Willens kann nun doch noch keine Rede sein; denn diesenwerdet ihr erst aus jener Schrift näher kennenlernen, die ich selbst euch früher nach demWillen des Herrn zusammengeschrieben und euch übergeben habe.[082,03] Habt ihr daraus den Willen des Herrn vollends erkannt, ihn in eure Herzenaufgenommen, und werdet ihr dann nur allein nach diesem neuen Willen in euch tätig sein, sowird zwischen euch und mir aber dann auch gar kein Unterschied sein; im Gegenteil, ihrwerdet nur noch Größeres zu leisten imstande sein, weil ihr den Weg des Fleisches schondurchgemacht habt, während solcher mir noch einmal durchzumachen bevorsteht, wenn auchich meine nunmalige pure Gottesdienerschaft mit der Gotteskindschaft umgetauscht habenwill. Ich wollte nun lieber schon das sein, was ihr seid; aber es kommt da allein auf denWillen des Herrn an, wie, was und wann Er es will![082,04] Ich aber verlange das nicht, obwohl ich es wünsche; denn ich bin auch alsofür mich im höchsten Grade glücklich und kann nichts als ,Heilig, heilig, heilig!‘ singen Dem,der nun Mensch mit Fleisch geworden ist, um alle Menschen dieser Erde und alle Bewohnerder Himmel umzugestalten zu Seinen Kindern, – das heißt, so die Bewohner der Himmelsolches wollen und den Herrn darum bitten in ihrem Herzen! Denn auch in den Himmelnschlagen zahllose Herzen Gott dem Herrn voll der heißesten Liebe entgegen und finden auchstets die Gewährung ihrer Bitten.[082,05] Das aber merke dir vor allem ja höchst wohl: Je mehr des erkanntenreingöttlichen Willens du in dein Herz als unablässige Richtschnur deines Lebens – in dein

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Herz, wohlverstanden – aufgenommen hast, desto wunderbar mächtiger werden dieWirkungen deines Willens aus Gott sein![082,06] Das Wissen, Erkennen und das Loben des erkannten göttlichen Willensnützt dir gar nichts; denn es ist das alles ein leerer Beifall alles des großartigen undwunderbaren Geschehens vor deinen Augen. Du erkennst daran das Gute, Schöne undErhabene und weißt es recht gut, daß es von dem Erkennen und Wollen des Künstlersausgeht. Setzen wir aber den Fall, du hättest auch die Kenntnisse davon, aber natürlich beiweitem den Willen des Künstlers nicht dazu, – würdest du mittels des Erkennens allein wohletwas leisten? Oder du hättest zwar wohl so ungefähr des Künstlers Willen, aber seineEinsicht und durch Mühe und Fleiß errungene Fertigkeit nicht, würdest du da auch etwas zuleisten imstande sein?[082,07] Ich sage dir: Da muß ein wahrstes Erkennen, ein von Gott ausgehenderfester Wille und eine große Fertigkeit in der Anwendung desselben vorhanden sein! Sodannkannst du freilich zu einem oder dem andern Berge sagen: ,Hebe dich und stürze dich insMeer, da es am allertiefsten ist!‘, – und es wird unfehlbar geschehen, was du gewollt hast![082,08] Aber mit dem Erkennen und mit dem festen Wollen allein ist nichts odernur sehr wenig ausgerichtet! Die Fertigkeit in der Anwendung des Willens Gottes im eigenenHerzen erlangt man aber einzig durch die Macht der reinen Liebe zu Gott und dadurch zumNächsten; denn solche allein rechte Liebe schafft in der Seele den lebendigen Glauben undein unerschütterlich allerfestestes Vertrauen, ohne das auch der Allergeläutertste nichts odernur wenig vermag.

83. Kapitel[083,01] (Raphael:) „Ich setze hier den beispielsweisen Fall, du wolltest einemBlinden das Augenlicht wiedergeben durch die Kraft des göttlichen Willens in dir, möchtestaber danebst doch so nur ein wenig am Gelingen zweifeln, so ist das schon überaus gefehlt;denn darauf wird der Blinde nicht zu seinem Augenlichte gelangen. Wenn du dich aber in derLiebe zu Gott allermächtigst erregst, so wird dieses höchste Liebe- und Lebensfeuer nicht nurdeine Seele selbst allermächtigst beleben, sondern es wird geistig weit über deine Formsphärehinausdringen mit einer unwiderstehlichen Allgewalt und wird dort ganz konzentriert wirken,wo dein Gotteswille natürlich mit aller Weisheit und Klugheit etwas ergriffen hat. Wird dadann der Blinde von deinem Gotteswillen ergriffen und sogleich in den Brennpunkt derallmächtigsten Liebe Gottes, deren deine Seele voll ist, gestellt, so muß er ja auchaugenblicklich als vollkommen sehend dastehen; denn im höchsten Liebe- und Lebenslichteund -feuer aus Gott muß jeder Tod weichen, auch der eines lichtabgestorbenen Auges, dasnatürlich ohne Licht so gut tot ist wie der ganze Leib ohne Odem und Pulsschlag. Dadurch istdann auch die Erweckung eines Verstorbenen augenblicklich ermöglicht; denn wenn der deinHerz erfüllende göttliche Wille und dessen Weisheit einer Wiedererweckung irgendeinesVerstorbenen nicht entgegen sind, so brauchst du den Toten nur unter den Brennpunkt deinerLiebe zu Gott dem Herrn zu stellen, und er lebt vollkommen wieder![083,02] Das aber braucht für euch Menschen eine starke Mühe und ausharrlicheÜbung; denn man muß das Herz wohl im höchsten Grade also beugsam machen, auf daß essich in jedem Augenblicke beliebig ins höchste Vollmaß der Liebe zu Gott stürzen kann.Kann es das, dann ist der Mensch als Mensch auch vollendet, und es muß da geschehen, wases, aus Gott heraus, will! Willst du also ausgerüstet eine Welt erschaffen, so muß sie da seinnach deinem Gotteswillen und nach der Macht der göttlichen Liebe, deren Vollmaß dein Herzin ein höchstes Lebensfeuer und deine Außenlebenssphäre in ein höchstes, weithinleuchtendes und wirkendes Lebenslicht versetzt. Was da dein aus Gott weises Erkennendeinem Willen vorzeichnet, das wird aus der Substanz deines mächtigst ausströmendenLiebelebenslichtes auch gleich in die von dir zuvor durchdachte und wohlerkannte Form sichfügen, und in wenigen Augenblicken hast du dann sogestaltig eine ganze Welt vor dir, die dudann sogar fixieren und erhalten kannst, so du im reinsten Vollbesitze des göttlichen Willensund der göttlichen Liebe bist.[083,03] Natürlich aber kannst du schon gleich uranfänglich zum Vollbesitze des

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göttlichen Willens in dir nicht gelangen, so du zuvor nicht Gott in dein Herz durch die reine,wahre, alles andere ausscheidende Liebe in aller Fülle aufgenommen hast; denn ist Gott nichtvöllig in dir, so kann Er auch nicht völlig in dir wollen.[083,04] Gott über alles aus allen Lebenskräften lieben aber ist eben nicht so leicht,wie du es dir vorstellst! Dazu gehört vor allem ein nach den Mosaischen Gesetzenvollkommen reiner Lebenswandel. Wo dieser durch allerlei unordentliche Lebensfehler(Sünden) zerstört wurde, da litten notwendig alle die zum Leben erforderlichen Kräfte, diedadurch vermateriesiert und somit wie völlig totgemacht wurden.[083,05] Ein auf solche Weise lebensverkrüppelter Mensch kann dann Gottunmöglich aus allen seinen ordentlichen Lebenskräften über alles lieben, weil solche oftschon mehr denn zu zwei Drittel tot sind. Ein solcher Mensch muß dann durch eine oftmehrere Jahre lange allereifrigste Selbstverleugnung aller seiner alten Leidenschaften undGewohnheiten die erstorbenen Lebenskräfte in sich neu beleben und so erst nach und nach indie höchst möglichste Liebe zu Gott übergehen, was natürlich für einen schon sehrverweltlichten Menschen keine leichte Aufgabe ist![083,06] Denn wenn schon ein ganz gesunder Mensch beim Besteigen eines hohenGebirges sich sehr abmüht und ihm die Sache sehr beschwerlich vorkommen muß, umwieviel mehr einem Gichtbrüchigen, der noch kaum die Fähigkeit besitzt, sich in der Ebeneauf Krücken fortzuschleppen! Wenn es aber ein gichtiger Mensch dennoch sehr ernst wollte,einen hohen Berg zu ersteigen, so müßte er sich vor allem nach einem sehr gesunden undstarken Führer umsehen, der ihm gehörig unter die Arme greifen könnte; der Gichtbrüchigewürde die Besteigung des hohen Berges sicher dann mit vielem Nutzen durchmachen.[083,07] Er würde zwar dabei in einen starken Schweiß geraten, und das, je höher,desto stärker; aber dadurch würde er seine alten Glieder vom Gichtstoffe befreien und dieabgestorbenen Teile wieder beleben und so am Ende die höchste Spitze des Berges, freilichnach einer mehrtägigen, mühevollen Reise, schon völlig gesund erklimmen. Aber welch einfabelhafter Entschluß für einen Gichtbrüchigen gehörete dazu, sich zum Beispiel nach derhöchsten Kuppe des Ararat zu begeben! Dieses aber wäre immer noch leichter als für einenrecht verweltlichten Menschen die Besteigung des geistigen Gebirges, das da heißet:vollkommene Demut und gänzliche Selbstverleugnung![083,08] Du machst da freilich große Augen und sagst bei dir selbst: ,Na, na, beidiesen Aussichten werden wohl nur die allerwenigsten Menschen die Spitze der wahrenLebensvollendung auf dieser Erde erreichen, und mit den Wunderwerken wird es fortan seinegeweisten Wege haben!‘ Ja, ja, da sollst du eben nicht ganz unrecht haben; aber es sind indieser Zeit höchst lebenstüchtige Führer bei der Hand, mit deren Hilfe es nun keine gar zuübermäßig starke Aufgabe ist, als ein Seelengichtbrüchiger sich auf des geistigen Ararathöchste Lebensspitze, allertüchtigst unterstützt, führen und geleiten zu lassen.[083,09] Jetzt ist es für jedermann, der nur irgend eines guten Willens ist, einleichtes, sich in alle Lebensvollendung hineinzuarbeiten; denn es hat dem Herrn wohlgefallen,in dieser Zeit nicht nur gar lebenskräftige Führer aus den Himmeln auf diese Erde zu berufen,um durch sie die Menschen vorbereiten, führen und leiten zu lassen, sondern Er nahm SelbstFleisch an und kam, euch gichtbrüchige Menschen zu heilen und euch zu zeigen Seinen reinstgöttlichen Willen, euch zu lehren, Gott über alles und den Nächsten wie sich selbst zu lieben.[083,10] Von nun an kann es für niemand mehr ein Zweifel sein, zu erkennen denganz reinen Willen Gottes und auch zu erfahren, wie man Gott über alles zu lieben hat, undwie man zu solcher Liebe sein Herz erheben kann. Jetzt werden die Wege reinst gezeigt, undwer sie wandeln will, kann nun unmöglich irregehen. Aber in den späteren Jahren undJahrhunderten wird es dann schon wieder schwerer werden, sich mit dem ganz allerreinstenWillen des Herrn zu befreunden; denn es werden neben den rechten Propheten auch vielefalsche Propheten aufstehen, werden in eurer bisherigen Weise Wunder tun und dadurch garvielen ganz falsche Begriffe von Gott und Seinem reinsten Willen sogar mit Zwangbeibringen. Da wird dann eine große Trübsal unter den Menschen dieser Erde entstehen, undkeiner wird dem andern zu einem verläßlichen Führer dienen können, weil der eine sagen undlehren wird: ,Siehe, hier ist die Wahrheit!‘ und ein anderer: ,Siehe, da oder dort ist sie!‘ Aber

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alle, die also schreien werden, werden nicht sein in der Wahrheit, sondern im Falschen überund über![083,11] Es wird aber der Herr dessenungeachtet noch immer von Zeit zu ZeitKnechte erwecken, die jenen, die eines guten Willens sind, den reinen Willen Gottes zeigenwerden also, wie wir ihn nun euch zeigen. Wohl denen, die sich völlig danach richten werden;denn sie werden dadurch eben das erreichen, was ihr nun gar überleicht erreichen könnet! Nurmit der Wundertätigkeit wird es da etwas spärlich aussehen; denn des Herrn Geist wird dieSeinen lehren, damit vorsichtig zu sein, um dadurch nicht ein ganzes Heer von pur falschenPropheten gegen sich zu hetzen und dann mit dem Schwerte mit der Hölle kämpfen zumüssen.[083,12] Die wahren Wahrheitspropheten wird der Herr stets ganz in aller Stilleerwecken, und sie werden wie ganz stille Wasser in der Welt nie einen Lärm noch irgendeinfühlbares Geräusch machen; die aber irgendein Geräusch und einen Lärm machen werden, indenen wird die Wahrheit und das Wort des Geistes nicht sein.[083,13] Die von Gott erweckten echten Propheten werden in aller Stille wohl auchsehr wohl imstande sein, Wunder zu wirken; aber es wird davon die Welt nichts merken,sondern allein dann und wann die wahren Freunde Gottes zu ihrem eigenen stillen Troste.[083,14] Nun geschehen Wunder der verstockten Juden und Heiden wegen, auf daßdann am Ende ja niemand sagen kann, als seien bei der Offenbarung dieser nun ganz neuenLehre keine Beglaubigungszeichen aus den Himmeln geschehen. In jenen späteren Zeitenaber werden die Menschen mehr nach der vollen Wahrheit fragen und nicht so sehr mehr nachden wunderbaren Beglaubigungszeichen, von denen die Weisen sagen werden, daß sie ihnennicht das Weiße für schwarz malen können und die Wahrheit auch ohne die WunderzeichenWahrheit bleibet.[083,15] Du mußt nun aus diesem Gesagten entnehmen, daß ich trotz meinerVielesserei dennoch kein zu fürchtendes Wesen bin, und daß zwischen uns eben kein sogroßer Unterschied obwaltet, als du ihn dir ehedem vorgestellt hast, sondern daß wir nunschon auf einer so ziemlich gleichen Stufe stehen, ja, daß du als nun schon ein Mensch imFleische eine sehr bedeutende Stufe vor mir hast! Sage mir nun, ob ich neben dir mich nochalso ausnehme wie ein Elefant in der Gesellschaft einer Mücke! Soll ich noch, als dir widrig,euch verlassen, oder soll ich als dreizehnter wohl noch etwa verbleiben als Lehrer untereuch?“

84. Kapitel[084,01] Sagt Roklus, der nun den Raphael wieder ganz außerordentlichliebgewonnen hatte: „Oh, bleiben, bleiben! Denn jetzt kannst du eine Welt vor uns verzehren,unsere Liebe wird darum nicht geringer zu dir und unsere Furcht nicht größer vor dir; dennnun wissen wir, wer du bist, und was wir an dir haben.[084,02] Aber nun etwas anderes! Zwar weiß ich, daß du es ohnehin wissen wirst,was ich dir nun sagen werde; aber meine Gefährten wissen es nicht, und dererwegen alleintrage ich dir die Sache laut vor, auf daß auch sie es erfahren, was ich von dir haben möchte! –Sage es mir, ob es dir denn durchaus nicht tunlich wäre, so auch du ein Mitglied unseresInstitutes würdest, auf so lange wenigstens, bis wir zu jener Lebensvollendung gelangeten, dieuns jene Stufe gäbe, deren wir zum wahren Heile der Menschheit gar so nötig hätten!“[084,03] Sagt Raphael: „Das kann vorderhand nicht sein, dieweil ich nun nochanderwärtige Verpflichtungen dem Herrn und den Menschen gegenüber habe! Aber inirgendeinem Notfalle werde ich stets wie gerufen unter euch sein. Übrigens habt ihr dieVerheißung des Herrn, zu wirken in Seinem Namen, – und der allein ist mächtiger alszahllose Myriaden meinesgleichen! An diesen Namen, der da heißet: Jesus = Gottes Kraft,haltet euch, und es müssen Berge weichen vor euch und Stürme und Orkane verstummen,vorausgesetzt, daß euer Lebenswandel ein derartiger ist, daß ihr dieses Namens würdig seid!Denn dies ist Gottes wahrhaftester Name in Seiner Liebe von Ewigkeit, vor dem sich allesbeuget im Himmel, auf Erden und unter der Erde![084,04] Ich meine hier nicht etwa: unter dem Boden dieser materiellen Erde, die im

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ganzen eine Kugel wie ein anderer Planet ist, und unter der, also uns gerade entgegen, esgeradeso Länder, Berge, Seen und Meere gibt wie hier; auch meine ich nicht das Innere derErde, das da ist ein großartiger tierisch gearteter Organismus zur Entwicklung des für einenganzen Weltkörper nötigen Naturlebens; sondern mit dem Ausdruck ,unter der Erde‘bezeichne ich den lebensmoralischen Zustand aller instinktmäßig Vernünftigen auf denzahllos vielen anderen Weltkörpern, auf denen es auch Menschen gibt; aber sie haben gegeneuch Menschen dieser Erde eine nur sehr beschränkte Bestimmung.[084,05] Sie gehören auch zum ganzen endlos Großen und stellen gleichsam dieGlieder einer Kette dar; aber ihr seid die Angeln, die ihr als wahre Kinder Gottes bestimmtseid, mit Gott und mit uns zu tragen die ganze, unendliche Schöpfung Gottes vom Kleinstenbis zum Größten! Und darum ich euch auf oder über dieser Erde gleich nach uns bisherigenBewohnern der Himmel Gottes setze![084,06] So ihr nun auch das ordentlich verstehet, so habt ihr denn auch um so mehrzu achten auf den Namen des Allerhöchsten von Ewigkeit, indem ihr daraus nun gar wohlentnehmen könnet, daß Gott euer Vater und ihr Seine Kinder seid; und wäret ihr das nicht,würde Er wohl zu euch herab aus den Himmeln gekommen sein und euch Selbst erziehen zuSeinen ewig größten Absichten, die Er schon von Ewigkeiten für euch, Seine Kinder,vorgesehen und vorbedacht hat?![084,07] Darum aber sollet ihr nun alle frohlocken über alle die Maßen, daß Er alsder Vater von Ewigkeit Selbst zu euch gekommen ist, um euch ganz dazu zu machen, wozuEr euch schon von Ewigkeit her berufen und bestimmt hat![084,08] So ihr aber unbestreitbar Seine Kinder seid und Er zu euch gekommen ist,ohne von euch Unmündigen berufen worden zu sein, so wird Er von nun an wohl noch eherund sicherer zu euch kommen, wann immer ihr Ihn in der vollen Liebe eurer Herzen rufenwerdet und sagen: ,Abba, lieber Vater, komme, wir haben Deiner not!‘ Ihr habt also dieVerheißung aber aus dem Munde und Herzen des Vaters Selbst bekommen, und ich brauchedarum und also auch keine zweite zu machen. Denn es wird schon diese eine für ewig wahrverbleiben, und ihr könnet daher mich für euer Institut ganz leicht entbehren; denn wo derHerr Selbst wirket, da sind Seine Himmelsboten gar wohl entbehrlich.[084,09] Übrigens aber, so ihr mich dann und wann so als Freund unter euch habenwollet, so brauchet ihr mich nur zu rufen, und ich werde sofort bei euch sein, wenn ihr in derLiebe und Ordnung des Herrn verbleibet. Würdet ihr aber je aus irgend schmutzigen,irdischen Rücksichten die Ordnung des Vaters verlassen, dann natürlich würde ich auch aufein tausendmaliges Rufen nicht zu euch kommen, und selbst des Vaters allmächtiger Namewürde sich als leer und wirkungslos erweisen. Habt ihr nun noch etwas auf dem Herzen, sotraget es vor, und es soll euch Rat geschaffet werden!“

85. Kapitel[085,01] In dem Moment, als Raphael dem Roklus die weitere Konzession erteilt,wie danebst auch seinen Gefährten, ihn, so sie noch etwas auf dem Herzen hätten, nochweiterhin zu befragen, erhebt sich plötzlich ein starker Wind von der Seeseite her undversucht seine Kraft besonders an den nahe am Meere stehenden Prachtzelten des noch unteruns weilenden Ouran. Auch vernimmt man das Geschrei einer Menge von Kranichen, diewüst und in großer Verwirrung in der Luft herumfliegen.[085,02] Die neuen Schiffe im neuen Hafen fangen auch ganz gewaltig zu knarrenan; denn der Wind wird beim sonst heitersten Wetter stets heftiger und heftiger, so daßCyrenius zu Mir sagt: „Herr, der Sturm nimmt von Minute zu Minute zu, und wenn das sofortgeht, so werden wohl auch wir genötigt sein, unsern Standpunkt zu ändern! Die wüstdurcheinanderfliegenden Kraniche bedeuten auch nichts Erfreuliches! Die Tiere müssen durchirgend etwas sehr erschreckt worden sein, ansonst sie nicht ihre nächtliche Ruhestätteverlassen hätten! Nein, nein, es wird bald nicht mehr auszuhalten sein! Der Wind wird immermächtiger und für das Gefühl auch ganz empfindlich kalt! Sollen wir uns etwa doch in dieGemächer des neuen Hauses begeben?“[085,03] Sage Ich: „Solange Ich bei euch bin, habt ihr weder einen Wind, noch seine

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Kühle und auch kein schreiend Getier zu fürchten! In der Luft, wie in der Erde und im Wassergibt es ja eine Menge von ungegorenen Naturgeistern; diese haben ihre Perioden und Zeiten,sich nach ihrer Art tätig zu erweisen, auf daß sie dadurch in eine neue und höhereTätigkeitssphäre zu treten imstande sind.[085,04] Solche naturgeistigen Übergangsperioden sehen dann stets etwasnaturstürmisch aus; das ist alles ebenso notwendig zur Erhaltung und Fortpflanzung desGanzen, wie dir das Atmen zur Erhaltung deines leiblichen Naturlebens im höchsten Gradenotwendig ist. Bist du schnell gegangen und hast dadurch deines Fleisches und Blutes Geisterin eine größere Erregung gebracht, so vereinen sich dann diese und betreten dadurch schoneine höhere Seinsstufe; aber dafür werden die unteren Tätigkeitsstufen gewisserartarbeiterleer, und würden sie nicht schon im nächsten Moment durch neue Arbeiter besetztwerden, so würdest du alsbald wie ganz ohnmächtig dahinsinken und im schnellfortschreitenden und sich auch sehr schnell vermehrenden Untätigkeitszustande der unterenNaturlebensstufen auch ehest das ganze Leibesleben verlieren.[085,05] Siehe, durch des Tages Licht und Hitze sind zahllose Myriaden von den ausder Materie erlösten Naturgeistern in der Pflanzen- und in der Tierwelt in eine höhereSeinsstufe übergegangen, und bei sehr hohen Temperaturen des Tages oft mehr, als da aus dergroben Materie der unterststufigen Naturgeister frei gemacht werden konnten! Und du wirstes gleich merken, wie dabei alles so träge, so lebensunlustig und die Pflanzenwelt welk undoft ganz dürre wird. Der Grund davon liegt darin, daß da viel mehr der Naturlebensgeister ineine höhere Lebensstufe übergegangen sind, als von unten her ihre Stellen haben in dentätigen Besitz nehmen können.[085,06] Es geht die Sache ungefähr also wie bei einem Strome, der nichts als einefließende Wasseransammlung von vielen tausend kleinen Quellen ist. Könntest du also diefünfhunderttausend Quellen des Euphrat versiegen machen, so würdest du sein Bett ganz leerund in kurzer Zeit völlig ausgetrocknet haben. Es treibt da wahrlich ein Keil den andern, underst im vollendeten Menschen haben alle von unterst aufsteigenden Naturlebensgeister ihreEndbestimmung erreicht, das heißt, was da betrifft des Menschen Seele und Geist; aber dasFleisch ist und bleibt noch lange Materie und zerfällt am Ende in allerlei Lebensformen, dieendlich wieder aufsteigen bis dahin, wo ihnen das Ziel gesetzt ist.[085,07] Wenn du das nun so ein wenig überdenkest und beherzigest, so wird dichdieser nun so ziemlich heftig ziehende Wind durchaus nicht wundernehmen, und auch dasGeschrei der Kraniche nicht, die als Vögel auf einer höheren Intelligenzstufe stehen und amersten wahrnehmen, wenn von unten her zu wenig der prinzipiellen Naturlebensgeister in sieaufsteigen.[085,08] Des Tages sehr bedeutende Hitze hat gar viele Naturlebensgeister nachhöher hinauf befördert, und es ist von unten her im allgemeinen ein bedeutender und fühlbarerMangel eingetreten, und zwar gerade in dieser Gegend der Erde; dafür ist aber im Nordostender Erde eben durch den heutigen und auch schon gestrigen und vorgestrigen Tag ein wahresSuperplus der Naturgeister von ganz allerunterst her frei geworden aus der Materie. AmEntstehungs- und Freiwerdungsorte haben sie keine Unterkunft zu gewärtigen und ziehenoder ergießen sich hernach in jene Gegenden, die an ihnen einen bedeutenden Mangelverspüren. Die Wandervögel, und namentlich die Kraniche, besitzen in dieser Beziehung einaußerordentlich gefühlvolles und äußerst empfindsames Leben, nehmen am ersten unter allenTieren sowohl die Überfülle wie auch den Mangel an benannten untersten Naturgeistern wahr,werden unruhig, fliegen auf, und ein jedes sucht in der Luft Schichten, in denen es ein Plusdes Abgängigen findet, das es sich dann durch ein fleißiges Einatmen aneignet und durchsGeschrei kundgibt, daß es das Mangelnde gefunden; dies Geschrei der Kraniche ist demnachsowohl ein Zeichen des Behagens, aber freilich auch des Mißbehagens.[085,09] Dieser Wind zieht nun gerade von Nordosten her und ist durch und durchvollauf gesättigt von jenen hierorts schon sehr in Abgang gekommenen ersten und unterstenNaturgeistern, die die Apotheker den Sauer- oder Salzstoff nennen. Seine Kühle ist darumvorderhand niemandem schädlich, weil sie nur belebend wirkt und unsere schon sehr schlaffgewordenen Glieder stärkt und gar lieblich erfrischt. Dieser Wind aber dauert bei einer Stunde

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lang und wird sich sodann legen, und ihr alle werdet heiter und munter sein, und der Weinund das Brot wird euch schmecken.“

86. Kapitel[086,01] Cyrenius war mit dieser Erklärung vollkommen zufrieden und fragte Michnun bezüglich der Neger, die ihm seit einer Stunde aus dem Gesichte gekommen waren, unddie er auch nicht an irgendeinem Tische hatte nachtmahlen sehen.[086,02] Sagte Ich: „Diese sind, mit allem Nötigen versehen, schon vor mehr denneiner Stunde von hier abgereist und werden nun schon gute drei Stunden Weges von hierentfernt sein! Ich ließ solches der Essäer wegen geschehen, weil diese vor allen gar sowundertatsüchtig sind und sich gleich welche in ihr Institut bestellt hätten, wodurch das Gute,was Ich mit diesem Institute vorhabe, bedeutend hätte vereitelt werden können. An die Stelleeines oder des andern Negers, mit dem wenigstens der sehr weltläufige Roklus baldangebunden haben würde, habe Ich den Raphael hingestellt, der den Scharfverständigensicher zu beschäftigen verstand und ihn noch gleichfort beschäftiget zu seinem Besten undzum Besten des bekannten Instituts und zum Besten der leidenden Menschheit.“[086,03] Sagt Cyrenius: „Ach, ist mir doch recht leid um Oubratouvishar; denn daswar wirklich ein Ausbund von einer menschlichen Naturweisheit! Ich möchte nur dabei seinund sehen den Justus Platonicus, wenn der Oubratouvishar in Memphis zu ihm kommen undihm sicher genau kundgeben wird, was alles er hier erlebt hat!“[086,04] Sage Ich: „Na, da würdest du alles das, was hier in den etlichen Stunden desHierseins der Neger sich zugetragen hat, und was da gesprochen wurde, auf ein Haar richtigund genau wiedererzählen hören! Denn diese Art Menschen haben fürs erste ein sehr starkesGedächtnis, und fürs zweite – was eine große Hauptsache ist – kennen sie die Lüge nicht undhaben keinen Hinterhalt; daher werden sie dem Obersten von Memphis auch nichts verhehlen.Im übrigen hast du immerhin ein schönstes und kostbarstes Angedenken von ihnen, nämlichden großen Diamanten, der einen unschätzbaren Wert hat für diese Welt.[086,05] Aber da Ich schon des Steines erwähnt habe, so muß Ich dir auch etwas vonder besonderen Eigenschaft dieses Steines kundgeben. Weil der Stein eine überausspiegelglatte Oberfläche hat, so entwickelt sich auf seiner Oberfläche auch gleichfort eine Artelektromagnetisches Feuer, oder für dich nun verständlicher gesagt: es spielen um seineüberglatten Flächen gleichfort eine Menge Naturgeister der edelsten Art. Sie drängen sichhaufenweise hin und umlagern ihn nach allen Seiten und erzeugen durch ihre beständigeTätigkeit auch ein gewisses, besonderes Leuchten seiner Flächen, was diesem Steine dennauch in den Augen der Menschen einen besonderen Wert verleiht.[086,06] Einen nahezu gleichen Wert hat aber auch der Urim (Rubin), der auch eineAbart des Diamanten ist; nur ist der Diamant ein schwer trennbares, trugloses Bündel voneiner Äone Weisheitsnaturgeistern, daher auch seine überaus große Härte, – während derUrim ein Bündel von Naturliebegeistern ist, daher er auch rot ist, etwas weniger Härte hat undum seine Flächen, besonders wenn er sehr gut und sehr fein geglättet ist, sich stets eine großeMenge von Naturliebegeistern scharen, was denn auch diesem Steine einen ganz besonderenLichtglanz verschafft, der nicht selten sogar in einer stockfinsteren Nacht noch, einer mattenGlut gleich, sogar dem fleischlichen Auge ersichtlich ist.[086,07] Wenn du nun die erwähnten zwei Steingattungen an die Brust hängst, sosetzest du dadurch eine Menge Naturliebe- und Naturweisheitsgeister mechanisch in dienächste Verbindung mit deiner seelischen Außenlebenssphäre; diese Geister werden da vondeinem seelischen Lebensdufte angeregt, werden sehr tätig und erzeugen dadurch in deinerSeele ein größeres Licht, in welchem Lichte der Naturgeister Spezialintelligenzen denn auchin der Seele einen spiegelartigen Reflex erzeugen, wodurch die Seele momentan in einhöheres und tieferes Wissen übergehen muß und auf diese Art hellersehend wird denn sonst inihrem diesirdischen Normalzustande.[086,08] Aus dem Grunde hat denn auch schon Moses durch seinen Bruder Aarondem Oberpriester die Thummim- und Urim-Tafeln auf der Brust zu tragen anbefohlen, undzwar zur Zeit seiner Amtshaltung, allwann er dann auch zu weissagen imstande war.

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[086,09] Aber von nun an wird anstatt der erwähnten Tafeln die wahre Liebe zu Gottund ihre Weisheit dasselbe bewirken, und das in einem viel höheren und lebendigeren Maße;aber ungeachtet alles dessen habe Ich dir bloß nur die besondere Eigenschaft dieser erwähntenbeiden Edelsteingattungen deines Wissens wegen kundgegeben.“

87. Kapitel[087,01] (Der Herr:) „Es könnte eine solche Eigenschaft und Wirkung auch beianderen Körpern erzielt werden, so sie zu einer außerordentlichen Glätte könnten gebrachtwerden; da aber solches bei den andern Körpern wegen ihrer zu geringen Härte nicht wohltunlich ist, so können dafür nur der Thummim und Urim verwendet werden. Die altenÄgypter wußten gar wohl darum und verwendeten diese beiden Steingattungen auch zu demZwecke. Es trugen darum die alten Weisen und Pharaonen stets solche Steine auf ihrer Brustund in einem Goldreif auch auf ihrem Haupte.[087,02] Wer demnach zu jenen Zeiten solche Steine trug, wurde vom Volke stets alsein Patriarch und als ein Weiser gehalten. Es hatte sonach damals ein königlicher Schmuckeinen echten und wahren Grund. In dieser Zeit ist er aber nichts Weiteres als ein eitlesAushängeschild des irdischen Reichtums, des Hochmutes, so auch der Prachtliebe, derSelbstsucht und der über alles verdammlichen Herrschsucht. Wohl sind noch die Kaiser, dieKönige und Fürsten und Heerführer mit diesen alten Weisheitsinsignien geschmückt; aber woist der alte, wahre Grund?! – Darum ist das, was dereinst bei den Alten eine Haupttugend war,nun zu einem Hauptlaster geworden![087,03] So war in den alten Zeiten auch das Herrschen eine Haupttugend; denn fürserste waren in einem Lande eben nie zuviel wahrhaft weise und erfahrungsreiche Menschenvorhanden, und es hatte der, dem man die Last der gesamten Volksleitung übertrug, stetseinen sauren Standpunkt und mußte stets der Lehrer und Ratgeber von Tausenden sein![087,04] Niemand riß sich um solch eine Stellung. Das Volk, von der Notwendigkeiteines weisen Leiters überzeugt, erbaute ihm die herrlichste Wohnung und schmückte dieGemächer mit allerlei Edelsteinen, mit Gold, Perlen und kostbaren Muscheln, und versah denLeiter mit allem, was er zum angenehmen Leben nur immer vonnöten hatte, und jedes Wortwar dem Volke ein Gesetz. Darauf gründet sich noch heutigentags das große Ansehen derHerrscher, – doch mit dem großen Unterschied:[087,05] Damals brauchte der Herrscher keine Waffen; sein Wort war schon alles inallem. Was er riet, und was er haben wollte, ward mit vereinten Kräften ins Werk gesetzt, undalles mit großer Liebe und Freude. Wer irgendeinen Schatz fand oder sonst etwas besondersKunstvolles erzeugte, das brachte er dem Leiter des Volkes. Denn es war bei den Alten dieweise Sitte, also zu urteilen: ,Was irgend dienlich ist, des Leiters Weisheit zu erhöhen, mußihm gegeben werden; denn des Leiters Weisheit ist der Völker Ordnung und Glück!‘[087,06] Aber nun ist das alles zu Grabe gegangen, und an die Stelle der altenTugend ist nun eine wahre Sünde der Sünden der Menschheit gekommen. Wo sind diePatriarchen? O Babel, du große Welthure, du hast verpestet die Erde! Aber darum bin Ich nungekommen, um die Menschen vom alten Erbübel zu erlösen, zu legen einen Fluch auf alle dieKostbarkeiten der Erde und zu segnen die Herzen, die eines guten Willens sind.[087,07] Von nun an wird sein Mein Wort ein erster Edelstein dem Menschen undwahres und reinstes Gold Meine Lehre und ein wahrer, lebendiger Palast und ein Tempel einjedes Menschenherz, das da erfüllt sein wird mit der reinen Liebe zu Gott, und aus dieserheraus zum Nächsten, und der wird sein ein wahrer König in Meinem Reiche, dessen Herz amliebeerfülltesten sein wird![087,08] Darum: Kein klingend Metall und kein geglätteter Diamant wird euch mehrdienen als Krone des Lebens, sondern Mein Wort und ein Handeln nach dem Worte! Dennvon nun an soll keine Materie für eure Herzen mehr einen Wert haben, sondern allein MeinWort und die freie, selbstwillige Handlung nach Meinem Worte.[087,09] Wohl sollen die Kaiser und Könige sich nebst dem schmücken mit demalten Schmucke; aber wollen sie weise und mächtig sein, so müssen sie dennoch keinen Wertdarauf legen, sondern allein auf Mein Wort! Die das nicht tun werden, die werden auch bald

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von vielen Feinden umlagert sein![087,10] Wer aber schon einen Wert legt auf die Edelsteine und aufs Gold, der legeihn auf die besonderen, in ihrer Natur begründeten Eigenschaften, die eine wahre Realitätsind, nie aber auf den eingebildeten Wert, der eine Lüge ist![087,11] Wenn ein Fürst sein Wohngemach mit blankem und wohlgeglättetem Goldedurch und durch darum austäfeln ließe, um im selben durch die Einwirkung der reinerenNaturgeister, die am Golde, das dem Lichte entstammt, und namentlich an seiner hellenGlanzfläche sich stets in größter Anzahl ansammeln, in einen prophetisch hellsehendenZustand zu geraten, in dem er so manches in seinem schweren Völkerleitungsgeschäfteersehen könnte, was ihm sonst kein noch so feiner Spion hinterbringen kann, so täte er wohldaran; denn das reine Gold hat solche Einwirkung als ganz entschieden gewiß, und es liegtder Wert dieses Metalles auch einzig und allein nur darin.[087,12] Aber freilich müßte dann solch eine Einrichtung auf eine reine undeinsichtige Erkenntnis, nie aber aufs bloße Hörensagen, also völlig abergläubisch, gegründetsein; denn darum hat der Mensch den Verstand bekommen von Gott aus, daß er alles zuvorprüfen soll und wohl erkennen den wahren Grund, und dann erst behalten das Gute undZweckdienliche in stets fürs Einzelne wie fürs Allgemeine bester Absicht. Wer das tut, derhandelt in Meiner Ordnung recht und wird in keinem seiner Handlungszweige aufirgendwelche Abwege geraten.[087,13] Aber so jemand, bloß aufs Hörensagen und auf den blinden Glauben, derein eigentlicher Aberglaube ist, gestützt, eine solche Einrichtung trifft und würde davon aucheinige Wirkungen verspüren, weiß aber nicht, woher sie rühren, welchen Wirkungskreis sienaturgemäß haben, bis wieweit sich dieser erstreckt und er notwendig seine Grenzen hat, – sowird ein solcher Mensch, der vermöge seiner ersten Grundlebensbildung auch gar leicht dieEmpfänglichkeit für derlei subtile Einwirkungen besitzt, leicht seine törichten, materiellenPhantasien und Einbildungen aller Art und Gattung als Wirkungen naturgeistiger Eindrückeansehen und dadurch sich zu einem gräßlich falschen Propheten erheben und ganz viel Argesanrichten, besonders so er gar als ein machthabender Fürst die Gewaltmittel in seinen Händenhat; und da sind dann auch tausend der finstersten Abwege möglich.“

88. Kapitel[088,01] (Der Herr:) „Darum soll ein rechter Jünger Meiner Lehre niemals etwasleichtfertig ohne eine vorangegangene genaue Prüfung annehmen. Erst wenn er von allem,was darin vorkommt, sich eine gründliche Einsicht und Überzeugung verschafft hat, soll erdann das Gute und Wahre als lebenswahr annehmen und darauf klug und weise danachhandeln; und er wird dadurch ganz sicher zu jenen Resultaten gelangen, die man mit allemFug und Recht als aus den Himmeln herab gesegnet anpreisen kann.[088,02] Ich bin doch der Herr und der Meister von Ewigkeit, und ihr erkennet Michals solchen nun vollkommen. Ich könnte zu euch nun sagen dies und jenes, krumm odergerade, weiß oder schwarz, und ihr würdet es Mir glauben, da ihr nun lebensinnerlichstüberzeugt seid, wer Ich bin. Da wäre sonach ein sogenannter Autoritätsglaube sicher amrechten Platze!? Aber wer von euch kann sagen, daß Ich solchen von jemandem verlange oderje verlangt habe?! Ja, Ich verlange Glauben, aber keinen blinden und keinen toten, sonderneinen vollauf lebendigen! Ich lehre euch Wahrheiten, von denen der Welt nie etwas in denSinn gekommen ist; aber Ich sage dabei nicht: ,Glaubst du das?‘, sondern: ,Hast du das wohlverstanden?‘ Und so du sagst: ,Herr, dies und jenes ist mir dabei noch unklar!‘, da erkläre Ichdir die Sache durch alle Mir zu Gebote stehenden Mittel so lange, bis du es vom tiefstenGrunde aus völlig begriffen hast, und gehe dann erst wieder um einen Schritt weiter.[088,03] Ich könnte jedem wohl gleich anfänglich eine solche Erklärung geben, daßer eine von Mir neu vorgetragene Lehre alsogleich vollauf begreifen müßte; aber Ich kenneauch, was und wieviel er auf einmal zu ertragen fähig ist, und gebe auf einmal nur so viel, alses jemand von euch zu ertragen imstande ist, und lasse dem Samen Zeit, zu keimen undWurzeln zu fassen, und binde Mich Selbst darauf, nicht eher etwas Neues zu bringen, als bisdas eine auf den Grund begriffen worden ist. Ich lasse euch Zeit zur Prüfung des

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Vorgetragenen und Gezeigten![088,04] Ich Selbst sage zu euch: ,Prüfet alles und behaltet das Gute und somit auchWahre!‘ Tue Ich Selbst aber das, um wieviel mehr ihr, die ihr der Menschen Gedankennimmer zu durchschauen vermöget gleich Mir![088,05] Verlanget ja von niemandem einen blinden Glauben, sondern zeiget jedemden Grund! Und sollte er nicht fähig sein, solchen zu erfassen mit seinem Verstande, so lassetes euch der Mühe nicht gereuen, ihn von Stufe zu Stufe hineinzuleiten mit aller Liebe undGeduld, bis er fähig wird, eure gute Lehre vom Grunde aus zu begreifen; denn mit einemfinstern Verstande soll niemand euer Jünger sein in Meinem Namen! Denn Ich gebe euch einhelles Licht und Leben, und ihr sollet darum keine Apostel der Finsternis und des Todes sein![088,06] Wer da sucht, der soll es finden; wer da bittet und fragt, dem werde einerechte Antwort gegeben, und wer da pocht an die verschlossene Pforte, dem werde sie völligaufgetan![088,07] Es gibt nichts Undienlicheres als eine halbe Antwort auf eine gestellteFrage; da ist gar keine Antwort geben besser um vieles! Und es gibt nichts Unpraktischeresals eine halbe Erklärung über eine Sache, von deren genauer Erkenntnis oft eine großeLebenswichtigkeit abhängt.[088,08] Daher soll derjenige, der ein Lehrer sein will, dasjenige überaus gründlicherkennen in allen Wurzel- und Urkeimstiefen, was er seinen Bruder lehren möchte, da ansonstein Blinder den andern führt, und kommen sie an einen Graben, so fallen dann beide, Führerund Führling, hinein.“

89. Kapitel[089,01] (Der Herr:) „Du kennst nun den wahren Wert des Goldes und derEdelsteine; gebrauche sie auch in der Art und Weise, wie Ich sie dir nun angezeigt habe, sowirst du ganz in Meiner Ordnung stehen wie ein Patriarch der Urzeit![089,02] Auch die Patriarchen der Urzeit kannten das Gold und gebrauchten es echtund gerecht; die aber anfingen, es nach dem eingebildeten Werte zu gebrauchen, die kamenauch ehest in ein großes Unglück. Denn aus dem eingebildeten Werte des Goldes, der Perlenund der Edelsteine erstanden erst die Diebe und die Straßenräuber, und ein König ward desandern Feind, sobald er in Erfahrung gebracht hatte, daß sein Nachbar etwa gar zuviel desgelben Metalles aufgehäuft hatte.[089,03] Also nur die Narrheit der Menschen erzeugt gegenseitige Verfolgungen!Aus ihr entstehen am Ende alle erdenklichen Laster, als da sind: Neid, Geiz, Habsucht, Stolz,Hochmut, Herrschgier, Fraß, Völlerei, Unzucht und allerlei Hurerei, – und am EndeTotschlag, Mord und alle Grausamkeiten, die sich die Menschen gegenseitig bereiten. Undwas schuldet hauptsächlich daran? Zuallermeist die gänzliche Verkennung des Goldes und dervielen Edelsteine und Perlen! Die Menschen haben sich nach dem Maße des Goldbesitzesvoneinander zu unterscheiden angefangen! Der Stärkere brachte viel zusammen, und derSchwächere ging leer aus. Der nun am Golde Reiche hatte einesteils wohl bald einebedeutende Anzahl interessierter Freunde, und der Arme wurde alsbald zum wenigsten einhalber Dieb, dem man nicht trauen darf, angesehen und daher verachtet! Was Wunder, so erbei solch einem Fingerzeig ehestens ein wirklicher Dieb ward?![089,04] Ich aber will diese ärgerliche Sache nun nicht weiter verfolgen, da du, MeinFreund Cyrenius, dir alles Weitere von selbst ganz und gar leicht denken kannst! Aber dassetze Ich noch hinzu: Wollt ihr mit der Zeit frei sein von allerlei Feinden, Dieben, Räubernund Mördern, so schätzet das Gold und alle die Edelsteine nach ihrem eigenschaftlichenWerte, und ihr werdet dadurch die Anzahl eurer Feinde um ein sehr bedeutendes vermindern;denn durch eure Weisheit werden dann viele selbst weise werden und Gottes Ordnung in allenDingen erkennen! Und werden sie das, so werden sie auch edle und liebe Menschen werden,vor denen ihr euch nicht zu fürchten haben werdet.[089,05] Aber wenn ihr, oder zum mindesten eure Nachkommen, dem Golde, demSilber und den Edelsteinen wieder den eingebildeten Wert werdet beizulegen anfangen, sowerdet ihr wieder in die alten Feindschaftsverhältnisse treten, in denen ihr euch jetzt befindet.

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Ich sage es dir: Unter gewissen, wahren Verhältnissen ist alles gut auf der Erde und bringetSegen durch den wahren Gebrauch für Leib, Seele und Geist, und es ist dem Reinen alles rein,und für den, der selbst ein Licht geworden ist, kann es keine Nacht mehr geben; aber durcheinen dummen, verkehrten und also ordnungswidrigen Gebrauch muß am Ende selbst dasBeste schlecht werden und statt Segen und Heil – Fluch und Unheil bringen![089,06] Du weißt, daß das Wasser die mannigfachsten und allerbestenEigenschaften besitzt und zum physischen Leben der Menschen, Tiere und Pflanzen dasallerunentbehrlichste Element ist; aber so der Mensch sich eine Wohnung wollte errichten inder Tiefe des Meeres, um darin zu hausen mit den Fischen, so wird er in solcher Wohnungschnell den Tod seines Leibes finden. – Also ist das Feuer gleich dem Wasser einnotwendigstes Element zum Leben; wer sich aber in ein Feuer stürzete in der Meinung, darineine noch größere Masse des Lebens sich anzueignen, der wird bald als Asche keinen FunkenNaturlebens mehr besitzen![089,07] Und so geht es mit allen Dingen durch die Bank hindurch! Ja, selbst diegiftigsten Pflanzen und Tiere haben ihren großen Segen für diese Erde; denn sie saugen denbösen Giftstoff aus der Luft an sich; ihre Natur ist also eingerichtet, daß ihnen das Gift, das inden ganz ungegorenen Naturlebensgeistern besteht, keinen Naturlebensschaden bringenkann.“

90. Kapitel[090,01] (Der Herr:) „Lasset darum diese Dinge in ihren für die Erde nützendenBezirken unangefochten; trachtet vor allem, vollkommene Menschen zu werden, – ja, werdetso vollkommen, wie da euer Vater vollkommen ist, so wird euch alles Gift der Pflanzen undder Tiere nichts anhaben können![090,02] Werdet, wozu ihr berufen seid, doch einmal wieder das, was die Erzväterwaren, denen alle Kreatur gehorchte; werdet durch die Beachtung Meiner Lehre Herren derSchöpfungen eures Vaters in Seiner Ordnung, in welcher Hinsicht euch die Neger einenkleinen Beweis lieferten, und es wird bei so bewandten Umständen keine Feindschaft mehrbestehen, weder unter euch noch zwischen euch und den euch untergeordneten Kreaturen!Aber so ihr aus solcher Ordnung tretet, so werdet ihr euch den alten Fluch und Unfriedenwieder müssen gefallen lassen.[090,03] In dieser Zeit wird zwar Mein Reich auf dieser Erde viel Gewalt bedürfen,und die es sich nicht mit Gewalt aneignen, werden es nicht in ihren Besitz bekommen. Späterwird es jedoch leichter gehen; aber ohne einen gewissen Kampf, wenigstens mit sich selbst,wird sich Mein Reich schon auf dieser Erde nicht gewinnen lassen. Denn so schon dasdiesirdische Leben nur ein Kampf ist, um wieviel mehr das wahre, geistige Leben aus demJenseits, besonders wenn es als ein erwünschter Bürger schon in dieser Welt sich äußern soll.Aber der Kampf wird dennoch für jeden, der Gott wahrhaft liebt, durchwegs ein leichter sein!Denn dies sei einem jeden Meiner wahren Freunde gesagt, daß Mein Joch sanft und MeineBürde leicht ist![090,04] Daß du und ihr alle das alles ganz wohl werdet verstanden haben, das seheIch und sage zu euch darum denn nun auch, daß ihr bereits mit allem wohl versehen seid, wasihr zur Weiterverbreitung Meines Wortes und Meines Willens benötiget. Nach derWeissagung des Propheten Jesajas ist hier nun alles erfüllet worden in den etlichen Tagen,und so wäre nun hier ein Tagewerk vollendet.[090,05] Wer dies alles erkennt und es treu beachtet, der wird unfehlbar des LebensVollendung erreichen und wird den Tod nimmer fühlen, noch irgend auf was immer für eineArt wahrnehmen; denn wer schon im Leibe sich das ewige Leben des Geistes erweckt hat, derwird im Abfalle des Fleisches nichts als eine ihn über alles beseligende Befreiung im höchstklaren Bewußtsein seines vollkommensten Seins vollwahr und allerrichtigst wahrnehmen, undsein Sehkreis wird erweitert werden ins Unendliche hin.[090,06] Aber den Unvollendeten wird es im Scheidungsmomente wohl etwas andersergehen! Sie werden fürs erste in ihrem Fleische große Schmerzen zu ertragen bekommen, diesich natürlich zumeist bis zu jenem Momente steigern, den man den Trennungsmoment nennt.

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Nebst diesen unvermeidlichen Schmerzen des Fleisches aber werden auch in der Seele Furcht,Angst und am Ende sogar eine Art Verzweiflung sich kundgeben und die Seele noch mehrpeinigen denn die noch so brennenden Schmerzen des Fleisches. Und wird die Seele frei vonihrem Fleische, so wird sie jenseits nicht selten viele Jahre nach der Zeitrechnung dieser Weltzu tun haben, um nur zu einem einigermaßen menschlichen Bewußtsein zu gelangen; voneiner völligen Vergeistigung aber wird vielleicht in Äonen von dieser Erde Jahren keine Redesein.[090,07] Daher werdet ihr an euren Brüdern Groß-Gutes tun, so ihr euch mit ihnenauch dieselbe Mühe und Geduld nehmet, die Ich Mir Selbst nun mit euch genommen habe.[090,08] Wohl euch und euren Brüdern, so auch ihr am Ende der Mühe werdet zumBruder sagen können: ,Bruder, ich habe an dir mein Tagewerk vollendet, handle nun danach,und vollende dich selbst nach der dir gezeigten Ordnung Gottes, des Herrn alles Lebens undSeins von Ewigkeit!‘“

91. Kapitel[091,01] (Der Herr:) „Ich habe aber bei euch einen vollen Tag über Meine Zeit zueurem Heile hinzugegeben, und dazu bestimmte Mich Meine große Liebe zu euch.[091,02] Seid und bleibet aber dessen wohl eingedenk und tut desgleichen, so einBruder zu euch sagen wird: ,Erleuchteter Bote des Herrn, bleibe noch bei mir; denn meinHerz findet einen mächtigen Trost und eine große, beseligende Stärkung an deinerGegenwart!‘ Da verweilet auch, und wäre es auch um vieles über die euch vom Geistevorgezeichnete Zeit! Denn wahrlich sage Ich euch: Ein solches freiwilliges Werk derNächstenliebe wird von Mir hoch angerechnet werden![091,03] Es versteht sich von selbst, daß man das einem Freunde nur ein-, zwei-,dreimal tun kann; bittet er aber dann noch wieder um ein längeres Verweilen, so vertrösteman ihn mit der Versicherung des baldigen Wiedersehens und eifere ihn an zurunverdrossensten Tätigkeit nach dieser Meiner euch allen nun gegebenen Lehre, segne ihndann in Meinem Namen und ziehe des Weges weiter nach der Berufung des Geistes, der nunin euch aus Mir als ein lebendiges Wort wohnet und euch selbst führt und leitet zum ewigenLeben hin!“[091,04] Sagt Cyrenius: „Herr, wie ist es denn nun? Du sagtest in der gestrigenNacht, daß Du nach diesem Tage von hier abreisen werdest! Ist das schon ganz alsunabänderlich bestimmt anzunehmen? Wäre es denn nicht tunlich, so Du, o Herr, denn nocheinen Tag uns schenken möchtest?“[091,05] Sage Ich: „Salomo, der Weise, sagte dereinst: ,Es hat alles seine Zeit!‘, undso habe auch Ich Meine gute und sehr genau eingeteilte Zeit und werde darum diesmaldeinem Verlangen nicht nachkommen können; denn sieh, im großen Lande der Juden gibt esgar viele Städte, Flecken und Dörfer, die allenthalben von Menschen bewohnt werden! Dieallermeisten wissen noch nichts von Mir, sind auch Meine Kindlein und harren schon vielfachauf die Ankunft des Vaters aus den Himmeln und werden auch eine gar übergroße Freudehaben, wenn Er von ihnen, so wie nun von euch, erkannt wird. Aber ganz durchfallen sollstdu, Mein innigster Freund, mit deinem Verlangen auch durchaus nicht! Und weil ihr Michdenn schon gar so liebhabt, so will Ich noch diese ganze Nacht und des morgigen Tages dreiStunden unter euch verweilen, da es auch Mir unter euch gar wonniglich ums Herz ist; aberüber die drei Stunden hinaus geht es dann wohl um keinen Augenblick Zeit mehr! Denn wiegesagt: Es hat auf dieser Welt alles seine Zeit und seine Ordnung!“[091,06] Sagt Cyrenius: „Aber Du bist ja auch ein Herr der Zeit und kannst sie sogaraufhalten oder gar vernichten!“[091,07] Sage Ich: „Da hast du recht und richtig gesprochen! Aber es ist dabei nurdas zu bemerken, daß Ich eben darum, weil Ich ein Herr der Zeit bin und die Zeit aus Mirverteilet und bestimmet habe und in einer gewissen Hinsicht die Zeit eigentlich Selbst bin,weil diese nichts anderes ist als Meine höchst eigene, unwandelbare Ordnung, wider die zuhandeln Mir Selbst nahezu rein unmöglich ist; denn so Ich Mich Selbst gegen Meine Ordnungvergriffe, da würdest du bald sehr wenig von allen jenen Kreaturen erblicken, deren Dasein in

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Meiner ewig unwandelbaren Ordnung bedingt ist.[091,08] Nimm nur einen Augenblick die Bedingung hinweg, so geht im selbenAugenblicke auch das Bedungene unter! Oder stelle dir vor eine feste Burg auf einem Felsenfestesten Gesteins! Du sagst, diese Burg sei wie für eine Ewigkeit erbaut. So Ich es aberzulassen würde, daß der mächtige Fels zu Butter erweicht würde, würde sich auch dann diefeste Burg behaupten?! Oder du führest auf einem guten und festen Schiffe übers Meer;würde dein Schiff und sogar der beste Wind dir etwas nützen, so Ich das Wasser versiegenließe bis auf den Grund?! Daß Mir solches wohl möglich wäre, wirst du nicht bezweifeln!Und es ist sonach ausgemacht, daß mit der Bedingung auch das durch sie Bedungene in denBach fällt.[091,09] Ich regle die Zeit überall und bin das ewige Gericht in ihr; aber in derheiligen Sphäre der Liebe gibt es eigentlich keine Zeit mehr, und Ich kann der Liebe alleinschon noch immerhin etwas hinzugeben. Aber es bleibt bei dem genau, was Ich nun gesagthabe! Aber nun bringe Markus uns mehr Weines, auf daß wir der Nacht Kühle leichterertragen; denn wir bleiben auch diese Nacht im Freien!“

92. Kapitel[092,01] Markus hatte von Meinem Verlangen nach Wein nur so in der Ferne etwashalbwegs vernommen, so eilte er schon, einem echten Wirte gleich, in den Keller und brachtemit seinen beiden Söhnen gleich mehrere Krüge voll des allerbesten Rebensaftes. UnsereBecher wurden bis an den Rand gefüllt; alle tranken auf das Wohl des Gedeihens der neuenLehre aus den Himmeln und konnten die Güte des Weines nicht genug loben, rühmen undpreisen.[092,02] Daß Roklus und seine Gefährten, die gleichsam an unserem Tische saßen –wenn auch am neu hinzugefügten, querüberstehenden Teile –, auch mit demselben Weineversorgt wurden, so wie nach und nach auch alle andern Gäste, versteht sich von selbst; wiralle griffen recht wacker nach den Bechern, und das gute Brot ward dabei auch nichtgeschont.[092,03] Es bemerkte aber solches der Pharisäertisch, der dem unsrigen zunächststand, an dem die fünfzig Pharisäer mit ihrem Hauptredner Floran und ihrem Obersten Staharaus Cäsarea Philippi saßen, daß auch Ich Selbst ganz gut dem Weine wie dem Brote zusetzte.[092,04] Und Stahar machte dem Floran ziemlich laut die Bemerkung, sagend: „Dasieh doch einmal hin, wie ist dieser mit dem Geiste Gottes erfüllt sein wollende und sollendeProphet doch ein Vollsäufer und ein ganz ordentlicher Vielfraß! Auch scheint er gar keinFeind des weiblichen Geschlechtes zu sein; denn die gewisse, sehr anmutige Dirne sitzt ihmdoch immer ja so fest am Leibe wie die beiden Ohren am Kopfe! Bedenken wir dagegenunsere moralischen Satzungen, die von Moses herrühren, was den Menschen allesverunreinigt! Ist er wirklich vom Geiste des Allmächtigen erfüllt, so kann er ja dochunmöglich nun selbst demselben Geiste, von dem auch Moses erfüllt war, durch die Tatwidersprechen!? Hm, hm, das bedünket mich sehr![092,05] Seine Lehren und Taten zeugen offenbar, daß ihm von Gott aus eine höhereBefähigung verliehen ist, als sie je einem Menschen verliehen war, und wer nach seiner Lehrelebt, kann vor Gott nicht verlorengehen; aber wer also säuft und isset wie er, der wird insParadies dereinst nach dem Jüngstgerichte, von dem Daniel weissagte, schwerlich eingehen!Denn es stehet geschrieben: ,Hurer und Vollsäufer werden in das Reich Gottes nichteingehen!‘ Was bedünket da dich, du mein stets hochgeachteter Floran?“[092,06] Sagt Floran, mit den Achseln zuckend: „Das jetzige, ordentliche Saufgelagekommt mir auch ein wenig sonderbar vor! Es kommt mir die ganze Sache nun kleinweg sovor, als ob ich so ein wenig von einer Art ganz wohl verdeckter Teufelei etwas zu riechenanfinge! Mit so ganz rein göttlichen Dingen scheint es da nicht zuzugehen! Hm, hm, sieh hin,er füllte sich schon wieder seinen Becher! Ah, ah, das ist im Ernste etwas schon mehr alssonderbar! Und jetzt den Keil Brotes nach dem Trunke! Na, na, wir werden sehen, wenn er sorecht betrunken sein wird, was er dann für eine Lehre seinen Jüngern geben wird!“[092,07] Sagt Stahar: „Deine Bemerkung, besonders die von der Teufelsriecherei,

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kam mir sehr triftig vor, und es kommt mir nun schon diese ganze Komödie sehr sonderbarvor! Wir haben uns zwar alle zu seinen Jüngern umgestalten lassen; aber bei so bewandtenUmständen wäre es meiner Meinung nach sehr zeitgemäß angezeigt, uns von solcher Ehrewieder mit aller Energie loszusagen, denn es kommt mir nun schon alles wie einwohlberechnetes Blendwerk des Satans vor! Es spricht ja doch Daniel klar und deutlich aus,daß in einer Zeit ein mächtiger Widersacher Gottes unter den Menschen auftreten wird undwird tun solche Zeichen, durch die sogar die auserwählten Engel Gottes könnten verlocketwerden, so Gott so etwas zuließe! Am Ende ist eben der nun der beschriebene WidersacherGottes!? Freunde, wenn das, da wäre es sehr angezeigt, uns so schnell als möglich auf unddavon zu machen, sonst holt uns der lebendige Satan mit Haut und Haaren vielleicht schon inder nächsten Stunde!“[092,08] Mit solchen Reden und Illustrationen unterhielt sich der Fünfzig-Pharisäertisch schon seit dem Augenblicke, als Ich den ersten Becher Weines austrank. Esmerkten aber das Roklus und seine Gefährten, die zusammen die Pharisäer ohnedies imMagen hatten.

93. Kapitel[093,01] Roklus, der sich von Meiner Göttlichkeit vollauf überzeugt hatte, konntedieser argen Rederei kein geduldiges Ohr mehr leihen; er stand auf, mit einem auch schonganz bedeutenden Weinmute ausgerüstet, und sagte laut: „In einer so seltensten Gesellschaftauf Erden, wo Gott, Engel und wir, Seine vernünftigen Geschöpfe, wie Brüder beisammenkampieren, sollen Schweine keinen Tisch und keinen Platz haben! Zwar sind sicher auch dieSchweine Gottes Geschöpfe, nur gehören sie nicht zu der Gesellschaft der Menschen! Was fürein wahnwitziges, allertollstes Geplauder! Wenn irgend hungernde Schweine zu grunzenbeginnen, so liegt darin sicher bei weitem mehr Weisheit verborgen als in solch einemGerede! Kurz und gut, das Dümmste, Ekelhafteste und dabei Herrschsüchtigst- Böswilligstewar, ist und bleibt ein Pharisäer, besonders so ein Oberster und ein allererbärmlichsterSchriftgelehrter der Juden![093,02] Diese Unmenschen wittern überall den Teufel! Sie finden und lehren sogar,daß die Teufel immerwährend auf der Erde gleich den Spürhunden im geheimen Jagd auf alleMenschenseelen machen und jeder Mensch unbedingt des Teufels und verloren ist, so er nichtgeweihte Amulette aus dem Tempel bei sich trägt und sie alle Jahre mindestens zweimalerneuert; aber von dem merken sie nichts, daß eben sie selbst die allereigentlichsten Teufelauf dieser Welt sind! Sie sollten sich daher auch gar nicht verwundern, wenn sie unter sichvon einem Teufelsgestank etwas in ihren Nüstern verspüren; denn das wäre doch erst rechtdes Teufels, selbst ein wahrhaftigster, eingefleischter Teufel sein und nicht verspüren von Zeitzu Zeit, daß man wirklich ein Teufel ist![093,03] Du Junger (Raphael), du hast doch früher einen Stein weggeputzt, – wäre esdenn dir nicht auch möglich, die fünfzig räudigen Schweine wegzuputzen?! Denke es dir, wasdiese Kerle sich laut auszusprechen getrauten! Er, der alleinige Schöpfer des Weines und desBrotes, sündige nun, weil Er Selbst Wein trinket, und weil ein sicher allerunschuldigstesEngelchen von einem Mädchen an Seiner Seite sitzet! Ah, erlaube mir, das geht hier, solangeich hier bin, der ich den Herrn erkannt habe, durchaus nicht an! Die müssen fort! So vieleshaben sie gehört und gesehen, – und nun sagen sie laut: ,Es könnte sein, daß dies alles einBlendwerk des Satans wäre!‘ Mein Freund aus den Himmeln, ich bin nur von dieser Erde;aber das dulde ich selbst um den Preis meines Lebens nicht, daß solche Schweine denHeiligsten aller Heiligkeit so schändlich mit ihrem schmutzigsten und stinkendsten Geiferbesudeln sollen! Hinweg mit ihnen!“[093,04] Jetzt erst wurden die fünfzig aufmerksam auf die Ausbrüche des Roklus,und der Oberste Stahar erhob sich und fragte den Roklus mit ernster Miene: „Freund Roklus,gehet dein Wort etwa uns an?“[093,05] Sagt Roklus: „Wen sonst etwa? Ihr seid ja eben des Satans schwarze Brutund könnet darum kein Licht ertragen! Wie könnet ihr es wagen, den Herrn und Meister vonEwigkeit, der euch dafür schon so viele der außerordentlichsten Beweise mit Wort und Tat

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geliefert hat, mit eurem alten, allerekelhaftesten Geifer so schändlich zu besudeln?! Fürchtetihr euch denn nicht, daß darob sogar der Erdboden Rache nähme an euch?! Wer kann Dersein, der dem Berge im Meere zuruft: ,Vergehe und werde zunichte!‘, und der Berg vergehtim selben Augenblicke?! Kann ein Teufel – nach eurem Begriffe – je Demut und die höchsteLiebe zu Gott und dem Nächsten predigen?! Oh, ihr ungeheuersten Ochsen und Esel zugleich,wie erschrecklich wüste und verwirrt muß es in eurem Gehirne aussehen, daß ihr das nichteinsehet, daß ein Teufel, so es je einen nach euren Begriffen gegeben hat, Gott dem Herrngegenüber das allerohnmächtigste und darum allerarmseligste Wesen nach dem Maße seinmuß, je weiter es von der vollen Gottesordnung entfernt ist![093,06] Wenn aber dem weisesten und wahrsten Worte des Herrn zufolge alle Kraftund Macht nur in der Liebe zu Gott dem Herrn besteht, welche Kraft und Macht hat dennhernach euer Beelzebub, der voll des bittersten Hasses gegen Gott sei, aus solcher seinerschmählichsten Eigenschaft? Wenn aber schon wir Menschen aus Mangel an rechter undwahrer Erkenntnis Gottes, und nur dadurch auch sicher aus Mangel der wahren und allesausschließenden Liebe zu Ihm, schwache und nichts vermögende Wesen sind, um wievielmehr dann erst eure Teufel, die Gott sehr wohl kennen sollen, Ihn aber dabei doch hassenüber alle die uns begreiflichen Maßen! Jetzt –, wie das möglich ist, daß ein Wesen, Gottvollauf erkennend, Ihn dennoch über alles haßt, – wahrlich, um das zu begreifen und zuverdauen, gehört ohne weiteres ein pharisäischer Schweinsmagen dazu! So ein Magen nimmtzwar kein Schweinefleisch in sich auf; aber der Grund scheint naturgemäß darin zu liegen,daß ein Schwein das andere nicht frißt![093,07] Ich liebe nun Gott den Herrn mehr als alles in der Welt, wo ich Ihn erst soein ganz wenig nur erkannt habe, und fühle, wie meine Liebe zum Allmächtigen mit meinerstets zunehmenden Erkenntnis mit im Wachsen ist, und ich fühle es lebendigst in mir, wiedadurch auch meine Willenskraft effektiv mächtiger wird. Wie ich nun dastehe, nehme ich'sganz allein mit tausendmal tausend Legionen von pharisäischen Teufeln auf! Alle zusammentragen mir keinen Strohhalm von der Stelle, – und die Kerle behaupten, daß dieser Heilige derHeiligsten Gottes Seine Werke mit Hilfe ihrer eingebildeten Teufel zustande bringe!? Oh, ihrheilloses Lumpengepack, ich werde euch eure allmächtigen Teufel schon hinaustreiben! Istgerade recht, daß mir die Kerle in die schon lange erwünschte Quere gekommen sind!“

94. Kapitel[094,01] Sagt Raphael: „Mein liebster Freund Roklus, mäßige dich; denn diese warenwohl pikfeste Pharisäer, sind aber nun unsere Jünger geworden und werden ihren Irrtumeinsehen! Und in bezug der Teufel hast du eben noch eine zu geringe Kenntnis, um über derenEinfluß auf die Menschen wahr und gültig zu reden. Wenn du davon erst eine nähereKenntnis haben wirst, dann wirst du davon auch reden können![094,02] Sieh, das, was man ,Satan‘ und ,Teufel‘ nennt, ist die Welt mit aller ihrerverführerischen Pracht. Freilich wohl ist alle Materie, aus der die Welt besteht, auch nur einWerk Gottes, und es liegt in ihr Göttliches verborgen; aber daneben liegt in ihr auch Lüge,Trug und Verführung, woraus dann entsteht Neid, Geiz, Haß, Hochmut, Verfolgung unddaraus hervorgehend allerlei Laster ohne Zahl und Maß.[094,03] Und siehe, eben dieses Falsche, die Lüge und der Trug, ist geistiggenommen der ,Satan‘, und alle die einzelnen, daraus notwendig hervorgehenden Laster sindeben das, was man ,Teufel‘ nennt; und eine jede Seele, die irgendeinem der zahllos vielenLaster als begründet ergeben ist, ist ein Teufel in Person und ein tätiger Ausdruck eines oderdes andern Schlechten und Bösen, und es ist in einer solchen Seele ein schwer zuerlöschender Trieb, nur gleichfort Böses zu tun in der Art, in der sie sich lebensbegründet hatin der Zeit ihres fleischlichen Seins.[094,04] Da aber eine jede Seele auch nach dem Leibestode fortlebt und sich in derRegion dieser Erde aufhält, so ist es gerade eben nichts Seltenes, daß eine solche Seele sichauch in die Außenlebenssphären der Menschen begibt und durch diese mit ihrer irgend bösenBegierlichkeit auch in jenem Menschen Böses zu erwecken strebt, in dessen Lebenssphäre sieeine ganz willkommene Nahrung dadurch findet, daß der noch im Fleische wandelnde

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Mensch einen nicht unbedeutenden natürlichen Hang und Zug für ein gleiches Laster inseinem Fleische trägt, gewöhnlich infolge einer schlechten und vernachlässigtenGrunderziehung.[094,05] Solche Seelen bemächtigen sich öfters sogar des Fleisches der Menschenund quälen dadurch gar eine hie und da schwache Seele, und der Herr aber läßt solches zu, umeben bei der Seele solch ein Leck auszubessern; denn dadurch bekommt die geplagte Seeledann erst einen wahren und lebendigen Widerwillen gegen eine lasterhafte Schwäche ihresFleisches und verwendet am Ende alle Tätigkeit darauf, darin stark zu werden, worin sieehedem schwach war, wozu ihr des Herrn Gnade auch zeitgerecht zu Hilfe kommt.[094,06] Siehe, das ist vernunftgemäß richtig und wahr, – was der Jude freilich sehrferne von der Wahrheit des eigentlichen Sachverhaltes unter dem Ausdrucke ,Satan‘ und,Teufel‘ so ganz eigentlich verstehen sollte; weil er es aber nicht versteht, so hält er aber unter,Satan‘ und ,Teufel‘ eine geistig personifizierte böse Willensmacht, die darin ihr größtesWohlgefallen findet, die Menschen von dem Wege, in der Ordnung Gottes zu wandeln,abwendig zu machen.[094,07] Allein, diese verkehrten Seelen haben dabei durchaus keinegottesgegnerischen Absichten; denn fürs erste kennen sie Gott nicht von der fernsten Ferne,und fürs zweite sind sie zu blind, dumm und blöde, um irgendeine Absicht fassen zu können.Denn außer sich erkennen sie gar kein Bedürfnis und handeln nur aus purer Selbstsucht. Siereißen nur das an sich, was ihrer Selbstsucht frönt, und sind unter sich selbst höchstmißtrauisch; daher ist bei ihnen eine Kommunkraft gar nie denkbar, und du hast darin dannganz recht, daß ihre Kraft null und nichtig ist.[094,08] Ja, sie ist null und nichtig für Menschen, die einmal völlig in die Liebe undin den Willen des Herrn eingegangen sind; aber für Menschen, die noch so halb hin halb hersind, oder wenn du ihr Geistiges und ihr Materielles in die Waagschale legst und auf keinerSeite einen Fürschlag merkest, da gibt dann in irgendeiner seelischen Leidenschaftssacheeines in der gleichen Leidenschaftssache steckenden Dämons Zutat auf die materielle Seiteder moralischen Waage schon ein recht merkliches Übergewicht, und die Seele windet sichdann von selbst schon schwerer aus dem Materiellen ins Geistige hinüber.[094,09] Verweilt aber die Seele im Materiellen, so hängen sich dann auch nach undnach stets mehrere gleichgesinnte Dämonen an die materielle Lebenswaagschale, derFürschlag wird stets merklicher, das Materielle wird also denn stets gewichtiger und dasGeistige natürlich geringer. Und siehe, da zeigt es sich dann, daß die ,Teufel‘ der Juden oderdie ,Dämonen‘ der Griechen am Ende einer Seele in der Zeit ihrer Selbstbildung doch einensehr bedeutenden Schaden zufügen können, ohne den eigentlichen Willen gehabt zu haben,ihr zu schaden!“

95. Kapitel[095,01] Sagt Roklus: „Wie kann ein intelligentes Wesen jemandem ohne Willenschaden?! Ein Dämon muß doch wenigstens noch immer so viel Selbstgefühl undSelbstbewußtsein haben, daß er weiß, was er will; weiß er aber das, so ist er sträflich für denbösen Willen! Und die Zulassung solcher geheimen Einflüsterungen der argen Dämonen ineine harmlose Menschenseele finde ich auch nicht ganz in der besten Ordnung; werden sieaber schon aus irgendeinem geheimen Weisheitsgrunde zugelassen, so kann da doch die armeSeele keine Schuld haben, wenn sie von den Herren Teufeln verdorben wird![095,02] Haben aber die Teufel weder eine Intelligenz, und darum noch wenigerirgendeinen freien Willen, so können sie der Seele auch nicht schaden, – und schaden sie ihrschon, so hat da weder die Seele, die beschädigt wurde, noch der intelligenz- und willenloseTeufel irgendeine Schuld; die fiele dann bloß dem anheim, der so etwas zuließ! So urteile daich ganz frei von der Leber weg und scheue mich durchaus nicht, solches hier offenauszusprechen![095,03] Haben aber die Teufel, wie man sagt, sogar eine sehr scharfe Intelligenz –was zu vermuten ist, weil sie bei einer armen Seele sogleich auswittern, wo sie in dermateriellen Sphäre schwach ist –, so haben sie auch einen Willen, ihr zu schaden; in diesem

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Falle bleibt die Seele abermals schuldlos, und nur die Teufel und der, der sie zuließ, tragen dawiederum allein die Schuld![095,04] Gib mir Waffen und zeige mir den Feind, und ich werde es dann schonsicher verhüten, daß er mir so leicht an den Leib kommt! Aber wenn ich den Feind, der mirsonach einen ganz bedeutendsten Schaden zufügen kann, dem er mich zu den scheußlichstenLastern ganz geheim und unsichtbar verlocken kann, nicht kenne und dazu hernach aber auchnoch die Schuld davon tragen muß samt ihren schwerbösen Folgen, – ah, da bedanke ich michfür ein solches Leben![095,05] Das heißt dann einen schwachen Menschen nackt hinausstellen unter eineHerde von hungrigen Wölfen, Hyänen, Löwen, Tigern und Panthern. So er sich hat von ihnenzerreißen und auffressen lassen, so trägt dann er die Schuld auch noch und muß darum vondem Richter dann noch dazu verdammt werden, weil er sich als ein völlig wehrloses,schwaches Wesen erstens von bewaffneten, starknervigen Schergen hinaus in die Wildnis hatschleppen lassen müssen, und zweitens, weil er dann von den wilden Bestien zerrissen undgefressen worden ist![095,06] Wie gefällt deiner himmlischen Weisheit solch eine Justiz zum Beispiel?!Freund, wenn die Sache sich so verhält mit den Dämonen oder Teufeln, und die arme, leidigeMenschenseele bleibt da allein die Schuld- und Folgenträgerin mit oder ohne Intelligenz undWillen der sie verderbenden Teufel – dann, dann gibt es keinen weisen und liebgerechtenGott, sondern vielleicht nur so ein zauberisch blindallmächtiges Wesen, also eine Art Fatum,das da stets, gleich den hohen Römern, seine größte Freude an allerlei Tierhetzereien undwütendsten Stiergefechten hat, und gegen das sich ein Mensch nur dann versündigen kann,wenn er selbst sich der Weisheit durch die gerechten Mittel beflissen hat![095,07] Ich sage es dir fürwahr: Wenn deine Worte unfehlbar Realität haben, dannhaben bald die Pharisäer recht! Ich aber habe den Herrn Selbst über so manches reden hörenund kann, mich darauf stützend, sagen, daß du, schöner Bote der Himmel Gottes, diesmal soein bißchen in den Bach gefallen bist; und ich bleibe dabei stehen, daß ich allein mit meinernunmaligen Liebe zum Herrn die früher ausgesprochene Anzahl der pharisäischen Teufel totalaus dem Felde schlage!“

96. Kapitel[096,01] Sagt Raphael sanft lächelnd: „Siehe, du mein Freund, auch du hast schondrei volle Becher Weines im Kopfe, das heißt, den Geist davon, und darum bist du nun nochkritischer in deinem Verstande als ehedem! Du hast deinesteils ganz recht, wenn dubehauptest, daß die Dämonen über einen Menschen, der völlig in der Liebe zu Gott sichbefindet, in noch so großer Anzahl durchaus keine Gewalt auszuüben imstande sind; denn voneiner Kommunalkraft kann bei ihnen keine Rede sein, da von ihnen ein jeder in der größtenSelbstsucht und Eigenliebe ist und es daher ja keinem beifällt, seinen Nachbar in irgend etwaszu unterstützen aus Furcht, der Nachbar könnte heimlich und ganz verkappt wieder einenVorteil gewinnen, der ihm dann sicher eine fruchtlose Reue abnötigen würde.[096,02] Wenn sie miteinander gewisserart auf den Raub ausgehen, so verrät jakeiner dem andern seine höchst geheim gehaltene Absicht, und kommen sie wie zufällig amOrte des Raubes zusammen, so gibt es da unter ihnen selbst den oft bittersten Krieg. Denn dererste sich auf eine Beute Werfende ist ein Feind eines jeden, der sich neben ihm auch auf dieBeute wirft, und sucht ihn zu verdrängen. Ein Dritter benützt schadenfroh diese Gelegenheitund stiehlt für sich dann; und fängt ein Vierter neben ihm auch an, für sich zu stehlen, sokommen diese zwei auch zum Raufen, und ein Fünfter stiehlt dann ganz ruhig wieder für sich.Kommt ein Sechster hinzu, so entsteht gleich ein neuer Kampf, und ein Siebenter hat dannwieder so lange gut stehlen, bis ein Achter in seine Nähe kommt. Alle kämpfen nun, undkeiner läßt sich vom andern die Stelle des Raubes und den schon gemachten Raub selbstnehmen.[096,03] Du siehst, daß da sicher kein Teufel dem andern in irgend etwas hilft; aberdurch ihren höchst selbstsüchtigen Andrang vermehren sie dennoch das Gewicht an derallgemeinen Beute, und es geht dann ungefähr also, als wenn du zwei ganz gleiche Gewichte

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in die Schalen einer Waage legest, die gegenseitig für sich gar keinen Ausschlag gäben. Dubestreichst aber ein Gewicht mit nur einem höchst ungewichtigen Tropfen Honigs, undsogleich wird der süße Geruch Tausende von Bienen anlocken; diese werden sich ansGewicht setzen und sogleich einen Ausschlag ganz unwillkürlich bewirken.[096,04] Kannst du Gott darum der Unweisheit beschuldigen, so Er der Biene denGeruch und die Gier nach Honig und dem Honige selbst die duftende und anlockende Süßegegeben hat?! Oder ist der Herr unweise, so Er Seine Geschöpfe nicht nur höchstzweckmäßig, sondern auch höchst schön, jegliches in seiner Art, gestaltet hat?! Ist es etwaunweise von Ihm, der Jungfrau jene höchst reizende und anziehende Form gegeben zu haben,daß sie vor den Sinnen des schrofferen Mannes auf dieser Welt den allerhöchsten Wert habenmuß, er Vater und Mutter verläßt und allervergnüglichst seinem zarten und lieben Weibeanhanget?![096,05] Wie es aber schon in der Außenwelt sich erkennen läßt, daß ein Wesen dasandere in irgend etwas anzieht, um so mehr ist solches erst in der Welt der Geister der Fall;und wäre dies nicht also, wie bestände da eine Erde, ein Mond, eine Sonne und wie diezahllos vielen anderen Weltkörper im unermeßlichen Schöpfungsraume?! Ein Atom hatSympathie mit seinem Nachbarn; beide ziehen sich an. Was die beiden tun, das tun dannzahllose Äonen, sie ziehen alles Gleiche und Gleiche an, und es entsteht daraus am Ende eineWelt, wie es der Herr in der vergangenen Nacht allen Seinen Jüngern gar handgreiflichgezeigt hat und du solches in dem euch überreichten großen Buche auch vollauf beschriebenfinden wirst.[096,06] Wenn aber also, ist es dann unweise vom Herrn, so Erallernotwendigstermaßen einer jeden Seele die allerunbedingteste Willens- undErkenntnisfreiheit läßt und danebst natürlich auch die daraus entspringenden Folgen?! Oderwürdest du Gott dann als höchst weise preisen können, wenn da irgend jemand von hier nachJerusalem reisen wollte und setzete dafür seine Füße auch in Bewegung, aber er käme damitdoch bei allem seinem Willen und bei der besten Wegkenntnis nicht nach Jerusalem, weil esGott nicht so haben wollte, daß jemandem von seinem Wollen und Können eineentsprechende Folge werden solle, sondern der Mensch käme statt nach Jerusalem, wo erwichtige Geschäfte abzumachen hätte, nach Damaskus, wo er gar nichts zu tun hat?! Sage esmir, ob du solch eine göttliche Einrichtung für weise finden würdest! Oder findest du esungereimt, wenn dich am Tage Bienen, Wespen, Hornissen und allerlei Fliegen ordentlichzudecken und auffressen werden, wenn du ganz mit Honig bestrichen dich hinaus ins Freiebegibst?![096,07] Wenn aber nun deine Seele irgendeinen sündigen Leidenschaftsduft in ihreAußenlebenssphäre streut und die schon vom Fleische befreiten, aber noch in einem gleichenLieblingsdufte stehenden Seelen solchen in deiner Außenlebenssphäre gewisserart riechen,endlich auf dich losstürmen und sich an deinem Überflusse sättigen, ohne eigentlich zuwissen, was sie tun, sondern rein nur deshalb sich stets zahlreicher um dich versammeln, weilsie in deiner Sphäre die erwünschte Kost finden, so ist das gewiß nicht unweise vomSchöpfer, der nichts so sehr für ewighin respektiert als die unbedingteste Freiheit einer jedenSeele. Hat ja doch eine jede Seele stets Mittel genug in den Händen, sich der ungeladenenGäste zu entledigen, wie oft und wann sie es will![096,08] Willst du in der Freie nicht von den stechenden Insekten belästigt werden,so wasche und reinige dich von dem törichten Honiganstrich, und du wirst Ruhe haben; undwillst du keine deine Seele schwächenden und belästigenden Dämonen in deinerAußenlebenssphäre, so erwähle dir des Herrn dir bekannte Ordnung zu deiner Lebensmaximeund ich stehe dir dafür, daß kein Dämon in die Nähe deiner Lebenssphäre kommen wird![096,09] Glaube es mir, wenn du mit irgendeiner in und aus dir selbst entstandenenLebensverkehrtheit die Dämonen nicht anlockst und anziehst, so werden sie dich sicher nichtanziehen, verlocken und verführen; hast du sie aber angezogen, so mußt du es dir dann selbstzuschreiben, wenn sie deine Seele in einer und derselben Leidenschaft durch ihren Andrangnoch mehr verhärten werden, ohne es eigentlich zu wollen.“

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97. Kapitel[097,01] (Raphael:) „Ich sage es dir: Ein jeder Mensch wird zuerst aus sich selbstschlecht und der göttlichen Ordnung abtrünnig! Dazu wird er freilich wohl zumeist durch eineganz verkehrte Erziehung präpariert und gerät also in allerlei üble Leidenschaften und ausdiesen in allerlei wahre Sünden. Durch diese aber öffnet er dann auch allen argen fremdenEinwirkungen die Türen und kann also im Grunde und Boden des seelischen Lebensverdorben werden und auch bleiben, – aber doch immer nur, wenn er es also will.[097,02] Will er sich ändern, so steht ihm vom Herrn aus nichts im Wege; denn einBedrängter darf ja nur den leisesten Wunsch in sich äußern, und es wird ihm alsbald Hilfegegeben. Aber so er sich in seiner Bosheit ganz wohl und zufrieden befindet und nie einenbessern Wunsch von sich und in sich vernehmen läßt, da freilich wird ihm in seinem Willenkeine besondere Einstreuung gemacht.[097,03] Wohl wird es in seines Herzens Sensorium, das man ,Gewissen‘ nennt,eingeflüstert, und er bekommt von Zeit zu Zeit ganz tüchtige Mahnungen von uns aus. Kehrter sich nur einigermaßen daran, so ist da von einem Verlorengehen und Verdorbenwerdenkeine Rede mehr. Da kommt dann die geheime Hilfe unablässig von oben und verleiht derSeele stets Einsicht und Kraft, sich aus dem großen Gewirre mehr und mehr loszumachen;und es gehört dann nur so ein wenig guten Willens dazu, und es gehet dann schon recht hurtigvorwärts, – wenigstens bis dahin, wo der Mensch, für eine höhere Offenbarung geeignet, vomGeiste Gottes Selbst ergriffen und weiter im wahren Lebenslichte geführt wird.[097,04] Aber wo sich natürlich der Mensch in seiner groben Verblendung und inseinem Weltsinnenrausche an die gar sanften und leisen Mahnungen, von uns ausgehend undsich im Herzen kundgebend, gar nicht im geringsten kehrt, sondern schon gleich tut, als wäreer ein Herr der ganzen Welt, – ja, da hat dann doch wohl niemand anders die Schuld amunverbesserlichen Zustande der eigenen Seele als eben die höchst eigene Seele für sich selbst![097,05] Glaube es mir, und merke wohl auf, was ich dir nun sage! Es gibt in derganzen Natur- und Geisterwelt keine sogenannten Urteufel, sondern nur solche, die schonfrüher als unverbesserlich schlechte und lasterhafte Menschen einmal auf der Welt gelebthaben und schon da als die ganz eigentlichen, eingefleischten Teufel die andern Menschen zuallerlei Lastern und Schändlichkeiten nicht nur verlockten, sondern auch mit allen ihnen zuGebote stehenden Zwangsmitteln dazu nötigten, – wodurch sie sich aber in sich selbst einedesto größere Verdammnis bereiten, aus der sie sich schwer je völlig herauswinden werden.Du magst hier nun denken, wie du magst, kannst und willst, so wird es dir nicht möglich sein,dem Herrn auch irgend im geringsten nur eine Schuld beilegen zu können.[097,06] Daß aber dann auch jenseits vom Herrn in der ordnungsmäßigen Art allesMögliche zugelassen wird, um eine verdorbene Seele zu heilen, kannst du dir wohl denken;denn der Herr hat keine Seele fürs Verderben, sondern nur für die möglichsteLebensvollendung erschaffen. Aber das kannst du dir auch merken, daß da im ganzen,unermeßlichen Schöpfungsraume keine einzige Seele durch ein irgend unvermitteltes, ganzunbedingtes Erbarmen zu einer Lebensvollendung gelangen kann, sondern nur durch ihrenhöchst eigenen Willen! Der Herr läßt dem Menschen wohl allerlei Hilfsmittel in die Händespielen; aber dann heißt es beim Menschen, diese als solche erkennen, sie mit dem eigenenWillen ergreifen und selbst wie ganz eigenmächtig gebrauchen![097,07] Ja, wenn dann ein Mensch frei aus sich ruft und sagt in seinem Herzen:,Herr, ich bin zu schwach, mir mit den von Dir mir dargereichten Mitteln zu helfen; hilf Dumir mit Deinem Arm!‘, – ah, da hat der Mensch selbst die höhere Hilfe begehrt mit demeigenen Willen und aus der eigenen Erkenntnis und Innewerdung der unzulänglichen Kraft!Da kann dann der Herr auch sogleich mit aller der erforderlichen Macht und Kraft einwirkenund einer schwachen Seele augenblicklich helfen.[097,08] Aber es muß da des Menschen Wille wie sein Erkennen und Vertrauen vonder vollsten Entschiedenheit durch und durch begleitet sein. Denn es bleibt sonst bei derOrdnung, dernach sich eine jede Seele mit den dargebotenen Mitteln selbst helfen muß, weiljede fremde Einstreuung in das Hauselement des Eigenwillens eine offenbare Auflösung desWesens der Seele zur notwendigen Folge haben müßte. Denn wenn die Seele sich selbst

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bilden muß nach der ewig notwendigen Anordnung des Herrn, so muß sie sich auch selbstbilden und vollenden mit den dargebotenen Mitteln, gleichwie auch ein jeder Mensch auf derErde sich selbst des Leibes Nahrung suchen, sie erkennen und genießen muß, so er seinirdisches Leben fristen will.[097,09] Da steigt kein Gott und kein Engel auf die Erde und saget allenthalben:,Seht, dies und jenes esset, so es euch hungert!‘, sondern es kommt der Hunger und derMensch kostet mit seinem Gaumen die überall wachsenden Früchte, und die ihm munden, dieergreift er und stillt sich mit ihnen ganz behaglich seinen Hunger. Dürstet es ihn, so eilt er zueiner frischen Quelle, und friert es ihn, so wird er sich bald aus allerlei feinsten Stoffen, dieseine Haut nicht reizen und stechen, eine Hülle zur Not zusammenflechten und seine Hautalso verwahren vor der Kälte der Luft. Und will er geschützt vor Regen und wilden Tierensein, so wird er auch bald mit einer Hütte fertig sein; denn es sind ihm dazu ja allerlei Mittelgeboten. Wo er sich nur hinwendet, findet er gleich eine Menge Gaben, die er als solche leichterkennen und auch mit den ihm dafür verliehenen Kräften ebenso leicht gebrauchen kann.“

98. Kapitel[098,01] (Raphael:) „Wenn der Herr aber den Menschen schon für die äußerenLebensbedürfnisse selbst sorgen läßt, um die Seele in der Selbsterkenntnis und Selbsttätigkeitzu üben, um wieviel mehr ist dann das für die Seele selbst der notwendige Fall![098,02] Sogar den Tierseelen ist ein ihnen ganz zu eigen gegebener Trieb (Instinkt)wie eingepflanzt, nach dem sie, und zwar jegliches in seiner Art, zu handeln pflegen. Es wäreganz irrig anzunehmen, daß diese scheinbar sprach- und vernunftlosen Kreaturen ihreHandlungen wie von einer äußeren Kraft belebte Maschinen verrichten. Wäre das der Fall, sokönnte auch das allerbeste Haustier zu keiner noch so einfachen Arbeit abgerichtet werdenund würde dem Rufe des Menschen sicher keine Folge leisten.[098,03] Weil aber auch ein jedes Tier eine eigene Seele hat, die in sich eine für sichabgeschlossene Lebenskraft besitzt, aus der heraus die Tierseele nach ihrer Willkür ihrenLeibesorganismus in Bewegung setzt, so ist ein Tier auch verschiedentlich abrichtbar. Einbloß von außen her belebtes Wesen hat weder ein Gedächtnis, noch irgendeine Art von einerBeurteilung. Sein ganzes Leben ist ein mechanisches und sein Bestreben ein so abgemessenesund gerichtetes, daß von einer Veredlung durch irgendeine Art von einem Unterrichte garkeine Rede sein kann; da muß solche auch nur auf eine mechanische Art von außen hergeschehen.[098,04] Du kannst einem Baume tausend Jahre lang vorreden, daß er so und sostehen und edlere Früchte zum Vorschein bringen soll, – so wird das alles vergebens sein! Damußt du Messer und Säge in Bewegung setzen, mußt dem Wildling die Zweige abnehmen,die Rümpfe vorsichtig spalten, in dieselben edlere frische Zweige stecken und sie dann wohlmit den wilden, gespaltenen Rümpfchen verbinden, so wird dir dann der also rein mechanischveredelte Baum mit der Zeit auch edlere Früchte bringen![098,05] Das Tier aber kannst du schon durch Worte und durch gewisse Handgriffeabrichten, und es wird dir dann bei erforderlichen Gelegenheiten dienen und sich ganz nachdeinem Willen richten. Dies aber gibt dir das untrügliche Zeugnis, daß die Tiere selbst aucheine Art Willensfreiheit haben, ohne die sie dir ebensowenig gehorchen und dienen könntenwie ein Stein oder ein Baum.[098,06] Wenn aber schon die Tiere sichtlich eine für sich abgeschlossene Seele,begabt mit einiger Erkenntnis und Willensfreiheit, besitzen, die sich nach der ihr eigenenLebensart selbst bestimmen muß, um wieviel mehr und um wieviel ausschließlicher muß dasdann erst bei einer Menschenseele der Fall sein! Da kann vorderhand von irgend von außenher kommenden fremden Einflüssen schon gar keine Rede sein, weder von guten und nochweniger von schlechten.[098,07] Die Seele hat ja ohnehin alles, was sie für den ersten Lebensaufschwung nurimmer irgend vonnöten hat. Hat sie sich in sich selbst durch ihre höchst eigene Willenskraftund durch die freiwillige Liebe zu Gott in ein mächtigeres Lebenslicht gesetzt, so wird sieauch bald inne, was ihr noch alles abgeht, wird sich dann denn auch freiwillig bestreben, aus

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allen ihren Lebenskräften das zu erreichen, was ihr eben noch abgegangen ist, und wird dieWege und die Mittel gar wohl erkennen, und sie mit ihrem höchst eigenen Willen auchverlangen und ergreifen und sich bereichern mit den Schätzen des stets höheren, geistigerenund vollendeteren Lebens.[098,08] Was die Seele sich denn auf diesem Wege, der ein rechter Weg nach derOrdnung Gottes ist, erwirbt, ist und bleibt dann völlig ihr zu eigen, und keine Zeit und keineEwigkeit kann es ihr mehr entreißen. Was sich aber die Seele niemals selbst, durch ihrenWillen und durch ihr Erkennen, hat erwerben können, wie zum Beispiel den äußern,organischen Leib und mit ihm so manche äußeren, irdischen Vorteile, das kann ihr auch nichtbleiben, sondern es wird ihr genommen, wie es ihr gegeben ward.[098,09] Wenn aber das alles also ist, wie es einen jeden Menschen die tagtäglicheErfahrung lehrt, so kann da auch von keinen die Seele ziehenden und bestimmenden bösdämonischenGewalttaten eine noch so ferne Rede sein; denn alles hängt von dem Willen undErkennen und endlich von der Liebe der Seele ab. Wie du es willst, erkennst und liebst, ebenalso wird es dir – und nicht denkbar je anders![098,10] Willst, erkennst und liebst du das Rechte nach der Ordnung Gottes, so wirstdu auf diesem Wege auch allzeit zur Realität gelangen; willst, erkennst und liebst du abersolcher Ordnung, in der allein Realität und Wesenheit geboten ist, entgegen, so gleichst dueinem Menschen, der auf einem Acker ernten will, auf dem nie ein Getreide ausgesäet ward,und du mußt es dir am Ende nur selbst zuschreiben, wenn deine Lebensernte gleich einer Nullgeworden ist. – Sage du mir nun, ob du jetzt in der Ordnung bist!“

99. Kapitel[099,01] Sagt Roklus: „Das sicher; denn du hast mir alles das ja doch sohandgreiflich klar dargestellt, daß ich in meinem ganzen Leben noch nichts Klareres in dieserHinsicht vernommen habe! Aber nun ärgere ich mich erst noch mehr über jene Pharisäer dort,die wieder ganz zu den alten, gewöhnlichen Pharisäern werden, je öfter sie den Herrn denBecher in die Hand nehmen sehen, und je gemütlicher der Herr Sich mit dem Cyrenius undKornelius bespricht! Siehst und hörst du nicht, wie diesen schwarzen Kerlen nun schon allesein Greuel wird, was der Herr nun nur immer tut und spricht?! Haben sie doch solche Zeichenvon Ihm gesehen, essen nun an Seinem Tische und loben und preisen Ihn mit der Zunge derSchlangen! – Ja, was sagst denn du dazu?“[099,02] Sagt Raphael: „Laß du das ganz gut sein; denn glaube du es mir, daß demHerrn das durchaus nicht entgeht! Er Selbst wird sie zur rechten Zeit schon ganz gehörigzurechtweisen, und eine vom Herrn ausgehende Zurechtweisung sieht immer ganz besondersbitter aus für den, dem sie stets bestverdientermaßen zuteil wird. Siehe, auch der Cyrenius undKornelius und Julius und Faustus merken das, was du merkst, und ich habe es schon langegemerkt! Aber des Herrn Wille hat mich geheim zur Geduld ermahnt, und so tue auch ich, alsob ich's nicht merkete, was die fünfzig untereinander verhandeln. Aber sie werden nun balddahin gelangen, wo man ihnen entgegentreten wird! Sei darum nun noch eine ganz kurze Zeitvollends ruhig!“[099,03] Roklus ward nun stille und wartete ab, was da kommen werde. Aber diefünfzig Pharisäer warteten nicht, sondern hielten ihre Beratungen fort.[099,04] Floran, ihr bekannter Hauptredner, war aber mit den sehr schlüpfrigenAnsichten des Obersten Stahar nicht einverstanden und sagte: „Des Meisters Essen undTrinken gilt mir noch als kein Beweis wider Seine Göttlichkeit! Es kommt mir Sein ganzesBenehmen mehr wie eine stumme Frage vor, ob wir in unserem Glauben nicht wankendwerden, so wir etwa dies oder jenes an Ihm bemerketen.[099,05] Ist Er der von David so herrlich vorbesungene Messias Jehova Zebaoth, sokann Er tun, was Er will, und es ist von Ihm noch immer recht getan; denn wie sollen wirarme, ohnmächtige, sterbliche Menschen Dem Verhaltungsregeln vorschreiben wollen – da esdoch nur von Ihm abhängt, daß wir sind und leben –, der Himmel und Erde gemacht und allenTieren und Menschen ihre Glieder und verschiedenen Lebensorgane geschaffen, eingerichtet

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und gegeben hat! Da bist du, Stahar, und ihr alle rein auf dem allerschmutzigsten und sogarlebensgefährlichsten Wege![099,06] Was kümmert es denn uns, daß Er nun etwas mehr Weines trinkt und Brotesißt?! Ist ja doch Er der Schöpfer von beiden! Wahrlich, das beirrt mich nicht im geringsten;im Gegenteile freut es mich nur ganz eigens, so auch Er, als der Allerhöchste undAllerweiseste, sich in unserer menschlichen Weise bewegt![099,07] Ich muß es offen gestehen, daß es von euch im höchsten Grade unklug ist,sich hier im Angesichte der höchsten Herrschaften der Welt so zu benehmen, als ob derenHeil von eurem Wohlwollen abhinge! Was und wer seid ihr denn? Nichts als arme,kriechende Erdwürmer vor der Macht eines solchen Menschen, der den Elementen gebietet, –und diese gehorchen Seinem Willen![099,08] Der Wein hat auch eure Gemüter erhitzt und umnebelt euren Verstand;daher bringet ihr denn nun auch Urteile zum Vorscheine, die ich der übergroßen Dummheitwegen geradewegs klassisch nennen möchte. Was wollt ihr dadurch bezwecken? Oder könnetihr aus dem Moses heraus erweisen, daß das dann und wann etwas reichlichere Trinken desWeines verboten sei? Könnet ihr behaupten, daß Noah gesündigt hat, als er vom Safte derTrauben ein wenig zuviel zu sich nahm? Ja, der Sohn hat gesündigt und sich des Flucheswürdig gemacht, der den Vater dem Spotte preisgab; jener Sohn aber, der des Vaters Schambedeckte, ward voll des Segens![099,09] Daher sage ich euch: Was der Herr tut, ist allzeit und ewig recht getan! Undwürde Er hier mehrere Schläuche Weines zu Sich nehmen, so hat uns das nicht zu kümmern;und würden Ihn tausend Jungfrauen umlagern, welchen Standes und Rufes sie auch wären, sohat uns auch das nicht im geringsten zu kümmern; denn Er ist ihr Schöpfer und Erhalter sogut wie der von uns! Was kann uns das kümmern, so Er Sich Seinen wie immer geartetenWerken nahet und das an ihnen etwa Schadhafte und Kranke heilt?! Seid um Jehovas Willendenn doch billig und dankbar bescheiden in euren Urteilen!“

100. Kapitel[100,01] Sagt Stahar: „Du glaubst also, wie es mir scheint, fest an seine Gottheit?!“[100,02] Antwortet Floran: „Was soll mich daran beirren?! Hat Gott zu Mosis Zeitenetwa große Zeichen getan?! So aber ein Mensch hier, ausgerüstet mit der höchsten Weisheit,solche nie erhörten Zeichen tut, die zu tun nur der göttlichen Allmacht allein möglich sind, –was soll mich dann abhalten, solch einen Menschen als vom wahrsten Geiste Gottes vollsterfüllt anzusehen und ihn unmittelbar für den allein wahren Gott zu halten?! Meine Ansicht,meine Annahme und mein darauf gegründeter Glaube stehen da fester als die undenkbar altenPyramiden Ägyptens![100,03] Ich glaube aber nun nicht nur, daß es also und nicht anders ist, sondern ichbin davon bis in meine innerste Lebensfiber überzeugt, und mich kann in solcher meinerlebendigsten Überzeugung nichts mehr wanken machen, und du, wetterwendischer Stahar,schon am allerwenigsten![100,04] In dieser Hinsicht kann ich auch mit dem besten Gewissen von der Welt mitden Römerhelden ausrufen: SI TOTUS ILLABATUR ORBIS, IMPAVIDUM FERIENTRUINÆ! Denn ich weiß, was ich sehe und was ich glaube, und ich bin da keine Windfahneund kein Schilfrohr in einem Teiche voll Schlammes und Morastes. Wohl aber bin ich zueinem Marmorfels im Meere geworden, an dessen harter Stirne sich Orkane undWogenbrandungen weidlichst zerschellen müssen!“[100,05] Sagt Stahar: „Auch die Gottesgerichte des Tempels zu Jerusalem?“[100,06] Sagt Floran: „Wer diesen Herrn und Meister und die Gebieter Roms zumSchilde hat, der hat keine Furcht vor den sogenannten Gottesgerichten, die Gott nie eingesetzthat. Wahrlich, keine noch so geringe Furcht könnte mich vor Jerusalems höchstenAndrohungen anwandeln, – auch alle Donnerflüche des Hohenpriesters gingen an meinenOhren spurlos vorüber! Denn wer am Tage wandelt, hat meiner Ansicht nach dieSchrecknisse der Nacht nicht zu fürchten, und so habe auch ich keine Furcht vor dem Tempelzu Jerusalem!

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[100,07] Wenn man diese sonnenhelle Lehre vergleicht mit den mir nur zuwohlbekannten Satzungen des Tempels, so erkennt man ja doch auf den ersten Augenblick,daß in dieser Lehre des Geistes höchster Tag und im Tempel des Geistes tiefste Nacht waltet.Ja, die der Nacht noch angehören, die werden noch vieles zu befürchten haben, undnamentlich den Tod ihrer Seelen; mich aber erwartet höchstens der Tod des Leibes, dereigentlich gar kein Tod ist![100,08] Das ewige Leben meiner Seele aber kann mir niemand mehr rauben; dennich sehe und fühle es schon lebendigst in mir und empfinde auch solches Lebens ewigunberechenbare Vorteile. So ich aber demnach auch nicht die geringste Furcht vor demAbfalle des Leibes in mir fühle, wie sollte ich da irgendeine Furcht vor den sogenanntenGottesgerichten des Tempels in mir empfinden?! Darum sage ich und bleibe lebendigst festdabei: Wer am Tage wandelt, hat die Schrecknisse der Nacht nicht zu scheuen!“[100,09] Sagt Stahar mit einer bedeutend, so recht templerisch finsterernsten Miene:„Warum und wie kannst du den Ort Nacht nennen, wo die Schrift und das Wort Gottes demVolke gelehrt wird?!“[100,10] Sagt Floran: „Die Schrift, die wir beide als – sage – Schriftgelehrteebensowenig verstehen wie einer, der sie noch nie zu Gesichte bekam, und das aus lauterniedrigen Menscheninteressen zusammengestellte sein sollende Wort Gottes kenne ich nur zugut. Daher erwähne mir davon nur keine Silbe mehr! Welche Wunder haben denn wir jemittels des allmächtig sein sollenden Wortes Gottes geleistet? Was anderes etwa wohl habenwir mit gutem Gewissen aufzuweisen als das nur, daß wir mit den freiwilligen, taxierten undmit Gewalt erzwungenen Opfern unsere Säckel und Kassen voll gemacht haben und habenmit allen Mitteln, darunter auch das schlechteste nicht zu schlecht befunden ward, jedesFünklein bessern Lichtes zu erdrücken uns auf das allereifrigste bestrebt?[100,11] Ist es nicht eine himmelschreiende Schande, daß wir als das alte VolkGottes uns von den Heiden weise Gesetze und Staatshaltsnormen haben vorschreiben lassenmüssen? Und wären diese nicht gekommen, bei uns doch irgendeine menschlichere undbessere Rechtspflege einzuführen, so befände sich unser Volk nun in einer solchenUnordnung, daß es unter den wildesten Tieren keine elendere mehr geben könnte.[100,12] Was war denn unser Recht vor den Römern? Nichts als die blindesteWillkür eines jeden, der irgendeine Gewalt auf was immer für eine Weise sich zu eigengemacht hatte![100,13] Solch ein Reicher hatte so wie gestern etwas geboten; heute aber gereute esihn, weil er seiner Meinung nach kein für ihn recht vorteilhaftes Gebot gegeben hatte. Er warddarob zornig, bestrafte zuerst seinen Ratgeber, dann alle jene, die das gestrige Gesetz beachtethatten; denn sie hätten hingehen, sich vor dem Gesetzgeber in den Staub werfen und ihnaufmerksam machen sollen, daß das gegebene Gesetz mehr zu ihren als zu seinen Gunstengestellt war! Wer zum Mächtigen aber gesagt hatte: ,Höre, du mächtiger und weisesterGebieter, das gegebene Gesetz ist nicht zu befolgen! Und wird es befolgt, so gehest dadurchdu und alle deine Untertanen zugrunde; denn dieses Gesetz rührt von einem verräterischenund arglistigen Ratgeber her, der sicher von einem deiner neidigen Nachbarn dazu bestochenworden ist!‘ –, was geschah nun? Der, der den Gesetzgeber auf solchen Gesetzesmangel oder-fehler aufmerksam gemacht hatte, ward wegen unverschämter Dreistigkeit zur scharfenStrafe gezogen; der böse Ratgeber wurde auch gestraft, und die, die bekanntlich das schlechteGesetz beachtet hatten, wurden auch zur Verantwortung gezogen, und das oft schon zuvor,ehe noch ein neues Gesetz verkündet worden war. – Wie gefällt euch ein solchesRechtssystem?[100,14] Es hatte aber vor den Römern das große Land der Juden eine Menge solcherKleinherren, von denen ein jeder ein ausgemachter Tyrann seiner wenigen, in der größtenphysischen und geistigen Not schmachtenden Völkerchen war und sie von Tag zu Tag hetztenach seinen Launen und nach seiner vor gar niemandem verantwortlichen Willkür. Waren dadie Römer als Heiden nicht wahre Himmelsboten, als sie kamen mit großer Macht und zumPlunder trieben alle die Hunderte der gewissenlosesten Kleintyrannen?! Sie gaben dannvernünftige und bleibende Gesetze, unter denen ein jeder Mensch ganz gut Herr seines Gutes

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war; er bezahlte seine mäßige Steuer und konnte dann ungehindert Handel und Wandeltreiben, wie es ihm nur immer beliebte, – es versteht sich von selbst – auf dem Wege desgesetzlichen Rechtes.[100,15] Daß der Tempel kein Freund der Römer war und ist, das wissen wir, undder Grund ist uns auch nicht unbekannt; denn die mächtigen Römer verlangten auch vomTempel den Tribut, während ehedem die kleinen Tyrannen an den Tempel den Tribut zahlten,damit seine Priester das Volk in der Finsternis erhielten und demselben stets denallerunbedingtesten Gehorsam predigten.[100,16] Oh, wann hat man noch den Juden von einem unbedingten Gehorsam gegendie Herrschaft Roms predigen hören? Man sagt dem Volke wohl, daß die Römer eine Rute inder Hand Gottes seien, die man sich müsse gefallen lassen; aber die hundert scheußlichstenTyrannen, die das arme Volk ärger denn die Teufel in einem fort quälten, waren keineGottesrute, sondern lauter von Gott bestellte Prüfungsengel. Wer sich ihnen widersetzte, wardalsbald als ein Widersacher Jehovas erklärt und verdammt.[100,17] Oh, das waren für den Tempel freilich glückliche Zeiten, vor denen der Herrdie arme Menschheit in der Folge wohl für immer bewahren möge! Des TempelsGottesgerichte sind noch so ein kleines, aber noch ein hinreichend böses Überbleibsel, vordem ich aber nun – dem Herrn allein alles Lob! – gar keine Furcht habe; denn ich bin nun desHerrn und Roms, und das genügt, um vor den Drohungen des Tempels nimmer erbeben zudürfen! – Bist du mit dieser Erklärung zufrieden?“

101. Kapitel[101,01] Stahar macht darob ein finsteres Gesicht und sagt darauf kein Wort; denndes Floran Worte haben den Alten doch wieder ein wenig auf heimlich bessere Gedankengebracht.[101,02] Aber Roklus, der diese Verhandlung mit der gespanntesten Aufmerksamkeitangehört hatte, erhob sich und eilte schnurstracks zum Floran hin, klopfte ihm auf die Achselund sagte: „Ich lobe dich! Du bist ganz mein Mann! Ich nehme dich auf in unser Institut, dasda nun steht unter dem wahren Schutze Gottes und unter dem Schutze Roms. Was du nungeredet, das hat dir der Herr eingegeben; es war wie aus meiner Seele gesprochen! Ah, solcheWorte tun meinem Gemüte, das den Menschen nur wohl will, überaus wohl! Ich begreife nurdas nicht, wie Stahar, der mir wohlbekanntermaßen sonst doch auch gerade nicht aufs Gehirngefallen ist, bei von ihm gesehenen so außerordentlichen Taten und gehörten undverstandenen Lehren des Herrn noch irgendeinen Zweifel in seiner Brust mag aufkeimenlassen?![101,03] Für mich, der ich nun nur etliche Stunden hier verweile, ist das bisherGesehene und Gehörte viel zuviel, – und Stahar hat so viel gesehen und gehört, und es konnteihm doch beifallen, den Herrn der ganzen Unendlichkeit der Teufeleien zu beschuldigen!Wein hin, Wein her, ich habe den Wein auch genossen und nehme sehr wahr in mir, daß auchmein Mut um ein bedeutendes gesteigert worden ist; aber meine einmal gefaßtenÜberzeugungen wanken nicht und würden auch dann nicht wanken, wenn auch meine Gliederein wenig zu wanken anfingen. Aber beim alten Weißkopf Stahar möchte etwa wohl der alteRömerspruch: ,IN VINO VERITAS!‘ in Anwendung gebracht werden; denn der Wein hatsonderbarerweise die Wirkung, daß er häufig bei den Menschen den dunklen Schleier derPolitik lüftet und einem Menschen wider sich selbst die Zunge löst. Und bei solchenGelegenheiten hat man schon oft so manches erfahren, was sonst aus sehr wohlberechneten,selbstsüchtigen, klugen Gründen mit einem Menschen wäre zu Grabe getragen worden.[101,04] Stahar war vorher sicher, trotz seines diamantfesten Pharisäertums, sehr indie Enge getrieben worden. Er sah sich mit seinen Gegensätzen für verloren an und ergab sichendlich, weil er kein Loch, irgend zu entwischen, offen fand; aber tief in seinemAllerinnersten blieb er ganz für sich noch immer der alte, diamantfeste Pharisäer. Nun hatte eraber die große Unklugheit begangen, ein wenig zu viel vom edlen Rebensafte zu genießen,und der hat den alten, verstockten Pharisäer aus seinem innersten Versteck herausgeholt undihn für sich selbst reden gemacht. Wenn bei dem Alten der Weindunst wird verraucht sein, da

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wird es ihm sicher sehr leid sein, daß er sich selbst so schön verraten hat.[101,05] Nicht umsonst dichteten die Menschen von den Bacchantinnen, daß sienicht selten den Menschen zukünftige Dinge und Ereignisse vorhersagten, und man hieltgroße Stücke auf ihre Aussagen. Bei ihnen machte auch der Wein die wunderliche Wirkung.Auch vom großen Judenkönig David erzählt man sich, daß er viele seiner Psalmen nachgenossenem Weine geschrieben und selbst gesungen habe.[101,06] Wenn der Wein demnach eine solch besondere Wirkung hat, so ist es alsganz sicher anzunehmen, daß sich der alte Oberste der Pharisäer nun selbst zu unseremallgemeinen Besten und trotz seiner früher vorgeschützten totalen Bekehrtheit doch wieder alsder stets gleiche und unwandelbare echte Pharisäer geoffenbart hat, eine Menschengattung,vor der selbst die wildesten Bestien der Wälder ihren gehörigen Respekt haben, geschweigeein unter ihrem Joche stehender armer Sünder! – Habe ich recht oder nicht?“[101,07] Sagt Floran: „Ja, liebster Freund, du hast in einer gewissen Hinsicht ganzrecht; aber doch gibt es dabei noch einen Punkt, der hier in eine berücksichtigende Erwägunggezogen werden kann! Sieh, wenn du einen jungen Baum, der krumm gewachsen ist, beugenwillst, so wird der Erfolg bald deine Mühe segnen; machst du dich aber über einen altgewordenen, krummen Baum her, so wirst du fürs erste allerlei Kraftmaschinen inAnwendung bringen müssen, um den schon sehr steif gewordenen älteren Baum gerade zumachen, und fürs zweite wird es dir nicht an der rechten Geduld fehlen dürfen! Nur von Tagzu Tag wirst du einen ganz kleinen Druck ausüben dürfen, und das so lange fort, bis der Baumganz gerade geworden ist; wolltest du ihn aber mit aller Kraft auf einmal geradebeugenwollen, so würdest du den Baum abbrechen und somit töten, was doch sicher kein gesegneterErfolg deiner großen Mühe wäre. – Das scheint auch des Herrn Liebe und Weisheit bei dieserGelegenheit zu beachten.[101,08] Unser Stahar wird nun in eine Stellung gebracht, in der er sich in seinemaltjüdischen Jehovaeifer sehr geärgert fühlen wird. Was hält sein Aberglaube noch alles füreine Sünde, was nach der reinen Vernunft nie eine Sünde, weder vor den Menschen und nochweniger vor Gott, sein kann! Dazu gehört nach seiner Moral ein reichlicherer Genuß desWeines und das Reden mit einer Jungfrau, die nach seiner Idee noch nicht völlig reif seinkönnte! Nun, ist er ganz nüchtern, so geht er offenbar über derlei Kleinigkeiten hinweg; aberer hat ja selbst mehrere Becher Weines vertilgt, und des Weines Naturgeister haben in seinenEingeweiden nun noch so recht alte, verhärtete Überreste des alten, stockblindenPharisäertums gefunden, haben sie belebt und zu einem gewissen Aufstande gebracht. Allein,es ist im Grunde die ganze Erscheinung kaum wert, daß wir darüber ein Wort verlieren![101,09] Ich habe dem Alten aber schon ohnehin meine ganz wohlgegründeteMeinung auf eine sehr verständliche Weise gesagt, und er denkt darüber nun in seinemHalbschlafe nach. Morgen ist er sicher ein ganz anderer Mensch, – und wäre es nicht also, wieich dir's nun gesagt habe, so hätte schon der Herr Selbst ihm etwas entgegengesagt; aber derHerr, wohl wissend, was an dieser Sache ist, scheint davon gar keine noch so kleine Notiz zunehmen. Wenn aber Er und die hohen Häupter Roms das Ganze völlig ignorierten, so könnenauch wir beide völlig versichert sein, daß an dieser Erscheinung nicht mehr gelegen war, alswie ich sie dir nun soeben dargestellt habe. Über das hinaus aber muß ich dir für deinen sehrfreundlichen Antrag von ganzem Herzen danken, und zwar mit der für mich sehrerquicklichen Versicherung, daß ich vom selben einen ganz unbedingten Gebrauch machenwerde.[101,10] Denn was Beseligenderes kann's für einen ehrlichen Menschen auf dieserErde wohl nicht geben, als zu leben und zu wirken in einer wahren Menschengesellschaft,deren Motto ,Liebe und Wahrheit‘ heißt, wo des Menschen Menschenwert gegenseitig als dasheiligste Unterpfand unseres Seins und also völlig als das anerkannt wird, was er von Gott ausist, und wo alle Glieder wie aus einem Herzen den Herrn lebendigst erkennen, Ihn lieben undIhm allein alle Ehre geben und auch wie aus einem Munde sagen: ,Der Herr allein ist alles inallem, und wir aber sind untereinander lauter Brüder, von denen sich keiner auch nur vonferne einbildet, mehr und vorzüglicher zu sein denn sein Nächster; und soll es schon in derGesellschaft irgend Unterschiede geben, so sollen diese nur darin bestehen, daß einer dem

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andern ein größerer Freund zu sein trachtet, um mit vereinten Kräften allen Menschen in dervollsten Wahrheit zu nützen!‘[101,11] Ja, Freund Roklus, das ist des Menschen wahrster und so ganz eigentlichhimmlischer Beruf auf dieser Erde: allen Bedrängten und Notleidenden physisch und geistigzu helfen, wo eine Hilfe irgend nur immer noch möglich ist! Und das ist auch der überklarausgesprochene Liebewille des Herrn; wer dem treulich nachkommt, der wird selbst sicherauch nicht leer ausgehen! – Bist du nicht auch völlig meiner Meinung?“

102. Kapitel[102,01] Sagt Roklus: „Ganz mein Leben, mein Herz, mein Gefühl, mein allzeitigesDenken und Trachten und ganz mein Wille also schon von jeher, – und jetzt um so mehr, daich den Herrn erkannt und Sein ganzes Wesen in mein Herz und in mein Wollenaufgenommen habe für immer und immer! Auch bin ich in bezug auf den alten Stahar nun einbedeutendes billiger zu reden und zu urteilen denn der im Lichte wandelnde Mensch hat einleichtes, über die Nacht zu reden. Es gibt am Tage wohl auch Schatten; aber es ist unter jedemBaume heller um vieles denn in der noch so hellen Nacht. Wie aber in der Natur, also auch imGeiste! Bei dem es im Herzen und in der Seele taget, der hat sich gut ärgern über seinesNebenmenschen Nacht; denn seine tartarusfinstersten Gedanken sind noch immer helles Lichtgegen die Nacht des lichtesten Himmelsgedankens eines echten Pharisäers.[102,02] Denn weißt du, bei uns Griechen besteht schon seit sehr lange dasSprichwort über einen Menschen, der so etwas recht Blitzdummes herredet oder verrichtet:,Der ist ja noch dümmer als ein jüdischer Pharisäer!‘ Ich will damit aber gar nicht sagen, alswären gerade die meisten oder gar alle Pharisäer dumm; aber sehr viele aus ihrer großenAnzahl sind es in jedem Falle. Ich will aber geradewegs noch von der Dummheit nicht sovielreden; aber daß die meisten Pharisäer äußerst böse und unversöhnbar rachsüchtige Menschensind, das ist eine ausgemachte Wahrheit, die durch eine zahllose Reihe der traurigsten undbittersten Erfahrungen eine nur zu unwiderlegbare Bestätigung findet. Und aus diesemGrunde allein bin ich eigentlich ein abgesagtester Feind dieser Menschen; denn mit ihnen hörtjede Gemeinschaft und jeder Handel und Wandel rein auf, – da ist nichts, nichts mehr![102,03] Ah, mit den Samaritern ist gut reden und gut handeln, obschon sie auchnach der Lehre Mosis leben! Auch mit den Sadduzäern ist es nicht völlig aus; aber mit denErzjuden, wie sich die Pharisäer nennen, ist gar nichts anzufangen! Man wird von ihnen nurdann geachtet, wenn man sich von ihnen allzeit auf das alleraußerordentlichste hatbreitschlagen lassen. Gib alles, was du hast, den Pharisäern und stirb dann vor ihren fettenTüren Hungers, so bist du dann ein wahres Gotteskind und von den Pharisäern als ein heiligerund hochgeachteter Mensch benamset! Wehe dem, bei dem sie nur einigen Verstand merken,– der wird schon allzeit mit scheelen Blicken angesehen und wird bei den Eifersüchtigennimmer zu irgendeinem Ansehen gelangen, außer er brächte ihnen ein großes Opfer und ließesich dann mit seinem hellen Verstande zu den niedrigsten Zwecken zum Wohle der Pharisäergebrauchen![102,04] Was gibt aber alles das zusammengenommen dem Forscher nach Licht undWahrheit für einen Aufschluß über die Erzjuden, die da den Amtstitel ,Pharisäer‘ führen?Keinen andern als den, welchen ich einmal ganz unbemerkt von zwei miteinanderdahinschlendernden und sehr wohlgenährten Pharisäern mit meinen höchst eigenen Ohrenvernommen habe! Ich will sie mit A und B nur des Unterschiedes in der Rede wegenbezeichnen.[102,05] A sagte zum B mit einer etwas verschleimt rauhen Stimme: ,Höre du, diedumme Fabel von Moses, der nie bestand, ist durchaus nicht übel! Von einer Wahrheit istdarin wohl keine Spur, und Jehova ist ein leerer, dichterischer Gedanke, und alles das inunserer Schrift Gebotene ist ein Werk der Menschen, wie diese ein Werk der Natur sind, diegleichfort schafft und wieder zerstört![102,06] Gott und Götter aber sind nur die Menschen, die Kraft und Energie genugdazu besitzen, sich selbst dazu zu machen. Dazu ist nur der Anfang schwer; ist die Sacheeinmal nach vielen Jahren recht aus- und durchgebildet, so ist dann alles nur eine Spielerei.

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Mit einigen Scheinwundern läßt sich die ganze Welt breitschlagen. Man erbaue dann nurrecht bald berggroße Tempel und schmücke sie von außen und ganz besonders von innen mitallerlei mystischem Quark und lehre die blinde Menschheit einen irgendwo seiendenallmächtigen Gott kennen, dessen Diener und Willensvollstrecker natürlich niemand andersals nur wir Priester sein dürfen![102,07] Man muß, um angesehener zu bestehen, die Menschheit auch mit allerleischwer oder wohl auch gar nicht möglich zu haltenden Gesetzen, als von Gott, unter derschärfsten Sanktion belasten und die Übertreter stets rücksichtslos strafen! Dadurch wirdGehorsam, Furcht und Schwäche des Volkes erzeugt und erhalten; und hat man einmal dasdurchgesetzt, dann hat man überall gut Herrgott sein.[102,08] Aber man muß dabei dennoch stets die größte Aufmerksamkeit dahinwenden, daß im Volke ja keine weitere Aufklärung zustande komme als bloß insoweit nur,daß der Mensch zur Not nur so viel reden kann, daß er unsere Worte versteht. Nur einenSchritt darüber hinaus, und es werden sich gleich Frager vorfinden, die sich nach allerleierkundigen werden! Wenn aber die Menschen zu fragen anfangen, so beweist das, daß sieauch schon zu denken angefangen haben; Priester und ein von ihnen moralisch beherrschtes,denkendes Volk taugen aber ewig nie füreinander![102,09] Die Menschen dürfen nicht viel mehr Geist besitzen als ein abgerichteterOchse oder ein folgsamer Esel; über diese Schranken hinaus, – und der Priester Ansehengleicht bald einem leck gewordenen Schiffe! Das Volk darf ja nie auch nur eine Ahnung vonunserem inneren Wissen bekommen; denn wenn das der Fall ist, so wird es darauf mitunserem eigentlichen Sein bald aus sein![102,10] Daher heißt es besonders in dieser Zeit, in der sich allerlei verdammlicheVolkserleuchter einzustellen anfangen, ja vor allem darauf schauen, daß sie von der Erdeweggeputzt werden! Obwohl da eine Schwalbe noch lange keinen vollen Sommer bringt, soist sie aber doch ein Fingerzeig, daß ihr ehest mehrere folgen werden. Allein, die Schwalbenkönnen kommen, so viele ihrer wollen, so können sie höchstens den Sperlingen gefährlichwerden; aber die Aufklärer werden uns gefährlich, – daher nur gleich nieder mit gar einemjeden!‘[102,11] Das war die löbliche Rede des A, und der B, ein kleiner, pausbackiger Kerl,gab dem A vollkommen recht; nur zuckte er dabei mit den Achseln und beteuerte: ,Diesesdürfte nun sehr schwer sein wegen der sehr geweckten Römer, durch die unsere Juden bereitsums unglaubliche für uns verdorben worden sind! Und zum größten Überflusse mußte einwahrer Satan uns noch die überaus lästigen Essäer auf die Nase gesetzt haben, und dazu nochunter dem Schutze Roms stehend! Wenn wir uns nun nicht durch die allerschlauesten undallerfeinsten Betrügereien bei dem Volke von neuem zu insinuieren (einzuschmeicheln)beginnen, so wird es bald aus sein mit uns![102,12] Wir müssen uns nun mit allerlei Wunderwirkerei ausrüsten, weil damitselbst ein schon aufgehellter Mensch noch am allerfüglichsten breitgeschlagen werden kann;aber die Wunder müssen ganz auserlesen und ganz neu und nicht leichtlich je dagewesen sein,sonst sitzen wir auf, und die verwünschten Magier, von allen Seiten Jerusalem zuströmend,machen uns verdächtig und am Ende gar lächerlich, – besonders jetzt, wo zum größtenÜberflusse auch die Essäer vor unseren Augen Wunder wirken, daß es eine helle Schande ist,und wo noch in Galiläa ein neuer, alleraußerordentlichster Wundertäter aufgetreten ist undetwa schnurstracks gegen uns mit aller Energie zu Felde zieht und uns um jeden Preisverderben will! Der muß aber auch um jeden Preis von uns vernichtet werden, so wie dergewisse Täufer im Jordan auch vernichtet werden muß; denn der hat uns schon unberechenbargeschadet! Kurz, derlei Aufklärer müssen vernichtet werden, sonst kommen unsere altenVolksbetrügereien in der nacktesten Weise ans Tageslicht und mit uns und mit unseremWohlleben hat es ein immerwährendes Ende erreicht. – Was meinst du da?‘[102,13] Sagte abermals der A: ,Bin ganz mit dir einverstanden, wenn die gar zu lauund dabei doch überaus geizig gewordenen Vorsteher des Tempels von ihren schon insUnermeßliche gehenden Schätzen einen Teil opfern möchten! Aber sie denken: ,Wir habendas Unsrige; gehe dem nun, wie ihm wolle, wir werden mit unseren Schätzen überall gar gut

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bestehen! Solange die Kuh eine Milch gibt, werden wir sie melken; gibt sie hernach einmalkeine Milch mehr, so schlachten wir sie gleich lieber selbst und verschaffen uns aus ihremFleische am Ende noch einen ganz wohlschmeckenden Braten!‘ Sie haben die Sachen schonzu weit kommen lassen, und es wird nun schwerhalten, die Menschen so zu umdunsten, daßsie uns allein glaubeten.[102,14] Ja, hätten wir die Römer auf unserer Seite, da wäre es ein leichtes; aber sohaben wir aus einiger Politik bloß nur den Herodes einigermaßen für uns! Mit dem Pilatus istkein Wort zu reden; denn der hat den größten Römerstolz und läßt niemand von einem auchnoch so hohen Judenstande vor sich kommen, außer in den allerernstesten römischenRechtssachen, – und selbst da zieht ein Jude gegen einen Römer schon allzeit das kürzere!‘[102,15] So in der Weise besprachen sich die beiden, hinter denen ich einherging,noch eine Weile fort, und es wird seitdem etwa bei drei Wochen sein, als ich solchemlöblichen Gespräche zufällig zuhörte, und zwar in der Nähe von Bethlehem, wo ich damals zutun hatte. Und dieses Gespräch bestärkte mich noch mehr in meinem Atheismus; denn darausentnahm ich, daß auch jene, bei denen ich noch den meisten Glauben an einen Gott vermutete,aber auch gar keinen Funken von einem Glauben an ein höheres Gottwesen hatten. Ich fandda meine schon lange vorher gefaßte Meinung, daß sämtliche Gotteslehren nichts als einallerschalster und boshaftester Betrug seien, vollkommen bestätigt.“

103. Kapitel[103,01] (Roklus:) „Erst hier lernte ich wieder einen wahren Gott in einemvollendeten, besten und weisesten Menschen kennen, und Dieser allein ist es und außer Ihmkeiner mehr; denn in Ihm allein finde ich alle jene Eigenschaften vereint, die nach demUrteile der reinen Vernunft ein Gott haben muß, ansonst Er unmöglich ein Gott sein kann.Das erkannte und erkenne ich nun als ein Heide und als ein früherer Atheist lebendigstvollkommen in mir, – und dieser alte, strenge jüdische Gottesdiener mag solches nichterkennen! Warum aber erkennt er das nicht? Weil er je weder die Wahrheit und noch wenigerje den wahren Gott gesucht hat![103,02] Ich habe beinahe die halbe Erde bereist, um die Wahrheit und einen möglichwahren Gott zu finden; aber alle meine großen Opfer waren vergebens! Ich gab alles fernereSuchen auf und warf mich der Weltweisheit in die Arme und fand bei meinem heroischenGeiste bald eine Befriedigung darin und so viel des innern, immerhin sehr schätzbaren Lichtesaus den Schriften des Sokrates, Plato und Aristoteles, daß ich daraus wahrzunehmen anfing,daß ein Mensch durch die innere Liebe und Weisheit sich erst ein transzendentales Lebenbilden kann, das fürderhin nicht so leicht zerstörbar sein wird wie das Leben des durch unddurch morschen Fleisches.[103,03] Hier aus dem Munde des Herrn alles Lebens vernahm ich dieselbe Lehre,nun mit dem klarsten Lebenslichte durch und durch erleuchtet! Der Herr Selbst also kam mirso lange vergebens Suchendem entgegen und gab mir somit hier in meiner eigentlichenHeimat nächster Nähe alles das, was ich so lange vergebens in aller Welt mit vielen Opfernund Mühen gesucht habe.[103,04] Habe ich aber die ewige und lebendigste Wahrheit so schnell hier findenund als solche erkennen können, warum denn der alte jüdische Gottesdiener nicht? Weil er,wie ich solches nicht nur aus dem Gespräche der beiden miteinander wandelnden Pharisäer,sondern bei tausend andern nur zu klar erfahren habe, keine Wahrheit je wieder für sich undnoch um vieles weniger für jemand anders gesucht hat![103,05] Er war aus den selbstsüchtigsten und herrschgierigsten Absichten ja stetsnur ein größter Feind aller Wahrheit und jeder Aufklärung eines Volkes, kam aber nun auchhierher und befand sich gleich in einem wahren Ozean von Wahrheiten höchster undallertiefster Art. Seine Haut konnte sich unmöglich dagegen sträuben; aber sein nun durch denWeindunst ein wenig aus der alten Lethargie geweckter Geist zeigte uns allen nun klar unddeutlich, daß er in sich noch ein ganz eingefleischter Pharisäer ist![103,06] Freilich schon ein altkrummgewachsener Baum, der schwerergeradezubiegen ist denn ein junger; aber bei dem wird auch eine langsame und mit aller

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Vorsicht vorgenommene Geradebeugung etwa wohl eine völlig vergebliche Arbeit sein! Ichwill dir, mein lieber Freund Floran, aber damit nicht in Abrede stellen, daß am Ende auchdieser alte Krummstamm ein gerader wird! Aber vom Weine wird er sich festweg enthaltenmüssen, sonst wird mit der Geradebeugung seines Erzjudenstammes nicht viel Ersprießlicheszum Vorscheine kommen!“

104. Kapitel[104,01] Erhebt sich nun Stahar und sagt etwas grämlich zum Roklus: „Du hast wohlim allgemeinen das gegenwärtige Pharisäertum eben nicht unrichtig beurteilt; aber was deinUrteil über mich betrifft, so hast du dich sehr bedeutend geirrt! Denn ich habe geheimebensogut wie du offenbar die Wahrheit des Lebens gesucht und habe solche auch erst jetzthier im Übermaße gefunden, und niemandem tat sie wohler denn mir, – und vielleicht auchhatte geheim niemand von euch eine so große Freude daran wie eben ich selbst! Für mich warund ist sie ein unschätzbarer Edelstein, den ich fürder um eine ganze Erde nicht vertauschenmöchte![104,02] Ich war und bin noch überselig in solchem Lebenslichte; aber es kam einWölkchen über mein Gemüt, als ich den Herrn so recht wacker den Becher ergreifen sah.Warum? Das habt ihr bereits heraus, und Floran hat mir mit seinem Lebenswinde dasschwarze Wölkchen ganz hinweggeweht und hat dadurch an mir ein sehr gutes Werkverrichtet, wofür ihm der Lohn nicht ausbleiben wird; aber du, Freund Roklus, hast mich ganzrücksichtslos und im Grunde auch ein wenig falsch beurteilt![104,03] Auf daß du aber siehst, daß ich nicht jetzt und auch früher nie so ganz zujenen Pharisäern gehört habe, wie du zuvor ein paar hast auftreten lassen, will ich dir dadurchbeweisen, daß ich dir fürs erste deine über mich gelassene ganz falsche Beurteilung vonganzem Herzen vergebe und fürs zweite dir den freundlichen Antrag stelle, auch mich samtdem Floran in euer Institut aufzunehmen![104,04] Bei dieser Gelegenheit mache ich dir denn auch bekannt, daß ich zu öfterenMalen im Rate zu Jerusalem wider euer Institut sogar den Vorsitz geführt habe und dasInstitut mir viel zu danken hat! Denn nach dem alten Sprichworte, daß viele Hunde des HasenTod sind, wäre auch das Institut, wenn von uns alle Mittel in Tätigkeit gesetzt worden wären,zugrunde gerichtet worden; aber meiner sicher sehr gediegenen Einsprache ist es endlichgelungen, euer Institut in unserer Nähe zu dulden. Denn ich machte den Templern begreiflich,daß das Institut der Sache des Tempels mehr förderlich als hinderlich ist, indem dadurchviele, die an den Tempel schon lange allen Glauben verloren haben, eben durch die Wundereures Institutes wieder ihre Augen zu den alten Zinnen des Tempels richten werden, von demsie aus der Schrift und mündlichen Tradition noch gar wohl wissen, was Außerordentlichessich alles in und außer dem Tempel zugetragen hat.[104,05] Ich war es auch, der es dem Tempel widerriet, wider die Wunder euresInstitutes ins Feld zu ziehen, weil der Tempel dadurch seine eigenen verdächtigen würde. Undsiehe, mein Rat wurde von dem Tempel aus bis jetzt noch immer sehr respektiert, und dukannst es nicht behaupten, daß vom Tempel irgend etwas Wesentliches wider euch wäreunternommen worden! Wenn ich mich aber gegen euch schon als noch ein Erzjude seiendalso benommen habe, so werde ich als euer Mitglied mich wohl auch nicht gegen euchverhalten, und das nun um so weniger, nachdem wir alle hier die größte Lebenswahrheitgefunden haben und einen und denselben Herrn und Meister von Ewigkeit! Ist dir meinAntrag genehm, so bejahe solches, und ich bin mit allen meinen nicht unbedeutendenSchätzen der eurige im Namen des Herrn!“[104,06] Hier reichte Roklus ganz gerührt dem Stahar die Hand und sagte: „Sei mirtausend Male willkommen, Bruder Stahar! Du sollst an meiner Seite das Institut leiten!“[104,07] Sagt Stahar: „Ja, was da in meinen Kräften steht, werde ich auch unfehlbartun; aber wie du selbst es recht gut merken wirst, so sind meine Kräfte nicht mehr irgend weither, – denn mit etlichen siebzig Jahren Alters kehrt man keine Häuser mehr um! Wohl bin ichsonst noch ganz rüstig und fühle mich noch so recht jugendkräftig, besonders an schönen,heiteren Tagen; aber es verhält sich mit der jugendlichen Springkraft eines Greises ungefähr

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also wie mit der Anmutsdauer eines schönen und warmen Spätherbsttages. Einige Stundenläßt er nichts zu wünschen übrig; aber gleich darauf erhebt sich ein schaurig kalter Wind, undmit der Anmut des Tages hat es sein Ende![104,08] So ist es auch mit mir. Heute fühle ich mich so kräftig wie ein junger Löwe,und morgen kann ich gleich so elend und schwach dastehen, als hätten mir die Vampire jedenBlutstropfen entzogen! Und daher darfst du dir von meiner Hilfeleistung eben nicht gar zubesonders viel versprechen.[104,09] Aber meine vielen Erfahrungen sollen samt meinen irdischen Schätzen deinEigentum sein! Du wirst sie noch langehin recht wohl brauchen können, da du erst etlichefünfzig Jahre zählst, die gegen die meinigen ein wahres Jünglingsalter zu nennen sind. Anallerlei Erfahrungen aber fehlt es bei mir wahrlich nicht, und vielleicht vermache ich dir mitmeinen vielen und sehr wichtigen Erfahrungen einen größeren und fürs Leben wertvollerenSchatz denn mit meinem vielen Golde, Edelsteinen und Perlen![104,10] Auch ich war im Anfange ein emsiger Sucher nach Wahrheit. Ich habe auchviele Länder und Städte durchwandert und gesucht Wahrheit und Menschen und muß offenbekennen, daß mein Suchen eben kein ganz erfolgloses war. Ich gewahrte in mir oft ganzhelle Momente. Aber wie es in dieser Welt den Menschen schon allzeit ergeht, so erging esauch mir. Heute ist man ganz hell, morgen aber stellen sich allerlei dumme, irdische Sorgenein und verdunkeln des Menschen Gemüt ganz und gar, und es nützt da kein Sich-Sammelnim Geiste.[104,11] Die Welt stürmt auf unser Gemüt ohne alle Schonung und Rücksicht einund zerstört nicht selten jede Spur eines höheren und inneren Lebenslichtes. Und betrachtetman sich nach solchen allerleiartigen Weltstürmen, so sieht es dann im Herzen gerade alsoaus wie auf der großen Sandwüste Sahara in Afrika; alles höhere Leben liegt wie totdarnieder, und fängt man an, es abermals zu rütteln und aufzurichten, so kommt es einemdabei gerade so vor, als wollte man auf einer wüsten Steppe Äcker, Gärten und Wiesenanzulegen anfangen![104,12] Ja, es gehört wohl gerade nicht zu den unmöglichen Dingen, auf der Weltauch aus einer Sandsteppe ein fruchtbares Land zu machen; aber da gehört viel Arbeit undGeduld dazu! Man müßte zuerst gute Brunnen graben, dann fremdes und gutes Erdreich vonweit her holen und damit den Sand weit und breit und tief zur Genüge überdecken; dannmüßte man aus den Brunnen Wasserleitungen nach allen Richtungen hin machen und das überdem Sande liegende Erdreich fleißig bewässern, so würde dadurch eine frühere Sandsteppesicher bald zu einem Eden sich umgestalten. Aber wer hätte zu solch einer Arbeit die rechteZeit und Lust und die dazu erforderlichen Mittel?[104,13] Und, Freund, ebenso geht es bei einem Menschen, der durch dieverschiedenartigen Weltstürme zu einer wahren Lebenssandsteppe geworden ist! Es mangeltnicht gerade an der Möglichkeit, ein voller Lichtmensch zu werden; aber wo hat der Menschda die Kräfte, die Geduld und die dazu erforderlichen Mittel, besonders wenn er nahe ganzallein für sich dasteht?! Ja, hier bei dieser außerordentlichen, noch nie dagewesenenGelegenheit wird freilich wohl leicht eine noch so wüste Sandsteppe zu einem blühendstenEden physisch und geistig! Das macht des Herrn Allmacht, die aus Wasser den besten Weinund aus Steinen das wohlschmeckendste Brot darstellen kann![104,14] Ich aber habe fünfzig Jahre an mir fleißig gearbeitet und damit bis jetzt dochnichts erreicht; jetzt aber habe ich nichts mehr gearbeitet und wollte auch von keiner Arbeitirgend mehr etwas hören, und eben jetzt in meinem müßigen Zustande hat mir der Herr mehrgegeben, als ich je gesucht habe! Es ist dadurch aus meiner alten Lebenssandsteppe nun wohlein üppigster Lebensgarten geworden; aber da habe ich nichts mitgewirkt, sondern der Herrhat es freiwillig getan! Wie's aber hier bei mir und den neunundvierzig Gefährten der Fall nunist, so war es der Fall auch mit vielen andern, von denen du selbst keine Ausnahme machst![104,15] Ich habe mich gar oftmals überzeugt, daß die Menschen gerade das, was sieoft am alleremsigsten suchen, am seltensten finden, und dann schon gar am allerseltensten,wenn sie es gerade suchen. Wenn ein Mensch auf einem Wege etwas verloren hat und kehrtum und sucht mit allem Fleiße das Verlorene, so findet er sicher alles eher als gerade das, was

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er verloren hat. Ein ganz fremder Mensch, der später desselben Weges zieht, der findet ganzzufällig leicht den Verlust seines ihm sicher ganz unbekannten Vorgängers. Warum fand dasVerlorene einer, der es sicher nie gesucht hat, und warum derjenige nicht, der es verloren unddarauf gleich mit allem Fleiße gesucht hatte? Da haben die Heiden nahezu recht, so sie solcheErscheinungen ,Tücken des Schicksals‘ nannten!“

105. Kapitel[105,01] (Stahar:) „So sucht ein junger Mensch sich eine Braut. Er klopft hie und daan und findet nichts als Abweisungen über Abweisungen. Er wird darob ganz erbost und sagt:,Nein, jetzt habe ich's satt! Ich bleibe ledig und werde meine Wirtschaft selbst, so gut es nurimmer gehen mag, betreiben!‘ Wie er nun ganz ernsten Willens von aller Brautwerbereiabsteht, so bekommt die Sache aber geschwind ein anderes Gesicht! Es kommen nun dieBräute dutzendweise, für jeden Finger zehn, wenn er sie nur versorgen könnte! Ja, warumdenn jetzt, und warum nicht früher, als er die Bräute gesucht hatte?[105,02] Ein dritter geht fischen, gerade in einer Notzeit, weil er Fische für denMarkt braucht. Er müht sich, mit allen Kniffen und andern Kunstgriffen für die Fischereibestens ausgerüstet, eine ganze Nacht ab, und seine Netze bleiben leer. Am Morgen gibt erganz verdrossen die ganze Fischerei weidlichst auf, wirft aber seine Netze bloß des Scherzeswegen dennoch noch einmal aus, und zwar mit der vollen Überzeugung, auch nicht einenFisch zu fangen. Und siehe, die ausgeworfenen Netze fangen an, vor lauter Menge dergefangenen Fische von der schönsten Art und edelsten Gattung zu reißen! Ja, warum dennjetzt auf einmal so viel – und früher die ganze Nacht hindurch nichts?[105,03] So schmachteten die Menschen etliche Jahrtausende unter dem Joche derdicksten Finsternis des allerartigen Aberglaubens. Tausendmal Tausende suchten dasvollwahre Lebenslicht. Aber was fanden sie? Gerade das, was wir beide bis jetzt gefundenhaben, nämlich – nichts! Was blieb am Ende mir und dir, und also auch vielen Tausenden,übrig? Nichts, als politischermaßen schön fein bei dem zu verbleiben, was wir hatten, und waswir uns durch allerlei Erfahrungen zu eigen gemacht haben! Jetzt, an der Neige unsererirdischen Lebenstage aber haben wir nichts mehr gesucht, und siehe, wie durch einenZauberschlag hat sich die Pforte des alten Gotteslichtes geöffnet, und wir atmen nun Strömedes Lichtes ein! Warum denn jetzt, und warum früher nicht? – Sieh, so geht es in der Welt,und so will es offenbar der Herr! Warum es aber gerade also und nicht anders ist und seinkann, das wird der Herr auch ganz allein wissen![105,04] Dort unten am Tische des Herrn sitzen Seine Hauptjünger. Wer sind siedenn? Ich kenne sie alle! Sie sind Fischer, darunter kaum einige des Lesens und Schreibenskundig, – sonst ehrliche und strebsame Leute! Von ihnen hatte gewiß keiner, uns beidengleich, je eine höhere und tiefere Lebenswahrheit gesucht, – und siehe, sie haben ein Lichterhalten vor uns allen, die wir unser Leben lang gesucht haben! Glaube es mir, unsere Namenwerden untergehen wie das Licht eines Fallsternes und wie das eines Blitzes; aber ihr Lichtund ihre Namen werden glänzen bis ans Ende aller Zeiten und die Ewigkeit hindurch! – Werist nun besser daran, einer, der sonst wie ein ganz ehrlicher Mensch auf der Erde gelebt undgehandelt hat, oder einer, der sein ganzes Leben dem Forschen nach den inneren, tiefenLebenswahrheiten geweiht hat?[105,05] Die Hausordnung des Herrn ist und bleibt dem sterblichen Menschengleichfort ein unauflösbares Rätsel. Aber was kann der ohnmächtige Mensch da anders tun,als die Sache mit aller Geduld also nehmen, wie sie kommt; denn von uns aus läßt sich danichts bestimmen und ändern! Oder können wir nun oder je früher etwas darum, daß wir jetztso zufällig als nur immer möglich zum allerkolossalst intensivsten Lebenslichte gelangt sind?Wir suchten lange genug mit allen Laternen, von einem wahren Gotte nur wenigstensinsoweit uns einen Begriff zu verschaffen, daß wir mit voller und überzeugender Einsichthätten annehmen können, daß es irgendeinen Gott, der alles leitet und beherrscht, geben muß.Aber umsonst![105,06] Was wir suchten, rückte immer tiefer und tiefer in den nichtigen Grundzurück, und wir standen dann der vollen Wahrheit nach bald ganz ohne einen Gott auf der

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weiten Erde. Du wardst ein Essäer und als solcher ein Magier in OPTIMA FORMA. Ichhingegen blieb dem Außen nach ein nagelfester Pharisäer und leistete als solcher ordentlicheWunder der scheinbaren Frömmigkeit vor dem blinden Volke. Und so lebten wir beide nuneine geraume Zeit ganz harmlos dahin.[105,07] Den Weg hierher zum alten Fischer Markus haben wir beide zumVergnügen gar oft gemacht. Haben wir aber je auch nur eine allerleiseste Anmahnung vondem wahrgenommen, daß uns beiden hier einmal das größte Lebenslicht aufgehen werde, daßwir eben hier den allein wahren Gott, von dem wir nicht einmal trotz alles Suchens ehedemeinen allerleisesten Begriff bekommen konnten, nicht nur begriffsmäßig, sondern –INCREDIBILE DICTU – sogar vollkommen persönlich kennen lernen, und das auf eine Art,die keinen noch so geringen Zweifel hinter sich läßt? Sieh, so geht es in allen Dingen vonGott aus! Wenn man eigentlich gar nichts mehr sucht, dann findet man oft tausendmal mehr,als man gesucht hatte![105,08] Du hast dich zwar ehedem über mich aufgehalten, als ich gewisseÄußerungen von mir ließ, die des Herrn unbezweifelbarste Gottheit in einen Zweifel zogen.Mir gefiel heimlich dein Ernst, und wäre es mir mit meinem vorgeschützten Zweifel ernstgewesen, – glaube es mir, daß ich dir schon auch etwas entgegnet haben würde! Aber ichhatte heimlich eine rechte Freude über dich; denn ich dachte mir: ,Wüßtest du, warum ich soganz eigentlich einen Zweifel erhob, so hättest du im Herzen jubeln müssen!‘ Mich wundertees nur, daß du dabei den heitern Gleichmut des Herrn übersehen hast, und daß du des Raphaelan dich gerichtete Worte viel zu wenig in ihrer wahren Tiefe erfaßt hast. Darum sage ich dirnun noch einmal, daß meine gemachten vielen Erfahrungen einen großen Wert haben!Freund, wer Albions (Englands) Küsten gesehen hat, der hat sicher schon so mancheserfahren![105,09] Wähle du dir nur zwanzig noch so bewährte und alleraufrichtigste Freunde,und du darfst darauf rechnen, daß unter ihnen sicher ein Verräter lauert, der bei dernächstbesten Gelegenheit einen Schurken machen kann! Ich stehe hier an der Spitze vonneunundvierzig, kannst du da mit Sicherheit annehmen, daß darunter gar keiner sei, der zweiZungen hätte?! Aber SAPIENTI PAUCA!, – du verstehst mich hoffentlich; denn gar zu lautbraucht man noch immer nicht davon zu reden! Ich stand darum auch vom Tische auf, umhier in einiger Entfernung von meinem Tische ein paar freiere Worte mit dir tauschen zukönnen. Mein Floran, ja, auf den kannst du Häuser bauen; aber es bleiben dann nochachtundvierzig übrig, von denen es sehr notwendig ist, sich vorher ihrer innern Stimmungvöllig zu versichern, ehe man mit ihnen ein ganz neues Feld will zu bebauen anfangen![105,10] Du warst ein vollkommener Atheist, ich nicht minder! Aber etliche aus denneunundvierzig waren stets zu dumm dazu; die glaubten an des Tempels mit Händen zugreifende Betrügereien. Sie können daher nur abergläubische, blinddumme Fanatiker sein!Und glaube es mir, daß solche Menschen stets gefährlicher sind uns wahren Menschengegenüber denn eine ganze Herde Löwen! Darum ist hier eine feine Klugheit sicher amrechten Platze. Aber sieh, mein scheinbares Auflehnen gegen den Herrn war von guterWirkung! Die meisten gaben mir unrecht und halten es mit dem weisen Floran; nur so einpaar dürften nun noch darunter sein, die es eher mit mir als mit dem Floran hielten. Aberselbst diese meinen, daß ich etwa möglicherweise denn doch ein wenig zu weit gegangen bin!Und nun, lieber Freund Roklus, urteile du nach Recht und Gebühr, erstens, ob ich rechtgehandelt habe, und zweitens, ob ich deiner Freundschaft, einem Floran gleich, wert bin!“

106. Kapitel[106,01] Sagt Roklus: „Mein allerschätzbarster Stahar, es hätte dazu so vieler Wortewahrlich nicht bedurft; denn ich habe mich mit dir ja ohnehin gleich ausgekannt, und ich binder lebendigen Meinung und vollsten Hoffnung, daß wir beide, einem und demselben Zweckedienend, die sicher gesegnetsten Erfolge zustande bringen werden. Der Herr wird uns mitSeiner Hilfe nicht verlassen, und somit gehen wir einer sicher schönsten Zukunft entgegen,die, wenn hier auf Erden nie völlig, aber doch jenseits auf das glänzendste erfüllt wird. – Abernun begeben wir uns wieder auf unsere Plätze! Der etwas fatale Wind läßt nach, und dennoch

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bleibt das Firmament mit seinen unzählbar vielen Sternen völlig rein. Wenn ich mich nichtirre, so macht der Herr Miene, wieder etwas zu tun oder eine neue Lehre uns zu verkünden, –und da heißt es ganz Aug und Ohr sein!“[106,02] Stahar bemerkt solches auch und sagt: „Ja ja, du hast recht, da geschiehtetwas, und wie ich's merke, so weiß auch Seine nächste Umgebung nicht, wie sie daran ist!Cyrenius fragt Ihn wohl heimlich, was Er vorhabe; aber diesmal scheint der Herr mit derrechten Antwort nicht recht herauszuwollen! Ja, ja, mein liebster Cyrenius, ein Gott ist nochein bißchen mehr denn so ein Cäsar Roms!“[106,03] Sagt Roklus: „Ein bißchen hast du die Römer, wie es mir so vorkommt,noch immer im Magen! Aber es macht das nichts; denn hie und da haben sie wohl übertriebendie Herren der Welt gespielt! Aber nun auf unsere Plätze!“[106,04] Beide begeben sich nun zu ihren Tischen. Als Stahar wieder seinen Platzeinnimmt, fragen ihn gleich mehrere, was er etwa doch mit dem Griechen alles verhandelthabe; Stahar aber verweist ihnen solche weibische Neugierde und sagt vorderhand nichts.[106,05] Den Roklus aber nimmt Raphael ein wenig in die Arbeit und sagt: „Nun,geschieht es dir nun leichter?“[106,06] Sagt Roklus: „Allerdings; denn nun weiß ich doch auf dem Wege dereigenen Erfahrung, wie ich mit dem alten Stahar daran bin, und es freut mich ganzausnehmend, auch mit dem Stahar dahin meine Meinung vollständig bestätigt gefunden zuhaben, daß nahe kein Priester, von welcher Lehre er auch immer sein mag, für seine Persondas glaubt, was er die andern Menschen mit Feuer und Schwert glauben macht! Denn auchder Stahar war gleich mir ein vollkommener Atheist und ist erst hier, samt mir, ein wahrerGottesgläubiger geworden. Aber nun kein Wort mehr davon! Du Freund aus den Himmeln,merkst du nicht, daß der Herr etwas vorhat? Entweder kommt eine Tat, oder Er wird etwasreden!“[106,07] Sagt Raphael: „Allerdings; denn der Herr ruhet nimmer und hat stetsunendlich vieles vor! Warum sollte Er jetzt auf einmal irgend weniger etwas vorhaben alssonst immer?!“[106,08] Sagt Roklus: „Mein himmlischer Freund, das weiß ich so gut als du; eshandelt sich hier aber nun nur darum, ob Er nun nicht etwas ganz Besonderes vorhat!“[106,09] Sagt Raphael: „Nun ja, du wirst es schon sehen, was da zum Vorscheinekommen wird. Allzeit offenbart uns der Herr denn auch nicht, was Er zu tun willens ist,obwohl wir der personifizierte Ausdruck Seines Erzwollens sind. Wir sind als Ausfluß Seinesurgöttlichen Lebens, Wollens und Seins Ihm am nächsten und sind im Grunde nichts als derAusdruck des göttlichen Willens und der göttlichen Kraft, aber nicht in Seiner persönlichenWesenheit, sondern außerhalb derselben seiend und wirkend. Wir sind um Gott herum soungefähr das, was das aus der Sonne ausfließende Licht ist, das auch überall, wohin es nurimmer kommt, alles belebt, bildet, erzeugt, reift und vollendet.[106,10] Wenn du der Sonne einen Spiegel entgegenhältst, so ersiehst du im Spiegeldas Abbild der Sonne genau, und der aus dem Abbilde der Sonne dir zuströmende Lichtstrahlwird dich so gut erwärmen wie der unmittelbare Strahl aus der Sonne selbst, und fängst duden Sonnenstrahl mit einem Alexandrinischen Spiegel auf, der auch ein Hohlspiegel genanntwird, so wird der zurückgeworfene Strahl eine viel größere Licht- und Wärmeentwicklungäußern als das aus der Sonne unmittelbar ausfließende Licht. Und das sind wir Erzengelgeistig; ein jeder geistig vollendete Mensch wird dasselbe in einem noch viel höheren Gradesein.[106,11] Aber wie alles dessen ungeachtet dennoch kein Spiegel, auch keinAlexandrinischer, das in sein Abbild aufnehmen kann, was alles in der gesamten innerenSonne ist und geschieht, so kann auch ich nicht in mir das wahrnehmen, was der Herr in Sichdenkt und beschließt. Zur rechten Zeit wird dann Sein Wille schon nach außen hinaus zustrahlen anfangen, und ich und alle meinesgleichen werden denselben alsogleich in uns völligaufnehmen und ihn befördern in alle Unendlichkeit hinaus; darum führen wir aucheigenschaftlich den Namen ,Erzboten‘, weil wir die Austräger und die Auswirker desgöttlichen Willens sind. Und siehe, du mein allerschätzbarster Freund Roklus, eben jetzt

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beschließt der Herr auch irgend etwas in Sich; aber ich weiß nicht, worin es besteht, weil dasder Herr noch in Sich festhält und nicht ausfließen läßt![106,12] Oh, es gibt im Herrn noch gar endlos vieles, das wir nicht kennen und auchnie kennen werden aus unserem Forschungstriebe heraus! Wenn aber Er es wollen wird, dannwerden wir dessen inne und danach vollauf tätig werden. Übrigens habe nur auch du selbstacht darauf! Kommen wird etwas Tüchtiges; aber was, das wird die sicher baldige Folgezeigen!“[106,13] Roklus verstand die Worte Raphaels und bewunderte dessen Bekanntschaftauch mit den Alexandrinischen Spiegeln, von denen er bei seinen Reisen in Ägypten einigegesehen und erprobt hatte und einen auch für das Institut anschaffte.

107. Kapitel[107,01] Es trat nun gegen die Mitte der sehr hellen Sternennacht eine große Stilleein. Aller Augen und Ohren waren in größter Spannung auf Mich gerichtet; denn alleerwarteten irgendeine Lehre oder irgendeine Tat von Mir. Ich aber beließ sie eine Zeitlang insolch einer für ihre Seelen höchst wohltätigen Gespanntheit.[107,02] Nach einer Weile von etwa einer guten halben Stunde erhob Ich Mich raschund sagte mit lauter Stimme: „Meine Kinder und Freunde und Brüder! Ich sehe es, daß ihralle in einer sehr gespannten Erwartung da harret, ob Ich nicht etwas tun oder reden werde.Wahrlich aber sage Ich es euch, daß Ich eben diesmal nichts Weiteres zu reden und zu tunhabe unter euch; denn Ich habe, den Zeitraum von sieben Tagen unter euch seiend, nahe alleserschöpft, was euch vorderhand not tut zur nachkommenden völligen Aufnahme MeinesReiches in eure Herzen. Aber eure große Gespanntheit nötigt Mich, vor euch immer nochetwas zu reden und zu tun, obwohl auch Meine Fleischglieder ein wenig müde geworden sind.Aber was tut die Liebe der Liebe nicht alles?! Und so habet denn ein aufmerksames Ohr, undtuet weit auf eure Augen![107,03] Morgen trennen wir uns auf eine längere Zeit, und Ich werde kaum in einemJahre diese Gegend wieder besuchen und mit Meinen Füßen betreten; aber da Ich hier einenso großen Sieg erfochten habe und darum ein bleibendes Denkmal in diesem Badhause und indem neuen Hafen aufgerichtet habe, das nicht leichtlich je gänzlich zerstört werden wird –außer zu einer Zeit, wann der Glaube an Mich verschwinden wird und mit ihm die Liebe –, sowill Ich denn auch noch etwas tun. Dann aber freilich, wenn Glaube und Liebe unter denMenschen nicht mehr sein werden, werden Barbarenhorden in diese Lande einfallen undwerden zerstören alle Denkmale dieser großen Zeit, die seit Moses bis zu Mir herab sich überdiese Länder ergossen hat.[107,04] Es könnte solches wohl gar leicht verhütet werden; aber es wird dennochnicht verhütet werden. Es wird dieses Badhaus wohl noch bestehen und der Hafen und wirdnicht zerstört zur Zeit, wann Jerusalem fallen wird; dennoch aber wird es keine fünfhundertJahre alt werden. Denn Ich sage es euch, mit Jerusalem wird der Anfang gemacht werden;aber es werden sich die Menschen nicht kehren nach der Mahnung, die an Jerusalem ergehenwird, und werden verfallen in allerlei Arglist, Welttümlichkeit, Bosheit, Stolz, Lüge, SelbstundHerrschsucht und Hurerei und Ehebruch. Dann soll erweckt werden ein Volk aus demtiefen Morgenlande und soll diese Lande überströmen gleich einem großen ägyptischenHeuschreckenzuge und soll zerstören alles: Menschen, Vieh und alle Städte, Flecken, Dörferund einzelne Wohnhäuser, und soll dann knechten die Völker der Erde weit und breit in Asia,Afrika und Europa, und das so lange, bis über alle Gottlosen ein größeres und allgemeineresGericht ergehen wird![107,05] Aber alle, die Mir treu verbleiben werden im Glauben und in der Liebe,sollen von dem Gerichte verschont bleiben; denn Ich Selbst werde Mich für sie mit einemSchwerte umgürten und vor ihnen ins Feld ziehen. Meinem Schwerte wird aber jeder Feindweichen müssen! Das Schwert aber wird heißen ,Immanuel‘ (Gott der Herr mit uns), undseine Schärfe wird sein die Wahrheit und seine große Schwere die Liebe aus Gott, dem VaterSeiner getreuen Kinder. Wer da kämpfen will, der kämpfe mit der Schärfe der Wahrheit ausGott und mit der Schwere der Liebe aus dem Herzen des Vaters von Ewigkeit! Mit dieser

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Waffe ausgerüstet, wird er siegen über jeden Feind Meines Namens, und somit Feind desLebens und der Wahrheit!“

108. Kapitel[108,01] (Der Herr:) „Aber es wird kommen am Ende eine Zeit, in der die Menschenzu einer großen Klugheit und Geschicklichkeit in allen Dingen gelangen werden und erbauenwerden allerlei Maschinen, die alle menschlichen Arbeiten verrichten werden wie lebende,vernünftige Menschen und Tiere; dadurch aber werden viele Menschenhände arbeitslos, unddie Magen der armen, arbeitslosen Menschen werden voll Hungers werden. Es wird sich dannsteigern der Menschen Elend bis zu einer unglaublichen Höhe. Alsdann werden abermals vonMir Menschen erweckt werden, und sie werden verkünden die Wahrheit Meines Namens überzweihundert Jahre lang. Wohl denen, die sich daran kehren werden, obwohl ihre Zahl nur einegeringe sein wird![108,02] Wenn aber auch die Zahl der Reinen und Guten wie zu den Zeiten Noahssich sehr verringern wird, dann soll die Erde abermals beschickt werden mit einemallgemeinen Gerichte, in welchem weder der Menschen noch der Tiere, noch der Pflanzengeschont wird. Es werden da den stolzen Menschen nichts mehr nützen ihre feuer- undtodspeienden Waffen, nichts ihre Burgen und ehernen Wege, auf denen sie mit derSchnelligkeit eines abgeschossenen Pfeiles dahinfahren werden; denn es wird ein Feind ausden Lüften angefahren kommen und wird sie alle verderben, die da allzeit Übles getan haben.Das wird sein eine wahre Krämer- und Wechslerzeit.[108,03] Aber was Ich erst jüngsthin einmal zu Jerusalem im Tempel den Wechslernund Taubenkrämern tat, das werde Ich dann im Großen tun auf der ganzen Erde und werdezerstören alle die Kramläden und Wechselbuden durch den Feind, den Ich aus den weitenLufträumen der Erde zusenden werde wie einen dahinzuckenden Blitz mit großem Getöse undGekrache. Wahrlich, gegen den werden vergeblich kämpfen alle die Heere der Erde; aberMeinen wenigen Freunden wird der große, unbesiegbare Feind kein Leids tun und wird sieverschonen für eine ganz neue Pflanzschule, aus der neue und bessere Menschen hervorgehenwerden![108,04] Fasset dieses wohl! Denket aber ja nicht, daß Ich das alles also haben wolle,und es wäre darum etwa das alles schon also bestimmt! Das alles sei ferne von Mir und euch!Aber es wird also sein, wie vor den Zeiten Noahs: Die Menschen werden von ihren vielenWeltkenntnissen und erworbenen Fertigkeiten einen stets böseren Gebrauch machen undwerden ganz freiwillig allerlei Gerichte aus den Tiefen Meiner Schöpfung über sich und amEnde über die ganze Erde heraufbeschwören. Da aber sage auch Ich dann mit euch, Meinenbiederen Römern: VOLENTI NON FIT INIURIA![108,05] Ja, es sollen die Menschen mit Maß und Ziel ja alles haben und sicherrichten die mannigfachen Bequemlichkeiten fürs irdische Leben und sollen schonen ihreHände vor schweren Arbeiten, um desto mehr Zeit zu gewinnen für die Bearbeitung undVeredlung ihrer Herzen und Seelen, und sollen sein alle gleich voll Freudigkeit in MeinemNamen durch ihr ganzes Leben; aber unter ihnen soll es keinen Leidenden und Traurigengeben, außer einen mutwilligen Sünder wider jede gute bestehende Ordnung in MeinemNamen![108,06] Aber wenn mit der natürlich zunehmenden Geschicklichkeit der Menschenauch ihre Selbstsucht, Habgier und Herrschsucht zunehmen wird und also die Verfinsterungder Menschengemüter, dann natürlich können davon auch die schlimmen Folgen nicht untermWege verbleiben! Denn so ihr einen Fuß um den andern schnell weiter und weiter setzet, sokann die Folge des schnellen Weiterkommens nicht ausbleiben. Wer aber mit demWeitersetzen seiner Füße zaudert, muß sich auch gefallen lassen, so ihm sogar eine Schneckevorkommt. Von einer Höhe herabfallen, bringt dem Leibe offenbar den Tod; wenn aberjemand das aus der Erfahrung weiß und springt aber dennoch von einer großen Höhe in eineTiefe hinab, – was ist dann das?[108,07] Seht, das ist blinder Mutwille, und die arge Folge davon nicht Mein Wille,sondern das unwandelbare Gesetz Meiner ewigen Ordnung, das weder örtlich speziell und

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noch weniger irgend allgemein aufgehoben werden kann! Oder meinet ihr, daß Ich etwadarum dem Feuer seine zerstörende Hitze nehmen soll, auf daß ein Narr, der in ein Feuer sichstürzt, keinen Schaden leide?! Oder soll Ich dem Wasser das nehmen, daß es ein Wasser istund der Mensch im selben ehestens ersticken muß, so er entweder unvorsichtig oder mitGewalt eines andern oder mutwillig in dasselbe fällt?!“

109. Kapitel[109,01] (Der Herr:) „Sehet an die Berge voll Wälder und Gesträuche! Sehet, diesesaugen alle die ihnen zusagenden Naturgeister (Elektrizität, magnetisches Fluidum) imentsprechend gerechten Maße auf! Gehet hin und entwaldet alle die Berge, und ihr werdet dieFolgen davon gar sehr bitter schmeckend allerjüngstens schon verspüren! Es werden dadurchgar große Massen von freien und rohesten Naturgeistern die über die ganze Erde lagerndeLuft stets mehr und mehr zu erfüllen anfangen. Diese werden, weil sie keine für sieentsprechend tauglichen Wohn- und Tätigkeitsstätten finden, anfangen sich massenhaft zuergreifen und werden durch ihre Unruhe und durch ihren Hunger und Durst(Assimilationstrieb) die bösesten und alles verheerenden Stürme verursachen und ganzeLänder derart gänzlich zugrunde richten, daß darauf in hundert, oft tausend Jahren nichts alshie und da ein Moospflänzchen zum Vorscheine kommen wird, wie es auf der weiten Erdenoch heutzutage solche viele Tagereisen weit gedehnten Plätze und Flächen gibt, die ebensovegetationsleer dastehen wie ein wüster und tauber Kalkstein an den Ufern des Toten Meeresin Unterpalästina, dahin der Jordan fließt.[109,02] Ja, ist das etwa Mein Wille also? O nein! Denn wo die Menschen freiwollen und auch frei handeln müssen, um Menschen zu werden auch im Geiste, da will Ichfür Mich – und stellen es die Menschen noch so toll an – ganz und gar nichts, sondern Ichlasse es nur zu, daß die Menschen ganz unbeirrt das erreichen, um was sie sich so eifrigbestrebt haben, als hinge alle ihre Lebensglückseligkeit daran. Mögen dann die Folgen gutoder schlecht sein, das gilt bei Mir ein ganz Gleiches! Selbst schaffen, – selbst haben! WeißIch auch, was in der Folge geschehen wird, so kann und darf Ich dennoch nicht hindernddazwischenwirken mit Meiner Allmacht; denn tue Ich das, so hört der Mensch auf, einMensch zu sein. Er ist dann bloß eine belebte Maschine und sonst nichts und kann für sichund für Mich ewighin keinen Wert haben. Denn er gleicht einem Schreiber, der für sich keineSilbe zu schreiben imstande ist, so er aber dennoch schreiben soll, ein Schreibkundiger ihmdie Hand vom A bis zum Z führen muß; und hat er auf diese Weise einen Aufsatzgeschrieben, so versteht er ihn dennoch nicht. Und hat er auf diese Art auch hunderttausendBriefe geschrieben, so ist er dennoch ebensowenig selbst ein Schreiber wie der Griffel, mitdem er geschrieben hat. Ebensowenig wäre auch der Mensch dieser Erde ein Mensch, wennihm nicht durchgängig der freie Wille unangetastet und ebenalso das Handeln danachbelassen würde.[109,03] Es kann der Wille wohl durch allerlei Lehre und Gesetze geregelt werden;aber weder Lehre noch irgendein Gesetz ist dem freien Willen ein Hemmschuh in derAusübung dessen, was er will. Will der Wille des Menschen eine Lehre und ein Gesetz zurRichtschnur seiner Handlungen annehmen, so wird er sich selbst ohne irgendeinen innernZwang danach richten; will er aber das nicht, so kann ihn keine Macht der Welt und derHimmel dazu zwingen – und darf es auch nicht! Denn, wie gesagt: Ohne den freien Willen istder Mensch kein Mensch mehr, sondern eine pure, naturbelebte Maschine, wie die Menschenmit der Zeit auch solche Maschinen erfinden werden, die dieselben künstlichsten Arbeitenverrichten werden, die nun kaum irgendein Mensch zu verrichten imstande ist. Aber einesolche Maschine wird dennoch kein Mensch sein, weder der Form und noch weniger derinnern freiwirkenden Realität nach; denn die hat keinen freien Willen und kann daher auchewig keine für sich selbständige Handlung verrichten. Was des Menschen Wille in sie gelegthat, das wird sie auch verrichten, und nie und nimmer irgend etwas anderes.[109,04] Der Mensch aber kann aus sich heraus alles, was er nur immer will, undniemand kann ihn daran hindern. Und so kann der Mensch mit der Erde, die seinen Leib trägtund nährt, tun, was er will, und muß sich dann zumeist erst durch die Folgen belehren lassen,

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ob sein Wille gut oder böse war.[109,05] Es hat aber darum ein jeder Mensch die Vernunft und den daraushervorgehenden Verstand. Er kann darum durch Lehre, durch äußere Gesetze und durchallerlei Erfahrung klug gemacht werden und kann dann das Gute, Rechte und Wahre alleinwählen und sich selbst danach zur Tätigkeit bestimmen; aber er erleidet dabei dennoch keinenZwang, da er das ja selbst frei wählt, was er als gut, recht und wahr erkennt.[109,06] Daß aber Menschen zumeist aus zeitlichen Interessen gar oft alles erkannteGute, Rechte und Wahre dennoch mit den Füßen treten und im Handeln gerade umgekehrtsich erweisen, können wir nun schon Tag für Tag an Hunderten nur zu handgreiflich erfahren,und es geht aus dem wieder hervor, daß die Freiheit des menschlichen Willens durch garnichts gefährdet und beschränkt werden kann. Und so ist es schon möglich, daß mit denZeiten die Menschen große Dinge erfinden können und also auch auf die Natur der Erde alsoeinzuwirken anfangen können, daß diese am Ende ordentlich leck werden muß. Die Folgendavon werden freilich keine angenehmen sein und werden als eine sichere Strafe des schlechtverwendeten Willens erscheinen, aber nicht von Mir aus irgend gewollt, sondern durch denWillen der Menschen hervorgebracht.[109,07] Wollen die Menschen eine abermalige Sündflut, so dürfen sie nur fleißig dieBerge ab- und durchgraben, und sie werden dadurch den unterirdischen Wässern dieSchleusen öffnen! Wollen sie die ganze Erde in Flammen sehen, so dürfen sie nur fleißig alleWälder vernichten, und die Naturgeister (Elektrizität) werden sich derart vermehren, daß dieErde auf einmal in ein Blitzfeuermeer eingehüllt sein wird! Werde dann etwa auch Ich dieErde durchs Feuer heimsuchen wollen?! Darum lehret die Menschen weise sein, ansonst sieselbst die Gerichte über sich heraufbeschwören werden! Ich weiß es aber, daß es alsokommen wird, und dennoch kann und darf Ich nicht hindernd dagegen auftreten durch MeineAllmacht, sondern nur durch die Lehre. – Verstehet ihr das?“

110. Kapitel[110,01] Sagt Cyrenius: „Verstanden hätten wir es sicher; aber dies Verständnis hatsehr wenig Tröstendes für die Menschen dieser Erde! Was nützet da die beste Lehre, so dieMenschen mit der Zeit von ihr wieder abfallen können und dann beitragen zum Verderben derganzen Erde! Ja, hätten wir, als nun Deine Zeugen, ein wenigstens tausend Jahre langes Lebenund unsere jüngsten Jünger dann abermals ein so langes, so genügete das, um die Lehre reinzu erhalten; aber so Du Selbst erstens, nach Deiner nicht unklaren Andeutung, diese Erdekörperlich verläßt und zweitens die Zeichen auch seltener werden, – ja, dann weiß ich nicht,wer dann daran Schuld tragen wird, so die Erde durch die pure Dummheit der Menschen amEnde ganz und gar zugrunde gerichtet wird! Was nützet das, so sie auch von jetzt an mitgenauer Not noch ein paar Tausende von Jahren erhalten, dann aber dennoch offenbarzugrunde gerichtet wird?!“[110,02] Sage Ich: „Freund, wirst du in jener Zeit auch nicht also grobmateriellfortleben, wie du jetzt lebst, denkst und sprichst, so wirst du aber doch als Geist, deiner umsehr vieles heller bewußt, kräftiger und mächtiger für ewig fortleben und wirst Augen- undOhrenzeuge sein von allem, was da geschehen und von Mir notgedrungen zugelassen wird;aber es wird dir dann sicher alles recht sein, und du wirst noch selbst dazu so manchesbeitragen zur Züchtigung der Menschen und wirst Mich mit Millionen anderen Geistern garviele Male angehen, der Erde eine neue Einrichtung und Gestalt zu geben! Aber Ich werdeeuch dann allzeit zur Geduld und Liebe ermahnen.[110,03] Und wenn es auf der Erde einmal so recht toll durcheinanderzugehenanfangen wird, so wirst du in Meinem Reiche eine große Freude haben und sagen: ,Na,endlich läßt der Herr einmal wieder der schreiendsten Ungerechtigkeit der Menschen auch aufder materiellen Erde Seine Zuchtrute fühlen!‘ Denke du nur auch daran, daß Ich es an vonMeinem Geiste erfüllten Männern nie habe mangeln lassen, auch unter den finstersten Heidennicht! Es durften nie fünfzig Jahre vergehen, – und es standen schon wieder Männer da, dieden Menschen den rechten Weg zeigten! Jetzt kam Ich Selbst als Mensch auf diesegroßbestimmungsvollste Erde; nach Mir werden gleichfort Männer bis ans Ende der Welt zu

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den Kindern der Welt gesandt werden und werden stets auch viele bekehren zum wahrenLichte.[110,04] Es wird von dieser euch nun gegebenen Lehre kein Häkchen verlorengehen,und dennoch wird das für die große Weltallgemeinheit von keinem großen Belange sein; denndiese wird, solange es eine Materie gibt und geben muß, mit dem rein geistigen Elemente instetem Kampfe stehen. Aber es sei darum niemand bange; denn allzeit werden viele Berufenesein, aber darunter auch stets wenige Erwählte![110,05] Die sich nach den Erwählten richten werden, für die wird die Erde nochimmer ein sicheres Plätzchen haben; aber die zu sehr Tauben und Blinden im Herzen werdenvon Zeit zu Zeit stets wie das Unkraut vom reinen Weizen gesondert werden.[110,06] Die Erde wird darum also fortbestehen, wie sie nach Noah fortbestanden ist,und wird tragen Meine helleren Kinder; nur der zu sehr überhandgenommen habende Unflatwird von ihr entfernt werden und in eine andere Reinigungsanstalt kommen, an denen es inMeinem ewig großen Reiche wahrlich keinen Mangel hat und auch ewig nie einen Mangelhaben wird. Aber Meine Kinder werden solche Wesen nimmer; denn dazu gehört, daß manMich wohl erkennt und über alles liebt.[110,07] Denn nun rede Ich nicht als der Wunderarzt Jesus aus Nazareth, sondern alsDer, der in Mir wohnt von Ewigkeit, – als der Vater voll Liebe und Erbarmung rede Ich zueuch und als der einige Gott, der da spricht: ,Ich bin das Alpha und das Omega, der ewigeAnfang und das endlose, ewige Endziel der ganzen Unendlichkeit; außer Mir gibt es keinenGott irgend mehr!‘“

111. Kapitel[111,01] (Der Herr:) „Darum sage Ich zu euch: Wer Mich suchen, finden underkennen und dann über alles lieben wird und seinen Nächsten mit aller Geduld wie sichselbst, schon hier oder zum mindesten doch jenseits, aus allen Kräften, der wird Mein Kind,also Mein Sohn und Meine Tochter sein! Wer aber Mich nicht suchen, nicht finden, nichterkennen und somit auch nicht lieben wird und wird auch voll Lieblosigkeit sein gegen seineNebenmenschen, der wird ewig nie auch zu Meiner Kindschaft gelangen! Denn Meine Kindermüssen also vollkommen sein, wie Ich als ihr wahrer Vater Selbst vollkommen bin![111,02] Die später sehrmöglicherweise geläuterten Weltkinder aber werden geistigeBewohner jener Weltkörper und jener ihnen entsprechenden Vereine verbleiben, auf und indenen sie geläutert wurden; aber in des ewigen Vaters Hause in des allerhöchsten HimmelsMitte werden sie nimmer aus und ein gehen gleich Meinen wahren Kindern, die mit Mir stetsdie ganze Unendlichkeit richten werden ewig fort und fort.[111,03] Diese Erde aber wird nach der vorhergesagten letzten, großen Läuterung sowie nun Menschen und Menschen tragen; aber diese künftigen Menschen werden sein umsehr vieles besser denn die jetzigen und werden haben fort und fort Mein lebendiges Wort.[111,04] Wenn aber einst die Erde, nach für euch undenklich vielen Jahren, alle ihreGefangenen wird hergegeben haben, so wird sie dann selbst im Lichtmeere der Sonne in einegeistige umgewandelt werden. Denn das allerunterste Hüls- und Schotenwerk, darin früher dielebendigen Geister und Seelen hausten, gleicht einem Bimse, der, obschon kein eigentlichesLebenselement mehr seiend, doch immer noch eine plump und zerrissen organische Materieist und eine allerunterste Art gerichteter Geister in sich birgt.[111,05] Was soll's mit dem Substrate, wenn sich alles intelligente Leben aus ihmfrei gemacht hat? Soll es als ein gewisserart ausgebrannter Bimsklumpen, aller weiterenBestimmung bar, als völlig tot im endlosen Raume herumschwimmen? Oder sollte oderkönnte es dennoch in den Sphären der lebenden und in vielfachster Art vollendeten Geisteretwas sein? Ja, es soll etwas sein; denn nichts kann im endlosen Raume, der auch Mein Reichist und Mein ewiges Wohnhaus, als völlig tot und bestimmungslos sich irgendwo alsbestehend vorfinden! Um aber von einer Bestimmung zu reden, muß man doch unfehlbar voneiner geistigen für ewig dauernd reden, da es eine materiell-ewige Bestimmung nimmerirgendwo geben kann.[111,06] Jede Materie, als etwas räumlich und zeitlich für sich abgeschlossen

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Begrenztes, kann ja nur eine zeitliche Bestimmung haben. Hat sie aber solcher in einergewissen Periode vollends entsprochen, und ist mit ihr als einem Medium ein höhererLebenszweck erreicht worden, und ist sie, die Materie, als ein früher für einen bestimmtenZweck brauchbares und gesundes Gefäß morsch, locker, löcherig und somit für irgendeinenähnlichen weiteren Zweck völlig unbrauchbar geworden, – was sollte dann aus dem Bimseweiteres noch werden?[111,07] Sehet einen Eimer bei einem Brunnen an! Was wird aus ihm, der viele Jahrelang zum Wasserschöpfen gedient hat? Kann er als völlig morsch und durchlöchert nochfernerhin zum Wasserschöpfen gebraucht werden? Nein; daher wird er abgenommen undverbrannt werden und wird dadurch vollends aufgelöst in Rauch, Luft und etwas wenigAsche, die aber mit der Zeit von der Feuchtigkeit der Luft ebenfalls in eine einfache Luftartaufgelöst wird und im aufgelösten Luftzustande dann erst wieder als eine gute Unterlage desreellen geistigen Seins dienlich werden kann. Und wird schon aus ihr nicht ein und derselbeWassereimer mehr, so kann aus ihr dennoch wieder ein höchst zartes und subtiles Hülswerkbereitet werden, das ein Träger des lebendigen Wassers aus Mir werden kann.“

112. Kapitel[112,01] (Der Herr:) „Was aber mit dem alten Wassereimer durch die Vernunft derMenschen geschieht oder doch wenigstens zuverlässig geschehen kann, das wird dereinstauch mit der Erde wie mit allen anderen Weltkörpern, selbst mit den Urzentralsonnen,geschehen, und es werden aus ihnen dann vollkommen geistige Weltkörper zur Tragung undBewohnung der seligen Geister.[112,02] Aber es werden solche Weltkörper dann nicht nur auswendig, sondern vielmehr inwendig bewohnt sein in allen ihren den früheren organisch- materiellen Formenentsprechend ähnlichen inneren Lebenstempeln.[112,03] Da werden die Menschen als vollendete Geister erst die innereBeschaffenheit der sie einstens tragenden Welten vollkommenst kennenlernen und sich nichtgenug in aller Freudigkeit wundern können über ihre überaus wundervoll komplizierte innereorganische Einrichtung von den kleinsten bis zu den größten Organen.[112,04] Die für sich lichtlosen kleinen Planeten, wie diese Erde, ihr Mond, diesogenannte Venus, der Merkur, Mars, Jupiter und Saturn und noch mehrere gleiche Planeten,die zu dieser Sonne gehören, samt den vielen Bartsternen – die späterhin auchMenschenwesen tragende Planeten werden, teils durch eine jeweilige Vereinigung mit einemschon Menschen tragenden Planeten, und teils in ihrer reif gewordenen planetarischenSelbstheit –, werden nach für eure Begriffe undenkbar vielen Erdenjahren in der Sonne ihreAuflösung finden.[112,05] Die Sonne und ihre höchst vielen Gefährtinnen in ihrer Spezialmittelsonne;diese Mittelsonnen, die schon eines überaus hohen Alters fähig sind, und für die eine Äone(dezillionmal Dezillionen) von Erdenjahren gerade das ist, was für diese Erde ein Jahr ist,werden ihre Auflösung in den Sonnengebietszentralsonnen finden, die natürlich in allen ihrenSeinsverhältnissen – um nach der arabischen Art zu sprechen – ums millionenmalMillionenfache größer dastehen denn ihre Vordersonnen. Diese Sonnengebietszentralsonnenwerden wieder in den im gleichen Verhältnisse größeren Sonnenallzentralsonnen, und dieseendlich in der einzigen Urzentralsonne, deren körperliche Größe für eure Begriffe von einerwahren Unermeßlichkeit ist, ihre endliche Auflösung finden.[112,06] Aber wo wird denn dann diese ihre endliche Auflösung finden? Im FeuerMeines Willens, und aus dieser endlichen Auflösung werden dann alle die Weltkörper, abergeistig, in ihre früheren Ordnungen und Dienstleistungen zurücktreten und dann geistig ewigfortbestehen in aller ihrer Pracht und Größe und Wunderbarkeit.[112,07] Natürlich dürft ihr euch die Zeit nicht etwa so vorstellen, als würde alles dasetwa schon morgen oder übermorgen vor sich gehen, sondern so ihr für jedes Sandkörnchen,so viele deren die ganze Erde fassen könnte, ein Erdenjahr Zeit nähmet, so reichete das kaumfür den Zeitraum des materiellen Erdbestandes aus. Da ist des viel längeren Bestandes derSonne gar nicht zu gedenken, und natürlich noch weniger des Bestandes einer der ersteren

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Zentralsonnen, der tieferen Sonnengebietszentralsonnen, und noch um gar außerordentlichweniger ist der für euch nun nie berechenbaren Dauer der Sonnenallzentralsonnen und gareiner Urzentralsonne zu gedenken, – und das auch darum um so weniger, als wie lange dieSonnen noch immer neue Weltkörper, die Zentralsonnen auch noch stets neue Planetarsonnenund die Urzentralsonnen auch noch stets ganze Heere von Sonnen aller Art ausgebärenwerden.[112,08] Aber trotz solcher für euch unermeßlichen Dauer der großen Weltkörperwird dereinst ihre Zeit dennoch aus sein und damit abermals eine Schöpfungsperiodedurchgemacht und abgeschlossen sein, wonach dann in einem endlos weit entlegenenSchöpfungsraumgebiet zu einer neuen Schöpfung fortgeschritten wird, an der, wie anzahllosen noch neu erfolgenden, ihr auch euren Tätigkeitsanteil nehmen werdet, begabt miteiner stets größeren Machtvollkommenheit, – aber nur als Meine wahren Kinder![112,09] Denn wer auf dem vorgezeichneten Wege die Kindschaft Gottes nichterreicht haben wird, der wird als ein zwar vollendetes, vernünftiges und immerhinglückseliges Geschöpf auf seiner geistigen Erde bleiben, leben und handeln und wandeln undwird sogar andere nachbarliche Geistwelten besuchen – ja, er wird seine ganze Hülsenglobedurchwandern können! –, aber darüber hinaus wird es ewighin nicht kommen, und es wird inihm auch das Bedürfnis nicht erbrennen zu einem lebenstätigen Verlangen nach etwasHöherem.[112,10] Aber Meine Kinder werden stets bei Mir sein und mit Mir wie aus einemHerzen denken, fühlen, wollen und handeln! Darin wird der endlos große Unterschied seinzwischen Meinen wahren Kindern und den mit Vernunft und Verstand begabten glückseligenGeschöpfen. Sehet euch daher wohl vor, daß ihr dereinst als Meine Kinder für tauglich undwürdig befunden werdet!“

113. Kapitel[113,01] (Der Herr:) „Ich sage es euch, daß im für euch unermeßlichen Raumezahllos viele Hülsengloben sind! In jeder Hülsenglobe, die für sich schon einen für eureBegriffe nie ermeßbaren Raum einnimmt, da sie die Trägerin von äonenmal Äonen Sonnenund Sonnengebieten ist, leben sicher allerzahllosest viele Menschengeschöpfe, entweder nochim Leibe oder aber schon pur geistig, und haben in ihrer Art gewöhnlich eine sehr helleVernunft und einen feinst berechnenden Verstand, der oft eine solche Schärfe erreicht, daß ihreuch vor ihm langehin verstecken müßtet.[113,02] Diese haben auch dann und wann traumähnliche Ahnungen, daß esirgendwo Kinder des allerhöchsten, ewigen Geistes gibt, und hegen ganz geheim auch ebennicht zu selten den Wunsch, um jeden Preis des Lebens Meine Kinder zu werden; aber es gehtso etwas zuallermeist ganz und gar nicht. Denn es muß alles in seiner Ordnung bleiben undbestehen gleichwie bei einem Menschen, bei dem auch die Teile und Organe desKniegelenkes nicht zu den edlen Augen des Hauptes umgestaltet werden können und dieZehen der Füße nicht leichtlich allenfalls zu den Ohren. Alle Glieder am Leibe müssen dasbleiben, was sie einmal sind; und möchten die Hände noch so sehr wünschen, auch sehend zusein, so nützt das nichts, – sie bleiben ganz gesund und glücklich blinde Hände, bekommenaber dennoch ein überaus hinreichendes Licht durch die edlen Augen im Haupte.[113,03] So braucht die Erde auch keine Sonne zu sein, um ihren sonst finsterenBoden zu erleuchten; denn sie bekommt ja ein hinreichendes Licht von der einen Sonne. Vonder Nahrung, die ein Mensch zu sich nimmt, müssen alle Teile seines Leibes in ihrer Arternährt werden, also auch die Augen und das Herz. Aber nur die allerlichtverwandtesten undreinsten Teilchen werden zur Nahrung der Augen erhoben, und die liebelebensverwandtestenseelischen Teilchen assimilieren sich mit der Lebenssubstanz des Herzens; die mehr und mehrgröberen Teile gehen als entsprechende Nahrung an die verschiedenartigstenLeibesbestandteile über. Es würde da dem Auge sehr übel bekommen, wenn Teile, die nur zurErnährung eines Knochens geeignet sind, in dasselbe kämen.[113,04] Und so würde es auch in der allgemeinen großen Schöpfungsordnung voneinem sehr schlechten Erfolge sein, so Ich die Menschengeschöpfe anderer Welten zur

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Werdung Meiner allereigensten Herzenskinder zuließe. Ja, es ist wohl dann und wann einesolche Zulassung möglich; aber da gehören große Läuterungen und weitgehendeVorkehrungen und Vorbereitungen dazu! Am ehesten kommen entweder die Seelen dieserSonne zu dieser Gnade oder die Urerzengel, denen die Pflicht obliegt, ganze Hülsengloben zubeherrschen und zu leiten und in der besten Ordnung als gerichtet zu erhalten. Aber soungeheuer groß sie auch sind in allem, ebenso klein müssen sie sich gleich Mir hier zu seinbegnügen und sich jede Demütigung gefallen lassen.[113,05] Auch aus der Zentralsonne dieses Systems, zu dem auch diese Sonnegehört, können Seelen auf diese Erde zur Erreichung Meiner Kindschaft übersetzet werden,ebenso aus der weiteren Sonnengebiets- und Sonnenallzentralsonne. Aber nur aus demBereiche desselben Sonnenalls, in dem sich diese Erde befindet, können auch noch Seelenhierher kommen, – aber aus der allgemeinen Urzentralsonne nicht leichtlich mehr, weil jenernotwendig allerriesenhaftesten Menschen Seelen schon zu ungeheuer viel Substanz in sichenthalten, als daß sie von dem kleinen Leibe eines diesirdischen Menschen könnteaufgenommen werden.[113,06] Aber obwohl es auf jener allerriesenhaftest großen Weltensonne aufmanchen ihrer Großlande derartig körperlich große Menschen gibt, deren Kopf schon für sichmindestens um tausendmal so groß ist als diese ganze Erde, so ist aber doch ein schwächstesMeiner wahren diesirdischen Kinder durch Meinen Geist in seiner Seele Herzen schon umsendlose mächtiger als Myriaden jener überweltengroßen Urzentralsonnenmenschen.[113,07] Bedenket daher wohl, was es heißt, ein Kind des allerhöchsten Gottes sein,und welch eine allergrößte, ungerichtetste und unangetastetste Willensfreiheitsprobe dazuerforderlich wird, auf daß die Seele eins wird mit Meinem Geiste in euch, wodurch allein ihrdann erst vollkommen Meine Kinder werden könnet!“

114. Kapitel[114,01] (Der Herr:) „Es läßt sich freilich wohl von euch nun mit Grund fragen, wiedenn gerade diese kleine Erde und ihre kleinen Menschen zu dieser Ehre und Gnadegekommen sind, da es doch im endlosen Schöpfungsraume eine unzählbare Menge dergrößten und herrlichsten Lichtwelten gibt, die viel geeigneter wären, Gottes Kinder zu tragen,zu ernähren und mit allem dazu Erforderlichen bestens zu versehen. So wären dieweltengroßen Menschen der Urzentralsonne ja doch ansehnlicher als Kinder Gottes denn diebestaubten Würmer dieser kleinen Erde! – Dem äußern Anscheine nach wäre dieser Fragefreilich gerade nichts oder wenigstens nicht viel entgegenzusetzen; aber bei den innerenVerhältnissen der Dinge des Lebens wäre das sogar eine Art Unmöglichkeit.[114,02] Eines jeden Menschen Organismus hat nahe in der Mitte des Herzens seinenLebensnerv, ein kleinstes Klümpchen, von dem aus der ganze andere Leibesorganismusbelebt wird. Dieses einen Herzensnervklümpchens Teile haben eine solche Einrichtung, denLebensäther aus dem Blute und aus der eingeatmeten Luft derart an sich zu ziehen, daß siedadurch fürs erste selbst überaus lebenstätig verbleiben und dann fürs zweite dieseLebenstätigkeit dem ganzen Organismus mitteilen und dadurch den ganzen Leib beleben aufdem geeigneten Wege.[114,03] So Ich dir den Fuß abhauen möchte oder die Hand, so würdest du fortleben,wie du solches an vielen alten Soldaten ersehen kannst, denen in den Schlachten Hände, Füße,Ohren und Nasen abgehauen wurden, und die doch noch, wenn auch als Krüppel, fortleben;aber die geringste Verletzung des Herzens, in dem sich der kleine Hauptlebensnerv befindet,zieht den augenblicklichen Leibestod nach sich.[114,04] Wie aber diese Einrichtung getroffen ist im menschlichen Leibe wie auch inden warmblütigen Tieren, ebenalso ist die Einrichtung auch im größtenWeltenschöpfungsraume getroffen: Alle die zahllos vielen Hülsengloben stellen in ihrerGesamtheit einen ungeheuer, für eure Begriffe endlos großen Menschen dar. In diesemMenschen ist diese Hülsenglobe, in der wir uns befinden, das Herz, und eben diese Erde istder für den ganzen, großen Menschen überaus kleine Lebensnerv, der sich gerade nicht imZentrum des Herzens, sondern mehr an der linken Seite desselben befindet.

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[114,05] Im Zentrum des Herzens befindet sich zwar auch ein sehr großerNervenkomplex, aber es ist darin nicht der Hauptlebenssitz. Es ist das nur eine Werkstätte zurAufnahme und Bewahrung des Lebensnährstoffes aus dem Blute und aus der Luft. Von daaus nimmt ihn erst der Hauptlebensnerv auf und befruchtet oder segnet ihn erst als eine zumLeben taugliche Substanz, das heißt für das einstweilige Mitnaturleben der Seele, die ohnediesen Nerv mit dem Organismus des Leibes in gar keine Verbindung treten könnte.[114,06] Es ist sonach der in Rede stehende Lebensnerv irgend an der linkenHerzseite ein gar höchst unansehnliches, überaus kleines Wärzchen, ähnlich einem kleinstenGefühlswärzchen am untersten Ballen des kleinen Zehens am linken und eineskorrespondierenden am rechten Fuße. Diese Gefühlswärzchen, nur durch die Epidermisgedeckt, sind die Hauptgefühlsleiter der Füße, – und wer achtet ihrer, und wer weiß es, daßsie das sind?![114,07] So jemand leiblich das Unglück hätte, die kleinen Zehen seiner Füßeeinzubüßen, der würde dann sehr schwer gehen, – um vieles schwerer, als so er die großenZehen eingebüßt hätte. Wer kann da aufstehen und fragen: ,Aber warum hast Du, Herr, denngerade auf die kleinsten Dinge in Deiner unermeßlichen Schöpfung zumeist das höchsteWirkungsgewicht gelegt?‘[114,08] Da frage Ich aber entgegen und sage: ,Warum ist denn schon bei euchMenschen der Grundstein zu einem Hause oft um mehr als ums Tausendfache kleiner denndas ganze Haus, das eben an dem gut gelegten Grundsteine seinen Hauptstützpunkt hat?Warum gibt es denn der Lügen so viele, aus dem Reiche der Wahrheiten aber eigentlich nureine Grundwahrheit? Warum ist die Eiche ein so großer Baum, und der Keim in ihrer Frucht,in welchem schon zahllos viele Eichen von der riesigsten Art eingeschlossen sind, ist so kleinwie ein allerkleinstes Sandkörnchen?‘[114,09] Es gibt, Meine lieben Kindlein und nun Freunde, in der großen Schöpfungnoch gar manche Dinge, deren Zweck und Beschaffenheit euch etwas sonderbar vorkäme, soihr alles in der Schöpfung kennetet. Wollte Ich euch nun auf nur wenige solcherSonderbarkeiten aufmerksam machen, so würdet ihr eure Hände über dem Hauptezusammenschlagen und sagen: ,Nein, Herr, das kann denn doch unmöglich sich alsoverhalten; denn es widerstreitet zu sehr der nur einigermaßen reinen Vernunft!‘ Kurz, ihr allekönntet es nun nicht fassen; und um nur einen sehr kleinen Teil davon aufzuzählen, würdender Zeit nach mehr Jahrtausende vonnöten sein, als es des Sandes im Meere gibt![114,10] Wenn ihr aber, so Ich wieder werde heimgegangen sein, Meinen Geistüberkommen werdet, so wird dieser euch dann schon von selbst in alle Wahrheit leiten, undihr werdet dann nicht mehr nötig haben zu fragen und zu sagen: ,Herr, warum dies und warumjenes?‘ Es wird die Binde von euren Augen genommen werden, und ihr werdet dann imhellsten Lichte schauen, was ihr nun kaum überaus dunkel ahnet. Darum begnüget euchvorderhand mit dem, was ihr nun vernommen habt! Es ist dies nur ein in euer Herz gelegterSame, dessen Früchte ihr erst dann als reif einernten werdet, wenn in euch selbst die SonneMeines Geistes aufgehen wird.[114,11] Habt ihr wohl einiges von dem, was Ich nun zu euch geredet habe, so nureinigermaßen verstanden? Seid offenen Herzens und bekennet es; denn von jetzt an bleibe Ichnoch sieben volle Stunden unter euch! Redet nun und saget, wo irgend jemand noch imDunkeln ist, und Ich will ihn ans Hellere führen, wenn nun schon nicht in des Geistlebensvollstes Licht!“

115. Kapitel[115,01] Sagt endlich wieder einmal unser Mathael: „Herr, das sind für uns wohlnoch stark Skythendörfer, die nahe so gut wie nirgends bestehen, und von denen man sichdarum auch keinen Begriff machen kann! Du hast von Deiner endlos großen Schöpfungfreilich gut reden; aber uns, die wir nicht einmal so recht wissen, wie groß unsere Erde ist,und welche Gestalt sie hat, ist das von Dir uns Mitgeteilte nicht so gut und verständlichanzuhören.[115,02] Ich verstand in meiner sehr regen Phantasie wohl so manches, aber nur wie

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in einem flüchtigen Traume etwas Großes ahnend. Doch gar viele meiner Gefährten haltendas für eine Art unbegreiflicher Faselei, aus der kein natürlicher, noch so gesunderMenschenverstand je klug werden kann. Denn um derlei Dinge nur einigermaßen hellerbegreifen zu können, müßten wir im Rechnen und in der altägyptischen Astronomie ganzgründlich bewandert sein und ihr großes Zahlensystem vollkommen innehaben! Da uns aberdie wissenschaftlichen Elemente nahezu gänzlich fehlen, so kann uns solche Deine nunmaligeallergroßartigste Erklärung in keinem Falle klar sein.[115,03] Es ist wohl wahr, daß Du uns früher bei einer Gelegenheit schon ein wenigin Deinen großen Schöpfungsraum Blicke zu machen gegönnt hast; aber es blieb wenigstensmir noch um so manches zu fragen übrig. Jetzt hast Du Dich namentlich über den materiellenTeil Deiner Schöpfungen näher ausgelassen; aber es nützt uns das eben nicht sehr undbesonders viel. Denn es ist ja ganz klar und leicht anzunehmen, daß wir solches unmöglichvöllig begreifen können, da uns dazu alle Vorbegriffselemente fehlen.[115,04] Um dieses alles nur ein wenig besser zu verstehen, müßten wir ebenfallswenigstens von einer der benannten Hülsengloben und der verschiedenen Gattungen der in ihrdominierenden Sonnen und Zentralsonnen Kenntnis haben. Wäre das der Fall, so könnten wiruns dann schon die zahllos vielen anderen Hülsengloben und Zentralsonnensysteme, -gebieteund -alle ein wenig heller vorstellen; aber es hat da mit der einen Hülsenglobe schon einenungeheuren Haken, geschweige mit den vielen andern, von denen sicher eine jede eine ganzandere Einrichtung und einen ganz andern Zweck hat.[115,05] Wie verhält sich's denn sonach und so ganz eigentlich mit denPlanetarsonnen und weiter mit den Sonnensystemzentral-, Sonnengebietszentral-,Sonnenallzentral- und endlich gar Urzentralsonnen-Geschichten, von denen es demaltberühmten Ptolemäus und dem Julius Cäsar, der etwa auch ein Astronom war, nichtsgeträumt hatte?“[115,06] Sage Ich: „Mein lieber Mathael, Ich merke, daß du ein wenig ärgerlichwirst, teils, weil Ich euch nun Dinge gezeigt habe, die ihr entweder gar nicht oder nur sehrwenig verstehet, und teils über dich selbst, daß du, der du in sonst sehr vielen Dingen einegroße Belesenheit und sonstige sehr achtbare Erfahrungen und Anschauungen hast, das nunvon Mir Gesagte durchaus nicht so recht verstehen kannst. Aber siehe, es ist alles das nichtganz recht von dir; denn der Mensch wird nicht allein von dem weise, was er hört undsogleich ganz vollkommen versteht, sondern zumeist von dem, was er auch hört, und nichtversteht![115,07] Darüber, was einmal jemand versteht, wird wohl niemand weiternachdenken und -forschen; denn was man einmal hat, das sucht man nicht mehr irgendwo zugewinnen oder mühsam zu erwerben und ruht ganz gemächlich über das schon im vollenBesitze Habende. Aber was man noch nicht hat, besonders aus dem Bereiche des irgendhöchst Wertvollen, das sucht man sicher mit allem Eifer so lange, bis man wenigstens nuretwas davon in den Besitz bekommt.[115,08] Siehe, läge es Mir daran, aus euch am Ende ganz denkträge Menschen zuzeihen, so wäre es Mir ein leichtes, vor euren Augen eine Hülsenglobe in die Luft hin zuzeichnen, und ihr würdet das ganze System einer in Rede stehenden Hülsenglobe ganz soleicht verstehen wie das, daß 2 Stater und noch einmal 2 Stater ganz gewiß 4 Staterausmachen! Aber Ich will euch denktätig erhalten und habe euch darum in Meiner an euchergangenen Erklärung etwas gezeigt, das euch weckt und den Schlaf benimmt.[115,09] Ich aber habe euch davon schon ehedem einmal etwas gesagt, das ihrfreilich aus dem ganz gleichen Grunde eben nicht gar zu klar begriffen habt, und so könnteIch euch nun auch das sagen, ohne gerade darauf zu rechnen, daß ihr es völlig verstehenwerdet, sondern daß ihr darüber so recht vielfach bei guten Gelegenheiten, besonders insternenhellen Nächten, darüber nachdenken werdet.[115,10] Um euch aber das Denken ein wenig nur zu erleichtern, will Ich euch aufähnliche Erscheinungen auf dieser Erde aufmerksam machen. Sehet eure Militäreinrichtungan, und ihr habt schon so ungefähr die Einrichtung einer Hülsenglobe mit ihren Zentral- undUrzentralsonnen! Dort steht so ein Führer von nur zehn bis dreißig Soldaten, – dort wieder

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steht ein anderer, schon größerer Führer, der über zehn Führer der ersten Ordnung zu gebietenhat. Der erste Führer gleicht einer Planetarsonne, und die zehn bis dreißig ganz gemeinenSoldaten sind gelegentlich gleich den Planeten, die um eine Sonne kreisen. Der zweite, höhereFührer von zehn früher benannten Rotten gleicht schon einer ersten Systemallzentralsonne,um die sich in verschiedenen Abständen eine Menge Planetarsonnen mit ihren oft vielenPlaneten bewegen. Diese um eine große Zentralsonne sich bewegenden Planetarsonnenmachen mit ihrer einen Zentralsonne ein Sonnengebiet aus, was ihr euch vorderhand zumerken habt, um das Nachfolgende klarer verstehen zu können.[115,11] Nun gehen wir zu einem Heeresführer dritter Klasse über! Dieser hatabermals etwa zehn Führer der zweiten Art unter sich und hat sie zu ordnen und gesamt zuleiten. Dieses dritten Führers Befehle, den wir einen ,Hauptmann‘ nennen wollen, werden nurden unterstehenden Kohortenführern gegeben, und diese verkünden sie dann den kleinenRottenführern, und diese dann erst den einzelnen Gemeinen. Wir haben ehedem von einemSonnengebiete gesprochen, und es versteht sich von selbst, daß es im Schöpfungsraume auchmehrere Sonnengebiete geben wird, die wiederum einen gemeinsamen noch größerenLeitkörper haben müssen.[115,12] Nennen wir die Militärmannschaft unter einem Hauptmann eineGesellschaft und stellen uns nun zehn bis zwanzig Gesellschaften wieder unter einem höherenGebieter vor, der zum Beispiel ein Oberster ist und gewöhnlich über eine Legion zu gebietenhat, die zumeist aus zehn bis zwanzig Gesellschaften besteht! Eine solche Legion ist dannschon eine ganz ansehnliche Streitmacht und macht schon einen ganz gewichtigen Teil einerganzen Armee aus. Eine Legion können wir nun füglich mit einem Sonnenall vergleichen.Wie aber mehrere Legionen abermals unter den Befehlen eines Feldherrn stehen, so stehendann auch die Sonnenalle unter einer abermalig noch größeren und mächtigeren Zentralsonne,die wir, um sie von den früheren zu unterscheiden, ,Sonnenallzentralsonne‘ benennen wollen.[115,13] Nun aber stehen alle die vielen Armeen unter einem einzigen Monarchen,und ebenso die überaus vielen Sonnenalle unter der allgemeinen Hauptzentralursonne, dienatürlich von einer allerkolossalsten Größe sein muß, um alle die vielen Sonnenalle, ebensowie die Planetarsonne ihre einzelnen Planeten samt deren Monden, an sich zu ziehen und infür euch unermeßbar weiten Bahnen um sich kreisen zu lassen. Eine solche wahreSonnenmonarchie heiße Ich aus guten Gründen eine Hülsenglobe.[115,14] Eine Globe ist sie ihrer immerhin völlig runden Gestalt wegen, – Hülsen(Schoten) aber sind alle Weltkörper in ihr, weil sie alle ein gerichtetes geistiges Lebenumhülsen, und weil am Ende diese Trägerin (Globe) selbst eine Universalhülse ist, da in ihräonenmal Äonen Sonnen zur Haltung einer bestimmten Ordnung als total eingehülsterscheinen. – Sage Mir, du Mathael, nun, ob du Mich jetzt reiner verstanden hast alsehedem!“

116. Kapitel[116,01] Sagt Mathael: „Ich danke Dir, o Herr, für diese weitere Erklärung; denndurch sie allein bekam ich nun erst einen so ziemlich hellen Begriff von einer Hülsenglobe,und ich bin vorderhand ganz damit zufrieden. Was die zahllos vielen anderen ähnlichenNachbarn im weiten Schöpfungsraume betrifft, so kümmern sie mich nun eigentlich gar nicht;denn ich bin der Meinung, daß ein Menschengeist mit der einen schon auf alle Ewigkeiten derEwigkeiten völlig genug haben wird.[116,02] Ich supponiere (nehme an) nun nur diese unsere kleine Erde. Wie langehätte ein Mensch zu tun, um sie nur von Punkt zu Punkt nach der ganzen Oberfläche zu Landund zu Wasser zu bereisen?! Ich glaube kaum, daß man es damit in fünf- bis sechstausendJahren dahin brächte, um sagen zu können: ,Nun gibt es auf der ganzen, weiten Erde keinenPunkt mehr, den mein Fuß nicht betreten hätte!‘ Wenn man dazu dann auch die Zeit derernstlichen Nachforschungen rechnen würde und zugleich die damit notwendig verbundenenRuhe- und Vergnügungsstunden mit in Anschlag brächte, die wahrlich doch auch nichtausbleiben können bei der stets hocherbaulichen Betrachtung Deiner großen Wunderwerke,der hie und da himmlisch reizend schönen Gegenden und Landschaften, und da man zu oft in

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einer gar zu anmutigen Gegend auch gerne jahrelang verweilte, – ja, da brauchte man schonfür diese Erde allein mehrere Hunderttausende von Jahren![116,03] Wie lange aber würde man sich erst dann bei dieser Erde allein aufhalten, soes einem möglich wäre, alle die zahllos vielen inneren Gemächer dieser Erde zudurchschauen?! Oh, dazu würde eine ganze Million von Jahren nicht hinreichen, besonderswenn man sich in den inneren großen Werkstätten der Natur und ihrer Geister beobachtendhinstellen und bei den zahllos vielen Werken die Einsicht nehmen könnte, wie sie prinzipiellbis zu ihrer ganzen Entwicklung entstehen, werden und dann wieder in ganz andere Dingeund Formen übergehen![116,04] Ja, wenn man das auch in Anschlag nähme, da hätte man ja schon mit dieserErde allein – um nach arabischer Art zu zählen – viel über tausend Millionen vonErdenjahren, natürlich als ein durch Zeit und Raum beschränkter Mensch, zu tun, um dannmit gutem Gewissen sagen zu können: ,Die Erde ist mir nun von Punkt zu Punkt wesenhaftund allerverschiedenartigst tatkräftig allerbestens bekannt von Organ zu Organ!‘[116,05] Der Erde zunächst müßte dann vor allem der Mond berücksichtigt werden.Der nähme zu seiner Totalbekanntschaft auch wieder einige Hunderttausende vonErdenjahren in Anspruch. Darauf kämen dann erst die anderen und oft um sehr vielesgrößeren Planeten an die Beschauungs- und Erforschungsreihe, von denen, weil sie ganzfremdartig und sicher noch wundervollere Weltkörper denn diese Erde sind, man sich amEnde schon wegen ihrer Großwunder eine Unzahl von Jahrtausenden gar nicht trennenkönnte.[116,06] Jetzt käme dann erst die große Sonne mit allen ihren zahllos vielenallergroßartigst wundervollst herrlichsten Lichtgefilden! Ich meine, da verbliebe man dannschon gleich eine Ewigkeit hindurch und bekäme sicher fort und fort etwas Neues zu schauenund zu erforschen. Nimmt man noch dazu an, daß ihre Menschen etwa höchst schöne, weiseund freundliche Menschen sind, ja, ja, so wäre da von einem Weiterfortkommen keine Redemehr! Das ganze, große arabische Zahlensystem hätte da wahrlich keine Ziffern mehr, mitdenen man die Aufenthaltszeiten aussprechen könnte, die man bei dem Durchforschen undDurchkosten der großen Sonne vonnöten hätte![116,07] Nun, da wäre man dann erst mit einer kleinen Planetarsonne fertig! Esblieben einem dann noch äonenmal Äonen Sonnen übrig, und darunter noch die übergroßenZentralsonnen. Hören wir auf! Nur um eine volle Bekanntschaft mit dieser einen Hülsenglobezu machen, gehörten schon ganze und volle Ewigkeiten dazu! Wer möchte und könnte nunnoch der Durchforschung irgendeiner zweiten Hülsenglobe gedenken?! Ich habe daher an dereinen mehr als für ewig genug und überlasse die zahllos vielen andern gewiß sehr gerne denanderen höheren Geistern zur Durchforschung! Mich wenigstens fängt es stets mehr zuschwindeln an, so ich nur der einen so recht gedenke![116,08] O Herr, Deine Liebe ist mir der größte Trost, und ich finde mich in ihrzurecht; aber Deiner Macht und Weisheit Größe verschlingt mich wie der ungeheure Racheneines Walfisches ein winzigstes Würmchen, das da war und gleich darauf nicht mehr ist! InDeiner Größe bist Du, o Herr, ein allererschrecklichstes Feuermeer; aber in Deiner Liebe bistDu ein Honigseim! Daher bleibe ich bei Deiner Liebe; Deine Macht- und Weisheitsgröße aberist für mich wenigstens so gut wie gar nicht da. Denn ich fasse sie nicht und werde sie auchnimmer und nimmer erfassen; aber die Liebe erfasse ich, und sie erquicket gar wonniglichmein Herz und machet angenehm mir mein Leben.[116,09] Ich begreife nun freilich gar viele und große Dinge; aber wer wird sie nachmir wieder fassen?! Da ich aber sehe, daß alle diese vielen, von Dir, o Herr, uns erklärtengroßen Dinge für tausendmal tausend und abermals tausendmal tausend Menschen völligunbegreiflich sein müssen, so habe ich nicht einmal eine rechte Freude daran, daß ich nun somanches Übergroße recht wohl verstehe und einsehe, es aber wohl niemandem wiederverständlich machen kann, weil die Menschheit im allgemeinen auf einer zu niederen Stufeder geistigen Entwicklung steht![116,10] Ich sehe es wohl so mehr dunkel ein, daß es gerade nicht zu denunmöglichen Dingen gehört, die Menschen zum größten Teile dahin zu stimmen, daß sie Dich

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zur Not nur so weit- und auswendig hin erkennen, daß Du als ein Gott bist, der alleserschaffen hat und nun alles erhält, und daß sie Dich dann auch zu lieben, zu fürchten undanzubeten anfangen werden; aber Dich ihren verkrüppelten Begriffen näher anschaulich zumachen, das kommt mir nun so gut wie rein unmöglich vor.[116,11] Denn wo man etwas bauen will, muß man doch irgendeinen festen Grundhaben; denn auf einem lockersten Sandboden oder gar auf einem Sumpfe läßt sich keine festeBurg erbauen. Daher will ich in der Folge, sowohl für mich als für mein Volk, nur allein beider Liebe verbleiben; was diese mir geben und enthüllen wird, das soll in den Bereich meinerWeisheit für immer aufgenommen werden! – Habe ich da nicht recht?“

117. Kapitel[117,01] Sage Ich: „Allerdings, – denn wer in Meiner Liebe ist, der ist in allem, wasaus Mir ausgehet! Aber aus Meiner Liebe ganz allein wirst du Mich wohl schwer als daserkennen, was Ich bin! Denn siehe, sehr und gar mächtig lieben kannst du auch dein Weibund VICE VERSA dein Weib auch dich; aber darum wirst weder du deinem Weibe, nochdein Weib dir ein Gott sein![117,02] So du Mich nur als einen puren, wennschon sehr guten und verständigenMenschen liebst und Ich dich ebenalso, da können wir Äonen von Jahren miteinanderwandeln, und du wirst Mich dabei ebensowenig als einen Gott erkennen und begrüßen als Ichdich, der du sicher kein Gott, sondern nur ein Geschöpf desselben bist.[117,03] Willst du Mich aber als das erkennen, als was Ich vor dir stehe, so muß IchMich dir als derjenige durch Wort, Rede und Tat zu erkennen geben. Hast du Mich aberdaraus wahrhaft erkannt und aus Meiner Macht und Weisheit einsehen gelernt, daß Ichoffenbar mehr denn ein pur guter und verständiger Mensch bin, dann erst wird dein Herzdemütig vor Mir in den Staub zurücksinken und in solcher gerechten Demut dann erst rechtallerlebendigst zu Mir in aller Liebe erbrennen; und du wirst darin dann erst den lebendigstenGrund, Mich, deinen Gott und Schöpfer, über alles zu lieben, treu und wahr finden. Was aberdir gilt, das gilt auch jedem andern Menschen.[117,04] Wer Mich nicht als Gott erkennt, der kann Mich auch nicht als einen Gottwahrhaft über alles lieben! Hättest du Mich aber je als Gott erkennen können, so du von Mirnur rein menschliche Handlungen und Taten und Reden beobachtet hättest? Sicher nicht! Undwäre deine Liebe zu Mir so mächtig geworden, so du kein Göttliches an Mir entdeckthättest?! Dadurch aber, daß Ich dich bloß nur mit aller Liebe und Neigung erfaßt hätte wieallenfalls ein Bräutigam seine Braut, hättest du nicht erfahren können, daß der Geist desallerhöchsten Gottes wohne und wirke in Rat, Wort und Tat in Mir, sondern Meine Weisheitund Meine Macht haben dir das erst verkündet, und es ist somit eben nicht ganz recht, so duMeine Weisheits- und Machtgröße ein erschrecklichstes Feuermeer nennest und der Meinungbist, daß damit die Menschen nie etwas zu tun haben sollen. Gerade das Gegenteil![117,05] Die Menschen sollen mit aller Gier Mein Reich in allem und vor allemsuchen und sollen sich als Meine werdenden Kinder stets mehr und mehr in ihres Vatersgroßem Hause in jeder Sphäre und Beziehung auszukennen anfangen. Dadurch werden siedann auch in der wahren Liebe voll Demut wachsen, und sie werden dadurch am Vater, undder Vater auch an ihnen, eine stets größere, mit aller Liebe erfülltere Freude haben.[117,06] Wenn die Menschen also tun und leben werden ein wahres Leben in unddurch Meine Weisheit, Liebe und Macht, dann werden sie auch ganz das sein, was sie alleeigentlich sein sollen. Sie werden dadurch erst als Meine wahren Kinder ebenso vollkommenwerden, wie Ich da Selbst vollkommen bin, und werden dann Meine göttliche Weisheit,Macht und Größe nimmermehr als ein erschreckliches Feuermeer finden. Ich meine, daß dirdas nun auch klar sein wird![117,07] Doch aber sage Ich euch allen hinzu, daß ihr alle vorderhand die Völkernicht alles das lehren sollet, was Ich euch nun gezeigt habe. Lehret sie vor allem Gotterkennen und lebendig an Ihn glauben und Ihn lieben über alles! Alles andere wird ihnen nachdem Bedarfe der Geist selbst enthüllen.“

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118. Kapitel[118,01] (Der Herr:) „Wohl liegt nun die Menschheit in einer allerdicksten Nachtbegraben und schläft einen Schlaf der Toten; all ihr Wissen ist ein eitles Träumen, undniemand weiß dem andern einen Bescheid zu geben. Es gibt wohl eine Menge von Lehrernund Führern aller Art, – aber was nützen sie?! – Denn sie alle sind ebenso blind wie ihreFührlinge; kommen sie an eine Grube, so fallen Führer und Führling hinein, und keiner findeteinen Ausweg aus der verderbenbringenden Grube.[118,02] Aber darum denke man ja nicht, daß sich die Menschen nicht gern einemrechten Führer anvertraueten! Was ist einem Blinden wohl erwünschter als ein sehenderFührer, und dann noch um so mehr, so der Führer zum Blinden sagen kann mit einem gutenund reell wahren Gewissen: ,Freund, nun bist du zwar noch blind; aber so du treu und gläubigmir folgst, so sollst du in Kürze selbst sehend werden!‘ Und wenn dann traurig der Blinde mitdem sehenden Führer wandelt und in kurzer Zeit seine Augen anfangen, einen nichtunbedeutenden Tagesschimmer wahrzunehmen, – wie wird sein Herz in aller Freudeanzuschwellen anfangen![118,03] Oh, Ich sage es dir, es ist nicht gar so schwer, wie du es meinst, einemwahrhaft lichtbedürftigen Blinden ein rechter Führer zu werden! Schwer wird dieses Geschäfterst dann, so der zu führende Blinde von dem ein Irrlicht erzeugenden Wahne beseelt ist, daßer selbst ein Sehender sei. Solche Blinde sind unsere Pharisäer und Schriftgelehrten; auch derHeiden allerlei Priester sind davon nicht ausgenommen. Aber was ist da zu tun? – Ein kurzesBeispiel soll dies Verhältnis, und was da zu tun ist, näher bezeichnen![118,04] Es zog ein Feldherr mit seinem Heere aus wider einen sehr lästigen, bösenNachbarfürsten, der sein Reich mit vielen Festungen und festen Burgen wohl versehen undbefestigt und alle mit Kriegern und allerlei Kriegswaffen wohl bespickt hatte. Als derFeldherr sich mit seinem Heere den Grenzen des feindlichen Gebietes zu nahen begann, dasprachen seine Unterfeldherren und – führer zu ihm: ,Herr, da werden wir alle nichts oder nursehr wenig ausrichten; denn der Feind hat sich ganz kurios befestigt, bis an die Zähnebewaffnet, und wir werden mit aller unserer großen Heeresmacht nichts ausrichten gegen ihnund werden mit Mann und Maus in seinem Lande zugrunde gehen! Daher wäre es etwa dochvernünftiger, diesmal diesen Feldzug ganz aufzugeben und irgendeine günstigere Zeitabzuwarten!‘[118,05] Darauf entgegnete der große Feldherr: ,Bei dem wird die Zeit nie günstiger,und alle die vielen Ermahnungen sind an seinen tauben Ohren und an seinem Herzen stetstotal abgeprallt. Da heißt es mit bewaffneter Hand ihm zeigen, daß nicht er allein der Menschist, alle Güter der Erde für sich in Beschlag zu nehmen. Er hat in seinem Lande wohl eineMenge Festungen und Burgen erbaut und sie bis an die Zähne bewaffnet; allein die gehen unsnichts an! Wir dringen dort ins Land, wo keine Festungen und Burgen stehen, ziehen mitleichter Mühe seine mit ihm höchst unzufriedenen Völker an uns, geben ihnen Licht undweise Gesetze, und er soll da sehen, was ihm alle seine Festungen und Burgen nützen werden.Greift er uns aber an, die wir vom Kopfe bis zur kleinen Zehe bestens gewappnet sind und dasSchwert, die Lanze, die Pfeile und die Wurfspieße wohl zu gebrauchen verstehen, so reibenwir ihn durch unsere große Übermacht und durch unseren Mut und durch unsere anerkanntgrößte Waffengebrauchsgeschicklichkeit bis auf den letzten Kriegsmann auf!‘[118,06] Als die Unterfeldherren solchen weisen Angriffsplan von ihremOberfeldherrn bekamen, da bekamen sie nicht nur die sehr löbliche Einsicht, daß es alsosicher am allerbesten gehen werde, sondern auch den rechten Kriegsmut und die volleÜberzeugung für ein sicheres Gelingen ihres Kriegsplanes. Sie kamen an des FeindesLandesgrenze, allwo keine Festungen und Burgen standen, und drangen also ohne einenSchwertstreich ins Land. Das Volk strömte ihnen mit weißen Fahnen haufenweise entgegenund begrüßte sie als seine Lebensretter.[118,07] Als des Tyrannen Kriegsleute aus ihren Burgen das sahen, wie alles Volksich um das fremde Heer stets mehr und mehr zu scharen begann, da fingen sie an, sehrernstlich zu beraten, was da nun zu tun sein werde. Der Tyrann gebot ihnen, alles aufzubieten,um den Feind aus dem Lande zu treiben; aber seine Feldherren sagten zu ihm: ,Das ist zu

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spät! Was nützen uns unsere Festen und Burgen?! Der Feind hat alles Volk für sich und daherschon eine ungeheuer große Macht. Unser Kampf gegen sie wäre wie ein Mann gegentausend. Wir sind total besiegt, und unsere Festen und Burgen nützen uns nichts mehr; denndie festeste Burg ist das Volk, und dieses ist in den Händen der Feinde, und uns bleibt dahernichts übrig, als ganz ehrlich zu kapitulieren!‘ Der Tyrann rümpfte hier freilich ganzentsetzlich die Nase; aber was wollte er tun?! Er mußte sich am Ende dennoch nach dem Rateseiner Feldherren richten.[118,08] Sehet, desgleichen tuet auch ihr als kluge Ausbreiter Meiner Lehre! Lassetstehen die Tempel und die vielen Priesterhäuser; bearbeitet nur das Volk! Ist das mit leichterMühe einmal auf eurer Seite, dann werden die alten Götzentempel ehestens von selbst allenWert verlieren und zusammenstürzen. Und ihre Diener werden, aus eigenem Antriebe unddurch die Not gedrungen, zu euch übergehen und die neue Lehre annehmen und mit ihr zuhandeln und zu wirken anfangen.[118,09] Und du, Mathael, wirst daraus hoffentlich auch so klug geworden sein, umeinzusehen, daß die Ausbreitung dieser Meiner Lehre eben nicht zu schwer ist, wenn man sienur klug genug auszubreiten anfängt; aber greift man etwas plump an, so wird die Wirkungauch gleichen dem Angriffe! – Hast du, und ihr alle, das nun wohl begriffen und verstanden?“

119. Kapitel[119,01] Sagt Mathael: „Ja, Herr und mein Gott, nun ist mir schon alles klar, wieauch sehr klar, daß man an einen Gott erst glauben muß, bevor man Ihn lieben kann! DerGlaube aber darf kein blinder, sondern muß ein lichtvoller sein, das heißt, man muß einsehen,wer und was ein Gott ist. Man muß von Seiner Weisheit, Macht und Größe und Dauer einenklaren und vernunftgerechten Begriff bekommen, um dann daraus erst in die volle Liebe zudem also angenommenen Gott übergehen zu können.[119,02] Es ist dies freilich kein gar zu leichtes Stück Arbeit bei einem Menschen,der von allerlei Irrtümern schon durch und durch gefangengenommen ist; aber so man selbstein wahres Licht hat, so kann man dem Lichtbedürftigen auch bald ein wahres Licht geben,und es ist ein ganz anderes Ding, von jemandem etwas erlernen, der das, was er lehrt, vomtiefsten Grunde aus allerbestens versteht, als wie von jemand anders, der sich wohl auch dasAnsehen eines Kundigen gibt und von der Sache wohl so ganz weitwendig etwas säuselngehört hat, aber am Ende als Lehrer von der Sache im Grunde ebensoviel versteht wie seinJünger.[119,03] Der tiefkundige Lehrer wird mit allerlei tauglichen und wohlentsprechendenBildern und Gleichnissen den schwer faßlichen Lehrgegenstand mit leichter Mühe faßlichmachen, während der Afterlehrer, um so recht tiefweise zu scheinen, sich nur alle Mühegeben wird, den zu lehrenden Gegenstand in derartig dunkle und mystische Phraseneinzuhüllen, daß dadurch der Jünger nach dem Unterrichte dann noch ums gut Zehnfacheverwirrter wird, als er ehedem war.[119,04] Ich stelle mir die Sache also vor: Der wirklich kundige Lehrer kommt zuseinem Jünger wie jemand mit einer großen, verschlossenen Laterne bei der stockfinsternNacht zu einem Menschen, der weiterziehen will in der Wüste eben in der Nacht, um nicht amTage die große Qual der Hitze erleiden zu müssen. Der Reisende fragt dann wohl gleich denFührer mit der verschlossenen Laterne: ,Wie werden wir uns bei der Finsternis ohne eineLeuchte in der Wüste zurechtfinden? Unsere Kamele und Saumrosse werden in solcherFinsternis stutzig werden und keinen Schritt vorwärts zu bringen sein!‘[119,05] Da aber sagt der rechte Führer: ,Laß dir darum kein graues Haar wachsen!Siehe, in dieser nun noch verschlossenen Laterne befindet sich schon ein Licht, das, sobaldich die Flügel der Laterne öffne, über die ganze Wüste gleich einer aufgehenden Sonne denhellsten Tag verbreiten wird! Keines unserer Lasttiere wird stutzig werden!‘[119,06] Und so wird im besten Vertrauen die Reise angetreten. Am Anfange derReise macht der Führer nur ein ganz kleines Flügelchen seiner wundersamen Laterne auf undalsogleich kommt daraus so viel Licht zum Vorscheine, daß dadurch schon allen Steinen desAnstoßes auf dem Wege recht gut ausgewichen werden konnte. Da meint der Reisende: ,Ja,

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mit solch einem Lichte läßt sich freilich gut reisen, und die Wüste wird uns keine Sorgenmachen!‘[119,07] Aber was macht der Reisende nun erst für Augen, als der Führer alleLichtsperrflügel der großen Laterne öffnet und ein wahres Sonnenlicht im Augenblick überdie ganze Wüste eine vollkommene Tageshelle verbreitet, so daß selbst die wilden undreißenden, hie und da auf eine gute Beute lauernden Tiere die weidlichste Flucht ergreifenund dafür die friedlichen Vögel des Himmels erwachen und ihre heiteren Liedchen zu singenbeginnen, als wäre im Ernste schon die Sonne selbst aufgegangen! – Das wäre das Licht desrechten Führers![119,08] Aber nun kommt der Afterführer mit einer wahren Nachtlampe in der Handund sagt zum Reisenwollenden: ,Komm und laß uns ziehen durch die Wüste!‘ Spricht derReisenwollende: ,Werden wir mit diesem deinem Lichte in der stockfinstern Nacht wohlauslangen?‘ Und der Führer spricht mit einem mystischen Pathos: ,Freund, wohl einen nursehr schwachen Schimmer scheint mein Lämpchen zu verbreiten; aber es ist das einmagisches Licht, mit dem man sich in einer noch um vieles finstereren Nacht ganz überauswohl zurechtfinden kann!‘[119,09] Die Reise beginnt. Die Kamele werden alle Augenblicke stutzig und wollennicht weiter; denn mit solcher Beleuchtung werden ihre Augen nur noch mehr verblendet, sodaß sie darauf erst ganz und gar nichts mehr sehen. Sie legen sich und sind um keinen Preismehr weiter zu bringen.[119,10] Da spricht der Reisende: ,Aber ich habe es ja zum voraus gewußt, daß esmit solch einem Lichtchen durch die selbst noch so kleine Wüste nicht gehen wird! Was istnun zu tun? Auf dem traurig aussehenden Wege sind wir einmal!‘ Sagt wieder gravitätischder in sich selbst sehr verdutzte Führer: ,Die Tiere sind müde und haben – in wenn noch sogroßer Ferne – Reißwild gewittert und gehen zu unserem Glücke nicht weiter!‘ Sagt derFührling: ,Was dann aber, so die Reißtiere uns auswittern und uns in solcher Nacht einen sehrunliebsamen Besuch abstatten werden?‘ Da versichert dem ängstlichen Führling der bei sichnoch um vieles ängstlichere Führer: ,Oh, in solcher Nacht sind wir davor sicher; denn man hatnoch nie erlebt, daß je ein Reisender in solcher Nacht wäre von den Reißtieren belästigtworden!‘ – Es kommt wohl glücklicherweise kein solches Tier, besonders am Anfange derWüste, zum Vorscheine. Und Führer und Führling harren des beginnenden Tages undvertrösten sich, so gut es geht, bis dahin.[119,11] Ebenso, scheint es mir, geht es auch bei der geistigen Führung, welche vonseiten eines Afterführers unternommen wird. In der Wüste und in der Nacht dieses irdischenLebens, wo Lehrer und Schüler zugleich nichts sehen, vertröstet auch der weise sich zeigendeLehrer seinen Schüler damit, daß dereinst alle die geheimnisvollen Dinge jenseits werdenoffenbar werden. Aber dabei fürchtet sich der ,weise‘ Lehrer noch mehr vor dem Tode desLeibes als sein unerfahrener Schüler; denn der Schüler hat doch noch zum wenigsten einenblinden Traumglauben, während sein weise sein wollender Lehrer auch diesen schon langenicht mehr besitzt.“

120. Kapitel[120,01] (Mathael:) „Ich glaube nun mit einer festen Überzeugung, daß wir mit derAusbreitung dieser Deiner rein göttlichen Lehre eben keine gar zu große Mühe haben werden,und wir Gebieter und irdischen Machthaber schon gar nicht; aber eine ganz andere und mirhöchst wichtig vorkommende Frage besteht darin, wie diese Lehre für die Menschheit reinund ohne irgend von den Menschen gemachte Zusätze oder Wegnahmen zu erhalten seinwird. Denn wir sind unser nun viele, die wir diese neue Lehre nicht nur für uns, sondern auchfür unsere gar vielen Brüder und Schwestern erhalten haben und sie auch mit allem Eiferauszubreiten suchen! Aber schon wir werden vielleicht in manchen Stücken ganz verschiedenden Menschen dies wahrste und reinste Evangelium verkünden, was da schon in der Natur derSache liegt.[120,02] Denn man wird mit dem Juden anders, mit dem Griechen und Römer andersund mit dem Perser, Indier, Ägypter und gar mit dem Skythen sehr anders reden müssen, weil

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ein jeder von ganz anderen Vorbegriffen beseelt ist. Es werden dadurch offenbar allerleiMischungen geschehen und auch allerlei Färbungen entstehen. Wenn dann etwa nach ein paarJahrhunderten die Menschen von den verschiedensten Nationen ihre von uns empfangenenLehren, die offenbar von vielen werden aufgezeichnet werden, miteinander vergleichenwerden, – werden sie sich wohl noch so ziemlich gleichschauen?! Oder werden nicht bald dieJuden sagen: ,Wir allein haben die ganz reine und wahre Lehre!‘?! Und die Griechen werdenerwidern: ,Nein, wir haben die allein wahre Lehre, wie sie aus dem Munde des Herrngeflossen ist!‘ Und werden die Römer nicht dasselbe behaupten und die Armenier wiederumdasselbe?! Ich will hoffen, daß sie im wesentlichen wohl alle nicht zu weit auseinander seinwerden; aber im speziellen dürften hie und da denn doch bei dem vollkommen freien Willender Menschen gar gewaltige Varianten, Klüfte und Falten vorkommen![120,03] Wenn das etwa doch mit einiger Sicherheit zu erwarten wäre, so wäremeiner freilich unmaßgeblichen Meinung nach nun wohl dafür irgendeine Fürsorge zu treffen,auf daß am Ende aus dieser herrlichen Lehre nicht ein wahres Chaos werde, aus dem fürderniemand leichtlich klug würde. – Was wäre, o Herr, da Deine Meinung?“[120,04] Sage Ich: „Mein lieber Freund, obwohl deine Sorge deinem ganz redlichen,bekümmerten Herzen entstammt, so muß Ich dir aber dennoch die Bemerkung machen, daßdiese deine Fürsorge ein wenig verfrüht ist! Daß diese Lehre bei allen Nationen in denspäteren Zeiten nicht so rein verbleiben wird, wie sie nun aus Meinem Munde zu euchgekommen ist, das kann als etwas ganz Bestimmtes schon zum voraus angenommen werden.[120,05] Es werden auch gar bald nach uns eine Menge geschriebener Evangelienzum Vorscheine kommen, von denen ein jedes behaupten wird, die reine Wahrheit zuenthalten, und von denen ein jedes einem andern, dasselbe behauptenden geschriebenenEvangelium gar nicht gleichsehen wird. Ja, es wird noch ein viel Widrigeres geschehen: Derwider Mich zeugende Fürst der Lüge wird auch noch dazukommen und wird sogar große,wenn auch nur falsche Zeichen tun! Er wird in den Acker, darein Ich nun den reinsten Samengestreut habe, den argen Samen von allerlei Unkraut legen, um zu ersticken den edlenWeizen.[120,06] Aber es wird das alles Meiner wahren und reinsten Lehre an und für sich garkeinen Eintrag machen; denn das hier von Mir zu euch gesprochene Wort wird von euch auchwieder weitergesprochen und -besprochen werden, und ihr selbst werdet euch nichtbuchstäblich genau mehr Meiner Worte bedienen, was auch durchaus nicht mehr nötig ist.Aber der innere Geist wird dennoch verbleiben.[120,07] Wer an Mich glauben und in Meinem Namen aus dem Wasser und aus demGeiste getauft wird, der wird auch Meinen Geist überkommen und dann wandeln im Lichteder reinsten Wahrheit für zeitlich und ewig. Bei dem wird dann auch diese Lehre sich in allerihrer Reinheit wie von neuem wieder finden. Wer aber zu solcher Gnade nicht vordringenwird, der wird das reine Licht der ewigen Wahrheit Meiner Lehre ohnehin nie fassen undbegreifen, und es wird da einerlei sein, mit welcher Kost er seinen geistigen Magenvollstopfen wird.[120,08] Glaube du es Mir! Und so da jemand jedes Wort buchstäblich innehättegerade also, wie Ich es ausgesprochen habe, hätte aber den Geist dazu nicht empfangen, umdurch ihn dann erst in die Tiefen zu dringen, allwo in Meinen Worten Licht, Kraft und Lebenwalten, so nützeten ihm Meine Worte ebensowenig, als jemandem die langen Gebete derPharisäer etwas nützen![120,09] Hat aber jemand den Geist Meiner Worte in sich, so benötiget er desBuchstabens nimmer. Wer aber den Geist hat, der hat auch die Lehre rein. Ich aber werde imGeiste verbleiben bei Meinen stets nur wenigen, aber wahren Bekennern bis ans Ende derZeiten dieser Erde. Und so, Freund Mathael, wird schon dafür gesorgt sein, daß Meine Lehreauch stets ganz rein erhalten wird!“

121. Kapitel[121,01] (Der Herr:) „Was dem äußern Menschen nötig zu wissen und zu glauben ist,das wird ohnehin – dort siehe hin! – von Meinen zwei Schreibern auf Mein Geheiß

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aufgezeichnet (Matthäus und Johannes. Anmerkung J. Lorbers). Wer das annehmen unddanach tun wird, der wird auch zum Empfange Meines Geistes vordringen. Hat er den, sobraucht er dann fürs Weitere nichts mehr.[121,02] Bleibet er aber bei dem, was er von Mir vernommen hat, lau und beeifertsich nicht, danach vollkommenst tätig zu werden, nun, so wird er wohl den Buchstabenhaben, so wie ihn Meine beiden Schreiber aufzeichnen, und wie ihn auch für dich und fürnoch etliche der Raphael aufgezeichnet hat; aber zum Geiste, der tief innerhalb desBuchstabens rastet und ruht, wird er nimmer vordringen.[121,03] Es wird da niemand etwas nützen, nur gläubig zu rufen: ,Herr, Herr!‘; dennvor Mir werden solche Bekenner stets ebenalso dastehen wie Wesen, die Mich nicht kennenund auch von Mir nicht erkannt werden.[121,04] Ich sage es euch für alle Ewigkeiten als von Gott aus wahr: Wer nichtvollkommen ein Täter Meiner Lehre wird, sondern bloß nur ein Hörer und dann- undwanniger Bewunderer und Lobpreiser derselben verbleibt, der bekommt Meinen Geist nicht,und Meine ganze Lehre nützt ihm also im Grunde wenig oder nichts! Denn wird er nach derAblegung des Leibes endlich ganz nackt als Seele dastehen, so wird er von Mir und vonMeiner Lehre ebensoviel wissen, als hätte er auf der Erde auch nie eine Sterbenssilbe davonvernommen, was aber auch eine ganz lebensnatürliche Erscheinung ist.[121,05] So zum Beispiel jemand von der großen Kaiserstadt Rom auch so manchesund sogar vieles hat reden hören, weiß auch den Weg dahin und hat auch die Mittel und dieGelegenheit, dahin zu reisen, um sich die große Stadt nach Muße anzusehen und alles darinkennenzulernen – ja, er wird zu solchem Unternehmen sogar zu öfteren Malen von seinenFreunden, die schon in Rom waren, aufgemuntert! Allein er hat fürs erste nie eine rechte Zeitdazu, dann ist er zu bequem und scheut die möglicherweise vorkommen könnendenReiseungemächlichkeiten und sagt am Ende: ,Ei, wozu die Reise nach Rom? Meine Freundehaben mir diese große Stadt ohnehin schon so haarklein beschrieben, daß ich sie nun inmeiner Phantasie so ganz erschauen kann, als wäre ich selbst schon viele Male in Romgewesen!‘[121,06] Das bildet sich unser Mann wohl so recht gut ein. Lassen wir ihm aber heutenur ein möglich ganz getreues Abbild von der Stadt Rom vorlegen, aber ohne eineUnterschrift, was es sei und vorstelle, – und unser die Stadt Rom ganz zu kennen Vorgebendewird das Abbild ebenso ansehen wie ein Ochse ein ganz neues, ungewohntes Tor! Und lassenwir ihn jahrelang raten, so wird er mit voller und überzeugender Bestimmtheit dennoch nieangeben können, daß dies ein gelungenes Abbild der Stadt Rom ist![121,07] Ich sage aber noch mehr: Lassen wir diesen Menschen zufällig wirklichnach Rom kommen, – aber allein, und so, daß ihm in Rom selbst auch niemand sagete, daß ersich nun in Rom, sondern in einer ganz andern Stadt befinde –, so wird er das am Endeglauben und somit den ganzen, großen Wald vor lauter Bäumen nicht sehen![121,08] Es ist sonach durchaus nicht genug, daß der Mensch etwa vom Hörensagenoder durchs Lesen von allerlei Beschreibungen sich irgend Kenntnisse verschafft von wasimmer. Alle diese Kenntnisse bleiben stumm und ohne einen Lebenswert, so sie nicht durchdie Tätigkeit mit dem Leben der Seele in einen Verband gebracht werden.[121,09] Wenn jener Mensch, so er von der Stadt Rom gar viele ihm merkwürdigeDinge vernommen hat, sich dann zur Reise dahin anschickt und dann auch wirklich dahinreist und dort alles in Augenschein nimmt, was er nur immer in Augenschein nehmen kann,so wird er darauf die volle Wahrheit tiefst eingeprägt auch in seiner Seele haben und wird sichdarauf nimmer eine andere Vorstellung von Rom machen können, als wie er diese Stadt selbstgeschaut hat.[121,10] Hätte er aber Rom nie selbst geschaut, so würde sich seine Vorstellung auchmit einer neuen und veränderten Erzählung über die Gestalt der Stadt Rom allerweidlichstverändert haben; ein phantastisches Bild würde das andere verdrängen, und das so lange fort,bis er am Ende sich von der Stadt schon gar keine nur einigermaßen haltbare Vorstellung zumachen imstande wäre.[121,11] Hat er aber einmal, wie gesagt, Rom selbst gesehen, so mögen nun

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Hunderte von Schwätzern zu ihm kommen und ihm ganz neue und seltsame Beschreibungenvon der Gestalt der Stadt Rom machen, so wird er darüber nur lachen und sich zuweilen überdie lügenhafte Unverschämtheit einiger sich berühmt zu machen bestrebender Tagediebe undmüßigen Pflastertreter nur ärgern und sie alle zur Türe allerweidlichst hinausweisen; denn inihm lebt nun die wahre Gestalt Roms tatsächlich und kann durch gar keine andere, bloßerdichtete Vorstellung verdrängt werden.[121,12] Aber wie möglich nun also? Weil er durch seine Mühe und Arbeit sich dievolle Wahrheit in seine lebendige Seele und nicht bloß in sein Gehirn eingeprägt hat! Er hatsonach den wahren Geist der Sache in seine Seele aufgenommen; das treuwahre Bild lebt nunin ihm und kann durch kein äußeres Irrbild mehr getötet und zerstört werden, weil es einwahres Lebensbild geworden ist.[121,13] Wie aber dieses Gleichnis sehr klar den Unterschied zwischen demtrügerischen Scheine und der vollen Wahrheit in jeder Hinsicht und Beziehung zeigt, worausein jeder auch gar leicht und gründlich ersehen kann, daß auch eine noch so ganz richtigeBeschreibung Roms dennoch die eigentätige Überzeugung weit hinter sich läßt, weil diedadurch hervorgerufene Vorstellung doch nur eine eingebildete ist und durch eine andere,anders begründete ganz gut verdrängt werden kann, weil sie zu keinem lebendigen Bilde inder Seele geworden ist, – eben- und geradealso geht es mit Meiner Lehre.“

122. Kapitel[122,01] (Der Herr:) „Ihr möget sie von Wort zu Wort mit ehernen Schriftzeichen füralle Zeiten der Zeiten aufzeichnen, so daß kein Häkchen davon abgeht, und könnet sie alsopredigen und vorlesen allen Völkern, und alle Völker sollen aus vollem Halse rufen: ,Ah,siehe da, das ist eine gar sehr vortreffliche Lehre und ist eines Gottesmundes würdig!‘, aber eswill dennoch niemand Hand ans Werk legen und vollauf nach ihren Grundsätzen undForderungen tätig werden, – nützet da dann diese Meine noch so rein aufbewahrte Lehrejemandem etwas? Ich sage es euch: Gar nichts nützt das! Oder nützt jemandem, der krank ist,eine Arznei etwas, wenn er sie nicht einnimmt und gebraucht nach der Vorschrift deswohlerfahrenen Arztes?![122,02] So aber jemand nur einiges Wenige weiß von dieser Meiner Lehre und tutaber sogleich danach, so wird er davon schon offenbar einen größeren und lebendigerenNutzen haben als der andere, der zwar mit aller Ehrfurcht von Mir und Meiner Lehre spricht,aber nie bei sich selbst sich zur Tat danach entschließen kann. Denn der erstere wird durchsHandeln nach dem Wenigen, das er vernommen hat, eben das Vernommene in seiner Seelebeleben, und es wird aus dem kleinen Samenkorn bald eine große Ernte aus dem lebendigenGeiste erfolgen, die keine böse Macht je mehr zu zerstören imstande sein wird, während derzweite Lobredner und treue Aufbewahrer Meiner Lehre, vom geistigen Hunger geplagt, auchalle andern Lehren zusammenscharen und dabei dennoch des geistigen Hungers sterben wird.Wird Mich dann drüben seine Seele erkennen, wenn sie hier durch ihre Tätigkeit sich denwahren Geist Meiner Worte nicht in aller Wahrheitsfülle zu eigen gemacht hat?[122,03] Ich setze nun den Fall, es wüßte jemand von Meiner Lehre nicht mehr alsdas nur, daß man Gott über alles und seinen Nächsten wie sich selbst lieben soll, und dächtedarüber also ganz ernstlich: ,Sieh, das ist eine gute Lehre! Es muß ein allerhöchstesGottwesen geben, das nach allem dem, was da von Ihm erschaffen ist, als sehr gut undüberaus weise dasteht, lebt und sich bewegt. Dieses sonach überaus gute, weise undallmächtige Wesen muß man also auch mehr achten, schätzen, ehren und lieben als allesandere in der Welt. Mein Nebenmensch ist so gut wie ich ein Mensch und vom Schöpfer mitden gleichen Rechten in diese Welt gesetzt. Er darf daher nicht unterschätzt werden, sondernich bin durch die Vernunft sogar genötigt, ihm das zu erweisen, was ich mir selbst erweise.Denn unterschätze ich ihn, so unterschätze ich auch mich, weil ich auch nur ein Mensch undnichts Weiteres mehr bin. Ich erkenne das als einen obersten Lebensgrundsatz und will ihndaher auch vorerst für mich selbst strenge tatsächlich beachten!‘[122,04] Dieser Mensch tut nun das und sucht auch seine Umgebung dazu zubewegen, teils durch sein Beispiel und teils durch seine ganz einfache und schlichte Lehre,

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und bildet so sein Haus zu einem wahren Muster wahrer und gottergebener Menschen aus.Was sind aber in Kürze die Früchte solch eines löblichsten Unternehmens? Die Menschenleben in Frieden. Keiner erhebt sich über den andern. Der Verständige gibt sich in allerGeduld die ernste und mit aller Liebe erfüllte Mühe, den Unverständigen zu sichheraufzubilden, und macht ihn auf alle die ihm bekannten Wunder in der Schöpfungaufmerksam und freut sich, den Schwächeren gestärkt zu haben.[122,05] Weil solches alles aber da in der Tat geschieht, so wird das auch ins Lebender Seele aufgenommen; die Seele wird dadurch dann offenbar stets tätiger undlebenskräftiger.“

123. Kapitel[123,01] (Der Herr:) „Je tätiger es aber in der Seele zuzugehen anfängt, desto hellerwird es auch in ihr; denn das Grundelement des Seelenlebens ist das Feuer. Je heftiger aberirgend dieses Element zu wirken beginnt, desto mehr Licht verbreitet es auch in und aus sich.Wird sonach die Seele stets lebensfeuriger, so wird sie auch lebenslichter und -heller undfängt an, aus solchem ihrem erhöhten Lebenslichte auch stets mehr und mehr die innerenLebensgeheimnisse zu durchschauen und zu begreifen.[123,02] Dieses tiefere Schauen und Begreifen verschafft der Seele wieder einenneuen Mut, Gott noch viel inniger zu lieben und zu bewundern, und diese Liebe ist dannschon ein erster Funke des Gottesgeistes in der Seele; diese wächst und mehrt sich gewaltig,und kurze Zeit darauf werden die Seele und der Geist Gottes völlig eins, und die Seele wirddann durch den Geist Gottes in alle Wahrheit und Weisheit geleitet.[123,03] Wenn nun so ein Mensch dann in alle diese Weisheit gelangt, wie Ich euchnun mehrere Tage hindurch in einem fort gepredigt und tatsächlich gezeigt habe, saget Mir,ob daran wohl etwa das die Schuld war, daß der Mensch etwa jegliches dieser Meiner an euchergangenen Worte von Häkchen zu Häkchen genau und unverändert überkommen hatte! Onein! Ihm kam nichts zu Ohren als bloß die beiden Gesetze der Liebe; die genaue,gewissenhafte und tatsächliche Beachtung derselben nur hat ihm alles andere erworben![123,04] Da sind nun welche unter euch, die da bei sich, trotzdem Ich euch die Sachedoch gewiß sehr handgreiflich klar dargestellt habe, fragen und sagen: ,Ja, wie möglich kanndenn die tatsächliche Beachtung der beiden Gebote die Seele zu einer solchen Weisheitshöheerheben?‘ Und Ich sage es euch: Darum, weil die Seele schon von Anbeginn an alsoeingerichtet ist![123,05] Wie wird denn eine Traube reif und süß und geistig – und ist doch nur einganz schlichtes Naturgewächs? Der Sonne Licht und Wärme bewirken das. Durch das Lichtund durch die Wärme werden die Naturgeister in der Rebe stets tätiger und tätiger. Dadurchaber, daß sie stets tätiger werden und gewisserart stets emsiger sich durcheinander reiben undtreiben, werden sie in sich selbst auch stets feuriger und in sich leuchtender. Dadurch aber,daß sie auch in sich stets heller und leuchtender werden, steigert sich auch offenbar ihregegenseitige Spezialintelligenz; je heller aber ihre Intelligenz wird, desto mehr erkennen siesich als einer und derselben Ordnung angehörig und fangen an, sich zu ergreifen, zu ordnenund zu einigen. Ist dieses geschehen im Vollmaße, so ist die Traube auch reif und wohlgenießbar geworden.[123,06] Hat man den Saft dann gesammelt und in einem Gefäße wohl aufbewahrt,so werden seine wohlgeordneten Naturgeister nun nicht mehr dulden, daß irgendein fremderKörper, der in sich Naturgeister einer ganz andern Ordnung birgt, die einmal angenommenegute Ordnung der geordneten Naturgeister des Traubensaftes störe. Sobald sich etwasFremdes, einer andern Ordnung Angehöriges, im Moste befindet, so gärt und braust er solange, bis das Fremde aus ihm geschafft ist oder sich völlig in seine Ordnung gefügt hat. Istdas geschehen, so erwacht dann erst des inneren Lichtes und der inneren Wärme Geist aus derguten Ordnung der gesamten Naturgeister des rein gewordenen Rebensaftes, und aus demfrüher noch sehr unreinen Moste ist dadurch ein geistig starker und reiner Wein geworden.[123,07] Das alles ist demnach eine Wirkung der Sonne, das heißt ihres Lichtes undihrer Wärme. Und ebenalso geht es mit dem Menschen und seiner Seele! Kann er durch die

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Beachtung eines Gesetzes der besten Ordnung aus Gott seine Seele in eine stets größereTätigkeit versetzen, so wird es in ihr auch in allen ihren Sphären des Lebens heller undlebenswärmer werden. Sie wird dadurch sich selbst stets heller und reiner erkennen undebenso die göttliche Kraft, die in sie stets mehr und mehr einfließt und in ihr auch ein stetserhöhteres Leben zeihet.[123,08] Erkennt sie aber diese Kraft, so erkennt sie auch Gott, von dem diese Kraftausgeht. Wenn sie das aber notwendig erkennen muß, so muß sie Gott auch stets mehr undmehr lieben. Mit dieser Liebe scheidet sie dann selbst alles Fremdartige aus ihrer stetsreineren und vollkommeneren Lebensordnung und wird stets einiger mit der Ordnung desGeistes Gottes in ihr; wie aber das der leichtbegreifliche Fall ist und ganz sicher eintretenmuß, so versteht es sich dann ja schon von selbst, daß solch eine Seele dann als vom GeisteGottes ganz durchdrungen in jeglicher Art, Kraft und Stärke zunehmen muß und so unfehlbarein wahres Kind des allerhöchsten Gottes wird.[123,09] Wenn solch eine Seele dann endlich einmal den Leib verläßt und im großenJenseits mit dem notwendig allervollendetsten Bewußtsein anlangt, so wird sie auch Gottsicher sogleich erkennen, da sie schon hier völlig eins mit Ihm geworden ist und Ihn zumvollsten und lebensklarsten Bewußtsein in sich gebracht hat, und das aus dem handgreiflichenGrunde, weil des Geistes Gottes doch ewig sicher allerklarstes Bewußtsein nun gewisserartzum hellsten und vereinigten Bewußtsein der Seele selbst geworden ist.“

124. Kapitel[124,01] (Der Herr:) „Wenn sich aber das alles nur also und ewig nie andersverhalten kann, wie läppisch erscheint da eure Sorge um die Reinerhaltung eines an euchergangenen Wortes! Nur sehr weniges davon bedarf der Mensch, ein kleinstes Senfkörnleinnur; wenn er es ins Lebenserdreich seines Herzens legt und es dann emsig und tätig pflegt, sowird daraus ein Baum erwachsen, unter dessen Ästen auch die Vögel der Himmel ihreWohnung nehmen werden.[124,02] Haben die Pharisäer etwa nicht die Bücher Mosis und die Propheten nochganz rein, daran kein Häkchen mangelt?! Was nützt ihnen aber das? Sie sind dennochreißende Wölfe, die in Schafspelzen einhergehen, um desto mehr Verheerung auf denfriedsamen Lämmerweiden anzurichten![124,03] Ich sage es euch: Alles Äußere, wenn an und für sich noch so rein, tötet; nurder Geist hat das Leben und belebt alles, was er durchdringt. Ihr werdet Meine Lehre darumauch ganz kurz und leicht zusammenfassen, insoweit sie den Menschen im allgemeinen nötigist. Wer danach tätig sein wird, der wird auch nach dem Maße seiner Tätigkeit den Geist ausGott in sich erwecken, und dieser wird dann erst beleben im Lichte und Feuer aller Wahrheitdie Seele, und diese wird geleitet werden in alle Wahrheit und Weisheit aus Gott und wird dasund noch unaussprechbar mehreres, was Ich euch nun gezeigt habe, in und aus sich allerklarsterfahren.[124,04] Denket euch nun, Ich wollte euch Meine ganze Schöpfung so ganzanalytisch vom Größten bis zum Kleinsten damit wunderbarst enthüllen, daß Ich viele tausendMeiner Engel beriefe und ihnen geböte, alles auf die ihnen möglicheblitzschnellschreiberische Weise aufzuschreiben! Fürs erste braucheten wir so viel des weißenSchreibleders, daß dasselbe wahrlich in einer ganzen Hülsenglobe bei weitem nicht Platzhätte; fürs zweite aber, wären alle die endlos vielen Häute klein beschrieben, saget, bis wannihr mit dem Durchlesen aller solcher Schriften zu Ende kämet! Ich hoffe nun, daß ihr eureTorheit schon so ein wenig werdet einzusehen anfangen![124,05] Gehet hin nach Memphis, nach Theben, nach Karnag und nachAlexandrien! Alldort werdet ihr Bibliotheken antreffen, alle möglichst echt und richtig; aberIch stehe euch dafür, daß kein Mensch sie in fünfhundert Jahren aus- und durchzulesenimstande ist! Es gehörte dazu wahrlich Methusalems Alter, um alle die Schriften und Zeichennur einmal zu überlesen! Und was hätte dann der davon, der sich die allererstaunlichste Mühegenommen hätte? Er würde das Gelesene endlich schon fleißig von Tag zu Tag, ja am Ende,so er schon so recht verwirrt wäre, von Stunde zu Stunde und von Minute zu Minute ganz rein

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vergessen und daraus für sein Leben aber auch nicht den allergeringsten Gewinn ziehen.[124,06] Merket ihr nun, was Ich euch mit dieser Meiner Lehre für einen ganz andernWeg zeigen will, auf dem man in der kürzesten Zeit, so man es nur recht will, sich in alleWeisheit der Himmel versetzen kann?![124,07] Dieser Weg bin Ich, und die Wahrheit und das Leben. Wer Mich wahrhaftliebend in seine Seele aufgenommen hat, aber nicht nur gläubig bloß dem vernommenenWorte nach, sondern vollkommen der Tat nach, zu dem werde Ich allzeit im Geiste kommenund werde Mich ihm offenbaren und werde ihn erleuchten wie eine hell aufgehende Sonne diefrüher finsteren Gefilde der Erde.[124,08] Mit einem innern geistigen Blicke wird er mehr vom tiefsten Grunde auskennenlernen denn durchs Lesen in zehnmal hunderttausend Jahren, so es einem Menschengegeben wäre, so lange zu leben.[124,09] Ihr selbst habt nun seit mehreren Tagen, die Ich stets lehrend und handelndunter euch zugebracht habe, doch so manches vernommen und gesehen, und es sind eureSeelen dadurch sehr geweckt worden, und in eure Herzen ist Liebe, Glaube und vollesVertrauen eingezogen; aber so ihr es bei dem allein bewenden ließet, da hättet ihr fürwahrnoch wenig Nutzen für eure Seelen, und euer Erkennen und Wissen würde bei dem, was ihrnun habt, verbleiben.[124,10] Ihr müsset von nun an erst selbsttätig werden nach Meiner Lehre, dann wirdeure Seele lebendiger und lichtvoller werden und dann erst wird Mein Geist in euren SeelenWohnung nehmen und wird euch leiten in alle Weisheit.[124,11] Darin also bestehet die neue Schule des wahren Lebens und die alleinwahren Erkenntnisse Gottes und seiner selbst, und darum heißt Meine Lehre ein wahresEvangelium, weil sie die Menschen lehret gehen auf dem allein rechten und wahren Wege zurErreichung des wahren, ewigen Lebens und zur Erreichung der einzigen, wahren Liebe undWeisheit aus Gott.[124,12] Klein zwar ist die Lehre, und so sie in ein Buch geschrieben wird, so kannsie von jedermann, der des Lesens kundig ist, in sehr wenigen Stunden durchgelesen werden.Das noch so eifrige Durchlesen allein aber wird auch niemand irgend zu mehr etwas nützen,als daß er sich bloß mit Meiner Lehre dem Außen nach bekannt gemacht hat, – was wohl vorallem zu geschehen hat.[124,13] Denn es ist dieser Akt gleich einem notwendigen ersten Schritt bei einerReise; denn sollte Ich von hier etwa nach Damaskus reisen, mache aber nie einen erstenSchritt, so versteht es sich von selbst, daß Ich auch den zweiten Schritt nicht machen kannund darauf die vielen künftigen noch weniger, die Mich bis nach Damaskus bringen sollen.Aber mache Ich auch den ersten Schritt noch so kernfest und etwa darauf auch den zweiten,dritten und vierten, so nützet Mir das doch nichts, so Ich darauf stehenbleibe und es für zumühevoll finde, die Schritte so lange fortzusetzen, bis Ich Damaskus erreicht habe.[124,14] Ich habe es euch nun allerklarst gezeigt, was ihr zu tun habt, um wahrhaftdas ewige Leben und alle seine Gerechtigkeit zu erreichen. Tut also danach, so wird MeineVerheißung an euch allen in die vollste Erfüllung gehen; denn aus all dem vielen, das Icheuch bisher geoffenbart habe, ist das wohl das Größte und am meisten Beachtenswerte füreuer Leben, was Ich euch nun gesagt und geoffenbart habe.[124,15] Ich habe euch ja gezeigt und geoffenbart gar viele Wunder MeinerSchöpfungen, und ihr habt von Mir sonach überaus viel gelernt; aber ihr wisset nun nur das,was ihr gehört und was ihr gesehen habt. Weiter hinaus wisset ihr aber dennoch nichts. Abermit der gegenwärtigen Offenbarung habe Ich euch haarklein und handgreiflich klar gezeigt,was ihr und ein jeder zu tun habt, um zur unbegrenzten Selbstanschauung aller der Wunderder endlos großen Schöpfung Gottes zu gelangen, die dann nicht mehr vergehen, sondernewig bestehen wird.“

125. Kapitel[125,01] (Der Herr:) „So tut denn nun emsigst danach; nehmet euch alle Mühe undprüfet euch, ob ihr nichts unterlasset, auf daß ihr am Ende nicht sagen müsset: ,Da, sieh her,

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nun habe ich volle zehn bis zwanzig Jahre hindurch alles getan, was mir die neue Lehrevorschrieb, und dennoch stehe ich stets gleich auf einem und demselben Flecke, verspürenoch immer nichts von einer besonderen Erleuchtung in mir, und vom sogenannten ewigenLeben empfinde ich auch noch ganz blutwenig in mir! Woran fehlt es denn noch?‘[125,02] Ich aber sage zu euch darum: Prüfet euch sorgfältig, ob nicht noch irgendstarke weltliche Vorteilsgedanken euer Herz beschleichen, ob nicht zeitweiliger Hochmut,eine gewisse, zu überspannte Sparsamkeit – eine jüngste Schwester des Geizes –, dieEhrsucht, richterlicher Sinn, Rechthabelust, fleischlicher Wollustsinn und dergleichenmehreres euer Herz und somit auch eure Seele gefangenhalten! Solange das bei dem einenoder dem andern der Fall ist, wird er zu der Verheißung, das heißt zu ihrer vollen Erfüllung anihm, nicht gelangen.[125,03] Denn betrachtet nur den Most und den reinen, geistvollen Wein in einemFasse oder Schlauche! Solange sich grobe und fremde Bestandteile im Moste befinden, wirder gären und zu keiner Reinheit gelangen, sind aber diese samt und sämtlich einmalhinausgeschafft, so wird es ruhiger und ruhiger im Fasse, der Most klärt sich und wird zumreinen, vollgeistigen Weine.[125,04] Es wird oft so manchem gar nicht vieles fehlen von der vollen Besitznahmedes Gottesreiches in seiner Seele, und dennoch wird er es nicht einnehmen, weil er sich zuwenig prüft und nicht acht darauf hat, was etwa noch Irdisches an seiner Seele klebt. Wird ersich aber sorgfältiger prüfen, so wird er bald finden, daß er entweder noch sehr empfindlichist und ihn gar bald eine Kleinigkeit beleidigt.[125,05] ,Ja‘, sagt da jemand, ,soll ein Mensch denn gar kein Ehrgefühl haben?‘ O ja,sage Ich, der Mensch kann allerdings ein Ehrgefühl haben, aber das muß von der edelsten Artsein! Hat dich irgendein noch schwachgeistiger Mensch beleidigt, so werde ihm darum nichtgram, sondern gehe hin und sage zu ihm: ,Freund, mich kannst du mit nichts beleidigen; dennich liebe dich und alle Menschen! Die mir fluchen, die segne ich, und die mir Übles tun,denen tue ich nach allen meinen Kräften nur Gutes! Aber es ist nicht fein, daß ein Mensch denandern beleidigt; darum unterlasse das für die Folge zu deinem höchst eigenen Heile! Denndu könntest bei deiner stets wachsenden Beleidigungssucht einmal an einen kommen, der dirdie Sache sehr übelnähme und dir dann große und gewiß sehr unliebsame Ungelegenheitenbereiten könnte, und du müßtest es dann nur dir selbst zuschreiben, daß dir Unangenehmesbegegnet ist!‘[125,06] Werdet ihr mit einem, der euch beleidigt hat, ohne den geringsten Groll imHerzen also reden, so habt ihr das edle und göttliche Ehrgefühl in eurem Herzen vollkommengerechtfertigt. Sowie ihr aber darob noch so eine Art kleinen Grolles in euch merket undwerdet auf den Menschen bitter und unfreundlich, so ist das noch eine Folge eines kleinen, ineurer Seele verborgenen Hochmutes, der allein noch lange gut genügt, die Vereinigung eurerSeelen mit Meinem Lichtgeiste in euch zu verhindern.[125,07] Oder es spricht einen von euch mehrere Male ein und derselbe Arme um einnamhafteres Almosen an. Ihr habet es wohl und könntet dem Armen noch tausendmal sovielgeben, als ihr ihm schon gegeben habt; aber es berührt euch seine gewisserartigeUnverschämtheit bitter, und ihr weiset ihm die Tür mit dem Bedeuten, er solle nicht sooftmals kommen und denken, daß man ihm allzeit, so oft es ihm einfällt, ein Almosenverabreichen wird![125,08] Ja sehet, das ist für einen Weltmenschen wohl eine ganz vernünftige Rede,und es geschieht dem Bettler so eine kleine Zurechtweisung recht; aber derjenige, der demArmen also begegnet, ist dennoch noch lange nicht reif zu Meinem Reiche, der Ich MeineSonne alle Tage aufgehen und scheinen lasse über gute und böse Menschen und zumFrommen aller Kreatur.[125,09] Derselbe Strahl, der die vergoldeten Paläste der Könige verherrlicht und inder Rebe den edelsten aller Säfte reinigt, reift und sehr versüßt, leuchtet auch über Pfützenund Kloaken und ärgert sich nicht an dem Gequake der Frösche und an dem Gezirpe derGrillen. Eine solche Zurückhaltsamkeit hat hinter sich noch etwas Karges, und die Kargheitund die zu ökonomische Sparsamkeit ist eben nicht sehr weit vom Geize entfernt und trübt

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den Lebensmost der Seele; und solange das noch ununterbrochen der Fall ist, wird aus derSeele kein reiner und geistvoller Lebenswein.[125,10] Wer aber als wohlhabend im Geben nur eine recht große Freude findet undden Armen gar nicht ansieht darum, daß er ihm schon zu öfteren Malen eine kleine Gabeverabreicht hat, der ist dann in diesem Punkte schon fähig, in Mein Reich überzugehen, so eretwa keines andern kleinen Fehlers in seiner Seele gewärtig ist.[125,11] Darum sagte Ich zu euch, daß ihr euch stets in allem genau erforschen undeuch auf den Lebensstandpunkt erheben sollet, auf welchem ihr es in euch hell und lebendigwahrnehmet, daß ihr von allen irdischen Schlacken frei seid.“

126. Kapitel[126,01] (Der Herr:) „,Ja‘, sagt wieder einer von euch bei sich, ,es wäre schon allesrecht mit der Selbstprüfung; aber woher das allzeit richtige Maß des reinen Gefühls undGewissens? Der Mensch wächst von der Wiege in die volkssittlichen Gefühle hinein undfindet alles recht, was er als solchen Gefühlen vollkommen Rechnung tragend tut; ja, täte erdenselben zuwider, so vermeinete er eine Sünde zu begehen.‘[126,02] Es sei bei einem Volke die Sparsamkeit eine anempfohlene undangepriesene Hauptsitte und laute: ,Wer in der Jugend und Manneszeit spart, der darf im Alternicht darben, und wer da nicht arbeitet und spart, der soll auch nicht essen!‘[126,03] Meine lieben Freunde! Diese an sich durchaus nicht unlöblichen Grundsätzesind mir recht wohl bekannt. Sie können und sollen überall, wo ein Volk in Gemeindenzusammen lebt, bestehen und aufrechterhalten werden, aber stets im lebensedelsten Sinne.Damit sie aber nur in solchem Sinne unter den Menschengesellschaften bestehen und nieunter- und nie übertrieben werden, so muß ihnen ein haltbarer und sehr verläßlicher Regulatoran die Seite gestellt werden. Was aber soll diesen Regulator abgeben? Nichts und niemand alsallein die wahre und reine Nächstenliebe, deren vernünftiger oberster Grundsatz darin zubestehen hat, daß man dem Nächsten gerade alles das von Herzen wünsche und tue, was mannatürlich vernünftiger- und weisermaßen wünschen und wollen kann, daß die andern es auchunsereinem tun und erweisen möchten.[126,04] Wer diesen Grundsatz so recht betrachtet, der wird daraus bald gewahrwerden, daß er wie kein anderer alle Menschen zu einem gewissen Fleiße und auch zurwahren und lebensedlen Sparsamkeit anspornen wird; denn ist es mir unangenehm, daß einanderer an meiner tätigen Seite einen Müßiggänger macht, so soll ich auch an seiner Seitekeinen Müßiggänger machen![126,05] Wird dies ein jeder aus wahrer, lebensedler Nächstenliebe tun, so wird es ineiner Gemeinde bald sehr wenige geben, die man ,Arme‘ nennen könnte. Außer den Lahmen,Bresthaften, Blinden, Tauben und Aussätzigen wird es wenige mehr geben, die der Gemeindezur Last würden; aber die sollen dann wohl mit dem freudigsten Herzen zuvorkommendverpflegt werden.[126,06] Dann wird es in einer Gemeinde einen oder auch mehrere Lehrer geben, dieda nicht Zeit haben, sich mit ihrer Hände Arbeit den Lebensunterhalt zu verschaffen. Diesesollen denn von der Gemeinde dahin versorgt sein, daß sie nicht nötig haben sollen, die Zeit,die für den Unterricht eurer Kinder und euer selbst bestimmt ist, mit der Feldarbeitzuzubringen! Das ist auch ein Akt einer besonderen Nächstenliebe, der hoch obenan steht.Denn der, der euch allertätigst mit den geistigen und somit wahrsten Lebensschätzen versorgt,den sollet ihr wohl nicht in seiner leiblichen Sphäre darben lassen.[126,07] Wer aber eine solche Gnade von Mir hat und berufen ist, den Menschen inMeinem Namen ein Lehrer zu sein, der bedenke aber, daß er die Gnade von Mir umsonstüberkommen hat und sich daher für die Weiterausteilung nicht soll ein Entgelt bezahlenlassen! Ein echter Lehrer wird auch das, was er von Mir umsonst überkommen hat, auchumsonst weitergeben. Aber die Beteilten sollen dann aus wahrer Liebe zu Mir den Lehrer, denIch zu ihnen gesandt habe, wohl aus ihrem eigenen Antriebe mit aller Liebe aufnehmen undihn in keiner Art darben lassen; denn es versteht sich ja von selbst, daß das, was sie einemGesandten von Mir tun, also angesehen wird, als hätten sie es gerade Mir Selbst getan!

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[126,08] Aber was sie da tun, das sollen sie stets mit großer Freude tun, auf daß dasHerz des Lehrers nicht traurig werde ob der Härte der Herzen der Gemeindeglieder, und ersehe mit freudigem Herzen, wie Mein Wort aus seinem Munde sogleich anfängt, die edelstenFrüchte des wahren, innern Lebens zu tragen.[126,09] Ihr sehet nun, daß die wahre, edle und – sage – vernünftige Nächstenliebefür dies irdische Leben der allerverläßlichste Visierstab ist, um zu erforschen, ob und wie reines in der Seele aussieht. Gebrauchet ihn daher vor allem, und ihr werdet davon ehest diesegensreichsten Früchte für die Scheunen des ewigen Lebens im Lichte Meines Geistes ineuch ernten! – Was meinst du, Mathael, nun wohl in bezug auf die Reinerhaltung dieserMeiner nun an euch ergangenen Lehre? Ist sie so allen Menschen bis ans Ende der Zeiten reinzu erhalten oder nicht?“[126,10] Sagt Mathael, ganz ergriffen von der Wahrheit Meiner Worte: „Herr, nureine kurze Rast, und ich will Dir danken auch mit der Zunge für diese zu großwichtigeAufhellung und Zurechtweisung aller meiner Bedenken! Ja, dies Lob muß laut ausgesprochenwerden! Aber nun ist mein Herz noch zu ergriffen und zerknirscht, darum nur eine kleine Rastmeiner Seele, o Herr, Du ewig Weisester!“

127. Kapitel[127,01] Nach einer Weile hatte sich unser Mathael wieder gesammelt und wollte soein recht großartigstes dithyrambisches Lob Mir vorzudeklamieren anfangen.[127,02] Ich aber sagte zu ihm: „Freund, was du hier offen aussprechen willst, weißIch vom Alpha bis zum Omega schon lange und zum voraus; daher magst du das wohlunterlassen! Ich bin kein Freund von solchen großartigen Lobessprüchen. Der Mirallerangenehmste Lobesspruch ist der, daß du Mich wahrhaft liebst in aller Lebenstiefe deinesHerzens![127,03] Wenn du bei deinem Volke sein wirst, da kannst du schon in allerBegeisterung groß reden von Mir, und Ich werde es dir vergelten mit allerlei Gnadengaben fürHerz, Seele und Geist; aber hier in Meinem Angesichte ist so etwas um so weniger nötig, alsalle die andern Anwesenden Mich ohnehin ebensogut erkennen wie du und Mir auch, dir ganzgleich, die Ehre geben.[127,04] Glaube du es Mir: Etwas Größeres, Erhabeneres und Gottes Würdigeres alsda sind Davids Psalmen und Salomos Hoheslied, ist seit Noah auf der Erde nicht geschriebenund gesungen worden. Aber darum sind Mir David und Salomo nicht werter und angenehmergeworden! Salomo ist am Ende gar aus aller Meiner Gnade durch sich selbst gekommen, undden David machten nicht seine Psalmen zum Manne nach dem Herzen Gottes, sondern nurdas, daß er Meinen Willen erkannt und freiwillig danach gehandelt hat. Weil er aber das tat,so bekamen seine Psalmen erst dadurch auch einen Wert vor Mir. Du siehst also nun, wasallein vor Mir einen Wert hat. Tue sonach das, und du wirst Mich dadurch am meisten ehrenzu Meiner wahren Freude und zum wahren Nutzen deiner Seele![127,05] Nun aber muß Mein Roklus einmal her; denn Ich sehe, daß er noch etwasauf dem Herzen hat und davon eine nähere Erklärung möchte, die ihm denn auch zuteilwerden soll. Roklus, komme Mir näher, denn Ich habe mit dir noch so manchesabzumachen!“[127,06] Als Roklus solchen Ruf vernahm, eilte er schnell zu Mir hin und sagte:„Herr und Meister, hier stehet schon allerdienstfertigst vor Dir dein letzter undallernutzlosester Knecht! Gebiete, o Herr, und ich werde alsogleich allergenauest danachhandeln! Denn ich habe Deine früheren Worte allergenauest vernommen, habe sie imLiebefeuer meines Herzens geprüft und fand darin sogar alles naturgemäß wahr, was Du, oHerr, gelehrt und allertreuest und klarst gezeigt hast. Wissen und Erkennen muß freilich wohldas erste sein, – aber dann kommt sogleich das Handeln danach; denn alles Wissen undErkennen hat ohne das Handeln gar keinen Wert! Davon bin ich nun so vollkommenüberzeugt, daß mich alle Weisen der ganzen Erde auf keine andere Überzeugung nur um einHaarbreit hinüberleiten könnten. Darum gebiete, o Herr, nur, und ich werde eiligst meineHände ans Werk legen!“

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[127,07] „Ja, ja“, sage Ich, „wohl haben wir eine große Arbeit vor uns, und derArbeiter gibt es noch wenige! Groß könnte die Ernte ausfallen, die Saaten sind reif geworden;aber der Schnitter und Ährenleser gibt es wenige nur. Darum ist es hoch an der Zeit, dieHände ans Werk zu legen, daß das Weizenkorn in Meine Scheuer gebracht wird, ehe dakommen die Stürme und ausschlagen und zerstreuen das edle Lebenskorn und die Vögel dannkommen und ihren Heißhunger damit stillen.[127,08] Wohl steht noch so manche Zeder auf Libanon, unter deren Ästen einstSamuel gebetet hat. Damals waren diese Bäume noch Jünglinge voll Kraft und Üppigkeit, unddie wutentbrannten Stürme versuchten vergeblich ihren Unmut an ihnen zu kühlen. Doch dasAlter wird gebrechlich und morsch die Sehnen seines gebleichten Lebens! Darum haben diealten Zedern Libanons nun wohl hier und da in manchem Aste noch eine Kraft und trotzennoch so manchem Sturme mit ihrem gesunden Teile; aber mehr denn zwei Dritteile der Ästesind schon abgefallen, und die jetzt noch seienden – kaum ein Drittel – sind nur zur Hälftemehr gesund und gewähren nur noch den Affen eine notdürftige Unterkunft und einenschwachen Schutz vor den Stürmen, die am Libanon daheim sind. Nun hast du eine überreifeSaat zum Einernten und als ein einsichtiger Forstmann den Libanon neu zu bepflanzen mitjungen Zedern; aber wie es anstellen, um fertig zu werden vor der Zeit der großen Stürme? –Verstehest du Mich wohl, Mein Freund?“[127,09] Roklus macht große Augen und sagt: „Herr, daß Du diesmal ganz reingriechisch gesprochen hast, das habe ich wohl verstanden; aber vom eigentlichen SinneDeines Wortes nicht eine Silbe! Wo hast denn Du, o Herr, auf der Erde einen Acker, der nunvoll reifen und schnittbaren Weizens wäre? Sage mir ihn an, und morgen sollen sich schontausend Schnitter und Ährenleser auf demselben alleremsigst herumtummeln, und diekommenden Stürme werden dann ganz gut über die dürren Stoppeln dahinzubrausen haben![127,10] Was geht uns aber der nun schon sehr zedernarme Libanon an? Die ihnbesitzen, sollen sehen, wie sie ihn neu beforsten werden, und die vielen Affen haben lange gutherumspringen auf den dicken und noch sehr starken Ästen und Zweigen der alten SchutzundSamenzedern Samuels, Davids und Salomos! Ich meine, daß es da schon besser wäre,sich viel eher der wahren Kultur der Menschen möglichst zu befleißigen und den Libanon inder Ruhe zu lassen. Deinen allenfalls irgend bei Nazareth im Besitz oder etwa bloß nur in derPacht habenden Acker nehme ich gleich über mich, und morgen am Abende steht kein Halmmehr auf offenem Felde einem kommenden Sturme preisgegeben! Darum gebiete Du, o Herr,nur, und in etlichen Stunden setze ich gleich und leicht sechstausend Hände in Bewegung.“

128. Kapitel[128,01] Sage Ich: „Mein Freund, sieh, die Vögel haben ihre Nester und die Füchseihre Löcher; aber Ich, als nun des Menschen Sohn, habe auf dieser Erde auch nicht einmaleinen Stein, den Ich als weltgesetzlich eigen unter Mein Haupt legen könnte, – geschweigeein irdisch mit Weizen vollbebautes Feld, das nun der Schnitter bedürfte![128,02] Der ,Acker‘, den Ich meine, ist diese Welt, und der reife ,Weizen‘ aufdemselben sind die Menschen, und die ,Schnitter‘ sollen sein, die Ich Meine Jünger nenne.Diese sollen hinausgehen in alle Welt und bekehren die Menschen und auf den rechten Wegbringen alle, die auf Ab- und Irrwegen wandeln und ein sicheres Asyl mit dreimalverbundenen Augen suchen, aber keines finden können.[128,03] ,Reif‘ sind sie, weil in ihnen das Streben nach einem höheren Ziele wachund lebendig geworden ist. Alle suchen die lebendige, mit aller Seligkeit gekrönte Ruhe –aber auf irreführenden Wegen – und erreichen somit trotz ihres Suchens nichts als am Endedes Leibes Tod; darüber nach jenseits hinaus ist bei jedem tiefste Nacht.[128,04] Solange der Mensch in sich ein solches Bedürfnis nicht fühlt, sondern ganzeinem Tiere gleich unbekümmert für seine Lebenssphäre, in was sie auch übergehe, fortlebtund ißt wie ein Polyp auf dem Meeresgrunde, in dem ist noch keine Reife für eine höhereOffenbarung vorhanden; aber Menschen, wie es nun deren überaus viele gibt, sogar unter denHeiden, auf nahe ein Drittel der bewohnten Erde, daß sie suchen allerlei, sich auch voll Giernach dem Besitze einer wenn auch geträumten Seligkeit sehnen, oft begraben in allerlei

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Leidenschaft, sind eine für eine höhere Sehe, für die Wahrheit, also für Mein Reich, reife,Saat‘, und es bedarf da vieler Schnitter, Lehrer aus Meiner Schule, ausgerüstet mit allerLiebe, Geduld, Sanftmut, Weisheit und Kraft.[128,05] Und siehe, solcher gibt es nun noch wenige; außer euch gibt es keine irgendmehr, außer den Mohren, die hier waren und sich für ihren Stamm das nötige Licht geholthaben und in ihrem Lande auch damit gut wirken werden! Darum sollet ihr wenigen von nunan eure Hände nicht in den Schoß legen, sondern arbeiten ohne Rast und Ruhe, auf daß sichstets mehre die Zahl der Schnitter auf dem großen Lebensacker Meiner Saat! – Das ist es, wasIch dir damit habe sagen wollen, als Ich zuvor sprach von Meinem Acker, von der reifenFrucht und von der dafür zu kleinen Anzahl der Schnitter.[128,06] Was aber den alten ,Libanon‘ mit seinen Zedern betrifft, so stellt er dar dieSchrift von Moses bis auf diese Zeiten her. Sie besteht wohl noch, aber ihre Bilder sind altund morsch geworden gleich den früher so herrlichen Zedern, aus denen der alte Tempel zuJerusalem, zuallermeist innerlich, ist erbaut worden, und aus deren Holze schon lange früherdie wunderbare Arche des Bundes ist erbaut worden.[128,07] Die ,Zedern‘ bezeichnen sonach die Worte und die Gesetze in der Schrift.Einst, als die Zedern auf dem Libanon noch jung und kräftig waren, schafften sie viel Nutzenden Menschen, und ein Richter Samuel konnte wahrhaft beten unter ihren Ästen. Aber dieirdische Gewinnsucht der Menschen hat den schönen Libanon nahe ganz entzedert, und eswuchs an der alten und vollgesunden Zedern Stelle nur zu bald allerlei wildes Gesträuch, undselbst die alten, noch übriggebliebenen Zedern mit ihren vielen morsch gewordenen Ästendienen nun nur mehr den Affen als den Menschen zum Schutz und Gewinne, – aber dasnatürlich nur wie zufällig; denn der Affe kann den Wert einer Zeder nicht erkennen und somitauch nicht schätzen und weiters zweckdienlich bestimmen.[128,08] Und so ergeht es nun der alten Schrift und den Propheten. Man verehrt dasalte Buch auf einem Altare und betet es wie eine Gottheit haarsträubend dumm und blind anund kümmert sich weiter um den Inhalt gar nicht, und noch weniger und noch seltener, umdanach zu handeln. Da gleicht ein solcher Mensch (ein Pharisäer) ja ganz dem Affen, der ganzmunter auf den dicken Ästen herumhüpft und den, der ihn davon vertreiben wollte, gleich mitden dicksten Prügeln bewirft und ihn zur Flucht nötigt, weil der Affe ein Affe ist und denkostbaren Baum zu einem ganz andern Zweck gebraucht, als welcher im Baume selbst vonder Natur aus zu suchen und zu finden ist.[128,09] Und also ist die Schrift den Menschen nichts mehr, als eine morsche Zederden Affen, und der ganze Libanon ist nun wucherisch überwachsen mit allerlei wilden und oftgiftigen Gesträuchen. Diese gleichen den verderblichen und überaus schlechtenMenschensatzungen, die da an die Stelle der Gesetze Gottes getreten sind, und gleichen fernernoch den fein und geschmackvoll übertünchten Gräbern der Propheten, die inwendig vollTodes, Moders und Ekelgeruches sind, während das in den Büchern aufgezeichnete lebendigeWort der Propheten unbeachtet bleibt in der Sphäre, in der es eben beachtet werden sollte.Man betet es als ein Heiligtum an und reibt dem, der da unwürdig das Buch der Prophetenanrührt, die Hände mit Salz blutig; aber daß man die Worte der Propheten beherzigte unddanach handelte, – oh, davon ist keine Spur irgend wahrzunehmen! Was ist da dann diesogenannte Heilige Schrift? Nichts als der mit wildem Gestrüpp überwachsene Libanon, nuneine Wohnstätte der Affen und nicht mehr gottbegeisterter Menschen![128,10] Es kann mit der Weile mit der Lehre, die Ich nun gebe, wohl auch sowerden, daß man sie als eine heilige Reliquie wie einen Götzen anbeten wird und wird garleichten Sinnes und Gewissens sich weiter gar nicht kümmern um den inneren Sinn und Geisteben dieser Meiner Lehre, sondern man wird sich richten nach den Satzungen der Menschenund wird sagen: ,Was Weiteres brauchen wir?‘[128,11] Aber dann wird auch kommen jene große Trübsal, von der der ProphetDaniel geweissagt hat, als er auf der heiligen Stätte stand, indem er sagte: ,Es wird aber injener Zeit eine Trübsal unter den Menschen sein, wie sie nicht war vom Anbeginne der Welt!‘

Ich meine nun, daß du Meine früheren zwei Bilder wohl verstehen wirst!“

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129. Kapitel[129,01] Sagte Roklus: „Ja Herr, nun verstehe ich's auf ein Haar; aber mir machtdieses Verständnis nun ein gar wehmütiges Gefühl! Was aber die gegenwärtig zu geringeAnzahl der gewissen Schnitter betrifft, so hast Du, o Herr, sicher noch der Raphaele inschwerster Menge im Hintergrunde. Diese könnten ja in der Gestalt des Raphael zu denMenschen treten und sie gleich also bekehren, wie der Raphael mich von meinem Atheismusauch ganz radikal bekehrt hat, und die ganze Sache wäre binnen wenigen Stunden auf derganzen Erde abgemacht! Ich bin ja doch auch ein Mensch, und es hat mir dieseUnterweisungsart nicht im geringsten geschadet; also wird sie auch allen andern Menschenebensowenig oder vielleicht noch weniger schaden.“[129,02] Sage Ich: „Ganz gut, Mein Freund, das wird zum Teil von nun an auch sehrhäufig geschehen, aber nur an Menschen von deinen Kenntnissen, Erfahrungen und vondeinem ganz nüchternen Gerechtigkeitssinne. Allein solcher Menschen gibt es eben nicht garviele auf der Erde. Die möglich reinsten und besten von der ganzen Erde befinden sich nunsamt und sämtlich hier; denn Ich habe es also gewollt, daß sie alle von weit und nah sich hierum Mich versammeln sollen.[129,03] Ich Selbst habe schon lange vorher ihre sämtlichen Umstände alsovorgesehen und eingeleitet, daß sie denen zufolge gerade um diese Zeit allhier eintreffenmußten, um von Mir Selbst und von Meinen Engeln unterrichtet zu werden. Sie haben auchalle, gleich wie du, den Unterricht LINEA RECTA aus den Himmeln empfangen; aber dassind nun auch schon alle beisammen![129,04] Für alle andern würde diese allerhöchste und geistig allernötigendsteUnterrichtsweise gar nicht taugen und würde ihnen offenbar mehr schaden als nützen, weil siealles das, was hier gelehrt wurde, als notwendige Folge der dabei geschehenen Wunderglauben müßten, wodurch es dann mit der freien Erkenntnis und mit dem freien Willenentweder für immer oder zum mindesten für sehr lange gar wäre. Bei euch fällt diese Sorgehinweg, weil ihr in gar vielen Dingen eine sehr wohlgegründete Erkenntnis und eineübergroße Erfahrung habt.[129,05] Sage, ob dich auch nur ein Wunder gewisserart in eine Verwirrung brachte!Du gingst bei deiner eigenen Wundermacherei lediglich von dem Grunde aus, daß es auf derganzen Welt kein übernatürliches Wunder geben könne; aber es gäbe Menschen, die durchihre Talente und Fähigkeiten so manches den geheimen Kräften der Natur abgelauscht haben,es dann selbst ins Werk setzen und also die andern Schafe von Menschen notwendig in einhöchstes Erstaunen setzen müssen, weil die von der allerweitesten Ferne hin gar keineAhnung haben können, wie ein gesehenes Wunder mit ganz natürlichen Kräften stattfindenkann.[129,06] Für einen Menschen, wie du einer bist, ist gar kein Wunder bindend; denner wird sich nur gar bald ganz geheim zu erkundigen anfangen und sagen: CUR,QUOMODO, QUANDO, QUIBUS AUXILIIS?, wie es auch bei dir der Fall war. Es nahmdich die plötzliche Herstellung des ganz neuen Hauses, Gartens, des Hafens und der fünfSchiffe gar nicht ganz besonders wunder; denn du hast ja in Indien einen Magier kennengelernt, der gleich ganze Gegenden auf einen Wink daherzauberte. Warum sollte es hier nichtjemand geben, der einen Garten samt Haus und den Hafen samt den Schiffen auf einen Winkherstellen sollte?![129,07] Raphael hatte mit dir zu tun, um dich eines möglichen Bessern zu belehren;aber du warst damit dennoch nicht völlig zufrieden, sondern fingst gleich an, weiter zuforschen, und es mußte dir der geistige Grund ganz aufgedeckt werden, wie auf dem also reingeistigen Willenswege solch eine Tat als denkbar möglich sei. Solches ward dann dir undallen, die hier anwesend sind, bis auf den innersten Grund gezeigt, und du warst damit sicherzufrieden; denn sonst hättest du sicher nicht selbst den Beisatz beinahe nach einer jedenErklärung gemacht und gesagt: ,Das ist mir nun handgreiflich klar!‘ Und was du alsobeteuertest, das war dir auch klar; denn mit einer Unklarheit und mit einem Mysterium hattestdu dich nie begnügt! Und sieh, wie du, so auch die ziemlich vielen hier; alle waren nichtzufrieden, nur die Oberfläche des Meeres zu schauen, sondern sie wollten es auch erfahren,

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was es in seinem tiefen Grunde birgt![129,08] Und das ist recht also, denn nur solche Menschen, die schon eines höchstgeweckten und hellen Verstandes sind, können solch eine tiefere Lebensoffenbarung erfassenund begreifen und dabei dennoch frei bleiben in ihrem Erkennen und Wollen, und nur solcheMenschen kann Ich dann auch als wahre Schnitter auf dem großen Acker MeinerMenschensaat brauchen. Aber zähle du sie nun selbst, und du wirst für die große Erde ihrerwahrlich nicht zu viele finden![129,09] Wenn Ich denn sage, daß die Ernte reif und groß ist, es aber der Schnitternur sehr wenige gibt, so wirst du nun hoffentlich den Grund davon schon auch ganz leichteinsehen. Für euch Fähigen habe Ich auch nichts im Hintergrunde behalten und habe euchgezeigt und enthüllt die ganze Unendlichkeit und die Ewigkeit in ihren Hauptzügen, so weitund so tief, als es für eure eben nicht sehr scharf verständigen Begriffe nur immer möglichwar, und habe euch auch gezeigt bis zur Handgreiflichkeit klar, was euch dann erst MeinGeist in euch alles enthüllen wird.[129,10] Das alles aber konnte Ich, wie gesagt, nur euch zeigen und sonst nun wohlkeinem Menschen mehr auf der ganzen lieben Erde, weil sie dazu die erforderlichevorurteilsfreie Fähigkeit gar nicht besitzen und noch gar lange nicht besitzen werden, weil sieeinesteils noch zu sehr von allerlei Aberglauben gefangen gehalten sind und andernteils zutief in den allerselbstsüchtigsten und schmutzigsten Weltgewinnsinteressen herumwühlen,und weil ihnen darum alle noch so rein geistigen Erscheinungen fürs erste gar kein Bedürfnisund fürs zweite nur etwas zum Leben gar nicht Nötiges sind und zumeist auch nur als etwassehr Lästiges, den freien Handel und Wandel Hemmendes sich darstellen.[129,11] Willst du etwa zu denen einen Engel Raphael senden?! Ich sage es dir, eineund die andere Art dieser Menschen haben für solch außerordentliche Erscheinungen erstenskeine Fähigkeit, zweitens keinen Sinn, und drittens würde ihnen so etwas um vieles mehrschaden als nützen![129,12] Die Aber- und Blindleichtgläubigen würden das alles freilich wohl nur zuschnell glauben, sich aber von Mir und dem Raphael und am Ende sogar auch von euch, alsMeinen Freunden, Abbilder machen, ihnen Tempel erbauen und uns dann gleich ihren Götzenverehren und anbeten. Die eigentlichen Weltsudelmenschen aber würden uns als Betrüger undarbeitsscheue Faulenzer hinwegtreiben, und würden wir sie mit der göttlichen Macht undKraft zu behandeln anfangen, so würden sie uns dennoch nicht anhören, sondern als nachihren Begriffen der menschlichen Gesellschaft sehr schädliche Feinde zu töten undauszurotten suchen, wie es Mir Selbst am Ende noch begegnen wird.[129,13] Du siehst nun aus dem ganz leicht, wie viele der tauglichen Schnitter wirnun auf der lieben, großen Erde zählen! Was anderes ist dann da wohl zu tun, als selbst Handans Werk zu legen und fest zu arbeiten, solange es nur immer des Tages heitere Hellegestattet; denn ist einmal die Nacht völlig hereingebrochen, so wird darin wohl niemand leichtzu arbeiten vermögen. Wir sind daher hier schon alle beisammen und werden heute bald nachdem Aufgange der Sonne samt und sämtlich unsere Hände an das große Werk legen.“

130. Kapitel[130,01] (Der Herr:) „Wir wollen auch durchaus nicht laut im vorhinein sagen undbehaupten: ,So und so wird es gehen!‘; denn soll das große Werk gelingen, so darf selbst Ichnicht einen scharfen Blick in die zweite Zukunft tun, auf daß zwischen Mich und die von Mirgeschaffenen Menschen ja nicht das Geringste trete, das da irgendeinen Einfluß auf derMenschen freiesten Willen zu nehmen imstande wäre.[130,02] Wir haben darum unserseits nichts zu tun als bloß nur zu lehren denMenschen die volle Ankunft des Reiches Gottes, der reinen Liebe und Wahrheit, im nötigenFalle mit einer kleinen Zutat irgendeines Wunders, das sich aber stets nur als eine Wohltatund nie als irgendeine Strafe oder gar zornsprühende Rache zu erweisen hat, und das sogardann nicht, so wir von den blinden und somit auch sicher sehr undankbaren Menschen dasgrößte Ungemach zu erdulden bekämen. Wer von euch das täte, der würde statt des Guten nurBöses erzeugen, und Ich wäre genötigt, ihm alle Meine Gnade zu entziehen und ihn am Ende

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mit zornigen Augen anzusehen.[130,03] Diese Meine Lehre ist sonach ganz ohne allen äußeren und noch wenigerdurch einen inneren Zwang den Menschen und Völkern in der ganzen Welt zu geben, und dieWunder sind nur dort zu wirken, wo die Menschen fürs erste einen lebendigen, das ganzeHerz überzeugend festen und durch gar keine äußeren Zweifel mehr unterspickten Glaubenhaben und sonst viele Erfahrung und viele Kenntnisse in den verschiedenen Dingen besitzen.[130,04] Vor sehr leicht- und abergläubischen Menschen haben keine Wunder zugeschehen, weil ihnen diese sogleich jeden Funken ihres ohnehin schwachen freien Willensraubeten! Und da wäre für sie dann diese Meine neue Lehre aus den Himmeln um gar nichtsdienlicher als ihr alter Aberglaube; denn sie fingen alsbald an, den Worten aus den Himmelneine besondere, göttlich-magische Wirkung unterzuschieben, sie auf sich einwirken zu lassenund sich ganz passiv in allen Dingen und Stellungen zu verhalten und alle Handlung nach derLehre einen ganz frommen und guten Mann sein zu lassen.[130,05] Ja, am Ende würden sie gerade also träge werden, wie es da heutzutage garviele der wohlhabenden Juden gibt, die sogar zu träge sind, selbst zu Gott zu beten, sondernsie zahlen die Pharisäer und auch andere Leute, daß diese für sie beten, da sie selbst viel zuwenig Zeit dazu hätten und es auch viel zu unbequem für sie wäre, die vielen, viele Ellenlangen Gebete selbst herunterzumurmeln.[130,06] Wenn es aber einmal mit dieser Meiner Lehre so elend weit gekommen seinsollte, dann freilich kann ein alles auf den alten Wahrheitszustand zurückführendes,allgemeines Gericht, wie zu den Zeiten Noahs, nicht mehr ferne sein.[130,07] Darum lehret alle Menschen die reinste Wahrheit und lasset alles Mystischeund Wundermagische himmelweit beiseite, ansonst da alles weit gefehlt wäre! Denn so einMensch aus der Tätigkeit seines freien Willens kommt und in eine Art frommer Trägheitübergeht, so hört er ja auf, ein Mensch zu sein, sondern steht unter der Würde eines Tieresund gleicht einem tauben und wilden Gesträuche, das da unter der äußeren Einwirkung desLichtes der Sonne und ihrer Wärme bloß nur als ein Wildling fruchtlos vegetiert und nahezugar keiner erforderlichsten Selbsttätigkeit mehr fähig ist.[130,08] Bei solchen Menschen erkaltet dann auch die Liebe, und der arme Nächsteist ihnen am Ende eine lästige Fliege geworden, die sie in ihrem weltlichenBehaglichkeitsschlummer stört. Und was aber die Liebe zu Gott betrifft, so zahlen sie dafürdann allerlei Opfer und Gebete. O sage, wie sieht's dann bei solchen Menschen mit demReiche Gottes in ihrem Herzen aus?! Ich sage nicht, daß dieser Zustand gerade notwendig beispäterhin Beteiligten dieser Meiner Lehre also, wie nun bei den Pharisäern und Juden,eintreten werde; aber er kann eintreten, und das nicht in von jetzt zu ferner Zukunft, so ihr alsdie Austräger dieser Lehre nicht völlig klug zur Genüge zu Werke gehet.[130,09] Denn Ich mache euch ja auch zu keinen gebundenen, sondern zu ganz freienBoten zur Verkündigung des Reiches Gottes auf Erden. Wohl sollet ihr von Mir allzeit dieWeisung, was da oder dort zu tun und zu reden sein soll, überkommen, – aber niemals eineWillensnötigung dazu, da ja ihr vor allem auch Meine lieben und nun völlig ganz erstenKindlein seid![130,10] Ich werde weder euch noch jemand andrem je Meinen Willen nach MeinerWeisheit aufdrängen, sondern ihn nur bekanntgeben durch Worte und durch Rat; da müssetihr ihn erst selbst durch euren Willen und durch die Tat zu dem eurigen machen, und zwardurch allerlei Selbstverleugnung in den verschiedenen Dingen dieser Welt.[130,11] Denn ihr wisset es nun ja doch, daß alle Welt und ihre mannigfache Materiedes Geistes und der Geist ewig nicht der Materie wegen da ist; und so wäre es denn auchmehr als höchst dumm von euch, so ihr euch, als schon mehr denn zur Hälfte eures Seins inden Geist übergegangene Menschen, für die Materie entscheiden möchtet. Aber irgend vonMir genötigt werdet ihr zu einer völligen Entscheidung für den Geist durchaus nicht; dennjede Nötigung ist und bleibt eines jeden Menschen höchst eigene Sache, weil eben davon seinewiges Leben abhängt.[130,12] Das Wissen und das noch so ungezweifelte Glauben allein hilft niemandemetwas, sondern nur das Handeln danach! Darum sollet ihr auch die Menschen, die in der Folge

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von euch die Wahrheit aus Mir werden kennenlernen, vor allem zur Tätigkeit danachermahnen; denn ohne solche könnten die in der Lehre enthaltenen Verheißungen ebensowenigje erfüllt werden, als ein Mensch sicher niemals nach Damaskus kommen wird – wenn ihmder Weg dahin auch noch so bekannt ist und er auch den allerfestesten und überzeugendstenGlauben hat, daß der ihm wohlbekannte Weg nahe ganz geradlinig nach Damaskus führt –, soer nie einen Schritt auf demselben machen will, oder wenn er sich auch öfter vornimmt, dieReise werktätig in der Wahrheit zu unternehmen, aber, im Grunde durch allerlei kleineGeschäfte verhindert, dennoch nie zum Betreten des Weges nach Damaskus kommt.“

131. Kapitel[131,01] (Der Herr:) „Es ist also vor allem von euch bei euren künftigen Jüngerndarauf zu sehen, daß sie nicht eitel Hörer und Glauber der neuen Lehre, sondern allereifrigsteTäter nach der empfangenen und als überzeugend wahr angenommenen Lehre werden; dennerst dadurch wird dann diese Lehre in jedem Menschen zur Vollwahrheit werden, wenn er ansich auch die Erfüllung der in ihr stehenden Verheißungen wahrzunehmen anfängt und sichdann endlich selbst zuzurufen anfangen muß und sagen: ,Ja, die Lehre ist wahrhaft aus Gott,weil sich bei mir durch die tatsächliche Beachtung eine darin vorkommende Verheißung umdie andere in aller Tat und Wahrheit zu erfüllen anfängt!‘[131,02] Hat es jemand einmal dahin gebracht, so hat er es schon gewonnen und mitihm Meine Lehre auch als Beispiel für viele andere, die noch im Probieren stehen, aber nochzu keiner Wirkung haben gelangen können. Sie werden, dadurch ermuntert, selbst eifrigerHand ans Werk zu legen anfangen, was ihnen erst die Früchte, wenn anfangs auch noch sospärlich, wird zu tragen anfangen.[131,03] Darum also seid in der Verbreitung und Austragung Meiner Lehre ja schlauund klug wie die Schlangen und Füchse, aber dabei stets so sanft wie die Tauben, deren oftzornscheinendes Girren und Murren nichts als eine verhüllte Liebe ist, darum denn auch denAlten die Taube schon als ein Symbol der Liebe galt.[131,04] Es kommt nun hauptsächlich auf euch an; wie ihr es anlegen werdet, sowird es dann auch fortbestehen. Werdet ihr nur irgendeinen kleinen Fehler bei der erstenAnlegung begehen, so wird daraus in einigen Jahrhunderten schon ein ganzer Berg von einerSünde wider die rechte Ordnung sich herausstellen.[131,05] Daher laßt euch ja durch nichts irgend altgebräuchlich Venerables(Ehrwürdiges) irreleiten! Weder der Sabbat noch der Neumond, noch die Schrift, noch derTempel, noch die Gräber der Propheten, noch die Orte, an denen Ich Selbst mit euch wirkte,noch die pure Magie Meines Namens, noch die Tempel, noch die Häuser der Patriarchen odergewisse Stunden des Tages und dergleichen äußeres tolles Zeug mehr führe euch aufirgendeinen Abweg von der hier vernommenen Wahrheit![131,06] Denn das alles war bis jetzt nur ein vorbildlich Entsprechendes von dem,was nun vor euch stehet im hellsten Lichte und als die reinste und unverhüllteste Wahrheit; eswar nur eine große Zeichenschrift, über den weiten Boden der Erde hin geschrieben, und eingroßer Brief des Vaters im Himmel an Seine Kinder auf dieser Erde, der aber nun entsiegeltvor euch offen liegt, und den ihr nun alle gar wohl habt lesen können. Aber dieser Brief hatnun für weiterhin weder einen Wert, noch eine das Leben bedingende Bedeutung.[131,07] Alles ist nun die Liebe zu Gott und zum Nächsten, aber etwa nicht nur inder Theorie, sondern wahrhaft in der Tat, und dazu bedarf es weder eines Sabbats noch einesNeumonds, noch eines Tempels, noch einer besonderen Zeit oder irgendeines verbrämtenKleides, noch irgend langer unsinniger Gebete, noch irgendeines unsinnigen Sühnopfers,keiner Ochsen, Kälber und Böcke zur Schlachtung und Verbrennung, sondern allein derLiebe, die Ich euch nun schon so oft enthüllet habe.[131,08] Werdet also als die Ausbreiter dieser Meiner Lehre nirgends und niemalsschwach in was immer für einer alten Satzung, nicht einmal in der Wahl der Speisen; dennwas zum Munde hineingeht mit Maß und Ziel, verunreinigt den Menschen niemals, sondernnur das verunreinigt den Menschen, was vom Herzen durch den Mund zum Schaden desNebenmenschen herauskommt! So werdet ihr mit dieser Lehre den wahren Segen und das

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wahre Heil den Menschen geben für bleibend, das in tausend Jahren und abermals tausendJahren ebenso rein dastehen wird, wie Ich Selbst es nun euch gebe und gegeben habe![131,09] Werdet ihr aber nur irgendeine alte Zeremonie mit dieser Meiner Lehreverbinden und zu halten anfangen gewisse Gedächtnistage und irgendeine Kleinigkeit nur ausdem Tempel, so wird sich das dann von Jahr zu Jahr vergrößern und in mehrerenJahrhunderten zu einem wahren euch bekannten Augiasstalle werden, der am Ende wiederdurch ein allgemeines Gericht wird gereinigt werden müssen.“

132. Kapitel[132,01] (Der Herr:) „Ich gebe euch damit eine Gottes- und Lebenslehre, die vonjeder Zeremonie so ferne ist wie ein Himmelspol vom andern; da bedarf es keines Sabbats,keines Tempels, keines Bethauses, keiner Faste, keines eigenen Aaronsstabes und -rockes,keiner zweihornigen Kopfbedeckung, keiner Bundeslade, keines Rauchfasses und keinesgebenedeiten und noch weniger eines verfluchten Wassers! In dieser Lehre ist der Mensch insich alles in allem und braucht sonst nichts als nur sich selbst.[132,02] In den alten, vorbildlichen Lehren war der Mensch nur ganz teilweise alssich mehr und mehr veredelnd und zum wahren Geistmenschen heranbildend noch ganzmateriell dargestellt, und es war darum denn auch nötig, ihn in allerlei dem Geisteentsprechenden Formen, Gefäßen und zeremoniellen Handlungsweisen darzustellen.[132,03] In dieser Meiner neuen Lehre aber ist der Mensch, wie auf einen Punkt, ineins vollkommen vereint in sich und mit sich, so wie auch Ich Selbst mit aller Meinerfrüheren urewigen und unendlichen Gottheit hier wie auf einem Punkt vereint vor euch steheund Selbst zu euch sage, daß von jetzt an das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit nicht mehrim Tempel zu Jerusalem oder auf Garizim zu suchen und alldort Gott anzubeten sein wird,sondern solchen Gottesdienst wird man tun können überall, da ein Mensch ist![132,04] Des Menschen Herz wird sein der lebendige Tempel des wahren, einigenund einzigen Gottes, und die werktätige Liebe wird sein der allein wahre Gottesdienst, unddie Liebe zu Gott wird sein dessen ganz allein wahre Anbetung![132,05] Da aber weder eine wahre Liebe zu Gott ohne die werktätige Nächstenliebeund diese nicht ohne die wahre Liebe zu Gott denkbar ist, so sind die beiden Lieben imGrunde des Grundes auch nur eine Liebe und somit eine und dieselbe wahre Anbetung Gottes.Wer das in sich hat, der hat alles, alles Gesetz und alles Prophetentum, im eigenen Herzenvereint und hat weiter durchaus nichts irgend mehr vonnöten.[132,06] Ich hebe hiermit denn alles Alte samt dem Gesetze Mosis auf, nicht etwa,als wäre es fortan nicht mehr zu beachten – das sei ferne –, sondern nur insoweit, als es da bisjetzt war eine äußere, mit irdischen Strafen belegte Nötigung, so und so zu handeln; denn alsowar das Gesetz ein jedem Menschen im Genicke sitzender Richter und war ein bleibendesGericht, dessen sich kein Mensch entschlagen konnte. Ein Mensch aber, der gedrückt unterder Gesetzeslast steht, stehet dadurch ja auch offenbar im fortwährenden Gerichte; der aberim Gerichte steht, ist geistig tot und verflucht von der inneren, göttlichen Lebensfreiheit.[132,07] Nur wenn das Gesetz sein eigen wird und der Freiheit des eigenen freiestenWillens untersteht, dann hat alles Gericht und aller Fluch und Tod beim Menschen ein Ende,und Ich bin eben darum hauptsächlich in diese Welt gekommen, um allen Menschen dieErlösung vom Joche des Gesetzes, des Gerichtes, des Fluches und des Todes zu bringen, unddarum auch nehme Ich von nun an alles Äußere weg, gebe euch somit wahrhaft euch selbstzurück und mache euch eben dadurch erst wahrhaft zu wahren Gotteskindern und zu Herrenüber alles Gesetz und Gericht.[132,08] Werdet ihr, und also auch eure Jünger, gleichfort unverändert in dieserNorm verbleiben, so wird auch nie ein Gericht über euch zu kommen imstande sein, weil ihrja über dem Gerichte stehet; sowie ihr aber nur in einem oder dem andern Stücke euch einaltes, äußeres Gesetz werdet anfügen lassen und irgend noch anhangen einem alten, äußerenFormenkleckse, so werdet ihr euch auch wieder einem Gerichte unterstellen, und der Todwird so weit in euch greifen, als wieweit ihr euch selbst einem alten Formengesetze unterstellthabt!“

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133. Kapitel[133,01] Sagt hier Roklus: „Ja, Herr, wie sieht es denn dann mit der Haltung derpolitischen Staatsgesetze aus? Denen muß man sich doch fügen, wenn man einerseits noch sosehr Herr über sich geworden ist? Oder kann man auch mit diesen Gesetzen es also machenwie mit denen des großen Propheten Moses?“[133,02] Sage Ich: „Aber Freund, wie kann man Anordnungen eines Staates Gesetzenennen? Gesetze sind ja nur der kundgemachte Wille Gottes; deine Staatsgesetze aber sindbloß nur der höchst wandelbare Wille eines Menschen und können nie mit etwas anderem zutun haben als mit den alleräußersten und materiellsten Leibeslebensdingen. Wenn sie gut sind,so wirst du sie auch billigen und annehmen mit deinem freiesten Willen, und hast du das,dann bist du schon ein Herr der Staatsgesetze und kannst durch sie in kein Gericht mehrkommen. Sind sie aber schlecht, so steht es dir ja frei, dich davon loszumachen und dahin zuziehen, wo es weisere Gesetze gibt, oder den Gesetzgeber allersanftest auf das Mangelhafteeiniger Gesetze aufmerksam zu machen und ihm einen rechten und guten Rat zu geben. Wirder den Rat annehmen, so werdet ihr gut zu bleiben haben; nimmt er in seinem herrscherischenHochmute den Rat aber nicht an, dann ziehet weiter! Denn die Erde ist groß und hat vieleLänder und Völker und Reiche und Könige und Fürsten.[133,03] Seid ihr einmal rein in eurem Innern, dann wird euch auch alles rein sein;denn dem Reinen sind alle Dinge darum rein, weil er den Grund von allem erschauen kann,was soviel sagen will als: Dem Sehenden ist am Tage alles erleuchtet, und selbst die Nacht istfür den Scharfsehenden nicht lichtlos, während dem Blinden alles finster ist und der Tag beiihm keinen Vorzug vor der Nacht hat.[133,04] Wer also in seinem Innern einmal in der völligen Ordnung ist, der ist auchein Herr über alle Unordnung, die nur irgend in der Welt so oder so vorkommen kann. Weil eraber ein Herr ist und in sich in keine Unordnung mehr geraten kann, so mag und kann er imGrunde wohl in jeder politischen Gesellschaft bestehen, möge sie so oder so bestellt undbeschaffen sein; denn er sieht es ja klar, wohin er seine Schritte zu stellen hat.[133,05] Ich Selbst bin ja nun auch auf dieser Erde und füge Mich, Meiner äußerenPersönlichkeit nach, in die von dem römischen Kaiser vorgeschriebene Ordnung und lehneMich nirgends, nicht einmal dem Anscheine nach, wider dieselbe auf! Verliere Ich etwadadurch in Meines innersten Gottwesens Ordnung? O mitnichten, – Ich bin, der Ich bin,unverändert, und Mein Rat wird auch von denen angenommen, die des Herrschers Macht inihren Händen tragen, und bin darum ein Meister und Herr über sie, und niemand fraget Michund saget: ,Herr, wie tust Du das?‘[133,06] Glaubet es Mir, daß einer, der wahrhaft ein Herr seiner selbst geworden ist,auch gar leicht ein Herr über ein ganzes Volk werden kann; und niemand wird zu ihm sagen:,Freund, wie magst du solches tun?‘ Denn die Menschen werden ihn selbst dazu machen,indem sie scharenweise zu ihm hineilen werden und werden sich Rates erholen. Was ist aberein weiser Ratgeber anderes als ein weiser Gesetzgeber? Wer aber Gesetze gibt, der wird dochein Herr sein über die, die von ihm die Gesetze überkommen haben! Oder sind Ouran,Mathael, hier Mein edler Freund Cyrenius, Kornelius, Faustus und Julius nicht Machthaberund Gebieter und haben dennoch Gesetze von Mir angenommen und nennen Mich ihrenHerrn? Warum taten sie denn das? Weil sie die Wahrheit und ihre Kraft und Macht an Mirmehr denn zur Genüge haben ganz hellst kennengelernt! Was Ich aber nun rede und tue, dasund noch ein Mehreres und Größeres werdet auch ihr in jüngster Zeit schon tun und werdetsomit auch auf der ganzen lieben Erde ganz dieselben Wirkungen hervorbringen müssen.[133,07] Freilich gehört dazu auch jener entschiedene Mut, der sich vor dem Todedes Leibes nicht fürchtet; wie aber sollte sich der davor auch fürchten, der in der höchstenKlarheit das ewige Leben in sich trägt und ganz vollkommenst ein Herr des Lebens in sichselbst geworden ist und gar wohl wissen muß, daß erstens diejenigen, die wohl den Leib tötenkönnen, der Seele und ihrem ewigen Lebensgeiste durchaus keinen Schaden mehr zuzufügenvermögen, und daß zweitens die Seele mit dem Wegfalle des schweren Leibes für ewig einennie aussprechbaren Gewinn macht, den alle Schätze dieser Erde ewig nimmer aufzuwiegen

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irgend imstande wären![133,08] Wer aber solches in sich selbst in höchster und tiefster Lebensgrundklarheiterschaut, nun, der wird dann ja doch etwa keine Furcht vor dem Tode des Leibes haben?! Undhätte er dann noch welche, so gliche er ja doch offenbar einem Toren, der darum weinenmöchte, daß man ihn von der Zwangsjacke befreie und ihn an Stelle derselben bekleide mitdem Kleide der höchsten und ungezwungensten Freiheit und Klarheit des ewigen Lebens! Dasaber ist nicht denkbar möglich, daher es euch auch zur rechten Zeit am erforderlichen Mutesicherst nicht gebrechen wird.[133,09] Sehet also vor allem vollkommen Herren über euch selbst zu werden, sowerdet ihr auch Herren sein über alle Gesetze und über alles Gericht und fern von jedemFluche irgendeines dummen Weltgesetzes![133,10] Das, was ihr aber selbst werdet, das suchet auch emsigst, daß es auch allediejenigen werden, die von euch die innerste Ordnung des Lebens werden kennenlernen, –dann werden sie eure wahren Freunde und Brüder werden und werden keine andern Gesetzemehr geben, weil sie gleich euch einsehen werden, daß das innerste Lebensgesetz alle andernaufwiegt und völlig unbrauchbar macht!“

134. Kapitel[134,01] Sagt Roklus: „Herr, das ist alles allerreinstes Gold, und die Wahrheit allesdieses läßt sich nun schon mit Händen greifen! Also muß in alle Ewigkeit der Ewigkeitendiese Lehre ja diamantrein verbleiben und wird in der Fortpflanzung meines Institutes auchalso verbleiben, wofür ich und meine Gefährten alle Sorge verwenden werden![134,02] Aber nun habe ich an der Seite noch so ein ganz kleines Häkchen; weiß ichda auch noch, was ich zu tun habe, dann ist alles in der diamanfestesten und allerreinstenOrdnung, wie ich mir dieselbe nun einmal nicht anders vorstellen kann! Es fragt sichbezüglich der Erziehung der Kinder in deiner Lehre! Soll man bei ihnen auch jede bildlicheVersinnlichung einer ihnen beizubringenden Sache möglichst vermeiden?“[134,03] Sage Ich: „Allerdings, denn bildliche Vorstellungen bleiben nirgends so festhaften als eben im Gemüte der Kinder und sind nachher schwer ganz aus ihnen zu entfernen![134,04] Lehret sie nur zuerst ganz mechanisch lesen, schreiben, rechnen; dannenthüllet vor ihnen noch die Gestalt der Erde und zeiget ihnen gleich überall den wahrenGrund, insoweit sich dieser für sie geziemt, und insoweit sie denselben zu fassen imstandesind! Bereichert sie mit allerlei nützlichen Kenntnissen, und lasset sie auch mit euch allerleikleine Erfahrungen machen, und begeistert sie für alles Gute und Wahre.[134,05] Und glaubet es Mir, daß die Kinder das Gute und Wahre viel eher begreifenals alle die oft sinnlosen und weitwendigen Foppereien, aus denen sie dann erst selbst irgendtiefliegende Wahrheiten herausentziffern sollen, was sie ermüdet und am Ende untätigmachen muß! Übrigens werdet ihr alles das, so Mein Geist in euch selbst euch in alleWahrheit leiten wird, im hellsten Lichte schauen und erkennen, was da zu tun sein wird! –Hat jemand von euch nun noch etwas zu fragen, so frage er; denn der kommende Tag MeinerWeiterreise naht, und Markus fängt an, für das Morgenmahl zu sorgen!“[134,06] Sagt Roklus: „Herr und Meister von Ewigkeit! Ich weiß nun, um ganzaufrichtig zu reden, wie ich's auch nun nimmer anders kann, mag und will, wahrlich um nichtsmehr, darum ich Dir noch mit irgendeiner Frage zur Last fallen sollte; denn nun ist mir schoneinmal alles klar dadurch, daß mir der Weg klar geworden ist. Freilich könnte ich nun nochum zahllos vieles fragen, was mir bis jetzt ein undurchdringliches Rätsel ist; aber ich weißnun ja aus Deiner Verheißung, daß mir das alles werden wird, und so wäre nun ein weiteresFragen um so Mannigfaches noch ein wahrhaft leeres Strohdreschen![134,07] Das Größte ist nun, daß uns der Weg völlig bekannt ist, den wir zu gehenhaben, um zu der lange ersehnten Herrschaft über uns selbst zu gelangen. Haben wir diese, sohaben wir dann ohnehin alles; haben wir aber diese nicht, so nützt uns auch das stückweiseWissen wenig oder nichts. Ich für meinen Teil wüßte es wahrlich nicht, wonach ich nun nochfragen sollte! Ich will aber damit nicht etwa auch jemand anderem sagen oder raten, daß ernun auch um nichts Weiteres mehr fragen solle!

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[134,08] Ich aber danke Dir, o Herr, für dieses übergroße Licht, das Du mir nungnädig hast zukommen lassen; Dir von nun an ganz allein alle meine Liebe und alle Ehre! Ichtrete mit Deiner gütigsten Erlaubnis nun gleich wieder zu meinen Gefährten und werde michmit ihnen sehr beraten, wie wir nun in Deinem Namen unser Institut regenerieren werden.Denn darinnen muß alles das Jetzige ausgemerzt und Dein Wort tatsächlich eingeführtwerden!“[134,09] Hier wollte Roklus gehen; aber Ich sagte zu ihm: „Weile noch; denn Ichhabe noch einiges mit dir abzumachen!“

135. Kapitel[135,01] Sagt Roklus: „O Herr, da gibt es vielleicht wohl keinen zweiten, der nochlieber bei Dir verweilte denn eben ich! Was es auch sei, alles, von Dir ausgehend, ist meinemHerzen stets die höchste Wonne und Seligkeit! Ich brenne vor Begierde, noch ein mehreresvon Dir, etwa gar wegen der Restituierung (Erneuerung) unseres Institutes, zu erfahren!“[135,02] Sage Ich: „Ja, Freund, du hast es wohl erraten! Da klebt noch so manches,das dir bei deiner Arbeit einige Bedenken erzeugen würde, und ihr dadurch in eurem Rateuneins werden könntet; daher wird es gut sein, wenn Ich Selbst dir darüber einige Winkemitteile![135,03] Vor allem gebe Ich dir die einstweilige Zusicherung, daß Mein DienerRaphael zuzeiten zu dir kommen und euch behilflich sein wird mit Rat und Tat. Für dieanderen Zeiten hat er schon ohnehin seine allerbestimmtesten Weisungen und weiß, was er inder Zeit Meines Verweilens auf dieser Erde zu tun hat, und wo er sich zeitweilig aufzuhaltenhat. Diese Meine dir gemachte Zusicherung gilt aber nur für die außerordentlichsten Fälle, diesich in eurem Institute in der Restitutionszeit ereignen könnten.[135,04] Was du aber selbst zu tun haben sollst, das werde Ich dir nun noch so inganz kurz gehaltenen Winken mitteilen. Ihr habt eure unterdessen äußerst pfiffig eingerichteteTotenerweckungsanstalt noch, wie sie war und noch ist; zugleich befinden sich dort jetztgerade hundertsieben Kinder von drei bis vierzehn Jahren, darunter etwas über die HälfteMädchen. Ihr seid nun in einer großen Verlegenheit, da ihr in allen eurenMenschenpflanzungsanstalten kaum zwanzig Ähnlichkeiten habt und nun Boten mit gemaltenEbenbildern in alle Weltgegenden ausgesandt habt, daß sie um jeden Preis ähnliche Kinderankaufeten. Aber diese Boten machen schlechte Geschäfte; denn wenn sie auch irgendwoetwas Ähnliches antreffen, so wird es ihnen um keinen Preis verkauft, und etwas Unähnlicheskönnen sie doch nicht brauchen. – Was sagst du zu solch einer Bescherung?“[135,05] Hier kratzt sich Roklus ganz gewaltig hinter den Ohren und sagt: „Ja, Herr,wenn so – was sehr leicht begreiflich ist –, dann ist das Institut in einer Hauptklemme! Es warfreilich eine große Torheit, und zwar wider meinen Willen, auf einmal so viele verstorbeneKinder aufzunehmen; aber unser erster Geschäftsführer, namentlich in der Sphäre derWiederbelebung der Kinder, gab mir die Versicherung, daß es ganz gut gehen werde. Alleines sah die Geschichte nur zu bald ganz anders aus! Kaum zwanzig Ähnlichkeiten; und dieandern?! Die können wir mit der Laterne suchen, mit der dereinst der Zyniker die Menschenam hellen Tage gesucht hat![135,06] Der Geschäftsleiter sandte freilich gleich nach allen Richtungenwohldotierte Boten aus; aber wenn die Sache also geht, so sind wir mit unserem ganzenInstitute verlesen und müssen zum fröhlichen Hohngelächter der neidischen undallereifersüchtigsten Pharisäer in die größte Verlegenheit geraten, zumal sich eben diesmalmir wohlbewußtermaßen einige Kinder der Pharisäer darunter befinden sollen, mit denen unsdie Eifersüchtigen gewiß nur auf den Zahn zu fühlen sich vorgenommen haben![135,07] Ei, ei, das ist wahrlich eine sehr schlimme Sache und kann mir in meinennun fest gefaßten Absichten, fürderhin bloß nur in Deinem Namen zu wirken, sehr hinderlichwerden! Was ist da nun vernünftigermaßen zu machen? Mir bleibt da schon der Verstandstillestehen! Du, o Herr, könntest uns da freilich aus der Verlegenheit helfen, so es Deinheiliger Wille wäre, und könntest es auch tun, zumal wenigstens wir mit dem Institut niewissentlich und mit Willen nur im geringsten irgendeine eigentlich böse Absicht verbunden

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haben![135,08] Unsere unverschuldete Unwissenheit aber kannst Du als einallerliebevollster Gott, Herr und Meister uns ja doch nicht zur Last legen? Und sollte auchDeine ewig nie ermeßbare Weisheit an uns selbstverschuldete Flecken finden, für die wirwahrlich nicht können, so ist ja Deine noch unermeßlichere Liebe mächtig endlos mehr dennzur Genüge, um dieselben hinwegzufegen! Ich und alle meine Hauptgefährten setzen nuneinmal alle unsere Hoffnungen auf Dich und vertrauen festest darauf, daß Du uns diesmal ausder allerriesenhaftesten Verlegenheit helfen wirst, wofür wir Dir aber auch das glühendsteVersprechen dahin machen, daß es zu allen Zeiten unsere Sorge sein wird, Dein heiliges Wortfür alle Zeit so rein zu erhalten, wie wir es nun von Dir unter der größten Dankbarkeit unsererHerzen vernommen haben!“[135,09] Sage Ich: „Aber warum nennst du denn das eine gar so große Verlegenheit,da du doch treuwahr genug Meine möglichste Hilfezusicherung auf das allerhandgreiflichsteüberkommen hast?! Denn was Ich jemandem verheiße, das halte Ich auch gewisser noch, alswie gewiß die Sonne täglich aufgehen muß und stets eine Hälfte der Erde erleuchtet, ob dieOberfläche der Erde heiter oder mit Wolken und Nebeln getrübt ist! – Bis wann sollten denndie hundertsieben Kinder wieder lebend in die Häuser ihrer Eltern zurückkehren?“[135,10] Sagt Roklus: „Herr, was soll, was kann ich Dir anderes darauf antwortenals: O Herr, Dir sind alle Dinge nur zu wohl bekannt und somit gewiß auch unsereTorheiten!“[135,11] Sage Ich: „Jawohl, da hast du Mir eine ganz gute Antwort gebracht! Da habtihr wahrlich eine große Torheit dadurch begangen, daß ihr für eure fingiertenWiederbelebungen viel zu kurze Fristen gesetzt habt! Ihr seid dazu wohl durch einigeglückliche Versuche ermuntert worden und habt natürlich die Erfahrung machen müssen, daßfür euer Institut eine möglichst kurze Wiederbelebungsfrist nicht nur die am wenigstenkostspielige, sondern auch sicher die anzuempfehlendste ist, weil die ganze Sache anWunderbarkeit gewinnt, – versteht sich von selbst, nur dem Ansehen nach![135,12] Hättet ihr der ähnlichen Kinder zur Genüge, so ließe sich nach eurer Art dieSache wohl noch etwa ausführen; aber weil euch zu dem Behufe gerade die Hauptsache zueurem feinen Betruge fehlt, so ist es wohl begreiflich, daß ihr dadurch in eine riesenhaftesteVerlegenheit geraten seid. Ich könnte euch für diesmal freilich wohl aus der großenVerlegenheit helfen; aber dann müßte Ich euch ja doch offenbar betrügen helfen, und sehet,das ginge denn doch wohl nicht an, so überlieb ihr Mir nun alle seid! Es muß da, als derSache angemessen, ganz etwas anderes geschehen!“

136. Kapitel[136,01] (Der Herr:) „Sieh dort an der linken Seite des Cyrenius, der nun ein wenigschlummert, den Knaben; sein Name ist Josoe! Der lag schon stark über ein Jahr im Grabe,und seine Knochen waren ohne Fleisch. Er lag unweit von Nazareth in einer Gruft, und Ichgab ihm das Leben wieder, und niemand sieht es ihm nun an, daß er im Grabe schon ganzverwest gelegen ist![136,02] Was Ich dem tun konnte, das könnte Ich schon wohl auch deinenhundertsieben Kindern tun, und zwar nun auf der Stelle und im schnellsten Augenblick! Aberes wäre euch damit eben auch nicht viel gedient; denn dadurch kämen die Kinder vor demanberaumten Termin in die Häuser ihrer Alten. Es müssen darum die Termine genaueingehalten werden, auf daß nun bei dieser Sache ja keine neue Lüge mehr kreiert werde.Dann aber soll Mein Diener zu euch kommen und die wirklichen Kinder, freilich etwas widerMeine Ordnung, ins irdische Leben zurückrufen, und zwar in Gegenwart ihrer zu demZwecke dahin zu berufenden Alten, auf daß auch sie dadurch wie durch einen mächtigen Stoßin ihrer großen Blindheit erkennen mögen, daß nun das Reich Gottes nahe herbeigekommenist.[136,03] Was du aber bei jener Gelegenheit zu sagen haben wirst, werde Ich, wo Ichauch leiblich sein werde, dir schon in den Mund legen; aber darauf mache Ich dich für jetztund für die Folge ganz ernstlich aufmerksam, daß du, und niemand aus deinem Institute,

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irgend mehr verstorbene Kinder zur Wiederbelebung annimmst, auch um die Schätze allerWelt nicht.[136,04] Denn so Ich ein Kind sterben lasse, so hat das sicher seinen höchstgewichtigen Grund, und es wäre da wider Meinen Willen und wider Meine Ordnung, solcheKinder wieder irdisch zu beleben. Nun, was diese nunmaligen hundertsieben Kinder betrifft,so habe Ich das schon seit gar langem vorgesehen, und es geschieht demnach das nicht widerMeinen Willen und im weiteren Sinne auch gerade nicht wider Meine Ordnung; aber für dieFolge darf, höchst selten, so etwas nur geschehen, so du oder irgend jemand deinerNachfolger unmittelbar von Meinem Geiste dazu aufgefordert wird.[136,05] Kranke heilen ein-, zwei-, auch dreimal könnet ihr, soviel ihr nur immerwollt; aber mit der Erweckung der durch den Tod des Fleisches Verstorbenen gebet euch janicht mehr ab! Denn ihr machet dadurch unter den vom Fleische freigewordenen Seelen einviel ärgeres Ungetümswesen als der ärgste Mörder und Straßenklepper unter den Menschen,die noch auf dieser Welt ihre Zeit zu leben haben.[136,06] Für welch ein größtes Unglück hält man's auf dieser Welt, so da jemandgetötet wird! Aber für ein viele tausend Male ärgeres Unglück wird's jenseits angesehen, soeine schon dort seiende, freie Seele wieder in ihren sterblichen, stinkenden und schwerfälligenLeib irgend zurückzukehren genötigt wird! Daher tätet ihr niemandem etwas Gutes, so ihr ihnwieder in dies irdische Leben zurückriefet.[136,07] Es gibt dort wohl arge Seelen, die man geradeweg Teufel nennen kann.Diesen geht es drüben sicher um zehntausend Male schlechter, als es einem noch so armenund verfolgten Bettler auf dieser Erde ergeht; aber unter allen den vielen, deren Zahl ganz gutbis jetzt zu zehntausend Millionen nach arabischer Zählweise angenommen werden kann, istkeine, die noch einmal den Weg des Fleisches durchmachen möchte. Wenn aber schon dieUnglücklichen nimmer zurück auf diese Erde wollen, um wie vieles weniger die jenseitsGlücklichen! Daher lasset euch das wohl gesagt sein, und erwecket Mir ja keine Toten mehr!– Hast du das nun auch verstanden?“[136,08] Sagt Roklus: „Ja, Herr, das habe ich ganz wohl verstanden, und ich kannDir auch ewig nie zur Genüge dankbar sein für die außerordentliche Abhilfe unserer großenVerlegenheit; wir aber haben uns eigentlich mit dem wahren Wiederbelebungsgeschäfte jaohnehin nie abgegeben, da unsere Wiederbelebungen ja im Grunde nichts anderes waren alsganz geheime Betrügereien zum Besten der trauernden Menschheit nur, das heißt, insoweitwir früher mit unserem beschränkten Verstande ein Bestes der Menschen uns denkenkonnten! Wir hatten im Grunde äußerst wenig Nutzen davon, da uns die Erhaltung derMenschenpflanzungen und deren zuweiliger Ankauf, das heißt von Menschenkindern, stetsganz entsetzlich viel kostete.[136,09] Bei unseren Wiederbelebungen haben die Menschen im großen Jenseitsganz gewiß keine Störung erlitten, und so meine ich, daß, den kleinen Betrug abgerechnet, wirdamit fürs Seelenreich gar wenig irgend störend Arges angerichtet haben; denn die Seelen derVerstorbenen sind von uns aus ja nie genötigt worden, in diese Fleischwelt zurückzutreten![136,10] Sage Ich: „Das ist zwar wohl wahr; aber etwas Störendes hat solche eureManipulation für die Geisterwelt denn doch auch noch immerhin bewirkt. Denn dasverstorbene Kind ist einmal ganz gut zu einem Bürger der Geisterwelt geworden. Nun sindaber nach der Zeit auch seine Eltern für diese Erde gestorben, und das falsche Kind auch; dakamen sie bei günstigen Umständen wie gewöhnlich drüben auch bald zusammen.[136,11] Nun, was mußten sich die überraschten Eltern in der andern Welt von eurerWiederbelebungsweise wohl denken, so sie dort mit einem rechten und mit demselbenfalschen Kinde, das sie auf der Welt als unwiderruflich für das echte hielten, offenbarst nur zubald zusammenkamen? Denke darüber selbst so ein wenig nach![136,12] Denn drüben wird alles auf dieser Welt noch so verborgen Gehaltene bis aufdie kleinsten Kleinigkeiten offenbar werden. Was jemand hier noch so geheim und verborgentut, wird ihm jenseits dennoch von den Dächern herab, wie man zu sagen pflegt, geoffenbartwerden, und das höchst laut vor Millionen Augen und Ohren! Nun denke du, als ein falscherWiederbeleber, dich aber auch in die Sphäre solch einer Offenbarung! Wie gedenkest du dich

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dabei dann auszunehmen und zu befinden?[136,13] Wenn Menschen mit ihren höchst beschränkten Wahrnehmungssinnen indieser Welt so manchen Unfug recht gut erkennen, beurteilen, ihn richten und endlich auchganz gehörig bestrafen, wo ihnen eigentlich doch noch zumeist die innere Wahrheitskraftmangelt, um wieviel mehr dort, wo die Wahrheit stets als eine der allerunbesiegbarsten Kräfteganz allein den Herrn über alle seienden Dinge macht![136,14] Siehe, unter den kleinen Raubvögeln gibt es einen, der den Namen vonseinem Gesange hat und somit Kuckuck heißt! Diesem Vogel ist die Brutträgheitinstinktmäßig angeboren. Er legt daher seine Eier, wo er nur mag und kann, in die Nesterverschiedener anderer Vögel und verschont da sogar die Nester der Sperlinge nicht. So dieseärmeren Vöglein nun sehen, daß statt ihresgleichen nur Kuckucke zum Vorscheine kommen,so machen sogar sie als unvernünftige Tiere ganz verdutzte Augen und fangen an, sich vomNeste stets mehr und mehr fernzuhalten, und vernehmen sie dann irgendeinen Kuckuckschreien, so fliegen sie ihm in Scharen und Scharen zu und nach und verfolgen und neckenihn auf alle mögliche Art.[136,15] Nun, so sich schon die vernunftlosen, bloß nur mit einer instinktmäßigenIntelligenz begabten Tiere an einem Betrüger rächen, um wieviel mehr ist das bei denvernünftigen Menschen der sicher zu erwartende Fall, und um noch wie vieles mehr bei denGeistern, vor denen kein Betrug mehr statthaben kann, da ihre Einsicht und Erkenntnis einezu klare geworden ist!“

137. Kapitel[137,01] (Der Herr:) „Du siehst daraus, daß drüben alles offenbar werden wird undauch werden muß, ansonst die zahllos vielen und verschiedenen Vereine der Geisterunmöglich bestehen könnten. Und nun fragt sich's denn, was der drüben für ein Gesichtmachen wird, der hier bei den Menschen in einem großen Ansehen gestanden ist ob seinerwunderbaren Verrichtungen, und bei dem es sich jenseits sogleich nur zu klar zeigen wird,daß alle seine Wundertaten ein an und für sich ganz gemeiner Betrug waren; und war derBetrug selbst noch so gut gemeint, so mußte er aber dennoch bezahlt werden und ward demblinden Käufer als eine echte Ware verkauft – und das um ein oft sehr großes Geld![137,02] Und siehe, das und nichts anderes war denn auch eure bisherigeWiederbelebungsweise, besonders der Kinder! Eure monatlichen öffentlichenWiederbelebungen in den bewußten unterirdischen, katakombenartigen Gewölben sind eineschon zu dicke Betrugskombination, um davon zu reden; denn da habt ihr ja Menschen ineurem Solde, die sich allmonatlich einmal auf den gewissen Särgen als tot seiend zu verstellenhaben und auf euer ihnen bekanntes Kommandowort sich im Angesichte mehrererblindgläubiger Zuseher von den Särgen zu erheben und sich dann aber auch sogleich also zuverlaufen haben, daß sie von keinem der oft vielen Zuseher und Bewunderer um ihr Befindenund um ihren allfälligen Namen und Wohnort befragt werden könnten.[137,03] Weißt du, dieser vögellockerische Betrug ist zu gemein, um davon weiterirgendein Wort zu verlieren; aber da dadurch doch viele bewogen worden sind, euch ein ihnenverstorbenes, liebes Kind zur Wiederbelebung zu übergeben, so kommt er dennoch auch indie Betrachtung und ist sehr geeignet, euch auch jenseits noch sehr lästige Mucken zumachen.[137,04] Aber wie gesagt, was bei euch bis jetzt geschah, das will und werde Ich aufMeine Schultern nehmen und alles gutmachen für euch; aber für die Zukunft darf weder daseine noch das andere, was nur den allerleisesten Zug und Geruch nach einem Betruge hat, ineurem Institute um keinen Preis der Erde mehr vorkommen, so ihr wollt, daß Ich, alsbeständig mit Händen zu greifen wirkend, im selben verbleiben soll im Geiste bis ans Endeder Zeiten dieser Erde.[137,05] Die vollkommenste Liebe und Wahrheit herrsche darin, und kein noch sokleiner Betrug komme je vor, so wird dieses Institut bleiben für alle Zeiten; und sollte es auchdann und wann neidische und finstere Verfolger haben, so werden sie ihm dennoch nichtsanhaben können!

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[137,06] Es wird zwar in diesem Lande auch von keinem langen Bestande mehr sein,so wie auch diese Meine Lehre nicht – denn dies Land wird zertreten werden von denallerfinstersten Heiden –; aber in Europa wird dereinst ein Hauptsitz aller derer werden, die anMeinen Namen glauben und hoffen werden, und da werdet ihr euch auch in mehrerenFilialinstituten befinden, unter manchen Herrschern beliebt und sehr angesehen, untermanchen bloß geduldet; nur wenige Blinde werden euch treiben über die Grenzen ihresReiches. Aber die das tun werden, die werden sicher von einem oder dem andern Ungemachegedrückt und von selbem fürder nicht leichtlich los werden. Aber auch jene Reiche, die euchbloß so hin nur dulden werden, werden sich in keinem zu blühenden Wohlstande befinden.[137,07] Das binde Ich nun als eine Segensgabe an euch, daß ihr stets die rechtenBaumeister bleiben werdet, und wo man euch mit Liebe und Ehren aufnehmen wird, wird dasReich eine gute und haltbare Grundfeste bekommen. Nicht zu Ärzten will Ich euch fürkünftighin machen, sondern zu Bauleuten, die da überall aus den allerfestesten Edelsteinendie Mauer eines neuen, himmlischen Jerusalems aufführen sollen und viele der herrlichstenWohnungen in dieser Stadt, die nun wohl einen Anfang genommen hat, aber nach derAnfangsmauer ewigfort weiter und weiter erbauet werden soll.[137,08] Da ihr aber nun Meine Maurer und freien Bauleute seid und Ich Meine Stadtaus den festesten Edelsteinen erbauet haben will, so werdet ihr und du, Mein Freund Roklus,ja doch sehr leicht einsehen, daß Ich keine gemeinen Kalk-, Sand- und Backsteine brauchenkann; darunter verstehe Ich aber eben allerlei Lug- und Trugwerke, die nicht bleiben könnenfür ewig. Nur die reinste und aller Makel barste Wahrheit ist derjenige Diamantstein, der allerEwigkeit den steten und gleichen Trotz bieten kann.[137,09] Ihr werdet wohl vielfach in die Versuchung kommen, oft eine andere Mienezu machen, als wie ihr sie der Wahrheit eurer Gefühle nach machen solltet; aber lasset euchda ja nicht verlocken und trüget auch niemanden mit euren Augen, – sondern die vollsteWahrheit spreche sich in allem aus, was ihr seid, und was ihr tut, so werdet ihr auch stetsMeiner Gnade, Macht und Weisheit gewärtig sein.[137,10] Verheißet nie jemandem etwas, das ihr etwa späterhin nicht erfüllen könntetoder aus gewissen Gründen nicht wollt; denn wahrlich sage Ich es euch: Nichts kommt einemMenschen bitterer und ihn bedrängender vor als eine ihm gemachte Verheißung, die aberspäterhin ganz stillschweigend nicht gehalten wird! Denn wäre ihm keine Verheißunggemacht worden, so hätte er sich auch nicht darauf verlassen, hätte etwas anderesunternommen, womit er sich irgendeine Hilfe oder einen anderweitigen Nutzen verschaffthätte. Da er sich aber auf die Verheißung fest verlassen hat, die ihm gemacht, aber nichtgehalten ward, so ist er ja dadurch in eine verzweiflungsvolle Lage versetzt und sitzt danntraurig enttäuscht zwischen zwei Stühlen auf dem blanken Sande und verwünscht zumeistjene, die ihn durch ihre Verheißung nun ins größte Unglück gestürzt haben.[137,11] Was ihr demnach jemandem verheißen habt, das müsset ihr sogar aufKosten eures irdischen Lebens halten, ansonst Ich kein bleibendes Mitglied eures Institutessein könnte! Bedenket aber wohl, Wer Der ist, der euch dieses Gebot gibt! Er ist ein ewigerHerr über alles, was Leben und Tod heißet; und würde Ich nichts ahnden noch in dieser Welt,so doch das ganz gewiß, so ein Mensch dem andern etwas verspricht, dann aber ausirgendeinem gewöhnlich selbstsüchtigen Grunde es nicht hält![137,12] So du dem, der dir einen Dienst erwiesen hat, den verheißenen Lohnvorenthältst, so begehst du eine größere Sünde, als so du jemanden bestohlen hättest! Hat erseinen Dienst lau und schlecht verrichtet, so kannst du ihn wohl daran erinnern und ihmsagen, daß er ein künftiges Mal einen solchen Lohn nicht mehr zu gewärtigen habe, so ernicht mit dem erforderlichen Fleiße seinen bedungenen Dienst verrichten werde; aber für dennoch so lau verrichteten Dienst mußt du ihm dein Wort halten, auf daß er erfahre, daß in dirder Geist der vollen Wahrheit lebt und wirkt![137,13] Aus diesem Grunde helfe auch Ich euch eure hundertsieben toten Kinder inder vollsten Wahrheit erwecken, auf daß ihr nicht als Lügner und treulose Versprecher vorjene zu stehen kommt, denen ihr das Wiedererwecken ihrer verstorbenen Lieblinge auf dasallerheißest Wahre verheißen habt; aber für die Folge nehmet euch ja ganz vollkommen

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ernstlich zusammen! Denn alles, was ihr wider diesen Meinen leicht zu erfüllenden Rat tunoder unternehmen würdet, würde euch ganz unausbleiblich sehr schlechte Früchte tragen.[137,14] Kommt euch all das etwa zu schwer vor, weil du dabei eine ganzbedenkliche Miene zu machen anfängst? Sage es Mir nur ganz laut und offen, so du Mir dabeietwas einzuwenden hast! Nun sind wir noch persönlich beisammen und können noch somanches erörtern, was in der Folge offenbar etwas schwieriger würde, da wir uns dannpersönlich nicht so bald wieder begegnen dürften! Rede nun, und Ich will dich hören!“

138. Kapitel[138,01] Sagt Roklus: „Alles, was Du, o Herr, nun geredet hast, ist nur zu wahr, undes läßt sich dagegen nichts einwenden! Aber da Du allem, was nur den allerleisesten Anscheineines Betruges an sich trägt, auch sogar dann streng entgegen bist, wenn dadurch einemMenschen im vollsten Ernste physisch und geistig geholfen werden könnte, so macht michdas offenbar nun sehr nachdenkend, da bei mir der durch tausend Erfahrungen bewährteGrundsatz feststeht, daß nun gar vielen Menschen durchaus nicht anders als nur auf demWege eines feinen Betruges geholfen werden kann, – was ich aber freilich keinen Betrug,sondern eine pure Staatsklugheit nenne.[138,02] Aufrichtig, Herr, nach meinen auf dieser Erde gemachten Erfahrungengesprochen, ist gar oft so manchen Menschen nicht anders zu helfen als allein durch einenwohlgemeinten kleinen Betrug! Die Kinder muß man anfangs ja doch immer betrügen,ansonst man mit ihnen ja doch rein nichts ausrichten kann; und was würde man ihnen dennwohl nützen, so man ihnen sogleich mit der reinsten Wahrheit ins Gesicht führe?! Ich habeDir ja bei einer früheren Gelegenheit die Sache doch auch als ein Mensch klar und deutlichauseinandergesetzt, daß es mir nie darum zu tun war, je einen Menschen zu seinem Nachteilezu hintergehen, sondern allzeit nur zu seinem so oder so gestaltigen Vorteile! Und das tat ichnur, weil ich zu klar zum voraus einsah, daß diesem oder jenem Menschen auf eine andereWeise durchaus nicht beizukommen war. Wenn nun das bei Dir auch als eine Sünde gilt, – ja,Herr, dann wird es wahrlich höchst schwer, ein Mensch zu sein![138,03] Zum Beispiel: Ich gehe irgendwohin und treffe auf dem Wege als ein Heideeinen stockblinden Erzjuden an, dessen überzelotischer Tempelfanatismus in einem jedengleich eine ganze Legion der allerärgsten Teufel prognostiziert. Wenn ihn ein Heide anrühretemit seinem Wissen, so ist er ja unrein gleich auf ein ganzes Jahr und ist in solcher seinereingebildeten Lage der unglücklichste Mensch, weil er da keinen Teil an den vielen Güterndes Tempels nehmen kann und darf. Wenn ich ihm sage, daß ich ein Heide sei – so er michfragt, wer ich sei –, da läßt er sich eher alle Martern antun als sich von mir über einen höchstlebensgefährlichen Teil des Bergweges führen. Sage ich ihm aber so ganz fest, daß auch ichein Jude aus Jerusalem sei, so wird er mir mit Freuden die Hand reichen und sich dann ganzallerdankbarst über die höchst gefährliche Wegesstelle führen lassen. Hab' ich den armenBlinden dahin gebracht, wo es für ihn zum Weiterkommen keine Gefahr mehr gibt und ihnschon der Duft seiner nun schon sehr nahen Heimat anzieht und er sich nimmer verirren kann,so empfehle ich mich bei ihm und ziehe frohen Mutes meinen Weg weiter. Der blinde Judeerfährt dann sein ganzes Leben lang von mir nicht eine Silbe mehr, und es wird ihm auch soleicht niemand sagen, daß derjenige Mensch, der ihn einst über die sehr gefährlicheWegesstelle geführt hatte, ein Heide war.[138,04] Nun sage mir ein vernünftiger und ehrlich wohlmeinender Mensch, ob denndie gewiß höchst unschädliche Lüge nicht klüger und besser war, als so ich dem armenMenschen die Wahrheit gesagt hätte, daß ich nämlich ein Heide sei! Da sage ich Dir undjedermann tausend Male ins Gesicht, daß so eine Notlüge nur ein gelbsüchtiger und völliggehirnkranker Narr aus dem schwärzesten Pharisäergremium für eine Sünde erklären kann, –aber ein nur einigermaßen vernünftiger Mensch nimmer und ein Gott sicher noch um soweniger! Denn so hoch und weit verschieden können die diesseitigen und jenseitigenLebensansichten ja doch nicht sein, daß man als rein geistig das, was alle reine Vernunft aufdieser Erde für gut und billig erkennen muß, als das geradeste Gegenteil ansehen müßte!Denn wenn jenseits für den reinen Geist das schwarz und finster ist, was hier eine stets

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wohlwollende Seele für weiß und lichthell ansieht, da gehört entweder dieses oder dasjenseitige Leben platterdings in ein Narrenhaus.[138,05] Herr, Du kennst mein ganzes Leben von der Wiege an und wirst mirschwerlich einen Moment in meinem ganzen Lebenslaufe anzeigen, in dem ich's mitjemandem je böse gemeint habe oder gar gewollt habe, jemandem einen noch so kleinenSchaden zuzufügen! Tausendmal will ich aus Deinem allmächtigen Gottesmunde verfluchtsein, so mir das erweisbar ist! So ich aber dennoch ein Sünder dadurch geworden bin, daß ichbei besonders geistesschwachen Menschen gar sehr oft zur Politik meine leidige Zufluchthabe nehmen müssen, um ihnen nach meinem Herzensdrange und nach meiner menschlichenErkenntnis etwas Gutes tun zu können, so muß ich offen gestehen, daß es mir dann sehrunangenehm ist, ein Mensch zu sein; da gestalte Du, o Herr, mich nach Deiner Allmacht nurzu einem Esel um, und Du sollst meinen Dank dafür haben![138,06] Meine freilich nur menschlich vernünftige Ansicht ist diese: Ein jederMensch tue nach seinem besten Wissen, Erkennen und Gewissen, was ihm Rechtens als dasBeste dünkt, sei friedsam und versöhnlich und tue der armen, leidenden Menschheit nachseinen Kräften Gutes, so muß seine Handlung auch von einem Gott als recht und gut undordnungsgemäß angesehen und anerkannt werden, und kein Gott kann von dem Menschen alsunfehlbar Seinem Geschöpfe und Werke mehr verlangen, als wozu und welche Fähigkeiten ErSelbst in ihn hineingelegt hat! Oder ist es möglich, daß ein höchst weiser Gott noch mehr vonSeinem Werke fordern kann, als was und wieviel Er in dasselbe gelegt hat? Ich glaube, daßdies so hübsch schwer hergehen möchte und ungefähr das Gesicht hätte, als wenn jemandallen Ernstes aus einem ganz kleinen, kaum einen Eimer haltenden Fasse oder Schlauche zehnEimer herausgießen wollte. Ich bitte Dich darum, o Herr und Meister, Dich in dieser Hinsichtwohl klarer auszudrücken; denn also, wie ich Dich ehedem verstanden zu haben glaube, istnach Deiner Lehre gar keine nur einigermaßen vernünftige menschliche Existenz auf dieserErde denkbar![138,07] Ja, die Wahrheit, die heilige, muß den Menschen werden; sie müssen dasHaus und seine Ordnung und Gerechtigkeit genauest kennenlernen, darin sie wohnen undeigentlich nach Deiner Verheißung ewig wohnen sollen. Aber die nackte, wenn auch noch soreine Wahrheit kommt mir wenigstens wie eine zwar sehr heilsame, aber sonst überaus bittereArznei vor, die jeder nur einigermaßen mehr empfindsame Gaumen gleich wieder ausspuckt,wie sie ihn nur berührt hat. Was tut man aber? Man umhüllt die bittere Arznei mit etwasSüßem und Angenehmem, und der Kranke wird sie dann leicht hinabschlucken und ohne einFieber in seinen Magen bekommen, wo sie dann bald ihre heilsamen Wirkungen beginnenwird! Und das, meine ich, sollte auch mit dem Mitteilen der Wahrheit sein! Man gebe sie nie,besonders anfänglich, je anders denn verhüllt und enthülle sie erst so nach und nach! Da wirdsie meines Erachtens eine beste Wirkung sicher nie verfehlen. Gibt man sie aber gleichenthüllt und nackt, so wird man gar oft und zuallermeist mehr Schaden verursachen alsirgendeinen wahren Nutzen bezwecken.[138,08] Ich will hier kein Wort etwa zur Beschönigung unserer natürlichen Wunderfallen lassen und bin selbst der vollkommen überzeugten Meinung, daß wir uns da zu weitgewagt haben; aber das kann ich immer mit meinem besten Gewissen hinzufügen, daß wirselbst damit nie jemandem geschadet, sondern, nach unserem wohlerwogenen Wissen, stetsnur, gewöhnlich doppelt, genützt haben. Erstens haben wir damit nur die Tränen oft gar zutrauriger Eltern getrocknet, was doch ganz gewiß nichts Schlechtes ist und sein kann, undzweitens haben wir damit Kinder ganz blutarmer Eltern allerbestens für die ganze Zeit ihresErdenlebens versorgt und sie auf den Standpunkt gesetzt, daß sie in Häusern reicherMenschen den besseren Sitten der gegenwärtigen Weltordnung gemäß auch eine bessereErziehung erhielten, während sie sonst in der größten Armut ohne alle Bildung zu wahrenmenschenähnlichen Tieren herangewachsen wären, wie es in dieser Zeit an solchenBeispielen wahrlich keinen Mangel gibt. Da entsteigt kein Engel den lichtvollen Himmelnund nimmt sich unterweisend solcher ärmsten Halbtiermenschen an; und tun wir dochoffenbar besseren und gebildeten Menschen nach unserem besten Wissen, Erkennen undGewissen solchen in einer möglichen Art und Weise etwas, so laufen wir Gefahr, vor Gott zu

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sündigen und von Ihm als Betrüger der Menschen erklärt zu werden![138,09] Herr und Meister, Du hast gut lehren und reden, denn Dein Wille ist derDirektor der ganzen Unendlichkeit! Aber wir schwachen Menschen, wir Nichtse gegen Dich,fühlen nur stets den Druck, aber selten oder nie eine Erleichterung, und haben noch obendraufdie allerschiefsten Erwartungen dereinst im Jenseits.[138,10] Herr und Meister, wahrlich, Deine Lehren haben mich ehedem ganzaufgerichtet, und ich war voll der beseligendsten Erwartungen; nun aber bin ich ganzniedergedonnert und weiß mir nicht zu helfen, weil Du von mir Dinge verlangst, für derenErfüllung ich mich mit meiner Vernunft nicht aussehe (auskenne), und wider meine Vernunftkann ich nicht handeln!“[138,11] Hierauf ward Roklus still und redete gar nichts.

139. Kapitel[139,01] Hier fragte Mich Cyrenius: „Ja, was ist denn das nun auf einmal? Rokluswar bis jetzt schon wie ein wahrer Grundstein zur neu zu erbauenden heiligen Stadt, und nunist er auf einmal wie total umgewendet, trotz dem, daß Du ihm alle Hilfe verheißen hast!“[139,02] Sage Ich: „Das ist und bleibt er, trotzdem er Mich nun nicht ganz richtigaufgefaßt hat! Aber Ich sah das noch in ihm und versetzte ihn in den Zustand, das noch aussich zu schaffen. Aber es wird nun die Sache gleich ein ganz anderes Gesicht bekommen, wiedu dich davon gleich überzeugen wirst!“[139,03] Hier wandte Ich Mich ganz freundlich an den Roklus und sagte: „Aber,Mein lieber Freund, wenn du die Sache nahe ganz verkehrt auffassest, so kann dir da keinGott helfen, solange du dein eigenes Verständnis von früher her einer nachträglichen höherenErleuchtung entgegenstellst! Das Schönste an der Sache aber ist das, daß du gerade das ganzlebensernstlich behauptest, was Ich von dir eigentlichst haben will! Wenn Ich dir zuvor Selbstdie Klugheit der Schlangen und Füchse anempfohlen habe, wie könnte es Mir daraufbeifallen, sie dir nun zu verbieten?![139,04] Wie die Kinder zu behandeln und zu unterweisen sind, habe Ich amgestrigen Tage doch hinreichendst gezeigt; und bist du auch nicht bei allem zugegen gewesen,so hast du es doch durch Meinen Schnellschreiber geschrieben in den Händen! Da gibt esdann ja schon gar nichts mehr, was dich in irgendeiner Sache beirren könnte, von der man,was nur irgendeinen Unterricht anbelangt, sagen könnte: ,Siehe da, das ist unverständlich!‘oder: ,Es taugt für diesen und jenen nicht!‘[139,05] So auch, wenn ihr mittels natürlicher Arzneien einen Kranken heilenmöchtet und auch könntet, der Kranke aber oft eine entschiedene Antipathie gegen einMedikament hat und solches um keinen Preis der Welt einzunehmen vermag, ihr abervollkommen überzeugt seid, daß dem Kranken nur einzig und allein das gewisse Medikamentsichere und schnelle Heilung verschaffen muß, so versteht es sich ja von selbst, daß ihr dannein solches Medikament ohne weiteres anders benamsen und es auch mit etwas anderemvermengen könnet, auf daß es der Kranke nicht als das ihm Widerwärtige erkennt und zuseinem großen Nachteile von sich weist.[139,06] Was aber weiter die Beibringung dieser Meiner Gottes- und Lebenslehrebetrifft, da sage Ich euch noch ganz eigens hinzu: Seid äußerlich mit allen alles, was sie sind,um sie euch alle zutraulich zu machen und zu gewinnen für Mein Reich! Seid mit den JudenJuden, mit den Heiden Heiden, lachet mit den Lachenden, und weinet mit den Weinenden,seid schwach und voll Geduld mit den Schwachen, und zeiget es dem Starken, daß auch ihrstark seid, auf daß ihn das Bewußtsein seiner Stärke nicht aufblähe und hochmütig mache!Nun, das wird dir, Mein lieber Freund, ja etwa doch genügen, um zu wissen, was Gottesallerhöchste Weisheit, als auch die Schöpferin eurer reinen Vernunft, von euch haben will![139,07] Glaube du Mir, Meine Weisheit ist nie irgend wider eines Menschen ganzgesunde, nüchterne und vorurteilsfreie Vernunft! Denn diese muß es ja beurteilen, was dairgend vollkommen Rechtens ist![139,08] Eine Wahrheit, wenn auch noch so verhüllt, ist und bleibt für sich dennochewig Wahrheit und wird dereinst als solche offenbar werden. Freund, eine Wahrheit, so es

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irgend die Notwendigkeit erheischt, kannst du verhüllen und ummänteln, wie du nur immermagst und kannst; das hängt alles von der Fassungskraft desjenigen ab, dem die Wahrheitgepredigt wird. Kinder werden mit Milch und Honig und gar weichem Brote gesättigt,während man dem Manne schon eine festere Manneskost reichen kann. Das ist dann ja schonalles in der besten Ordnung, wenn nur das Innere Wahrheit ist; auf die nötige Hülle wird dawenig oder auch gar nicht geschaut noch geachtet. Das wäre auch wahrlich höchst unweiseund aller bessern Vernunft zuwider, so irgendein Mensch Meiner Hilfe bedürfte und Ich wohlwüßte, daß er ehrlich ist, ihn aber darum nicht ansehen würde, weil er einen persischen Rockanhat! Eine Wahrheit nötigenfalls verhüllen ist keine Sünde; aber eine offenbare Lüge undeinen offenbarsten Betrug in das Kleid der Wahrheit stecken, das ist Sünde und ist von Mirfür ewig verpönt![139,09] Wenn du nun deine früheren Totenerweckungen betrachtest, so waren siedenn trotz deines guten Willens eine große, aber sehr wohlverhüllte Lüge, da dabei von einerwahren Totenerweckung keine Spur war, und so noch eine Menge, was ihr in eurem Institutealles betrieben habt. Ihr habt es von den Ägyptern und Arabern gelernt, zu berechnen, wannda eine Sonnen- und da eine Mondfinsternis eintreten kann; allein das blieb dem Volke einGeheimnis. Ihr aber sagtet dann zum Volke: ,Weil du, Volk, unsere Stimme nicht hörenwillst, so wird der Oberste – der nun du bist! – den Göttern auftragen, an dem und dem Tagedie Sonne oder den Mond zu verfinstern!‘ Das Volk versank darauf gleich in eine großeAngst, bat und opferte unsinnig, und ihr gabet ihm am Ende nur den Trost, daß die Drohungzwar in jedem Falle vor sich gehen werde, doch werde man sie so unschädlich als möglich zumachen versuchen. – Siehst du, das war denn etwa doch eine allerbarste Lüge, verhüllt in einehrwürdiges Kleid der vollen Wahrheit!“

140. Kapitel[140,01] (Der Herr:) „Stelle du dir aber nun eine plötzliche Enthüllung vor! Waswürde zum Beispiel das Volk mit euch gemacht haben, so Ich Selbst etwa plötzlichdemselben dahin ein Lichtlein gegeben hätte und es darauf den wahren Grund einer SonnenoderMondfinsternis ebenso klar wie ihr eingesehen hätte? Die Wirkung davon kannst du dirleicht selbst denken.[140,02] Hast du aber jemanden mit einer noch so verhüllten Wahrheit auf denrechten Weg gebracht, und er bekommt dann auch ein Licht und sieht nun, daß nur die vollsteWahrheit, wenn auch noch so verhüllt, ihn auf die Linie des wahren Lebens gestellt hat, – waswohl wird dann so ein Mensch dir für alles Gute tun? Ich meine, daß du als ein Mensch vollhellen Verstandes nun den Unterschied wohl einsehen wirst, der da besteht zwischen einerverhüllten Wahrheit und einer verhüllten Lüge.[140,03] Was Ich dir als eine in eurem Institute nie statthaben sollende Handlungoder Rede bezeichnete, ist eine verhüllte Lüge, aber niemals irgendeine aus wohlweisenGründen verhüllte Wahrheit.[140,04] Wenn der Lüge auch eine noch gute Folge zuteil wird und der Wahrheiteine wenigstens scheinbar üble, das heißt, was die Menschen mit ihrem Weltverstande übelnennen, so ist die Wahrheit der Lüge dennoch vorzuziehen; denn die Endwirkung der Lügewird stets für bleibend eine schlechte und die Endwirkung der Wahrheit eine gute werden.[140,05] Es sind dem Außenscheine nach die Unterschiede von einer verhüllten Lügeund von einer verhüllten Wahrheit freilich nicht leicht merkbar, gleichwie da auch ein echtesWunderwerk von einem falschen für den puren, wenig erfahrenen Weltverstand schwer oderauch gar nicht zu unterscheiden ist, weil ein echtes Wunder für den Weltverstand gar nicht zuprüfen ist und die Magier und die falschen Propheten ihre Wunder vom Volke ebensowenigprüfen lassen, als ihr die eurigen habt prüfen lassen. Aber eben darum soll bei euch nimmerirgendeiner noch so geringen Lüge oder irgendeinem noch so kleinen Betruge Raum gelassenwerden, auf daß es auf der Erde doch für bleibend ein Institut gebe, in dem allein nur dieWahrheit herrschete und darin ein bleibender Probierstein der Welt gegeben wäre, um amselben das echte Gold aller Wahrheit vom falschen Golde wohl und leicht zu erkennen![140,06] Wird das nicht gehandhabt, so wird es in wenigen Jahren nach Mir schon

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eine ganz erstaunliche Menge von allerlei falschen Propheten und Wundertätern geben, diediese Meine Lehre gänzlich verunstalten werden. Sie, die Falschen, werden sich zwar auchMeines Namens bedienen; aber ihre Lehre wird der Meinen nicht im geringsten gleichen, undihre Wunderwerke werden von der dir bekannten betrügerischen Art sein und gar viele zufesten Anhängern der falschen Propheten machen.[140,07] Darum warne Ich euch frühzeitig davor! Horchet darum nicht auf jene, dieumherziehend rufen werden: ,Sieh, hier oder da ist der Gesalbte Gottes, – das ist dieWahrheit!‘ Wahrlich sage Ich es euch allen: Die da also reden und schreien und sogar Zeichentun werden in Meinem Namen, sind nichts denn pur falsche Propheten! Diese höret nicht undkehret ihnen den Rücken! Und kommen sie zu euch, so bedrohet sie, und wollen sie nichtweichen, so bedrohet sie in Meinem Namen, und wirket vor ihren Augen ein wahres Zeichen;sonst aber enthaltet euch soviel als möglich der Wunderwirkerei, die wohl das Auge und dasOhr des dummen Menschen besticht und gefangennimmt, sein Herz aber auf Kosten desWunders zumeist zu einem fühllosen Steine verhärtet! Die Wahrheit muß für sich zeugen undsprechen und bedarf keines weiteren Zeichens mehr.[140,08] Das einzig wahre Wunderzeichen aber bestehe in der Selbsterfahrung, dieein jeder machen wird dadurch und darin, daß ihn eben die Wahrheit wahrhaft frei in allemseinem Denken, Wollen und Handeln gemacht hat und geöffnet seine innere Sehe, zu schauenalle Dinge und Verhältnisse, wie sie in der Wahrheit sind, und nicht, wie sie im zerrüttetenGehirn irgendeines angesehen sein wollenden Weltweisen nach Belieben zusammengestelltworden sind. Und nun sage du Mir, Mein Roklus, ob dir die Sache nun klarer ist denn früher!“[140,09] Sagt Roklus: „Ja, Herr und Meister, jetzt ist mir alles so völlig klar undeinleuchtend helle, daß mir in meinem ganzen Leben noch nie etwas klarer war! Ich habe esmir ja immer gedacht und sogar lebendig gefühlt, daß ein Gott der reinen Menschenvernunftgegenüber nichts aufstellen kann, das ihr ein offenbarer und handgreiflicher Widerspruch seinmüßte. Nun aber ist ein jedes dieser Deiner Worte der Vernunft so ganz vollkommen gemäßwie das Licht der Sonne zur Erzeugung des Tages auf der Erde. Ich bin nun ganz im klaren,und unser Institut soll es auch also verbleiben bis ans Ende aller Zeiten!“[140,10] Sage Ich: „Nun wohl denn, und so gehe nun hin und sage das auch deinenGefährten! – Nun wird noch etwas geschehen, dann das Morgenmahl und dann MeineAbreise von hier auf eine Zeit!“

141. Kapitel[141,01] Roklus machte nun eine sehr tiefe Verbeugung und eilte zu seinenGefährten, die sich unterdessen über allerlei wichtige Hauseinrichtungen ihres Institutesbesprochen hatten, die aber genau den Sinn hatten, welchen Ich dem Roklus in MeinenBelehrungen zu seiner Lebensrichtschnur gab.[141,02] Roklus verwunderte sich auch nicht wenig, als er von seinen Gefährten allesdasselbe vernahm, was er ihnen als etwas ganz Neues und höchst Allerwichtigstes mitteilenwollte – und das aufs von Mir vernommene Geheiß, um dadurch zu zeigen, wie Ich als derHerr ihn zur Verwaltung des so höchst wichtigen Amtes mit ganz besonderen Aufträgenbetraut habe. Er wollte als der Chef des Institutes seinen Untergebenen nun denn doch so einbißchen zeigen, daß er darüber mit Mir Selbst gar sehr vieles und Außerordentlichesabgemacht habe und er ihnen das nun alles mitteilen wolle.[141,03] Aber die Gefährten sagten: „Diese Mühe kannst du dir schonfüglichermaßen ersparen; denn wir sind von allem unterrichtet und haben eigentlich nochmehr denn du, trotzdem du mit dem Herrn Selbst verhandelt hast! Da sieh her! Sieh, einetüchtige Anzahl von Blättern, alle voll angeschrieben! Darin kannst du alles getreuwiederfinden, was der Herr zu dir geredet hat. Du aber machst, wie es uns vorkommt, ebennicht das wohlgefälligste Gesicht darüber; was hast du denn?“[141,04] Sagt Roklus: „Ah, ich habe dagegen oder darüber – gar nichts; aber wennmich der Herr Selbst dazu gewisserart auffordert, mit euch das zu besprechen undabzumachen, was Er mir anvertrauet hat wegen der gänzlichen Restituierung des gesamtenInstitutes, und ihr nun aber schon zum voraus in allem beinahe besser unterrichtet seid denn

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ich, so muß ich denn nun ja doch so ein bißchen nachdenken, was der liebe Herr durch diesekleine und freilich sehr unschädliche Fopperei bei mir hat erzwecken wollen!“[141,05] Sagt Raphael, der unter den Gefährten sich herumtummelte: „Freund, daswerde ich dir gleich erklären; wolle mich nur ganz kurz anhören! Siehe, das sind zwar deineallernächsten Staatsbeamten in, sage, deinem Institute! Der Herr Selbst konnte der vollstenWahrheit gemäß dir keinen andern Titel geben als den, welchen du vom Staate aus hast undauch haben kannst, da dir deine großen Geldmittel dazu das Recht einräumen müssen. DerHerr aber will, daß alle Menschen sich als Brüder umarmen sollen und nur Ihn allein als denwahrsten Herrn und Meister anerkennen.[141,06] Dieweil du aber nun schon einmal ein Herr deines Institutes bist, so war esauch ganz in der Ordnung, daß der Herr Selbst dir die Weisung gab, was du künftighin tunund welche Einrichtungen du treffen sollst. Aber ebenso in der Ordnung war es, daß der Herrdurch mich deine Gefährten in allem dem gleichzeitig unterweisen ließ, erstens, um dir dieunnötige Mühe des Unterrichts zu ersparen, und zweitens, um das gewisse prophetischeHochgefühl, das gar leicht zu einem Hochmütlein werden könnte, in dir zu dämpfen, unddrittens, um dir die anbefohlene Besprechung mit diesen deinen Gefährten so leicht undwirksam als nur immer möglich zu machen.[141,07] Denn der Herr hat damit, daß Er zu dir sagte: ,So gehe hin und sage dasauch deinen Gefährten!‘, an dich ja nicht eine Art Aufforderung gemacht, daß sie von dir ersterlernen sollen, was du vom Herrn alles gehört und erlernt hast, sondern, daß du ihnen nur zusagen hast, daß du selbst das richtig erlernt und vollkommen begriffen hast, was da in derFolge in dem Institute für Veränderungen vorzunehmen sein sollen. Da kommt von dem jadoch wohl nichts vor, daß du, als nun etwa allein in die Sache eingeweiht, die Gefährten erstunterweisen sollst!? Und du brauchst darum ja durchaus keine bedächtige Miene zu machen,so du selbst den Auftrag des Herrn ganz krumm aufgefaßt hast! – Verstehst du mich wohlnun, oder stößt dir etwa noch irgendeine Bedenklichkeit auf?“[141,08] Sagt Roklus: „Ja, jetzt bin ich auch da schon wieder ganz in der Ordnungund denke nun über diesen Punkt schon gar nicht mehr nach; aber ganz etwas anderesbeschäftigt nun mein Gemüt! Alles werden wir leicht in eine ganz gute Ordnung bringen, –nur mit der Abstellung des Volksglaubens an das, daß wir die Sonnen- und Mondfinsternissein unserer Gewalt haben, wird es uns ein wenig schwer werden! Denn diese werden immererscheinen, und wir werden nicht mehr sagen können und dürfen zu jemandem: ,Siehe,dieweil du und dein Volk nicht tun und glauben wolltet strenge und genauest, was wir dirgeboten haben, so werden die Götter in der und der Zeit den Mond oder die Sonneverfinstern!‘ Wie werden wir uns aus dieser Verlegenheit helfen? Alles andere ist gut, – nurda finde ich keinen rechten Ausweg! Was meint denn ihr in dieser alleinigen Hinsicht, undwas du, mein Freund Raphael?“[141,09] Sagt Raphael: „Beratet nur ihr zuerst untereinander; mein Rat wird dannnoch immer, so etwa bei euch alle Stricke reißen sollten, zur rechten Zeit eintreffen!“[141,10] Sagt einer der Gefährten: „Ja, das ist ein ganz kitzliger Punkt! Da werdenwir mit dem Volke eben nicht zum besten auskommen! Das Volk ist nun schon seit einerziemlichen Reihe von Jahren daran gewöhnt, und so da die Vornehmen nach einer gesehenenFinsternis des Mondes oder gar der Sonne zu uns kommen und uns sicher ganz ernst um denGrund fragen werden, warum wir die Verfinsterung von den Göttern begehrt und warum wirihnen solches nicht angezeigt hätten, – was werden wir dann auf solche Fragen auf demGrunde der Wahrheit für Antwort geben, auf daß wir nicht gar zu gewaltig zuschandenwerden vor dem Angesichte der Fragenden?“[141,11] Sagt ein dritter: „Mit einer so ganz kleinen Hauslüge könnte man sich daschon aus der Pfütze machen; ohne die sehe ich trotz alles Denkens keinen ehrsamen Ausweg.Aber es wird uns nicht allein da, sondern noch an gar manchen anderen Punkten auch haben,und nicht minder als eben bei den Finsternissen! Wir sitzen nun schon ganz ordentlich in derWäsche! Wir werden an die Schwierigkeiten erst stoßen, so wir an dem alten Gebäude werdenzu rütteln und zu bessern anfangen! Wie ein Heuschreckenheer aus Arabien werden uns dieunüberwindbaren, zahllos vielen Hindernisse den Weg verrammen von allen Seiten, und wir

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werden dann nimmer wissen, wo aus, wo ein! Diese Stätte verlassen und sehr weit von hieruns irgendwo niederlassen, das dürfte noch am allergeratensten sein!“[141,12] Sagt Roklus: „Ja, ja, wäre schon alles recht; aber was mit diesen unserenBesitzungen und Einrichtungen machen, die man doch auch nicht so ganz leichten Sinnesunseren Widersachern zur freien Einsichtnahme überlassen kann?! Wahrlich, euer Rat würdebesonders mir sehr teuer zu stehen kommen! Wir haben Gott den Herrn nun für uns, der ganzallein uns am sichersten aus aller weiters völlig unnötigen Verlegenheit erlösen wird, – dessenich ganz vollkommen sicher bin! Wohl werden wir noch so manches zu bestehen haben; aber– wie es mir nun so vorkommt – wir werden dadurch sicher eine gar gewichtige Schuledurchmachen, aus der wir erst die praktische Einsicht schöpfen werden, was man aus seinemErdenleben alles hinwegräumen muß und wie, um zum wahren, innersten Leben aus Gott inuns zu gelangen.[141,13] Darum werden wir dennoch hier bleiben! Wegen all der andern Dinge aberhabe ich durchaus keine Furcht; denn da sage ich selbst zu jedermann: Von nun an bleiben dieErweckungen ein für alle Male weg! Warum? Antwort: Gott will es nicht mehr, weil dieMenschen nicht danach leben, solch einer besondern Gnade wert zu sein![141,14] Die aber nach dem Willen Gottes leben, die werden auch die Einsichthaben, warum ihnen Gott ein oder das andere Kind hat sterben lassen, und werden sich vonSeinem Geiste fürder selbst können unterweisen lassen. Dagegen wird niemand etwaseinwenden können!“

142. Kapitel[142,01] (Roklus:) „Was die andern wissenschaftlichen Spielereien betrifft, sokönnen sie ja bleiben; denn davon haben wir ja ohnehin nie einen andern Gebrauch gemacht,als dann und wann den Gästen eine ganz unschuldige Unterhaltung zu verschaffen. Wirkönnen sie aber auch zerstören, so wird niemand etwas dagegen haben können. Vor allemaber muß der künstliche Vollmond weg; denn der ist fürs erste zu plump und taugt nichteinmal mehr zum optischen Betruge für die dümmsten Leute. Die redenden Bäume,Gesträuche, Statuen, Säulen, Quellen und Brunnen werden ausgerottet und an ihre Stelleetwas Besseres gesetzt. Die elektrischen Sachen aber können bleiben, sowie dieverschiedenen Brennspiegel; denn diese Dinge gehören in das Fach der Wissenschaft, undman kann mit ihrer Hilfe verschiedene Krankheiten heilen. Dahin gehören auch unsereapothekerischen Künste und die Kunst, Glas zu machen, es zu schleifen und zu glätten.[142,02] Kurz, was bei uns als irgendeine rein wissenschaftliche Sache der Wahrheitnach besteht, das bleibe, und alles andere hört auf! Und so es aufhört, sind wir darum dochsicher niemandem irgendeine Rechenschaft schuldig; denn das Institut ist unser Eigentum,womit wir nach unserem Belieben zu walten und zu schalten das unbestreitbare Recht durchdie Gesetze Roms haben. Wollen wir dem Volke etwas tun, so tun wir es, weil wir es selbsttun wollen, da wir in niemandes Solde oder Dienste stehen. Wir sind Menschen und Herrenfür uns und haben als selbst Römer und Untertanen den gesetzlichen Schutz so gut wie jederRömer für uns; dazu besitzen wir noch so viel Schätze und Vermögen, daß wir selbst bei einerkrösusartigen Lebensweise unsere Schätze in tausend Jahren nicht aufzehren könnten. Dasehe ich denn sogar in rein weltlicher Hinsicht nicht ein, vor wem wir da schamrot werdensollten! Vor dem Herrn haben wir nun keine weiteren Geheimnisse. Der aber wäre eigentlichder einzige, vor dem wir uns zu schämen hätten; mit Dem aber haben wir die Sacheausgeglichen. Ist Er uns aber nun gut, da Er es sicher zum voraus weiß, daß wir Seinen Willenbis ans Ende der Zeiten so rein, wie wir ihn bis jetzt erhalten haben, in die Erfüllung setzenwerden, so wird Er uns auch gut bleiben nicht nur bis ans Ende aller Zeiten, sondern auchewig jenseits.[142,03] Sehet und denket es euch, wie höchst töricht es für jeden von uns wäre, sowir etwa darum mit einem Blinden rechten wollten, so er auf einem ihm unbekannten Wegeüber einen Stein stolperte und also zur Erde fiele und sich beschädigte. Ah, wäre er sehend, dakönnte man freilich sagen: ,Freund, wozu hast denn du zwei Augen im Kopfe?‘ Aber demBlinden kann man nicht solch einen Vorwurf machen; denn er hat die Leuchte des Lebens

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nicht, und für ihn gehet keine Sonne auf noch unter. Also waren ja auch wir geistig blind, undes konnte uns auch niemand unter die Arme greifen und führen einen rechten Weg! Sind wiraber auf dem Wege, den wir nicht sahen, auch oftmals gefallen, wer kann uns da zu einer unsbeschämenden Rechenschaft ziehen?! Wußten wir denn, was wir nun wissen? Von wemhätten wir das wohl erfahren sollen? Nun wir aber wissen, werden wir auch danach handeln,so wie wir bis jetzt nach dem gehandelt haben, was wir wußten.[142,04] Es handelt sich nun auch gar nicht darum, ob wir nun unsertwegen bei derneuen Umgestaltung des Institutes mit Ehren davonkommen oder nicht, sondern es handeltsich nur darum, daß wir nicht als betrugsverdächtig vor den Augen der Welt erscheinen, weilwir für die Zukunft zum Wohle der Menschen auf dem Felde der Wahrheit arbeiten wollenund werden, und dazu gehört ein gutes Vertrauen und eine gewisse gute Ehre von seiten dervon uns zu belehrenden und zu führenden Menschen, was wir um keinen Preis vergebendürfen, wenn unsere Mühe gute Früchte tragen soll.[142,05] Es ist demnach schon alles in der ganz guten Ordnung, und wir können allesabschaffen, so wird das eben nichts Auffallendes sein. Nur einzig die Mond- undSonnenverfinsterungen werden uns, wenigstens im Anfange, ein wenig haben, weil diesesicher fortbestehen werden! Dann wird bald eine Menge von allerlei Menschen kommen, undsie werden sagen: ,Warum lasset ihr denn solche Schrecknisse über uns kommen?! Sind wirSünder vor euch und den Göttern, warum ermahnet ihr uns denn nicht, auf daß wir Bußewirketen und Opfer brächten euch und den Göttern?!‘ Was werden wir ihnen dann für eineAntwort geben?[142,06] Seht, da steckt der eigentliche Haken und Spieß! Nun, da ohne eine Notlügesich mit der reinsten, göttlichen Wahrheit aus der Schlinge zu ziehen, das wird sich sehrschwer machen! Eine Notlüge aber soll nach dem Willen des Herrn wohl nimmer über unsereLippen kommen! Was ist dann zu machen?! O du ganz verzweifelte Geschichte! Wie gesagt,da stehen einmal meine Ochsen fest am Berge an und mögen das Fuhrwerk nicht weiterhinaufziehen über die steilen Felswände!“[142,07] Sagt einer aus der Gesellschaft: „Nun, so frage nun noch den Herrn undMeister über alle Dinge! Der wird dir wohl auch in dieser Hinsicht einen rechten Bescheidgeben! Wir können uns darüber schon gleich jahrelang im Kopfe herumtreiben und werdenaus ihm dennoch nie etwas Weises herausbringen! Nun aber sind wir noch an der Quelle undkönnen uns da des besten Rates erholen. Wären wir nicht Narren, so wir in solch einerwichtigen Angelegenheit nicht beim allerhöchstweisesten Urheber aller Dinge uns erkundigenmöchten, was da zu tun sei, damit wir zum Besten des Reiches Gottes auf Erden vor derblinden Weltmenschheit nicht zuschanden werden?!“[142,08] Sagt Roklus: „Du hast wohl allerdings recht, und ich kann das natürlich zumBesten der Ausbreitung Seiner göttlichen Lehre auf jeden Fall tun; aber nur müssen wir dennzuvor ganz ehrbarermaßen wohl auch das bedenken, daß unser eben hierin gestelltesAnsuchen an Seine göttliche Liebe und Weisheit nicht etwa eine an sich selbst schon zu großeTorheit ist, mit der wir Ihm füglichermaßen denn etwa doch nicht kommen sollten, indem wirdadurch entweder unsere noch zu große Torheit oder eine viel zu geringe Achtung vor Seinerunbestreitbarsten Göttlichkeit an den Tag legeten!“[142,09] Sagt wieder ein anderer aus der Gesellschaft: „Ja, ja, du denkst da ganzrecht und billig; aber weißt du, uns allen nützt das nichts! Wenn einer einmal im Wasser umHilfe ruft, so wird sich da wenig darauf sehen und achten lassen, ob er durch einenunglücklichen Zufall oder aus eigener, selbstwilliger Dummheit hineingefallen ist, – sondernder, dem das Wasser einmal in den Mund zu rinnen anfängt, denkt wahrlich nicht mehr daran,was ihn eigentlich ins Wasser gebracht hat, sondern ,Hilfe! Hilfe!‘ ist sein Angstruf. Ob ihmgeholfen werden kann oder nicht, das ist nun denn freilich wohl eine andere Sache und hängtlediglich von der Klugheit derer ab, die der Unglückliche um Hilfe angerufen hat. Das ist someine Ansicht!“[142,10] Sagt Roklus: „Ganz den Nagel auf den Kopf getroffen! Darum werde vonmir nun denn auch der Meister aller Meister gefragt! Ich eile zu Ihm hin und werde Ihmunsere Not vorlegen!“

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143. Kapitel[143,01] Mit dem begibt sich nun Roklus noch einmal eiligst zu Mir hin und bringtsein bekanntlich etwas mißliches Anliegen bei Mir ganz offen an.[143,02] Und Ich sage zu ihm: „Nun, nun, wie Ich sehe, so fängst du schon so einwenig an einzusehen, wie was immer für ein Betrug früher oder später einem Menschen aufjeden Fall gewisse Verlegenheiten bereiten muß! Darum sage Ich euch: Nur die vollsteWahrheit um jeden Preis; denn diese währt am längsten und bereitet niemandem je irgendeinebesondere Verlegenheit![143,03] Es kann schon sein und ist es auch, daß von solchen Menschen, die nur vomBetruge ihr Leben und Ansehen fristen, die Wahrheit sehr gehaßt und gefürchtet und darumauch verfolgt wird mit Feuer und Schwert! Aber was nützt den Verfolgern aller solcherWahrheit ihr böser Eifer?! Nur zu bald bricht sich die Wahrheit Bahn, und ihre Feinde liegenbeschämt und von jedermann verachtet und gemieden im Pfuhle, aus dem es schwerlich eineAuferstehung zu gewärtigen geben wird! Nun, deine Sache ist ein wenig dumm und läßt sichso leicht nicht also beilegen, daß dir dabei ein Weltexamen ganz erspart werden könnte! Aberes gibt schon dennoch ein Mittel, dieses mit den notwendigen Ehren zu bestehen.[143,04] Ihr habt dem Volke weisgemacht, daß euch die Götter die Gewalt gegebenhaben, die Sonnen- und Mondfinsternisse zu beherrschen. Nun aber saget dem Volke, daß dieGötter aufgehört haben zu sein und zu regieren, und daß der eine, wahre, große Gott, dem alleHeiden unter dem Namen ,Dem unbekannten großen Gott‘ auch einen Tempel erbaut haben,nun Selbst in diese Welt, sogar körperlich, gekommen ist und euch solch eine Machtgenommen habe und werde fürderhin alles Selbst beherrschen und lenken und niemandemmehr die Leitung der Welt- und Himmelskörper anvertrauen![143,05] Auf das werden die Menschen freilich große Augen machen, und es werdenwelche meinen, daß ihr so ein Amt schlecht gepflegt und euch versündiget habt. Wiederandere werden meinen, zu wenig geopfert zu haben. Noch andere, ein wenig heller Denkende,werden sagen: ,Die geben ganz leicht ein Amt dem großen, unbekannten Gott zurück; dennsie haben sich dasselbe nur eigenmächtig angemaßt, um dadurch desto leichter das blindeVolk im Zaume zu halten, – und die Götter, die ihnen solche Macht eingeräumt haben sollen,waren die Machthaber Roms! Nun ist aber sicher ein Wahrhaftiger irgend heimlichaufgetreten, der sie bedrohet hat, und so legen sie nun leicht ein Götteramt in den Schoß desgroßen, allein wahren Gottes zurück, das sie als von Gott ihnen anvertraut der Wahrheit nachnie besessen haben. Da sie nun aber schon so ehrlich sind und solches offen bekennen, so istzu erwarten, daß sie noch mehreres offen bekennen werden, was sehr gut sein wird, da wirdadurch hinter manche Wahrheit gelangen werden. Der Wind, der sie dazu getrieben hat, mußoffenbar ein guter Wind sein!‘ Also werden die Helleren denken und sich dabei heimlich indie Faust lachen.[143,06] Die Pharisäer werden auch ganz geheim jubeln und dem Volke sagen:,Sehet, das muß Jehova Selbst diesen ärgerlichsten Heiden durch einen mächtigen Prophetenangetan haben; der hat sie genötigt, an sich selbst den Völkern gegenüber Verräter zuwerden!‘[143,07] Aber dann saget ihr: ,Da haben die Pharisäer auch einmal die Wahrheitgesprochen! Dieser mächtige Prophet aber ist kein anderer als der ihnen schon recht wohlbekannte Prophet aus Nazareth! Jesus ist Sein Name, und Er ist irdischermaßen ein Sohn desvielbekannten Zimmermanns Joseph – der aber nur sein Nährvater war –, geboren aus derMaria, der ebenfalls weit und breit bekannten Jungfrau aus dem Hause Joachim und Anna inJerusalem!‘ Und es sei dies Derselbe, der zu Ostern dieses Jahres alle die schnöden Wechslerund Verkäufer aus dem Tempel mit Stricken in der Hand getrieben habe. Dieser Prophet seiaber offenbar mehr als ein Prophet! Johannes, der ihnen allen bekannte Täufer in der Wüste,habe von Ihm ein rechtes Zeugnis abgelegt, das ihnen auch sehr bekannt sein werde.[143,08] Und dieser Gesandte Gottes habe euch zwar die euch selbst angemaßteMacht über Sonne, Mond und Sterne abgenommen, aber euch dafür mit einem vielwichtigeren und größeren Amte der Wahrheit nach betraut. Und dieses hohe Amt bestehe

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darin, daß ihr nun den Völkern allen Ernstes und aller Wahrheit nach verkünden sollet undsagen, daß nun das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist und daß alle, die an den NamenJesus glauben werden, das wahre, ewige Leben haben sollen![143,09] Wenn ihr also reden werdet, dann werdet ihr den Pharisäern, die bis jetztfreilich eure größten Feinde waren, ganz gehörig den Mund stopfen, und sie werden esweislich vermeiden, über eure eingegangene Macht über die Sonnen- und Mondfinsternisseauch nur ein Wort mehr zu verlieren, und das um so mehr, da sie wohl wissen werden, daß ihrgleichfort unter dem Schutze Roms stehet![143,10] Nun habe Ich dir dies hoffentlich klar zur Genüge auseinandergesetzt, unddu wirst es auch einsehen, daß du darauf nichts Weiteres mehr zu befürchten haben wirst! Dadu aber nun den Rat und die Einsicht hast, so gehe nun hin und verkünde das auch deinenFreunden und Gefährten! – Oder hast du etwa noch etwas im Hintergrunde, das dich nochdrückt?“[143,11] Sagt Roklus: „Nein, Herr und Meister von Ewigkeit, nun drückt mich nichtsmehr, und mein Herz ist voll Freudigkeit! Denn nun bin ich mit meinem Institute ganzgeborgen, und die Schwarzröcke sollen sich freuen über das Wetter, das wir ihnen machenwerden!“[143,12] Sage Ich: „Ganz gut; aber gehe nun hin und verkünde das deinen Freundenund Brüdern, damit auch sie deiner Freude teilhaftig werden! Aber es wird euch allendennoch viele Mühe und Arbeit kosten, dessen ihr vollauf versichert sein könnet. Aber wo eskeinen Kampf gibt, da gibt es auch keinen Sieg, und wo keinen Sieg, da auch keineSiegesfreude, die alle Menschen als die höchste preisen! Darum vor allem Mut undAusharrung, und der Sieg wird nicht unterm Wege steckenbleiben! Dafür stehe Ich als dochgewissest der glaubwürdigste Zeuge und der allersicherste Bürge! – Oder bedünket dir dasnicht als genügend?“[143,13] Sagt Roklus: „Wem, der Dich, o Herr, wie ich kennt, sollte das nichtgenügen?! Ich sage Dir hier nichts als meinen allerinnigsten Dank und gehe nun sogleich zumeinen Gefährten und werde ihnen auch dieses wahrhaftigste Evangelium hinterbringen.“[143,14] Mit dem verneigt er sich und eilt fröhlichst zu seinen Gefährten, dieunterdessen die Neugierde über die gute oder schlimme Art des Bescheides schon sehr zuquälen angefangen hat.

144. Kapitel[144,01] Als Roklus das von Mir Vernommene den Gefährten mitteilt, da sind diesedarüber höchst erfreut, und der ehedem Redende sagt: „Siehst du, mein Freund, wie gut eswar, daß ich dir diesen Einschlag gab, dir darüber beim Herrn Selbst, da Er noch hier ist, desRates zu erholen! Nun wissen wir, woran wir sind, und was wir zu tun haben, und benötigenkeiner Notlüge, – sondern wir treten mit der nacktesten Wahrheit auf und machen doch alle,die uns zur Rede stellen werden, mit wenigen Worten verstummen! Oh, das ist ein großer undheiliger Rat! Ja, ja, wem der Herr Hilft, dem ist wahrhaft geholfen, und es ist ihm somit auchfür alle Zeiten wahrhaft geholfen!“[144,02] Sagt der noch immer anwesende Raphael: „Ja, da hast du wohl ganz undvöllig recht! Es ist euch sehr geholfen durch diesen Rat; aber dessenungeachtet wird es sichmit der Zeit an allerlei Anständen und Versuchungen nicht mangelhaft erweisen in euremInstitute, und ihr werdet zu allen Zeiten – merket euch dies recht wohl! – recht viele Freundezählen, aber daneben auch stets tausendmal so viele Feinde, die euch zu allen Zeitenverfolgen werden zu einem Zeugnisse wider sie, und auch dafür, daß der Herr Selbst aufdieser Erde von den blindbösen Menschen in einem fort verfolgt worden ist.[144,03] Denn Ihn hassen alle die Magier von Profession und alle die Priester,welcher Konfession sie auch nur immer angehören mögen, und am allermeisten aber dieTempler zu Jerusalem. Da aber eben das Priesterwesen eine stets allerbequemste Lebenskasteder Menschen auf der Erde ausmachte und zu vorteilhaft gestellt war, so wird sich diese wohlnie ganz ausrotten lassen; und es wird gar nicht so lange hergehen, daß selbst Bruchstückedieser nun neuesten Gotteslehre von allerlei Gaunern und Müßiggängern aufgegriffen werden,

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und es wird daraus ein Priestertum erwachsen, gegen das selbst das Tempeltum kaum einleises Schattenspiel ist.[144,04] Und diesem Priestertume gegenüber werdet ihr stets einen harten Standhaben. Es wird euch zwar nichts tun und nicht irgend etwas anhaben können; aber verfolgenwird es euch auf allen Wegen und Stegen, gleichwie nun die Pharisäer den Herrn verfolgenauf allen Wegen und Stegen. Allein, das wird euch ein rechtes Wahrzeichen sein, daß ihrvollkommen des Herrn seid und Sein Wort in der Schrift und in der Tat rein bewahret; undeben darum werdet ihr euch ob solch eines Zeugnisses auch allzeit hoch zu erfreuen haben.[144,05] Ihr aber werdet eure Verfolger nicht und nie fürchten, weil ihr allzeit lebenwerdet unter dem sichtlichen Schutze des Herrn; aber eure Widersacher werden euch fürchtenüber die Maßen und werden euch darum auch verfolgen. Alle ihre Verfolgung aber wird ihnenso wenig nützen, als es den Templern nützt, daß sie nun den Herrn verfolgen nach allen ihrenKräften, wie ihr sogleich ein Pröbchen hier erleben werdet. Der Herr hat es dir, mein Roklus,schon zum voraus gemeldet, daß da nun noch etwas vor dem Morgenmahle geschehen werde!Was aber, – höre![144,06] Die Argen haben es durch einen argen Flüchtigen aus Cäsarea Philippierfahren, daß der Prophet aus Nazareth Sich hier aufhalte und Sein ,Unwesen‘ treibe, undauch, daß der Oberstatthalter zu Seinen Gunsten sich hier aufhalte. Daher haben sie in allerEile einen gar verschmitzten Plan entworfen, um dadurch den Herrn zu fangen, indem sie Ihndem Cyrenius als einen Volksaufwiegler aus tatsächlichen Gründen anzeigen und verhaßtmachen wollen. Der Plan ist ganz satanisch fein angelegt, so daß du dich darüber wundernwirst.[144,07] Sie werden damit, namentlich beim Cyrenius, schlechte Geschäfte machen;aber es wird diese Erscheinung hier eine große Aufregung zustande bringen, abgesehen, daßsolch ein Unternehmen hier gleich auf das allerweidlichste breitgeschlagen wird. Ihr werdetdabei selbst ein wenig ins Spiel kommen, aber nicht zum Nachteil, sondern nur zum Vorteilder guten Sache. Darum seid nur fein auf alles gefaßt; eine kleine Viertelstunde noch, und dieGeschichte wird losgehen! Unterdessen aber wollen wir uns ganz ruhig verhalten; Cyreniusselbst hat noch keine Ahnung davon, weil es also des Herrn Wille ist! Aber die Geschichtewird eben darum um so auffallender werden. Darum Ruhe nun!“[144,08] Es ward nun alles ohne einen Aufruf ruhig, wozu wohl auch der sehr nahebevorstehende Aufgang der Sonne sehr vieles beitrug; aber hauptsächlich erwarteten da alleetwas Besonderes und horchten darum mit einer gewissen ängstlichen Gier, was da kommenwerde.

145. Kapitel[145,01] Bald aber entdeckten die Söhne des Markus ein Schiff noch so hübsch aufder Höhe herumlavieren, als wüßte der Bootsherr nicht, ob er sich wohl an der rechten Stellebefände, was auch seinen ganz natürlichen Grund hatte, da sich am Ufer des Meeres vonGaliläa seit dem gestrigen Tage sehr vieles ganz gewaltig verändert hatte. Der gewaltige Felsim Meere, als ein Hauptsignal, bestand nicht mehr; einen starken Fels und einen garmächtigen Baum auf dem Schlangenvorberge hatten bekanntlich die Neger nahezu aus demDasein geschafft; dazu kam noch das prachtvolle Neuhaus, der Garten und der schöne Hafenmit den fünf neuen, beflaggten Schiffen, – und so kannte sich der Lotse, der das Schiff genCäsarea Philippi hätte lenken sollen, nicht aus, wo er sich so ganz eigentlich befand, undlavierte darum schon eine längere Zeit auf und ab und hin und her, um zur Einsicht zugelangen, wo er wohl wäre.[145,02] Es fing aber ein starker Ostwind zu wehen an und trieb das Schiff mitunwiderstehlicher Gewalt gerade unserem Ufer zu. In wenigen Augenblicken konnten diescharfsichtigen Söhne des alten Markus schon ganz gut ausnehmen, daß das Schiff Römerund ein paar Pharisäer an Bord trüge. Sie kamen auch gleich zum Cyrenius und gaben ihmsolches bekannt. Als Cyrenius solches vernahm, kommandierte er sogleich den Julius, dasnach und nach sich dem Ufer stets schneller nahende Schiff in die allerstrengste Sichtung zunehmen. Als Julius solches vernahm, war er auf einen Pfiff nahezu pfeilschnell mit fünfzig

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Mann unter Waffen am Ufer und erwartete das Schiff, das auch gar nicht lange auf sichwarten ließ.[145,03] Als die im Schiffe der Römer ansichtig wurden, steckten sie gleich eineweiße Fahne aus zum Zeichen, daß sie keine Feinde seien, und daß man sie ganz unbeirrt ansUfer steigen lassen könne. Julius aber, als er zwei ihm nicht unbekannte Erzpharisäer unterden Römern wahrnahm, sandte sogleich einen Boten an Mich und an den Cyrenius ab mit derFrage, was da mit den Angekommenen zu tun sei. Land oder Wasser? Die Menschen kämenihm sehr verdächtig vor. Es scheine, als ob auch die Römer nur vermummte Pharisäer oderdoch sicher Herodianer wären.[145,04] Und des Cyrenius Antwort lautete ganz kurz: „Wer's auch sei! Land!“[145,05] Auf dies Kommando wurden die Herangereisten ans Land gesetzt, undJulius erkundigte sich schnell nach den damals üblichen Reisezeichen, die ganz in dergesetzlichen Ordnung von Pilatus in Jerusalem gefertigt waren. Als dieser kurzeLegitimationsakt vorüber war, fragte ein Römer den Julius, ob sich der hohe Oberstatthalternoch in dieser Gegend aufhalte. Ein donnerndes ,Ja!‘ war von seiten des schon ganzergrimmten Julius auf die vorlaute Frage die ehrfurchterweckende Antwort.[145,06] Hier trat ein Zenturio, der mit im Schiffe war, ganz ernst dem Juliusentgegen und fragte ihn: „Was berechtigt dich, uns in solch einem Tone zu antworten?“[145,07] Julius, noch ernster als früher: „Hätte ich nicht die gemessensten Gründedafür, so würde ich dir wohl anderstönend geantwortet haben! Aber dein asiatisch blödesGesicht sagt es mir, daß du kein Römer, sondern ganz etwas anderes bist! Daher kann dichmeine Antwort bei dir selbst eben nicht zu sehr wundernehmen!“[145,08] Sagt der Zenturio: „Was bin ich denn, so kein Römer?“[145,09] Sagt Julius: „Davon werden wir schon noch nachher reden! Nun bist dueinmal in meiner Gewalt und hast dich strengstens meiner Anordnung zu fügen! Mein Nameist Julius, der gestrengste Kommandant Roms in dieser Gegend, und ich bin ein naherVerwandter des hohen Oberstatthalters Cyrenius! Das mußte ich dir ja sagen, dieweil du keinRömer bist; denn wärest du nur von weitem ein Römer, so hättest du mich auch schon vonweitem erkannt![145,10] Siehst du, so pflegen wir Römer die schlauen Füchse zu fangen! Aber nunnur vorwärts, das Bessere wird schon noch nachkommen! Gelt, die Gegend, nun ein wenigkultiviert, ist euch etwas fremd vorgekommen, – sonst hättet ihr uns schon vor einer Stundemit eurem unvermuteten Besuche beehrt? Macht aber nichts, ihr seid nun trotz derFremdartigkeit dieser Gegend gerade auf dem rechten Flecke angekommen![145,11] Siehst du, wie ich schon zum voraus alles weiß! Ja, in das Gebiet des Juliuskommt man nicht so leicht unangemeldet wie man glaubt! Es geniert euch das zwar einwenig, daß mir euer ganzes Erscheinen schon verraten ist; aber es macht das ja für so schlaueKöpfe, wie ihr seid, vielleicht eben nicht gar zu besonders viel, was sich natürlich bald zeigenwird! Darum nun nur vorwärts, hin zum hohen Oberstatthalter!“[145,12] Hier sagt der Zenturio, sichtbar sehr verlegen: „Was weißt du von uns?!Wer konnte dir etwas verraten haben, das nicht ist?“[145,13] Sagt Julius: „Nun kein Wort weiter! Dort befindet sich der Hohe! Darumvorwärts mit euch falschen Römern, – dort das Weitere!“[145,14] Der Zenturio, mit seinen etwa acht untergeordneten Kriegsknechten, undzwei ganz ordentliche, wohlgenährte und erzkernfeste Hauptpharisäer begaben sich darauf zuCyrenius und übergaben ihm dort ein Schreiben, das von Herodes unterfertigt war. In diesemSchreiben stand weiter nichts, als daß in ganz Cölesyrien und einem großen Teile Galiläasund Samarias eine sehr umfangreiche Verschwörung gegen alle Römer entdeckt worden sei.An der Spitze derselben stehe als ein Hauptagitator der berüchtigte Prophet Jesus ausNazareth, der im geheimen Bunde mit den immer höchst geheim tuenden Essäern zurVerblendung des Volkes allerlei für das gemeine Volk unbegreifliche Wunder wirke und sichdadurch eine Art göttlich-prophetischen Anstriches gebe und sogar die allerfluchwürdigsteDreistigkeit haben solle, sich dem Volke als ein wahrer Gottessohn zu offerieren.[145,15] (Herodes:) ,Es ist ferner durch mehrere ganz gleichlautende Zeugen aus

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verschiedenen Gegenden treu und wahr ausgesagt worden, daß dieser heillosesteVolksaufwiegler sich sogar den allerhöchsten römischen Staatsdienern bis zur größtenFreundlichkeit genähert habe, samt seiner schon etwa ganz tüchtigen Schar sogenannterJünger. Aber die geheime Fama verkündet, daß der Ruchlose das bloß darum täte, um sie allean einem bestimmten Tage gar jählings umzubringen, wonach er sich dann selbst zum Königealler Juden erheben werde. Nachdem aber nun solches durch den Ratschluß der hohen Götteran mich Sachkundigen verraten wurde, so mache ich dich pflichtschuldigst daraufaufmerksam und hoffe, daß du das deinige zu verordnen und zu tun wissen wirst! – In tiefsterErgebenheit Herodes, Vierfürst – – – nun in Jerusalem.‘[145,16] Es ist hier des Raumes wegen der ganze Brief mit seinen vielenSchmähungen nicht wiedergegeben, was auch wahrlich ganz unnötig ist; aber der Hauptsinnist ganz dargestellt.

146. Kapitel[146,01] Als Cyrenius diesen Brief ganz aufmerksam ernstesten Angesichtesdurchgelesen hatte, wandte er sich mit mitleidig-freundlichem Blicke zu Mir und sagte: „AberHerr, ist das auch noch möglich, Dich mir auf eine solch allerschändlichste Weise zuverdächtigen?! Was sagst Du dazu? Denn Du weißt es sicher, was darin enthalten ist!“[146,02] Sage Ich: „Berufe den Raphael und den Roklus; denn es wäre nicht fein, daßIch Mich bespräche mit diesen Sendlingen des Fürsten der Lüge!“[146,03] Sogleich berief Cyrenius den Raphael und den Roklus, welch letzteren dieGesandten des Herodes nur zu gut zu kennen schienen; denn sie wandten schnell ihreAngesichter von ihm ab.[146,04] Als Raphael zum Cyrenius kam, überreichte er ihm ebenfalls eine Rolle undsagte: „Da hast du das Duplikat des angeblich Herodischen Schreibens; lies es und erkennedaraus, daß ich und durch mich auch Roklus schon früher von dieser echt pharisäischenSchändlichkeit unterrichtet waren! Nach der Unterschrift des Herodes, die er aber nicht zuGesichte bekam, so wie er auch von diesem schmählichsten Plane keine Silbe weiß, befindetsich noch eine ganz kurze Anmerkung, die dich über den ganzen Sachverhalt aufklären wird,und die du darum auch lesen mußt. Hast du aber alles gelesen, dann übergib es denSendlingen und laß es auch sie lesen! Das Weitere wird sich dann schon von selbst machen.“[146,05] Cyrenius nahm diese Rolle in die Hand und las sie schnell durch, auch dieAnmerkung, über die er sich nicht genug wundern konnte, da sie gerade das enthielt, was ersich selbst sogleich gedacht hatte. Als er dieses alles gelesen hatte, gab er eben diese Rolleauch dem falschen Zenturio und sagte: „Nun lies auch du dieses vor deinen Gefährten!“[146,06] Der Zenturio nahm mit einer sichtlichen Verlegenheit diese Raphaelsrolleund las sie mit einem stets länger werdenden Gesichte, und beim Durchlesen der Anmerkungüberfiel ihn sogar ein förmliches Fieber, und alle die Sendlinge fingen an, ganz bedeutend dieFarbe zu wechseln, was natürlich dem Scharfblicke des Cyrenius und aller Anwesenden nichtentging. Als der falsche Zenturio die Rolle ganz durchgelesen hatte – und zwar so laut, daßdas Gelesene auch seine Gefährten vernehmen mochten –, gab er unter einer tiefenVerbeugung die Raphaelsrolle dem Cyrenius wieder zurück, sagte aber wohlweislich keinWort dazu; denn er wie seine Gefährten waren durch diese Erscheinung zu enorm betroffen,und ihr Ochsenfuhrwerk stand diesmal knapp an einer Felswand, über die hinüber auch nichtein allerschlechtester Fußsteig zu entdecken war.[146,07] Nach einer kurzen Weile des totalsten Stillschweigens unterbrach Cyreniusdasselbe und fragte den Zenturio: „Also, Herodes rät mir, daß ich alles aufbieten soll, desgewissen Propheten habhaft zu werden, und daß ich ihm, wie auch seinen Jüngern, gleich somir und dir nichts die Köpfe vom Rumpfe schlagen lassen soll?“[146,08] Auf diese Frage erfolgte keine Antwort.[146,09] Da ward Cyrenius erbittert und sagte: „Antwort! – oder ihr sollt mir diesenFrevel auf eine beispiellose Weise büßen! Von wem aus geht der Brief, wer hat ihn verfaßt,wer erfrechte sich, mich mit solch einer kolossalsten Lüge zu traktieren, und welch eineschändlichste Absicht lauert da im Hintergrunde?“

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[146,10] Auf diese sehr energische Frage verloren beinahe alle die Sendlinge dieBesinnung; denn sie wußten es, daß sie es mit dem unerbittlichsten römischen Oberstatthalterzu tun hatten. Alle fingen an, wie von einem panischen Schrecken ergriffen zu schlottern undzu fiebern, und von einer Antwort war keine Rede.[146,11] Da sagte Julius: „Hoher Gebieter, wie wäre es denn, so wir diesenSendlingen gleich den vom Gesetze bestimmten Lohn – für günstigen Verrat – auszahletenund sie dann nach Sidon ins feste Gewahrsam brächten bis zur Zeit, da die Revolution nachihrem angezeigten Termine losgehen wird, an welchem Tage ihnen dann der ganzeVerratslohn ausbezahlt wird, entweder am Kreuze oder auf dem Blocke? Diesen Römern siehtman's etwa doch schon auf eine ganze Stunde Weges nur zu klar an, daß sie nichts als einBündel der allerschlechtesten Pharisäer sind, die ums Geld zu allen Schändlichkeiten käuflichsind!“[146,12] Sagt Cyrenius: „Du hast ganz recht; aber da wir hier nicht allein die Herrensind und hier noch jemand anders eine Bemerkung zu machen hat, so wollen wir das mit dermöglichsten Ruhe abwarten!“

147. Kapitel[147,01] Hier trat Roklus vor und sagte: „Hoher Gebieter, erlaube mir, daß auch ichdiesen Unholden und Kobolden etwas ins Ohr raunen darf; denn in dem Briefe ist auch meinInstitut sehr arg angegriffen, was ich als ein Vorsteher desselben unmöglich auf sich beruhenlassen kann! Ich muß sie fragen, wie und wann der von ihnen so berüchtigte und ruchloseste,böse Prophet aus Nazareth die Zauberkünste, mit denen er nun das Volk berücke undverführe, von uns erlernt hat! Bei Gott, wenn sie mir hier auf dieser Stelle diese kolossaleVerunglimpfung nicht gutmachen, so vergreife ich mich an ihnen und drehe ihnen allen dieHälse ab, so wahr mir Gott der Herr sicher helfen wird!“[147,02] Hier tritt einer der beiden Pharisäer vor und sagt: „Was können denn wirdarum, so etwa die ganze Sache nur eine böswillige Erdichtung sein sollte?! Wir haben sie janicht geschrieben und noch weniger irgend verfaßt! Sehet diese an, die uns gesandt haben;wir, als pure Boten, sind ja etwa doch wohl niemandem eine Rede und Antwort schuldig! Wirerwarten bloß eine rechte Antwort, die wir denen zurückzubringen haben, die uns hierhergesandt haben. Das, glaube ich, sollte der langen Rede kurzer Sinn sein!“[147,03] Sagt Roklus, durch Raphael animiert: „Gut; aber was hat denn dann zugeschehen, so wir's euch an den Fingern erweisen können, daß eben nur ihr die Verfassereures schnöden Briefes seid, und daß ihr, so euch dies Werk gelänge, aus der großenGoldkasse des Tempels eine Vergütung von tausend Pfunden Goldes AD PERSONAM zugewärtigen habt?“[147,04] Sagt der Pharisäer, laut aufschreiend: „Wer kann uns einer solchenSchändlichkeit zeihen? Der Brief ist von Herodes unterfertigt!“[147,05] Hier beruft Roklus den Zinka und sagt: „Wie kein zweiter in der Weltkennst du deines Gebieters Schrift. Sage, ist das sein Namenszug?“[147,06] Zinka betrachtet den Brief und sagt: „Nicht von der allerweitesten Ferne!Denn Herodes kann eigentlich gar nicht schreiben, sondern zur Not nur griechisch lesen. Fürdie Unterfertigung seines Namens hat er eine Art Siegel, das er den Urkunden aufdrückt;somit muß diese Unterschrift falsch sein! Dafür meinen Eid bei allem, was ihr nur wollt!“[147,07] Sagt darauf Roklus: „Nun, du weiser, gottesgelehrter undallerwahrhaftigster Pharisäer im Namen Mosis und Aarons, wie wird's dir denn nun zumute?Gelt, jetzt wäre es dir schon lieber, du säßest daheim bei einem fetten Mahle, als hier unter soglorreichen Auspizien! Ja, ja, es ist schon nicht anders: Wenn der Mensch mit dem nichtzufrieden ist, was ihm Gott der Herr beschert hat, da muß er sich dann schon fügen in dasSchicksal und seine Tücken![147,08] Ja, ja, der verruchte Prophet aus Nazareth will euch denn schon durchausnicht gefallen, weil Er durch Seine heiligsten Wahrheitslehren euch einen starken Eintrag zumachen droht! Da steckt der Faun begraben! Aber es ist nun einmal also geworden und wirdschon ewig nimmer anders werden, auch dann nicht, so es Ihm einmal wohlgefiele, um euch

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dadurch einen Gefallen zu erweisen, Sich von euch so ganz gemütlich töten zu lassen,wenigstens PRO FORMA, denn Er, als das Leben Selbst von Ewigkeit, kann unmöglich jegetötet werden. – Ich habe nun geredet; jetzt ist die Reihe an dir! Was sagst du nun zu allemdem?“[147,09] Der Pharisäer stand nun wie versteinert da, und niemand von denSendlingen getraute sich mehr, auch nur eine Silbe zu reden.[147,10] Nach einigen Augenblicken beschied Cyrenius, der dazu geheim einenWink von Mir erhielt, die beiden Erzpharisäer allerschlauestermaßen zu sich und sagte zuihnen: „Beruhiget euch nun! Der Sturm ist vorüber; stoßet euch nicht an unserem anfänglichstets gleichen römischen Ernst! Es kommt nun die zweite Besprechungsphase, in der ich voneuch nicht Fiktionen mit falschen Unterschriften, sondern die reine, volle Wahrheitvernehmen will. Nur durch die Wahrheit könnet ihr aus meiner sonst unerbittlichen Gewaltbefreit werden, – sonst ist Kerker, Kreuz und das Beil unfehlbar so gewiß euer Los, als wiegewiß ich Oberstatthalter von allen asiatischen Provinzen Roms bin.[147,11] Redet ihr aber die Wahrheit, wie sie auch lauten mag, und welchen Sinnessie auch sei, so möget ihr auf mein römisches vollstes Ehrenwort rechnen, daß ich euch ganzfrei und unbeanstandet abziehen lasse. Wählet nun, was ihr wollet! Wollt ihr bei dieser Lügebeharren, so wisset ihr's nun aus meinem Munde, was euch unfehlbar erwartet; denn hier inAsien bin ich im Namen des Kaisers vollkommen unumschränkter Gebieter, undzweihundertsechzigtausend Krieger harren jede Stunde des Tages auf meine Befehle. So euchdas früher etwa noch fremd war, da wisset ihr es nun, wie die Sachen stehen. Wer wird michzur Verantwortung ziehen, so ich bloß aus Laune alle Juden durchs Schwert hinrichten ließe?!An Macht und Gewalt fehlt es mir nicht! – Wo kann sich in ganz Asien eine Verschwörunganzetteln, von der ich nicht binnen längstens acht bis vierzehn Tagen die vollste Kundehätte?! Dann aber das schrecklichste ,Wehe!‘ den Aufständischen![147,12] Wäre nach euren Aussagen irgendeine noch so geringe Emeute (Meuterei)noch so geheim vorbereitet, so wüßte ich wahrlich darum, und meine vielen Büttel würdensogleich vollauf zu tun bekommen. Es ist demnach solche eure mir hier gemachteDenunziation ebenso wie die Unterschrift des Herodes, eine arge Lüge, durch die ihr mich,wenn ich ein Blinder wäre, zu einem ganz andern Zwecke benutzt haben würdet. Allein, daßdas bei mir durchaus nicht angeht und nie angehen wird, davon habt ihr nun hoffentlich schoneine ganz gediegene Überzeugung. Darum heißt es nun: mit der Wahrheit heraus, auf daß ichallerklarst sehe, auf welchem Grunde und Boden ich mit euch stehe! Aber nur ganz wohlgemerkt: Seht, so rein, wie nun die Sonne über den Bergen jenseits des Meeres aufgeht,ebenso rein muß die Wahrheit dessen sein, was ihr mir nun sagen werdet, – so werde ich euchauch mein Wort halten! Redet nun!“[147,13] Hier machten die beiden Pharisäer, sowie auch die falschen Römer, die auchzur Hälfte Pharisäer und zur Hälfte Herodianer waren, ganz entsetzlich verzweifelteGesichter; denn nichts kommt einem Menschen verwünschter vor, als so er sich selbstanklagen und offen seine allerschnödest bösen Absichten bekennen muß. Und so war es nunauch mit diesen Pharisäern der Fall. Aber was wollten sie tun? Des Cyrenius Unerbittlichkeit,wie auch seine strengste Gerechtigkeit, war bekannt, und es ließ sich demnach hier offenbarnichts machen, als die volle Wahrheit zu beichten.

148. Kapitel[148,01] Demnach faßte der eine Pharisäer den Mut und fing an, also zu reden:„Allerhöchster und unerbittlich gestrengster Herr und Gebieter über alle Lande Asiens undAfrikas zum größten Teile! Da uns denn nun nichts anderes übrigbleibt, als die volle Wahrheitzu bekennen, so muß ich im Namen aller meiner Gefährten denn doch offen bekennen, daßder Brief eine pure Fiktion war, und daß wir den berüchtigten Propheten aus Nazareth desbloßen Brotneides wegen auf das entschiedenste als unsern größten Feind verfolgen. Denn erwirkt Zeichen, die alles bisher Dagewesene im allerhöchsten Grade übertreffen; dazu lehrt erschnurstracks wider den Tempel und seine Gesetze, die doch nicht von uns sind.[148,02] Auf dem Berge Sinai empfing vor ungefähr tausend Jahren Moses Gesetze

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aus der feurigen Hand Gottes, und nachträglich noch eine Menge staatlicherLebensverordnungen. Unter den Gesetzen ist Nummer eins ein allerwichtigstes, dahinlautend: ,Du sollst nur an Mich, deinen alleinigen und einigen wahren Gott, glauben undkeine fremden Götter neben Mir anbeten und verehren; denn Ich allein bin dein Gott und deinHerr!‘ Der Prophet (aus Nazareth) aber gebe vor, daß er eben und niemand anders ein wahrerSohn Gottes und gar ein Gott Selbst sei, und berufe sich dabei auf die Aussagen derPropheten, die er ganz willkürlich auf sich bezieht, und auf das Zeugnis seiner Taten.[148,03] Wenn das so ganz ungestraft dahingehend gelassen wird, so ist es mit derals göttlich erweisbaren Anstalt zu Jerusalem in wenigen Jahren vollkommen am Ende! Wasdann? Wie werden wir von Gott Bestellte vor dem Volke dastehen und von was fürderhinleben, da wir von Gott aus gesetzlich nie einen Acker noch einen Weinberg besitzen durften?Auf der einen Seite haben wir die von uns abgefallenen Samariter, die Sadduzäer und dieHalbheiden, auf der andern Seite die Essäer, die nun bald schon das halbe Volk für sichhaben, – und nun kommt auch noch der Galiläer dazu! Das muß uns denn am Ende doch einwenig zuviel werden![148,04] Auf Sinai, unter Blitz und Donner, hat Jehova durch Moses und Aaron unsGesetze gegeben, hat sie sanktioniert und hat, sage, mit uns einen ewigen Bund errichtet unduns strengst verpflichtet, diesem Bunde treu zu verbleiben. Er, der Allmächtige, verhieß unsdie größten Lebensvorteile, so wir dem Bunde und dem Gesetze treu verbleiben, aber auch diegrößten Nachteile, wenn wir den Bund leichtsinnig brechen. Er gab uns aber auch das Recht,unsere Widersacher mit Feuer und Schwert zu verfolgen, wie solches auch Josua bei Jerichound später der große König David mit den Philistern gemacht haben, wo sogar nach JehovasGeheiß der Kinder im Mutterleibe nicht geschont werden durfte.[148,05] So aber Jehova nun wider Seine Verheißungen und Beteuerungen, vielleichtob unserer Sünden und unserer Lauheit und Duldsamkeit gegen unsere Widersacher, den altenBund auflösen und uns schon völlig verlassen wollte, so würde Er das doch sicher auf eineIhm leicht mögliche großartige Weise tun, auf welche Er mit uns vor ungefähr tausend Jahrenden Bund errichtet hat, auf daß dann jedermann bestimmt und ungezweifelt wüßte, wie erdaran ist! Nun aber ist das bisher noch lange nicht geschehen; wie kann sich dann ein noch soaußerordentliche Dinge leistender Magier je unterfangen, gegen uns als eine stets gleichfortbestehende Satzung Gottes auf das allerschmählichste zu agieren anzufangen?![148,06] Er solle die Kranken gesund machen, so viele er will, und solle zurBelustigung der Menschen auch Berge versetzen und andere noch so großartige Dingeverrichten; aber gegen den Tempel und seine heiligen Geheimnisse solle er nicht losziehen!Er aber tut solches stets mehr, untergräbt den Glauben und das Vertrauen des Volkes, nunbesonders der Galiläer, zum Tempel gänzlich, so, daß uns diese gar häufig den Zehent nichtmehr geben wollen und uns obendrauf noch als größte und abgefeimteste Menschen- undVolksbetrüger verschreien. Sind wir das, so zeige es uns Jehova durch den Mund einesordentlichen Propheten an, nicht durch einen galiläischen Zauberer, der sich für einen dergrößten Propheten, ja sogar für einen Sohn des Allerhöchsten ausgibt, da es doch geschriebensteht, daß aus Galiläa, das zu sehr von den Heiden unterspickt ist, nie ein Prophet aufstehenkann, und um so weniger ein Sohn Gottes, aus den Himmeln kommend![148,07] Wenn wir aber, erstens durch Gottes Gesetz und zweitens durch denoffenbarsten Drang der Umstände, genötigt sind, solch einen der alten Sache Gottes höchstgefährlichen Menschen zu verfolgen und wo möglich mit allen Gottesrechten mit unserenHänden aus dem Wege zu räumen und von der Erde zu vertilgen, tun wir da unrecht, wennwir uns hierzu in dieser Zeit leider so manchen politischen Mittels bedienen müssen, um dasuns überaus gefährliche Subjekt zu vertilgen?! Ich meine, daß du an der vollen Wahrheitdieses unseres wohlbegründeten, offenen Bekenntnisses nun keinen Zweifel mehr hegenwirst!“

149. Kapitel[149,01] Sagt Cyrenius: „Das nun wohl ganz und gar nicht; denn diesmal hast du dievollste Wahrheit, die sonst dem Munde eines Pharisäers nicht leichtlich entkommt, geredet

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und hast mein Gemüt wieder so recht heiter gestimmt! Übrigens aber muß ich dir denn bei derSache, die deinen gar so gefährlichen Propheten oder gar Gottes Sohn betrifft, doch fürs erstedie Bemerkung machen, daß Er bei euch leumundlich sehr verleumdet sein muß, und fürszweite dir offen bekennen, daß ich den Höchstdenkwürdigen sehr wohl kenne und dir dieoffene Versicherung geben kann, daß Er ein höchst unschädlicher Mensch ist, der sich alleMühe gibt, seinen Nebenmenschen nur zu nützen und sogar seinen allerärgsten Feinden, dieoffenbar ihr seid, trotzdem ihm alle eure großen Betrügereien, von denen weder einem Mosesnoch einem Aaron je etwas geträumt hat, nur zu wohl bekannt sind.[149,02] Oh, Er ist ganz Jude, aber nur im reinsten und echt mosaischen Sinne! Woaber ist Moses, und wo ihr mit euren neuen Menschensatzungen? Er ist also wider dasNichtmosaische an euch, aber nicht wider euch selbst! Zu mir sind vom Volke aus schon eineso große Menge der empörendsten Klagen wider eure schnödesten Handlungen undBetrügereien gekommen, daß ich es mir wahrlich schon einige Male vorgenommen habe,euch mit bewaffneter Hand für alle Zeiten das Handwerk zu legen. Nur Er hat mich davonabgehalten! Wäre Er, der Sich meiner höchsten und vollsten Freundschaft bewußt ist, euerFeind, so hätte Er sicher nur eine größte Freude daran, so Er euch durch meine Hand inkürzester Frist ganz vom Schauplatze dieser Erde vertilgt haben könnte; allein gerade dasGegenteil![149,03] Er bedauert eure große Verblendung, die ihr aber selbst angelegt habt. Ermöchte euch nur zu der Wahrheit und zu dem einen, wahren Gott zurückführen, von dem ihreuch durch eure zahllosen Weltgelüste abgewendet habt, und mit euch den alten Bunderneuern; aber verderben will Er euch durchaus nicht. Wenn aber das Sein allerregsterWunsch und Wille ist, wie ist Er dann euer Feind? Hättet ihr Seine Mittel in euren Händen,wie oftmals hättet ihr Ihn schon getötet! Tut Er an euch etwas Ähnliches, wo Ihm doch dazutausend der allerkräftigsten Mittel alle Stunden des Tages zu Gebote stehen?! Wie es inmeiner Gewalt ist und steht, so habe ich auch Ihn einem höchst scharfen Examen unterzogen,welches Er auf das allerglorreichste bestanden hat.[149,04] Ich habe in Ihm eben jenen Menschen gefunden, den ich vor – sage –dreißig Jahren vor der grausamsten Verfolgung des alten Herodes gedeckt habe, und Er istEbenderselbe, der vor dreißig Jahren, als mein Bruder Augustus die Volksbeschreibung und -zählung im ganzen, weiten Römerreiche und somit auch im Judenlande einführte, zuBethlehem in einem Schafstalle von des Zimmermanns Joseph jungem Weibe unter allerleiwunderbaren Erscheinungen geboren, von den Weisen des Morgenlandes durch einen siedahin führenden großen Schweifstern erkannt und als ein künftiger König der Juden begrüßtund beschenkt, schon damals als eine ganz besondere Erscheinung für die Menschen dieserErde von den erstaunten Hirten besungen ward, dessen ihr euch wohl noch ein wenig erinnerndürftet![149,05] Sollte euch davon, obwohl ihr schon die sechzig Jahre Alters zählen dürftet,nichts zu Ohren gekommen sein, so steht hier mein Bruder Kornelius, der damals eben inBethlehem das römische Beschreibungsgeschäft leitete, als ein sogar noch sehr wohl lebenderZeuge vor euch und nebst ihm ich selbst, der ich auch schon an dem kaum vierzehn Tagealten Kinde derartige Göttlichkeitsindizien wahrzunehmen und zu erfahren die höchstunerwartete Gelegenheit fand, die mich unter dem größten und ehrfurchtsvollsten Staunenkeinen Augenblick in einem Zweifel ließen, daß dies Kind alleroffenbarst mehr als irgendeinnoch so vollkommenes Menschenkind sei.[149,06] Als ich nun in meinem Greisenalter das damalige Kindlein als einen Mannvoll Geist und göttlicher Wunderkraft wiederfand, fand ich auch bald und leicht, daß Er ebenaus dem besprochenen Kinde hervorgegangen ist, und es wird hoffentlich nicht schwer zubegreifen sein, daß ich dann selbst vor Ihm mein greises Haupt in der allertiefsten Ehrfurchtund Liebe zu beugen genötigt war, und das durch mein höchsteigenes Gefühl.[149,07] Und diesen Mann verfolget ihr so hastig und wollet Ihn gänzlich verderbenund vernichten?! Oh, ihr allerunsinnigsten und blindesten Toren! Hat denn nicht Moses vonSeiner Ankunft geweissagt und nach ihm nahezu alle großen und kleinen Propheten, die eureVäter in ihrer allererbärmlichsten Dummheit auch mit Steinen erschlugen, so wie ihr nun

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Diesen auch erschlagen möchtet?! Ihn, der allein euch allen helfen kann und auch will,verfolget ihr nun sogar schon mit aller List, heißet Ihn ein Scheusal, sprechet über Ihn denärgsten Fluch aus und wollet Ihn dazu noch töten?![149,08] Ihr habt diese Gegend, die ihr suchtet, nicht erkannt, weil der große,gefürchtete Fels aus dem Dasein verschwunden ist und diese ganze, ehedem überaus wüsteBucht in ein wahres Eden umgestaltet ward. Wer aber bewirkte das? Ich und alle hierAnwesenden sind Zeugen, daß dabei keine Menschenhand auch nur mit einem Finger betätigtwar. Er war und ist unter uns und bewirkte solches Wunder bloß durch Seinen Willen![149,09] Hier an meiner Seite steht ein Knabe; Josoe ist sein Name. Er lag schonbeinahe zwei Jahre im Grabe, und nichts als die in Verwesung übergehenden Knochen warenvon ihm noch vorhanden. Und dennoch war es dem von euch so bitter und hartnäckigverfolgten Manne ein leichtes, ihn bloß durch ein Wort also zu gestalten undwiederzubeleben, wie er nun da vor euch steht![149,10] Dahier am Tische sitzen meine beiden Töchter, die mir durch argeSklavenhändler geraubt wurden. Sie fielen bei einer Überfahrt übers Meer durch einen Sturmins Wasser und schwammen, von den Unmenschen geknebelt, vollkommen tot auf der weitenOberfläche des Meeres umher. Bei einem vorgestrigen Fischfangzuge, den wir allemitmachten, wurden sie aufgefunden und hierhergeschafft. Eures Feindes Wort gab – Ihmallein alle meine Ehre! – ihnen also, wie ihr sie da sehet, das Leben wieder![149,11] Nun frage ich euch, ob das wohl auch ein Magier zustande brächte, oder obdiese Zeichen in sich nicht schon großartiger sind als jene, die zur Zeit Mosis in der Wüstevollführt wurden! Was ich euch sage, das ist so streng wahr, wie ich selbst Cyrenius heiße,und es kann solches mit vielen hundert Zeugen noch mehr bekräftigt werden; und den Tätersolcher Werke nennet ihr gewisserart ein Scheusal, verfolget Ihn und wollet Ihn sogar töten?!Welch ein kaum begreiflicher Grad von der allerblindesten Dummheit gehört doch wohldazu!“

150. Kapitel[150,01] Sagt der Pharisäer: „Allerhöchster und gestrengst gerechter Gebieter! Wirsind Schriftgelehrte und haben die Chronik studiert; daher glaube ich, daß wir denn doch nichtgar so dumm sein sollten!“[150,02] Sagt Cyrenius: „Seht, selbst diese eure Bemerkung war so dumm alsmöglich, und ebenso dumm eure Art und Weise, den Heiligen aus Nazareth zu fangen! Denndas hättet ihr euch bei einem Quentchen Verstand denn doch wohl denken können, daß wirRömer einen in sogar schlecht gemachter römischer Kleidung vermummten Juden von einemwirklichen Römer unterscheiden werden und nur zu geschwinde begreifen, daß dahinter eineso recht abgefeimte Lumperei steckt! Also hättet ihr euch wohl auch denken können, daß ichdes Herodes Unterschrift wohl etwa nur zu gut kennen werde! Also hättet ihr euch wohl auchvorstellen können, daß ihr von mir auf der Stelle durchschaut und erkannt werdet in eurer garargen Absicht, und daß darum euer Unternehmen ein höchst dumm gewagtes war, das euchum alles, sogar um euer bißchen Fleischleben, das euer größtes Heiligtum ist, hätte bringenkönnen! Ich sage es euch: Wahrlich, das hätte ein Kind, von einigem Mutterwitze beseelt,euch mit Bestimmtheit voraussagen können, wie es euch mit eurem Unternehmen ergehenwird! Aber nein, – es ist ja gerade zum Schwindligwerden! Ihr hochweisen Schriftgelehrtenhabt das nicht zum voraus einzusehen vermocht![150,03] Wisset ihr aber, worin das seinen Grund hat? Ich werde ihn euch sagen: Derschwelgende Prasser, dessen Magen noch nie eine Leere verspürt hat, kann sich unmöglichdie Empfindung eines hungrigen Magens vorstellen; dem Tauben kommt es gar nie in denSinn, wie es dem zumute wird, der die Harmonie einer rein gestimmten Äolsleier vernimmt;also kann sich auch der Stockblinde keinen Begriff von dem Eindrucke des Sehens undSchauens machen, und es ist in seinem Gefühle, als wären alle Menschen blind. Und ebensound eigentlich noch ärger ergeht es dem geistig blinden und in der Wahrheit dummenMenschen! Er hält nicht nur alle Menschen für ebenso dumm, wie er selbst es ist, sondern fürnoch viel dümmer; denn sich hält er ja gar nicht für dumm, sondern für sehr weise nur. Er

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kann es gar nicht begreifen, wie möglich auch der B ebenso verständig und weise sein könnte,wie er selbst als A sich fühlt. Und darin liegt dann eben der Grund, warum solche höchsteingebildet dummen Menschen bei irgendeinem Unternehmen die Sache schon so dumm alsmöglich angreifen, wie ihr das soeben nur zu handgreiflich klar hier vor mir an den Tag gelegthabt.[150,04] Weil ihr aber eben so dumm seid, so begreifet ihr ja auch unmöglich dieunnennbar großen Zeichen dieser Zeit, wie ihr auch trotz aller eurer so hoch gepriesenenSchriftgelehrtheit gar keinen Dunst von dem habt, was Moses und alle die andern Seher vondieser jetzigen Zeit, und namentlich von dem Messias der Juden und Seinem Reiche aufErden geweissagt haben. Es ist daher das wie dies euer Unternehmen nur eurer zu großen undgroben geistigen Blindheit zuzuschreiben; denn bei einigem Geisteslichte müßtet ihr denn jadoch um eures Jehova willen einsehen, daß gegen eine Macht, wie da ist die unsrige, voneurer Seite wohl ewig nichts mit Erfolg auszurichten sein wird, und noch weniger gegen einenvon dem allmächtigsten Geiste Gottes erfülltesten Manne, der es nur ganz leise zu wollenbraucht, – und die ganze Erde ist in einem Augenblick aus dem Dasein verschwunden![150,05] Wahrlich, sage ich es euch: fünfmal hunderttausend solche Menschen, wieihr es seid, fürchte ich mit hunderttausend Mann geübter Krieger nicht; aber was würden mirtausend Male soviel Krieger gegen den allmächtigen Willen solch eines Mannes nützen? EinGedanke von Ihm, und sie sind nicht mehr! Und ihr wollt mit eurer List und Staatsklugheitsolch einen Gottmenschen fangen und gar töten, – und das ohne irgendeinen haltbaren Grundauch noch dazu? Saget es mir nun aber ganz aufrichtig, ob ihr nun eure gar zu große undgrobe Dummheit noch nicht einsehet und nun schon ordentlich mit den Händen greifet!“[150,06] Sagt der Pharisäer: „Wenn ich offen zu dir reden dürfte, wollte ich dir aucheiniges sagen, was vielleicht dir, höchster Gebieter, in dieser Sache auch ein wenig die Augenöffnen möchte; aber man kann mit dir nicht reden und rechten, wie solches wir Weisen desTempels unter uns zu tun pflegen! Dürfte ich aber ungestraft mit dir so ganz von der Leberweg reden, so würdest du dann vielleicht auch sehr große Augen zu machen anfangen!“[150,07] Sagt Cyrenius, sogar mit einer Art verhaltenem Lächeln: „Wahrlich, dirgestatte ich ganz frei zu reden; keine Strafe soll deinen Worten folgen!“

151. Kapitel[151,01] Hier nahm der Pharisäer einen ordentlichen Anlauf, stellte sich ganz geradeauf und fing an, folgendermaßen zu reden: „Höchster Gebieter! Du weißt viel, und deinVerstand erglänzt wie ein reinster Diamant im Sonnenlichte; aber ich weiß auch etwas, so iches nach unserer Sitte auch nicht immer zur Schau trage und eigentlich auch nicht tragen darf!Wo es aber not ist, da soll es auch offenbar werden! So der Mensch einem Institute einmal aufdieser lieben Erde angehört und leider durch Geburt, Sitte, Gesetz und durch den irdischenDrang der Umstände genötigt ist, des lieben Magens wegen zu seiner Standarte zu schwören,so ist man dadurch auf dieser Welt geistig schon so gut wie gestorben. Im Anfange freilichwohl noch nicht ganz; aber so nach und nach immer mehr![151,02] Denn wenn man vor den Augen der Menschen ohne Unterschied mit allenMitteln irdischer Gewalt fort und fort genötigt wird, ein X für ein U zu machen, dann hörtalles Denken auf! Man muß sich selbst eines jeden helleren Gedankens wegen ordentlich zuverfluchen anfangen und sagen: ,Fahre hin, du reines Licht der Himmel! Bin ich verdammt,ein Teufel zu sein, so sei ich auch ein Teufel! Ob listig oder dumm, darauf kommt's dannwahrlich nicht mehr an! Muß ich ein X statt ein U sein, so bin ich's; ich kann derlei alteVerhältnisse unmöglich ändern!‘[151,03] Mit der Zeit lebt sich der Mensch in seine Teufeleien so ganz gemütlichhinein und denkt sich: ,Weil du schon zu einem Narren geboren bist, auch als ein solchererzogen warst, so bleibe, was du bist! Ist dein Magen gut, so ist dann aber auch schon allesgut! Iß und trink und genieße das Leben, solange und wie es sich nur immer bestens genießenläßt!‘ Kommt dann der letzte Tag, die letzte Stunde, dann sind alle Fesseln gelöst, und alleGesetze haben für den für ewig aufgehört, der in sein Nichts zurückgekehrt ist![151,04] Lüge und Wahrheit reichen sich da allerfreundlichst die Hände, wo die volle

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Nichtigkeit alles Seins zu Hause ist. Unter solchen allersichersten und vollwahrstenAussichten ist es dann wohl höchst gleich, unter welcher Narrenkappe man das Leben aufdieser Erde durchgemacht hat. Solange man aber lebt, sollte man dennoch des eigenenirdischen Wohles wegen sorglichst alles hintanzuhalten trachten, was einem das bißchenLeben verbittern und unangenehm machen kann; alles andere ist Fabel und Schimäre. Werdas Leben aber für etwas Höheres ansieht, der betrügt sich nur selbst.[151,05] Diese Ansicht stelle ich aber nicht als eine in der Natur der Dingebegründete Sache, sondern nur als Folge auf, da nahezu ein jeder Mensch, der fix irgendeinerWeltnarrenkaste angehört, zu dieser Ansicht gelangen und sich endlich ganz hineinleben muß,weil er nicht anders denken, reden und handeln darf, als wie es ihm die stereotypenKastengesetze vorschreiben. Ich kann ein oder tausend Male allerhellst überzeugt sein, daß essich mit dem Nazaräer gerade so verhält, wie dein hoher Mund es mir ehedem bekanntgemacht hat; was nützt mir das dann? Solange ich ein geschworenes Mitglied der Kaste bin,bleibt mir doch sicher nichts übrig, als mit ihr aus vollem Halse zu heulen: ,Nieder mit ihm!Denn er ist ein Gefährder unseres Institutes und beschränkt dessen notwendige Einkünfte!‘[151,06] Ich kann mir, ganz bei mir heimlichst, freilich denken: ,Die Gesamtkastewill es und hat durchs Los dich zu ihrem Werkzeuge gemacht! Und so ziehe ich denn auchaus und handle blind nach den erhaltenen Vorschriften, über die hinaus oder unter die ichnichts irgend nach meiner Privatansicht unternehmen kann und darf!‘ Ferner denke ich miraber noch geheimer: ,Ist an dem zu Verfolgenden etwa im Ernste etwas, so wird er mit unsbald fertig werden, und wir werden als die Besiegten unsere geweihten Gemächer wohl kaummehr zu sehen bekommen; ist aber weiter nichts an ihm als eine neue Maulmacherei, wie sieuns schon tausend Male vorgekommen ist, dann ist er ganz gut weg, wenn man seiner nurhabhaft werden kann! Denn was bezweckt er? Nichts als die Gründung eines neuen undvielleicht noch ärgeren Kastentums!‘[151,07] Oh, im Anfange sieht alles gar so göttlich aus! Sehen wir an das LebenAbrahams und seiner ersten Nachkommen! Man sieht die Gottheit mit ihnen gar oft sichtbarumgehen und sie den Weg der Gerechten führen, – nota bene, wir waren freilich nicht dabei!Aber zu der Zeit Mosis, – wie haben da die Kinder Abrahams ausgesehen! Moses war wiedereinmal einer, der die alten Weisen Ägyptens ganz gehörig durchstudiert haben muß! Er war inalle Schwächen des ägyptischen Hofes eingeweiht, hatte wahrscheinlich den Durstbekommen, selbst Herrscher dieses Reiches zu werden und räumte sich zu dem Behufe dielegitimen Prinzen des Pharao aus dem Wege.[151,08] Der erste Plan mißlang. Er ergriff die Flucht und ersann einen andern Plan,um sein stammverwandtes, aber sonst unters Tierreich gesunkenes Volk durch geheimePropagandisten gegen den von der Wollust entmannten Pharao gehörig aufzustacheln. Als ererfuhr, daß sein Volk schlagfertig dastehe, da kam er selbst, mit großer Zaubermachtausgerüstet, und fing an, dem Könige zu diktieren. Seinem Volke aber, das vielleicht noch soeinen Dunst hatte von den früheren divinativen (göttlichen) Zuständen der Altpatriarchen,stellte er sich als einen Sendling Jehovas vor, machte ihnen allerlei dem Volke gar leichtbegreiflich unbegreifliche Wunder vor, und so folgte ihm das Volk wie die Schafherden demLeithammel.[151,09] Er wußte um die Eigenschaft des Meeres gar wohl, daß es täglich zweimalsteige und wieder falle. Er hat den möglichen Durchgangspunkt lange vorher ausgespäht. Nurkaum zwei mäßige Stunden Weges ist die ganze Bucht breit. Zur Zeit des Niederstands desMeeres wird in der Mitte durch die Bucht ein über eine Stunde Weges breiter, festerSteinboden stets und gut auf drei Stunden Dauer vollkommen von Wasser frei und dient denReisenden, wenn das Meer von keinem Sturme bewegt wird, als eine beste Übergangsbrücke.Schnellen Schrittes kann man ihn sogar in etwa einer starken Stunde Dauer durchmachen undbefindet sich also auf dem kürzesten Wege gleich in der arabischen Wüste, die man sonst zuLande, da sich das Meer über dieses Riff noch mehrere Stunden weit ausbreitet und ziemlichtief ist, kaum in vier bis sechs Tagen erreicht.[151,10] Moses berechnete das sehr klug, da er, wie sonst niemand von PharaosHofe, eine ganz gediegene Territorialkenntnis besaß. Er führte seine Massen schnellsten

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Schrittes über das Riff in die arabische Wüste und allerschroffsten Gebirgsgegenden, indenen, außer seinen Schwiegereltern etwa, wohl niemand etwas besaß. Ihm war darum dieseGegend und deren andere naturwunderlichen Eigenschaften, die unser Prophet sicher zubenutzen verstand, wohl sicher bekannt.[151,11] Aber lassen wir nun das und sehen uns noch ein wenig nach den übers Meerziehenden Israeliten um, und wir sehen sie wie auf den Flügeln des Windes gerade den Wegvollenden, als Pharao, nun von Wut und Grimm entbrannt, seinem Heer auf demselben Wegeden Israeliten nachzustürmen befiehlt. Wäre Pharao früher gekommen, so wäre unser guterMoses sicher nicht mit ganz heiler Haut davongekommen; aber seine Saumseligkeit und dieWegräumung der mannigfachsten Hindernisse haben sein Heer aufgehalten. Moses bekameinen bedeutenden Vorsprung und entkam seinem ihm nachsetzenden Feinde ganz glücklich.Als nun Pharao, dem Moses durch dasselbe Riff nachjagend, kaum eben des besagten RiffesMitte erreichte, da fing das Meer wie gewöhnlich an, sehr rasch zu steigen und seine Wogenüber des Pharao Heer zu treiben, und dieses fand da leicht begreiflich seinen sichernUntergang in den Fluten.“

152. Kapitel[152,01] Hier unterbrach Cyrenius den Erzähler und sagte zu ihm: „Gar so dumm,wie ich anfänglich glaubte, bist du wohl mitnichten; aber weil du die Sachen denn gar so gutganz aus der Natur heraus zu verstehen scheinst, so möchte ich denn doch von dir erfahren,wie du mir die bekannte Erscheinung aus der Bundeslade, und zwar deren tägliche Rauchundderen nächtliche Feuersäule, erklären wirst. Wie entstand denn hernach diese auf deinemso ganz natürlichen und wunderlosen Wege?“[152,02] Spricht der Pharisäer ganz leichten Gemütes: „Hoher Gebieter! Nur einenkleinen Blick in die alte Kriegführung gemacht, – und die berühmte und so sehr vergöttlichteBundeslade ist fertig! Der Kasten selbst war nach der altägyptischen Art einwohlkonstruiertes, Elektrizität im größten Maße erzeugendes Instrument. Hinter dem höchstkomplizierten Kasten waren eherne Karren zum Rauchmachen. Man füllte sie mit allerleistark rauchenden und zumeist aber auch sehr stinkenden Sachen, wie Federn, Haaren vonallerlei Tieren und auch Menschen, bestreute solche Rauchingredienzien mit Schwefel, Pechund Salniter (Salpeter) und zündete dann einen solchen Karren an. Das gab einendickmächtigen Rauch, der in kurzer Zeit hinter sich, besonders bei einem schnellenKarrenzuge, den Weg, einem dichten Nebel gleich, verhüllte und dem nachziehenden Feindedie Aussicht auf die Wendungen und Stellungen des verfolgten Heeres benahm, zugleich aberauch, als den Kamelen, Pferden und Elefanten zu unausstehlich widrig, diese Kriegstiere zurUmkehr und zum Rückzuge brachte, was für den verfolgenden Feind sicher keinewünschenswerte Sache war. Daß hinter einem flüchtigen Heere oft mehrere der nunbeschriebenen Karren gezogen wurden, läßt sich wohl von selbst denken. – Da wäre nun imwahren Bilde die so wundervolle und gar überheilige Bundeslade Mosis, und ich kann zu dir,allerhöchster Gebieter, auch mit gutem Gewissen sagen: SAPIENTI PAUCA!“[152,03] Sagt Cyrenius: „Gut, lassen wir also das! Wie aber erklärst du mir dann denEinsturz der Mauern der alten, großen Stadt Jericho? Die Bundeslade ward herumgetragen umdie Mauern der Stadt, begleitet von den mächtig schallenden Posaunen nach der Art, wie sieschon bei den alten Ägyptern in den Tempeln üblich waren, und ich glaube, schon beimdritten Umzuge stürzten die Mauern wie Brei zusammen. Wie war denn das möglich? DerSchall von einer Million Posaunen hätte das für sich wohl nimmer zu bewirken vermocht!Erkläre mir denn auch das auf deine natürliche Weise!“[152,04] Sagt der Pharisäer, einen hübsch lauten Lacher voranschickend: „Na, daswird etwa doch mit den Händen zu greifen sein! Man erzählt sich von den alten Ägyptern mitder größten Bestimmtheit, daß sie mittels der rechten Benutzung der Elektrizität die Schiffeder Feinde zertrümmerten und verbrannten. Hier sehen wir die gewisse Lade mehrere Maleum Jerichos Mauern wandern, – und Josua wird es wohl der Wahrheit nach gewußt haben,warum er das getan hat! Er muß mit der Behandlung und Wirkung der Lade sehr vertrautgewesen sein! Ich meine da auch wieder: Sapienti pauca!“

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[152,05] Sagt Cyrenius: „Ja, die Sache läßt sich hören; aber so die Lade nichts als soeine pure Elektrizitätsmaschine war, so müßte sie ja noch heutzutage das sein!? Warum machtsie denn heutzutage nicht dieselbe Wirkung?“[152,06] Sagt der Pharisäer: „Nun, davon wird der Grund wohl etwa doch auch einsehr begreiflicher sein? Besehen wir uns ein Haus, das ungefähr tausend Jahre Alters zählt,oder ein Schiff, oder einen Rock; der wird von solch einem Alter wohl etwa auch ein schonsehr stark anderes Aussehen haben! Sogar Steine verwittern oft in tausend Jahren sehrmerklich, – um wieviel mehr ein altes Holz und die unedleren Metalle, als etwa das Kupferund das Eisen; sogar dem Golde kennt man tausend Jahre recht gut an![152,07] Wir sind noch im Besitze der alten, kunstvollen Lade, die aber mit der Zeitschon derart schadhaft geworden ist, daß sie von der ursprünglichen wirkungmachendenEinrichtung ebensoviel mehr besitzt wie ein Greisenmund der gesunden Zähne, die er schonlange losgeworden ist. Zudem haben die Babylonier ganz gut verstanden, den Tempel samtder Lade zu plündern. Wir aber verstehen es nicht, wie die Lade einst eingerichtet war. DerForm nach haben wir wohl eine ganz gleiche anfertigen lassen; aber die Wirkung der altenkann sie unmöglich haben, weil ihr die erforderliche innere Einrichtung gänzlich mangelt undmangeln muß, weil in dieser Zeit bei uns wenigstens niemand mehr sie einzurichten versteht.– Ich meine, höchster Gebieter, daß ich mich auch darüber möglichst klar ausgedrückt habe!“[152,08] Sagt Cyrenius: „Ja, wenn denn aber also schon alles so gewisserart aufeinem feinen, frommen Betruge basiert ist, wie kannst denn hernach du mit deiner ganzkerngesunden Ansicht und Einsicht ein wohlkonditioniertes Mitglied solch einer Truganstaltverbleiben?“[152,09] Sagt der Pharisäer: „Das ist ja eben des Satans Kern! Weil man als noch einBlinder zum Mitgliede der Kaste geworden ist! Als ein Sehender hätte man sich etwa wohlschwerlich je dazu bekannt! Ist man aber nun schon einmal dabei und sieht, daß die ganzeWelt ein Narrenhaus ist, nun, so macht man denn notgedrungen einen Narren des liebenMagens wegen mit, wie auch der Heilsamkeit der gerne gesund sein wollenden Haut wegen!Eine Desertion wird bei unserer Kaste aus wohlweisen Gründen noch immer mit demkeineswegs angenehmen Tode der Steinigung ohne alle Nachsicht bestraft! – Ich meine, daßdiese Antwort auch sehr begreiflich und hinreichend verständig gegeben ist.“

153. Kapitel[153,01] Sagt Cyrenius: „Aus allem dem, was du mir nun erzählt und erörtert hast,geht aber auch klar hervor, daß du als ein frommer Gottesdiener noch nie an einen Gottgeglaubt hast; wie kann man aber ein sogar strenger Diener eines Wesens sein, das für euchgar nicht besteht?“[153,02] Sagt der Pharisäer: „Nun, das erklärt sich auch ganz leicht aus dem früherangeführten äußerst triftigen und für alle Zeiten gültigen Grunde! Was vermag ein noch sogewecktes Kind gegen die Macht und physische Stärke seiner Eltern und oft überdummenLehrer? Es muß sich fügen! Ich setze den Fall: Ihr Römer habt mit eurer unwiderstehlichenMacht uns unterjocht. Wer von uns konnte eurer Macht Widerstand leisten? Ihr hättet unsaber statt eurer sehr weisen und gerechten Gesetze zum Beispiel die dümmsten zur strengstenBeachtung auferlegt. Könnten wir Schwache etwas anderes tun, als sie ebenso genaubeachten, wie wir diese nunmaligen weisen beachten? Die äußere Macht wirkt mitunwiderstehlicher Kraft, und man muß sich ihren Anordnungen fügen. Auf dieser Erde ist janur alles ein Schein und kein wahres Sein.[153,03] Man sucht die Wahrheit, man sucht Gott. Wo und was aber ist da dieWahrheit, und wo und wer ist da Gott?! Jedes Volk erkennt und hat einen andern Gott undbestimmt danach die Sätze, die demselben Volke als eine heilige Wahrheit aufgetischtwerden. Sind sie darum etwa auch für uns eine Wahrheit? Wir lachen darüber und können garnicht begreifen, wie möglich ein Volk solch unlogisches, allerdümmstes Zeugzusammenglauben kann! Gehen wir aber zu jenem Volke und befragen es um das Urteil überunsern Glauben, so es vom selben etwas weiß, und es wird auch nicht begreifen, wie wir allesdas Unsrige glauben und halten können! Etwas Gutes für die Aufrechterhaltung der

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allgemeinen Ordnung liegt überall darin, – aber darum noch lange keine Wahrheit und nochweniger eine wirklich irgendwo seiende Gottheit![153,04] Dort die Sonne ist eine Wahrheit und die wirkende Gottheit für sich undauch für uns, obwohl wir uns bloß nur mit ihrem Scheine begnügen müssen, darum es auchetwa hier auf dieser Erde durchaus mehr einen Schein als irgendein wahres Sein gibt. Oderbewirkt hier etwa nicht alles der Sonne Schein? Alles, was da ist, entsproß durch desSonnenlichtes Schein und seine wunderbare Wärme, und solange es besteht, besteht und lebtes durch den Schein der wirklich allmächtigen Sonne; denn es wird von einer Seite her stetszur Hälfte beschienen, die andere Hälfte hat den Schatten.[153,05] Am Firmamente prangt in großer Majestät also die wirkliche Lichtsonne alsvollkommene Wahrheit. Die Erde und alles auf ihr ist ein Werk ihres Lichtes oder Scheines,also schon selbst mehr Schein als Sein. Hinter dem Scheinsein der ganzen Erde und allerDinge befindet sich unvertilgbar der Schatten als eine komplette Lüge; und gerade derSchatten ist es, den alle Wanderer suchen und meistens lieben, und der Schlaf unter demallgemeinen Schatten der Erde, den wir ,Nacht‘ zu nennen pflegen, ist und bleibt nach desTages Arbeiten und Mühen die größte, stärkendste und angenehmste Erquickung des Lebens![153,06] Und darum scheint es mir auch, daß die Menschen unter der Herrschaft dermöglich reinsten Wahrheit moralisch genommen ebensowenig bestehen könnten wie ihrleibliches Wesen ohne Schlaf. Was alsonach der Schlaf dem Leibe ist, das ist einewohlkonditionierte Lüge dem ganzen moralischen Menschen Und da kommt es dann freilichnicht darauf an, was für eine Gestalt eine Lüge haben soll! Verschafft sie dem moralischenMenschen nur die gewisse befriedigende und sehr erquickliche Hoffnungsruhe und einehalbbeschienene und leicht annehmbare Zuversicht, so ist die Lüge gut, und die reinsteWahrheit kann zu ihr ums Brot betteln gehen.[153,07] Solange Menschen auf der Erde wohnen, war es so; jetzt ist es auch so undwird auch so bleiben bis an ein mögliches Ende aller Zeiten. Die Menschen werden gleichfortdie Wahrheit suchen, aber dabei aus der Schüssel der Lüge essen und leben. Stets wird esunter den gar vielen dummen Menschen auch Weise geben, die den Menschen ein Licht derWahrheit vorhalten werden. Aber je heller sie die Menschen immer nur auf der einen Seitebeleuchten werden, desto bestimmter und ausgeprägter wird sich hinter den von vorne hellsterleuchteten Menschen der Schatten als stete Folge des Lichtes ausnehmen lassen![153,08] Wie aber das Licht stets auch den Schatten bewirkt, ebenso bewirkt diereinste Wahrheit auch stets die vollkommenste Lüge. Denn ohne Wahrheit gäbe es ja auchkeine Lüge und ohne Lüge nicht leichtlich eine Wahrheit. Jede Wahrheit aber birgt jawenigstens die Fähigkeit in sich, eine Lüge zu erzeugen, so wie das Licht den Schatten. Wasnun von beiden das Bessere ist für den Menschen, darüber richte ein jeder Mensch eine Fragean sich, aber treu und offen und sich nichts verhehlend! Ein gerechter Richter richtet denLügner und Betrüger nach dem Gesetze und lebt von seinem Amte; wo aber ist derjenige, dermir für allgemein begreiflich machen kann, daß das Gesetz selbst eine Wahrheit ist? Es ist einangenommener und sanktionierter Satz, hier so, an einem andern Orte anders! Wo ist da dieWahrheit, wo eine Lüge die andere straft? – Ich meine auch hier wieder: Sapienti pauca!“[153,09] Mit dem hatte Cyrenius vorderhand genug, ließ die Pharisäer abtreten undsagte zu Mir: „Nein, hörest Du? – So etwas ist mir noch nie vorgekommen! Roklus hat auchzu reden verstanden in seiner rein vernünftigen Sphäre; aber ich bin ihm in meinem Innernstets Meister geblieben. Dieser Pharisäer aber hat mich nun so eingerahmt, daß ich ihm daraufgar nichts einzuwenden vermag! Ich habe mir die Pharisäer stets um sehr vieles dümmervorgestellt; aber der hat es mir bewiesen, daß sie gar nicht dumm sind! – Was soll aber nunmit ihm unternommen werden?“

154. Kapitel[154,01] Sage Ich: „Laß dir aber nun von ihm Meine Wunder erklären, und du wirstdich überzeugen, daß er sie dir ebenso natürlich zu erklären wissen wird wie jene des Moses!Darauf erst werden wir ihm zeigen, in welch einer großen Irre er sich befindet. Rufe ihnzurück und tue das; denn das ist ein Saftiger!“

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[154,02] Cyrenius tat schnellst, was Ich ihm angeraten hatte, und die Gesellschaft derPharisäer kam tiefst gebeugt vor Ehrfurcht vor den Oberstatthalter, und der das Wort führendePharisäer fragte in tiefster Gebeugtheit, was sie nun etwa nach seinem hohen Ratschlusse zugewärtigen hätten.[154,03] Sagt Cyrenius: „Nichts anderes, als daß wir also weiter die Sache desGöttertums, des Menschenglaubens, der Propheterei und der dabei doch oft vorkommendenWundertätigkeiten nach deiner mir stets mehr einleuchtenden Weise verfolgen werden; dennKlarheit muß mir werden, entweder so oder so![154,04] Du hast mir vorhin die Geschichte von Moses und den alten Wundernwahrlich sehr begreiflich gemacht, und ich kann mir nun schon eher die Erscheinungen nachdeiner Erklärung als wahr denken denn nach irgendeiner andern. Natürlich hat das des Volkeswegen streng unter uns zu verbleiben! Aber sieh, trotz deiner Erklärung drückt es mich wieeine schwere Sorge und Verantwortung! Das, was ich hier wahrlich auf die wundersamsteWeise von der Welt mit meinen höchst eigenen Augen gesehen und vernommen habe, füralles das stehen hier Zeugen beinahe von allen Weltgegenden: Heiden und Juden, Essäer, derSkythenkönig Ouran mit seinem Gefolge, selbst an Persern fehlt es nicht, – lauter Autoritätenersten Weisheitsranges, wie in dieser Zeit nun die Weisheit vertreten ist.[154,05] Betrachte dies herrliche Badehaus und erst seine innere, überköstliche undunschätzbare Einrichtung, den Garten mit der weithin gehenden Einfassungs- undSchutzmauer! Betrachte die herrlichen Früchte im Garten von allen edelsten Arten undGattungen! Es strotzt alles vor Üppigkeit, und viele Früchte stehen schon vollreif da.Betrachte ferner die herrlichen Wasserquellen, wie sie nicht leichtlich irgend besser bestehen!Dann führe deine Augen ans Meer! Betrachte den Hafen und seine in den tiefen Grund desSees hinabreichende überaus feste Schutzmauer, die fünf herrlichen Schiffe, die Sperrkette!Danach sieh nach der Stelle hin, wo ehedem der große, den Schiffern oft sehr gefährliche Felsgestanden ist! Sieh, keine Spur mehr davon bis in die tiefste Tiefe hinab![154,06] Sieh dort weit übers Meer in die Gegend von Genezareth! Hat dort nichteinmal erst vor ein paar oder längstens vier Wochen ein furchtbar hoher Fels gestanden, derseine senkrechten Wände tief ins Wasser hinabstreckte und dessen Scheitel früher wohl nievon einem Sterblichen betreten ward? Jahrtausende zogen an seiner trotzigen Stirn vorüber,und der Zeiten Zahn vermochte an seinen Granitmassen nichts auszurichten. Aber vor derfrüher benannten Frist von etwa vier Wochen kam eben der von euch verfolgte Prophet ausNazareth dahin und verrichtete dort nebst vielen andern Wunderwerken auch das, daß Erjenen Felsberg also sanft und besteigbar gestaltete, daß er nun von allen Seiten ohne alleGefahr sogar von Kindern mit der größten Leichtigkeit bestiegen werden kann.[154,07] Wer kannte nicht die höchst ungesunde Fiebergegend von Genezareth?Alles litt an einem das Leben verzehrenden Fieber, besonders die Fremden, die nicht seltensiechend dort jahrelang zubringen mußten, um durch die Angewöhnung des Klimas zu so vielGesundheit zu gelangen, um dann weiterreisen zu können. Selbst unsere Soldaten vonkerngesundester und festester Art wurden dort oft sterbenskrank und füllten dieKrankenhäuser. Der Prophet aus Nazareth kam hin, segnete die Gegend, und nun ist sie eineder gesündesten von ganz Galiläa, und alle die Kranken wurden im Augenblick gesund.[154,08] Nun, das sind Tatsachen, die vor unseren Augen geschahen, und uns kannwahrlich niemand beschuldigen, als wären wir leichtgläubige Menschen, denen ein jederGaukler aus Ägypten, Indien oder Persien seine Wunder als eine bare Münze anbinden kann.Da ist es, wo einem aller Verstand stillestehen bleibt. Ich lasse es gelten, daß sich alle die aufMoses Bezug habenden Dinge auf eine ganz natürliche Weise erklären lassen; denn fürs erstetragen sie – so bei deinem Lichte betrachtet – wohl ziemlich stark das Gepräge derNatürlichkeit, und fürs zweite haben wir außer den schwerverständlichen Büchern, die vonseiner Hand herrühren sollen, keine anderen Zeugen, die uns davon irgend bessere Datenangeben könnten. Die griechischen Chronisten wissen wenig oder nichts davon.[154,09] Sei ihm nun aber schon, wie ihm wolle; lassen wir das lange Vergangeneund beschäftigen wir uns nun mit dieser überaus großartigst wunderbar glänzende Gegenwart!Wie möchtest du mir denn nun diese neuen Wunder erklären? Wahrlich, ich will dich

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überköniglich belohnen und auszeichnen, so du mir da auf eine gleiche Weise aus meinemdivinativen Traume zu helfen vermagst, und ich verspreche dir sogar meinen tätigstenBeistand zur Verfolgung und Vernichtung deines berüchtigten Propheten!“

155. Kapitel[155,01] Sagt der Pharisäer: „Wann war dieser Nazaräer hier, und wie lange hat ersich allda aufgehalten, und ist er schon früher einmal dagewesen?“[155,02] Hinter dem Cyrenius stand auch der alte Markus und nahm das Wort,sagend: „Dieser göttliche Mann war früher niemals je in dieser Gegend, kam mit Seinenetwelchen Jüngern erst vor etwa acht Tagen hierher und brachte nichts als allein Seinenallmächtigen Willen mit, und Seine Jünger waren stets wie Lämmer um Ihn.[155,03] Das erste Wunder aber war, daß Er mir befahl, alle meine ziemlich vielenWeinschläuche mit Wasser zu füllen, was ich denn auch sobald durch meine Kinder tun ließ.Und siehe da, kaum waren die Schläuche gefüllt, so war das Wasser, wie es der See enthält,auch schon in den allerköstlichsten Wein umgewandelt! Hier ist noch ein voller Becher ebendes wunderbaren Weines! Verkoste ihn und gib dann dein Urteil ab!“[155,04] Der Pharisäer nahm den Becher, kostete den Wein beinahe bis zum Bodendes Bechers aus und sagte: „Wahrlich, einen bessern Wein habe ich noch nie über meineZunge gelassen! Ist deine Aussage, du alter Krieger, aber auch wohlverläßlich wahr?“[155,05] Sagt Markus: „Wer mich kennt, wird wissen, daß meine Zunge noch niedurch eine Lüge verunreinigt worden ist. Wer aber da noch fragt, dessen Glaube ist nochimmerhin kein starker. Um dir aber ein wenig die Sache näherzubringen und deinem buntenNaturverstande einen Stoß zu versetzen, ersuche ich dich, mit mir an den See mit diesem ganzleeren Kruge zu gehen und ihn selbst mit Wasser zu füllen, und ich stehe dir dafür, daß dernoch unter uns weilende Prophet bloß durch Seinen Willen das Wasser augenblicklich in denWein verkehren wird! Oder sollte es dich bedünken, daß etwa der Krug schon also zu demBehufe präpariert wäre, so nimm eines deiner Gefäße und gehe hin an den See, schöpfe dortdas Wasser an einer beliebigen Stelle, und wie es im Gefäße sein wird, so wird es auch in denWein, wie du ihn nun verkostet hast, in einem Augenblicke umgewandelt werden! So ichlüge, da soll dies neue Haus samt dem Garten und samt allen meinen übrigen großen Schätzenvöllig zu deinem Eigentume werden!“[155,06] Hier zog der Pharisäer einen Goldbecher aus einem Rocksacke und sagte:„Ich werde es sehen. So das Seewasser darin zu solchem Weine wird, dann gehört dieserkostbare Becher dir!“[155,07] Mit diesen Worten eilte der Pharisäer samt seinen Gefährten hinaus an denSee und schöpfte Wasser, und das Wasser im Becher ward stets zu Wein.[155,08] Als sich auch alle die Gefährten überzeugt hatten von dieser großen undwunderbarsten Wahrheit, da eilten sie, sich hoch verwundernd, wieder zum alten Markus hin,und der Pharisäer sagte: „Da, nimm den Becher; denn du hast die Wette gewonnen! Ja, dableibt nun wahrlich auch mir der Verstand stecken! Was soll ich nun dazu sagen? Da geht esnicht mit natürlichen Dingen zu! Es ist sehr merkwürdig: Nicht nur der Geschmack, sondernauch der Geist des Weines war im reichlichen Maße dabei, so daß wir alle beinahe berauschtworden wären! Da kann wahrlich nichts anderes wirken als der Wille des Nazaräers, und esdient uns das als ein Beweis, daß im Ernste auch seine anderen Wunderwerke auf dieselbeWeise zustande gebracht wurden![155,09] Wenn man die immerwährende Natürlichkeit der Erscheinungen auf dieserErde vor sich hat und von einem Wunder – außer den persischen Gaukeleien und dengeschriebenen, die aber stets in einen großen Mystizismus verhüllt sind – in seinem ganzenLeben selbst nie etwas zu Gesichte bekommen hat, so wird einem am Ende sogar dasordentlich unglaubbar, was man am Ende nun selbst wirklich und ungezweifelt erlebt hat.[155,10] Aber was nützet da auch dieses alles, so man den Grund davon nichteinsehen kann? Ja, höchster Gebieter, bei diesen Erscheinungen, die zweifelsohne sich alsoverhalten, hört alles natürliche Erklären auf! Denn das ist wahrhaft ein Wunder! Dieses kannebensowenig je natürlich erklärt werden wie die Schöpfung der Welt aus einem für unsere

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Begriffe und Wahrnehmungen ursprünglichen Nichts. Die ganze Schöpfung ist demnachnichts anderes als ein fixierter Wille der göttlichen Urkraft und des Urseins alles Seins.“

156. Kapitel[156,01] Sagt nun wieder Cyrenius: „Ganz gut, ich bin mit euch vorderhand auchalso zufriedengestellt, und wir haben also dabei zu verbleiben; aber es ergibt sich nun eineandere Frage, und diese besteht darin: Weil diese Werke hier nun einmal unfehlbar ganzbestimmt allerpurste Wunder sind und Moses und die vielen andern Seher und Prophetendiesen Mann, der nun vor uns solche nie erhörten Dinge wirkt, genau zum voraus beschriebenund derart haarklein gezeichnet haben, daß es nicht möglich ist, anzunehmen, sie hätten nochirgendeinen andern meinen können, so kommt es wenigstens mir vor, daß ihreentsprechungsvollen Vorhandlungen denn doch wunderbarer Art sein mochten! Daß dabeiauch so manches Natürliche benutzt wurde, läßt sich nicht in Abrede stellen; aber im ganzenwar denn doch das meiste sicher ein großes Wunder, das ebenfalls, so wie diese Wunder hier,nur durch den allmächtigen Willen Gottes, der als Gottes Geist durch den Menschen sichoffenbarte, bewirkt wurde. Das ist so meine Meinung. – Was ist da die deinige?“[156,02] Sagt der Pharisäer: „Nun ja, wenn die Sachen sich also verhalten, dann läßtsich gegen diese deine hohe Meinung meines Wissens eben nicht vieles einwenden; nur daseinzige läßt sich dabei schwer oder gar nicht begreifen: warum denn Gott, so Er irgend einerist, die Menschheit eine geraume Zeit hindurch stets gar so tief sinken läßt und endlich erstwieder einmal einen Seher und Propheten erweckt, der die ganz erblindete Menschheit wiederein wenig sehend zu machen hat, aber dabei am Ende selbst ein Opfer entfesselter wilderLeidenschaften der entarteten Menschheit wird. Gott verleiht dem Propheten wohl unfehlbareWunderkräfte, an denen ich nun nicht mehr zweifeln kann; am Ende aber unterliegt derProphet gewöhnlich dennoch der rohen Faustmacht der Menschen. Beinahe die meisten mirbekannten Propheten wurden am Ende gewaltsam ums irdische Leben gebracht. Warumschützte sie denn da der allmächtige Geist Gottes nicht?[156,03] Ich will aber damit der Gottheit keinen Vorwurf machen und sagen: ,Es warnicht klug, so einen vom Geiste Gottes erfüllten Menschen in der rohen, allermateriellstenGewalt der Menschen irdisch untergehen zu lassen!‘; aber es war seine Erweckung dadurcheine sehr beeinträchtigte im Angesichte der stets selbstsüchtigen Menschheit. Denn es istoffenbar höchst sonderbar anzusehen, wie ein Mensch, der ehedem durch den bloßen Willenganze Berge zu versetzen imstande war, in kurzer Zeit von Menschen gefesselt, in einenKerker geworfen und wenige Tage oder Wochen darauf auf eine oft allerempörendste Weiseums Leben gebracht wird. Dadurch werden seine innigsten Anhänger und Verehrer dannselbst entmutigt und kehren vielfach zu ihrer alten, aber wenigstens die irdischeLebenssicherheit verbürgenden Dummheit zurück.[156,04] Wie lange ist's denn her, daß ein gewisser Johannes in der Wüste am Jordanallerlei wahrhaft große Zeichen zur Zeugenschaft seiner Gottbegeisterung ablegte?! Herodesließ ihn gefangennehmen und bald darauf allerweidlichst und schnödest im Kerker ganzgeheim enthaupten. Er zählte wahrlich schon eine Masse Jünger, und viele Tausende habensich zum Zeugnisse der Annahme seiner wahrlich ganz reinen Lehre von ihm im Jordantaufen lassen; denn er hatte durch beinahe ganz Galiläa und Judäa am Jordan seinen Streifzuggemacht. Als aber dann seine vielen Anhänger erfuhren, was mit ihrem Meister geschehenwar, da wurden sie voll Angst und Furcht und ließen es ja nicht leichtlich merken, daß sievom Johannes die Wassertaufe genommen hatten; denn sie fürchteten, das traurige Schicksalihres Meisters ganz unvermutet irgend teilen zu müssen. Dies einzige finde ich mit meinemVerstande, der bis jetzt durchaus noch nie vernagelt war, im Ernste etwas unkonsequent, undes schaut da zum Wohle der Menschheit wenig Klugheit und ein nach unseren Begriffen vielzu wenig guter Wille heraus.[156,05] Unter der unsichtbaren Herrschaft eines blinden Fatums der Heiden läßt sichso etwas ganz gut denken, – doch sehr schwer unter der Herrschaft eines allweisen, allgütigen,allgerechten und allmächtigen Gottes! Das war auch zumeist der Grund, warum ich bei mirselbst ganz von dem Glauben an einen Gott abgegangen bin. Ein wahrer Prophet sollte bis zu

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seinem Ende eine nie besiegbare Verteidigungsfähigkeit innehaben, gegen die alle Mächteund Gewalten der Erde nichts auszurichten vermögend sein sollten, – dann würde sich darausdas wahre, göttliche Element schon für alle Zeiten wohl erkennen und auch behalten lassen;aber so nehmen irdisch die meisten Seher und Propheten ein übles Ende und verdächtigendadurch wieder alles das Göttliche, was sie ehedem ausgesäet haben. So durfte Moses selbstnicht das Gelobte Land betreten, und um seinen Leib mußte der Erzengel Michael mit demSatan drei volle Tage kämpfen und am Ende noch sieglos abziehen. Ja, wozu denn das?Warum muß denn das böse Prinzip auf dieser Erde nahe allzeit den Sieg über das gute Prinzipdavontragen?[156,06] Wir sagen – und eben mit Recht –: Die sämtliche Menschheit, oder diemoralische Welt, liegt im argen und ist böse. Aber forschen wir nur nach dem Grunde, undwir werden ihn ungefähr in dem finden, was ich soeben aufgestellt habe! Wir Menschenkönnen da tun, was wir nur immer wollen, so werden wir weder uns selbst noch die andernbessern; denn da halten uns die Mächte der Welt stets in den Schranken, und überall heißt es:,Nur bis daher, – dann aber auch keine Handbreit mehr weiter!‘ Wir dürfen weder forschennoch grübeln. Das eherne Gesetz zwingt alle Köpfe unter einen Hut. Wer sich da zu rührenwagt, der ist für die Welt verloren; ob er aber dadurch für eine andere Welt gewonnen ist?Nun, davon haben wir noch um vieles weniger irgendeine überzeugende Gewißheit als vondem, was nach uns in hundert Jahren mit den Menschen geschehen wird![156,07] Wahre Seher und Propheten allein könnten diesem Übel abhelfen. DieMenschen würden dadurch die nie besiegbare Kraft und Macht Gottes stets vor Augen haben,den wahren Glauben behalten und dadurch ordentliche, gute Menschen sein. Aber so wird vonZeit zu Zeit wohl hie und da, wenn die Menschen vorher schon unter das Tierreichherabgesunken sind, ein Prophet erweckt, der eine Zeitlang weise Lehren predigt und durchallerlei erstaunliche Wunderkraft den Menschen für die Göttlichkeit seiner Sendung einvollgültiges Zeugnis ablegt; aber wie lange dauert das?[156,08] Weil ihm die nach Gott und Wahrheit lechzenden Menschen in großenMengen zuströmen, so werden die alten Orakel und höchst materiell-egoistischenPriesterkasten, weil sie Verrat ihrer falschen Sache und eine gewaltige Schmälerung ihresAnsehens und ihrer großen Einkünfte befürchten, ergrimmt eifersüchtig und fangen an, denPropheten zu verfolgen. Eine Zeitlang richten sie nichts gegen ihn aus, weil er sie mit der ihmeigenen göttlichen Kraft in den Staub zurückdrängt.[156,09] Aber in einigen Jahren, wenn er schon viele Tausende sehend gemacht hat,zieht sich die göttliche Kraft von ihm zurück, und er wird zur Beute der gemeinstenmenschlichen Rache! Da stehen dann seine Bekehrten voll Furcht da, wissen nicht wo aus undwo ein und wohin. Angst, Furcht, Schrecken und Zweifel ergreift die Jünger, so sie ihrer nichtgar viele sind; bilden sie aber schon ein förmliches Heer, so gibt es dann gewöhnlich einenallergrausamsten Glaubens- und Meinungskrieg, der eher kein Ende nimmt, als bis eine Parteidie andere ganz aufgezehrt hat.[156,10] Nun frage ich aber und sage: So man als ein erfahrener und vernünftigdenkender Mensch solche Dinge und solch ein Treiben nüchtern betrachtet, kann man dabeiund dadurch zu einem lebendigen Glauben an einen Gott gelangen?! Oder muß man sich nichtvielmehr denken: ,Sieh, lauter Menschenwerk!‘?! Gott aber ist ein ewig Ferner und keinNaher nach den Worten der Schrift! – Habe ich recht oder nicht?“[156,11] Sagt Cyrenius: „In der Art, wie du zu denken pflegst, dürfte deine Meinungso manches für sich haben, – aber bloß nur in der diesweltlichen, menschlichgesellschaftlichenBeziehung. Wir aber sind nun in die allerweisesten Pläne Gottes mit derMenschheit dieser Erde schon ein wenig tiefer eingeweiht und kennen das große göttlicheWarum! Ich kann dir darum nichts anderes sagen, als daß deine Meinung eine ganzgrundirrtümliche ist. Aber ich hoffe, daß auch du noch anders denken wirst. Nun aber gehemit deinen Gefährten wieder hin, und komme, wann du gerufen wirst! Besieh dir zuvor dieWunder, denke darüber nach, und es wird dir daraus klar werden, wie töricht und gewagtdeine Verfolgung des großen Meisters aus Nazareth war!“[156,12] Die Pharisäer verneigten sich tief und zogen sich gegen das neue Haus des

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Markus, um es zu besichtigen. Auf einen Wink von Mir begleitet sie Markus selbst ins neueWunderhaus, in den Garten und dann ans Meer, um ihnen alles zu zeigen und zu erklären.

157. Kapitel[157,01] Cyrenius aber sagt abermals zu Mir: „Herr, ich weiß zwar nun aus Deinemgöttlichen Munde, warum auf der Welt alles also ist und geschieht, und kenne nun Deinegöttlich weisesten Pläne in bezug auf die Erziehung der Menschen in allen Zeiten und in allenZonen dieser Erde; aber daneben muß ich dennoch ganz offen gestehen, daß irdischgenommen dieser Pharisäer im Grunde in seinen Ansichten recht viel für sich hat. Es ist daswahrlich von Alpha bis Omega keine Welt der Liebe und der Wahrheit, sondern eine rechtarge Welt voll Hasses und voll Lüge und Falschheit und Unrechts! Sie könnte aber wohl auchanders sein! Aber es ist einmal also und wird nie anders werden, und die Erde ist dazuverdammt, ein Haus des Jammers zu verbleiben, und ihre Menschenkinder müssen stetsverschmachten auf ihrem Boden! Aber es könnte ja anders sein!“[157,02] Sage Ich: „Ja, ja, es könnte wohl anders sein, so wie es auch auf zahllosvielen andern Weltkörpern anders ist; aber dann wäre eben diese Erde nicht ausersehen für dieZucht jener Menschen, die bestimmt und berufen sind, Meine Kinder zu werden![157,03] Kann die wahre, mächtige Liebe sich als solche je völlig erkennen unterMenschen, die selbst pur Liebe sind?! Welchen Probierstein soll man zur Übung in derGeduld, Demut und Sanftmut den schon von Geburt an mit aller Liebe erfüllten Menschengeben?![157,04] So Ich aber schon jedes Menschen Natur also gestellt hätte, daß er schonvon der Geburt an in der höchsten Vollendung ohne sein Zutun dastünde, welche Übung desLebens und Selbstfortschreitens wäre für ihn da wohl noch denkbar?![157,05] Zu welcher Tätigkeit könnten dann endlich solche Geister verwendetwerden? Ich sage es dir: Da wären ja die Bäume des Waldes und die Felsen der Gebirge in derzum freien Leben allerunentbehrlichsten Selbsttätigkeit ums gar Vielfachste bevorzugter alsein schon von der Geburt an in jeder Beziehung ganz vollendeter Mensch![157,06] Ein Mensch, der einmal physisch völlig ausgebildet wäre und stets einengedeckten Tisch mit allerlei der köstlichsten Speisen und Getränke vor sich hätte, daßalsonach bei ihm von einem Hunger oder Durste nie die Rede sein könnte, der dazu aber auchein allerherrlichstes Wohnzimmer hätte, nebstdem auch alle die vollendetstenGeistesfähigkeiten, alles bis ins kleinste Detail, das Nahe wie das Ferne zu schauen und zuvernehmen, wie auch zu genießen und sich allenthalben mit allem zu verständigen, und demnie irgendeine noch so kleine Unannehmlichkeit in die Quere kommen würde, ein solcherwürde wohl sicher kaum seine Ruhestätte einen Augenblick lang verlassen![157,07] Ich sage es dir: Solch einem Menschen würden selbst Meine größtenWunderwerke ebenso gleichgültig sein wie der Schnee, der zu Adams Zeiten die Berge mitdem Kleide der ewigen Unschuld umhüllte! Oder meinst du, daß Mir Selbst Meineunendlichste, ewige Lebensvollendung zu etwas frommte und Mir eine Seligkeit abgäbe?Wahrlich nicht![157,08] In dem zahllos vielen Mitwachsen in Meinen natürlich ebenso zahllosvielen unvollendeten Kindlein, in ihrem zunehmenden Erkennen und Vollkommenerwerdenund in ihrer daraus wachsenden Tätigkeit liegt auch Meine eigene höchste Seligkeit. IhreFreude über eine mühsam errungene, vollendetere Fähigkeit ist auch Meine stets jüngsteFreude, und Meine unendliche Vollkommenheit bekommt ja erst dadurch den unschätzbarstenWert, so sie von den noch unmündigen Kindlein stets mehr und mehr angestrebt wird undsich teilweise auch in ihnen unverkennbar wachsend zu erkennen gibt. Du verstehst Mich,was Ich dir damit sagen will?![157,09] Wäre es nicht also, meinst du, daß Ich je eine Welt und irgendein lebendesWesen auf ihr gestaltet hätte? Alles das war Mir schon von Ewigkeiten her ein unerläßlichesBedürfnis gewesen, ohne welches nie eine Erde erschaffen und mit allerlei Wesen belebtworden wäre.[157,10] Wie es also ist, so muß es bleiben! Ich bin nicht gekommen, um der Erde

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den Frieden und eine tote Ruhe, sondern das Schwert, den Kampf im höheren Tätigkeitsmaßezu geben. Denn erst dem Hasse gegenüber wird die Liebe zur wahren und lebendigenTatkraft, und der ruhige Tod muß fliehen vor ihr. Die die Menschheit verfolgende Not machtsie tätig, mit der Zeit geduldig, sanft und in Meinen Willen ergeben. Gäbe es keine Lüge mitihren bitteren Folgen, welchen Wert hätte da die Wahrheit für sich?! Wer zündet am Tagesich ein Licht an, und wer achtet den Wert einer brennenden Öllampe beim Lichte derSonne?!“

158. Kapitel[158,01] (Der Herr:) „Alles, was demnach als zugelassen einmal da ist, muß daseinals ein Triebkeil zum Besserwerden der Menschen. Jedes Werden aber setzt eine Tätigkeitvoraus und diese den Beweggrund und den Hebel, der aber natürlich der Art und Weise derTätigkeit allzeit völlig entsprechen muß.[158,02] Es ist demnach alles, was man als moralgesetzwidrig, also auch als arg undschlecht bezeichnet, nur als ein zugelassenes Hebelwerk zu betrachten, und dem Reinen istdemnach alles rein und gut. Dem Schwachen und Unreinen ist und muß es anders sein, weil ernoch so manches Tätigkeitshebels benötiget.[158,03] Als die Kinder Abrahams zu den Zeiten Mosis, Aarons, Josuas und nochunter den ersten Richtern sich einer sichtbaren Gottesführung, einer unbegrenzten Weisheitund dabei eines allergrößten irdischen Wohlstandes erfreuten, wurden sie träge gleich denPolypen und Austern im Meeresgrunde. Sie wurden von Mir aus durch den Mund derPropheten oft zur Tätigkeit und Wachsamkeit aufgemuntert und sogar aufgefordert; aber ihreAntwort war: ,Tun wir etwas, so können wir gar auch eine Sünde begehen, die dann all dasvon uns Gutgetane verzehrt; tun wir aber nichts, so können wir auch nicht sündigen undstehen dann als sündefrei gerecht vor Dir, o Herr!‘ – Also verphilosophierten sie sich stetsmehr und mehr in allerlei Trägheit hinein. Die Folge davon war eine zunehmende Not und mitder Weile die physische und endlich auch moralische Schwäche.[158,04] In solchem Zustande wandten sie sich dann gleichwohl wieder an Mich undgelobten Mir, in der rechten Lebensordnung tätig zu sein. Eine Zeitlang ging es auch wiederrecht gut und recht vorwärts; als sich aber da wieder, als eine Frucht der Tätigkeit, dergesegnete Wohlstand einstellte, da fing der alte Trägheitstanz gleich wieder von vorne an.Man war reich an allem und wollte glänzen und verlangte einen irdischen König als denRepräsentanten des physischen Reichtums und Wohlstandes.[158,05] Es wurde ihnen ein König gegeben und gesalbt. Aber auch der Vertragzwischen König und Volk blieb nicht unterm Wege; und so war das Übel, das das Volkverlangte und erhielt, wieder nichts anderes als ein fürs Volk schmerzlicher Hebel zur neuenund erhöhteren notgedrungenen Tätigkeit.[158,06] Als bald darauf der König samt dem Volke in eine Lethargie verfiel, war essogleich notwendig, ihm äußere, sehr drohend aussehende Feinde in den roh und mächtiggewordenen Philistern zu erwecken. Da ward Krieg und allerlei denselben begleitende Not insLand Meines Volkes gedrungen, weckte es, machte es tätig und dadurch stark.[158,07] In der großen Not und Bedrängnis fand es wieder den Weg zu Mir undnahm zu an Gnade, Weisheit und Wohlstand im kaum denkbaren Maße. Dieser aber bewirkteschon zu der Regierungszeit Salomos eine starke Abspannung der früheren Tätigkeit, und dasReich ging unter den ersten Nachkommen Salomos förmlich in Trümmer. Und so mußtedieses Volk stets durch allerlei Elend und Not in einem fort bedrängt werden, damit es sichnur in einiger Tätigkeit erhielt.[158,08] Es ist nun im allgemeinen abermals tief unter dem Tierreiche, besonders derPriester- und Lehrstand. Darum aber bin Ich Selbst im Fleische gekommen, um eben demträgsten Teile des Volkes die größte Verlegenheit und Verwirrung zu bereiten; und sie suchenMich darum auch zu fangen und zu töten, weil sie fürchten, durch Mein regstes Tun undTreiben ihres Faulbrotes los zu werden. Aber ihre Mühe ist natürlich eine vergebliche.[158,09] Es ist in ihnen der Keim zur völligsten Trägheit schon zu stark wurzelndgeworden. Daher muß das Trägheitsgefühl ihnen erst genommen werden, und sie müssen

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nach allen Winden sich zerstreuen und ein Wanderleben führen oder in den neuen, von Mirnun gegründeten Lebens- und Tätigkeitsbund treten, in dem niemand seine Hände wird imfaulen Schoße halten dürfen, um leben zu können.[158,10] Wer es nicht tun wird, der wird hungern und dürsten und in denwertlosesten und schmutzvollsten Lumpen, auf einen Bettelstab gestützt, einhergehen müssen,und man wird ihm hartherzig zurufen: ,Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen!‘ Denn einjeglicher Arbeiter ist seines Lohnes wert.[158,11] Oh, da wird sich dann schon ein jeder bestreben, so tätig als möglich zusein! Wird jemand aber dennoch irgend träge und faul, so wird er, zum Muster für vieleandere, die Zuchtrute sogleich zur Schau zu tragen anfangen.[158,12] Und Ich sage es dir: Jedes träg gewordene und verweichlichte Volk wird, sowie ein jeder Mensch für sich, die bleibende Zuchtrute über den Rücken zu tragen bekommenund für immer verlieren seinen Namen aus dem Buche des Lebens und seine Größe, Machtund Ansehen! Das wird die Menschen stets mehr und mehr stutzig machen und sie antreibenzu allerlei ordentlichen Taten, was gut sein wird. – Hast du dieses alles nun wohlverstanden?“

159. Kapitel[159,01] Sagt Cyrenius: „Jawohl, Herr und Meister von Ewigkeit; aber es fragt sichhier noch um eines, und dieses besteht darin: So die Menschen aber so recht tätig undarbeitsam werden in den mannigfachsten Zweigen des mit tausend Bedürfnissen versehenenLebens, da ist aber auch wohl einsichtlich, daß sie dadurch von den geistigen, in sich nurbeschaulichen Lebenswegen zu sehr in den puren Weltmaterialismus übergehen werden, undda wird von einer Wiedergeburt des Geistes wenig mehr die Rede sein.[159,02] Zugleich aber habe ich aus Deinem Munde die Lehre, derzufolge man sicheben nicht sorgen soll ums Fortkommen des irdischen Lebens nach der Art der Heiden,sondern man suche vor allem das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, – alles andere werdedann schon von selbst hinzukommen.[159,03] Wie verhält sich nun diese Lehre mit dieser Deiner neuen, nach der manstets alle Hände voll zu tun haben soll? Siehe, Herr, dieses kann ich in mir nicht so recht unterein und dasselbe Dach bringen! Es wäre demnach gut, so Du, o Herr, mir das ein wenigbegreiflicher machen möchtest.“[159,04] Sage Ich: „Noch haben wir eine und eine halbe Stunde Zeit, und Ich kanndir diese Frage wohl beanworten. Merke aber wohl auf das, was Ich dir hierüber in einemBilde sagen werde![159,05] Sieh, zwei Menschen gingen hin zu einem Meister einer überaus nützlichenund schönen Kunst! Der A tat das, um die Kunst zu erlernen, um sich durch sie mit der Zeitselbst sein Brot zu verdienen. Er lernte fleißig und hatte wohl acht auf alles, was zurHandhaftwerdung der Kunst erforderlich war, und war endlich über die Maßen froh, als ervom Meister ein Zeugnis erhielt, in welchem es geschrieben stand, daß er nun die Kunstvollends erlernt habe und nun selbst ein Meister sei. Es gab zwar wohl noch so mancheGeheimnisse in der Kunst, von denen er nichts wußte. Allein, das kümmerte ihn nun wenigmehr; denn er hatte nun das Zeugnis, durch das er zu gutem Brote ohne große Mühe gelangenwird und muß.[159,06] Der Beweggrund aber, der den B zum Meister trieb, war ein ganz andererund mußte daher bei selbem auch eine ganz andere Wirkung zur Folge haben. Dem B lag esnicht am Brote, an das er gar nicht dachte, sondern lediglich an der Kunst, um ihrer selbstwillen. Sein alles andere hintansetzendes Streben war nur, mit allen Geheimnissen der zuerlernenden Kunst auf das allerinnigste vertraut zu werden.[159,07] Der Meister aber, der da sah, daß es diesem Schüler durchaus nicht umsBrot, sondern pur um die volle Kenntnis der göttlichen Kunst zu tun war, hatte selbst einegroße Freude an diesem Schüler, nahm sich mit ihm alle Mühe und führte ihn gründlichst inalle möglichen Geheimnisse der Kunst ein. Und die Folge war, daß der B nachher als einvollendetster Meister der Kunst ein derartig unübertreffliches Kunstwerk zustande brachte,

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daß davon der Ruf und das Lob sogar zu den Ohren eines Königs kam und der König dannden Künstler berief, daß er auch ihm zeige sein Kunstwerk. Der Künstler tat das aber etwa janicht des anzuhoffenden Gewinnes wegen, sondern um dem König dadurch eine sicher rechtgroße Freude zu machen.[159,08] Als der König dann das große Kunstwerk zu sehen bekam und sich von derhohen Zwecklichkeit desselben überzeugte, da sagte er: ,Was willst du, großer Meister, daßich dir tun soll? Verlange einen Lohn von mir, und er soll dir nebst dem werden, daß du vonnun fortan ein Günstling meines Hofes verbleibst und dahier deine Kunst ausübst!‘[159,09] Und der Künstler sprach, tief gerührt von des Königs Gnade: ,Höchster Herrund weisester Herrscher und Gebieter! Deine Gnade und dein Wohlgefallen an diesemmeinem Kunstwerke sind mir schon der höchste Lohn! Denn nicht aus irgendeinerGewinnsucht, nicht einmal des täglichen Brotes wegen, sondern pur aus reiner Liebe zu dieserKunst habe ich sie mit allen meinen Kräften so recht in die Seele hinein erlernt und habe nuneben darum schon die höchste Freude und den höchsten Lohn, daß sie nun auch vor denAugen des weisesten Königs eine so ausgezeichnete Anerkennung gefunden hat.‘[159,10] Was meinst du wohl, was nun der noch mehr erfreute König darauf mit demKünstler tat? – Sieh, er sprach: ,Jetzt ersehe ich erst, daß du ganz ein vollendeter Künstlerdeines Faches bist! Denn hättest du diese an sich noch so herrliche Kunst bloß desVerdienstes und des Brotes wegen erlernt, so hättest du es darin nie zu einer solchenVollendung gebracht. Denn wer etwas lernt, um dabei sein Fortkommen zu finden, der denktnur immer ans Fortkommen und begnügt sich bald mit dem seicht und wenig Erlernten undberechnet danebst nur, wie er etwa den Abgang des Wissens mit einem falschen Scheinbedecken könnte, damit die Menschen nicht merketen seine Schwäche und ihn dennochhielten für einen großen Meister. Aber es wird ihm das für die Folge wenig nützen; denn ebenseine schlechten und mangelhaften Werke werden seine Verräter sein.[159,11] Du aber, der du die Kunst um ihrer selbst willen erlernt hast, hattest nurgerechnet, wie du in alle ihre noch so großen und tiefen Geheimnisse eindringen könntest. Dirlag es an der vollsten Wahrheit der Kunst, und du bist eben darum auch ein seltener, wahrerKünstler geworden, den ich brauchen kann. Und dieweil du dich nicht gesorgt hast bis zurStunde um Brot und Verdienst, so sollst du aber nun denn bei mir ein wahres, bestes undbleibendstes Brot und Verdienst bekommen! Denn für wahre Künstler und für wahre Gelehrteund Weise habe ich als König stets der Stellen und des damit verbundenen Brotes undVerdienstes in Menge.‘ – Da hast du nun die handgreifliche Erklärung deines Einwurfs.“

160. Kapitel[160,01] (Der Herr:) „Das ausschließliche Streben nach dem Reiche Gottes setzt diegrößte Tätigkeit voraus. Hat dann ein wahrer Jünger sich dasselbe vollends zu eigen gemacht,so wird sich schon auch jener König finden, der das wahre Verdienst auch wahrhaft belohnenwird, und so bleibt es durch alle die guten Sphären des menschlichen Lebens wahr, daß – woimmer und in was immer ein Mensch das Gute und das Wahre des Guten und Wahren selbstwegen tut und darin nach der wahren Vollendung streben wird – ihm die gerechteAnerkennung und das Verdienst von selbst hinzukommen wird und muß.[160,02] Es ist zum Exempel ein Mensch, dem es daran liegt, nach dieser MeinerLehre zu erreichen die Wiedergeburt des Geistes, die wahrlich für niemanden unterm Wegeverbleiben wird, der wahrhaft mit allem Eifer und gerechter Liebe ihr nachgestrebt hat. DieserExempelmensch weiß es, daß die Liebe zu Gott und zum Nächsten dazu der einzige undalleinige Weg ist. Er hält nun alle Gebote Gottes streng, liebt in seinem Herzen nachMöglichkeit Gott, erweist allen nach seinen guten Kräften nur Gutes und unterstützt dieArmut reichlich, und wo er einen wahrhaft Gottesweisen weiß, begibt er sich zu ihm,unterstützt ihn reichlich und macht sich ihn zum Freunde.[160,03] Er tut das jahrelang; aber die verheißene und täglich mehr angehoffte,verlangte Wiedergeburt des Geistes erfolgt dennoch nicht. Er merkt wohl hie und da lichteMomente, aber es sind das nur Blitze, deren Leuchten keinen Bestand fassen will. Da sprichtder jahrelang eifrige Bewerber um des Geistes Wiedergeburt: ,Nun fange ich aber an, die

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ganze Sache von der Wiedergeburt des Geistes für eine reine Fabel zu halten! Zwanzig volleJahre habe ich nun bis zur Stunde alles getan, was nur immer die Lehre von mir verlangte,und dennoch stehe ich auf demselben Flecke, auf dem ich angefangen habe, danach zu lebenund zu streben! Zu erreichen ist dabei der erfahrlichen Wahrheit gemäß nichts; also ist es amallergescheitesten, ich lebe als ein ordentlicher Mensch wieder weltlich fort und ziehe michvon allen den trüglichen geistigen Konnexionen zurück!‘[160,04] Nun kommt hier die Hauptfrage: Ja, warum konnte denn dieser recht ehrlichstrebende Mensch nicht zur Wiedergeburt des Geistes gelangen? – Eben darum, weil er allesGute nur darum tat, um sie zu erreichen![160,05] Wer Gott und den Nächsten eines anderen Motives wegen als Gott umGottes und den Nächsten um des Nächsten willen liebt, der kommt nicht zur völligenWiedergeburt, weil diese ein allerunmittelbarster Verband zwischen Gott und dem Menschenist.[160,06] Durch ein solches Motiv setzt der Mensch stets eine wenn auch noch sodünne, aber dennoch das geistige Licht nicht durchlassende Scheidewand zwischen sich undGott und kann darum nicht völlig eins werden mit dem Geiste Gottes. Solange aber dieseEinung nicht vor sich geht, kann von der völligen Wiedergeburt keine Rede sein.[160,07] Ich sage es dir: Es muß aus der Seele jede Art irgendeines Eigennutzesweichen, und der Mensch muß als vollkommen frei dastehen, sodann erst kann er das Höchsteerreichen! – Und nun sage du Mir, ob dir die Sache nun klar ist!“[160,08] Sagt Cyrenius: „Ja, nun bin ich auch darin ganz hellsehend in der Ordnung!Ja, zwischen Tun und Tun eines und desselben ist wahrlich ein ungeheurer Unterschied!Wenn man es aber weiß, dann kann man schon auch vollends recht tun, so man dazu nur denfesten Willen hat, und an dem kann es wahrlich auch nicht fehlen bei einem Menschen, derden hellen und allein wahren Grund erkannt hat und den Weg, den er zu wandeln hat. Aberbis jemand eben das erkannt hat, dazu wird viel Zeit und Mühe erfordert; denn wenn manauch glaubt, die ganze Sache zu haben, so zeigt sich aber dennoch nur zu bald, daß einemnoch so manches und sogar Allerwichtigstes abgegangen ist. Aber nun glaube ich, daß mirnun eben nicht gar zu viel mehr abgehen dürfte! Geht mir aber dennoch irgend etwas ab, sohoffe ich, daß Deine Liebe, o Herr, mir dasselbe zur rechten Zeit verschaffen wird.[160,09] Aber nun kommen, wie ich sehe, unsere Pharisäer schon wieder zurück, undihr Hauptanführer ist mit dem Markus in einem Hauptdiskurse begriffen. Bin selbst rechtneugierig, welchen Effekt der tiefere Einblick in diese Deine Wunderwerke gemacht hat!“

161. Kapitel[161,01] Sage Ich: „Einen außerordentlichen ganz gewiß, aber sie finden das fürunmöglich, daß so etwas bloß durch eine Gott ähnliche Willensmacht in einem Augenblickekönnte zustande gebracht werden. Sie beraten demnach nun, ob da dennoch nicht irgend ganzverborgen gehaltene natürliche Mittel seien angewendet worden.[161,02] Und der Hauptanführer sagt darum zum schon etwas ärgerlich gewordenenMarkus: ,Ja, wir waren einmal nicht dabei, und alle Hierseienden können als Einverstandeneuns ganz leicht einen allergrößten Bären anhängen! Wir wissen es recht gut, wie die Essäerihre großartigsten Wunder zustande bringen, können aber gegen den einmal breitgeschlagenenAberglauben oder Glauben des Volkes nichts mehr ausrichten. Tausend miteinanderEinverstandene können die größten Wunder zuwege bringen und zehnmal tausendmal tausendMenschen breitschlagen. Ihr könnt in diesem verborgenen und abseitigen Erdenwinkel andiesem Wunderwerke, von niemand als nur von euch selbst beobachtet, zehn Jahre gebauthaben! Als es fertig war, ludet ihr dann Fremde ein und sagtet dann verabredetermaßen, diesGebäude hätte dieser oder jener Wundermann in einem Augenblicke werden lassen, und soden Garten und den Hafen. Und aufs ernste Zeugnis von Tausenden muß der Fremde dasWunder zu glauben anfangen, will er's oder will er's nicht. Es muß ein Wunder vor unserenAugen geschehen, – dann erst werden wir auch an dieses glauben!‘[161,03] Sieh, so äußert sich nun der Fuchs von einem Pharisäer! Ich sagte dir dasnun darum, auf daß bei seiner Hierherkunft du ihm das gleich wörtlich vorhalten kannst, was

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er wenigstens dreihundert Schritte von uns entfernt zu Markus geredet hat, und das wird ihnund seine Kollegen ganz entsetzlich stutzen machen, weil das als ein offenbares Wundergegen seine Behauptung wie ein scharfes Schwert zeugen wird. Er wird zwar noch einWunder verlangen; aber es soll ihm kein anderes zuteil werden als dieses, daß wir ihm einigeseiner ganz geheimen Sachen hier enthüllen werden, was ihn sehr betroffen machen wird. Seidarum gefaßt, Ich werde nicht reden, sondern dir alles eingeben und dich reden undverhandeln lassen! Und nun halte dich gefaßt; denn er wird nun sogleich hier sein!“[161,04] Cyrenius macht sich nun vollends mit vielem Eifer gefaßt und freut sich,den Pharisäer so recht zu verarbeiten.[161,05] Die Pharisäer nähern sich nun mit großehrerbietigen Mienen dem Cyrenius,und der Anführer, sich tief verneigend, sagt: „Hoher Gebieter! Wir haben alles inAugenschein genommen und konnten uns darüber nicht genug verwundern; denn da ist Prachtmit der zwecklichsten Brauchbarkeit so eng verbunden, daß man nahe geradewegs davonsagen muß: Das ist nicht mit Menschenhänden gemacht, sondern das ist erschaffen worden!Leider hat die Menschheit aus gar keiner Zeitperiode irgendein Beispiel, daß je irgend auf derganzen bis jetzt bekannten Erde so etwas stattgefunden hat. Zudem sind in dieser unserer Zeitdie Menschen namentlich in der Baukunst zu weit vorgeschritten, als daß man es ihnen nichtzumuten sollte, auch so ein wahres Baukunstwerk herzustellen. Seit das Wunderland Ägyptenvielfach seiner Baukunstwerke wegen bis tief nach Nubien den Griechen und Römern bekanntsein soll, ist es eben kein zu außerordentliches Wunder, wenn sie auch mit ihren vereintenKräften so etwas zustande brächten. Denn ob das alles, was da zu sehen ist, wirklich in einemAugenblick oder dennoch zeitweilig entstanden ist, ist immerhin auch eine Frage, die sichstellen und anhören läßt. Denn gar vieles können viele vielerfahrene Menschen zustandebringen und mit mächtig gewappneter Hand sagen: ,Dies und jenes ist so und so geworden!‘Und die kleinen, ohnmächtigen und schwachen Menschen müssen es dann glauben, weil einzu lauter Widerspruch ihnen sehr bedeutende Unannehmlichkeiten unfehlbar bereiten würde.[161,06] Sehen wir die feinen Essäer an! Da gibt es rein gar nichts mehr, was sienicht zu machen imstande wären. Man sage es nur, daß das alles kein Wunder ist, sondernalles auf dem natürlichsten Wege zustande gebracht wird, und man wird bald einen Bescheidbekommen, der einem wahrlich keine Freude machen wird! Ich will aber damit freilich nichtsagen, daß es also auch hier der gleiche Fall sei, obwohl er mit jenen essäerischen Wunderneine sehr bedeutende Ähnlichkeit hat. Übrigens sei ihm nun, wie ihm wolle; du hast unsdieses Werk als ein reinstes Wunder zur Betrachtung anempfohlen, und wir glauben es, weiluns der Unglaube ganz unglaublich teuer zu stehen kommen dürfte. Wenn du, hoher Gebieter,es uns befehlen würdest, an den Zeus und seine wunderbaren Göttertaten zu glauben, sowürden wir's auch äußerlich sogleich völlig glauben; ob auch innerlich, das ist dann freilichwieder eine ganz andere Frage. Vergib, hoher Gebieter, mir diese meine ganz offeneSprache!“

162. Kapitel[162,01] Sagt Cyrenius, ein wenig unwillig scheinend: „Hättest du ganz offengeredet, da hättest du mit mir ebenso reden sollen, wie du dort am Meere geredet hast mit demalten Markus und mit deinen Kollegen! Wohl konntest du dein Inneres nicht ganz verbergenvor mir, und es entfiel dir so manches deiner innern Gesinnung; aber du denkst noch ganzanders in deinem Innern, wie du auch ganz anders mit dem Markus und deinen Kollegengeredet hast.[162,02] Es wird dir freilich sehr unangenehm sein, so ich dir nun das vorsagenwerde, was du gesprochen, und noch mehr, was du so ganz eigentlich gedacht hast, aber magdir die Sache noch so unangenehm sein, so wirst du sie nun aus meinem Munde dennochvernehmen müssen! Und so höre du samt deinen lieben Gefährten mich an![162,03] Als du am Meere die Schiffe und den Hafenbau bewundertest und dich deralte, biedere Markus fragte, was du nun zu all dem sagen würdest, da zucktest du bedenklichdeine Achseln und sagtest: ,Da läßt sich entweder sehr viel, aber auch in einer gewissenHinsicht sehr wenig darüber sagen. Sehr viel, so das am Ende denn doch trotz aller hohen

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Beteuerungen und Zeugenschaften kein Wunder, sondern ein ganz natürliches Werk ist; undnatürlich sehr wenig oder auch gar nichts, wenn alles das dennoch im Ernste ein Wunderwerksein sollte! Daß ich und meine sämtlichen Gefährten das aber trotz all der hohenVersicherungen nicht als ein Wunderwerk annehmen können, mag ein jeder denkendeMensch daraus handgreiflich ersehen, daß eben wir selbst dabei nicht Zeugen waren und dieseGegend seit gut zehn Jahren nicht mehr gesehen und noch weniger je irgend betreten haben.Was hat seit der Zeit in diesem abgelegenen Winkel durch die Staatsklugheit der Römer allesgeschehen können! Durch Spione wußte man, daß wir in diesem Lande eine Bewegungmachen, um zu erforschen, was da alles wider uns unternommen wird, und auch, umauszukundschaften die Personen, die gegen uns in der tätigsten Bewegung sind. Man wußtesicher, daß wir am Galiläischen Meere uns befinden, sandte Lotsen nach uns aus und zog unshierher, wo ein Hauptlager der Römer aufgeschlagen ist.[162,04] Daß uns das sehr überraschen mußte, wird hoffentlich wohl sehr leichtbegreiflich sein, so man bedenkt, daß die Römer durchwegs keinen Scherz verstehen undirgend Ernstes mit ihnen nicht auszurichten ist. Wir merken es schon seit einer geraumen Zeit,daß die Römer uns nur kaum so halbwegs hin dulden des Volkes wegen, im geheimen aberden Essäern allen Vorschub leisten, die sich natürlich das größte Vergnügen daraus machen,uns nach allen Seiten hin zu untergraben. Wir kennen die Blindfechtereien der Essäer undwissen um ihre Wunderbetrügereien; aber wir dürfen uns nicht rühren und müssen uns Dingegefallen lassen, die schnurgerade wider unsere Religionsinstitutionen sind, wie zum Beispieldie Volkszählung, die personale Besteuerung und die Einführung der Zölle und Wegmauten.Und obwohl es in ihrem Kodex heiße, die Kinder Abrahams wären im Lande frei, so wirdaber darauf dennoch keine Rücksicht genommen, und die Kinder Abrahams werden vor denMautschranken ebensogut angehalten wie die Fremden.[162,05] Sogar wir Priester müssen den Mautstater bezahlen, die wir doch von Mosesvon jeglicher Zahlung freigesprochen sind und selbst das Recht haben, den Zehent zu nehmenvon den Kindern Abrahams, Isaaks und Jakobs, dieweil wir nie einen Grund und Boden habendürfen! Die Essäer, als unsere entschiedensten Feinde, aber sind allenthalben frei und dürfenweder irgendeinen Tribut und noch weniger irgendeine Wegmaut bezahlen! Nun, wer darausdie entschiedenste Antipathie der Römer gegen uns nicht herausfinden sollte, der müßtewahrlich mit der siebenfachen Blindheit geschlagen sein! Da wir also bei der OberherrschaftRoms durchwegs keine Freunde mehr haben und keine Macht, um diese allerdrückendste Lastabzuschütteln, so bleibt uns am Ende ja doch nichts übrig, als uns gleich den zertretenenWürmern zu rühren und zu suchen, uns so viel, als einigermaßen Rechtens nur immermöglich ist, vor den zu deutlich signierten Feinden unseres Institutes zu verwahren und womöglich sie zum Schweigen zu bringen.[162,06] Der fragliche Nazaräer, offen ein ganz wohlbestellter Schüler aus dergeheimen Schule der Essäer, ist uns nur zu wohl bekannt ein Hauptwidersacher unseresKollegiums und ein entschiedener Gegner des Tempels, – zudem der Sohn eines Baumeisters.Er hat uns schon eine Menge Kollegen, die hie und da in Galiläa exponiert waren, totalabtrünnig gemacht, teils durch die Macht seiner Rede, und noch mehr durch seine verkapptenWunder, – vom Volke gar nicht zu reden, das ihm heerweise nachrennen soll. Es wirddemnach von einem vernünftigen Menschen wohl gar nicht zu verwundern sein, so wir unsendlich auf die Beine stellen und danach zu trachten beginnen, wie solch einem Elende füruns Einhalt zu machen wäre.[162,07] Man hat uns selbst hier Fallen gelegt, um auch uns durch Gewalt oder durchList von der Sache des Tempels loszumachen, und zeigt uns zu dem Behufe ein Wunder desAugenblicks, zu dessen Herstellung man aber im geheimen ganz gut etliche Jahre hatverwenden können, und sucht uns damit nun zu übertölpeln; da wir aber auch Leute von somanchen Erfahrungen sind, so wird das ernstlich etwas schwer herhalten! Vor dem blindenVolke ist leicht Wunder wirken, – aber sehr schwer vor einem scharfsehenden Pharisäer! Wirwissen, was wir sind, und was die Welt ist, und wie sie allenthalben zu ihrem Vorteil mittelsallerlei Mitteln zu handeln versteht, und sagen darum: Dies Badhaus samt den überausherrlich eingerichteten Gärten und diesem Hafen macht den Herren Römern als Non- plusultra-

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Architekten auch so alle Ehre, ohne von uns als ein Wunderwerk des Augenblicksangesehen zu werden!‘“

163. Kapitel[163,01] (Cyrenius:) „Hier suchte dich Markus durch seine aufrichtigstenBeteuerungen von deiner vagen Idee abzubringen; du aber sagtest zu ihm ganz freundlichlächelnd, ihm dabei auf die Achsel klopfend: ,Ja, ja, lieber Freund, ich verarge es dir ja nicht,daß du also sprichst; denn fürs erste bist du selbst ein ausgepickter, altfeiner Römer, und fürszweite ist ein gewisses Muß da, dem dawider zu reden und zu handeln sehr unratsam wäre!Daher bleibe du nur bei dem, bei dem du zu deinem großen Vorteile zu bleiben hast; wir aberbleiben vorderhand noch immer bei dem, was uns einen sichern Vorteil abwirft, und werdendem erst dann völlig ungetreu, wenn uns anderseitige größere Vorteile für bleibend angebotenwerden! Versessen sind wir auf unsere Sache, die schon sehr in allerlei Mißkredit geraten ist,gerade nicht; wenn uns aber anderseitige größere Vorteile – wie gesagt – für bleibend gebotenwerden, dann können auch wir ebensogut, wie es uns bekanntermaßen schon viele unsererKollegen dem Tempel gegenüber treulos getan haben, unserem alten, morschgewordenenInstitute den Rücken kehren und, so es sein muß, auch mit vielen andern den Zimmermeisteraus Nazareth als einen Gott anbeten![163,02] Aber wir benötigen dazu wahrlich keiner Wunder, sondern allein reellerirdischer Vorteile, und sind dann aber auch für alles zu haben und zu gebrauchen, und das umso mehr, weil wir als welterfahrene Menschen es nur zu gut und zu klar aus zahllosenErfahrungen wissen, was man im Grunde des Grundes von jeder Gotteslehre zu halten hat.Wunderwerke sind ein altes Mittel, die unerfahrenen Kinder der Erde breitzuschlagen. Warumsollen sie in dieser Zeit, in der es der Blinden noch eine übergroße Menge gibt, außer Wertgekommen sein, besonders, so sie auf eine feinere Weise als im Altertume betrieben werden,und noch mehr besonders, wenn die höchsten Machthaber daran sich sicher nicht ohnegeheimst gehaltene Gründe beteiligen?! Denn eine recht festest innegehaltene Gotteslehre istfür die Regenten ja stets mehr wert als zehntausend der größten Festungskerker undzwanzigtausend Legionen der tapfersten Krieger.[163,03] Die gutkonstruierten Gotteslehren beleben die blinden Menschen zurTätigkeit, durch die ein Staat und dessen Regent erst recht reich und mächtig werden kann,während die vielen Kerker und die scharfen Schwerter alle Menschen, die sie treffen, untätigmachen müssen. Nachdem sich also ein in einem Staatsverbande lebender Mensch zu einerGötterlehre aus staatsklugen Gründen bekennen muß – so er kein Narr und kein Feind seinerselbst ist –, so ist es wohl am Ende ganz gleichgültig, ob man einen Jehova, einen Zeus odergar den Zimmermann von Nazareth als Gott anbetet; denn die besseren Gesetze geben dieMachthaber ja immer unter dem bleibenden Titel ,Gottes Gebote‘ heraus! Sie für sich könnendann noch tun, was sie wollen, und stellen sich im Notfalle auch gleich über alle die schönenGöttergebote.[163,04] Kann ich mit meinem Gottesbekenntnis einen vorteilhaften Tausch machen,so tausche ich, wie jeder von uns, gleich; soll uns aber in der noch leidlich vorteilhaftenSphäre, in der wir uns jetzt befinden, etwas ohne Entgelt entzogen werden, – ah, da werdenwir uns auch mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln zur Wehr zu stellen wissen! Denn eshandelt sich da ums Sein oder Nichtsein.[163,05] Sind wir mit unserer Einrichtung der Regierung von keinem besondernNutzen mehr, so entschädige sie uns aber entsprechend, und wir schauen den ganzenTempelplunder sicher nimmer an! Es wird uns dann wenig kümmern, was der Kaiser aus demTempel machen wird. Für die Essäer wäre er ganz gut zu gebrauchen. Sie könnten ihn leichtmit ihren neuen, indischen Wundern zu einer zehnfach größeren Rente umgestalten! Wirverstehen uns ohnehin nicht mehr so recht darauf und werden von den Essäern ohnemaßenallenthalben jedes schmählichsten Betruges verdächtigt. Wo aber ein theokratisches Instituteinmal durch und durch von einer andern Partei in seinen Mysterien verdächtigt wird, da hatsich an seinem noch so festen Gemäuer auch schon der fressende Krebs angesetzt, der es,wenn auch langsam, aber nach und nach dennoch sicher zerstören und zugrunde richten wird

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und muß.[163,06] Ein solches Institut gleicht einem Menschen, der ein Magier ist. Es darf nurein zweiter, neidischer Magier kommen und nur einigen helleren Köpfen in die Ohren raunen:,So und so übt der betrügerische Magier seine Künste aus!‘ und ihnen dann aber auchpraktisch zeigen, daß seine Verdächtigung eine reelle ist, – und der verratene Magier kannsich aber auch schon bald aus dem Staube machen, bevor noch die Sache allgemein ruchbarwird, sonst kann es ihm übel ergehen! Wohl ihm, wenn er irgendeinen Mächtigen zumBeschützer hat! Ohne den ist er in wenigen Tagen mit aller seiner Zauberei fertig und kannbei noch sehr günstigen Umständen am Hungertuche zu nagen anfangen. Er wird sichnatürlich auch solange als möglich wehren – aber retten vom Zugrundegehen nimmer![163,07] Denn was einmal verdächtigt ist, das kommt auf kein grünes Plätzchenmehr, was aber auch ganz natürlich ist; denn ein Magier kann seine Stücke nur mitnatürlichen Mitteln zustande bringen, in welcher Art sie aber dann auch notwendig als völligwertlos erscheinen müssen und zu schlecht sind, als daß an ihnen ein allerbarster Narr einVergnügen finden sollte, und natürlich noch weniger ein weiser Mensch. Derjenige aber, demder effektive Grund nicht bekannt ist und auch nicht bekannt sein kann, der muß sie als reineWunder ansehen und staunen und zahlen; denn er muß es sich selbst eingestehen, daß es dabeinach seinen Begriffen nicht mit natürlichen Dingen zugehen kann. Wird er aber dann vonjemand Kundigem überwiesen, daß sein angestauntes Wunder, das er so teuer als etwasAußerordentliches bezahlt hatte, dennoch ganz auf dem allernatürlichsten Wege zustandegebracht ward, dann hat für ihn der frühere Magier aufgehört, ein Wundermann zu sein, undsteht nun als ein ganz gemeiner Betrüger vor seinen früheren Bewunderern. Kann der sich jevor dem früheren Gönner reinwaschen? Ich sage: Nein und nimmer! Aus ist es mit ihm füralle Zeiten![163,08] Und da ein theosophisch-theokratisches Institut im Grunde nichts anderesals eine wohlkonditionierte Zauberei ist, umhüllt mit allerlei mystischer, aber in sich garnichts sagender Zeremonie und einer Legion von allerlei weisen Sprüchen, Lehren undGesetzen, so steht ihm auch dasselbe dekretative (bestimmte) Los unvermeidsam bevor, dasein jeder etwas flau gewordene Magier alle Tage für sich zu gewärtigen hat. Aus dem aberwirst du, mein alter Freund Markus, leicht den reinen Grund einsehen, aus dem mir für meinePerson jede wohlbestellte Götterkunde ganz einerlei ist, so ich in ihr die besserenLebensvorteile ersehe; aber so diese nicht evident (augenscheinlich) in den Vordergrundtreten wollen, wie es hier der Fall zu sein scheint, da kann mir's doch niemand verargen, wennich mit aller Kraft und Klugheit mein Institut so lange verteidige, als es mir eine gute Existenzbietet. Daß die Verteidigung nur in den Grenzen des bescheiden Möglichen verbleiben muß,davon wird der Grund im Angesichte der allermächtigsten Römer dir hoffentlich nicht schwerbegreiflich sein. Ich meine nun auch, daß du mir diese Geschichten da im Ernste nicht mehrals ein reines Wunder wirst aufbürden wollen?![163,09] Ah, kannst du mir aber dafür, wenn ich dir's glaube und dir sehr schmeichle,entschiedene Vorteile bieten, dann kannst du zu mir sagen: ,Siehe, jener Nazaräer hat nichtnur dies alles, sondern auch dies Meer mit allen seinen Fischen bloß durch seinen Willenurplötzlich ins Dasein gerufen, und überhaupt diese ganze Erde erst vor zwei Jahrenerschaffen!‘ – und ich werde es dir glauben! Was ich dir damit sagen will, wirst du auch ohnealle nähere Erörterung sicher ganz wohl verstanden haben.‘“

164. Kapitel[164,01] (Cyrenius:) „Da sagte Markus zu dir: ,Freund, ich ersehe aus dieser deinerlangen Rede, daß du eines schon überaus verhärteten Herzens bist und dir schwer zu raten undzu helfen sein wird! Denn so ein Mensch nicht mehr den größten Wahrheitsautoritäten einenreellen Glauben schenken kann und alles auf der Erde für einen Betrug hält und erklärt, dannhat bei ihm alles aufgehört, was ihm auf dem Lebenswege zu einer besseren Leuchte hättedienen können! Sage mir, oder denke es bei dir selbst: Welchen Nutzen hätten wir, so wirdich in ein besseres Licht setzten? Wir haben Schätze der kolossalsten Art in einerunbeschreibbaren Menge; am Golde, Silber und an den kostbarsten Edelsteinen hat es bei uns

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keinen Mangel; also sind auch unsere Kammern voll Getreides und die Keller voll desedelsten Rebensaftes, wie ihr schon wunderbarerweise einen verkostet habt, – wovon ihr nunnichts mehr zu wissen scheint! Wir haben von euch also gar nichts zu gewinnen vonnöten undreden als selbst durch und durch erstaunte Zeugen unmöglich etwas anderes als die reinsteWahrheit! Warum wollt ihr denn uns nicht glauben?[164,02] Sieh, es hält dich und deine Gefährten allein der allerverächtlichsteEigennutz ab, demzuliebe ihr euch sogar zu den größten menschlichen Scheusalengebrauchen ließet nach deinen Worten: ,Um einen bleibend größeren Lebensvorteil sind wirfür alles zu gebrauchen!‘ Also auch zum Morden und Rauben? Nein, ich muß es sagen:Wahrlich, dein offenes Bekenntnis ist gar nicht übel und ganz geeignet, selbst einem ärgstenTeufel in seiner Art die größte Ehre zu machen! Und solche Menschen sind Volkslehrer und -erzieher! Nun, da wird es etwa doch für jeden nur einigermaßen menschlicheren Denker leichtbegreiflich sein, warum wir wahrheitssuchende und – liebende Römer eurem Institute stetsmehr und mehr abgeneigt und stets feindlicher gesinnt werden müssen. Was soll bei solcheiner Erziehungsweise in kurzer Zeit aus der Menschheit, die unter euch steht, werden? Ja, ja,Freund, es ist die höchste Zeit, eurem argen Getriebe einmal ganz gehörige Schranken zusetzen, – sonst versinkt ehestens ganz Judenland in den Schlamm des Todes!‘[164,03] Auf diese sehr triftige Bemerkung des alten, biedern Markus aber sagtest dufür weiterhin eine Weile gar nichts, – dachtest aber bei dir also: ,Verdammt! Jetzt habe ichmich schon verbrannt! Das ist's mit der lumpigen Wahrheit! Solange man lügt wie ein Bär,kommt man überall gut durch die Welt; aber nur ein wahres Wort unter eine sonst rechtwohlbestellte Lüge gemengt, – und die Hyäne sitzt einem schon im Genicke! Was tue ich abernun, um diesem Römer seine Schärfe zu benehmen? Ich werde mir nun wie ein Chamäleongleich eine andere Färbung geben, und es soll da schon mit allen Teufeln hergehen, so ich denalten römischen Fuchs nicht zu einer besseren Überzeugung von uns bringe, ansonst uns diesedumme Plauderei in die größten Verlegenheiten stürzen kann! Er werde nun von mir mit derehrlichsten Miene von der Welt allerarmdickst kreuz und quer angelogen, und ich wette, daßer uns als seine neugewonnenen Freunde allerfreundlichst begrüßen wird! Aber es fragt sichnun nur, – wie ihm wieder ins Wort fallen?! Schwer soll's eben nicht werden; denn auch erscheint nachzudenken, wie er uns mit noch triftigeren Beweisen für seine Sache etwagewinnen und umgestalten könnte!‘[164,04] Sieh, das waren deine Gedanken im Hafen, und zwar auf einem der fünfgroßen und neuen Schiffe! Bald faßtest du Mut und sagtest zum Markus: ,Du scheinstgrämlich zu sein ob meiner ehemaligen Äußerungen! Sieh, wollte ich unehrlich und dabeifuchsartig klug sein, da hätte ich offenbar nicht von der Leber weg mit dir gesprochen undmich dir auch nicht also gezeigt, wie ich eigentlich denke und in meinem Innern auch ebenalso bin! Denn wir Pharisäer verstehen uns sehr wohl darauf, den Mantel nach dem Winde zukehren; aber da du nach unserem Merken und nach deinem vielleicht noch von deinenKinderjahren her etwas beschränkten Erkennen es dennoch ehrlich mit uns meintest, so wärees denn doch wahrlich zu schmählich, wenn ich vor dir mich in Gott weiß was für einerfrommen und gläubigen Maske gezeigt hätte! Wäre es uns denn etwa ein Schweres gewesen,dem Scheine nach alles aufs Wort zu glauben, was du uns von dem Nazaräer ausgesagt hast?Sieh, du wärest damit zufrieden gewesen und hättest uns dann also dem Cyrenius als völligbekehrte Menschen vorgeführt! Allein, eine Ehrlichkeit fordert die andere; ich redete darumganz von der Leber weg, und es blieb dir von meinem innern Denken und Urteilen nicht einJota verschwiegen.[164,05] Dinge, wie sie hier sollen vor sich gegangen sein, zu glauben, ohne selbstdabei Zeuge gewesen zu sein, ist für eines Menschen geweckten Verstand wohl etwas überausSchweres, zumal dies so einzig allein als etwas Niedagewesenes dastünde, daß man dabei allegemachten besseren Erfahrungen rein in das Meer werfen müßte. Denn bis jetzt ist vonkeinem Menschen auf der ganzen bekannten Erde durch alle Zeiten hindurch etwas Ähnlicheszustande gebracht worden, und die bekannten Wunder und Zauberstücke kennen wir, undauch, wie sie verübt wurden. Überall waren Menschen, die sich durch ihren Scharfsinn untervielen Hunderttausenden ihrer Mitmenschen auszeichneten. Sie erkannten tiefer die Kräfte der

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großen Natur, machten sich dieselben zum Nutzen und wurden danebst erst noch hinzu alsMenschen höherer Art, als Propheten oder Halbgötter, verehrt und förmlich angebetet. Solchein Geniemensch hatte auch bald und sicher eine Menge wissensdurstiger Jünger um sich, diesich alle Mühe gaben, in die Fußstapfen ihres geistreichen Meisters zu treten. Zu seiner Zeitwaren das nur Jünger, später notgedrungen selbst Lehrer und Nachmeister, die samt ihrenJüngern dem Urmeister auch nach seinem diesirdischen Ableben eine große Ehre bezeigten,und das um so mehr, als die Lehren und Werke des Urmeisters sich den Menschen stetswohltätiger erwiesen. Mit der Weile wurden aus den Nachmeistern Priester, die ihrenUrmeister zu mindestens einem Halbgotte machten.[164,06] Wir Juden machten aus solchen Ur- und Erzmeistern Propheten, und dieÄgypter, Griechen und Römer ihre Halbgötter und dichteten den sicher allerehrenwertestenUrmeistern mit der Zeit übernatürliche Wundertaten hinzu, um sie dem blindenMenschentrosse leichter und bequemer als Wesen höherer Art vorzustellen und Opfer zubekommen, die dann oft viele Jahrhunderte fortbestanden, bis wieder irgendein noch größeresGenie dem Schoße einer geweckten Mutter entschlüpfte und das lose Tun und Treiben einesPriestertums auf eine solche Art vor den Augen eines lange betrogenen Volkes enthüllte, daßdasselbe ohne weiteres zu der ungezweifelten Ansicht gelangen mußte, daß es kreuz und querbetrogen ist, und daß seine Priester und gleichsam Gottesdiener als die allerderbstenTagediebe und Menschenbetrüger dastehen, die die wahren Lehren ihres Urmeisters entwederselbst kaum mehr in der ursprünglichen Reinheit kennen oder selbst das, was sie noch davonkennen, aus staatsklugen Gründen den armen, trost- und wissensdurstigen Menschenvorenthalten, sie also statt mit Gold und Perlen mit allem möglichen Unrate füttern.[164,07] Ja, wenn ein solcher neuer Großmeister dem Volke, das ohnehin schonvielfach mißtrauisch gegen seine Priester geworden ist, die Augen eben nicht zu schweröffnet, so sind die alten Priester so gut wie fertig und können sich nur durch allerlei politischeGewaltgriffe und – kniffe eine Zeitlang halten; aber in den Gemütern des Volkes sind sie sogut wie vollauf gestorben. Das droht uns nun auch sehr. Der Großmeister ist bereits in die füruns traurige Wirksamkeit getreten, und Tausende kehren uns für immer den Rücken. Daß uns,über die der Sturm sich erhoben hat, das durchaus nicht gleichgültig sein kann, wirst du sichereinsehen, und auch, daß wir bemüht sein müssen, noch zu retten, was zu retten ist. Und eswäre sonach wahrlich seltsam von dir, sonst einem so biedern Manne, wenn du uns darumgram werden wolltest, so wir mit dir einige ganz entschleierte Worte gewechselt haben, da esuns doch auch ganz freigestanden wäre, dich so dick als möglich zu hintergehen!‘“

165. Kapitel[165,01] (Cyrenius:) „Hierauf sagte Markus schon im Hergehen: ,Von gram sein istda keine Rede; aber gefallen kann es mir von euch auch nicht, so ihr es mir ganz trockenbeweisen wollt, daß ich nur, um euern Sturz zu fördern, mir ein Vergnügen daraus mache,euch mit diesen Wunderdingen einen bergdicken Bären anzuhängen. Ich bin kein Lügner undkein Betrüger, sondern – mehr, denn ihr es je waret – ein größter Freund der getreuestenWahrheit. Was wohl hätte ich davon, so ich euch einen Bären anhängte?! Daß ihr das schwerglauben werdet, trotzdem es der allerstrengsten Wahrheit nach sich also verhält, das wußte ichwohl zum voraus; denn ich kenne ja so manche Tugenden der Pharisäer, und darunter auchdie ihres totalen Unglaubens in allen göttlichen Dingen.[165,02] Wie sollte auch bei Menschen der allergröbst materiellen Art, deren inneresSeelenauge schon lange am allerdicksten Stare leidet, ein Glaube sich vorfinden?! Und dochist der Glaube das Auge der Seele, durch das sie die geistigen Bilder in sich aufnimmt undnach und nach erst über ihren Wert und Zweck in ihrem Geiste zu urteilen anfängt, in gleicherWeise wie auch das Fleischauge die Bilder der Außenwelt erst aufnimmt und sich zuerst keinUrteil über den Wert und Zweck des Geschauten machen kann, was oft erst lange nachherdurch den erwachten göttlichen Geist im Herzen der Seele geschieht. Aber ein Stockblinder,dessen Auge zur dicksten finstern Materie geworden ist, empfängt keine Bilder von derAußenwelt, bringt somit seiner Seele nichts zur Beurteilung und kann kein Urteil über denWert und Zweck der Farben abgeben, weiß nichts vom Schatten und vom Lichte und noch

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weniger von den Formen der Dinge.[165,03] Wer sonach nicht glauben kann, der hat eine blinde Seele, die er durch seinevielen Sünden geblendet hat! Und das ist nun, wie auch schon lange, bei allen Pharisäern derFall. Daher können sie auch nichts glauben, als was sie mit den Händen greifen, wie einfleischlich Blinder sich von der Form einer Sache nur durch Betasten irgendeinen immerhinschlechten Begriff schaffen kann.[165,04] Aus dem Gesagten könnet ihr wohl abnehmen, wie ich zum voraus wissenkonnte, daß ihr in eurer Seelenstockblindheit das schwer glauben werdet, was ihr gesehen unddarüber gehört habt. Aber ich dachte mir, daß die Blinden einem sehenden Führer mehrVertrauen schenken würden, weil sie eines Führers gar sehr bedürftig sind. Aber ihr nennteuch als Stockblinde sehend und haltet mich – wennschon nicht gerade für blind, so doch,was weit ärger ist, für schlecht. Und das ist es eben, was mir an euch durchaus nicht gefälltund zeigt, daß eben euer Herz ein recht schlechtes sein muß und ihr selbst die größtenBetrüger sein müsset, weil ihr durchwegs kein wie immer geartetes Vertrauen mehr selbst zueinem allerehrlichsten Menschen fassen könnet.[165,05] Daß man derlei Menschen unmöglich ganz besonders gut sein kann, daswerdet ihr hoffentlich einsehen; denn solche Menschen mißbrauchen allzeit die Güte derer,die ihnen etwas unbesonnenermaßen oft über die Gebühr gut sind. – Nun gehet aber wiederzum Oberstatthalter hin und besprechet euch mit ihm über das, was ihr gesehen und gehörthabt!‘[165,06] Da sagtest du zum Markus: ,O Freund, da wird es uns schlecht ergehen! Derwird den festen Glauben von uns verlangen; und doch ist es wahrlich unmöglich, das zuglauben, daß das alles, was wir nun geschaut haben, bloß nur Augenblickswerk des purenNazaräerwillens ist, und doch haben wir hie und da noch an den behauenen Steinen diedeutlichen Spuren des Meißels wahrgenommen! Das ist ja doch etwas Ungeheures, so wir soetwas auf Leben und Tod zu glauben genötigt sein werden!‘[165,07] Sagte darauf der Markus: ,Hier wird niemand genötigt! Aber ich glaube, daßihr durch ein anderes Zeichen frei von selbst auch das glauben werdet! Wir sind nun wiederbei der erhabenen Gesellschaft. Gehet nun denn hin zum Cyrenius, der wird das Weitere miteuch verhandeln!‘“

166. Kapitel[166,01] (Cyrenius:) „Nun, mein Freund, kannst du mir auch das ableugnen, daß duzuvor mit dem alten Markus dich wortgetreu also besprochen hast und bei dir selbst auch alsogedacht, aber darauf doch ganz anders notgedrungen geredet hast?! Was ist nun dein Wortund deine Meinung?“[166,02] Hier steht der Pharisäer wie versteinert dem Cyrenius gegenüber und weißihm mit keiner Silbe zu antworten.[166,03] Hinter ihm aber steht Markus und sagt zu ihm: „Nun, du hochweiserNaturphilosoph, möchtest du mir dieses Wunder nicht auch auf eine ganz natürliche Weiseerklären? Ich wäre wahrlich sehr neugierig, so etwas von dir zu vernehmen, was etwa diestaatsklugen Römer hier für eine geheime List angewendet haben, um sich sogar deinergeheimsten Gedanken zu bemächtigen!“[166,04] Nach einer kleinen Weile sagte endlich der Pharisäer: „Ja, da geht eswahrlich nicht mit natürlichen Dingen zu! Ich wollte von dem, was ich offen zu Markus imHafen gesprochen habe, nichts reden – denn es könnte ja jemand ein so scharfes Gehörbesitzen, von noch weiter her unser Gespräch zu vernehmen –; aber auch das zu vernehmen,was ich in mir allergeheimst gedacht habe, das übersteigt den Horizont alles noch so tiefenmenschlichen Wissens! Das ist ein Wunder; wo aber ein Wunder der höchsten Art möglichist, da ist dann schon auch die Möglichkeit für alles andere vorhanden, und ich fange nunschon auch im Ernste an zu glauben, daß dies herrliche Haus auf eine wunderbare Weiseentstanden ist! Mehr kann ich nun nicht sagen. Wenn aber das alles durch die Macht desberühmten Nazaräers geschah und noch geschieht, da muß er offenbar ein höheres Wesensein, ein Gott im vollsten Ernste, dem alle Geister der Luft, der Erde, des Wassers und des

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Feuers alleruntertänigst gehorchen, und keine Menschenmacht kann sich ihm da widersetzen.[166,05] Aber wir Pharisäer sind fertig und werden jüngst nichts anderes mehr zu tunhaben, als uns ins Grab zu legen und darin gleich einem Tiere zu verenden! Was sollen wirmit unserem alten Betrugskrame, wo solche hierortige Wahrheiten allseits gleich Bergen sichüber uns aufzutürmen anfangen? Wie das Wild der Wälder werden wir gehetzt und verfolgtwerden und zugrunde gehen im Schlamme unserer Nacht und Finsternis! Allein, es kam also,und wir können nicht darum, daß auf dieser lieben Erde stets Nächte und Tage miteinanderabwechseln. Wie der Tag die Nacht verzehrt, ebenso verzehrt dann wieder die Nacht den Tag,und bald folgt auf eine lange Nacht ein nur ganz kurzer und kalter Tag, – und bald wiederumgekehrt. Auf den Winter folgt der Sommer, und auf den wieder der Winter; es ist auf derlieben Erde alles einem beständigen Wechsel unterworfen. Wer heute lacht, kann morgentrauern, weinen und wehklagen![166,06] Es ist einmal also und wird nie anders auf dieser Erde werden. Hat einMensch lange etwas noch so Herrliches, Gutes und Erhabenes, so wird es ihm am Ende sogleichgültig, als nur immer einem etwas gleichgültig werden kann, das man lange in Hülleund Fülle besessen hat. Verliert man aber endlich den lange innegehabten Besitz, dann weißman erst, was man besaß, und lernt den Wert desselben schätzen.[166,07] Wir Menschen sind dumm und begreifen noch immer nicht, wie und warumdas alles so kommt und ist, und sind darum auch nie mit etwas vollkommen zufrieden, mitdem Guten nicht – und mit dem Schlechten noch weniger! Das Grab scheint mir ein wahrerGlückshafen zu sein; in ihm verändert sich nahezu nichts mehr, und sein Bewohner fühlt keinBedürfnis mehr nach was immer, und so bleibt für uns Erdenwürmer doch noch bei all dentausend Verlusten der Trost, daß auch wir jüngst ganz zufriedene Bewohner der Gräberwerden, und die an unseren Grabstätten Vorübergehenden werden sagen: ,Hier ruhen sie imFrieden!‘[166,08] Ja, es ist hier, wie ich's sehe, fühle und glaube, ein großes und noch niedagewesenes Licht; aber die ebenso große Nacht, die solchem Lichte folgen wird, wird nichtausbleiben! Wohl denen, die an diesem Tage sich sonnen können; aber desto mehr wehedenen, die von der auf diesen Tag folgenden Nacht ereilet werden! Sie werden ein großesGeschrei nach Licht erheben, werden dadurch wecken die Geister der Nacht und übelzugerichtet werden. Ich habe nun geredet, und euch Machthabern steht es selbstverständlichzu, mich zu richten nach eurem Willen!“[166,09] Sagt Cyrenius: „Ich habe in deinen Reden nichts gefunden, das irgend voreinen Richterstuhl zu bringen wäre. Daß du für dein Haus geredet hast, ist eine ganzbegreifliche Sache; aber du kamst hier, wennschon etwas mühsam, dennoch zu einer besserenÜberzeugung und hörtest auf, ein Feind und Verfolger Dessen zu sein, den du ehedem gargerne vernichtet hättest. Und mehr wollte ich von dir und von deinen Gefährten nicht, undsomit möget ihr von hier wieder in Frieden abziehen! Wollet ihr aber mehr, so habt ihr euchauszusprechen, und es soll euch alles Billige gewährt werden!“[166,10] Sagt der Pharisäer: „Was sollen wir nun? Wir haben daheim im Tempeleinen Eid in die Hände des Hohenpriesters legen müssen, nicht eher zu ruhen undheimzukehren, als bis wir den Nazaräer völlig unschädlich gemacht haben würden. Nun, dasist nun vielfach unmöglich geworden! Erstens seid ihr mächtigen Römer, wie wir's alle nur zudeutlich vernommen haben, seine Freunde, gegen die wir nichts unternehmen können undwerden; zweitens ist er selbst nach allem dem, was sich hier von seiner Macht zeigt, sounüberwindlich in allen Dingen und auf allen seinen Wegen, daß ihm keine Macht der Erdeetwas anhaben kann; und drittens sind wir alle aus dem innersten Lebensgrunde seiner sounvergleichbar hohen und nie dagewesenen Eigenschaften wegen ihm selbst zu Freundengeworden, so daß bei uns von einem weiteren Verfolgen seiner Person schon von weitem herkeine Rede sein kann.[166,11] Aber was nun anfangen? Seine Jünger möchten wir am liebsten sein, damitwir den Tag, dessen Morgenröte wir hier erblickten, in seiner Fülle zu schauen bekämen undin seiner Wege Geleise treten könnten! Nun, das wird uns kaum gewährt werden!Unverrichteterdinge nach Hause kehren dürfen wir auch nicht! Was ist da hernach zu tun?

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Wir müssen, so wir für Magen und Haut versorgt sein wollen, dennoch gleichfort –wenigstens scheinbare Verfolger desjenigen bleiben, den wir lieber auf unseren Händenherumtragen möchten! Hier ist also ein guter Rat, wennschon teuer, aber dennoch sehrvonnöten!“[166,12] Sagt Cyrenius: „So das euer Ernst ist, woran ich nun kaum mehr zweifle, sowird sich da bald Rat schaffen lassen. Ob ihr nun gleich Seine Jünger werden könnet, dassteht offenbar bei Ihm allein und nicht bei mir. Aber da ihr, wie ich aus euren Redenentnommen habe, sonst recht kluge und erfahrene Leute seid, so kann ich selbst euchbrauchen und euch bediensten, und das um so mehr, da ihr auch der griechischen undrömischen Zunge mächtig seid. Ich aber habe Seine Lebenslehre in einem Buche geschrieben,aus dem ihr allen Seinen Willen erkennen könnet! Es wird sich dann schon wieder einmaleine Zeit fügen, in der ihr Seine nähere Bekanntschaft werdet machen können, und zwar ineinem würdigeren Gewande denn jetzt. Der Pharisäer Röcke liebt Er nicht, weil sie mit demschlechten und faulen Öle zur Ausübung des Betruges gesalbt sind. – Also lautet meinwerktätiger Rat. Wollt ihr auf ihn eingehen, so saget es mir, und es soll euch geholfen sein!“[166,13] Sagt der Anführer zu seinen Gefährten: „Ihr habt es vernommen so gut wieich! Seid ihr mit diesem überaus freundlichen Antrage zufrieden, so äußert euch, da ein jedervon euch einen vollkommen freien Willen hat! Ich für meine Person habe gegen ihn nichtseinzuwenden.“[166,14] Sagen alle: „Wir auch nicht; nur, so es anständig wäre, möchten wir nochzuvor den erhabenen Nazaräer persönlich kennen lernen!“[166,15] Sagt Cyrenius: „Diesmal nicht; aber wenn ihr einmal in Seiner Lehre näherbewandert sein werdet, dann ja! Für jetzt aber übernimmt euch mein Leibdiener; dem folget,und er wird euch mit guter Gelegenheit nach Sidon bringen, wo ihr andere Kleider und eineeuren Kenntnissen gemäße Stellung bekommen werdet! Gehet und folget ihm!“[166,16] Mit diesen Worten kam ihnen schon ein Leibdiener des Cyrenius, deren erviele hatte, entgegen, verschaffte ihnen eine gute Gelegenheit und reiste mit ihnen selbstgleich nach Sidon ab.

167. Kapitel[167,01] Als diese Sache so schnell als möglich geschlichtet war, fragt MichCyrenius, ob er wohl vollkommen Meinem in sich wahrgenommenen Willen gemäßgehandelt habe.[167,02] Sage Ich: „Ja, ganz vollkommen! Mich zu sehen und zu sprechen aberwaren sie dennoch bei weitem nicht reif zur Genüge! Wann sie aber wohl reif werden, daswird dir Mein Raphael anzeigen, so wie auch Josoe.[167,03] Es naht aber nun auch die Stunde Meines Abzuges von hier. Fraget abernicht, wohin Ich Mich wenden werde! Ein jeder kehre von hier wieder zu seinem Tagwerkeund bestelle sein Haus wohl, auf daß, so Ich in der Bälde wieder zu euch komme, Ich alles inder Ordnung finde! Nur eine ganz kleine Stunde werde Ich noch unter euch verweilen, umeuch durch und durch zu segnen; dann aber muß Ich noch zu vielen andern bedrängtenKindern dieser Welt, um ihnen zu bringen den rechten Trost und die rechte Hilfe.[167,04] Forschet aber nicht nach der Gegenwart Meiner Person, sondern lebet imGeiste Meiner Lehre, und Meine Person wird euch nicht ferne verbleiben! Wer da noch etwaswissen will, der komme und forsche!“[167,05] Hier fragte Cyrenius: „Herr, darf Dir auch niemand ein Geleite geben bisirgendwohin auf einen nächsten Ort?“[167,06] Sage Ich: „Außer Meinen Zwölfen diesmal niemand, auch Raphael nicht,der einstweilen bis zu Meiner Auffahrt wechselweise bei dir und bei Meiner lieben Jarahweilen wird! Doch dürft ihr ihn der Welt gegenüber ja nicht irgend verraten; denn das würdeseinen augenblicklichen Verlust bewirken! – Wer von euch hat noch irgendein Anliegen? Derkomme und forsche!“[167,07] Bringt Markus sein Weib und seine Kinder und sagt: „O Herr, segne siealle, so Du sie dazu als würdig erachtest!“

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[167,08] Und Ich sagte: „Die sind schon lange voll Meines Segens, und du auch!Wohl werde Ich, weil du es gar so wünschest, jüngst wieder einmal zu dir kommen. Von nunan wirst du aber viele Gäste bekommen! Denn die sich in deinen Bädern baden werden,werden geheilt von der noch so bösen Gicht; und die da trinken werden aus der sprudelndenQuelle im Garten, werden los von jeglicher Art Fieber. Die Aussätzigen sollen sich jedochdraußen vor der Gartenmauer im See baden, allwo das Badewasser hinaus in den See fließt,und sie werden ihres Aussatzes ledig.[167,09] Es werden darum viele kommen und hier das Heil ihres Fleisches suchenund auch finden. Mit deinen Kindern wirst du die vielen nicht zur Genüge zu bedienenvermögen; daher wirst du dir dienstbare Helfer aufnehmen müssen. Da wird dir im AnfangeMein lieber Freund Cyrenius an die Hand gehen. Für späterhin wirst du der dienstbarenGeister in Hülle und Fülle haben, denn alle die Dienst- und Brotlosen werden dich zu findenwissen. Wer da kommt und Arbeit sucht, dem gib sie nach seinen Kräften; aber allen soll auchdies Mein Evangelium gepredigt werden, auf daß aus den dienenden Sklaven auch freieMenschen werden.[167,10] So Ich dich jüngst einmal wieder besuche, wirst du wohl kaum Zeit finden,mit Mir zu reden; aber es wird das nichts machen. Denn nach Meinen Worten handeln istmehr wert, als noch so viel reden und predigen.[167,11] Denn wer Mein lebendiges Wort, dies zu euch gesprochene Evangelium,nur allein beifällig anhört, aber nicht völlig danach handelt, dem nützt es nichts, und er bleibtder alte und gleiche Weltnarr und kommt nie auf einen grünen Lebenszweig, geschweige aufeinen Baum des Lebens![167,12] Wer viel hat, wie du nun, der gebe viel, und wer wenig hat, der gebe wenig,auf daß der Nichtshabende auch etwas habe![167,13] So du aber siehst einen Geizigen unter deinen Dienern oder unter deinenGästen, so treibe beide hinaus; denn der Geizige ist ein fressender Krebs in einer bessernMenschengesellschaft und verpestet die Herzen der Menschen mit Zorn und Grimm! Wo aberist der Mensch, der gegenüber einem Geizigen nicht zornig wird des Guten wegen?! Er wirdihn verachten und schelten! Aber sein Herz wird in solch einer Stimmung nicht besser! Dahertreibe jeden Geizigen weit von dir weg und laß ihn nicht wiederkommen, außer er habe seineböseste Leidenschaft ganz besiegt!“

168. Kapitel[168,01] (Der Herr:) „Alle Laster, die je von Menschen auf dieser Erde sindbegangen worden, haben aus der Habgier einzelner Menschen ihren Ursprung genommen.Der Geiz ist ein Vater aller Sünden, die nahe nur zu denken sind. Denn zuerst geizt man sichein großes Vermögen zusammen, und das durch jedes noch so schlechte und verruchte Mittel;Betrug, Diebstahl und Raub sind bei dieser Gelegenheit ganz mit einzuverstehen. Ist maneinmal reich, so wird man hochmütig und herrschsüchtig, wird so sich zu verschanzen und zubefestigen anfangen, dingt Diener und Knechte, daß sie davontreiben jeden, der sichunberufen der Wohnung eines groß und hoch gewordenen Geizigen nähert. Der Reiche kauftsich nachher bald ein ganzes Land zusammen, wird zum förmlichen Herrscher darin, erpreßtoft alles Gut von seinen Untertanen und behandelt sie als ein echter Tyrann.[168,02] Ist der Geizige einmal schon ganz übermäßig reich, so wirft er sich allemmöglichen sinnlichen Wohlleben in die Arme, verlockt die Mädchen, treibt Hurerei undEhebruch und noch andere Schändlichkeiten ohne Zahl und Maß. Und weil er ein Ersterseines Landes ist, so verführt er bald ein ganzes Volk durch sein schlechtes Beispiel; denn essagt: ,Der Herr muß es doch besser wissen als wir; tut er's, so können wir es auch tun!‘ Undso fängt endlich in einem solchen Lande alles an zu stehlen, zu rauben, zu morden und zuhuren, und von einer Gotteserkenntnis ist da keine Spur mehr![168,03] Gehe hin in die Länder und Reiche der Erde und schlage nach in derenChronik, und du wirst es finden, wie zuallermeist deren Herrscher anfänglich höchst geizendeund hab- und großgewinnsüchtige, gewöhnlich handeltreibende Menschen waren und sich mitihren erworbenen Schätzen mit der Zeit Länder und Völker kauften und sich dieselben dann

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zunutze machten durch allerlei Gewaltmittel, sogar der ihnen untertan gewordenen Völker oftganz gute Sitten und Religionen derart umgestalteten, daß an ihnen kaum noch eine Spur deralten Reinheit zu entdecken ist.[168,04] Darum habe du, Markus, vor allem wohl acht darauf, daß sich in dieserdeiner schon in der jüngst kommenden Zeit von Menschen sehr besuchten Heilanstalt keinGeiz einschleiche! Ja, es soll von da aus sogar eine übertriebene Sparsamkeit verpönt bleiben;denn sie ist gewöhnlich der Keim des Geizes![168,05] Jeder habe so viel, als er zum Leben nötig hat; das Mehr soll in deinemHause bei niemandem stattfinden! Die Privatgeschenke, die von den Gästen nicht seltendeinen Dienern werden gegeben werden, nimm du in die sichere Verwahrung und gib sie mitZinsen erst dann den Dienern, wenn sie alt und zum Dienen schwach geworden sind! Undsterben sie, so sollen das Ersparte ihre Kinder und Kindeskinder haben.[168,06] Dieser Rat gilt natürlich dir zuerst, dann aber auch allen deinenNachkommen. Ist unter deinen Dienern aber ein Verschwender, so ermahne ihn zur gerechtenSparsamkeit, und entziehe ihm auf eine Zeitlang deine Gunst, und zeige ihm, daß einVerschwender auch vielfach ein Selbstlieber ist, der mit der Zeit seinen Brüdern zur Last fällt,anstatt daß er nur mit dem gerecht Ersparten zur Zeit der Not seinen ärmeren Brüdernbeispringen würde.[168,07] Wer nur für sich allein spart und im weitern Sinne auch für seineAngehörigen, der spart nicht in Meiner Ordnung; sondern wer da spart, damit er etwas habe,um zur Zeit der Not auch für arme Brüder etwas zu haben, den lobe Ich und segne seineErsparnisse, und er wird niemals eine Not haben.[168,08] Ich sage nicht, daß jemand nicht sparen soll für seine Kinder und für seinHaus; denn es ist das ja jedes Elternpaares erste Pflicht. Aber es sollen dabei die fremdenArmen nicht ausgeschlossen bleiben; denn Ich lasse Meine Sonne ja auch im gleichen Maßeüber jene leuchten, die nicht Meine Kinder sind![168,09] Wer da tun wird, wie Ich es tue, der wird auch sein wie Ich und wirddereinst auch dort sein, wo Ich ewig sein werde. Wer aber seinen Brüdern gegenüber knickert,dem gegenüber werde auch Ich knickern und sehr sparsam sein.[168,10] Diese Lehre beachte du fortan in deinem Hause, so wird Mein Segen nievon ihm genommen werden! – Nun, hat noch jemand irgendein Anliegen, der komme undforsche!“

169. Kapitel[169,01] Tritt zu Mir Ebahl, der Vater Jarahs, und spricht: „Es gibt nun wohl nichts,worüber man Dich noch fragen könnte; denn wir haben der Wahrheiten und der Wunderdingehier in den etlich sieben Tagen in solcher Menge erlebt, daß, sie auf siebentausend Jahreverteilt, auf ein jedes Jahr ein tüchtiger Teil käme und die Menschheit denn auch in jedemJahre genug zu staunen und darüber nachzudenken bekäme. Wir sind nun an denallergrößtwertesten Schätzen des Geistes überreich geworden; es hängt nun nur davon ab,diese Schätze auch tatsächlich ins Leben zu übertragen, – denn sonst sind sie wertlos fürunsere Seelen, um deren Heil es sich da in diesem Leben einzig und allein handelt. Hier alleinfragt es sich: Werden wir sonst nur schwachen Menschen stets die hierzu hinreichendeWillenskraft besitzen? Was werden wir tun, wenn uns mit der Zeit Schwächen aller Artüberfallen werden, die selbst den oft Bestwilligen nicht verschonen?“[169,02] Sage Ich: „Ich werde jedes ernsten Strebens Hilfe, Kraft und Stütze sein! Inder Zeit der Not werde Ich niemanden verlassen, der sonst stets treugläubig und Mich liebendauf Meinen Wegen gewandelt ist. Ist er aber durch allerlei Lockungen der Welt von MeinenWegen abgewichen, da muß er es sich dann schon selbst zuschreiben, so für ihn Meine Hilfezur Zeit der Not unterm Wege verbleiben wird, und das so lange, als der Gefallene nicht vollErnstes und reuig und vollgläubig sich an Mich wenden wird![169,03] Ich werde zwar ewig ein und derselbe treue Hirte verbleiben und nachgehenden Schafen, die sich irgend verloren haben; aber das Schaf muß irgend zu blöken anfangenund sich finden lassen nach dem ihm eigenen und unantastbaren freien Willen.

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[169,04] Wer da irgend belastet ist mit einer für seine Kraft zu großen Lebensbürde,der komme im Herzen zu Mir, und Ich werde ihn stärken und erquicken! Denn Ich gebe ebendarum manchem eine größere Bürde zu tragen, auf daß er fühle seine Schwäche und zu Mirkäme dann im Herzen und Mich bäte um hinreichende Kraft zur leichteren Ertragung seinergrößeren Lebensbürde; und Ich werde ihn stärken in jeglicher Not seines Lebens und ihm einrechtes Licht geben, zu durchwandeln die finsteren Wege des Lebens dieser Welt. Wer aberdiese zu große Bürde wohl fühlt, aber nicht zu Mir kommt im Herzen, der muß sich's selbstzuschreiben, so er erliegt unter der zu großen Last des Erdenlebens.[169,05] Da hast du den Bescheid auf deine Frage, Mein Freund Ebahl! – Wer nocheinen Anstand hat, komme und forsche!“[169,06] Kommt in tiefster Ehrfurcht zu Mir Schabbi, der Redner der eben auch nochanwesenden zwanzig Perser, und sagt: „Erlaube, o Herr, mir auch noch ein Wort!“[169,07] Sage Ich: „Rede, Schabbi! Darum habe Ich zu allen gesprochen: Kommeund forsche!“[169,08] Spricht Schabbi: „Daß Du, o Herr, jemandem helfen wirst, der Dich darumanrufen wird, das ist ganz sicher und gewiß; aber was sollen da jene Menschen tun, die ohneihr Verschulden von Dir, o Herr, unmöglich etwas wissen können, noch lange von Dir nichtserfahren und wissen werden, nun in der größten Lebensfinsternis leben und unsäglicheLebensbürden ertragen müssen? Zu wem sollen diese sich wenden, der ihnen Hilfe brächteund Stärkung in ihrer unbeschreibbar großen Not?“[169,09] Sage Ich: „Kein Fleck auf der Erde, dahin nicht käme das Licht der Sonne,und so gibt es auch keinen Menschen, der nicht zum wenigsten eine Ahnung hätte von einemallmächtigen Gottwesen. Er bitte, verlange und hoffe nach seinem Glauben, und er wird aucheine Hilfe finden! Aber es gibt nur gar so viele Menschen nun, die gar keinen Glauben haben.Diese helfen sich selbst und machen sich auf Kosten der andern ihre Lebensbürde so leicht alsnur immer möglich; die brauchen von uns dann wahrlich keine Hilfe. Wer einmal des Satanssein will, der sei es; denn einem Selbstwollenden geschieht kein Unrecht! Übrigens denke dunur zurück, was Ich über die mannigfachen Lebensverhältnisse aller Menschen auf der ganzenErde, und das für alle Zeiten, geredet habe, und du wirst darin alles klar erleuchtet finden![169,10] Und nun ist Mein Stündlein, unter euch zu sein, abgelaufen. Ihr möget nunin Meinem Namen noch länger hier beisammen verweilen; Ich aber werde mit MeinenJüngern Mich notgedrungen von dannen begeben. Frage Mich jedoch niemand von euch,wohin! Denn vorderhand weiß Ich als ein purer Menschensohn es Selbst nicht; nur der Vaterin Mir weiß es, und Der spricht: ,Nun hebe Dich und gehe! Auf dem Wege werde Ich es Diroffenbaren, wohin!‘ – Der Friede und Meine Liebe sei mit euch!“[169,11] Darauf sagte Ich zum Markus: „Mache das große neue Schiff los! Ich undMeine Jünger werden es besteigen. Und ihr, Meine Jünger, erhebet euch und folget Mir! EinesSchiffsmannes bedürfen wir nicht; das Schiff wird jedoch unversehrt zur rechten Zeit vonselbst ohne Steuermann in den Hafen zurückkommen.“[169,12] Alle fingen an zu weinen, als Ich mit den Aposteln in das Schiff ging. Ichaber stärkte ihre betrübten Herzen, fuhr schnell auf die hohe See hinaus und entschwand baldihren Blicken. Sie blieben aber noch den ganzen Tag und die ganze Nacht beisammen undbesprachen sich über Mich, Meine Lehren und Taten. Erst am nächsten Morgen zogen sie inihre Orte, und Cyrenius machte Anstalten, alle die vielen hier bekehrten Pharisäer ihren neuenBestimmungen zuzuführen. Mehrere wollten Mir nachfahren; doch Raphael hielt sie davon abund sagte, daß Ich ohnehin bald wieder nach Kis, Genezareth und auch hierher kommenwerde. Da wurden alle ruhig und lobten Gott, daß Er sie solcher Gnaden gewürdigt hatte. Inwenigen Tagen kamen schon eine Menge Gäste von Tyrus und Sidon, um hier die Wunder zuschauen und die Heilquellen zu genießen, und Markus nahm auch gleich eine Menge Dienerauf.

170. Kapitel[170,01] Als wir aber schon weit draußen auf dem Meere uns befanden, sagte Ichabermals zu den Jüngern: „Wohin wir nun auch kommen mögen, da schweiget und verratet

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Mich nicht, daß Ich Jesus, der Christ, sei!“ (Matth.16,20)[170,02] Und Petrus trat zu Mir und fragte Mich, ob Ich noch nicht wüßte, wohin unsdas Schiff bringen werde; denn er führte das Steuerruder und hätte gerne erfahren, wohin erlossteuern solle.[170,03] Ich aber sagte: „Laß es gehen, wohin es geht; der Vater weiß es schon,wohin wir diesmal zu kommen haben! Nun sind wir noch auf dem Lehrwege, und unsereFahrt geht in die untere große Bucht, wo man der Stadt Cäsarea Philippi in den Rückenkommt, und dort werden wir uns einige Ruhe gönnen. Aber in ein paar Jahren werden wir aufdiesem Schiffe gen Jerusalem hinauffahren, und da wird es sich um ganz etwas andereshandeln. – Nun aber kommen wir in einen Ort ganz nahe der vorbenannten Stadt, allda trotzunseres mehrtägigen Aufenthalts auf der Gegenseite der benannten Stadt dennoch keinMensch von uns etwas vernommen hat. Selbst der große Brand der Stadt hat die Bewohnerdieses Ortes nicht aus ihrer Fassung zu bringen vermocht. Aber es mußte das also sein, damitihr bei dieser Gelegenheit wieder eine andere Art Offenbarung erfahret.“[170,04] Petrus aber trat zu Mir und sagte: „Herr, um was wohl wird es sich handelnin Jerusalem, im Orte des großen Verderbens? Denn von dort aus ist noch nie etwas Gutesund die Menschheit Beglückendes gekommen, und noch nie hat ein Ehrlicher in dieser Stadtetwas Tröstliches erfahren. Hochmut und Verfolgung sind darin stets vor allem zu Hause.Daher meine ich, es wäre besser gewesen, Du, o Herr, hättest Jerusalem also gezüchtiget wiediese kleine Stadt, die freilich die Strafe schon lange wohl verdient hatte. Vor acht Monatenungefähr waren wir ohnehin in Jerusalem und haben uns überzeugt, daß mit seinenBewohnern rein nichts zu machen ist bis auf ein paar Menschen, die aber als einzelneSchwalben auch noch lange keinen Sommer ausmachen. Daher wäre meine Meinung, wirsollen mit jener stolzen Greuelstadt, in der Johannes vor kurzem erst enthauptet ward, nichtviel Aufhebens machen und sie für alle Zeiten meiden. Denn solch eine Stadt ist ja doch ewignicht würdig, daß Du sie betrittst mit Deinen heiligen Füßen. Das ist freilich nur so meineMeinung; gib mir auch die Deine kund!“[170,05] Von dieser Zeit an fing Ich an, ernstlicher mit Meinen Jüngern davon zureden, daß Ich nach des Vaters Willen wohl werde nach Jerusalem gehen müssen und werdedort viel leiden von den Ältesten, Hohenpriestern und Schriftgelehrten, werde von ihnengetötet werden, aber am dritten Tage wieder vom Tode auferstehen. (Matth.16,21) Als einSieger über allen Tod und über alle Feinde des Lebens werde Ich dastehen dann für ewig, wieIch schon auf dem Berge des Markus davon Erwähnung tat.[170,06] Da erschrak Petrus förmlich und sagte zu Mir, Mich beiseite ziehend, ineinem gewissen gebieterisch-mahnenden Tone: „Herr, das geschehe Dir ja nicht, und Du bistuns und allen Menschen gegenüber verpflichtet, Deiner zu schonen!“ (Matth.16,22)[170,07] Aber Ich wandte Mich schnell um und sagte auch in einem ganz ernstenTon: „Hebe dich, Satan, von Mir! Du bist Mir ärgerlich; denn du meinst nicht, was dagöttlich, sondern nur, was da ganz gemein weltmenschlich ist!“ (Matth.16,23)[170,08] Hier erschrak Petrus ganz gewaltig, fiel vor Mir nieder, bat Mich umVergebung und setzte weinend hinzu: „Herr, als wir auf eben diesem Meere dahin steuerten,wo wir uns nun mehrere Tage aufhielten, sagtest Du zu mir ob meines Glaubens: ,SimonJuda, du bist Petrus, ein Fels, auf dem Ich Meine Kirche bauen werde, und alle Pforten derHölle werden sie nicht überwältigen! Dir will Ich geben des Himmelreiches Schlüssel. Wasdu auf Erden lösen wirst, das soll auch im Himmel gelöst sein, und was du binden wirst aufErden, das wird auch gebunden sein im Himmel!‘ Das, o Herr, waren buchstäblich Deineheiligen Worte aus Deinem heiligsten Munde, an mich armen Sünder gerichtet. Ich aber habemich darum dennoch nie erhoben, und mich stets nur für den Geringsten unter uns gehalten, –und wegen einer freilich nur menschlichen, aber dennoch nur aus meiner großen Liebe zu Direrkeimenden Warnung hast Du mich zum Fürsten der Hölle gemacht! Herr, sei doch gnädigund barmherzig dem armseligen Fischer Petrus, der zuerst sein Netz ins Meer warf, Weib undKinder verließ und Dir nachfolgte!“

171. Kapitel

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[171,01] Da wandte Ich Mich wieder freundlichst zu Petrus und sagte: „Darum habeIch dich nicht im geringsten herabgesetzt, so Ich dir in der scharfen Anrede gezeigt habe deinMenschliches! Alles, was diesweltlich Menschliches am Menschen ist – als sein Fleisch unddessen verschiedenartige Bedürfnisse aus puren diesirdischen Rücksichten –, ist im Gerichte,darum Hölle und Satan, der da ist ein Inbegriff alles Gerichtes, alles Todes und aller Nachtund alles Truges; denn alles scheinbare Leben der Materie ist nur ein Trugleben, und all ihrWert ist soviel wie gar keiner.[171,02] Welch ein Mensch immer in einen Sinn der Materie zurückfällt, ist insoweitdann auch Satan, inwieweit er irgend ein Heil in der Materie und in ihrem Scheinlebenvertritt.[171,03] Will jemand aber des Satans noch in seinem Fleische ledig werden, so mußer das Kreuz, das Ich schon jetzt im Geiste trage, auf seine Schulter nehmen und Mirnachfolgen! (Matth.16,24) Denn Ich sage es euch: Wer sein (irdisch) Leben erhalten will, derwird es (das geistige) verlieren; wer aber sein (irdisch) Leben um Meinetwillen verlierenwird, der wird es (das geistige) finden! (Matth.16,25)[171,04] Was hülfe es denn einem Menschen, so er gewönne die ganze Welt mitallen ihren Schätzen, litte aber dabei Schaden an seiner Seele? Oder was kann ein Menschgeben, daß er dann wieder löse seine Seele aus den Banden der Materie, des Gerichtes unddes Todes? (Matth.16,26)[171,05] Wohl wird es je einmal geschehen, daß Ich, als nun des Menschen Sohn,wiederkommen werde in der Herrlichkeit des Vaters mit allen Engeln, deren Macht ihrkennet, aber Er wird auch dann wie jetzt nur tun, helfen und vergelten können jedermann nachseinen höchsteigenen Werken. Wer tot befunden wird, der wird auch tot verbleiben bis zurZeit jener großen Erweckung auch aller derer, die in den Gräbern des Gerichtes verbliebensind, und auch da wird eines jeden Liebe, Willen und Gewissen Richter sein für immerdar!(Matth.16,27)[171,06] Aber die da leben nach Meinen Worten und verrichten die Werke derwahren Selbstverleugnung und innern freien Liebe, die werden den Tod nicht sehen undfühlen jemals. Wahrlich, zu Meiner und eurer großen Freude kann Ich euch sagen, daß voneuch etwelche dastehen, die keinen Tod schmecken und fühlen werden und Zeugen seinwerden von allem, bis da sogar auch vorbesprochenermaßen kommen wird des MenschenSohn in Sein Reich, den sie sehen werden und mit dem sie herrschen werden ewig! Aber dazuwird sehr viel Liebe zu Gott und dem Nächsten erfordert.“ (Matth.16,28)[171,07] Wahrlich, so da ist irgend ein Vater oder eine Mutter, die da nur sorgendarum, daß ihre Kinder in dieser Welt wohl versorgt werden möchten, und achten nicht höherden Wert des Lebens der Seele ihrer Kinder, die haben sich und ihren Kindern ein Grab zumewigen Tode gegraben; denn was immer der Welt ist, das ist des Satans, also des Gerichtesund des Todes der Materie![171,08] Wohl ist die Materie ja bestimmt, erweckt zu werden durch die Kraft einesjenseitigen, reinen Geistes zur Auferstehung aus den langen Gerichten; aber dann muß dieMaterie nach der ihr wohl eingeprägten freien Intelligenz übergehen in die rechte Form undWesenheit ihres jenseitigen Geistes, der ein Licht ist aus Gott. Geschieht das von der Materienicht, so kehrt der jenseitige Geist in seinen Urquell zurück, und die für immer belebt werdensollende Materie fällt abermals in ihr altes Gericht und wird im selben lange zu harren haben,bis etwa einmal abermals ein jenseitiger Geist sie erwecken wird zu einer neuen Lebensprobe.[171,09] Weil die Sache aber einmal so und nicht anders ist und sein kann, so kamdenn ja auch Ich Selbst von oben herab zu euch Menschen dieser Erde und zeige euch nun dievolle Wahrheit aller Lebensgestaltungen und deren gute oder schlechte Verhältnisse. Und du,Mein Petrus, wirst nun hoffentlich auch im klaren sein darin, warum Ich ehedem zu dir gesagthabe: ,Hebe dich von Mir, Satan!‘ – Nun in die große Bucht gesteuert!“

172. Kapitel[172,01] Gut bei zwei Stunden Weges unterhalb des nunmaligen Markusbadesbefand sich die große Bucht, die von den Fischern auch der ,Weiße See‘ genannt ward; in

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diese wurde hineingesteuert. Sie war des Sees seichtester Teil und war darum mit einemgrößeren Schiffe etwas schwer zu befahren, weil man da die tieferen Wasserwege gut kennenmußte, um nicht auf einer Sandbank steckenzubleiben. Aber unser Schiff ging dennoch ganzin die Bucht und fuhr nirgends auf, worüber sich sogar die zwölf Apostel sehr zu wundernanfingen, da niemand weder die Treibruder noch das Steuerruder führte. Das Schiff ward alsodurch eine unsichtbare Macht geführt und als ganz gut geleitet von allen schiffahrtkundigenAposteln anerkannt.[172,02] Wir kamen darum aber auch schon noch vor dem Mittage am Orte unsererneuen Bestimmung an und kehrten dort bei einem armen Fischer ein, der uns alle herzlichaufnahm. Der Ort hatte keinen eigenen Namen, man nannte ihn bloß ,Fischerdorf beiCäsarea‘. Es kamen bald eine Menge der armen Fischer und Fischerinnen zu uns und fragtenuns, was wir eigentlich hier suchten, und was wir in diesem überarmen Orte machen würden.[172,03] Ich aber beruhigte sie und sagte: „Das werdet ihr schon noch erfahren! Vorallem aber saget es Mir, ob wir dreizehn hier einige Tage ganz in aller Stille verweilenkönnen!“[172,04] Und unser Wirt sagte: „Von mir aus ohne allen Anstand! Nur muß ich euch,liebe Freunde, die Bemerkung voraus machen, daß ich wohl einen ganz guten Willen, aberkeine Mittel habe, euch auch nur einen notdürftigen Unterhalt zu verschaffen; denn mir gehtes besonders seit dem Brande von Cäsarea ganz erbärmlich schlecht! Der tägliche kleineVerkauf von unseren Fischen hat natürlich ganz aufgehört, und sonst gibt es bei uns armenBewohnern dieses Dörfchens auch keinen Verdienst. Wir sind sonach samt und sämtlich amBettelstabe, haben außer unseren Fischen gar keine Nährmittel und können euch daher auchnichts anderes bieten als nur Fische, wie wir sie haben, bereiten und essen. Aber die Bereitungist höchst einfach bei uns. Die Fische werden bloß gesotten und ohne Salz und Brot und ohnealle andere Würze verzehrt. Denn offen gesagt: wir sind durch den Brand von Cäsarea mehrdenn die abgebrannten Cäsaräer selbst zu den offenbarsten Bettlern herabgesunken und habennicht so viel irgendeines Geldes, um uns das Salz anschaffen zu können! Ah, uns geht es nunganz erbärmlich schlecht; so ihr mit mir und meinen Angehörigen ein paar Tage hindurchHunger leiden wollt, so seid ihr mir herzlich willkommen![172,05] Aber nun saget ihr mir doch gütigst, was euch denn in diese nahezu nie voneinem Fremden besuchte und für große Schiffe schwer befahrbare Bucht getrieben hat! EinSturm gewiß nicht; denn in diesem Winkel, von allen Seiten mit Hochgebirgen umlagert,findet auch dieser den Weg nicht. Oder seid ihr etwa gar Verfolgte, die hier auf so lange einAsyl suchen, bis irgendeine gewisse Gefahr vorüber sein werde? Allein, alles das ist mir ganzeinerlei! Kann ich euch sonach einen Dienst erweisen, so wird es mir nur eine ganz besondereFreude machen. Meine Fragen sind zwar etwas vorlaut, – aber ihr lieben Freunde müsset siemir vergeben! Ich bin einmal schon von Natur aus neugierig und weiß es gerne, wer der ist,dem ich eine Herberge gebe. Daß ihr keine Armen seid, das zeigt mehr als zur Genüge euergroßes, nahezu ganz neues Schiff, das ganz sicher bei hundert Silbergroschen gekostet hat.Für uns ist es offenbar eine große, überraschende Seltenheit, so sich irgend Fremde zu unsverirren; und wenn uns schon so ein Glück zuteil wurde, so hat es mit den Besuchern dieserallermagersten und abseitigsten Gegend sicher allzeit irgendeinen Anstand gehabt. Darumwollet es mir, als dem Vorstande dieses Betteldörfchens, doch sogleich angeben, was ich vorallem von euch, aber nur ganz der Wahrheit gemäß, treust erfahren möchte!“[172,06] Sage Ich: „Nun denn, so dich die Neugierde schon gar so plagt, da wisse,daß wir einmal dir ganz gleich Galiläer sind, und noch einmal, daß wir bis hierher durchausvon gar niemandem verfolgt worden sind, sondern freiwillig uns hierher begeben haben, umfürs erste diese sehr merkwürdige Gegend zu besichtigen, einen dieser hohen Berge zubesteigen und, so etwa tunlich, euch in eurer Mir sehr wohlbekannten großen Not zu helfen! –Bist du damit zufrieden nun, so rede!“[172,07] Sagt der Vorstand: „Ganz vollkommen; denn daß ihr offenbar Galiläer seid,das wird kein Mensch in Abrede stellen, und daher kann man eurer Aussage auch schon einenganz vollen Glauben schenken, was man natürlich den Griechen und Römern nicht tun kann,weil sie nahe allzeit anders reden, als sie denken, was bei uns ,lügen‘ heißt. Ruhet hier unter

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dem Schatten dieses meines einzigen Baumes unterdessen aus, und ich werde in meine Hüttegehen und sehen, wie ich mit einem erklecklichen Mittagsmahle zustande kommen werde!“

173. Kapitel[173,01] Der Wirt eilt mit Weib und schon erwachsenen Kindern in seine Hütte,kommt aber bald voll Freude und Dank zurück und sagt im freudigsten Tone: „Wer von euchhat mir denn geheim das getan? Meine Speisekammer ist ja doch so vortrefflichst ausgestattet,daß wir alle ein volles Jahr daran zu zehren haben! Ja, nun möget ihr euch ein Jahr lang hieraufhalten, und wir werden mit dem großen Vorrate nicht zu Ende kommen! Wo ich und dieMeinen aber nur unsere Augen gehabt haben müssen, daß da niemand bemerkt hat, wie ihrmeine Kammer mit so viel Speisen angefüllt habt?! Ja, jetzt werden wir keine bloß imungesalzenen Wasser gesottenen Fische essen, da wir des Salzes in einer großen Mengehaben! Aber nun zur guten Arbeit!“[173,02] Als alles Volk dieses Dörfchens sich des Mittags wegen in die Hüttenbegab, sagte Ich zu den Zwölfen: „Was haltet ihr von diesen Menschen hier?“[173,03] Sagte Petrus: „Ja, was soll man von ihnen eigentlich halten?! Sie scheinenganz ehrliche Leute zu sein; daß sie arm sind, nun, dafür können sie nicht. DasFischerhandwerk und ein steiniger Boden haben noch nie jemanden reich gemacht, was ichaus einer vieljährigen Erfahrung der Wahrheit gemäß vollauf beweisen kann. Und solcheFischer sind auch diese; sie haben vielleicht am ganzen Meere die schlechteste Bucht. IhreHütten stehen zwar auf Felsen; aber es wächst auf solchem Boden und Grunde oft nicht einGrashälmlein. Woher sollte ihnen da ein Reichtum erwachsen?[173,04] Also müssen sie auch ehrlich verbleiben; denn in dieser Gegend gibt'sweder etwas zu stehlen und noch weniger irgend etwas zu rauben. Und so einen Dieb undeinen Räuber nur die Gelegenheit zeiht da müssen diese Menschen dann ja schon für ihrganzes Leben ehrlich bleiben; denn bei diesen Menschen kann das alte Sprichwort,Gelegenheit macht Diebe!‘ niemals in Anwendung kommen. – Das ist so meine Meinungüber diese Menschen, die sicher keine Schriftgelehrten sind, und unter denen sicher auch keinPharisäer ist.“[173,05] Sage Ich: „Für diese Welt ist dein Urteil ganz richtig; aber hinter demdiesweltlichen Stande eines Menschen gibt es, wie ihr nun schon vielfach wisset und erfahrenhabt, einen seelischen und am Ende einen rein geistigen. Wie meinst du, daß diese Menschenda bestellt sind?“[173,06] Petrus zuckt da mit seinen Achseln und sagt: „Herr, darüber aus sich selbstein endgültiges Urteil zu schöpfen, wird etwas schwer hergehen! Doch insoweit sie als höchsteinfache und notwendig ganz ehrliche Leute dastehen, da dürften sie zum mindesten ein rechtfruchtbarer Boden für eine geistige Aussaat sein! Denn wie es ein leichteres ist, für einenwohlgebauten Leib einen gutpassenden Rock zu machen als für einen verkrüppelten undverhöckerten, so sind auch solche einfachen und naturreinen Seelen sicher schmiegsamer fürein geistiges Gewand als die höchst verkrüppelten und verknöcherten Seelen der Pharisäerund Schriftgelehrten. Ich meine, so man bei guter Gelegenheit diesen Menschen vom ReicheGottes auf Erden etwas vortrüge, so würden sie auch bald im reinen sein. – Nun, das istwiederum so meine ganz natürliche Meinung; kommen darin auch keine Glanzworte vor, sodürfte aber damit doch der Nagel so ziemlich auf den Kopf getroffen sein!“[173,07] Sage Ich: „Ganz gut geurteilt; daher werden wir ihnen auch nachher auf denZahn fühlen und sehen, inwieweit sie für etwas Höheres zugänglich sind! Ich aber werde hiernicht als Lehrer auftreten, sondern das werdet ihr tun als Ausgesandte und selbst Jünger desWeisen aus Nazareth. Erst so sie euch angehört und das Wort von der Ankunft des ReichesGottes auf Erden angenommen haben werden, dann erst möget ihr auf Mich also hinweisenund sagen, daß Ich eben Derjenige bin, von dem ihr gepredigt habt.[173,08] Und so werden wir hier auf diesem kleinsten und unansehnlichsten Orte derganzen Erde ein ganz großes Werk verrichten! Aber für zu leicht müßt ihr die Arbeit zumvoraus nicht ansehen; denn so einfach diese Menschen auch zu sein scheinen, so kompliziertund dabei sehr verwirrt sind sie in ihrem Innern!

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[173,09] Sie dünken sich für Weltweise und stecken bis über die Ohren imsogenannten Stoizismus, der am schwersten zu bekämpfen ist. Ich habe euch darum eigenshierher geführt, um euch eine Gelegenheit zu verschaffen, auch mit derlei Menschen euch nunzu versuchen, indem ihr beim alten Markus gar sehr vieles in der wahren, innersten Weisheitgewonnen habt.[173,10] Aber das sage Ich euch zum voraus, daß ihr euch werdet sehrzusammennehmen müssen! Denn niemandem ist schwerer ein Gesetz wirksam zu geben alseinem, der vor den sogar größten Unannehmlichkeiten des Lebens, ja sogar vor demschmerzhaftesten Tode des Leibes, nicht die allergeringste Furcht besitzt und jede noch sogroße Glückseligkeit des Lebens für gar nichts achtet. Und das sind eben solche Helden, diesich aus allem nichts machen, aber auch auf keine andere Tugend etwas halten als allein aufdie, ihre Bedürfnisse so klein zu machen als möglich, und die bloß deshalb leben und etwastun, weil sie die Natur, die bei ihnen alles in allem ist, einmal ins Leben gerufen hat.[173,11] Solche, wie diese hier, sind uns noch gar nicht untergekommen! Daher isthier sich zusammenzunehmen! Wenig Worte, – aber da darf keines ohne einen Kern vor siegebracht werden! Das Beste an ihnen ist, daß sie bei allem ihrem Stoizismus sehr neugierigeVögel sind und die Wissenschaft eines Menschen allein für etwas halten. – Jetzt aber kommtschon unser Wirt samt seinen Angehörigen und bringt in einem Korbe Fische und Brot. Wirwerden sonach das Mittagsmahl hier unter dem Schatten dieses Baumes zu uns nehmen.“[173,12] Hier kommt der Fischer, sein Weib und seine Kinder und setzen denSpeisekorb vor uns nieder.[173,13] Beim Niedersetzen des Korbes sagt der Fischer: „Hier, meine unbekanntenFreunde, ist das verlangte Mittagsmahl! Tische, Bänke und Stühle, Schüsseln und mehrerezum Essen dienliche Werkzeuge besitzen wir nicht, und unsere Bedürfnisse, die sehr kleinsind, können auch ohne derlei ganz gut befriedigt werden. Zugleich aber waren auch unsereMittel stets derart gering, daß wir derlei immerhin etwas unnötiges Zeug nie hätten anschaffenkönnen. Wir essen nur, wenn es uns sehr hungert, und da sind ein Korb und unsere Händehinreichend; das andere versteht sich von selbst! Ich wünsche, daß euch dies einfacheMittagsmahl wohl bekomme.“

174. Kapitel[174,01] Sage Ich zum Fischer: „Aziona, hast du doch einen neuen Krug in deinerWohnung; laß ihn mit Wasser füllen und hierher bringen!“[174,02] Aziona macht, als Ich ihn also anrede, große Augen und sagt ganz erstaunt:„Meinen Namen konntest du wohl irgend erfahren haben, – aber woher weißt du denn, daßich einen neuen Krug, der mein wahrlich größter Reichtum ist, besitze? Das wissen nichteinmal meine Nachbarn, und du als ein total Fremder weißt es? Ah, erlaube mir, das geht beimir nun schon ins Fabelhafte über! Hat etwa eines meiner Kinder euch geheim meinen Krugverraten? Es liegt weiter gar nichts am ganzen Kruge, – er ist von Stein, wie es bei uns indiesem Lande zahllos viele gibt; aber an dem liegt ungeheuer viel, daß du es weißt, daß sichein neuer Krug wohlverwahrt in meiner Wohnung befindet!“[174,03] Sage Ich: „Auch daran liegt nichts, da man so etwas ja doch erfahren kann!Aber daran liegt mehr, daß du gehst und Mir Durstigem Mein Verlangen erfüllst!“[174,04] Jetzt geht Aziona schnell und bringt den Krug voll frischen Wassers. DerKrug aber war einer von der größten Gattung und faßte gut einen viertel Eimer Wassers, daßman zu heben hatte, um ihn zum Munde zu bringen. Als der gefüllte Krug vor uns auf einerSteinplatte stand, segnete Ich das Wasser, und es ward zu Wein.[174,05] Ich trank daraus, reichte ihn dann den Jüngern, und als diese getrunkenhatten, reichte Ich den Krug auch dem Aziona und sagte: „Trinke auch du daraus, auf daß duauch wahrnimmst die Güte des Wassers, das du uns in deinem neuen Kruge hierhergebrachthast!“[174,06] Sagt Aziona: „Sollte es schlecht und faul sein?! Den Krug habe ich dreimalausgeschwemmt, und meine Felsenquelle liefert das reinste und beste Wasser im ganzen Orte!Will es aber dennoch verkosten, ob's nicht etwa einen Geschmack vom neuen Kruge

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angenommen hat!“ – Er kostet es, macht mehrere starke Züge und sagt dann ganz erstaunt:„Ja, aber was ist denn das schon wieder für eine Hexerei?! Das ist ja kein Wasser, das ist jaein allerbester Wein, wie ich noch nie einen bessern auf meiner Zunge hatte! Sagt mir doch,wie ihr das angestellt habt! Nein, Wasser zu Wein machen, ah, das ist ja noch nie dagewesen!Ihr seid wahrlich keine Galiläer, sondern entweder Ägypter oder Perser; denn unter allenJuden hat es noch nie irgendeinen solchen Zauberer gegeben, daß er es vermocht hätte,Wasser in den besten Wein zu verwandeln. O sagt mir es doch, wie solches möglich ist! Ichwill darum zwanzig Jahre euer Sklave sein!“[174,07] Sagt Johannes, dem Ich den Wink zu reden gab: „Mein Freund, dazu ist garnichts nötig als allein der festeste Glaube und Wille! Wer einen solchen Glauben hat, derkeinen Zweifel zuläßt, der kann auch zu jenem hohen Berge dort sagen: ,Hebe dich und stürzedich ins Meer!‘, und es wird geschehen, was er geglaubt und gesprochen hat! Da hast du dieganze kernwahre Erklärung und Anweisung, wie und durch welche Mittel derlei Dingebewerkstelligt werden können! Eine andere zu geben ist darum unmöglich, weil es durchauskeine andere gibt.“[174,08] Hier macht Aziona noch größere Augen und sagt: „Freund, ich weiß garnicht, was der Glaube ist, – wie könnte ich dann etwas glauben?! Was nennt ihr dennGlauben?“[174,09] Sagt Johannes: „So wir irgendeinen wahrhaftigsten Mann vor uns haben,und er sagt uns bald dies und bald jenes, von dem wir früher nie etwas gehört und erfahrenhaben, und wir nehmen seine Aussagen als völlig wahr an und zweifeln an der Wahrheitkeines seiner Worte, so glauben wir dem wahrhaftigsten Manne; und weil das, was wirglauben, sicherst eine vollste Wahrheit ist, so werden wir auch das, was wir glauben, ins Werkübertragen, und das ist dann eben der werktätige, wundervolle Glaube, dem kein Dingunmöglich ist, was sich in der Sphäre seiner in sich selbst ausgesprochenen Wahrheitbefindet, das allzeit realisierbar sein muß. – Weißt du nun, was der Glaube ist?“[174,10] Sagt Aziona: „Ja, wissen würd' ich's nun wohl, – aber wie anstellen, daß ichwisse, daß derjenige, der mir etwas zu glauben vorstellt, auch im vollsten Ernste einwahrhaftigster Mann ist? Bloß zu glauben, daß er es sei, weil er ungefähr also aussieht, wäreunklug und verriete eine sträfliche Leichtgläubigkeit, die nach meiner Meinung noch umvieles schlechter wäre als gar kein Glaube! Wie stellt man hernach das an, um seinen Mann,dem man glauben soll und möchte, so zu erkennen, daß er ein vollendetst Wahrhaftiger istund man ihm alles vom Munde allerungezweifeltst glauben kann?“[174,11] Sagt Johannes: „Dazu hat ja jeder Mensch von nur einigem besseren WillenVernunft und Verstand zur Genüge, um eine geziemende Prüfung mit seinem Mannevorzunehmen; denn nur ein Tor kann eine Katze im Sacke kaufen! Du fragst mich nach demProbemittel – und wendest es selbst soeben an mir an! Von dir bin ich schon lange zumvoraus überzeugt, daß du keine Katze im Sacke kaufen wirst!“[174,12] Sagt Aziona: „Ja, ja, Freund! Das ist schon wohl alles sehr wahr und sehrschön, und es hat ein Mensch wahrlich sonst nichts als seinen Verstand, mit dem er seineUmgebung prüft; aber wo liegt der Maßstab, mit dem ich vorher meinen Verstand selbst alszu einer Prüfung der Umgebung für tüchtig und scharf zur Genüge erkennen könnte?“[174,13] Sagt Johannes: „Da sind wir eben auf den allerkitzligsten Punkt geraten!Wer da meint, daß er einen hellsten Verstand besitze, der geht überall am meisten hohl aus;wer aber da einsieht, daß seinem Verstande noch gar manches abgeht, der wird es durchÜbung bald dahin bringen, daß er mit großer Schärfe alles wird beurteilen können, was umihn her ist und geschieht![174,14] Ein eingebildet hoher Verstand gleicht einer Bergspitze, die sehr prunkt inihrer schwindelerregenden Höhe, und je höher sie in die eitle Luft hinaufragt, desto öfter wirdsie von allerlei Wolken und Nebeln umhüllt. Die kleine Spitze einer Nadel, mit der man dieKleider zusammenheftet, ist, was die Größe und das Ansehen betrifft, nahe soviel wie nichts;aber sie dringt überall durch, und man könnte mit ihr so viele Matten zusammenheften, daßman damit die größten Bergspitzen tief herab bedecken könnte. – Mit den großen und stolzenBergspitzen wird sich sicher nie ein Gewand zusammenheften lassen!

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[174,15] Es ist dieses Gleichnis wohl etwas extrem; aber es bezeichnet dir dennochganz das Verhältnis eines sich über alles hoch und weise dünkenden Verstandes und einesdemütigen, der ganz unscheinbar vor den Augen der hochweisen und weltklugen Menschheiterscheint. Während aber der hohe Verstand weit in die Lüfte hinausstarrt und bei seinerreinsten Aussicht gleich dick umnebelt wird, da wirkt der demütige Verstand in einem fortGutes und wird nach einer jeden Arbeit heller und feiner und für die Folge immerbrauchbarer. Bei euch, wie es mir so vorkommt, scheint der Verstand eine große Ähnlichkeitmit den allerhöchsten Bergspitzen zu haben, die nur höchst selten wolkenfrei sind, und dadürfte es dir denn auch etwas schwerfallen, die volle Wahrhaftigkeit dessen genau prüfen zukönnen, von dem du eine Wahrheit als volle und ungezweifelte Wahrheit annehmen sollst! –Welcher Meinung bist du da?“

175. Kapitel[175,01] Sagt Aziona: „Na, das käme jetzt erst darauf an, ob es völlig in meinemWillen läge! Freilich nehmen wir nicht leichtlich etwas an, so wir zuvor nicht irgendauffallende Wirkungen gesehen haben. Nun, an der ersichtlichsten Wirkung aus dem von dirmir offen angegebenen Grunde fehlt es hier durchaus nicht; meine Speisekammer ist vollEßwaren, und nun hier der Wein aus reinstem Wasser! Das wären denn doch, wie man sagt,so hübsch handgreifliche Beweise dafür! Aber jetzt kommt es nur darauf an, klar zu wissen,ob ihr denn nicht doch so ganz geheim irgendein Spezifikum besitzet, durch dessen noch sogeringe Beigabe jedes reine Wasser zu Wein werden müßte! Es wird das wahrscheinlich derFall nicht sein; aber man kann sich bei der Betrachtung dieses reinen Wunders eines solchenGedankens nicht ganz erwehren; solange man aber das nicht kann, ist es mit der gänzlichenZweifellosigkeit wie mit der Wirkung des von dir gut gezeichneten Vollglaubens nichts! Undich sehe darum schon zum voraus nur zu gut ein, daß wir sämtlichen Bewohner dieses Ortesnie auch nur einem Tropfen Wassers den Geschmack des Weines werden zu verschaffenimstande sein![175,02] Wir sind hier zwar so armselig wie möglich plaziert – unsere Nahrungbesteht nur aus Ziegenmilch, Fischen und Wasser; denn etwas anderes gedeiht in dieser reinenWüste nicht –; aber wir sind damit zufrieden in unserem allerpursten Naturzustande. Dieserschließt die von uns allerorten vielfach gemachten Erfahrungen nicht aus. Weit und breit inaller Welt sind wir herumgekommen; denn wir waren Sänger und Magier, und ich habe inAthen die Apothekerkunst gelernt, gewisse geheime Spezifika zu bereiten, mittels welcherman für die vielen Laien eine Menge Wunder hat zustande bringen können.[175,03] Kurz und gut, ich bin, so einfach ich auch hier aussehe, mit einer großenMenge von allerlei Wissenschaften und Erfahrungen ausgestattet! Ich kenne das Lebenskrautder Königsschlange und kenne den Wunderstein Bezoar. Ich kenne Asien bis tief nach Indien,kenne Europa, war in Hispania, im Lande der Gallier und war auch in Britannien, kennedieser Länder Sitten und Zungen, kam wieder nach Griechenland und lernte dort Weisekennen aus der Schule des großen Weisen Diogenes und sagte dann: ,Oh, ein wie großer Narrist doch der Mensch! Länder und große Reiche durchwandert er des dummen Geldes wegen;Diogenes, der größte Weise, war glücklich in seinem Fasse, weil er die volle Nichtigkeit derWelt, ihrer Schätze und die vollste Wertlosigkeit des vergänglichen Erdenlebens ganz klarwie kein anderer eingesehen, begriffen und bewiesen hat!‘[175,04] Ich verließ mit meiner Gesellschaft dann vor zehn Jahren Athen und zogvon aller Welt fort in diese Wüste. Hier erbauten wir uns diese Hütten, die wir nun ganzzufrieden bewohnen. Unsere mitgenommene kleine Ziegenherde und die hier reichlichvorkommenden Fische, mit deren Überfluß wir bloß nur des Salzes wegen einen kleinenHandel nach der Stadt Cäsarea unterhielten, ernähren uns.[175,05] Da nun aber diese Stadt vor wenigen Tagen eine Beute der Flammengeworden ist, so hat auch natürlich dieser Handel sein Ende erreicht, und wir alle haben nunschon vier Tage hindurch zu unserer großen Freude die Erfahrung gemacht, daß man auchohne Salz leben kann, weil man schon von irgendeiner unsichtbaren Macht der Natur zumLeben verdammt ist.

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[175,06] Denn ich und wir alle halten das Leben für eine Strafe für die von dergroßen allgemeinen Natur losgetrennte kleine Natur, die wir belebten Wesen vertreten. Dasdenkende, sich selbst bewußte Wesen muß alle Reize des Lebens fühlen, um sich dann amEnde desto schmerzvoller durch den sichern Tod von ihnen trennen zu müssen. Daher ist deswahren Weisen Sache, von der wir alle ganz durchdrungen sind, diese: Das Wertlosestefrühzeitig vollkommen verachten lernen, und den Tod als die Versöhnung mit der großenNatur betrachten und für das größte Glück eines jeden lebenden Wesens halten! Ist einMensch einmal darin groß und tüchtig geworden, so hat er damit auch das allein wahre undgrößte Lebensglück erreicht. Er lebt dann ganz zufrieden und sehnt sich ganz durch und durchnach dem Tode, der eines jeden lebenden Wesens größter Freund ist.[175,07] Wir haben eine rechte Freude an jedermann, dem wir mit unseren kleinstenMitteln einen Dienst erweisen können; aber wir bemitleiden auch aus gutem und tiefwahremGrunde jeden Menschen, der sich alle Mühe gibt, in der Welt etwas zu erreichen. Wozu sichplagen und sorgen für etwas, das buchstäblich nur von heute bis morgen besteht? Wer unsaber etwas anderes weismachen will, dem zeigen wir bloß die Gräber der Toten, aus denennoch kein Wesen neubelebt hervorgegangen ist! Was man war, das wird man wieder, nämlichErde zur Nahrung der glücklichen Pflanzen, die da sind und nicht fühlen, daß sie sind, undnicht denken, daß sie vergehen werden. Oh, wie groß und heilig ist das Nichtleben gegenüberdem sich klar bewußten Leben![175,08] Ihr scheint allem Anscheine nach auch so eine ganz bestbestellteKünstlergesellschaft zu sein und zu versuchen, euch ein sogenanntes Erdenglück zuerringen!? Wir ganz Glücklichen können euch nur bedauern, so ihr das wahre Lebensglückauf irgendeinem andern Felde suchen wollet als allein auf dem, auf welchem es allein fürbleibend zu finden ist. Bleibet da und erbauet euch kleine Wohnhütten gleich den unsrigen!Begnüget euch für dies nichtige, gar nichts sagende und ebenso gar nichts bedeutende Lebenmit dem möglich Wenigsten, und ihr werdet es erst nach und nach einsehen undkennenlernen, wie sehr recht und wahr das ist, was ich soeben zu euch geredet habe![175,09] Und du, Hauptredner, wirst es auch begreifen, daß dies mein reellstesWissen um sehr vieles mehr wert ist als dein fester, ungezweifelter Vollglaube! Was nützt esdir, so du mit deinem Vollglauben auch ganze Bergreihen versetzest, am Ende aber dochsterben und in die nimmer endende Vernichtung übergehen mußt? Wir alle sind nichts als einSpiel der großen Natur zwischen Erde, Mond und Sonne! Zwischen diesen dreien bilden sichzufällig Gesetze, und ihre Folgen beleben momentan den Erdboden. Die blindenSchwachbelebten sehen das freilich wohl nicht ein; aber wir, die wir durch gar viele Strahlender Sonne hindurchgewandert sind, haben das kennengelernt und können es mit dem bestenGewissen von der Welt jedermann kundtun, was das Leben ist, und was man vom selben zuerwarten hat!“[175,10] Hierauf schwieg Aziona.

176. Kapitel[176,01] Aber Johannes sagte: „Ich staune über deine Beredsamkeit und über deineLebensansichten, die teilweise wahrlich gar nicht zu verwerfen sind; aber in der Hinsicht, daßdu meinst, dies Leben habe gar keinen Wert und sei bloß nur ein Spiel der großen Natur, –wahrlich, da bist du sehr irre daran! Hast du denn nie etwas von einem Gott gehört, derHimmel und Erde und alles, was da ist, aus Sich heraus erschaffen hat? Man bemerkt ja dochauch mit Leichtigkeit eine gewisse Ordnung in allem, was da ist: Die Zwecklichkeit derGlieder eines Tieres und noch mehr eines Menschen! Wie wohlberechnet das Auge und dasOhr![176,02] Kannst du bei nur einigem höheren Denken wohl annehmen, daß das allesallein nur ganz tote und lebensstumme Gesetze getan haben?! Oh, da bist du trotz deinervermeinten größten Weisheit noch sehr armselig daran, und es ist mir sehr leicht begreiflich,warum du dies Erdenleben gar so verächtlich und wertlos findest! Du hast zwar mit deinerGesellschaft viele Länder mit manchen beträchtlichen Beschwerden durchwandert, hast vielgesehen und erfahren, – aber um den besten Teil des Lebens hast du dich noch nie

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bekümmert![176,03] Im Anfange hast du dich nur fürs materielle Heil des Lebens geopfert. Eswollte dir aber, wie es schon so manchmal in der Welt sich fügt, die Sache nicht glücken;denn ein gar besonders ausgezeichneter Magier warst du nicht und besaßest dazu auch viel zuwenig derjenigen äußeren Weltklugheit, durch die allein man die Welt vom Aufgange bis zumNiedergange so recht breitschlagen kann. Du konntest dir also dein früher sooft geträumtesErdenlebensglück mit Hilfe deiner Kunst, die, wie gesagt, nicht zu sehr weit her war, nichterringen, trotz deiner weiten Reisen. Ich werde dir aber den ganz einfachen Grund auch nochdazu sagen, damit du erfahrest, wie man durch den festen Glauben auch das Innerste undVerborgenste eines Menschen herausbringen kann.[176,04] Siehe, du warst dir so in deinem Herzen sehr wohl bewußt, daß du in allendeinen Künsten und Wissenschaften nur ein purer Stümper warst und auch nicht hast wagendürfen, in irgendeiner großen Stadt im Angesichte sehr gebildeter, wohlerfahrener undverständnisvoller Menschen deine nichtssagenden Künste zu produzieren, und doch hättest dunur in den Großstädten dir reichliche irdische Schätze zu sammeln vermocht! Du mußtest diralso stets nur so ein recht dummes Volk aufsuchen, das sich leichter über den Daumen drehenließ. Ein solches hast du auch zuweilen gefunden; aber da ein dummes Volk auch stets einarmes ist, so konnte da für dich nie ein Gewinn herausschauen.[176,05] Darauf wurdest du toll, als du nach Illyrien kamst und durchaus schlechteGeschäfte gemacht hattest. Da kam im Dorfe Ragizan ein Grieche zu dir, pries dir Athen anund versprach dir dort goldene Berge. Dieser Grieche war aber ein gewöhnlicher Küstenfahrermit seinen Booten, und es war ihm nur darum zu tun, Fahrgäste nach Griechenland für seineleeren Boote zu bekommen. Ob du in Athen etwas gewinnen werdest oder nicht, das war ihmganz einerlei. Kurz, du verdingtest dich mit dem Griechen nach Athen und kamst nach einerlangweiligen, dreiwöchigen Fahrt ganz glücklich und wohlbehalten in Athen an, allwo du inder alten, kunstklassischen Stadt gleich bei der ersten Produktion weidlichst ausgepfiffenworden bist.[176,06] Das ärgerte dich und deine Gesellschaft sehr, und du fingst infolge deinerErfahrungen an, mit den Griechen als ein Weiser zu verkehren, und fandest bald recht vieleZuhörer, die dich für deine Erzählungen gerne sogar groschenweise zahlten; denn niemandhört so gerne von gemachten Reisen erzählen wie eben die reiselustigen Griechen. Als du alsomit den Griechen eine Zeitlang verkehrt hattest, machtest du Bekanntschaft mit einer ArtWeisen nach der Lehre eines gewissen Diogenes. Diese gefielen dir, weil sie trotz ihrerersichtlichen Armut sehr heiter und voll guter Dinge waren. Dir kam das sonderbar vor, daßMenschen, in der tiefsten Armut steckend, weise Reden führend und im Essen und Trinkenstets höchst mäßig seiend, so heiter und zufrieden sein können. Du fingst an, dich stets näherund näher um den Grund zu erkundigen, und er wurde dir gezeigt.[176,07] Als du und deine Gesellschaft in solche Lebenszufriedenheitslehreeingeweiht waret, beschlosset ihr bald, hierher heimzukehren, von wo ihr ausgegangen seid,und irgend in der Nähe der Stadt Cäsarea in einer herrenlosen Gegend euch niederzulassenund da eine zwar arme, aber möglichst glückliche Menschenkolonie zu gründen. Und wie ihrvor ungefähr zehn Jahren hier angekommen seid und euch allhier angesiedelt habt, so seid ihrnoch.[176,08] Ihr habt als geborene Juden die Lehre eurer Väter, die ihr freilich nieernstlich gehandhabt habt, weil ihr euch an den Handlungen der Pharisäer gestoßen habt,verlassen und habt jene euch weiser dünkende der Heiden angenommen. Auf diese Art seidihr aber dann vollends gottlos geworden und habt an Gottes Stelle die Macht der großen Naturgesetzt. Mit dem meinet ihr den Stein der Weisen gefunden zu haben!? Aber ich sage es dirund kann es mit dem besten Gewissen von der Welt sagen, daß ihr euch dadurch vom selbennur stets weiter und weiter entfernt habt![176,09] So du ein wahrhaft Weiser bist, da zähle nun du mir auf, was ich von meinerJugend an getan habe, was ich gelernt habe, was ich war, und was ich nun so ganz eigentlichbin! Ich aber habe dir ganz kurz, doch offenbar nicht mit einer Silbe unrichtig, dargestellt, wiees dir nahe von deiner Geburt an in der Welt ergangen ist, und so es die Zeit gestatten würde,

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hätte ich dir auch haarklein dein ganzes Leben beschreiben können! Urteile nun aber selbst,wer von uns beiden der Weisere ist, ich mit meinem ungezweifelten Vollglauben, oder du mitdeinem vollen Unglauben!“

177. Kapitel[177,01] Hier sah Aziona den ganz gemütlichen Johannes groß an und sagte: „Höre,du mein übrigens höchst schätzbarer Freund! Das, was ich nun aus deinem Mundevernommen habe, ist mehr als meine gefüllte Speisekammer und bei weitem mehr als der ausreinem Wasser hergestellte Wein; denn was du mir gesagt hast, ist buchstäblich von Alpha bisOmega wahr! Du hast mich zuvor nie gesehen und gesprochen und kennst meine und meinerganzen Gesellschaft Lebensverhältnisse so genau, als hättest du das alles mit unsdurchgemacht! Das ist viel – und etwas, das mich sehr stutzig zu machen beginnt. Daß deinKollege, der zuerst den Redner machte, um meinen Namen wußte, fiel mir durchaus nicht auf,da um den ganz Cäsarea weiß, von wo aus ihr habet hierher beschieden werden können; abermeine Lebenserfahrungen sind von gar keinem von uns irgend jemandem bekanntgegebenworden, und du hast sie daher auch von niemandem in Erfahrung bringen können, – und duweißt um jede Kleinigkeit, ja sogar um meine damals gehabten Gedanken, Beschlüsse undinneren, oft nicht einmal irgend jemandem aus meiner Gesellschaft mitgeteilten Absichten!Freund, das ist etwas, das sich auf gar keinem natürlichen Wege erklären läßt![177,02] Wohl soll es einst in Ägypten Weise gegeben haben, die da aus den Liniender Hand und der Stirne einem Menschen weissagen konnten, was er getan hat, und was er zuerwarten habe; auch gab es gewisse Tempelschläfer, die in einer Art Schlafekstase so mancheDinge weissagten, die entweder irgend so bestanden oder erst geschehen und bestehenwerden. Aber mit welchen mystischen Bildern wurde all dergleichen Orakelzeug an dasTageslicht gefördert! Es bedurfte da wieder neuer Weiser, die da solche höchstunverständlichen Orakelsprüche den Laien zumeist auf eine witzige und sehr pfiffige Weiseerklärten, nach welchen oft sehr pomphaften und kostspieligen Erklärungen der Fragendeeben das wußte, was er entweder gar nie zu wissen begehrte, oder was er schon lange frühergewußt hatte. Aber bei dir ging die Sache ohne allen Tempelschlaf, ohne alle Besichtigungmeiner Hände und ohne allen mystischen Wortkram ganz linieneben heraus! Ja, so eineWeissagung lasse ich mir gefallen! Aber jetzt kommt der hinkende Fragbote und sagt: Wie,wie ist so etwas möglich? Außer einer allsehenden und allfühlenden Götterkraft ist dasvollkommen undenkbar! Sollte sich so etwas im Ernste allein durch den Vollglaubenerreichen lassen?“[177,03] Sagt Johannes: Jawohl, Freund; aber freilich kommt es sehr darauf an, wasman glaubt! Es könnte dir jemand eine Lüge vorsagen, und du glaubtest sie fest, so würdesolch ein noch so ungezweifelter Glaube keine Wirkung haben, weil man darauf, wo eskeinen wahrhaft festen Kerngrund gibt, kein Haus bauen kann.“[177,04] Sagt Aziona: „Das ist alles in der Ordnung; aber wo ist der Probierstein,mittels welchem ich zur vollsten Überzeugung gelangen könnte, daß das eine vollste Wahrheitsei, was mir jemand zu glauben vorgestellt hat?“[177,05] Sagt Johannes: „Über dies Kapitel haben wir zwar schon gesprochen; allein,um dir noch einen näheren Fingerzeig zu geben, sage ich dir, daß Gott, der Herr Himmels unddieser Erde, einem jeden nach der Wahrheit strebenden Menschen ein Gefühl in sein Herzgelegt hat, das die Wahrheit noch viel eher erkennt und erfaßt als ein noch so durchgebildeterVerstand.[177,06] In diesem Gefühle weilt auch die Liebe zur Wahrheit, die sie als solchewahrnimmt, bald mit ihrer Lebenswärme durchdringt und also lebendig macht. Wird derGlaube als eine von der Liebe durchdrungene Wahrheit aber einmal lebendig, dann wird erauch sich zu regen, zu bewegen und am Ende selbst zu handeln anfangen. In solchemzuversichtlichen Handeln liegt dann erst auch das volle Gelingen dessen, was man im Herzen,und nicht etwa im Gehirn des Kopfes, als ungezweifelt glaubt.[177,07] Im Gehirne hat die Seele nur ihre Augen, Ohren, ihren Geruch undGeschmack; von diesen geht aber kein Leben aus, da sie selbst nur Wirkungen des Lebens

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sind.[177,08] Soll denn ein Glaube wirken, so muß er eins sein mit dem Leben selbst undnicht, gleich den Augen und Ohren, der Nase und dem Gaumen, als eine bloße Wirkung desLebens für sich einzeln dastehen ohne einen tieferen Verband als allein den des nötigenäußeren Gebrauchs. Ist aber dein Wahrheitsglaube einmal eins geworden mit deinem Leben,so hat er schon von selbst jeden Zweifel aus sich ausgeschieden, und er darf dann nur wollen,und es wird geschehen, was solch ein Lebensglaube will.“

178. Kapitel[178,01] (Johannes:) „Der echte, wahre Glaube gleicht bei einem Menschen, der zuglauben anfängt, dem Weinmoste, der in die Schläuche getan wird. Da fängt er bald an zugären, so er ein echter Traubenmost ist. Durch diese Gärung wirft er alles von sich hinweg,was nicht völlig Wein ist. Hat er alles aus sich entfernt, was nicht seiner Art war, so wird erdann ein reiner und kräftiger Wein, der beim Genusse alles belebt, weil er selbst gewisserartLeben ist. Tust du aber eine andere Flüssigkeit in die Schläuche, so wird sie entweder in garkeine Gärung oder höchstens in eine faule gelangen und in eine stinkende Verwesungübergehen, durch die auch der Schlauch angegriffen und zerstört wird.[178,02] Gleich dem Schlauche aber ist des Menschen Herz, das durch die Wahrheitstets lebendiger und kräftiger wird, durch Lüge und Trug aber am Ende selbst als sonstigerTräger des Lebens in den vollen Tod übergehen muß.[178,03] Glaubst du an einen Gott im Herzen, so wirst du Ihn auch lieben, weil imHerzen alles mit der Liebe durchdrungen wird. Liebst du aber Gott, so ist Gottes höchsteKraft in dein Herz und also in dein Leben selbst eingedrungen.[178,04] Gottes Kraft aber ist keine irgend begrenzte, sondern durchdringet die ganzeewige Unendlichkeit. Wirst du aber also im Verbande mit der göttlichen Kraft irgend indeinem Lebensgrunde angeregt, so wird zugleich auch die göttliche Kraft in dir angeregt, undso dann diese in dir will, so geschieht unfehlbarst, was sie will.[178,05] Ich bin zwar äußerlich ganz so ein Mensch wie du; aber in meinem Herzenbin ich nicht mehr als nur für mich selbst daseiend, sondern Gottes Kraft ist durch meinegroße Liebe zu Ihm eben in meinem Herzen wohnend und ist eins geworden mit meinerLiebe. Darum konnte ich auch aus der Kraft Gottes heraus alles erschauen und wahrnehmen,was da alles mit dir und deiner Gesellschaft auf deinen Reisen sich zugetragen hatte. Hierinliegt alles![178,06] Du mußt Gott erstens erkennen, und dazu hast du einen geordnetenVerstand. Aber beim Verstande allein hat es nicht zu verbleiben. Was du verstehst, mußt duehest in dein Herz oder in dein Leben aufnehmen, es damit beleben, und du wirst dann schonauf dem rechten Wege sein! – Hast du mich aber wohl auch verstanden?“[178,07] Sagt Aziona: „Verstanden habe ich dich wohl; aber was ist dann zu tun, sodas Herz schon mit allerlei Unflat von Lüge und Trug erfüllt ist? Wie das vorherhinausschaffen?“[178,08] Sagt Johannes: „Nimm du nur die Wahrheit an; sie wird das ihrige auchohne deine Hände tun! Wenn du in der Mitternacht die Finsternis betrachtest, kannst du dirauch ängstlich denken, wie diese vor dem werdenden Tag etwa doch weichen wird. Wer wirdsie hinwegfegen? Ich aber sage dir: Sorge dich nicht darum! Laß nur erst die Sonne des Tageskommen, die wird mit der noch so dichten Finsternis gleich fertig werden! Wie aber Gottwirket in der großen Außennatur der Welten, ebenso wirket Er auch durch SeineLebensgnadensonne im Menschenherzen. – Verstehst du das?“[178,09] Sagt Aziona: „Ja, ich verstehe es nun; aber nun lasse mich zu einigenNachbarn gehen, daß ich ihnen offen sage, was ich hier erfahren habe!“[178,10] Darauf empfahl sich unser Aziona und eilte hastig zu seinen Nachbarn, rieflaut und schnell alle zusammen und erzählte ihnen haarklein alles, was er nun erfahren,gesehen und gehört hatte.

179. Kapitel

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[179,01] Diese erstaunten höchlichst über alles das, und einer sagte: „Merkwürdig,ich halte zwar nichts auf die Träume, – aber mein Traum, der mir in dieser Nacht vorkam,scheint sich mit dieser höchst sonderbaren Begegnung sehr als wahr zu bestätigen!“[179,02] Fragt ihn gleich Aziona in seiner hastigen Weise: „Nun, nun, erzähle nurgeschwind, was dir alles geträumt hat! Aber laß ja nichts aus; denn es kann alles von großerWichtigkeit sein!“[179,03] Sagt der Nachbar: „Nur eine kleine Geduld, mein Freund Aziona; denn manmuß sich den Traum erst so recht aus allen den Lebenswinkeln seines Gemütes ein weniggeordneter zusammensuchen, weil man dir mit keiner ungeschickten Erzählung je kommendarf. Aber nun habe ich ihn schon so ziemlich beisammen, und so wolle du ihn ganz geduldigvernehmen.[179,04] Ich stand am Ufer unserer für jedes größere Schiff nahe unbefahrbarenBucht. Da ersah ich im Morgen einen großen Glanz aufsteigen, stärker leuchtend denn dieMittagssonne. Ich forschte mit meinen Augen hin und her und auf und ab, doch es wollte sichnichts zeigen als etwa irgend etwas der Sonne Ähnliches, von dem der große Glanz hätteausgehen können![179,05] Ich betrachtete diesen großen Glanz mit einer stets größeren Lust undentdeckte bald darauf ein großes Schiff, das gerade in diese Bucht einlenkte. Dieses Schiffaber war so leuchtend, daß ich bald gewahrte, daß der vorhergehende große Lichtglanz alleinnur von diesem Schiffe herrühren konnte. Ich bemerkte auch bald Menschen in diesemLichtschiffe, unter denen besonders einer mehr denn die Mittagssonne leuchtete. Aber auchdie andern, bis auf einen, leuchteten stark, aber dennoch so, als wären sie gleich den weißenSonnenwölkchen von dem einen beleuchtet. Das Schiff näherte sich schnell unserer Kolonie.Mich ergriff ob des stets stärker werdenden Lichtes ein großes Bangen, daß ich mich eiligst inmeiner Hütte zu verbergen suchte. Aber da ward ich wach und sah erst ein, daß es nur einTraum war.[179,06] Obwohl ich aber, wie auch jeder von uns, auf einen Traum nichts halte, sohat mich aber dennoch dieser sonderbare Lichttraum bis jetzt beschäftigt und ich rief mir zuöfteren Malen zu: ,Nein, das ist kein gewöhnlicher, leerer Traum! Der wird auf irgendeineganz entsprechende Weise in Erfüllung gehen!‘ Und siehe, da ist sie schon vor uns![179,07] Jetzt aber nur gleich hin; denn ich brenne vor Begierde, das Schiff zu sehen,ob es mit dem von mir im Traume gesehenen zum wenigsten eine formelle Ähnlichkeit hat!Auch die Menschen habe ich in größerer Nähe schon so deutlich ausgenommen, daß ich mirdie Physiognomien recht gut habe merken können. Es wäre wahrlich höchst merkwürdig, sodas Schiff und auch die Menschen, die ich auf dem Schiffe in meinem Traume geschaut habe,mit deinen wunderbaren Gästen eine Ähnlichkeit hätten! Gehen wir daher nur gleich zu ihnen,auf daß sie uns nicht vorher etwa abfahren!“[179,08] Darauf erhob sich gleich die ganze Nachbarschaft und eilte zu uns.[179,09] Als sie nun vor uns standen, rief gleich der Träumer laut aus: „Ja, ja, BruderAziona, das ist auf ein Haar dasselbe Schiff, und das sind auch ebenso ganz dieselbenMenschen, nur alles ohne den Lichtglanz!“[179,10] Hier rief Ich Selbst ihn beim Namen und sagte: „Hiram, was hältst denn dudemnach nun von deinem Traume? Und was du, Aziona?“[179,11] Sagte Hiram: „Ja, ihr lieben, wunderbaren Freunde! Darüber weiß ich garnichts anderes zu sagen, als daß er mit euch, was die Form betrifft, ganz vollkommen in dieErfüllung gegangen ist! Nur das Licht ist nun nicht ersichtlich; vielleicht aber werden wir allees auch wieder zu sehen bekommen, so dieser helle Sonnentag sich mit dem Sternenmantelder Nacht umhüllen wird!“[179,12] Sagt Aziona: „Ich aber meine, daß es da keines äußeren Leuchtens bedarf,weil diese lieben Freunde des unbegreiflichen innern Lebensweisheitslichtes gar so strotzendvoll sind! Und ich möchte da schier meinen, daß du, Freund Hiram, in deinem wahrhaftmerkwürdigen Traume nur dieser Männer geistiges Leuchten geschaut hast! Jedoch darüberwerden dir erst eben diese lieben Männer und unbekannten Freunde den rechten Aufschlußgeben!“

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180. Kapitel[180,01] Sagt hierauf Johannes: „Siehst du, Freund Aziona, wie es bei dir schongeistig zu dämmern beginnt? Denn du hast deinem Freunde und Nachbarn Hiram über dasLeuchten seines Traumgesichtes eine ganz vollkommen richtige Erklärung gegeben; denn esverhält sich gerade und ganz genau also! Im Traume schauet nur die Seele geistig mit ihrengeistigen Augen und kann demnach auch nur das Geistige sehen, – und so hast du uns zumvoraus auch nur geistig sehen können, das heißt nicht du, Aziona, sondern der Hiram.“[180,02] Sagt Aziona: „Aber Hiram sah nicht nur das Licht allein, sondern auch dieMaterie der Form nach, wie sie hier ist! Nun, mit welchen Augen sah er diese?“[180,03] Sagt Johannes: „Als wir heute vor etwa drei Stunden ankamen, da warst duund noch mehrere deiner Nachbarn zugegen; nur Hiram war nicht da. Als der Mittag kam,eilte alles in die Hütten des kargen Mittagsmahles wegen; du allein nur bliebst uns zu unsererBewirtung. Wäre Hiram auch unter denen gewesen, die uns mit dir hier empfangen haben, sohättest du eher noch eingesehen, wie man mit den geistigen Seelenaugen zuweilen auchmaterielle Formen sehen und wahrnehmen kann. Aber nun muß dir das erst nach und nachgezeigt werden; denn da kommt es nun auch auf das alte Sprichwort an, daß mit einem Hiebenoch lange kein Baum fällt.“[180,04] Fragt Aziona: „Ja, lieber, weisester Freund, warum aber hätte ich das dannfrüher eingesehen, so bei eurer Ankunft auch Hiram zugegen gewesen wäre?“[180,05] Sagt Johannes: „Ja, das hat, weißt du, schon so alles seine sehr geweistenWege! Hiram hätte uns sogleich als dieselben erkannt, welche er in seinem Lichttraumegesehen hatte, und da hätte unser Gespräch sicher auch gleich eine andere Wendunggenommen, und wir wären da offenbar früher über diesen Punkt zu reden gekommen. Nunaber sind wir später erst darauf gekommen, und so kannst du auch aus ganz natürlichenUrsachen nur später hinter dies Geheimnis kommen!“[180,06] Sagt Aziona: „Ja, das ist freilich etwas ganz Natürliches; denn das geht mitallem in der Welt also! Je später man mit einer Arbeit, die eine bestimmte Zeit erfordert,anfängt, desto später wird man auch damit fertig!“[180,07] Sagt Johannes: „Aber es ist hier doch auch noch ein anderer Grundvorhanden, den du aber jetzt noch nicht so geschwind einsehen kannst; mit der Zeit jedochwirst du auch darin ins klare kommen, nur mußt du dir vor allem ein wenig mehr Geduldaneignen! Denn nur mit Geduld kann man endlich die ganze Welt in sich und auch außer sichbesiegen.“[180,08] Sagt Aziona: „Geduld, wahrlich, die ist meine schwache Seite nicht, – dennan der hat es mir stets stark gemangelt; aber so es sein muß, so kann ich schon auch geduldigsein!“[180,09] Sagt Johannes: „Du hast eigentlich sagen wollen, daß die Geduld bei dirkeine starke, sondern wirklich nur eine sehr schwache Seite ist, die bald und gerne reißt, –nicht wahr, mein Freund Aziona?“[180,10] Sagt Aziona: „Gediegene Sprachkenntnis müßt ihr bei uns nicht suchen;denn wir reden nur so nach altem Sprachgebrauche, und der ist, was den Sinn betrifft, fastüberall ein anderer. Aber weil du schon gerade von starken und schwachen Saiten gesprochenhast, so möchte ich fast meinen, daß ihr auch Musiker und Sänger seid!“[180,11] Sagt Johannes lächelnd: „Ja, ja, du möchtest nicht so ganz unrecht haben;denn Musik und Gesang ist bei den Juden ja von jeher unter allen Völkern der Erde amstärksten vertreten gewesen, obwohl wir denn so ganz eigentlich doch weder Musiker nochSänger sind, wie sie nun bei uns in Galiläa sehr häufig vorkommen. Auch meinte ich mit demAusdrucke ,schwache und starke Seite‘ nicht etwa die Saiten eines musikalischenInstrumentes, sondern nur die moralische Seite des menschlichen Gemütes; aberdessenungeachtet sind wir dennoch auch Musiker und Sänger, aber nur so recht tief geistig! –Verstehst du solches?“ –[180,12] N.B. Hier muß zum Verständnisse der Deutschen das wohl bemerkt werden,daß in der althebräischen Sprache die Saite eines Musikinstrumentes und die Seite eines

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Menschen noch gleichlautender waren als in der gegenwärtigen deutschen Sprache; dennSaite hieß Strana, auch Strauna, und die ,Seite‘ hieß ebenfalls Strana, auch kürzer Stran oderStranu, und es kann daraus leicht entnommen werden, warum Aziona uns für Musiker undSänger zu halten anfing. (Anmerk. v. J. Lorber)

181. Kapitel[181,01] Sagt darauf Aziona: „Wahrlich, nein, das verstehe ich noch ganz und garnicht! Wie soll ich denn das verstehen?“[181,02] Sagt Johannes: „Indem du ein Jude bist, so wirst du doch auch einmal vonden Psalmen Davids, von dem Hohenliede Salomos und von den Klageliedern des ProphetenJeremias gehört haben?“[181,03] Sagt Aziona: „O ja, das gewiß, obwohl ich davon noch wenig gehört undviel weniger verstanden habe!“[181,04] Sagt Johannes: „Siehe, das ist geistige Musik und geistiger Gesang, weil erden erwähnten Sängern durch den Geist Gottes eingegeben worden ist! Nun, verstehst dudiese Sache schon besser?“[181,05] Sagt Aziona: „Nun ja, so etwas dämmerlicher wird es mir offenbar; aberirgendeiner klaren Einsicht brauche ich mich noch lange nicht zu rühmen anzufangen! – Wieverstehst denn du, Hiram, diese Sache?“[181,06] Sagt Hiram: „Geradeso wie du! Es wehet hier wohl so eine Art geistigenDuftes; aber so uns diese lieben und wunderbaren Freunde etwa das Hohelied Salomos solltenvorzusingen anfangen, da werde ich gehen. Denn mit dem Liede kann mich jemand wie eineGemse über alle Bergspitzen hinaushetzen; das ist nach dem dir bekanntenApothekerausdruck eine wahre Quintessenz der menschlichen Dummheit, abgesehen davon,daß Salomo sonst einer der weisesten Judenkönige gewesen sein soll.[181,07] Von den Psalmen Davids und von den Klageliedern Jeremiä will ich geradenichts sagen; denn es sollen darin viele ganz gute und erhabene Dinge vorkommen undallerlei so hübsch dunkel gehaltene Weissagungen von einem einst kommen sollendenMessias der Juden, etwa nach der Art der Ilias der Griechen. Aber das ist alles eine rechtschöne Poesie, hinter der aber nicht einmal mein heutiger, schöner und hier auch in dieErfüllung gegangener Lichttraum steckt! Die armen, sterblichen Menschen vertrösten sich, sogut es gehen kann, stets mit lauter guten Dingen; aber wo ist da die effektive Wirklichkeit?Die bleibt ewig unterm Wege stecken, und ein jeder Mensch mit all seinen schönstenHoffnungen findet endlich da unten in der kühlen Erde die Erfüllung! Das ist und bleibt dieewige und gleiche Wahrheit; alles andere zerstäubt ins alte, eitle Nichts![181,08] Es ist wahr, Aziona hat mir ehedem so manches und sehr Beachtenswertesgesagt, hinter dem wohl irgendeine geheime, von uns noch gar nicht gekannte Wahrheitsteckt; aber es hat die liebe Erde seit Moses, Sokrates und Plato schon so manche überausweise Männer, die man ganz gut schon für Götter hätte halten können, getragen. Sie warensicher da, und alle Kräfte der Natur gehorchten ihren Winken! Allein, sie wurden dennochälter und schwächer und gebrechlicher, und am Ende ihrer Tage zeigte sich's dennoch, daß sieauch nur sterbliche und vergängliche Menschen waren, und sie sind in das ganz gleicheNichts übergegangen wie diejenigen uns ganz gleichen menschlichen Wenigkeiten, denen esnie eingefallen ist, auf der Welt etwas sein zu wollen. Darum ist alles eitel in dieser todvollenWelt![181,09] Man sagt wohl so ziemlich allgemein von einem irgendwo befindlichenjenseitigen Seelenreiche; allein, wo ist dieses, wer hat je eine Seele und wer je ihr künftigesWohnland gesehen? Ja, Dichtungen und Sagen gibt es überall in Mengen darüber! Wir sindunser viele hier, das heißt für diesen ganz verlassensten Ort der Erde; aber darunter ist auchnicht einer, der es mit Bestimmtheit sagen könnte, daß er selbst je einmal eine Seele gesehenoder nur so recht lebhaft gefühlt hätte! Was sich aber nicht jedermann, der als Mensch dochauch ein Recht darauf haben sollte, in seinem Leben zu erkennen gibt, sondern zumeist alleinnur den verschiedenen Priesterschaften und andern ihnen sehr ähnlichen Individuen, nun, daist es hoffentlich für einen wahrhaft nur einigermaßen unbefangen helldenkenden Menschen

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doch nicht schwer zu erraten, auf welchem Grund und Boden und zu wessen Frommen derleiSagen, Dichtungen und sogar Lehren entstanden sind! Wohl denen, welchen solche luftigenWortgebilde irgendeinen Trost und eine Beruhigung gewähren können! Wir, liebe Freunde,haben etwas Besseres hell erkannt und erfaßt, nämlich die uralte, stets gleiche Wahrheit inihrer tiefsten Tiefe, und finden eben darin unsern größten Trost und zugleich unsere größteBeruhigung, ehest ins ewig uralte Nichts wieder zurückzukehren; denn im Nichtsein liegt jadoch offenbarst die größte und allerseligste Ruhe.[181,10] Daß wir nun da sind, leben, denken und fühlen, das ist schon so ein eigenes,unbegreifliches Spiel der Natur. Die Winde spielen mit den Meereswogen, und diese toben,sausen und brausen, als wollten sie schon gleich die ganze Erde samt ihren Bergenverschlingen; allein, bald legen sich die Winde, und alle noch so tobende Macht der Wogenist dahin. So auch steigen Wolken auf, ganz entsetzlich gewitterschwanger. Man sollteglauben, daß das der Erde ein Ende bereiten werde; aber nur zu bald hat der Sturm ausgetobt,und ihm folgt wieder die alte Ruhe. Und so wechselt die große Spielerei der Natur. Allesvergeht und kommt auch wieder; nur die große Natur bleibt sich stets gleich. Sonne, Mond,Sterne und diese Erde sind stets dieselben, und die Erscheinungen und ihre Spielereien auch.[181,11] Seht, liebe und sehr achtbare Freunde, möget ihr machen, was ihr nur wolltund könnt, und ebenso allerlei Weisheit reden, schreiben und lehren, so ist das alles eitel! Nurdas, was ich euch aus meiner sicher schlichten und uneigennützigsten Armseligkeit gesagthabe, ist und bleibt wahr. Denn das lehrt den Menschen die tägliche Erfahrung, und diesekennt als die urälteste Lehrerin aller Kreatur durchaus keine Ausnahme, da sie aller Kreatur soeigen ist, wie diese beiden Augen, solange ich lebe, mein eigen sind. Alle andern Weisen undPropheten hatten ihre Weisheit und ihre Kenntnisse wieder von ihren Vorgängern geschöpftund wollten damit der alten Erfahrung Trotz bieten; aber es ist alles rein umsonst und eitel!Da unten sind sie schon lange zunichte geworden, und nichts ist von ihnen übriggeblieben alsihre eitel weisen Lehren und so manche ihrer Großtaten. Nur schwache, an diesem nichtigstenLeben stark hängende Geister können an derlei Gehirnverwirrtheiten noch irgendeinWohlgefallen, ja mitunter sogar einen leeren Trost finden.[181,12] Das ist nun meine Lebensansicht. Habt ihr vielleicht eine bessere, so lassetsie los, und ich werde es sehr gerne sehen, so ihr uns noch etwas Wahreres zu sagen imstandeseid! Doch ich weiß es schon wie zum voraus, daß ihr mir mit nichts Wahrerem undGediegenerem kommen könnet, weil es dergleichen nirgends gibt und geben kann.“[181,13] Sagte heimlich Petrus zu Mir: „Herr, na, der spricht so ein bißchenhebräisch! Wahrlich, wenn ich nicht mit Dir schon so außerordentliche Erfahrungen gemachthätte, so wäre der noch der erste, der mich ganz schwach reden könnte!“[181,14] Sagte Ich: „Oh, wartet nur, das ist noch lange ihr Kern nicht; sie werdenschon noch dichter kommen! Ich habe es euch ja darum zum voraus gesagt, daß ihr euch dasehr werdet zusammennehmen müssen, um diese Menschen zu einer andern Überzeugungund, was aber die Hauptsache ist, zur Liebe zum Leben zu bringen. Johannes, fahre du nunnur fort!“[181,15] Sagte Johannes hier etwas kleinlaut: „Herr, aber nur lege Du mir gleichfortWorte in den Mund; denn vorhin hast Du mich einige Augenblicke allein reden lassen, undich war gleich – wer weiß es wo! Ich habe zwar gerade nichts Unpassendes geredet; aberkurz, ich merkte es, daß ich nicht auf der Linie geblieben bin!“[181,16] Sagte Ich: „Mein lieber Johannes, sei darum ganz ruhig! Was du geredethast, war alles in der größten Ordnung, denn es mußte alles genau also kommen. Daher fahredu nun nur ganz mutig fort, und wir werden uns noch eines der schönsten Siege zu erfreuenhaben!“[181,17] Das machte dem Johannes Mut, und er begann sogleich wieder zu reden,und zwar mit noch mehr Geist und Mut denn früher.

182. Kapitel[182,01] Also aber fing Johannes an und sagte: „Mein Freund Hiram! Du hattestdiese Nacht einen von dir so genannten Lichttraum und gabst vor, uns alle samt dem Schiffe

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schon hier einlaufen gesehen zu haben, und dein nunmaliges höchsteigenes Geständnis gabunaufgefordert an, daß wir dieselben waren, welche du in deinem Lichttraume gesehen hast.Nun erkläre du mir das nach deiner Weisheit, die in ihrer Art durchaus nicht zu verachten ist,wie das möglich war! Denn so wir nur bloß die Leiber allein und keine Seelen hätten, die amEnde denn doch auch ohne einen Leib fortleben könnten, wie möglich hätten wir uns alsSeelen deiner in deinem Leibesschlafe ebenfalls wachen und tätigen Seele zeigen können,während diese unsere Leiber sich um jene Zeit noch ganz gut in der oberen Nähe von Cäsareabefanden?“[182,02] Sagte Hiram: „Ja, ganz gut! So aber das im Ernste eure Seelen waren, die,frei von ihrem Leibe, schon zum voraus in dieser Bucht herumgeschwärmt sind, da möchteich denn doch auch wissen, ob denn euer Schiff auch eine Seele hat! Siehst du, Freund, dasind wir wieder auf dem alten, etwas strittigen Punkte, worüber mein Freund Aziona schonfrüher eine Aufklärung hat haben wollen, von dir aber zur Geduld verwiesen worden ist. Nunaber bin ich sehr neugierig, wie du diese stark kitzlige Frage beantworten wirst!“[182,03] Hier nimmt Johannes den Krug und sagt: „Du, Freund, bist durstig, ich sehees dir an! Da nimm und trinke zuvor, dann erst wollen wir weiterreden!“[182,04] Sagt Hiram: „Ist das etwa so ein indischer Zaubertrank, von dem manberauscht wird und dann in alle Narrheiten der Menschen eingeht?“[182,05] Sagt Johannes: „Neben dir steht Aziona; frage ihn, ob das ein Zaubertrankaus Indien ist!“[182,06] Sagt gleich Aziona: „Trinke nur daraus, es wird dir darauf ganz wohlwerden!“[182,07] Sagt Hiram: „Auf deine Verantwortung, Bruder!“ Hiram nahm darauf denKrug und machte daraus einige ganz kräftige und ausgiebige Züge, da er auch ein sehrkräftiger und starker Mann war. Als er seinen Durst gelöscht hatte, sagte er ganz erstaunt zumAziona: „Ah, da sieh einmal! Aus welcher Quelle hast du denn dieses herrliche Wassergeschöpft?“[182,08] Sagt Aziona: „Das habe ich dir schon bei deiner Hütte erzählt! Das istdasselbe von diesen Wunderfreunden zum Weine umgestaltete Wasser aus meiner dir ohnehinsehr bekannten Quelle!“[182,09] Sagt Hiram: „Nun wahrlich, diese Kunst möchte ich auch können; denn soein Trank könnte unsereinem dann und wann dies vergängliche Leben denn doch so ein wenigwürzen. Wahrlich, das ist noch der allerbeste Wein, der je über meine Lippen geflossen ist. Soeinem Weine zuliebe könnte der Mensch schon ohne Überdruß so ein paar tausend Jahreleben! Geh und laß mich noch einmal ein paar Züge tun!“[182,10] Aziona gab dem Hiram den Krug, und dieser machte noch ein paar so rechtkernfeste Züge, dankte dann dem Johannes und sagte darauf: „Das, lieber Freund, ist wahrlichsehr gut gegangen; ob es dir aber nun mit dem Seelenbeweise des Schiffes auch so gut gehenwird, das ist eine andere Frage!“[182,11] Sagt Johannes: „Lieber Freund, noch um vieles leichter! Aber du mußtzuvor wissen, daß eine jede schon geistig vollendete und mit dem Geiste Gottes engerverbundene Seele auch so ein bißchen allmächtig ist, und daß es ihr daher ein ganz leichtesist, sich so ein Schiff im Momente zu erschaffen und es einer fremden Seele, wenn es geradesein muß, als ein Produkt ihrer schöpferischen Kraft auch wie in der Natur bestehend zuzeigen. Und siehe, das war denn auch in dieser vergangenen Nacht der Fall, und so hast du alsSeele denn auch ein uns tragendes Schiff erschauen können, ohne daß darum unser Schiffirgendeine Seele zu haben brauchte. Du ersahst uns auch also bekleidet, wie wir nun da voreuch in der Natur zu sehen sind; da müßten unsere Kleider ja auch eine Seele haben! Aberdiese sind ein nur gewisserart zeitgemäßes, schöpferisches Produkt der mit dem Geiste Gottesin enger Verbindung stehenden Seele.[182,12] Du hast also uns, wie wir sind, in deinem Traume offenbar mit den geistigenAugen deiner Seele gesehen, und wir wußten wohl darum, daß du, als eben der Hartnäckigstedeines Glaubens, uns werdest sehen müssen, und wollten es also, um vorderhand etwas zuhaben, wodurch dir die Augen zuerst ein wenig geöffnet werden können; denn wären wir gar

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nie in der Welt oder überhaupt nie dagewesen, – wahrlich, so hättest du uns auch in einemnoch so hellen Traume nie zu Gesichte bekommen können! Weil wir aber da sind undbestehen, und zwar dem Geiste nach in Gott schon von Ewigkeit her, so war es uns auch einleichtes, deine Seele zu dem schon lange vorgesehenen Behufe in dieser deiner Traumnachteinige Augenblicke lang aus ihrem Leibe zu erwecken, damit sie das, was da kommen werde,im großen Lichte zum voraus erschauen möchte. Kannst du das auch ein Spiel der großenNatur nennen?“[182,13] Sagt Hiram: „Lieber Freund, du mußt es mir nicht für ein Übel anrechnen,so ich gewohntermaßen ebenso rede, wie ich denke! Siehe, daß du in deiner Weise ein großerWeiser und ein Meister der Rede bist, das habe ich aus deinen ersten Worten schonherausgefunden! Deiner Rednergabe ist es ein leichtes, aus einem Bären einen Wolf zumachen, wie so bei uns das Sprichwort gang und gäbe ist.[182,14] Ich habe dir meinen wirklich gehabten Traum einmal ganz treu und offenerzählt, und du hast nun ein leichtes, daraus zu machen, was du willst. Weißt du, hinterdreineinen Propheten machen, ist wahrlich keine so große Kunst; denn man kann als ein guterDialektiker alle Umstände ganz fein benutzen und daraus gleich so – wie man sagt – aus demStegreife eine Idee herstellen, die in ihrer Art nichts zu wünschen übrigläßt. Leichtfertige,seichtdenkende und mit wenig Erfahrung begabte Menschen wären da schon fertig undgefangen; doch der ganz kalte, ruhige und aller Leidenschaft und Furcht bare Verstand einesvielerfahrenen Mannes braucht mehr als bloß eine ausgezeichnete Dialektik eines jungen undsonst sicher auch sehr biederen, talentvollen Menschen.[182,15] Es ist, offen gesagt, das, was du mir über meinen Traum gesagt hast,durchaus nicht zu verwerfen, und es ist sehr der Mühe wert, darüber tiefer nachzudenken;aber ich werde dir da aus meinen vielen Erfahrungen und Kenntnissen etwas entgegenstellen.Kannst du mir das auf eine genügende Art und Weise erklären, so dürften wir miteinanderbald handelseins werden!“[182,16] Sagt Johannes: „Warte, Freund, um dich von der innergeistigen Lebenskraftder Seele im Menschenleibe triftiger zu überzeugen, werde ich dir, aus deiner Seeleschöpfend, nun auf ein Haar dasselbe erzählen, was du mir soeben als einen Gegenbeweis fürmeine dir dargestellte Behauptung und als eine deiner Meinung nach hart aufzuknackendeErklärung deines Gesichtes erzählen wolltest! Für jedes unwahre Wort kannst du mir ganzkeck eine Maulschelle verabfolgen!“[182,17] Sagt Hiram: „So erzähle! Wahrlich, darauf wäre ich höchst neugierig,jedoch ohne die von dir petierte Maulschelle bei einer Unrichtigkeit; denn alle derleiRechtfertigungen und Zurechtweisungen sind uns fremd und niemals eigen gewesen, außer inFällen der dringendsten Notwehr! Erwähle mir also ganz guten und heitern Mutes, was duvon meinen geheimen Erfahrungen und Erlebnissen weißt!“

183. Kapitel[183,01] Sagt Johannes: „Nun, so höre mich denn geduldig an! Siehe, du als selbst soein bißchen ein Magier, wie auch alle deine Gefährten, hast einige Jahre früher schon, ehe duspäter in Griechenland mit dem Apotheker Aziona in die Gesellschaft tratest, mit einerZauberin namens Klia eine Reise nach Ägypten unternommen, bei welcher Gelegenheit duwegen der zu großen Seichtheit deiner und deiner Gehilfin Zauberkünste nur eine sehrschwache Rechnung gefunden hast![183,02] In Alexandria haben auch die Gassenjungen eure Zaubereien gleichnachgemacht – und mitunter auch noch bessere und gelungenere! Ihr hattet also da gar weniggemacht und zoget nach Kahiro. Dort angelangt, wolltet ihr euch produzieren; allein, mansagte zu euch: ,Laßt sehen, was ihr alles vermöget!‘, und ihr gabet einige Proben von eurerKunst. Man bedauerte euch und sagte: ,Liebe Leute, da habt ihr einige Groschen auf dieReise! In Städten lasset euch damit nicht sehen; in manchen kleinen Orten könnt ihr vielleichtnoch ein Abendbrot damit verdienen!‘[183,03] Dann zoget ihr weiter nach Karnak, wo ihr auch nichts gemacht habt,ebenso in Elephantine nichts, und ihr wagtet euch dennoch sogar nach Memphis. Allein, da

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wurdet ihr völlig begraben! Hätte sich dort nicht ein römischer Landpfleger eurer Noterbarmt, so wäre es euch sehr schlecht ergangen. Allein, der gutmütige römische Landpflegergab euch wegen der sonst sehr schönen Klia auf drei Monde lang Herberge und machte dichdort mit einer schon sehr wohlhabenden persischen Magiergesellschaft bekannt, damit du vonderselben etwas hättest erlernen können oder sollen.[183,04] Nun, diese Magiergesellschaft aber wollte sich um keinen Preis anders dazuverstehen, als du hättest neben der bedeutenden Lehrtaxe noch volle zehn Jahre gleichsam ihrhandlangender Sklave verbleiben sollen! Da hast du dann die Geschichte also berechnet:,Zehn Jahre ihr Sklave und die große Taxe von hundert Pfunden?! Bin ich neun Jahre ihrSklave, – im zehnten, als letzten Jahre, können sie mich als Sklaven totschlagen, damit ihrGeheimnis in Griechenland nicht verraten werde, und so wären dann meine hundert Pfundesamt mir weg! Die hundert Pfunde hätten die Magier gefressen – und mich die Krokodile desNils! Nein, das tue ich mir nicht an!‘[183,05] Das war sonach dein guter und fester Entschluß so ganz geheim bei dirselbst. Aber gegenüber den Magiern sagtest du: ,Meine hochweisen Künstler, wenn ich erstgelegenheitlich nahezu alle eure größten und geheimsten Stücke als Gast mit angesehen habenwerde, dann werde ich mich auch in einen vielleicht noch vorteilhafteren Kontrakt mit eucheinlassen!‘ Hier aber sind dir dann die Magier aufgesessen und haben bei ihren Produktionen,die wöchentlich zweimal erfolgten, ihre größten und kühnsten Stücke zur Aufführunggebracht.[183,06] Ich will die vielen andern Stücke, die nicht zu unserer Sache gehören, derkostbaren Zeit wegen nicht erwähnen, sondern lediglich jene nur, die dich eigentlich aus allerdeiner Fassung gebracht haben. Und diese bestanden darin: Es trat ein lebenskräftiger, etwadreißig Jahre alter Araber hervor und kündigte mit ganz ernsten und ehrfurchtgebietendenWorten an, daß er eine Jungfrau bloß mit der Kraft seines Willens und durch die Auflegungseiner nackten Hände dahin vermögen werde, daß sie jedermann sogar seine Gedanken undeine Menge geheimer Dinge auf Verlangen erraten werde. Auch werde sie jedermanns Alter,und so es jemand wünschen sollte, auch seine künftigen glücklichen oder unglücklichenSchicksale genau und allerunfehlbarst voraussagen.[183,07] Das war ein wahrer Blitz und Donnerschlag für dich. Die Jungfrau ward nunvorgeführt und auf ein Ruhebett hingesetzt. Der Magier legte ihr die Hände auf, worauf sieeinschlief. Bald darauf kam die Jungfrau in eine Art Ekstase und fing mit dem Magier an zureden, worauf dieser sagte: ,Wem es nun beliebt, sich um etwas zu erkundigen, der komme,aber nur allzeit bis höchstens drei Menschen, allein mit dem Bemerken, daß Menschen, denensie anzeigt, sich zu entfernen, diesem Winke auch sogleich Folge leisten möchten, weil ihnensonst Unangenehmes begegnen könnte! Sollte es jemand mit einem nicht sehr reinenGewissen geben, der komme der Jungfrau ja nicht in die Nähe, sondern stelle durch einenMittelsmann die Frage nur an mich, und es wird ihr dann schon durch mich ganz geheim dieAntwort werden! Der Zustand der Jungfrau wird eine und eine halbe Stunde dauern!‘[183,08] Auf diese Eröffnung kamen mehrere und stellten die sonderbarsten Fragen,und jede erhielt ihre wundersame Antwort. Auch du fragtest um dein Alter und um deinkünftiges Los. Und was die Jungfrau dir gesagt hat, ist alles bis jetzt auf ein Haareingetroffen. Und was noch nicht eingetroffen ist, das scheint sich eben jetzt und für die Folgean dir erfüllen zu wollen! – Sage mir, ob es sich mit dir nicht gerade also verhalten hat!“[183,09] Sagt Hiram, ganz über und über verblüfft: „Nein, das ist mehr als zuviel,und mehr denn tausend jener verzauberten Jungfrauen; denn davon habe ich selbst dir, FreundAziona, sehr wenig und eigentlich schon beinahe gar nichts gesagt, und sonst jemandem nochweniger! Wie möglich also kannst du das aber auf das allergenaueste wissen? Nein, nein!Hörst du, du bist mir ein höchst sonderbarer Mensch! Mir wird es wahrlich ganz entsetzlichunheimlich in deiner absonderlichen Nähe!“[183,10] Sagt Johannes: „Ei, laß das nur gut sein; denn wir sind nicht da, um euch jeirgendeinen noch so geringen Schaden zuzufügen, sondern um euch nur aber, besondersgeistig, so glücklich wie möglich zu machen! Denn ohnedem, daß ihr zuvor geistig glücklichseid, nützt euch auch kein irdisches Glück etwas! – Soll ich dir nun auch die Traummacherei

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des bekannten Magiers zu Memphis erzählen, die dich noch am allermeisten breitgeschlagenhat, und welche Zauberkunst du vorhin ob deines Lichttraumes uns in die Schuhe schiebenwolltest?“[183,11] Sagt Hiram: „O lieber Freund, laß das alles gut sein! Obwohl ich zwar keineAhnung davon habe, wie jener Magier seinen Schläfer bestimmte Träume hat träumen lassenkönnen, so bin ich aber dennoch schon zum voraus überzeugt, daß dir das alles haarkleinbekannt ist und du dasselbe auf eine tausendmal gelungenere Weise zustande bringenkönntest, so du es gerade wolltest. Denn wie deine Augen – oder weiß der Himmel welchedeiner Sinne – in mir die verborgensten Dinge wie aus einem offenen Buche herauslesen, dasist und das wird mir ein Rätsel bis ins Grab bleiben!“[183,12] Sagt Johannes: „Nicht also, mein Freund! Es liegt durchaus nicht an dem,daß ich dir die ägyptische Traummacherei etwa zu deiner Wissenschaft erklären wollte, damitdu dir damit etwa später als ein besonderer Magier dein besseres Brot verdienen könntest –denn da darfst du nur zu den Essäern gehen, die werden dir dasselbe machen und vielleichtauch zeigen! –; aber daran liegt es mir, dir den großen Unterschied zu zeigen, wie wirjemandem in einem hellen Traume wahrhaft geistig erscheinen können, und wie jener Magier,der später zu den Essäern gegangen ist und sich noch bei ihnen befindet, den gewissenSchläfern die Träume machte.“[183,13] Sagt Hiram und auch der unendlich aufmerksame Aziona: „Nun, daraufwären wir wahrlich mehr denn auf unsern Tod neugierig! Wir bitten dich inständigst darum,uns das so auf eine begreifliche Art zu erklären!“[183,14] Sagt Johannes: „Nun gut denn, so höret mich an! Seht, wie wir deinenTraum von uns und unserer Ankunft in dir hervorgerufen haben, das habe ich ganz so getreuund wahr erklärt, als wie wahr und getreu meine nunmalige Erzählung deiner ägyptischenKunstreise mit deiner holden Klia war, die dich dann allein nach Griechenland heimkehrenließ, weil es ihr in Memphis besser behagte! Das brauche ich dir demnach nicht mehr zuwiederholen, da du sonst wie denn auch jetzt ein starkes Gedächtnis besitzest. Es handelt sichsonach nur darum, wie der Magier seinen Schläfern die Träume gemacht hat![183,15] Sieh, die ganze Magiergesellschaft war sehr groß! Der offen Wirkenden gabes nur wenige, aber der mit ihnen einverstandenen Gäste sehr viele, die aber nie zu gleicherZeit mit den Hauptmagiern in eine große Stadt einziehen durften. Sie kamen erst so nach, teilsals Handelsleute, teils als andere Reisende und teils als Neugierige, die von den großen,wunderbaren Künstlern, die sich in dieser Stadt etwa jüngst produzieren sollten, schon dieseltensten Dinge vernommen hatten und sie hier sehen wollten. Das waren die sogenanntenVolkslärmschlager, lebten aber alle gut von einem und demselben Gewerbe, weil sie in einergroßen Stadt stets Tausende von Pfunden davontrugen.[183,16] Nun, diese geheimen Mitglieder der Magiergesellschaft waren bei denProduktionen nur ganz honette Zuschauer, wußten aber auf ein gegebenes Zeichen genau,wann sie zur größeren Volkstäuschung sich mochten gebrauchen lassen. Darunter waren dennauch mehrere, die bei der Traummacherei ihren geheimen Dienst zu versehen hatten. Jederwußte schon lange, was ihm träumen werde, so er auch auf Verlangen des Magiers wiezufällig aus der Mitte der Zuschauer hervortrat und ganz pathetisch laut behauptete, daß ertausend Pfunde wette, daß ihm der Magier trotz seines magischen Ernstes, keinen Traummachen werde.[183,17] Die Wette ward gewöhnlich angenommen, und der Polterer bestieg dieTribüne und mußte pro forma einen Schlaftrunk nehmen, bei dem sicher nicht ein TropfenMohnsaftes sich vorfand. Kurz, der Mann geriet auf einem Ruhebett bald in einen tiefenSchlaf, aus dem er mit aller Lärmerei nicht mehr zu erwecken war. Wenn unser Mann nuneinmal – aber versteht sich, nur scheinbar – so recht fest schlief, so trat der Magier mit einemgroßen ehrfurchtgebietenden Pathos hervor und sagte zum Volke: ,Ist nicht jemand unter denvielen Zuschauern, der es wünschen möchte, was da diesem meine Kunst mit Füßen tretenwollenden Schläfer träumen soll?‘[183,18] Es meldete sich bald einer aus der Zahl der vielen anwesendenEingeweihten, etwa in der Form eines von Gold strotzenden, reichen Kaufmannes aus Rom

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oder aus Persepolis, oder in der Form eines andern stets sehr angesehenen Gastes, und sagte:,Laß es mich versuchen, ob dem das träumen wird, was ich mir denke und von ihm geträumthaben will!‘[183,19] Darauf sprach der Magier mit aller Artigkeit: ,Hochachtbarster Herr Gastund Besucher dieser unserer großen Produktion, habe nun die Güte und teile ganz geheimdeine Gedanken den andern hochverehrten Herren Gästen zum Zeugnisse mit, aber mir nicht;denn ich werde sie durch diesen Zauberstab aus der Luft einsaugen und sie sodann diesemSchläfer in einem Helltraume erscheinen lassen!‘[183,20] Darauf geschah das natürlich unter der allergespanntesten Aufmerksamkeitvon allen Seiten. Der Magier steckte dann seinen Zauberstab in seinen Mund und tat, alssauge er im Ernste etwas aus der Luft ein. Endlich setzte er den Stab auf sein Haupt undberührte mit dem andern Ende des Stabes das Haupt des Schläfers nur einige Augenblickelang.[183,21] Darauf ward der Schläfer, um die Sache noch auffallender zu machen, durcheinen mächtigen Posaunenruf erweckt, rieb sich einige Zeit die Augen, als wüßte er nichtrecht, wo er sich nun befände. Allein, er kam dennoch bald vollends zu sich und wurde mitaller Artigkeit gefragt, ob er nicht wüßte, was ihm geträumt habe; denn es stünden tausendPfunde in der Wette, die er offenbar verliere, so er nur das geträumt habe, was der Magier vonihm geträumt haben wollte. Habe er jedoch einen andern Traum gehabt, so würden ihm vomMagier augenblicklich die tausend Pfunde ausgezahlt. Aber er werde strengstens daranerinnert, die reinste Wahrheit kundzugeben, ansonst die wundersame Jungfrau gerufen und ervor Tausenden Lügen gestraft werden würde.[183,22] Darauf begann der Schläfer, scheinbar etwas verlegen, seinen Traum zuerzählen, und als er zu Ende kam, bezeugten schon alle Gäste laut, daß das eben derselbeTraum sei, den sie schon eher gekannt hätten, als ihn noch der Magier durch seinenZauberstab aus der Luft in sich eingesogen habe und solchen dann erst von ihm, demSchläfer, träumen ließ.[183,23] Hierauf stellte sich der Schläfer wie ganz zerknirscht von der Macht desMagiers, und der Magier spielte da gewöhnlich den Großmütigen und gab dem mutwilligenund unerfahrenen Wetter die tausend Pfunde mit dem Bemerken zurück, daß er ein nächstesMal bei einem so kühnen Auftreten nicht mehr so nachsichtig behandelt werden würde, wasdann natürlich noch mehr wohlgewogenen Beifall bei den Zuschauern erweckte.[183,24] Da hast du nun umständlich das Ganze von der ägyptischenTraummacherei! Wie gefällt dir nun das Kunststück, und welchen Unterschied findest duzwischen ihm und unserer Traummacherei?“[183,25] Sagt Hiram: „Aber genau so, wie es du nun ganz umständlich erzählt hast,ist es zu Memphis vor sich gegangen! Ah, das ist ja eine infame Betrügerei! Ah, ah, – nein,das ist zu dumm, daß ich das nicht schon damals gleich kapiert habe! Na, die Geschichte mitder wahrsagenden Jungfrau wird wohl auch ganz auf der gleichen Weise basiert sein!“[183,26] Sagt Johannes: „Ja, ganz auf der gleichen Weise – bis auf das, was sie dirvorausgesagt hatte; aber da steckte ein ganz unsichtbarer Magier hinter ihr, der schon seitlangem sein allsehend Auge auf dich gerichtet hatte! – Hast du mich nun schon etwas besserverstanden?“

184. Kapitel[184,01] Sagte Hiram: „Mein unendlich geachteter Freund, dich zu verstehen, dagehört wahrlich mehr dazu als der eherne und sehr begrenzte Verstand eines Kynikers! Ihrsetzet uns mit eurem sonderbaren, nie vermuteten Erscheinen schöne Flöhe in die Ohren, undich fange beinahe an wahrzunehmen, daß es im Menschen offenbar ein höheres Wesen gebenmüsse denn das nur, was wir uns höchst beschränkt als Mensch vorstellen. Und es ist mir nunalso, als so ich mir's nahe denken müßte, daß dies höhere Wesen im Menschen sowohl eineVor- als auch Nachleibesexistenz haben müßte; denn sieh, als ich in Ägypten war, kannst dunahe noch kaum auf der Welt gewesen sein![184,02] Es muß aber dein innerer Geist dennoch schon lange vorher bestanden

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haben, damit er als ein unsichtbarer Zeuge bei allen meinen ihn vielleicht aus mirunbekannten Gründen näher angehenden Handlungen zugegen sein konnte. Auf diese Weiseallein kann ich mir deine Allkenntnis und Alleinsicht in alle meine Lebensverhältnisse so einwenig versinnlichen! Freilich wußtest du auch um die Lebensverhältnisse des Azionaebensogut wie um die meinen. Allein, das macht hier eben nicht viel Unterschiedes; denn duhast als ein noch reiner Urgeist sicher auch auf ihn, so wie auf mich, deine allsehendengeistigen Augen gelenkt! Eine Präexistenz deines inneren Geistes läßt sich sonach nichtleichtlich mehr in Abrede stellen, deine leibliche Mitexistenz auch nicht; aber wie sieht esetwa mit der Nachexistenz aus? Dafür scheinen bis jetzt doch noch alle Riegel und Toreverschlossen zu sein!“[184,03] Sagte Johannes: „Viel weniger als für die Präexistenz! Es ist mit dieserschon auch etwas, aber eben nicht so frei individuell wie mit der Nachexistenz; denn damiteben das Geistessein nicht fortwährend ein an und in den Urgeist der ewigen und unendlichenGottheit schroffst gebundenes bleibe, hat eben die Gottheit Selbst zwischen Sich und denMensch werden sollenden Geist die Materie gestellt, daß der ursprünglich göttlicheMenschgeist, so er zu einer gottähnlichen Selbständigkeit gelangen will, sich aus den mehrätherisch- seelischen Teilen ein ihm ähnliches Wesen schaffe, es mit einer substantiellen, aberdennoch auch geistig-intelligenten Seele belebe und diese dann ganz unvermerkt fortbilde inder möglichsten Freiheit ihres Willens. Und hat diese Seele in aller guten Erkenntnis unddaraus erfolgten Tätigkeit also sehr zugenommen, daß sie ihrem urgöttlichen Geiste ähnlichgeworden ist – hauptsächlich durch die wahre Erkenntnis des einig wahren, ewigen Gottes, inder Liebe zu Ihm wie auch daraus zum Nächsten – und dabei voll Demut, Geduld undBescheidenheit ist, dann geschieht eine für Ewigkeiten untrennbare Einigung der Seele mitihrem urewigen Geiste.[184,04] Dadurch aber geschieht dann das: Die aus der Materie entstammende Seelewird dann selbst ganz Geist; der Geist aber wird dann zur Seele in der Seele und ist dadurchein ewig freies, selbständiges und ganz gottähnlich frei selbsttätiges Wesen, begabt mit allenjenen Eigenschaften, die der urewigen Gottheit eigen sind.[184,05] Daß hernach der Leib nichts mehr dabei zu tun hat und haben kann, dasversteht sich ja doch leicht von selbst ohne weitere Erklärungen! Denn die Speise, die einMensch täglich zu sich nimmt, macht ja auch eine Zeitlang einen periodischen Nährteil desmenschlichen Leibes aus, aus dem der schon gediegenere Leib und aus ihm dann auch dieSeele ihre substantiell- spezifische Nahrung und Ergänzung nehmen. Wenn aber derperiodische Nährleib das seinige getan hat, so wird er als für weiterhin unbrauchbar aus demmit der Seele noch eng verbundenen gediegeneren Leibe geschafft. Bliebe er als ein gargrobmaterieller Teil des Leibes im gediegeneren und mit der Seele schon näher verwandtenLeibe, so würde er offenbar den unvermeidlichen Tod des gediegeneren Leibes herbeiführen.[184,06] Ist aber einmal die Seele im Leibe gehörig ausgebildet, das heißt in ihremFormwesen sowohl, als auch im freien wie immer gearteten Erkennen, Lieben, Wollen undHandeln, so kommen nun zwei Fälle vor: Entweder ist die Seele damit auch schon für ihrengöttlichen Geist ganz reif, das heißt sie ist schon ganz geistig, oder die Seele ist wohl schonfür sich als ein geistiges Wesen ausgebildet und sozusagen konsistent, aber das innere,geistige Element steht noch sehr in Frage, und sie zeigt zufolge ihrer großen und notwendigganz freien Bestimmung viel mehr Neigung, wieder ganz in die Materie überzugehen, als sichin ihr geistiges Element frei hinüberzuschwingen; so wird sie in beiden Fällen des Leibesledig gestellt.[184,07] Im ersten und natürlich glücklichsten Falle hat der göttliche Menschgeistmit ihr schon seinen Zweck erreicht und benötigt sodann wohl für ewig keines materiellenMittels mehr, weil er einmal durch dasselbe seinen Zweck schon auch für ewig vollkommenerreicht hat. Oder der allsehende und allfühlende Geist merkt es, daß seine von ihmhervorgerufene und aus der Materie gebildete Seele sich mit der Zeit wieder zu dem Elementezu neigen beginnt, von dem sie eigentlich genommen ward, – dann reißt sie ihr urgöttlicherGeist, wenn auch unter den größten Schmerzen, aus dem Leibe und bildet sie dann erstjenseits, also im Reiche der Seelen, für sich aus, aber stets so unvermerkt als möglich; denn

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jede unfreie und gerichtete Ausbildung einer Seele wäre schlechter noch als gar keine.[184,08] Dennoch aber ist hier wohl diese Bemerkung als sehr zu beherzigen zuerwähnen, daß eine erst jenseitige Ausbildung einer Seele erstens um vieles länger dauert unddennoch nie jenen ganz allerhöchsten Grad erreichen kann, als so die Ausbildung der Seeleschon diesseits, noch im Leibe, geschehen ist; denn dadurch wird auch der edlere Teil desLeibes mitgeheiligt, und nahezu alles Fleisch erreicht mit der Seele und mit ihrem mit ihrvereinigten Geiste eine Art Verklärung und sogleiche Auferstehung und bildet dann für ewigein mit Seele und Geist vollends vereintes Wesen. Allein, das erreichen auf Erden nur höchstwenige, – aber kurz nach dem Leibestode recht viele. – Und sieh, also wie eine geradesteLinie genau der tiefsten Wahrheit nach hast du nun die Nachexistenz eines jeden Menschenvor dir![184,09] Ist dir noch etwas fremd und schwer verständlich, so hast du hier einleichtes, darüber an mich neue Fragen zu stellen. Darum hast du nun wieder zu reden oderauch der Freund Aziona. Denket und redet, und ich werde euch dann schon wieder eine rechteAntwort geben!“

185. Kapitel[185,01] Sagt Hiram als der gewandtere Redner: „Liebster Freund, von einer klarenEinsicht in das, was du geredet hast, ist bei uns noch keine Rede, – aber wir glauben es dirzufolge deiner zu großen Weisheit; denn wer einmal in allen möglichen Erscheinungen aufdieser Erde eine so alles durchdringende Kenntnis und Einsicht hat und sogar der Menschengeheimste Gedanken wie aus einem offenen Buche herlesen kann, der muß auch in allenmöglichen Sphären und Wegen des Lebens tiefst und wahrhaftest bewandert sein, worüberauch nicht der allergeringste Zweifel mehr obwalten kann.[185,02] Das von dir Gesagte glauben wir nun steinfest. Wohl läßt die rein geistigePräexistenz und die diesweltliche materielle Seelenentwicklungs- Probeexistenz nach deinerDarstellung nahe keine weiteren Fragen mehr zu, weil die Sache nur so und unmöglich andersgedacht werden und irgend bestehen kann – denn die bestimmten und stets gleichenWirkungen müssen ja notwendig auch stets die gleichen Ursachen haben; das ist nun bei unsschon eine ausgemachte Sache! –; was aber die Nachexistenz betrifft, da lassen sich wohlnoch eine Menge äußerst gewichtige Fragen stellen, deren gründliche Beantwortung dir denndoch ein wenig schwerer fallen dürfte.[185,03] Siehe, ich kann mir vor allem noch den Grund einer – wie du gesagt hast –sogar ewigen Existenz nach dem Abfalle dieses Leibes nicht vorstellen! Was sollen wir dennhernach die nie mehr endende Ewigkeit hindurch machen? Welch eine entsetzliche Langweilewird am Ende sich dazugesellen müssen, selbst im Genusse der höchsten, unbeschreibbarenSeligkeiten! Und am allerschlechtesten wird ein höchst vollendeter Geist daran sein, dernatürlich nichts mehr zu erlernen haben wird! Bei dem wird ja eine Lebensmonotonieeintreten müssen, von der wir uns gar keinen Begriff machen können.[185,04] Ich lasse mir meinetwegen ein zehntausend Jahre langes Leben unter sehrgünstigen Lebensverhältnissen gefallen, aber leiblich auf dieser Erde; denn da wird niemandauslernen und sagen können: ,Jetzt gibt es auf der ganzen Erde nichts mehr, das mir nichtvollends bekannt wäre!‘ Aber jetzt stelle ich einen höchst vollendeten, nur mit deiner höchstwunderbaren Allwissenheit begabten Geist auf diese Erde! Mit einem einzigen Scharfblickehat er alle ihre Geheimnisse auf alle künftigen und auch vergangenen Zeiten weg! Wasnachher, so er strikte auf dieser Erde bleiben müßte? Er müßte sich nur an den Dummheitender Menschen weiden und sich selbst mit seiner Macht durch allerlei die Völkerdurcheinanderhetzende Spektakel die Zeit vertreiben, – sonst müßte ihm ja bis über alle nurdenkbare Verzweiflung hinaus langweilig werden![185,05] Mit meiner Vernunft sehe ich da den eigentlichen und über allesbeseligenden Grund einer ewigen Nachexistenz nicht ein. Am Ende fängt unsereinen noch dieRaum- und Platzfrage sehr zu ängstigen an. So zum Beispiel auf dieser Erdehunderttausendmal hunderttausend Jahre fort Menschen wie jetzt gezeugt werden und nichtalles Meer zu Land wird, wo – wo sollen dann alle Menschen Platz haben und ihre Nahrung

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finden? Und welchen Raum werden alle die ewig fortlebenden Geister brauchen? Denninnerhalb irgendeines Raumes müssen auch die Geister sein, weil außer dem Raume, der nachPlato unendlich sein soll, nirgends eine Existenz denkbar ist.[185,06] Es ist daher meines Erachtens viel logischer und der reinen Vernunftgemäßer, nur eine temporäre Nachexistenz anzunehmen denn eine ewige, die sich weder mitdem Lebensgefühle noch mit dem Raume in irgendein günstiges Verhältnis stellen läßt. Unswenigstens, so wir die Sache beim rechten Lichte betrachten, hat das endlicheZunichtewerden eines zeitlich belebten Wesens noch immer den größten Vorzug vorjeglichem noch so günstigen Fortbestehen, und ein inneres Gefühl sagt es mir immer: Trotzaller selbst der höchsten menschlichen Weisheit ist und bleibt der leibliche Tod dennoch dieletzte Linie aller Dinge! – Was sagst du, edler und wunderbarster Freund, nun dazu?“

186. Kapitel[186,01] Sagt Johannes: „Ja, meine lieben Freunde, das kommt freilich nur darauf an,von welchem Standpunkte man überhaupt das Leben ganz besonders aber das Geisteslebenbetrachtet, und daß man dabei eine richtige Erkenntnis seiner selbst, dadurch eine richtige undwahre Erkenntnis Gottes und Seiner zahllos vielen Wunderwerke und Schöpfungen hat, dieschon im endlosen Bereiche der Materie euch Dinge aufzuweisen haben, mit derenüberstaunender Betrachtung ihr in einer Äone von Jahren nimmer fertig würdet, geschweigedann erst die reinen geistigen Schöpfungen, von denen man sagen kann: Bis jetzt ist es nochin keines Menschen Sinn gekommen, nur ahnend im kleinsten Teile zu fühlen, was Gottdenen für Seligkeiten bereitet hat, die Ihn wahrhaft erkennen und Ihn dann aber auch überalles lieben und aus Liebe zu Ihm auch, wo tunlich, mit Rat und Tat ihre Nebenmenschen.Wie kann da von einer Langweile je eine Rede sein, wo der möglichst vollendete Geist ersteinzusehen anfängt, daß er nur am Anfange der Enthüllung der zahllosen Wunder der ewigenMacht und Weisheit und der höchsten Liebe Gottes des Herrn und des Vaters von Ewigkeitsteht? Oh, welche Gedanken bemächtigen sich doch eurer großen Beschränktheit in jedertieferen Erkenntnis des Lebens![186,02] Da sehet nur die Sonne an, die dieser Erde den Tag gibt! Was wisset ihr vondiesem herrlichen Gestirn? Nichts! Ja, ihr wisset nicht einmal um ihre Ordnung und um ihrVerhältnis zu dieser Erde! Ihr meinet und glaubet nur das, was ihr mit euren Sinnenwahrnehmet; aber es ist die Sache ganz anders. Nicht diese Erde steht wie in einem ewigenZentrum, und die Sonne geht nicht und niemals um sie, ob es gleich also scheint, sondern dieSonne gibt für diese samt dem Monde und den andern euch bekannten Planten das Zentrum,und diese Erde samt ihrem Monde, sowie alle übrigen Planeten bewegen sich inverschiedenen Zeiträumen um die Sonne. Den täglichen Auf- und Untergang der Sonnebewirkt der beinahe 25 Stunden dauernde Umschwung der Erde um ihre Polarachse.[186,03] Ihr möget das nun freilich nicht wohl einsehen ob der Beschränktheit eurerErkenntnisse; aber spätere Völker, denen Gott der Herr ein rechtes Licht geben wird, werdendas auf ein Haar berechnet einsehen.[186,04] Ihr könnet es mir nun glauben, da ihr wisset, daß ich darin eine ganz tiefstbegründete Kenntnis aller Wahrheit nach haben kann. Aber da wir nun schon die Sonneberührt haben, so sage ich, daß sie schon um tausendmal tausend größer ist denn diese Erde.Welche von euch nie geahnten Wunder decken ihren weiten Boden! Welche Unzahl derwunderbarsten Geschöpfe Gottes wandeln dort in der größten Harmonie auf ihren überweitgedehnten Lichtgefilden und freuen sich ihres seligen Daseins! Ihre Schönheit ist von einersolchen Größe schon, daß ihr eine Menschengestalt von dorther hier auf Erden eine Ewigkeitlang betrachten und anstaunen könntet, ohne euch an ihr je satt schauen zu können! Was icheuch sage, ist durchgängige und höchste Wahrheit und nicht im geringsten irgendeineÜbertreibung.[186,05] So dir aber schon auf dieser magern Erde nach deinem Geständnisse einzehntausend Jahre langes Leben in erträglich guten Lebensverhältnissen eben nichtunangenehm wäre, da möchte ich dann erst von dir die Zahl der Jahre vernehmen, die du soganz anständig in der Sonne verleben möchtest!

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[186,06] Aber es ist das etwa nicht die einzige Sonne im endlosen Schöpfungsraume,sondern es gibt deren zahllos viele und darunter viele von einer solch unermeßbaren Größe,daß selbst diese schon für eure Begriffe ungeheuer große Sonne gegen jene Urriesensonnenkaum wie eine Schneeflocke gegen die Größe dieser Erde zu betrachten wäre.[186,07] Wenn aber so schon im Reiche der materiellen Schöpfungen, wie dann erstim unendlichen Reiche der geistigen Schöpfungen Gottes des Herrn und Vaters von Ewigkeit!Und du kannst da von einer Langweile der ewigen Nachexistenz eines ganz zu einemvollkommenen Geiste gewordenen Menschen reden?![186,08] Und wenn du schon äonenmal Äonen Erdenjahre als reiner, selbständigerund freier Geist in der sicher allerhimmlischsten Gesellschaft von dir verwandten reinenGeistern wirst die stets größeren Wunder Gottes betrachtet haben, so wirst du endlos langenoch nicht am rechten Anfange derselben stehen! Wenn du dir das so recht zu Gemütenimmst, so mußt du ja eine stets steigende Freude am Leben und keinen Abscheu vordemselben bekommen! – Rede nun wieder du, wie dir dieses behagt!“

187. Kapitel[187,01] Sagt Hiram: „Ich muß staunen über deine Kenntnis der Dinge. Das hat dirkeine Weltschule und deine Phantasie auch nicht gegeben! Es möchte schier also sein, weil dudas hier vor uns so leicht und wie dir schon seit undenklichen Zeiten her als etwas sehrBekanntes entwickelt hast; denn wahrlich, so etwas läßt sich aus den Fingern nichtheraussaugen! Wir sagen dir nun nur das, daß wir von allem zwar soviel als nichts demGrunde nach verstehen und begreifen; aber wir glauben es nun vollkommen, weil du es unssagst, der du uns nun in der kurzen Zeit unseres Beisammenseins doch die allerungeheuerstenProben deiner Allwissenheit und deiner unbestechlichsten Wahrhaftigkeit auf die einfachsteund klarste Weise von der Welt abgelegt hast.[187,02] Dennoch aber habe ich bezüglich der Nachexistenz noch drei wichtigeFragen an dich zu stellen. Kannst du uns auch da eine befriedigende Lösung geben, so wollenwir dir zuliebe unsere ganze kynische Weisheit fahrenlassen und dich dann bitten, uns einebessere zu lehren. Die Fragen aber sind ganz kurz und einfach diese:[187,03] Was sind das für Geister, die ihre ihnen gleich zu bildenden Seelen inLeiber von Taubstummen und in von Geburt an ganz vertrottelte und Narren-Leiber setzen?Welch eine geistige Heranbildung einer Menschenseele läßt sich in solchen Leibern nachunseren Vernunftgrundsätzen erwarten? – Das ist die erste Frage.[187,04] Was ist mit den Seelen der Kinder, die sterben, noch lange bevor sieeigentlich ihres Bewußtseins fähig sind, wobei von einer geistigen Heranbildung gar keineRede sein kann? Von welchen jenseitigen vollkommen reinen Geistern aus Gott stammendiese ab? – Siehe Freund, das ist die zweite sehr gewichtvolle Frage![187,05] Und die dritte Frage laute: Was ist mit jenen Seelen, die auf der Erde inihrem Fleische zwar zu so mancher Weltbildung und Intelligenz gelangt sind, aber danneigenwillig und ganz eigenmächtig zu wahren Scheusalen der besseren menschlichenGesellschaft werden? Warum haben das ihre sie ins Dasein setzenden, sicher aus Gott dirgleich weisen Geister zugelassen, und warum kümmerten sie sich nicht mehr um jene durchsie hervorgerufenen und mit ihnen eins werden sollenden Seelen? Oder ist das dem reinenGeiste etwa gar eines, welche Bildungsstufe eine Seele in dieser Welt und in ihrem Leibeerhält?[187,06] Siehe, Freund, da stecken noch so einige Widersprüche deiner früherenDiktion, die wir selbst beim besten Willen nicht unter ein Dach bringen können! Dennentweder ist der Akt solch einer Lebenseinigung ein höchst ernster, von dem das Wohl oderWehe dann die ganze Ewigkeit hindurch abhängt – und dem mächtigen jenseitigen Geistekann es unmöglich einerlei sein, ob seine durch seine Macht und Intelligenz aus Gottgebildete oder aus der Materie entwickelte Seele selbst ihm gleich ein vollendetes Geistwesenoder ein wahres Scheusal wird –, oder dieser vorerwähnte Akt ist kein höchst und sogar heiligernster, sondern nur so eine launige Spielerei. Dann haben wir über alle deine noch so hoheWeisheit hinaus unbestreitbar recht, so wir behaupten, daß da in der großen Naturwelt alles

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nur eine eitle Spielerei ihrer Kräfte ist, und wir leben nur als ein vorübergehender Scherz dergroßen Natur, und mit dem Tode hat es sein Ende für immerdar, unbekümmert, was irgendwounsterbliche, sich um alle Natur nie kümmernde, vollkommene Geister machen![187,07] Denn soll zum Beispiel mich auch irgend so ein jenseitiger Urgeist aus Gottins Dasein gerufen haben, will sich aber dann gar nicht mehr um mich kümmern, so ist erdann ja kein nütze, und so ich als Seele ganz mich selbst für ihn bilden soll, ohne daß er dochetwas Merkliches dazu beihilft, da kann mich dann ein solch lauer Geist aber auch schon fürdie ganze Ewigkeit meiden! – Nun, Freund, wie sieht es da mit einer guten und weisenAntwort aus?“[187,08] Sagt geheim zu Mir Petrus: „Herr, jetzt wäre ich mit meiner Weisheit aberauch schon am Ende! Bin nun recht ängstlich darum, wie sich da Johannes herauswindenwird!“[187,09] Sage Ich: „Sei unbesorgt! Durch Mich und mit Mir geht alles!“

188. Kapitel[188,01] Hierauf fing Johannes wieder an zu reden und sagte: „Meine liebenFreunde, wenn eure Einsicht nur halb soweit gediehen wäre, so wäre die Sache mit wenigenWorten abgetan; aber so wird es freilich eines mehreren benötigen. Damit ihr aber dasbegreifet, muß ich euch zuvor eine ganz neue Enthüllung machen. Und wie da eines dasandere hervorruft und gibt, und bevor ihr noch daran dachtet, mit den drei kritischen Fragenmir zu kommen, wußte ich schon darum und habe in meiner früheren euch gemachten wahrenDarstellung der materiellen Schöpfung dafür vorgebaut. Oh, ihr kommt mir ja sicher ewig mitkeiner Frage, um die ich nicht schon lange voraus gewußt hätte! Habe ich aber um diekommende Frage schon lange vorher gewußt, so wie um eure Reisegeschichten, so könnet ihres euch wohl auch leicht denken, daß mir darauf eine endgültige Antwort auch eben nicht garzu schwer fallen wird. – Was meinst du, Hiram, da?“[188,02] Sagt Hiram: „O ja, das sieht dir sehr ähnlich! Ich habe dir aber die dreiFragen auch nicht darum gestellt, um damit deine tiefsterprobte Weisheit noch tiefer zuversuchen; aber weil da schon eines das andere gibt, so möchte ich von dir in dieserallerernstesten Sache denn auch einen endgültigen Aufschluß haben, den mir außer dir sicherniemand mehr zu geben imstande sein dürfte, ohne dadurch der sicher auch triftigstenWeisheit deiner Gefährten zu nahe zu treten. Habe die Güte und rede, – wir wollen dich mitder gespanntesten Aufmerksamkeit anhören!“[188,03] Sagt Johannes: „Nun wohl denn, so höret! Es gibt Unterschiede in allem,was ihr nur immer ansehet auf der Erde. Was würdet ihr wohl sagen, wenn auf dieser Erdealle Geschöpfe einander ebenso ähnlich sähen wie zum Beispiel die Sperlinge auf dem Dache,da man das Weiblein und Männlein nicht unterscheiden mag?“[188,04] Sagt Hiram: „Das wäre etwas unerträglich Langweiliges!“[188,05] Sagt Johannes: „Gut! Also wäre es auch unerträglich fade, so alle Menscheneine haargleiche Gestalt, eine gleiche Stärke, ein gleiches Alter, eine ganz gleiche Stimmeund Sprache und einen ganz gleichen instinktmäßigen Verstand besäßen!“[188,06] Sagt Hiram: „Ah, das wäre ja etwas ganz Entsetzliches!“[188,07] Sagt weiter Johannes: „Wäre die Erde so anmutig und erfreulich anzusehenentweder ganz ohne Berge oder ohne Verschiedenheit derselben, und so auf der Erde nur eineeinzige Baumgattung und nur eine Grassorte vorkäme, und so es kein Meer gäbe, sondernlauter kleine, seichte und ganz auf ein Haar gleiche Teiche, keine größeren tiefen Seen, keinegroßen Flüsse und Ströme, sondern lauter liniengerade dahinrieselnde, handbreite Bächleinund dazu noch lauter haargleiche viereckige Wölklein am Himmel, die immerfort nur nacheiner und derselben Richtung ganz langsam dahinzögen?! Wäre es angenehm, so du amFirmament anstatt der verschiedenen Gestirne entweder lauter Sonnen oder lauter Mondeohne Wechsel des Tages mit der ruhigen Nacht sähest?!“[188,08] Sagt Hiram: „Ich bitte dich, Freund, höre mir nur mit derlei bald auf; dennda treibt einen Menschen unserer Art schon der Gedanke daran zur Verzweiflung! Denn nurdie großartigste Verschiedenheit in allem kann dem Leben ein Vergnügen geben!“

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[188,09] Sagt auch Aziona: „Bruder Hiram, spannst du noch nicht, wo's hinausgehenwird, und wie schön du schon gefangen bist?“[188,10] Sagt Hiram: „Ein bißchen so etwas von einem lichten Dunste fange ichschon auch sehr zu verspüren an! Aber lassen wir den edelsten und weisesten Freund zuunserem Besten nur ganz ungestört fortreden!“[188,11] Fährt nun Johannes weiter fort zu reden und sagt: „Gut Freunde, so euchschon auf der Erde die höchstmögliche Einförmigkeit in allem eine allerentsetzlichsteLangweile bereiten müßte und euch nur die großartigsten und zahlreichsten Unterschiede undVeränderungen vergnügen, – wie wollet ihr dann meinen wollen, daß noch endlosvollendetere Geister als Hauptlebensintelligenzen in der höchsten Einförmigkeit ewigfortleben sollen und einer auf ein Haar so sei wie der andere durch die ganze, ewigeUnendlichkeit?! O seht, wie seicht und höchst einseitig ihr da Gott Selbst und Seinunendliches Geisterreich aufgefaßt habt![188,12] Es muß dort wie hier Unterschiede geben, und das nie zählbar viele, ansonstja ein jedes vollendetere Wesen nie möglich eine Seligkeit und Wonne über die geschaffenenWunder Gottes haben könnte, wie es unter euch Menschen auf der Erde kaum denkbar vieleUnterschiede gibt, damit ihr euch gegenseitig dienlich notwendig werden möget. Was liegthernach daran, ob ein – sage – jenseitiger Geist sein hier unternommenes Werk ganz vollendetoder nicht? Die Ewigkeit ist doch hoffentlich lang genug, um das hier nur scheinbarVersäumte nachzuholen![188,13] Zudem – wohlgemerkt! – ist ja eben diese Erde eine von Gott eigenserwählte und dazu bestimmte, daß eben auf ihr, wegen der hier allein möglich erreichbarenKindschaft Gottes, unter den auf ihr vorkommenden verschiedenartigsten Menschenarten und-charakteren eben auch so eine große Verschiedenheit obwalte, die nach dieser Erde aberschon in der ganzen Unendlichkeit auf keinem der zahllos vielen Weltkörper in einem sohohen Grade anzutreffen ist.[188,14] Da aber hier allein die wahre und einzige Kindschaft Gottes zu erreichen ist,was alle reinen Urgeister in der ganzen Unendlichkeit gar wohl wissen und tiefst erkennen, sokönnet ihr es euch wohl vorstellen, daß gar viele Geister mit Seelen aus anderen Weltkörpernauch zu dem Behufe auf diese Erde kommen, um eine fremdweltliche Seele auch in derMaterie dieser Erde durchgären zu lassen. Nun, vielen gelingt es beim ersten Versuche, undgar vielen nicht! So die fremde Seele in dem Leibe aus dieser Erde denn durchaus schongleich zu Anfang ihres Eintritts in dieser sie sehr drückenden Materie nicht bestehen kann,nun, so wird sie von ihrem Geiste gleich wieder dahin gebracht, von wo sie gekommen ist.[188,15] Manche Seelen, zumeist aus anderen Weltkörpern, können den Anblickdieser allermagersten und am wenigsten schönen Welt gar nicht ertragen. Da werdet ihr ihreSinne auch gewöhnlich sehr vernachlässigt ausgebildet sehen. Sie halten hier wohl oft einelängere Zeit aus und machen so manches, aber gewöhnlich nur weniges den wirklichenMenschen dieser Erde nach und kehren nach solchem für sie immerhin eine tiefe Bedeutunghabenden Leben, das auch gewöhnlich nie zu lange dauert, wieder in ihre Heimat – und dasoft nach etlichen Dezennien, von den Menschen dieser Erde natürlich ungekannt – mit oftbestem Erfolg ihrer großen Mühe zurück und erreichen da schon sicher, was sie ein erstes Malsuchten.[188,16] Manche solcher fremden Seelen durchwandern oft sogar viele andereWeltkörper, bis sie sich dann erst, durch ihre Geister geleitet, auf diese Erde wagen. Etlichesind aus Sonnenwelten. Darunter sind welche bald sehr vollkommen; manche aber bekommenoft auch einen großen Zorn auf alles, was nur auf dieser Erde vorkommt. Daraus werden fürdiese Erde gewöhnlich sehr böse Individuen, die rauben, morden und stehlen, was ihnen nurunterkommt. Auch haben sie gewöhnlich keine Liebe zu den Menschen dieser Erde undsuchen ihnen nur auf alle mögliche Weise zu schaden. Solche entgehen hier nur selten dergerechten Strafe für ihre Vergehen wider die erdbürgerlichen Ordnungsgesetze. Sie kehrendann oft wohl auch in ihre alte Heimat zurück, wo es ihnen dann auch nicht am allerbestengeht; denn ihr Geist fängt dann mit ihnen oft eine ganz entsetzlich scharfe und sehrschmerzliche Disziplin an, die, je nachdem eine Seele für sich stolzer, verhärteter und

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selbstsüchtig eigensinniger ist, oft ganz entsetzlich lange dauert.[188,17] Ja, mitunter geschieht sogar Bürgern dieser Erde ein Gleiches, so sie sichvon den Fremden dazu verlocken lassen, auch möglichst viel Böses auszuüben. SolcheSeelen, deren es leider nicht wenige gibt, sind dann eben das, was man ,Teufel‘ nennt; aberihre jenseitigen Geister sind dann so lange ihre sie sehr peinigenden Leiter, bis sie sichgänzlich bessern. Und siehe, darum eben auf dieser Erde die große Verschiedenheit, unddarum solche absonderlichen Zustände der Menschen auf dieser Erde. – Ich meine nun, daßihr, so ihr offenbar schärfer zu denken vermöget denn andere gewöhnliche Alltagsmenschendieser Erde, über eure Fragen nun schon vollends im klaren sein solltet! Oder geht euch nunnoch etwas ab?“

189. Kapitel[189,01] Sagt Hiram: „Das ist nun ganz gut, und wir haben dir nun nichts mehrdagegen einzuwenden; denn nun glauben wir es dir, der du es sicher allein wissen und hellgenug begreifen kannst, daß es also und nicht anders ist. Wir natürlich können das wedereinsehen noch begreifen, da wir nicht wissen um die zahllos vielen fremden Weltkörper undnoch weniger um die Art ihrer höchst rätselhaften Bewohner, wer sie sind, wie sie aussehen,und wessen Geistes Kinder sie sind. Aber nur das meine ich dabei dennoch, daß wenigstenseinige bessere Menschen dieser Erde noch bei ihren Erdenlebenszeiten davon Kunde erhaltensollten von oben, um sich danach gegen solche Menschen richten und rüsten zu können!“[189,02] Sagt Johannes: „Höre! Solche Menschen hat es auf der Erde noch zu allenZeiten gegeben, und sie haben solches und ähnliches durch allerlei entsprechende Bilder denMenschen dieser Erde kundgetan – im Hohenliede Salomos finden sich solche Andeutungenmehrmals vor –; aber die Menschen, respektive ihre Seelen, haben ihre Sinne zu sehr hinausin die Materie der Welt versenkt und so ihrem jenseitigen Geiste den Rücken zugewandt,daher können sie von den höchsten und reingeistigen Dingen auch nichts mehr fassen undverstehen. Eben darum aber sind nun wir in diese Welt gekommen, um die durch ihrehöchsteigene Schuld verwahrlosten Seelen wieder aufzurichten und ihnen die rechten Wegezu ihrem geistigen und ewigen Lebensheile zu zeigen.[189,03] In der Folge nach uns wird das alles Tausenden durch den heiligen GeistGottes noch tausendmal heller geoffenbart werden, als ich es nun euch offenbaren konnte. Soaber dann auch über euch der Geist Gottes kommen wird, da wird er euch leiten in alle Tiefenseiner urgöttlichen Weisheit, und dann erst werdet ihr das auch vollkommen klar einsehen,was ihr jetzt erst so ganz schwach zu glauben angefangen habt. Bis dahin glaubet und forschetin den Schriften und auch in aller Natur; sie werden es euch sagen, daß es also und nichtanders ist! Den vollen Grund aber werdet ihr, wie gesagt, erst später vollends einsehen. –Habt ihr nun noch irgend etwas einzuwenden?“[189,04] Sagt Hiram: „Nein, mein edelster und weisester Freund! Nun waltet bei unsdurchaus kein Zweifel in diesen Dingen mehr ob! Aber da wir nun denn schon gegen dieNeige dieses schönsten Tages von so manchem geredet haben, so möchte ich dich denn dochnoch um eines fragen. Ich bin zwar nur ein reiner Grieche, aber dessenungeachtet habe ichmir mit der Zeit vom Judentume so manches zu eigen gemacht, das mich sehr ergötzte,namentlich aber ihre Behauptung von einem Messias, der nichts weniger als gleich nur dashöchste Gottwesen Selbst sein werde. Er werde sie alle natürlich gleich unsterblich machenund zu Jerusalem als ihr ewiger, unüberwindlicher König residieren und von dort aus gleichdie ganze Welt und zugleich natürlich auch die ganze, ewige Unendlichkeit beherrschen.[189,05] Man lacht uns wegen unserer mythischen Götterlehre nun schon nahezuallerorten aus und erklärt sie für einen allerbarsten alten Unsinn; was soll man aber dann erstzu den Juden wegen ihres Messias sagen? Beim Himmel! Eine solch grenzenlose Dummheitund Wirre des menschlichen Geistes ist mir wahrlich denn doch noch nirgends in aller Welt,die ich bereist habe, je untergekommen! Sage mir, was denn da für ein loser Witzdahinterstecken soll! Das ist ja doch eine wahrhaft scheußlichste Großtuerei der besondersganz vornehmen Juden hauptsächlich gegen uns Griechen und Römer, und sie freuen sichschon, wie uns ihr Zeus aus ihrem Lande hinaustreiben wird mit einem ungeheuren

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flammenden Schwerte, dem auf jeden wohlgeführten Hieb mindestens hunderttausend derverheerendsten Blitze entsprühen werden über alle Heiden! Nun, das ist denn doch einbißchen zu stark! – Was sagst denn du als selbst Jude zu diesem alten, närrischenJudenwitze?“[189,06] Sagt Johannes: „Diese Sache ist auch nicht so ganz ohne, wie du als einreiner Grieche meinen dürftest; und vielleicht liegt sie dir näher, als du etwa meinen könntest!Aber natürlich in der Art, wie du sie aus dem Munde der Juden vernommen hast, ist sieoffenbarst eine der allerkolossalsten Lächerlichkeiten, hinter der auch nicht ein Funke voneiner nur scheinbaren Wahrheit waltet! Das aber, was die Juden in der höchst dümmstenWeise erwarten und nachher noch bis ans Ende der Welt vergeblich erwarten werden, istbereits, verborgen vor ihren blinden Augen und tauben Ohren, schon lange da, – aber nichtzur Vertreibung der den Juden höchst lästigen Heiden, sondern gerade umgekehrt: Die Judenwerden aus dem Lande vertrieben werden, und den Heiden wird das Wort Gottes gegebenwerden für immerdar! Doch über dieses Thema wollen wir später ein allbedeutsamesGespräch anfangen; jetzt aber wollen wir für ein Abendmahl und für ein Nachtlager zu sorgenbeginnen! Denn wir bleiben morgen auch noch hier, und dann etwa noch ein paar Tage, undda wird sich noch gar manches besprechen lassen.“[189,07] Sagen die beiden, ganz erfreut über diese Zusicherung: „Es wird sogleichvon allen unseren Seiten nach Möglichkeit für alles auf das beste gesorgt werden!“[189,08] Mit dem gehen beide ganz heiter ab, und Ich belobte den Jünger für seineunermüdliche Ausharrung und für seine wahrlich sehr große Geduld.

190. Kapitel[190,01] Während diese beiden Fischer mit ihren Weibern und Kindern uns dasAbendmahl bereiteten, fragte endlich wieder der ganz kleinlaut gewordene Judas Ischariot,wer das Schiff dem alten Markus zurückstellen werde, so wir dessen nicht mehr benötigten.[190,02] Sage Ich: „Kümmere du dich um etwas Besseres denn um solcheWeltkleinigkeiten; denn Der dem Markus dieses Schiff wunderbar gebaut hat, Der wird esschon wissen, wie Er es ihm zurückstellen wird! Daß du aber doch nie um etwas Geistigesdich kümmern kannst, sondern sicher allzeit nur um etwas Weltliches! Was hast denn du vonder Welt, oder was hättest du, so du gewönnest die ganze Welt, aber dabei den größtenSchaden littest an deiner Seele? Was kannst du dann geben zur Löse deiner verdorbenenSeele?![190,03] Da sieh diese armen Fischer an! Sie sind die nüchternsten und sonst aberdoch freundlichsten Menschen, erwarten keinen Lebenslohn nach des Leibes Tode, unddennoch ist ihnen alle Welt mit ihren vergänglichen Schätzen ein Greuel, und sie haben sichdarum von aller Welt in diesen verlassensten und ödesten Erdenwinkel zurückgezogen. Nunhaben sie zum ersten Male von etwas höher Geistigem vernommen, und schon sind sie vollerZufriedenheit, – und das sind gut zur Hälfte Heiden; du aber bist ein echter Jude und gehörstsamt Mir dem Stamme Juda an, und dennoch macht auf dich das Geistige wenig oder oft garkeinen Eindruck! Sage Mir nun ganz offen, warum du so ganz eigentlich mit Mirherumziehest von Ort zu Ort!“[190,04] Sagt Judas etwas verlegen: „Nun ja, jetzt ist schon wieder alles hoch gefehlt,weil ich mich wegen des Schiffes erkundigt habe! Ich habe dabei ja doch keine schlechte undunehrliche Meinung gehabt! Vergib es mir, so ich dadurch gefehlt habe!“[190,05] Sage Ich: „Ja, ja, dir wird noch viel vergeben werden müssen! Sieh zu, daßam Ende nicht die Welt dein Meister wird!“[190,06] Darauf wollte auch Thomas dem Judas Ischariot noch einige Wörtlein insOhr flüstern; aber Ich blickte den Thomas an, und er blieb stille in aller Geduld.[190,07] Da aber trat Johannes, Mein Liebling, zu Mir und sagte: „Herr, sind wir mitdiesen nun wohl schon so ziemlich in der Ordnung? Denn wenn sie uns etwa noch ärgerkommen sollten, da möchte ich Dich wohl bitten, daß Du ganz Selbst ihnen die Stirne bietenwollest; denn ich werde mitunter doch beklommen darum, als möchte mein Herz etwamöglicherweise doch etwas aus Dir Kommendes nicht richtig und schnell genug erfassen und

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dann leicht etwas Eigenes fürs Deine hingeben, womit ich dann bei diesen Scharfdenkernaugenblicklich in der heißesten Brühe säße! Denn die passen doch auf ein jedes Wort und aufeine jede dasselbe begleitende Miene so auf wie ein schlauester Fuchs auf seine Beute! Nurein unrichtiges Wörtlein, und rein aus wäre es mit ihnen![190,08] Ein Philopold zu Kane bei Kis war auch beinahe so ein Ähnlicher; aber manredete mit ihm dennoch um ein bedeutendes leichter. Bei diesen aber geht es um einbedeutendes schwerer, weil sie wahrlich viel Erfahrung besitzen und dazu eine solcheVerstandesschärfe, wie sie mir bis jetzt noch nicht vorgekommen ist! Mathael war auch einaußergewöhnlicher Geist; aber mit dem Hiram hier würde er zu tun gehabt haben! Also bitteich Dich, o Herr, noch einmal, daß bei einem etwa noch schärferen Anlaufe Du Selbst es mitihm aufnehmen möchtest!“[190,09] Sage Ich: „Mein lieber Johannes, das wird nun nicht so sehr mehr nötigsein! Hiram wird bezüglich des Messias wohl noch so manche Entgegnung vorbringen, diedich ein wenig verlegen machen wird; aber wir beide werden ihn auch da nun bald auf denrechten Weg bringen. Gehe du aber nun in die Hütte und mache ihnen ein Feuer; denn siemühen sich nun, schon seit sie uns verließen, mit der Erzeugung des Feuers mittels der SteinundHolzreiberei, bringen aber keines zustande!“[190,10] Johannes begab sich in die Hütte und sagte: „Liebe Freunde, mir scheint,daß euch heute das Feuermachen nicht gelingen will; denn ich habe jetzt schon eine Weile dieHütte beobachtet, aber noch kein Feuer entdecken können, und mein Freund sagte zu mir:,Gehe hin und mache den guten, besorgten Menschen ein Feuer!‘ Und so bin ich denn nun da,euch ein Feuer machen zu helfen!“[190,11] Sagten Hiram und Aziona: „Da bist du uns dann auch äußerst willkommen;denn unsere besseren Steine geben kein Feuer, und die Reibhölzer sind uns in der Hütte etwasfeucht geworden, und so haben wir mit dem Feuermachen nun eine eigene Not. Auch denNachbarn geht es nicht besser!“[190,12] Sagte Johannes: „Leget nur das Holz auf den Herd, und das Feuer wird danngleich herbeigeschafft sein!“[190,13] Sie legten das Holz auf den Herd, und Aziona sagte: „Nun, lieber Freund,läge das Holz schon auf dem Herde! Bin nun wahrlich neugierig, auf welche neue Art du nundas Feuer machen wirst!“

191. Kapitel[191,01] Sagt Johannes: „Seht, – also!“[191,02] Johannes sprach bloß: „Es brenne dieses Holz auf dem Herde hier und inden andern Hütten!“, und im Augenblicke brannten die Feuer in den Hütten lichterloh.[191,03] Da schlugen die beiden ihre Hände vor Verwunderung über dem Hauptezusammen und sagten: „Nein, das kann nur einem Gotte möglich sein! Wir haben wohl schonvon den Magiern mittels der Händereibung Feuer erzeugen sehen, aber bloß durchs Wortnoch nie! Du müßtest nur irgendein geheimes Pulver haben, mit dem du in echt magischerSchnelle das Holz bestreutest – was aber ich und auch jemand anders nicht bemerkt hat –, unddas Pulver müßte in Berührung mit dem Holze sich dann bald entzünden; die alten Ägyptersollen ein solches Pulver gehabt haben? Ansonst ist das ein reinstes, allerunbegreiflichstesWunder!“[191,04] Sagte Johannes: „Mit dem gewissen Pulver ließe sich diese Sachenaturgemäß noch am besten erklären; aber ich war so frei und habe dieser Not nun untereinem in allen euren Hütten abgeholfen, wie ihr euch sogleich überzeugen werdet, – und somöchte es mit dem gewissen ägyptischen Feuerpulver nun hier wohl seine sehr geweistenWege haben!“[191,05] Als Johannes solches kaum ausgeredet hatte, kamen die Nachbarn schonteils mit Angst und teils mit Freuden herbeigeeilt und erzählten hastig, was in ihren Hüttengeschehen sei.[191,06] Allein Aziona beruhigte sie und sagte: „Kehret nur ganz ruhig und getrost ineure Hütten zurück; denn wir wissen es schon, was euch begegnet ist!“

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[191,07] Auf das eilten die Nachrichtbringer nach Hause und bereiteten sich auch ihrspärliches Mahl.[191,08] Es sagte aber nun auch Hiram: „Ja, meine lieben und wunderlichen Freunde,nun werde ich mich auch auf eine kurze Zeit nach Hause begeben, um meine sicher schongesottenen Fische ohne Salz und sonstige Würze zu verzehren; dann aber werde ich sogleichwieder zu eurem Dienste dasein!“[191,09] Sagte Johannes: „Bleibe du hier und sei mit dem Hause Azionas unserGast!“[191,10] Sagte Hiram: „Edelster Freund, das wäre mehr denn viel zuviel von eurermir stets mehr unbegreiflichen Güte! Ich aber muß für euch ja doch auch für ein Nachtlagersorgen, und so ist es doch notwendig, daß ich ein wenig nach Hause gehe und in meiner Hüttewenigstens für einen von euch, wegen der Beschränktheit des Raumes, ein ersprießlichesNachtlager herrichte!“[191,11] Sagte Johannes: „Auch das ist nicht vonnöten, denn unser Schiff, auf demwir alle ganz gut übernachten können, ist dafür schon eingerichtet; vielleicht aber bleiben wirgewohntermaßen die ganze Nacht über gar im Freien unter dem Baume auf dem schönenRasen, und so hast du dich um nichts Weiteres mehr zu kümmern.“[191,12] Sagte Hiram: „Ja, wenn so, da bleibe ich freilich wohl gleich und ohneweiteres hier! Nur das einzige etwas Unangenehme dieser Gegend, besonders zur Nachtzeit,ist der große Überfluß an allerlei bösen Schnaken und andern fliegenden Insekten; dann gibtes hier auch eine große Menge Nattern, die sich zur Nachtzeit aus ihren Löchern ins Freiemachen und uns oft sehr belästigen. Es gibt hier freilich auch eine große Menge Störche undKraniche, welche da scharenweise angeflogen kommen und da ihre sehr ergiebige Mahlzeithalten; aber dessenungeachtet vermehrt sich das Geschmeiß so zusehends, daß es allabendlichnoch zur Sättigung für gut zehnmal soviel Störche und Kraniche ausreichte. Aus dem Grundeist hier das Übernachten im Freien immerhin eine eben nicht zu angenehme Sache. Ich wäredafür, lieber auf dem Schiffe die Nacht zuzubringen, wo man sich in den Kammern weder vorden Insekten, noch den Schnaken und noch weniger vor den Nattern in acht zu nehmenbraucht!“[191,13] Sagte Johannes: „Seid wegen all dem ganz unbesorgt; denn weder das einenoch das andere soll euch heute, noch fernerhin je mehr belästigen!“[191,14] Mit dem verließ Johannes die Hütte und kam wieder zu uns und wollte Mirerzählen, was nun alles vor sich gegangen sei.[191,15] Ich aber belobte ihn und sagte: „Alles war für diese Leute ganz in der bestenOrdnung aus Mir! Aber Ich sage euch nun etwas anderes!“

192. Kapitel[192,01] (Der Herr:) „Wir werden heute gegen Mitternacht einen förmlichen Kriegzu bestehen haben! Denn eine zweite Aussendung von Jerusalem, weil die unter Zinka nichtsmehr von sich hören ließ, ist gestern von Jerusalem abgesandt worden, – von wem, könnet ihreuch leicht denken! Sie ist zu Schiffe und ist durch einige Fischer, die euch kannten,benachrichtigt worden, daß wir heute gen Mittag in diese Bucht eingefahren sind. Sie werdensich in der Nacht zwar schwer in dieser Bucht zurechtfinden, aber am Ende durch ein paarkundige und gut bezahlte Fischer dennoch hierher gelangen. Es sind auch zwei Erzpharisäerdarunter und ein Hauptschildführer des Herodes. Saget aber unterdessen diesen Fischernnichts davon, weil wir ihnen dadurch eine ganz unnötige Angst bereiten würden, weil sie unsnoch nicht vollends kennen und uns so ganz geheim noch immer für Magier deraußerordentlichsten Art halten![192,02] Aber diesen Verfolgern soll es nicht so gut ergehen wie denen unter Zinka!Diese verfolgen Mich mit einer Eigengier und Wut, was bei dem Zinka nicht der Fall war;daher soll sie ihr Unternehmen sehr sauer zu stehen kommen! Denn man muß verirrte und mitZwang belegte Menschen anders und die ausgemachten Teufel auch wieder anders behandeln!Heute sollet ihr an Mir einmal einen unerbittlichen Richter erschauen, dem für diesenAugenblick keine Liebe innewohnen soll! Aber nun ganz stille von dem; denn unsere Wirte

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bringen soeben das recht gut bereitete Nachtmahl!“[192,03] Als Aziona mit seinem Speisekorbe ankommt, da sagt er: „Liebe göttlicheFreunde! Es wäre schon alles recht; aber keinen Tisch, keine Bänke und kein Licht! – unddoch ist es schon so ziemlich dunkel geworden!“[192,04] Sage Ich: „Das macht alles nichts! Hört, Magier wie wir kommen darum niein eine Verlegenheit! Wir brauchen nur zu sagen: ,Tisch, Bänke und Licht her!‘, und sehet, esist schon alles zu unserer nötigen Bequemlichkeit da!“[192,05] Es stand sonach im Augenblicke ein großer, gedeckter, langer Tisch, mitguten Bänken umgeben, da, und auf dem Tische stand eine große Naphthalampe mit hellem,sonnenweißen Lichte, so daß davon die ganze Gegend ringsherum nahe tageshell erleuchtetwar. Aziona und Hiram ließen vor Schreck und Verwunderung beinahe den Speisekorb fallen,ermannten sich aber doch bald und setzten, etwas behutsam noch, denselben auf denwunderbaren Tisch.[192,06] Hiram sah bald Mich und bald wieder Johannes mit verwunderten, aberdabei sehr prüfenden Augen an, als frage er sich selbst: ,Nun möchte ich aber doch wissen,wer von den beiden der Erste und der eigentliche Meister der Gesellschaft ist!‘, und sagteendlich laut: „Wahrlich, so das auch ins Reich der Magie gehört, so würde das in Alexandriaganz allein für sich mit zehntausend Pfunden reinsten Goldes bezahlt werden!“[192,07] Hier konnte auch Judas Ischariot seinen Mund nicht mehr halten und sagteso ziemlich laut vor sich hin: „Oh, wenn ich das könnte, – keine Stunde mehr bliebe ich imdummen gelobten Lande, wo man alle fingerlang nichts als verfolgt wird!“[192,08] Hier gab ihm einmal Jakobus einen Deuter und erinnerte ihn an Meinefrühere Mahnung. Da ward er stille und sagte kein Wort mehr.[192,09] Aziona aber rief alle die Seinen aus der Hütte und zeigte ihnen das neueWunder, und sein Weib rief aus: „Mann, das sind keine Magier, das müssen Götter sein; dennso was ist etwas Unerhörtes!“[192,10] Sagte Aziona: „Du möchtest wohl sehr recht haben; nur ist die Frage, ob diehohen Götter Olymps sich wohl mit unseren Fischen begnügeten!“[192,11] Sagte das Weib, das eine Griechin aus Athen und somit eine noch rechtfeste Heidin war: „O Mann, derlei habe ich von den hohen Göttern zu öfteren Malen gehört!Denn die Götter lieben nur in ihren hohen Himmeln die allerhöchste Pracht; auf der Erde aberkehren sie stets nur bei den schlichtesten und einfachsten Menschen ein und begnügen sichmit der allereinfachsten Kost. Ja, ja, mein lieber Mann, also ist es ganz gewiß und sicher!“[192,12] Sagt Aziona: „Nun, nun, es wird schon also sein; aber es ist jetzt schonwieder gut! Geht nun nur wieder in die Hütte und bringet alles in die beste Ordnung!“

193. Kapitel[193,01] Mit diesem Winke begab sich das Weib samt den etlichen Kindern wiederin die Hütte und fing sogar bei ihrer Arbeit mit den Kindern an, den großen Zeus für solcheübergroße Gnade zu preisen, bemerkte aber dennoch den Kindern, daß da für das Land, indem die Götter erscheinen, nichts Gutes zu erwarten sei, sondern lauter schlimme Sachen als:Krieg, Hungersnot, Pest und große Länderüberschwemmungen.[193,02] Die Kinder aber sagten: „Aber diese Götter sehen ja doch gar freundlichaus! Wir werden sie morgen bitten, daß sie nicht gar zu schreckliche Übel über die Erdeverhängen sollen!“[193,03] Sagte die Mutter: „Seid nun nur ruhig und stille! Das werden mit ihnenschon die Väter ausmachen; denn wir verstehen das zuwenig.“[193,04] Darauf wurde es dann stille in der Hütte, und wir verzehrten mit Aziona undHiram unser Abendmahl, das den beiden gar überaus wohlschmeckte, ganz besonders aberder Wein und das Brot, welch beides Hiram nicht genug loben konnte. Als die Fische verzehrtwaren, schaffte Aziona den Korb weg, kam wieder zu uns, und wir blieben sodann bei Brotund Wein gleich beim Tische sitzen und niemanden wandelte nur im geringsten ein Schlaf an.Bis eine Stunde vor Mitternacht verbrachten wir die Zeit mit allerlei mehr gleichgültigenErzählungen.

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[193,05] Erst nach dieser Zeit erhob sich Hiram, starrte eine Weile hinaus in dieBucht und sagte dann mit einer gewissen Beklommenheit: „Meine Freunde, mir kommt esnicht geheuer vor; uns allen droht eine große Gefahr! Ich bemerke ein mit Kriegern undHäschern stark bemanntes Schiff in die Bucht hereinsteuern! Wahrlich, die haben nichtsGutes im Sinne! Du, Freund, der du dies Licht ordentlich erschaffen hast, lösche es aus, daßsie die Richtung verlieren und in der Nacht auf eine Sandbank geraten! Morgen wollen wir siedann fragen, was sie hier suchten, und sie sollen uns zu einer guten Prise werden, so sie infeindlicher Absicht uns einen Besuch abstatten wollten.“[193,06] Sagte Ich: „Lassen wir das Licht nur leuchten! Bald sollst du Wunderunserer Macht schauen! Aber zuvor müssen sie ganz zu uns kommen; dann erst werden wirihnen zeigen, was nach eurem Ausspruche die Götter vermögen!“[193,07] Mit dem stellte sich Hiram zufrieden; aber Aziona sagte: „Seht, liebeFreunde, ich hatte euch noch gefragt, ob ihr etwa von einem Feinde verfolgt werdet! Aber ihrsagtet: ,Mitnichten!‘ Hättet ihr uns nur etwas davon gesagt, – wahrlich, wir hätten denen dasEinlaufen in diese Bucht schon auf eine Art versäuert, daß sie dreißig Jahre lang genug daranzu denken gehabt hätten!“[193,08] Sagte Ich: „Ich wußte es wohl, was ohne unser Verschulden kommenwerde; hätte Ich es euch aber gleich gesagt, so wäret ihr um eure notwendige Ruhe gebrachtgewesen. Ihr hättet euch mit der Verrammung der Einfahrt in diese Bucht gar entsetzlich vielMühe gemacht, – und wozu denn? Habe Ich doch der höchsten Macht in Hülle und Fülle fürmehr denn hunderttausend solcher Feindesschiffe! Wozu also noch solche Vorbereitungen?Die Prise samt dem Schiffe gehört dann ohnehin euch zu, und die wird nicht unbedeutendsein! Sie führen große Summen Bestechungs- und andere Gelder zu ihrer guten Verpflegungmit sich und noch eine Menge anderer irdischer Kostbarkeiten, die euch in eurer großenArmut sehr wohl zustatten kommen werden. Ich habe ganz geheim in Mir solches allesvorgesehen und habe euch zuallermeist eben darum nichts gesagt.[193,09] Hättet ihr das Schiff durch eure List und Gewalt, was auch ganz leicht hättemöglich sein können, als Prise genommen, so hättet ihr darauf in Kürze einen zehnmalgrößeren, feindlichsten Besuch eben wieder von Jerusalem aus bekommen und wäret samtund sämtlich als Raubmörder behandelt worden. Allein, das habt ihr nun nicht im geringstenzu befürchten; denn Ich Selbst werde euch im Geiste, wenn Ich auch nicht in der Person beieuch sein werde, allzeit beschirmen und euch nichts Übles zustoßen lassen.[193,10] Nun aber nähern sich die wahrhaft elenden Wüteriche schon so ziemlichund werden nun gleich samt den beiden uns allein verratenden Fischern ans Land steigen; dagebet fein Achtung darauf, was ihnen begegnen wird!“[193,11] Sagte Aziona: „Wenn sie nur keine Wurfgeschosse bei sich führen!“[193,12] Sagte Ich: „Oh, mitnichten, nur einige Spieße, Lanzen, Schwerter undKetten führen sie mit sich; aber jetzt Ruhe, Meine Lieben!“

194. Kapitel[194,01] In dem Augenblicke hörte man rauhe Stimmen höhnisch lachend ausrufen:„Hurra! Hahahaha, da sitzen die lustigen Vögel bei griechischer Beleuchtung ja alle schönbeisammen, und wir haben sie einmal in unsere Gewalt bekommen!“[194,02] Sogleich traten die zwei Erzpharisäer mit dem Burgvogt des Herodes undmehreren Häschern mit ganz grimmigen Gesichtern an unseren Tisch und sagten: „Wollt ihrnicht in schweren Ketten nach Jerusalem gebracht werden, so folget uns gutwillig! Beimgeringsten Sträuben werdet ihr alsogleich gebunden und mit den schwersten Ketten belegtwerden!“[194,03] Ich aber sagte: „Ist bei euch denn durchaus keine Gnade und Rücksichtwenigstens bis morgen mehr möglich? Denn ob ihr heute oder morgen mit uns ganzUnschuldigen, um eure Rache zu kühlen, abfahret, das wird doch alles eins sein!“[194,04] Schreien der Vogt und die beiden Pharisäer: „Nein, jetzt gleich ohne alleGnade muß es sein! Nur auf, und vorwärts!“[194,05] Sagte nun Ich mit mächtiger und ernstester Stimme: „Gut denn! Da in euch

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kein Funke von einer Barmherzigkeit vorhanden ist und ihr zu wahren Erzteufeln gewordenseid, so ist auch aus Meinem Herzen alle Erbarmung für euch gänzlich dahin! Euch geschehenach euren Herzen, Gesinnungen und namenlos bösesten Taten!“[194,06] Mit diesen Meinen Worten wurden plötzlich alle steif und von denunerträglichsten Schmerzen ergriffen, fingen an zu heulen und zu bitten und versprachen,alles zu tun, was Ich nur immer von ihnen verlangen möchte, – aber nur von solch einerunerträglichen Qual möchte Ich sie befreien! Sie wollten lieber tausendmal sterben, als solchunerträglichste Schmerzen noch einen Augenblick lang ertragen![194,07] Ich aber sagte: „Ich habe euch auch gebeten um Gnade und Erbarmung nurbis morgen und fand keine; darum sollet nun auch ihr keine Gnade und Erbarmung bei Mirfinden! Die einzige Gnade, die Ich euch antun werde, bestehe darin, daß die reißenden Bestiendieser Gebirge eurem schlechtesten Leben ein Ende machen und euch das tun, was ihr schonvielen unschuldigen Menschen getan habt! Ja, sogar die Kindlein blieben vor eurerunbeschreibbaren und nie erhörten Grausamkeit nicht verschont![194,08] Ihr waret als damals noch junge Wichte die Eifrigsten beimbethlehemitischen Kindermorde, weil ihr schon damals Mich darunter auch zu töten wähntet.Aber Jehovas ewiger Geist, der allzeit Mich erfüllet hat mit aller Macht und Kraft, hat daswohl zu verhindern gewußt. Nach jener Tat aber habt ihr noch zahllose und unerhörte Greuelan der armen Menschheit verübt, für die der menschliche Verstand noch gar keine Namenerfunden hat; darum habe Ich Selbst es also gewollt, daß ihr gerade hierher kommen mußtet,um als Teufel in Menschengestalt euren lange schon wohlverdienten Lohn zu überkommen!“[194,09] Hierauf heulten sie noch mehr und baten um Gnade und versprachen dievollkommenste Besserung ihres bösen Lebens. Nur dies einzige Mal möchte Ich ihnen Gnadefür Recht ergehen lassen. Dabei aber wurde ihr Schmerzgeheul stets ärger, so daß Aziona undHiram und sogar einige Meiner Jünger für sie zu bitten begannen.[194,10] Sagte Ich: „Glaubet es Mir: Sobald Ich sie nun nur auf zehn Augenblickevon ihren allerwohlst verdienten Qualen losmache, so werden sie gleich den wütendstenTigern über uns herfallen und uns zerfleischen wollen! Oh, Ich weiß es am besten, wie manmit Engeln, Menschen und echten Teufeln zu verfahren hat! Wahrlich, für diese unter MeineMenschenkinder eingeschmuggelten Erzteufel gibt es in Meinem Herzen gar kein Erbarmenmehr!“[194,11] Die Bösewichte aber heulten noch immer mehr und baten um Erbarmen.[194,12] Ich aber sagte: „Sogleich werden die da sein, die euren Leibesqualen einEnde machen werden, und eure schwarzen Seelen sollen die Drachen der heißesten WüstenAfrikas auf zehntausendmal tausend Jahre bewohnen, begraben im glühenden Sande, Amen!“[194,13] Nun erdröhnte von allen Seiten von dem Gebirge her ein mächtiges Gebrüll,so daß sich alle die armen Bewohner dieses Ortes sehr zu fürchten anfingen.[194,14] Ich aber vertröstete sie und sagte zum Aziona: „Die beiden Fischer sollennun von den Schmerzen befreit sein; du aber nimm sie gefangen und führe sie in die Hütte!“[194,15] Aziona tat das. Als die beiden durch Geld Verführten in Gewahrsamgebracht waren und Aziona wieder an unseren Tisch kam, da sprangen sogleich eine ganzeHerde von Tigern und großen Bären auf die nun schon ganz entsetzlich heulenden Wüteriche,packten sie mit ihren Zähnen und sprangen mit ihnen, als hätten sie nur Sperlinge in ihrenRachen, hastigst von dannen ins Gebirge. Und bald verstummte alles Geheul; denn dieBestien, die Ich schon voraussichtlich gar vom Ganges zu dem Zwecke hergetrieben hatte,waren mit dieser Mahlzeit bald fertig und begaben sich dann schnell wieder in ihre Heimat.[194,16] Ich aber sagte nun zu jedem: „Davon komme nie ein Wort auswärts überjemandes Lippen; denn es würde ihm so etwas höchst übel bekommen! Die beiden Fischeraber werden erst morgen ihren Auftrag erhalten und werden auf dieser Welt keinen Verratmehr begehen.“[194,17] Hier erst bekam Hiram wieder Mut zu reden und sagte nun zu Mir: „Nunerst weiß ich, wer unter euch der Herr ist, und muß gestehen, daß ich dich nun offenbar füreinen wahrsten Gott halte! Du bist zwar die Güte selbst; aber dein Zorn ist das sicherSchrecklichste in der ganzen Welt und unter allen Sternen! Was müssen doch das für gar

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elende Wichte gewesen sein, daß du mit ihnen nicht die allergeringste Erbarmung habenwolltest und mochtest!“

195. Kapitel[195,01] Sagte Ich: „Ich sage es dir: In dieser Zeit gibt es auf der ganzen Erde nichtsElenderes! Ich sage es dir: Es gibt nun auf der ganzen Erde sehr viele, ganz entsetzlich vieleäußerst schlechte und böse Menschen, die aber leider durch ihre Erziehung von ihrer Geburtan zumeist schlecht geworden sind. Bei diesen aber hat es wahrlich nie an der bestenErziehung gemangelt, und sie wurden unterrichtet in aller guten Lehre; allein schon in ihrenKinderjahren haben sie durch allerlei Heucheleien sich zu verstellen gewußt, daß man sieüberall hervorzog und sie stets nach Möglichkeit auszeichnete. Dadurch kamen sie schon inihren früheren Jahren zu sehr angesehenen Ämtern, fingen aber mit oft gröbsten Mißbräuchenihrer Amtsgewalt bald nur zu sehr die Menschen zu bedrücken an und wurden so stets gefühlundgewissenloser. Aber ihre List half ihnen überall durch, und so kamen sie, namentlich diedrei Hauptanführer als Schulkollegen, zu ganz hohen Ämtern und waren so erst am rechtenPlatze, ihrer wahren Satansgier die größtmöglichste Ausdehnung zu verleihen, und alles, wasihnen nur ihr erzböser Sinn eingab, wurde um jeden Preis ins Werk gesetzt.[195,02] Wie viele zarte Mägdlein und Knäblein von acht bis zwölf Jahren haben siebis zu Tode, sogar unter den größten Martern, geschändet, sodann ihr Fleisch ihren vielenHunden zum Fraße vorgeworfen! Und haben etwa die traurigen Eltern es gewagt, nurweitschichtig nachzuforschen, was etwa mit ihren Kindern geschehen sei, so durften sie schonim voraus darauf gefaßt sein, daß ihre letzte Stunde bald abgeronnen sein dürfte. Und ihreHäscher und geschworenen Diener trieben es für sich nicht um ein Haar besser, sondern womöglich noch grausamer. Wenn du das alles und noch tausendfach anderes noch Schlechteresdir dazu denkst, so wirst du hier Meinen Zorn ganz gut zu begreifen imstande sein.[195,03] Sie wußten aber auch sehr, daß sie bei den Römern niemand so leichtverraten könnte wie Ich, weil sie von Mir schon vieles gehört hatten. Sie sandten darum auchstets Häscher ab, nach Meiner Person zu fahnden, aber stets ohne Erfolg; darum wollten sienun selbst das gewünschte Werk ausführen. Aber da sagte Mein Geist in Mir: ,Bis hierher nur,und nimmer weiter!‘ Und so haben sie nun hier den schon lange verdienten Lohn ganzvollmäßig empfangen.[195,04] Ihre Waffen und Ketten klaubet zusammen; denn ihr werdet sie zunützlichen Hausgeräten und im Winter zum Fischfange gebrauchen können! Dort unter jenerFelsenwand im Walde werdet ihr ihre zerrissenen Kleider finden, weil sie dort von den Tierenverzehrt wurden, auch abgenagte Knochen. Aber begebet euch dahin erst nach einem Monde,bis zuvor auch die Ameisen das ihrige werden getan haben! Ihr werdet dort noch eine Mengeirdischer Kostbarkeiten finden, die ihr mit der Zeit und bei guter Gelegenheit an griechischeHandelsleute gut werdet verwerten können; aber vorderhand laßt euch damit noch Zeit![195,05] Das Schiff enthält fünfhundert Pfunde Goldes, Silbers und noch eine Mengeanderer Kostbarkeiten, – das gehört alles euch samt dem Schiffe; aber seid bei der Teilunggerecht und uneigennützig, und behelfet euch nach eurer Notdurft! Das Schiff ist hier so gutwie gestrandet, steht herrenlos da und gehört nach dem römischen Strandrechte – PRIMOOCCUPANTI IUS – vollkommen euch zu eigen! Seid ihr damit zufrieden?“[195,06] Sagen Aziona und Hiram: „Herr und Meister in aller Macht, Weisheit undKraft des vollkommenen Geistes einer allerhöchsten Gottheit! Wer soll da nicht zufriedensein?! Und das um so mehr, weil wir es nun einsehen, daß das wahrhaftest nur ein Geschenkvon oben ist!“

196. Kapitel[196,01] (Aziona und Hiram:) „Wir beide sind nun schon ganz in der Ordnung zuglauben, daß du vor allem ein Halbgott bist, und dieser junge Mann (Johannes) auch; dieandern haben uns zwar von ihren götterhaften Eigenschaften nichts merken lassen, werdenaber sicher auch so etwas sein, weil sie zu euch beiden gehören! Nur der eine dort mit einerziemlich finstern Miene hat noch ein stark menschliches Aussehen und wird unter euch nur

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etwa ein etwas besserer Mensch sein, weil wir ehedem bemerkt haben, als das feindlicheSchiff sich dem Ufer näherte, wie er sehr besorgt seine Geldbörse unter dem Unterrocke garemsig zu verbergen suchte; denn Götter bedürfen dieses Erdmistes nicht!“[196,02] Hier kam es einigen Jüngern nahe zum Lachen, und Thomas klopfte demJudas Ischariot hübsch fest auf die Achsel und sagte: „Gut geschossen, Hirte! Deine Pfeilegehen nach der Linie! Das war einmal ein Hieb zur rechten Zeit! Ich hätte dir dein Liebäugelnmit dem Schiffe und mit jener Felsenwand dort gerne ganz laut verwiesen; aber ich dachte esmir: ,Solches wird vielleicht schon jemand anders tun!‘ Und richtig, ich habe mich in meinerwahrhaft sehnlichsten Erwartung nicht getäuscht! Schau, du hättest dich vorhin leicht voneinem gefälligen Bären gleich mit unter jene Felsenwand hintragen lassen können! Wenn duzufälligerweise nicht mit den andern von echt indischen Leckmäulern mit verspeist wordenwärest, so hättest du morgen früh ganz schön alle die dortigen Kostbarkeiten dir zu eigenmachen können! Aber jetzt sieht die Geschichte schon ein wenig bedenklich aus![196,03] Nun, weil du nur dein Scherflein bei der herannahenden Gefahr ins Trockneunter den Unterrock gebracht hast, so bist du als ein guter Wirt und Ökonom ja ohnehin sehrzu loben! Aber weißt du, mit dem heimlichen Absammeln, wie du es in Kis – weißt, imgroßen Hofe! – und beim Markus bei den Zelten des Ouran versucht hast, wird es hier nichtstragen! Ja, bei dieser Gelegenheit scheint für dich Armen wahrlich kein Weizen zu blühen!Ich an deiner Stelle hätte dieser Gesellschaft schon lange den Rücken gekehrt!“[196,04] Hierauf weiß Judas Ischariot eigentlich gar nichts zu erwidern und stecktalles ganz ruhig ein; denn er hat bei Meiner unerbittlichen Bestrafung der Wüteriche einegroße Furcht vor Mir bekommen. Aber er legte sich darauf bald auf den Rasen nieder und fingan zu schlafen.[196,05] Hierauf sagte erst Hiram: „Ja, ja, jetzt habe ich mir den Mann erst so rechtgut angesehen! Er ist derselbe, den ich in meinem euch bekannten Lichttraume ganz dunkelund ohne alles Licht gesehen habe; du, Herr und Meister, aber warst der Leuchtendste! – Abersagt mir nun, ihr himmlischen Freunde, habt ihr denn nach unserer menschlichen Weisekeinen Schlaf und keine Müdigkeit? Wir würden uns nun gleich um allerlei Matten, die wirhaben, und sonstiges Lagerzeug umsehen!“[196,06] Sage Ich: „Oh, laß das alles gut sein! Man ruht bei diesem Tische und aufdiesen sogar mit guten Lehnen versehenen Bänken ganz gut aus. Ich sage euch sogar inleiblich-ärztlicher Beziehung, daß die Menschen ihr Leibesleben gut um ein Drittel verlängernwürden, so sie sich statt ihrer ebenen Nachtlager gute Ruhebänke und Ruhestühle herrichtenwürden in der Art, wie du sie hier siehst! Denn mit den Ebenlagern erleidet der Blutstand und-gang zwischen Tag und Nacht eine zu starke Veränderung, von der allein schon frühzeitigallerlei Hemmnisse und Veränderungen in den Verdauungs- und Ernährungsorganeneintreten. Aber in dieser Nachtruheart wird alles viele Jahre in der größten Ordnungverbleiben.[196,07] Abraham, Isaak und Jakob schliefen nur in gewissen Ruhe- undLehnstühlen, kannten keine Ebenlager und erreichten darum bei sonstiger Lebensnüchternheitjeglicher ein sehr hohes Alter bei vollster Seelenkraft; als aber später die Menschen nichtmehr darauf achteten, fiel ihre Lebenszeit mehr als um die Hälfte der Jahre herab.[196,08] Am meisten nachteilig aber ist das Ebenliegen den schwangeren Weibern;denn fürs erste werden dadurch die Kinder schon im Mutterleibe verkrüppelt und geschwächt,und fürs zweite rühren ihre schweren und oft sehr verkehrten Geburten zumeist von denEbenlagern her. – Das sei euch in leiblich- gesundheitlicher Hinsicht gesagt! Wer sich danachkehren wird, der wird die leiblich-guten Folgen davon verspüren.[196,09] Dann sollet ihr des Sommers die Nachtruhe auch wo möglich mehr imFreien als in den Gemächern und dumpfigen Hütten nehmen, und ihr würdet die guten Folgendavon bald wahrnehmen! Nur im Winter kann man die mäßig erwärmten, aber stets reinenund trockenen Gemächer benutzen. Wer also der ursprünglichen Ordnung gemäß und sonst inSpeise und Trank nüchtern lebt, der wird wenig mit Ärzten und Apotheken zu tun haben.“[196,10] Sagen Hiram und Aziona: „O du wahrer, göttlicher Herr und Meister desLebens, auch dafür sind wir dir einen wahrhaft nie endenden Dank schuldig, und wir werden

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solchen deinen überaus weisen Rat auch nach unseren Kräften und Einsichten ins Werksetzen!“[196,11] „Ich möchte hier schon für mich“, sagt Hiram, „dazusetzen: Der Meisteralles Lebens muß es ja am besten einsehen, was eben allem Leben am meisten frommt! Abernachdem auf dieser Erde doch einmal allererste Menschen müssen bestanden haben, so fragtes sich, wie diese in der naturmäßigen Hinsicht etwa gelebt haben!“

197. Kapitel[197,01] Sage Ich: „Ja, da, Meine lieben und mit recht vielen Erfahrungen undWissenschaften versehenen Freunde, wird uns eine für euch verständliche Antwort schwer!Denn fürs erste ist diese Erde schon ein ganz entsetzlich alter Weltkörper für eureZeitmaßbegriffe; da gibt es für euch keine begreifliche Zahl, durch die man die Vielheit derJahre ihres Bestehens dartun könnte.[197,02] Jedoch Menschen, wie sie nun der Boden der Erde trägt, bestehennumerisch wirklich erst etwas über viertausend Jahre. Die damals lebenden ersten wahrenMenschen aber zerfielen infolge ihrer Handlungsweise in zwei Klassen, nämlich in die KinderGottes, weil ihr Herz und Gemüt Gott erkannte und Ihm treu blieb, und in die Kinder derWelt, weil sie Gott stets mehr und mehr vergaßen und in allem nur der Welt dienten, so wienun die meisten Menschen. Sie haben Städte erbaut und allerlei Götzentempel; ihr Hauptgottaber war, wie nun, der Mammon. Sie lebten ganz so wie jetzt; darum war ihr Leben aber auchnur ein ganz kurzes, so wie jetzt.[197,03] Aber ganz anders stand es mit den Kindern Gottes. Diese bewohnten nur dieBerge, kamen nur höchst selten in die Tiefen hinab und lebten ganz einfach und naturgemäß.Da gab es keine Städte, keine Flecken, keine Dörfer und auch keine gezimmerten Häuser,sondern nur gewisse mit lebenden Bäumen ganz umfangene reine Rasenplätze. Gegen dieBäume zu war ein bankartiger Erdwall gemacht und, wo es nötig war, gegen dieBaumstämme hin dick mit Moos belegt, und so bildete dieser innere Rundwall zugleich eineganz bequeme Tagesruhebank und zugleich ein gutes Nachtruhelager.[197,04] Ihre Kost bestand zumeist in guten und stets reifen Baumfrüchten, allerleigeschmackvollen Wurzeln und Milch. Mit der Zeit lernten sie, durch innere Offenbarungbelehrt, bald auch sich nötige Hausgerätschaften aus Eisen und anderen Metallen anfertigenund betrieben dann auch schon den Ackerbau, bereiteten Mehl und verstanden ein recht gutesBrot zu bereiten und so noch gar manches und vieles, aber alles ohne Prunk, – der Zweckeiner Sache entsprach ihnen vollkommen –, und so lebten sie bei zweitausend Jahre lang invieler Einfachheit und erreichten dabei ein überaus hohes Alter.[197,05] Nur als sie sich nach und nach auch von der Pracht und großen Schönheitder Weltkinder berücken ließen, wurden sie dann zur Strafe häufig von denselben unterjochtund förmlich zu Sklaven gemacht bis auf einen sehr geringen Teil, der bis auf Noah und dannnoch fort und fort Gott treu blieb; aber damit änderte sich auch alles bei ihnen. Sie wurdenleiblich kleiner und schwächer, und ihr Leben erreichte nur selten hundert Jahre, während siefrüher oft nahe an die tausend Jahre alt wurden.[197,06] Wie aber bekannt, so wurden alle rein zu Weltmenschen gewordenenMenschenerstlinge der Erde zu Noahs Zeiten eigenverschuldet von der übergroßen Flutersäuft; denn die Flut deckte den größten Teil der damals bevölkerten Erde also untersWasser, daß die mächtigen Wogen, durch die Stürme und Orkane erzeugt, nicht selten sogarmehrere Ellen hoch von Zeit zu Zeit über nahe die höchsten Bergspitzen schlugen und daherauch alles Leben in ihrem Bereich erstickten bis auf Noah und dessen kleine Familie, und soauch alles Getier bis auf das, was Noah in seiner Arche beherbergte. Mit Noah aber fing, wiebekannt, eine ganz neue Epoche der Erde an.[197,07] Damit habt ihr nun auch ein ganz kurz gefaßtes, aber getreues Bild von denUrmenschen dieser Erde und möget daraus noch lebhafter ersehen, daß Mein euch gegebenerRat ein ganz guter und richtiger ist.“[197,08] Sagt Hiram: „Aber du allein überweiser und mächtigster Meister des Lebensund Herr aller Menschen! Wenn aber die Erde schon gar so entsetzlich alt ist, was war denn

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dann vor den eigentlichen, uns gleichen Menschen für ein Geschlecht auf eben dieser Erde?Denn sie konnte sich ja doch nicht nahezu eine halbe Ewigkeit hin bis auf deine erstenMenschen vor viertausend Jahren ganz öde und leer, also umsonst um die große Sonnekreisend, befunden haben! Oder war sie bis dahin wirklich nur ganz öde und leer? Es ist zwarsehr ungebührlich von mir, dich um so etwas zu fragen; aber ich sehe, daß in dir und diesemjungen Manne wahrlich eine Art Allwissenheit unverkennbar vorhanden ist, und so wirst dumir schon auch in dieser Hinsicht meine wißbegierliche Zudringlichkeit zugute halten.“

198. Kapitel[198,01] Sagte Ich: „Oh, frage du nur zu, an Antworten soll es bei uns nie einenMangel haben, und das stets an solchen, die allein die stete und unverwüstbarste äußere undinnere Lebenswahrheit in sich bergen! Gib sonach nur recht fein acht darauf, was Ich dir aufdeine Frage antworten werde![198,02] Sieh, vor den erwähnten ersten wahren Menschen gab es wohl auch – wieauf zahllosen dieser Erde ähnlichen Welt- respektive Erdkörpern – Wesen, die mit dengegenwärtigen Menschen der äußeren Form nach eine sehr bedeutende Ähnlichkeit hatten! Esgab gar viele Epochen auf dieser Erde, in denen ein früheres Geschlecht ganz unterging undnach und nach ein anderes und stets in irgend etwas vollkommeneres an seine Stelle trat.[198,03] Gar lange vorher, ehe solche Geschlechter, gewöhnlich von 7000 Jahren zu7000 Jahren einander ablösten, ganz sicher aber von 14000 Jahren bis zu wieder 14000Jahren, ward die Erde nur von allerlei Vegetabilien auf den wasserlosen Teilen und darauf erstvon allerlei, aber immer erst nach und nach entstandenen großen und kleinen warmblütigenTieren belebt. Das Reich der Wassertiere und nachher der Amphibien aber war schon vor dergroßartigsten Vegetation der Trockenländer überaus stark und mächtig vertreten, sowie dasReich von allerlei fliegenden Insekten wie der Fliege und tausenderlei ihrer Gattungen, undmit diesen nahe gleich einige Urgattungen der Vögel, die nun freilich nicht mehr bestehen,obwohl die Fliege als das erste lebende Geschöpf und als Anfang alles Geflügels eines jedenWeltkörpers noch zur Stunde dasselbe ist und auch fortan verbleiben wird.[198,04] Erst als die Erde also stets humusreicher ward und durch häufige innere,großartigste Feuerausbrüche, durch die der verhärtete unterwässerliche Boden gewaltsam aufvielen tausend Punkten zu langen und weitgedehnten Bergreihen aufgewühlt ward und auchdurch andere gewaltigste Stürme in der Luft und in den Gewässern einmal so gestaltet war,daß sowohl infolge der größeren und trockeneren Räumlichkeiten, wie auch infolge derergediegeneren Vegetationsfähigkeiten schon auch vollkommenere und mit mehr Intelligenzbegabte Wesen darauf ihr Fortkommen finden konnten, so wurden sie, die geschöpflichenMenschen, dann auch erst ins individuelle Dasein gerufen durch den weisesten, ewigen undallmächtigen Geist Gottes.[198,05] Von da an wechselten sie, wie ehedem gezeigt, durch für euch undenklichviele Zeiten der Erde miteinander ab, und stets verdrängte ein um etwas vollkommeneresGeschlecht das frühere minder vollkommene.[198,06] Sieh, über diesem trockenen Punkte, der doch sicher über zwanzigMannshöhen sogar über dem Wasserspiegel dieses kleinen Meeres erhoben steht, ist das Meergar viele tausendmal tausend Male gestanden. Er ist freilich dann in einer stets oft starkveränderten Form ebenso wie jetzt trocken gelegen. Und bevor von nun an nur 6000 Jahrevergehen werden, wird er sich wieder unter dem Meere und sodann in einer Zeit vonabermaligen etwa 9-10000 Jahren wieder so wie jetzt im Trockenen befinden. Das wird aufder Erde stets so lange miteinander abwechseln, bis die Erde, oder vielmehr ihre Materie,ganz ins Leben übergegangen sein wird.“[198,07] Sagt Hiram: „O Herr und einziger Urmeister alles Lebens und Seins! Wiewird es denn bei einer abermaligen Überflutung mit dem Bestande der dann sicher auch nochbestehenden Menschen aussehen? Die werden dann ja alle wieder jämmerlich ersäuftwerden!“[198,08] Sage Ich: „O mitnichten; denn solche periodischen Überflutungen desMeeres gehen ja immer höchst langsam und ganz unvermerkt vor sich, so daß alle Menschen

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gar lange die hinreichendste Zeit finden können, dem Meere in jene südlichen Erdteile zuentgehen, in denen das Meer durch seinen Rücktritt wieder gar übergroße Ländereien trockengeben wird, weil es sich in solcher Periode wieder mehr gegen den Norden ergießen wird.Und so wird es dann auch bei seinem Rücktritt nach dem Süden wieder sein.[198,09] Also dabei haben die Menschen durchaus keine Gefahr mehr zu befürchten,und es wird sie da schon Mein Geist leiten, daß sie dazu schon lange vorher die rechtenVorkehrungen treffen werden. – Hast du das nun so ein wenig begriffen?“[198,10] Sagt Hiram: „Ja, es kommt mir wohl so vor, als ob ich's begriffen hätte;aber um da in eine ganz klare Anschauung dieser vorher nie geahnten und noch weniger jegehörten wunderbaren Verhältnisse zu gelangen, die irgend in der ungeheuerst großartigenNatur der großen Welten und ihrer Ordnung liegen, da gehört mehr denn mein unendlichbeschränkter Verstand dazu! Verstehen vom Grunde aus kann ich das sonach unmöglich; aberich glaube es dir aufs Wort; denn du bist weise genug dazu, um das alles ganz genau zuwissen und einzusehen, da dein Geist, wie es mir am Tage noch Aziona kundgab, ganz eins inder Macht, im Schauen und im höchst vollkommensten Erkennen mit dem Geiste einerallerhöchsten Gottheit sein soll, was ich zwar auch nicht einsehe, wie das möglich ist, aber ichglaube es, weil du uns nun schon so überaus gewaltige Proben davon unaufgefordert abgelegthast. Vielleicht kommt für uns auch noch eine Zeit, in der wir derlei Dinge besser denn jetzteinsehen werden; aber für jetzt müssen wir es nur glauben.“

199. Kapitel[199,01] Sagt hier Aziona: „Sage mir aber, du unbegreiflicher Weiser, gibt es imendlosen Schöpfungsuniversum denn noch mehrere solcher Welten, auf denen die, sage,Menschen einen uns in allem völlig gleichen Beruf haben?“[199,02] Sage Ich: „Freund, sieh nur einmal deinen Leib mit einer rechtenAufmerksamkeit an, und du wirst eine Menge verschiedener Glieder und Teile daranbemerken! Können diese nur eine einzige Bestimmung haben? Kann das Gehirn und derMagen eine und dieselbe Bestimmung haben, oder das Auge und die Ohren, die Hände unddie Füße, oder die Nase und der Mund? Sieh, aus so zahllos vielen kleinsten Teilen dermenschliche Leib allerkunstvollst auch zusammengesetzt ist, so haben doch selbst die zweiallernächsten und haargleichsten Teile, ein und dasselbe Organ bildend, nicht die ganz gleicheEigenschaft und Bestimmung![199,03] Zum Beispiel: Fest nebeneinander sitzen zwei einzelne Nerven. Beideerhalten dieselbe Nahrung und werden vom selben Lebensfluidum belebt, und ihre Wirkungist, zwei fest nebeneinanderstehende Haare auf dem Haupte zu unterhalten und wachsen zumachen. Nun, diese zwei allerunbedeutendsten Nerven sollten einander doch als gleicheUrsachen von haargleichen Wirkungen auch bestimmungsweise völlig ähnlich sein! Ich abersage: O mitnichten! Diese zwei Nervchen sind sich einander bestimmungsweise ebensowenigähnlich wie Mann und Weib, und es ist darum auch ihr innerer Organismus ein durchgängigverschiedener.[199,04] Aber du meinst nun und sagst bei dir: Ja, da müssen aber doch zweimännliche und zwei weibliche Nerven einander völlig ähnlich sein! Und Ich sage es dir: Auchnicht so völlig, wie du es dir vorstellst! Denn wäre das der Fall, so müßten alle Haare aufeinem und demselben Punkte am Haupte hervorwachsen, oder eine ganz gleiche nächstemännliche Nervenorganisation würde, nur um eine Linie weiter als schon über einem andersbeschaffenen Hauptesplatze stehend, gar kein Haar mehr zum Wachsen bringen. Ja, es kannsogar geschehen, daß der notwendige und von aller Natur bedungene Assimilationsdrang auchin den Nerven der Haarwurzeln stärker wird, als es in der Ordnung ist. Was wird aber dieFolge davon sein? Du wirst dadurch deine Haare auf dem Haupte bald und leicht zählenkönnen![199,05] Es ist eine solche Erscheinung am Leibe des Menschen freilich eineunwillkürliche; aber sie rührt dennoch zumeist als Postulat von den unordentlichenBestrebungen einer sinnlichen und materiellen Seele her. Der Assimilationstrieb ist zwar zurFortpflanzung und Erhaltung des Naturlebens ein notwendiger, aber in seiner Stärke über oder

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unter dem in der Natur selbst vorgeschriebenen Maße ist er ein Tod derselben.[199,06] Nehmen wir an, es bestünde zwischen dem männlichen und weiblichenGeschlechte nicht der allergeringste Assimilationsreiz, wie desgleichen auch bei den Tieren,so hätte es mit der Fortpflanzung des Naturlebens ganz sicher ein Ende. Den Grund davonwerdet ihr beide gar wohl einsehen. Der gänzliche Mangel dieses Reizes wäre sonach auchder offenbare Tod alles Naturlebens. Aber ebenso ist ein seine Grenzen überschreitenderAssimilationsreiz und eigentlich -trieb ebensoviel wie der offenbare Tod des Naturlebens undmit ihm auch gar leicht des Lebens der Seele.[199,07] Zum Beispiel: Das Auge hat den Assimilationsreiz nach dem Lichte. Wirddieser nicht in den rechten Schranken gehalten, und ein Mensch fängt an, unverwandt in dieSonne zu schauen, so wird das Auge durch solch eine mächtige Überreizung bald tot undsomit blind. Und so geht es allen menschlichen Sinnen.[199,08] Der gegenseitige Assimilationsreiz aber kann nur dadurch in seinenheilsamen Schranken gehalten werden, daß der freien Seele Gesetze gegeben werden, nachdenen sie sichern Schrittes den Gang ihres Naturlebens einrichten kann. Natürlich könnensolche Gesetze nur von Dem als in der Fülle wirksam und segenbringend gegeben werden, derHimmel, Geister, Sonne, Sterne, den Mond, diese Erde und alles, was in ihr, auf ihr und überihr ist, atmet und lebt, erschaffen hat. Und das ist von seiten des Schöpfers auch zu allenZeiten geschehen; nur gab es immer nur wenige, die solche Gesetze ernstlich in allembeachtet haben. Die aber nach solchen Vorschriften lebten, haben auch allzeit den wahrenzeitlichen und ewigen Segen davon geerntet; die Trägen, die Geringschätzer und dieUngläubigen aber haben das Gegenteil an sich wie auch sogar an andern ihresgleichenerfahren.[199,09] Aus all dem Gesagten aber geht für deine Hauptfrage klarst erwiesenhervor, daß es im ganzen, unendlichen Schöpfungsuniversum auch nicht einen Erdkörpermehr gibt, der ebendieselbe und – Ich sage – allerhöchste Bestimmung und zur Erreichungderselben dieselbe innere und äußere Einrichtung hätte wie eben diese Erde.“

200. Kapitel[200,01] (Der Herr:) „Du wirst zwar überall Tiere nach ungefähr der Art wie aufdieser Erde finden, also auch Menschen, – aber nirgends in solcher Reichhaltigkeit in derMannigfaltigkeit; sondern da gibt es überall nur wenigere Gattungen, sowohl im Reiche derPflanzen, wie auch im Reiche der Tiere, und die Menschen leben in keiner freien, sondernmehr in einer gerichteten Ordnung und handeln nach einer mehr instinktartigen als nachirgendeiner freien, aus sich selbst und aus den Erfahrungen geschöpften Erkenntnis.[200,02] In den weiten, großen Sonnenerdkörpern ist im Grunde gürtel- oderflächenweise wohl alles entsprechend vertreten, was dann speziell auf den sie umkreisendenPlaneten vorkommt, – auch gibt es da viel Weisheit unter deren verschiedenen sprachfähigenMenschen; aber es ist dort auch die Sprache und die oft höchst bedeutende Weisheit nur mehreine instinktartige und gegebene, als eine freie und irgend durch die Mühe der freien, eigenenTätigkeit erworbene.[200,03] Darum ist aber dort auch kein Verdienst, wie es auch hier auf der Erde fürdie Biene kein Verdienst ist, sich die kunstvolle Zelle zu erbauen und sich dazu den Stoff ausden Blumen zu holen und zu bereiten; denn die Biene erscheint doch sicher jedem Denker nurmehr als Werkzeug einer jenseitigen geistigen Intelligenz denn als ein irgend sich selbstbestimmendes, freitätiges Wesen. Und nahe also geht es auf allen andern Weltkörpern mit dengeschöpflichen Menschen, wenn ihre äußeren Formen auch oft um das unvergleichbareschöner und edler sind denn auf dieser Erde.[200,04] Wohl aber haben alle die anderwärtigen, geschöpflichen Menschen, die dieverschiedenen andern Weltkörper bewohnen, dennoch viel voraus vor dem Instinkt der Tieredieser Erde; denn sie haben danebst doch auch ein gewisses Lebenskämmerlein, in welchemsie eine Art freier Erkenntnis haben und dadurch einen höchsten Gottgeist erkennen und auchnach ihrer Art verehren, die aber natürlich auf den sehr verschiedenen Erd- und Weltkörpernauch sehr verschieden ist.

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[200,05] Es haben wohl nahezu die meisten Tiere dieser Erde auch mehr oderweniger so eine Art Freiheitsspurkämmerlein in ihren Seelen, aus welchem Grunde sie auchgezähmt und zu manchen Arbeiten abgerichtet werden können, – sie stehen aber dennoch inkeinem Vergleiche mit jenen anderweltlichen Menschen, – und es ist dasTierlebensfreiheitsspurkämmerlein sonach nicht zu vergleichen mit demFreierkenntniskämmerlein der Menschen anderer Weltkörper. – Und nun meine Ich, dir deineHauptfrage für deine Erkenntnis zur Genüge beantwortet zu haben. Seid ihr beide nun wohl soziemlich im klaren?“

201. Kapitel[201,01] Sagt Hiram: „Es wäre nun schon alles in der ganz guten Ordnung, da wirdir, o großer, erhabenster Weiser, nun schon alles aufs Wort glauben. Aber nachdem dir schongar alles möglich zu sein scheint, so dürfte es dir ja auch eben nicht unmöglich sein, uns soeinen näheren Blick nur auf eine solche total andere Erdwelt machen zu lassen, – aber unsbeide zugleich, auf daß wir hernach den andern ein gültiges Zeugnis geben können!“[201,02] Sage Ich: „Oh, nichts leichter als das! Aber mit euren fleischlichen Augenallein wäre das wohl unmöglich. Ich werde somit eures Geistes, eurer Seele und eures LeibesAuge auf eine kurze Zeit vereinen, und da oben am Firmamente ersehet ihr einen ziemlichgroßen und mäßig stark leuchtenden Stern, – es ist gerade der sogenannte Planet Saturn.Richtet nun eure Augen gerade auf ihn, und ihr werdet ihn schnell größer und größer werdensehen, und das so lange, bis ihr euch wie völlig auf ihm befinden werdet! Dann möget ihr eseuch erzählen, was ihr gesehen habt! Tut nun das!“[201,03] Hier fingen die beiden an, den Stern zu fixieren, und schnell wird er größerund größer. Schon ersehen sie seinen sogar geteilten Ring und mehrere seiner Monde. Baldwerden die Monde so groß wie der Erdmond und auch schnell größer; der Planet selbst abersteht schon in einer ehrfurchtgebietenden Größe und Majestät vor ihren Blicken. Ihre lauteVerwunderung fängt schon an, alle Grenzen zu übersteigen; denn während sie das alles stetsvollkommener schauen, sprechen sie mit dem Munde alles laut aus, was sie sehen.[201,04] Sie sind nun dem ersten, vom Planeten aber eigentlich entferntesten Mondeschon ganz in vollster Nähe, und Hiram ruft laut aus: „Ah, das ist eine ganz große, aber leidersehr öde Erde! Es gibt da wahrlich Menschen und Tiere und Pflanzen; aber es ist alles wiesehr verkümmert, und aus den Menschen schaut wenig Geist heraus, – auch sind sie durchausnicht schön. Die Tiere sind auch sehr schwach vertreten und sehen ganz absonderlich aus. DiePflanzenwelt sieht auch sehr einförmig und stark verkümmert aus. Nein, da gefällt es unsschon durchaus nicht![201,05] Ah, da kommt auch so eine Welt auf uns zu! Oh, die heißt noch weniger!Da eine dritte, heißt auch nichts, – das wäre so eine rechte Welt für den weisen Diogenes!Gesehen haben wir sie! He, da ist eine vierte und sieht auch um nichts besser aus! Nur weiterdarum! Da kommt schon eine fünfte, da ist ja alles sehr in einem kleinen Maße; aber derbewohnte Teil sieht dennoch um etwas besser aus als bei den früheren. Die Kleinen springenja den Affen gleich ganz munter herum! Von einer Wohnung ist jedoch nirgends etwas zuentdecken. Auch das Tierreich scheint da sehr einfach und sehr spärlich vertreten zu sein, undebenso die liebe Pflanzenwelt! Aber da kommt schon eine sechste und noch kleinere Welt,und da sogar eine siebente! Oh, diese sind ganz entsetzlich unansehnlich![201,06] Aber nun, oh, alle Blitze, Hagel und Donnerwetter! Jetzt kommt eineungeheure Welt uns entgegen! Oh, die hat ja gar kein Ende! (NB.: Es ist der äußere Ring.)Ah, die scheint ja gleich ohne Ende in geradester Linie ewig fort zu dauern! Oh, da sieht esschon ganz herrlich aus! Überaus lange Bergreihen scheinen sich ewig fortzuziehen, und eineMenge Seen und Ströme sind ersichtlich, und Menschen und Pflanzen haben mehrÄhnlichkeit mit den unsrigen. Aber von einer bemerkbaren Kultur scheint auch da keine Spurzu sein. Die Menschen, die ganz sonderbar aussehen, scheinen keine Heiterkeit zu kennen undsind riesig groß. Aber da gibt es keine Häuser und noch weniger irgend Städte.[201,07] Aha, da kommt uns schon wieder eine zweite so große Welt entgegen! Dasist ja geradeso, als ob eine übergroße Welt in der anderen stäke! Aber es ist sonst eben nicht

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viel Unterschiedes zwischen dieser und der früheren Großerde, – und da, da kommt schoneine dritte beinahe ganz ähnliche! Nun, nun, wie viele Erden stecken denn da ineinander?!Aber da scheinen die etwas kleineren Menschen ja ganz gespensterartig, und alles ist sehröde, – und nahe gar keine Kultur! Nein, auf dieser Welt möchten wir auch nicht wohnen![201,08] Aber da kommt uns ja schon wieder so eine Art Weltlein entgegen! Na, na,nun ganz in der Nähe sieht es dennoch ganz ansehnlich aus; aber da ist von einer Kreaturnichts zu entdecken! Aber, o alle Elemente! Da kommt uns erst eine Erde entgegen, vor derman allen Respekt bekommen muß!“[201,09] Hier dauerte die mit allen möglichen Verwunderungsexklamationenverbundene Betrachtung beinahe eine halbe Stunde lang, und Ich rief die beiden nun wieder inihren Naturzustand zurück und beließ ihnen die vollste Erinnerung an das Geschaute in ihrenSeelen und sogar im Gehirne und fragte sie dann, wie ihnen der Saturnus gefallen habe.

202. Kapitel[202,01] Und Hiram antwortete: „O Herr voll Allmacht und Weisheit! Das war etwasUnaussprechliches! Die letzte und eigentlich inwendigste, übergroße Erde war wahrlich eineWelt voll der großartigsten Wunder. Nur war alles von einer so kolossalen Größe, daß wir unsgegenüber den dortigen, übrigens sehr gut aussehenden Menschen gerade wie die Mäusegegen einen Elefanten vorkamen. Und so in dem Verhältnisse war alles, besonders auf denhalben Berghöhen; aber ganz in den Tälern sah es der Kultur unserer Erde etwas ähnlicheraus. Alles aber zu beschreiben, was wir da gesehen haben, da gehörten hundert Jahre undmehr noch dazu![202,02] Jetzt sehen wir denn auch schon ganz gründlich ein, daß die Erde einzig undallein die Bestimmung hat, wahre Menschen nach dem Ebenmaße des allerhöchsten Gottes zutragen, und sehen nun auch ein, daß du ganz von solch einem allerhöchsten Geiste Gotteserfüllt sein mußt; denn sonst wäre es ja doch unmöglich, uns jenen Saturnstern alsogroßartigst zu enthüllen und zur vollnächsten Anschauung zu bringen. Ja, Herr und Meister,wer solche Dinge erschaffen hat, der muß groß, mächtig und weise über alle unsere denkbarenBegriffe sein! Den Selbst näher zu erkennen, wäre freilich bei weitem mehr, als so wir diegehabte wunderbarste Sehkraft gleichfort innebehalten könnten und anschauen alle diezahllosen Sterne in ihrer nächsten Nähe![202,03] Wir werden dich und auch diesen jungen Mann demnach nun wohl vonganzem Herzen bitten, uns den eigentlichen Schöpfer aller Geister- und Materiewelt nurinsoweit wahrhaft kennen zu lehren, daß wir uns von Ihm einen ganz ordentlichen Begriffmachen können, und auch, daß wir – als nach deinen Worten die vollkommensten Menschenund respektive als förmlich Kinder von Ihm – wissen, was wir Ihm gegenüber zu tun haben,um als das, was wir durch Seinen Willen schon sind und noch mehr sein sollen, so würdig alsmöglich dazusein. Denn wir sind ernste Menschen und haben einen schwer beugsamenWillen; was wir aber einmal annehmen und vertreten, das wird dann auch von felsenfestenMännern und von keinen Wetterwendlingen vertreten.“[202,04] Sagte Ich: „Nun sehet, wir sind nun ja so ganz eigentlich an den Punktgekommen, dessentwegen allein wir zu euch gekommen sind, und ihr sollet von uns eben denSchöpfer von allen den zahllosen Wunderwerken nicht nur näher, sondern so vollkommen alsmöglich kennen lernen, wie auch Seinen leicht zu erfüllenden Willen, weil ein jeder Menscherst durch die vollkommene Erfüllung des erkannten göttlichen Willens zu einem wahren, mitallen Weisheits- und Kraftgaben versehenen Kinde des allerhöchsten und allein wahrenGottes wird. – Wir haben aber schon früher einmal einige Worte über den kommen sollendenMessias der Juden fallen lassen! Ich möchte aber nun von euch eine so ganz freie Meinungüber diese Angelegenheit der Juden vernehmen! Redet darum ohne Scheu!“[202,05] Hiram besann sich einige Augenblicke lang und sagte dann: „Ja, ja, du Herrund Meister in allen Dingen und Erscheinungen, wir haben früher, noch am Tage, davon einekleine Erwähnung gemacht! Ich habe aus den jüdischen Büchern beinahe alles gelesen, wasdarauf Bezug hat; allein, alles klang so selten und war so voll von allerlei mystischen,unverständlichen Bildern, daß wenigstens ich daraus durchaus nicht klug werden konnte! Ich

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fragte darüber auch bei guter Gelegenheit sehr gescheite Juden und überzeugte mich nur zubald, daß sie darüber auch nicht mehr wußten als ich, und so muß ich aus meinem bisherigenVerstande euch eben nur das sagen, was teils ich selbst und teils auch andere recht klardenkende Menschen darüber geurteilt haben.[202,06] Nun, ein jedes Volk auf der Erde ist mehr oder weniger, abgerechnet einigehöhere Offenbarungen, wenigstens bis jetzt Selbstschöpfer seiner Religion, seiner Sitten undGebräuche und seiner positiven Hoffnungen gewesen und wird es wahrscheinlich auch zumgrößten Teile bleiben! Und das scheint denn auch mit den Juden der Fall zu sein.[202,07] Es geht mehr oder weniger bei einem größeren Volke neun ZehntelMenschen kümmerlich oder gar schlecht, und nur so ein Zehntel kann sagen: ,Es ist bis aufsSterben gerade schon noch so zum Aushalten!‘ Was bleibt da übrig, als irgend den Glaubendes armen Volkes zu beleben und es durch allerlei aus der angeborenen menschlichen Poesieentsprungene Hoffnungen zu vertrösten, entweder mit einem Elysium jenseits oder mit einemwunderbaren, mit einem einer ersten Gottheit ganz identischen Messias (Retter). Darübergehen natürlich in solcher Hoffnung voll seliger Erwartung Generationen auf Generationen zuGrabe und ruhen dann ganz ruhig ohne Glauben und Hoffnung in der freundlichen, kühlenMutter Erde. Ich meinesteils tadle die Sache gar nicht; aber so, wie sich die Menschendieselbe vorstellen, ist sie bei aller meiner Aufrichtigkeit nicht!“

203. Kapitel[203,01] (Hiram:) „Ja, ein wahrer Völkermessias wäre eine reine Lehre, durch die dieMenschen sich selbst ihrem ganzen Wesen nach und daraus erst Gott als den allweisesten,allmächtigen und liebevollsten Grund alles Seins erkenneten und in solcher Erkenntnis dannauch ihre Nachkommen über alles hinaus zu erhalten trachten sollten! Aber das ist eben dergroße Weltkrebsschaden, daß sich keine noch so reine Lehre fünfhundert Jahre nur reinerhalten kann, und zwar aus dem Grunde, weil sie durch die nur zu vielen falschen undunlauteren Lehren zu bald getrübt wird, und weil sich bei jeder neuen, noch so reinen undlebenswahren Lehre auch nur zu bald gewisse Älteste und Vorsteher bilden, aus denen einePriesterkaste entsteht, die keinen Pflug und keinen Spaten mehr anrühren, sondern bloßlehren, dadurch dann auch stets mehr und mehr herrschen und sorglos sehr gut leben will.Nun, wie eine solche privilegierte Kaste dann die reine Lehre handhabt, das zeigen uns dieBeispiele aller uns nun bekannten Völker, und es wäre schade, darüber auch nur ein Wortmehr zu vergeuden! Und so bin ich der deiner Weisheit gegenüber freilich unmaßgeblichenMeinung, daß ein Mensch, wie du einer bist oder auch wie dieser junge Mann da, dieeigentlichen rechten Völkermessiasse sein könntet, weil ihr dazu der rechten lebenswahrenWeisheit und der aus ihr hervorgehenden Macht mehr denn zur Übergenüge besitzet.[203,02] Aber dazu müßte so manche großartige Vorkehrung getroffen werden!Erstens eine Sichtung aller im Grunde und Boden verdorbenen Menschen, dann zweitens einetotale Vertilgung aller jetzigen Tempel, Schulen, Bethäuser, Priester und Lehrer! Nicht eineSpur von dem jetzt bestehenden Kulturzustande dürfte irgend übrigbleiben! Nur Menschenwie ihr und hie und da so manche noch sollten fortbestehen und vor allem für die reineErhaltung und Fortpflanzung – sage – deiner Lehre die größte und alles andere Diesirdischenach unserem Beispiele auf die Seite setzende Sorge tragen. So könnte durch solch eine wahreMessiade mit der Zeit allen Menschen wahrhaft geholfen sein. Aber alles anderegewisserartige Ausbessern und Ausflicken ist und bleibt zum Wohle der Menschheit imallgemeinen eine fruchtlose Mühe.[203,03] Ja, es werden sich wohl hie und da größere und kleinere Gesellschaftenbilden, die deine Lehre annehmen, fassen und auch eine Zeitlang rein erhalten werden; aberbald werden entweder, so wie wir hier vor ein paar Stunden gesehen haben, mächtigeWeltwüteriche über sie herfallen und sie verderben, oder die Gesellschaften werden neueLehrer und Hüter dieser Lehre aufstellen, aus denen mit der Zeit ganz dieselben Priester sichentwickeln werden, wie wir sie nun zu vielen Tausenden allerorten betrachten können.[203,04] Vor allem aber gehört zur fruchtbaren Annahme deiner Lehre eine gänzlicheAbwendung des menschlichen Gemütes von allen wie immer gearteten materiell- weltlichen

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Vorteilen. Über den Pflug, Spaten, Axt und Säge zur Bereitung der notwendigstenLebensbedürfnisse sollen die Menschen sich nie erheben wollen und sollen auf nichts einenWert legen als allein nur auf die rein geistige, innere Lebensbildung; dann könnte es gehen.Aber wo ist das nunmehr bei der gegenwärtigen Weltkultur der Menschen möglich?! Werräumt die zahllosen materiellen Weltinteressen auf die Seite?[203,05] So aber deine noch so göttlich wahre und reinste Lehre in solchen altenWeltsumpf gesäet wird, da möchte ich doch sehen die Masse des Unkrautes, das da mittenunter den edelsten Trieben deines gesäten Lehrsamens emporschießen wird! Bei uns, ja, sowir ein eigenes, irgend von allen andern Menschen weit entferntes und abgeschlossenes Landhaben könnten, würde sich die Lehre sicher am längsten rein erhalten; aber in der andern Weltdürfte es ihr nicht so günstig ergehen![203,06] Das ist nun so, wie schon bemerkt, meine Ansicht über den Messias, aufden namentlich die Juden in ihrer Art vergeblich hoffen. Ich kann mich auch da bedeutendgeirrt haben; aber da nach deinem Wort ein jeder Mensch zu seiner Lebensvollendung nurdurch seine höchsteigene Tätigkeit in der Bearbeitung und Führung seines innerenGemütslebens gelangen kann, so hat er auch keines andern Messias vonnöten als einessolchen nur, wie gerade du einer bist, nämlich eines wahrhaftigsten und in allenLebenssphären kundigsten und eben dadurch weisesten Lehrers. Alles andere ist einedichterische Schimäre und steht ohne alle Spur einer Wahrheit wie ein blüten- unddornenreicher Rosenstrauch da, dessen Frucht so gut wie gar keine ist, weil sie demMenschen keine Nahrung gibt und zu etwas anderem wenig oder gar nicht frommt. – Waswäre nun wohl deine Meinung über diese meine Ansicht?“

204. Kapitel[204,01] Sage Ich: „Ich bin mit deiner Meinung in der Hauptsache ganzeinverstanden, nur in ihren sonderheitlichen Ausfällen über die Gründung, Ausbreitung undErhaltung einer solchen Lehre nicht so ganz, obschon in einer gewissen Hinsicht auch darindeine Ansicht so manches für sich hat.[204,02] Was deine Meinung hinsichtlich der Sichtung der Menschen und aller ihrerWeltkulturwerke betrifft, so ist zu Noahs Zeiten eine solche über die damals bewohnte Erdemit einer geringen Ausnahme vor sich gegangen, wie sie auch von Moses beschrieben ist,obwohl bildlich, woraus aber ein wahrer Weiser und Entsprechungskundiger dennoch denreinen geschichtlichen Stand herausfinden kann.[204,03] Wie war aber die Menschheit, obwohl nur von dem überfrommen undweisen Noah abstammend, schon nach einigen hundert Jahren?[204,04] Zu den Zeiten Abrahams schon wieder ward Sodom und Gomorra mit denübrigen zehn Städten wegen der zu allergröbsten Laster durch Feuer und Schwefel aus demFirmamente herab samt Menschen und Vieh derart vertilgt, daß von ihnen keine Spur mehrübrigblieb. An der Stelle dieser Städte hast du nun das Tote Meer, darin bis zur Stunde keinTier leben kann, und auch die Vögel vermeiden es, darüber hinwegzufliegen.[204,05] Zu den Zeiten Mosis ist das entartete Ägypten jahrelang durch diebekannten sieben Plagen über zwei Dritteile an Menschen und Vieh gesichtet worden, und diesämtlichen Israeliten, die anfangs als wenige Brüder Josephs um ein paar hundert Jahre früherdahin aus Not eingewandert waren und eben unter dem grausamen Pharao sich alleBedrückung und Verfolgung gefallen lassen mußten, wurden als die besten Arbeiter diesesReiches hinweggeführt, so daß dadurch das ganze Reich in eine größte Armut und zugleichAnarchie verfiel. Aber es erhob sich nach und nach wieder, ward reich und mächtig undübermächtig und deshalb auch wieder durch Krieg, Hungersnot und Pest gezüchtigt. Sieh esjetzt an, und du wirst es also finden wie alle andere Welt![204,06] Aus diesen wenigen wahren dargetanen Tatsachen wirst du wohl begreifen,daß eine Sichtung der sündigen Menschheit durchaus lange nicht von einer so ersprießlichenWirkung ist, wie du sie dir vorstellst; denn die Verschlimmerung eines Menschen wie aucheines ganzen Menschengeschlechtes liegt nicht so sehr in einem grundbösen Willen derMenschen, wie du es dir vor uns nun denkst, sondern sie liegt vielmehr in der zum Leben

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notwendigen Reizbarkeit der Seele, in der Trägheit, sich ernstlich auf den erkannten Wegendes Lichtes zu bewegen.[204,07] Weil aber der Seele die Ruhe und Untätigkeit gar so gut gefällt, so sucht sieHelfer und Diener, die für sie arbeiten oder ihr wenigstens helfen. Dadurch wird sie baldwohlhabend, reich und mächtig und fängt zu ihren Gunsten an zu herrschen, gibt Gesetze undordnet zu ihrem Besten allerlei Dinge an. Und siehe, so wird sie dann zumeist eine feineSeele, die zur Tätigkeit keine Lust hat, und dies ist der Grund zur Verschlimmerung der Sittenganzer Völker, die durch sie stets mehr und mehr vom Geistigen ins Materielleherübergedrängt werden.[204,08] Also die Trägheit oder die stets steigende Lust zum Müßiggang ist undbleibt stets der Anfang zu allen Lastern, und diese Eigenschaft der menschlichen Seele isteben jener böseste Geist, den die Schrift ,Satan‘ nennt. Und darin besteht eben auch dasErbübel, an dem alle Menschen leiden, und von dem sie niemand befreien kann als eben nurein wahrer Messias, der da kommt aus den Himmeln des vollsten Lebens und der höchstenTätigkeit desselben.[204,09] Denn daß es unter den Menschen dieser Erde ein Erbübel gibt, das habenbereits alle Weisen der bekannten Erde ersehen und erkannt; aber worin es besteht, undwodurch es zu bekämpfen ist, haben sie nicht ergründet. Und eben das wird die Sache desMessias sein, durch Lehre und Tat die Menschen von diesem Übel, dessen Frucht der Tod derSeele ist, für ewig zu erlösen![204,10] Aber es wird die Erlösung für den Menschen nur dann eine wahre undwirksame sein, so er die dazu angezeigten Mittel ganz genau und getreu anwenden wird, –sonst wird er nach der Ankunft des Messias ganz derselbe schlechte Mensch sein, der er vorderselben war; denn der aus den Himmeln angekommene Messias wird niemanden befreienvon seinem Erbübel als allein den nur, der nach Seiner Lehre in allem genau also leben wird,wie es die Lehre vorschreiben wird. Niemand erhoffe sich von Ihm irgendeine gewissemagisch-wunderbare Wirkung in bezug auf die Erlösung von dem bekanntgegebenenErbübel![204,11] Wohl wird der Messias zum Zeugnisse dessen, daß Er es ist, großeWunderwerke verrichten; aber diese werden zu niemandes Seele Nutz und Frommen sein anund für sich, sondern nur dadurch, daß sie wecken werden den Glauben und aneifern die Seelezur Tat nach der Lehre, die gegeben wird.[204,12] Es wird sonach der Messias gleichen einem reichen und guten Haus- undGastwirte, der ein großes Gastmahl bereitet und aussendet seine Knechte und Diener nachallen Orten, Wegen, Straßen und Gassen und läßt alle gar freundlich einladen, zu kommenund teilzunehmen am großen Gastmahle. Arme und Reiche, Kleine und Große und Schwacheund Starke, und auch Ohnmächtige und Mächtige werden die Einladungsstimme aus demMunde der Boten vernehmen. Die da kommen werden, die werden auch gesättigt werden; dieaber nicht werden kommen wollen, denen wird darum keine Gewalt angetan werden, daß siekommen müßten. Ob sie kommen oder nicht kommen, das wird dem Gastwirte eins sein; denSegen der großen Mahlzeit aber werden natürlich nur jene überkommen, die der Einladunggefolgt sind.[204,13] Das Gastmahl aber wird eben die Lehre des Messias sein. Wer sie anhörenwird und dann danach tun, der wird ein rechter Teilnehmer am großen Gastmahle sein undden Segen davon in Fülle überkommen; wer die Lehre aber nur wohl anhören, aber sie nichtdurch alle Tätigkeit ins Werk setzen wird, für den wird sie sein wie ein wohlgedeckter Tischfür jemanden, der aber nichts isset von all den guten Speisen, und für den es dann einerlei ist,ob er als Geladener zum Gastmahle kommt oder nicht. Nun, da hast du nun den Messias, wieEr ist und sein und bleiben wird! – Was sagst du nun zu solch einem wahren Messias?“

205. Kapitel[205,01] Sagt Hiram: „Nun ja, das ist ja eben auch meine Rede! Die Menschheit mußder vollsten Lebenswahrheit nach ganz vom Grunde aus belehrt und dann zur Tat streng nachder Lehre angeeifert werden, so wird sie dann auch leicht erlöst werden von dem leider

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größten Erbübel, das den Namen ,Trägheit‘ führt, und dadurch auch von allen andern darausentspringenden kleineren Übeln am Leibe und an der Seele.[205,02] Und dazu wärest eben Du ja ein gar nichts mehr zu wünschenübriglassender Messias, da Du eben das Erbübel von der Wurzel an am besten kennst! Nun,ich mag darin mich vielleicht auch irren; doch aber bin ich wieder der Meinung, daß einanderer Messias auch keine andere Lehre den Menschen zu geben imstande sein wird als Du,dem wahrlich alle Dinge, Sachen und Verhältnisse aller Menschen und Kreaturen bekanntsind, und dem auch alle Kräfte der Natur und alle Geister und Götter aller Zonen bestens undtreu gehorsamst untertan sind. Für uns hier, aufrichtigst gesprochen, bist einmal Du und derjunge Mann da ein vollwahrster Messias; was die andern vielen Menschen der Erde betrifft,so gehen sie uns noch weniger als nichts an. Bist Du ihnen nicht genügend, so mögen sie sicheinen aus Indien, Persien oder Ägypten herüberbringen lassen![205,03] Was aber so Deine Lehre als eine wahre Hauptlebensmaxime für denFleisch- und Seelenmenschen dieser Erde anbelangt, so glaube ich diese in ihremGrundelemente so hübsch herauszuhaben! Liebe zu Gott, respektive zu Dir, und daraus diewahre, uneigennützigste Liebe zum Nächsten, die keine Ausnahme finden darf, in welcherSphäre irgendeines Bedürfnisses auch immer ein Mensch einer reellen Hilfe bedarf, ist undbleibt ewig der Grundstein, auf dem das ganze System des Lebens zu beruhen scheint. So manauf diesem Grunde unverwandt stehenbleibt und danach aus allen Kräften tätig wird, sokann's ja durchaus nicht fehlen, in kürzester Zeit wenigstens von dem Haupterbübel erlöst zuwerden! – Habe ich recht geredet oder nicht?“[205,04] Sage Ich: „Ich wußte es ja, daß du dich zurechtfinden wirst; denn ein rechterWeiser ist dem unweisen Naturmenschen sicher stets ein wahrer Messias, das heißt, er ist einMittler (Mesziaz) zwischen der puren Menschenvernunft und der göttlich-geistigen Weisheit,und die Vernunft findet sonach erst durch den Mesziaz den Eingang in die göttliche Weisheitund wird eins mit ihr.[205,05] Je weiser nun der Mittler ist, desto bessere Erfolge wird er auch sicher beiseinem Führlinge erzielen. Und wandelt dann der Führling unverwandt die Wege des innerenGeistlichtes, so wird er auch im Lichte verbleiben und das Leben des Lichtes sich aneignen,dem kein Tod folgen kann, weil das Leben des Geistlichtes die ewige, unwandelbare undunvergängliche Wahrheit ist, die als das, was sie ist, auch ewig bleiben muß; denn zwei undabermals zwei wird in alle Ewigkeit die Summe vier geben.[205,06] Wie es sich aber mit dieser nur beispielweisen Wahrheit verhält, so verhältes sich mit allen göttlich-geistigen Wahrheiten aus den Himmeln. Sie sind und bleiben ewig,und sie selbst sind allein das eigentlich wahre Leben, weil sie ohne Leben auch keineWahrheiten wären. So kann eine Seele, die einmal ganz in solche Wahrheiten eingegangen ist,nimmer in den Tod gelangen und hat als selbst Licht und Wahrheit auch das Leben in sichund für sich ganz zu eigen, und das ist dann natürlich eine Folge eines wahrhaftigen Mittlers.[205,07] Da hast du, Mein lieber Hiram, denn schon auch ganz recht, daß du Michfür einen rechten Mittler und Erlöser hältst. Aber in der Schrift steht es, daß der verheißeneMittler ein Sohn des allerhöchsten Gottes sein werde! Demnach könnte also zum rechten,großen Mittler zwischen der gefallenen Menschheit der Erde und dem allerhöchsten GeisteGottes denn doch nicht ein pur noch so weiser Erdensohn genügen! Er müßte da etwa docheine volle Gottesnatur und – eigenschaft in sich bergen und solche, wo es not täte, auch offenzur Schau tragen! – Was wäre da deine Meinung?“

206. Kapitel[206,01] Sagt Hiram: „Nun, ist das etwa bei Dir nicht der Fall?! Wer wie Du faktischmit allen göttlichen Eigenschaften ausgerüstet ist, dem fehlt auch die göttliche Natur nicht;wer aber diese hat, der ist auch ein wahrer Sohn des Allerhöchsten. Und der Allerhöchste mußauch eine allerhöchste Freude an solch einem Sohne haben und durch solch eine Freude auchso völlig eins sein mit Ihm.[206,02] Denn Gott als ein reinster und allmächtigster Geist, von der tiefstenWeisheit erfüllt, kann ja auch nur Seine Freude an dem haben, was Ihm möglichst im

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höchsten Grade ähnlich ist, und nicht an dem Fleischdampfe verbrannter Ochsen, Kälber undSchafe. Du bist Ihm aber höchst ähnlich und im Geiste gleich gar schon so gut wie Er Selbst!Was braucht es da noch mehr, um als ein zeitweiliger Miterdensohn auch zugleich einvollendeter Gottessohn zu sein?! Bei Dir, Herr und Meister, ist das aber schon ganzunverkennbar der Fall, und so kannst Du auch der Mittler aller Völker zu Gott hin sein, ganzabgesehen von dem, daß Du uns in diesem verborgenen Erdwinkel also besucht hast, alswären wir die einzigen Menschen der Erde, die Du zu Deinem Geiste zu erheben Dirvollernstlich vorgenommen hast.[206,03] Nun, Herr und Meister, wäre meine Ansicht über den Messias imAllgemeinen, wie im Besondern und in der Anwendung auf Deine Person dargetan, und ich,wie auch Aziona, sind nun darin vollkommen einig.[206,04] Ich, von Geburt an ein Heide, weiß von der jüdischen Gotteslehre nur soviel, als ich teils von Aziona und teils auch von andern Juden in Erfahrung gebracht habe. Ammeisten wird besonders in dieser Zeit bei den Juden von einem Messias geredet, weil ihnender römische Druck nicht gefallen will und auch stets weniger gefallen wird, und es ist darumbegreiflich, daß sie unter allerlei lächerlichen und wunderlichen Bildern Denselben sichvorstellen und Ihn in diese Welt treten lassen. Allein, wegen der Römer braucht noch langekein Messias zu den Juden zu kommen; denn die Römer sind in so mancher Hinsicht selbst soeine Art kleine Messiasse für die Juden, namentlich für die Armen, denen ohne römischenSchutz die Templer schon längst den letzten Blutstropfen ausgesogen hätten.[206,05] Aber eben wegen der zu frechen und alles Höhere, Reinere und Wahre mitden schmutzigsten Füßen tretenden Tempeljuden und wegen der durch sie verfinsterten undverdummten Judenvölker ist ein Messias Deiner Art nun schon im höchsten Grade notwendigund für die Armen ein wahres Heil aus den Himmeln. – Ich habe nun geredet, Herr undMeister; wolle Du nun auch uns wieder ein paar Worte zukommen lassen!“[206,06] Sage Ich: „Ja, Ich muß es offen gestehen, daß Ich euch hier gar nicht vielmehr werde zu sagen haben; denn ihr beide fasset nun alles von einem so richtigenStandpunkte auf, daß sich darüber wenig oder nichts Weiteres mehr sagen läßt! Wahrlich, soviel richtigen Verstandes habe Ich in ganz Israel nicht gefunden! Ich bin darum auch in allerWahrheit das, für was ihr beide Mich erkannt habt. Aber nun habt erst ihr allein das Heil euresLebens erkannt; es sind aber eurer mehrere in diesem Orte. Wie werdet ihr das ihnenbeibringen? Plötzlich dürfet ihr das nicht, sondern erst so nach und nach, weil sonst ihreWillensfreiheit einen großen Schaden leiden würde; aber es fragt sich noch einmal, wie ihrdas anfangen werdet.“[206,07] Sagt Aziona: „Diese Sache wird freilich ein wenig kritisch sein; denn dieandern sind noch mehr Kyniker denn wir! Aber es kommt Zeit und Rat, und die Sache wirdsich schon machen. Ich bin da der Meinung, daß auch im Fache des Glaubens mit denintelligenten Menschen um etwas leichter zu verkehren ist als bloß mit Leichtgläubigen, diewohl bald etwas ganz als wahr annehmen, aber nachher gar nicht zu beurteilen imstande sind,was sie angenommen haben. Aber diese Menschen hier kaufen nie eine Katze im Sacke,sondern sie besehen sich die Ware beim Lichte nach allen Seiten; und können sie darüber eingünstiges Urteil fällen, so nehmen sie dann eine echte und gute Sache schon auch um jedenPreis an. Und so glauben wir, daß wir mit unseren Angehörigen und Gefährten schon auchganz leicht und wohl fertig werden.[206,08] Es fängt nun auch vom Morgen her an, schon recht sehr dämmerlich zuwerden, und bald wird es in der Bucht recht lebhaft werden, – denn man muß hier vor demAufgange sich ans Fischen machen, so man etwas bekommen will; die Tagesfischerei lohntda die viele Mühe und Arbeit nicht. Die Nachbarn fangen bereits an sich zu rühren, um dieFischergerätschaften zusammenzurichten. Auch wir beide werden uns bald dazu bequemenmüssen, damit wir ein frisches Morgenmahl bekommen. Da wir diese Nacht hindurch so vielHerrlichstes für unsere Seelen von Dir erbeutet haben, so ist es nun für uns auch eine erstePflicht, dafür zu sorgen, daß ihr hier eine ordentliche Bewirtung finden möget, nicht bloß alsFolge eurer wunderbaren Munifizenz (Freigebigkeit) sondern als Folge unserer erhöhtenTätigkeit.“

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[206,09] Sage Ich: „Lasset das nur gut sein! Daß ihr Fische zur Genüge haben sollet,dafür wird schon gesorgt werden! So ihr nun aber schon etwas tun wollet, so sammelt zuerstdie hier herumliegenden Lanzen, Spieße, Schwerter und Ketten, und bringet sie inVerwahrung; dann räumet auch das Schiff, und nehmet seine Schätze in Empfang! Alsdannwerdet ihr das Schiff zu einer größeren Fischerei gar wohl gebrauchen können. Die beidenFischer aber, die hier weilen, bringet nun her, auf daß sie von Mir die Weisung erhalten, wiesie sich künftighin allzeit zu benehmen haben werden!“

207. Kapitel[207,01] Hier gingen Hiram und Aziona in die Hütte und brachten gleich die beidenFischer zum Herrn. Darauf weckten sie ihre Angehörigen in ihren nachbarlichen Hütten undmachten sich an die anbefohlene Arbeit. Ihre Weiber und Kinder konnten freilich nicht genugstaunen über solch reiche Bescherung und waren voller Fragen und Gedanken.[207,02] Aber Aziona und Hiram sagten: Jetzt heißt es bloß arbeiten; hernach kommterst die nötige Erklärung!“[207,03] Darauf ward munter geräumt, und die Arbeit erreichte bald ihr Ende.Sodann wurde gleich mehreres Fischergerät ins Schiff geschafft, und die schon ziemlicherwachsenen Kinder Azionas und Hirams machten sich gleich ans Fischen und fingen inkurzer Zeit eine große Menge der edelsten und größten Fische, so daß sie ihre im Wassereingezäunten Behälter beinahe ganz voll machten.[207,04] Ich aber hatte unterdessen den beiden Fischern dahin Meine Meinung alsoeindringlichst ans Herz gelegt, daß sie sich darauf auch vollernstlich ins Herz schrieben, inihrem ganzen Leben nie mehr, auch um alle Schätze der Welt, einen noch so kleinen Verratan jemandem zu begehen. Ich wies ihnen darauf ein altes, aber noch gut brauchbaresFischerboot des Aziona an und gebot ihnen, sich von dannen zu machen und niemandem zusagen, von wannen sie kämen, und wo das große Schiff geblieben sei. Denn denen es einEigentum war, die seien nicht mehr, und denen es nun gehöre, die besäßen es als einstrandrechtliches Eigentum mit allem, was es trug.[207,05] Darauf dankten die beiden, versprachen alles auf das heiligste ihr Lebenlang zu halten, bestiegen dann ihr Boot und eilten nach Möglichkeit davon. Sie hatten abermehrere Stunden zu tun, um in ihre Heimat zu gelangen, wo sie schlecht empfangen wurden,weil sie gar keine Bezahlung nach Hause brachten; denn beide hatten schlimme Weiber undmußten dann eine Woche lang angestrengtest fischen, um das Versäumte einzuholen. Siewurden zwar mit allerlei Fragen – als: wo sie waren und was sie getan – bestürmt; aber sieblieben stumm wie die Fische im Wasser und gaben niemand Rede und Antwort.[207,06] Hiram und Aziona aber kamen, nachdem sie alles untergebracht hatten, unddankten aus vollem Herzen für die große und reiche Strandbeute und fragten Mich wegen desMorgenmahles.[207,07] Ich aber sagte: „Was ihr habet, Fische, die frisch sind und heute morgengefangen wurden, bringet her, dann Brot und etwas Wein! Machet aber so viel, daß auch eurebesseren Nachbarn daran teilnehmen können, wozu ihr sie einladen möget! BeimMorgenmahle wollen wir dann mehrere gar überaus große und wichtige Dinge besprechenund erörtern. Ich werde euch eine gute Einleitung zum Bekehrungsgeschäfte eurer Nachbarngeben und euch so eure Arbeit sehr erleichtern. Nun möget ihr gehen und eure Sache ordnen!Ich aber werde nun mit Meinen Jüngern eine Stunde ruhen.“[207,08] Hier gingen die beiden, ordneten in der Küche alles an und gingen dannselbst zu den teilweise noch mit dem Fischen beschäftigten Nachbarn und machten an sie diebewußte Einladung zum Morgenmahle. Die Nachbarn waren ganz erstaunt und zugleich sehrfreudig angeregt über solche Einladung, erzählten aber zugleich ihr Staunen über ihrenungemein reichen Fischfang, der sie für einen Monat lang aller weiteren Arbeit überhebe, undsie nun Zeit gewännen, ihre Wohnungen ein wenig auszubessern.[207,09] Aziona aber sagte: „Solches wird nun um so leichter gehen, weil wir indieser Nacht, während ihr wohl und gut ruhtet, eine Menge zum Bauen nötiger Werkzeuge alsgute Prise in unsern Besitz bekommen haben!“

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[207,10] Fragten die Nachbarn, was es denn in dieser Nacht gegeben hätte; denn siehätten in ihren Hütten sogar im Schlafe ein starkes Heulen und Schreien vernommen. Auchwäre es ihnen vorgekommen, als sei es die ganze Nacht über so halb taghelle gewesen. Esseien von ihnen wohl etliche aus den Hütten gegangen, um nachzusehen, was es denn gäbe, –sie hätten aber über die kleinen Hügel und Geröllhaufen, die zwischen den Hütten liegen,nicht ausnehmen können, was es sei. Sie hätten sich ganz ruhig verhalten, teilweise nur ihreHütten, Weiber und Kinder bewacht und auch in aller der gewohnten kynischen Gemütsruhedabei gedacht: „Nun, der bald kommende Tag wird uns darüber schon die nötige Aufklärungbringen!“[207,11] Da sagte Hiram: „Ja, das wird er auch! O Brüder, das war heute eine Nacht,wie wir noch nie eine erlebt und wahrscheinlich auch nie wieder eine erleben werden! Abernun nichts Weiteres mehr davon; beim Morgenmahle an den Tischen Azionas wird euch somanches klar werden! Für jetzt aber richtet euch gleich zusammen; denn das Morgenmahlwird nicht lange auf sich warten lassen!“[207,12] Hier fragt einer, sagend: „Aber es sind ja gestern Fremde, etwa Juden undGriechen, zum Aziona zu Schiffe angekommen! Was sind das für Menschen? Sind sie nochda, oder sind sie schon wieder fort? Haben diese Menschen in der Nacht etwa so einenSpektakel gemacht?“[207,13] Sagt Hiram: „Lasset das alles nur gut sein! Die gewissen Fremden sindunser vielseitiges Glück, sind Menschen der edelsten und vollendetsten Art und bleiben heuteund wahrscheinlich noch etliche Tage bei uns und werden heute das Morgenmahl mit unshalten. Sie sind überaus weise und wunderbar willensmächtig. Kurz, sie sind zumeist das, wasman sonst im vollwahrsten Sinne von den vollkommensten Göttern aussagte, daß sie nämlichhöchst weise sind, und daß alle Gesetze der Natur sich unter der Macht ihres Willensunbedingt beugen müssen. Da habt ihr in aller Kürze eine Beschreibung von den Fremden! Ihrbrauchet aber ja keine Furcht vor ihnen zu haben; denn sie sind überaus gute und gemütlicheLeute, die jedermann nur alles Beste und nie etwas Arges zufügen! Und nun machet, daß ihrfertig werdet!“

208. Kapitel[208,01] Als die Nachbarn das vom Hiram vernommen hatten, machten sie sichgleich zusammen und gingen mit Aziona und Hiram zu uns herüber.[208,02] Als sie vor der Hütte Azionas uns aber noch schlafend fanden, sagte einervon ihnen: „Ah, die schlafen noch; da können wir noch einmal nach Hause einen Sprungmachen und unseren Angehörigen anzeigen, was sie für den ganzen Tag zu tun haben sollen!“[208,03] Sagt Aziona: „Oh, lasset das! Die Leute werden schon wissen, was sie zutun haben; denn meine Fremden werden dafür schon sorgen, so wie sie auch gestern abendgesorgt haben, daß überall Feuer zum Absieden der Fische auf die Herde gekommen ist undin jedes Haus Salz zur Genüge.“[208,04] „Was“, sagt ein Nachbar, „die Fremden hätten das getan?! Ah, das müssenja ganz außerordentliche Magier sein! Die haben uns sicher irgendwo in unserer Not aufunseren Reisen kennen gelernt, haben uns durch die Römer irgend etwa in Cäsarea Philippierfragt und sind gekommen, uns zu besuchen und uns vielleicht auch so ein wenigaufzuhelfen!“[208,05] Sagt Aziona: „Wohl wissen sie um unser ganzes Treiben und Sein; aberirgend auf unseren Reisen haben sie uns persönlich nie gesehen oder irgendwo besucht, undsie sind alles eher denn Magier, für das auch ich sie anfangs gehalten habe. Was sie undbesonders ihr Meister aber sind, das werdet ihr im Verlaufe dieses Tages noch hinreichendkennenlernen. Kurz, besonders der Meister ist ein Etwas, das noch nie da war, solange dieMenschen auf dieser Erde denken und ihre Taten aufgezeichnet haben auf die ehernen Tafelnder großen Weltbegebenheiten! Für jetzt genug; denket darüber nach! Ich will aber in derKüche nachsehen, wie es mit dem Morgenmahle steht.“[208,06] Aziona geht in die Hütte und trifft seine Leute sich sehr geschäftig mit demHerrichten und Zubereiten herumtummeln, und auf dem Herde brennt es ganz lebhaft, und

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alle Roste, Bratspieße und Töpfe und Pfannen sind vollgepfropft mit Fischen, denen auf diemorgenländische Art die Gräten ausgezogen sind. Auch an wohlduftenden Kräutern gibt eskeinen Mangel, mit denen die Fische schmackhafter gemacht werden. Aziona sieht auch inder Speisekammer nach, wie es etwa mit dem verlangten Brote aussähe. Er findet alles voll,und mehrere große Krüge und andere kostbare Gefäße, eine Beute des Schiffes, sind voll desbesten Weines.[208,07] Und Aziona ruft ganz entzückt laut aus: „Dir allein alles Lob und alle Ehre,o Herr; denn das alles ist Deine alleinige Güte und Macht!“[208,08] Es hörte aber dies sein Weib, und sie fragte ihn, was für einen Herrn er dennmeine; denn bis jetzt meinte sie, daß sie ganz freie und herrenlose Menschen wären.[208,09] Aziona aber sagte: „Du bist ein Weib, daher dumm, und verstehst nichts,außer die Fische recht gut zuzurichten! Wer hat uns denn hier mit allem also versorgt? Siehe,der das getan, Der ist auch unser Herr und unser größter Wohltäter! Und nun frage nichtweiter, sondern mache gut dein Geschäft!“[208,10] Da ward das Weib gleich mäuschenstill; denn sie wußte, daß mit ihremManne bei solchen Gelegenheiten nicht viel zu reden und zu machen war. Aber dennoch gingihr das Wort ,Herr‘ nicht mehr aus dem Herzen, und sie dachte sehr darüber nach bei sich.

209. Kapitel[209,01] Aziona aber kam wieder zu den Nachbarn, die sich unterdessen zum größtenTeile schon auf den Rasen gelagert hatten. Hiram fragte ihn, ob das Mahl schon bald fertigsein werde, und ob man zu den noch Schlafenden etwas dergleichen tun solle, daß sieaufwacheten und sich zum Morgenmahle begäben.[209,02] Sagt Aziona: „Ich meine, daß dies bei diesen Menschen rein unnötig seinwird; denn ihr über alles wacher Geist schläft sicher ewig nie und weiß um gar alles, was daist und geschieht, und so wird es ihm auch sicher nicht entgehen, wenn das Mahl vollendsbereitet sein wird!“[209,03] Sagt Hiram: „Ja, ja, da hast du recht; die wachen im Schlafe mehr denn wir,so wir am Tage noch so wach sind! Warten wir daher nur, bis sie wach werden; Zeit habenwir ja zur Genüge dazu!“[209,04] Sagt ein anderer Nachbar: „Meinst du, Hiram, daß diese nun im Schlafeauch alles hören und sehen, was um sie herum geschieht?“[209,05] Sagt Hiram: „Nicht nur, was hier ist und geschieht, sondern auch, was nunin der ganzen Welt, ja was nun in der ganzen Unendlichkeit ist und geschieht, vor Ewigkeitengeschehen ist und nach Ewigkeiten geschehen wird!“[209,06] Sagt der Nachbar: „Freund Hiram, hat nicht etwa die Sonnenhitze zu starkauf dein Gehirn eingewirkt? Diese deine Worte sind ja doch so ganz außerordentlichverwirrter Art, daß wir alle dich im Ernste sehr zu bedauern anfangen. Wer von allensterblichen Menschen kann sich je einen Begriff von der Unendlichkeit des Raumes, wer vonder ewigen Dauer des Zeitenstromes machen? Diese Menschen sicher ebensowenig wie wir, –und im Schlafe schon sicher am allerwenigsten! Ja, sie mögen recht weise und willensmächtigsein; aber die volle Erkenntnis der Unendlichkeit des Raumes, der ewigen Zeit, der Kräfte,des Lichtes und des Lebens Wesen erfaßt kein begrenzter Weiser auf dieser Erde, und so auchdiese Fremdlinge sicher nicht![209,07] Ob es aber im Ernste irgend ein solches Gottwesen gibt, das in seinemErkennen über diese Begriffe vollends im klaren ist, das ist eine große Frage, die bis jetztauch sicher noch gar kein sterblicher Weiser beantwortet hat zur genügenden Einsicht deranderen Menschen, auf daß sie von sich sagen können: ,Nun haben wir auch davonwenigstens einen Dunst!‘[209,08] Ja, lieber Hiram, über diese Begriffe ist in Athen auf der hohen Schule, dieauch ich besucht habe, viel gesprochen worden, aber stets ohne das geringste nur irgendgenügende Resultat! Was kam am Ende der vielen Besprechungen und Reden heraus?: Diessei eines Weisesten größter Siegestriumph, daß er einsieht, daß er gar nichts wisse und alsselbst Weisester nicht einmal an der untersten Stufe jenes Tempels stehe, in dem die große

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Göttin der Weisheit ihre Schätze unter starken Schlössern und Riegeln verwahre![209,09] Ja, du mein liebster Freund, mit mir ist in diesem Punkte etwas schwerreden! Aber lassen wir nun das; die Fremden fangen an sich zu rühren, und sie sollen uns beiihrem Erwachen nicht beim Verhandeln über die Begriffe des Unmöglichen antreffen!“[209,10] Sagt Hiram: „Du bist nun zwar der steinfeste alte Grieche und meinst, daßmein Gehirn an der Sonne Schaden genommen habe; aber da irrest du dich gewaltig! In zweiStunden wirst du hoffentlich anders urteilen und reden! Denn was da hinter diesen Menschenalles steckt, von dem wirst du dir erst dann einen etwas bessern Begriff zu machen anfangen,so du mit ihnen selbst einige Zeit verkehrt haben wirst. Ich bin doch auch keine Wetterfahne,und ebensowenig unser Direktor Aziona; aber wir sind nun beide ganz andere Menschengeworden und haben den ganzen Diogenes über Bord geworfen. Dasselbe wird auch sicherbei dir und bei allen andern der Fall werden. – Aber nun erhebt sich der Meister und auchSeine Jünger, und es heißt, Ihn sogleich befragen, ob Er schon das Morgenmahl will.“[209,11] Sage Ich: „Wartet noch, bis die Sonne über den Horizont herauftauchet,dann setzet das Mahl auf!“[209,12] Hierauf fangen auch die Jünger an, sich zu rühren und sich von dem Rasenund von den Bänken aufzurichten. Einige steigen gleich zum See und waschen sich; Ich abertue das nicht, und Aziona eilt zu Mir und fragt Mich, ob Ich ein Waschwasser benötige.[209,13] Ich aber sage zu ihm: „Freund, aus Mir kam all dies Gewässer; wie sollteIch es nehmen, um Mich zu waschen? Aber damit man niemandem ein Ärgernis gebe, sobringe mir einen Krug voll Quellwassers!“[209,14] Aziona beeilt sich nun und sucht einen leeren Krug, findet aber keinen;denn alle Krüge und anderen Gefäße sind bis an den Rand voll des besten Weines![209,15] Ganz verlegen kommt er wieder und sagt: „O Herr, vergib es mir! Nicht einGefäß ist in der ganzen Hütte, das da nicht bis oben mit Wein gefüllt wäre!“[209,16] Sage Ich: „Nun, so bringe mir ein mit Wein gefülltes Gefäß, und Ich werdeMich einmal auch mit dem Weine waschen!“[209,17] Schnell war Aziona mit einem Gefäße Weines da, und Ich wusch Michdamit.[209,18] Da drang aber der köstliche Weingeruch in die Nasen der Gäste und essagten einige: „Na, das heißen wir doch herrlicher denn ein Patrizier Roms leben! Denn dasist uns noch nicht bekannt, daß sich je einer in einem so köstlichen Weine gebadet hätte,obschon sonst in andern wohlriechenden Ölen und Wässern!“[209,19] Als Ich aber dem Aziona das Gefäß wieder in die Hände gab, war es ebensovoll, wie es früher war, obschon es beim Waschen den Anschein hatte, als hätte Ich darausjeden Tropfen verbraucht. Aziona zeigte das gleich den Nachbarn, und diese wurden stummvor lauter Verwunderung.

210. Kapitel[210,01] Einer, der früher oben mit dem Hiram über die Begriffe ,Unendlichkeit‘,,Ewigkeit‘ und so weiter Worte getauscht hatte und Epiphan hieß, sagte nun zum Hiram: „Na,das wäre schon so ein echt persisches Stückchen, das ihm sehr gelungen ist! Aber nur einesbegreife ich nicht, und das besteht darin: Woher nahm Aziona den köstlichen Wein und daskostbare Gefäß?“[210,02] Sagt Hiram: „Ja, mein Freund Epiphan, ich sage dir, das sind lauterWillenswunder des Einen, der Sich soeben mit dem Weine gewaschen hat! Hörtest du nicht,was Er dem Aziona für eine Antwort gab, als dieser Ihn fragte, ob Er ein Wasser benötige?“[210,03] Sagt Epiphan: „Ja, die vernahm ich; die hatte aber auch ganz denindopersischen Magiercharakter! Denn die verstehen es auch, sich gleich als Schöpfer desFeuers, des Wassers und dieser und jener Dinge mit den großmächtigsten Phrasen den Laienvorzuführen, und schreiten dann in einem Nimbus daher, den sich kaum ein Zeus selbst gebenwürde, so er einer wäre und die Erde beträte. Nun, du hast es ja in Memphis selbst gesehen,mit welch furchtbarem Pathos die dortigen Magier ihre Vorstellungen gaben! Am Ende hattensie sogar unsern Verstand auch gut zu dreiviertel vernagelt, und wir selbst hatten sie schon

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beinahe anzubeten angefangen. Wer immer etwas Außerordentliches hervorzubringenversteht, kann von sich auch mit gutem Gewissen groß reden; und bei dem wird das wohlnicht minder der Fall sein! Was mir hier nun aber im Ernste auffallend ist, das ist, wie ichschon bemerkte, der Wein. Wo hat Aziona diesen hergenommen?“[210,04] Sagt Hiram: „Ich habe es dir eben früher sagen wollen; aber du bist mir zufrüh ins Wort gefallen. Sieh, eben Dieser hier, der zum Aziona sagte: ,Alles Gewässer derErde und auch der Himmel ist aus Mir; wie sollte es Mir zum Waschen dienen?‘, hat denWein bloß durch Seinen Willen aus dem Wasser geschaffen, und nun sogar aus der Luft; denndas Gefäß hatte Er zuvor ganz ausgeleert! – Und nun, was sagst du dazu?“[210,05] Sagt Epiphan: „Ja, das wäre, wenn es also ist, freilich sehr viel! Es sollenwohl gewisse Indomagier eine außerordentliche Kraft in ihrem Willen und Blicke haben, sodaß sie die wildesten Tiere im Augenblicke derart bannen können, daß diese wie leblos aneiner Stelle müssen stehenbleiben und mit sich machen lassen, was ein solcher Magier will;auch den Winden, Wolken und Blitzen sollen sie wirksam gebieten können! Das ist alsoschon dagewesen. Nun, ob sie aus Wasser oder Luft auch den besten Wein machen können,das weiß ich wahrlich nicht; nur so viel weiß man von den alten Magiern wohl, daß sie dasWasser in Blut und den Regen in lauter Frösche und Schlangen haben verwandeln können.Allein, da gehört freilich auch ein starker Glaube dazu; denn wir haben noch nie so etwasgesehen. Aber das haben wir nun selbst gesehen und können uns allenfalls also denken: Wenndies möglich ist, so kann auch das andere möglich gewesen sein. Allein, wir wollen nundarüber nicht weiter urteilen. Aziona kommt schon mit dem Mahle, und wir verspüren schoneinen Hunger, und so wollen wir die weiteren Verhandlungen auf späterhin lassen!“[210,06] Hier wird zum Mahle gerufen. Alle lagern sich an dem erweiterten Tischeund fangen auf Mein Geheiß an, wacker zuzugreifen und zu essen. Die Fische sind baldaufgezehrt, und es wird darauf Brot und Wein aufgetragen.[210,07] Als die noch laien Nachbarn das überaus wohlschmeckende Brot und denebenso ausgezeichneten Wein verkosten, da erst werden sie munter, und Epiphan sagt mitforschender Miene: „Nun, jetzt fange ich selbst an zu glauben, daß es hier mit keinergewöhnlichen und natürlichen Magie hergeht; denn so etwas ist meines ziemlichumfangreichen Wissens unter den Menschen noch nie erhört worden! Ah, der Wein ist jagerade unendlich gut!“[210,08] Sage Ich: „Gerade recht, daß du mit dem Begriffe ,unendlich‘ gekommenbist! Denn du hattest darüber schon früher dem Hiram vorgeworfen, er hätte ein verbranntesGehirn, weil er mit dir darüber zu reden begann, daß Meine Willensmacht eine die ganzeUnendlichkeit dem Raume nach und die ganze Ewigkeit der Zeit nach durchwirkende sei, undwie auch in Mir alle Kraft, alles Licht und alles Leben vereinigt ist, und wie denn auch alles,was den unendlichen Raum geistig und naturmäßig erfüllt, lediglich aus Mir hervorging. Wasdenkst du nun bei dir darüber? Was verstehest du unter den Begriffen: Unendlichkeit,Ewigkeit, Raum, Zeit, Kraft, Licht und Leben?[210,09] Denn weißt du, lieber Freund, so man zu jemandem sagt, daß er einsonnverbranntes Gehirn habe, wenn er sich mit derlei großen und vielsagenden Begriffenetwa gar auf einen außerordentlichen Menschen bezüglich befasse, so muß man darüber nochbessere Begriffe haben; denn nur dann kann man zu seinem Nachbarn sagen, daß er verwirrtsei, so man selbst in einer Sache die besseren Einsichten hat. Gib du Mir denn nun darumkund, was du von den obenerwähnten Begriffen denkst!“[210,10] Epiphan wird auf diese Meine Frage etwas verlegen, ermannt sich aberdennoch bald und sagt: „Ja, guter Meister, darüber jemandem klare Worte zu geben, dürfte fürjeden Sterblichen wohl eine der größten Unmöglichkeiten sein; denn hier kommt es wohlbuchstäblich wahr darauf an, daß niemand das einem andern geben kann, was er selbst garnicht besitzt![210,11] Wie kann der begrenzte, kleine Mensch den unendlichen Raum je fassen?Er mag mit seinem Gedankenfluge noch so sehr nach allen Richtungen in die Tiefen desewigen Raumes dringen, so bleibt er gegen die unbegrenzte Gesamtheit des Raumes dennochstets auf demselben Punkte, der gegen die Gesamtheit des ewig unendlichen Raumes dennoch

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soviel als gar nichts ist; und ebenalso kann ein Mensch die Zeit nach vorwärts oder nachrückwärts nie ermessen, weil er auch seinem Werden, Sein und Vergehen nach ebensobegrenzt ist wie im Raume.[210,12] Daß man wohl über einen begrenzten Raum und über eine abgemessenbegrenzte Zeit etwas sagen kann, das ist eine alte Erfahrungssache; denn das Begrenzte kannein ihm Ähnliches schon fassen, aber etwas ihm im höchsten Grade Unähnliches nie. Undnahe gleich verhält es sich mit der Verständlichkeit der Begriffe ,Kraft‘, ,Licht‘ und ,Leben‘.Wohl besitzt der Mensch eine Kraft, ein Licht und ein Leben; aber darüber eine klare underschöpfend verständliche Definition hat bis jetzt noch kein Weiser zu geben vermocht, undsomit auch ich nicht, da ich wohl alles mehr denn irgend ein Weiser bin. Du, guter Meister,hast mich gefragt, und ich habe dir geantwortet. Kannst du uns aber über diese Begriffe einevollends befriedigende Lösung geben, so werden wir dir darum sehr dankbar sein.“

211. Kapitel[211,01] Sage Ich: „Gut denn, Ich will's versuchen, und so habet wohl acht darauf!Deine Behauptung gehet dahin, daß nämlich das In-sich-Begrenzte das Unbegrenzte nicht undnie fassen kann; und doch sage Ich dir, daß ein jeder Mensch, so wie der ewige ihnumgebende Raum, Unendliches und Ewiges in sich birgt, und zwar in jeder Fiber seinesmateriellen Leibes, geschweige in seiner Seele und ganz besonders in seinem Geiste.[211,02] Denke dir die ins Unendliche gehende Teilbarkeit jedes noch so kleinenBestandteiles deines Leibes! Wo hat diese ein Ende?! Dann denke dir die ins Unendlichegehende Zeugungsfähigkeit des Menschen, der Tiere und der Pflanzen! Wo hört diese auf?[211,03] Hast du schon einmal die Grenzlinie entdeckt, bis zu welcher eine geweckteSeele ihre Gedanken erheben kann? Hat aber die Seele schon ein unendlichesGedankengebiet, was wollen wir dann erst von dem ewigen, göttlichen Geiste in ihr reden, derin sich die Kraft, das Licht und das Leben selbst ist?[211,04] Ich sage es dir: Dieser Geist ist es, der alles im Menschen schafft undordnet; die Seele aber ist gleichsam nur sein substantieller Leib, gleichwie der Fleischleib einBehälter der Seele ist so lange, bis sie in ihm irgend eine Solidität erreicht hat. Ist das erfolgt,dann wird sie mehr und mehr übergängig in den Geist und somit auch ins eigentliche Leben,das in und für sich eine wahre Kraft, ein wahrstes Licht ist und gleichfort aus sich den Raum,die Formen, die Zeit und der Formen Dauer in ihr erschafft, sie belebt und sie selbständigmacht. Und wie sie hervorgehen aus des vollwahren Lebens Unendlichkeit und Ewigkeit, sofassen sie davon auch das Unendliche und Ewige für alle Zeiten der Zeiten und Ewigkeitender Ewigkeiten für und in sich selbst.[211,05] Es kann da also niemand sagen und behaupten und dafürhalten, er sei alsMensch ein begrenztes Wesen. Es ist in allen seinen kleinsten Teilen noch Unendlichkeit undEwigkeit vorhanden, und weil das, so kann er auch Unendliches und Ewiges fassen.[211,06] Wer da meint, daß er nur eine sehr begrenzte Zeit hindurch lebe, der irrt sichallergewaltigst. Nichts am Menschen ist vergänglich, wennschon notwendigerweise dem bloßmateriellen Leibe nach veränderlich, wie das auch alle Materie der Erde ist und sein muß,weil es ihre einstige Bestimmung aus der Macht des reinen Lebens ist, selbst ins reine Lebenund ins für fürderhin unveränderbare Leben überzugehen.[211,07] Wenn also die vielen, verschiedensten Teile und Glieder der Materie undalso auch des Menschenleibes verändert werden, so hören sie darum dennoch nicht auf zusein, sondern bestehen ewig fort in einer geistigeren und somit edleren Form und Art. Oderwer von euch kann da sagen, daß er als Kind gestorben sei, weil er nun in seinem schongreisen Mannesalter von seiner ersten Kindesform nichts mehr in sich behalten hat?[211,08] Da habt ihr ein Weizenkorn. Leget es in die Erde! Es wird verfaulen und alsdas, was es jetzt ist, ganz unfehlbar vergehen; aber aus der Verwesung werdet ihr einen Halmerwachsen sehen, und zuoberst desselben wird sich eine Ähre ausbilden, versehen mit hundertKörnern. Wer von euch aber sieht nun solche Kraft in diesem Korne, die aber doch darin seinmuß, da sonst aus diesem nur einen Korne nicht eine Ähre mit hundert Körnern derselben Arthervorgehen könnte?

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[211,09] Wir haben aber nun 100 Körner, die wir auch in die Erde legen wollen!Daraus werden wir schon 100 Ähren, jede mit 100 Körnern, also zusammen 10000 Körnererhalten. Und sehet, die 10000 Körner, die 100 Halme und Ähren müssen auch schon in demeinen Korne geistig vorhanden gewesen sein, so wie dieses Korn selbst schon mitbegriffen injenem einen Korne vorhanden sein mußte, das aus der Hand Gottes als ein erstes in einefruchtbare Furche dieser Erde fiel, da sonst wohl keine Fortpflanzung als möglich gedachtwerden könnte. Ihr habt da abermals einen Beweis, wie sogar Unendliches und Ewiges ineinem solchen Korne daheim ist.[211,10] Ihr meinet wohl und saget bei euch: ,Ja, das ist wohl mit einem Korne derFall, das wieder als Same ins Erdreich gesät wird; was aber geschieht mit dem, das zu Mehlgemahlen und dann als Brot von Menschen oder auch von Tieren verzehrt wird?‘ Ich sage eseuch: Wahrlich, das ist noch besser daran; denn es geht dadurch schon in ein vollkommeneresLeben über, in dem es als ein integrierender Teil eines höheren Lebens sich dann ebenso undnoch mehr aber in sich in zahllosen Ideen und lebendigen Begriffsformen vervielfältigen kannund nur das gar materielle Schotenwerk als Exkrement ausgeschieden wird, wo es aber dannauch schon zu einem edleren Fruchthumus der Erde wird, aus dem sich der Keimgeist in denverschiedenen Samenkörnern bildet und die Unsterblichkeit anzieht. Was aber mit dem Strohund Schotenwerk der Pflanzen geschieht, das geschieht auf eine noch um vieles edlere Weisemit dem Fleischleibe des Menschen.[211,11] Und so findet ihr nichts Vergängliches und Begrenztes am Menschen,sondern nur bis zu einem gewissen geistigen Ziele hin Veränderliches, und es ist somit wohlmöglich, daß ein Mensch Unendliches und Ewiges, Zeit, Raum, Kraft, Licht und Leben rechtwohl begreife, weil solches alles in ihm ist.[211,12] Aber freilich kommt es da vor allem auf den Unterricht an, der eine Leuchteder Seele ist. Fehlt diese, wie es nun bei den meisten Menschen der Fall ist, dann fehlt auchwohl alles, und des Menschen Seele sieht und begreift ohne solches geistige Licht dannfreilich wohl noch weniger von dem, was in ihr ist, als ein Blinder in der Nacht das, was umihn ist und sich ihm irgend naht.[211,13] Und nun sage Mir eben du, Epiphan, wie du diese Meine Ansichtverstanden und aufgenommen hast! Nachher will Ich dir erst sagen, ob Ich mit Meinem Geistewohl den unendlichen Raum und die Ewigkeit durchdringe. Rede nun ganz frei und ohneScheu!“

212. Kapitel[212,01] Sagte Epiphan: „Guter Meister, diese deine Erklärung kommt mir vor wiedie Blitze in der Nacht! Im Momente ist wohl der Weg und die Gegend erhellt, will man aberdarauf weitergehen, so sieht man dann erst recht gar nichts. Etwas dämmerlich aber wird esmir nun dennoch, und ich entnehme aus deinen Worten, daß du ein ganz tüchtigerNaturkundiger und ein großer Anthropologe bist.[212,02] Nach deiner Ansicht birgt der Mensch allerdings Unendliches in sich undsomit auch Ewiges; ob er aber darum auch beim besten Unterricht das Unendliche und Ewige,die wesenhafte Kraft, das Licht und das Leben selbst fassen kann, das ist noch eine gar sehrbedeutend andere Frage. Ich will zwar nicht von der Unmöglichkeit dessen reden, als sollteeinem sehr geweckten Menschengeiste so etwas ganz unerreichbar sein – denn die Talente derMenschen sind verschieden, und einer begreift etwas ganz leicht, was einem andern durchjahrelanges Mühen, Denken und Trachten dennoch gleichfort verschlossen bleibt –; aber daßdas nichts Leichtes ist, sich in diesen Begriffen zurechtzufinden, das wird mir ein jederzugeben, der sich nur so ein wenig je über den alten Schranken des gewöhnlichenmenschlichen Tierlebens auf der Erde herumgetummelt hat.[212,03] Der Mensch kann vieles begreifen und zeitweilig erlernen; aber sich überBegriffe, zu deren voller Erörterung auch eine Ewigkeit erforderlich sein dürfte, ein klaresLicht zu verschaffen, das möchte ich denn doch so ein wenig in eine sicher nichtunbegründete Abrede stellen. Der Mensch erlernt nur eins nach dem andern und braucht dazueine Zeit. Lernt er vieles, so wird er auch viel Zeit dazu brauchen, und soll er unendlich vieles

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erlernen, so wird er auch unendlich viel Zeit dazu benötigen. Des Menschen Leben aber istnur ein kurzes, und es wird darum schon seine sehr geweisten Wege mit dem Unendlich-viel-Erlernen ganz offenbar haben müssen.[212,04] Du hast freilich etwas von einem urgöttlichen Geiste gesprochen, der etwaalso in der Seele stecke wie die Seele im Leibe, und daß dieser Geist als Schöpfer desMenschen im Unendlichen und Ewigen als selbst identisch mit solchen Begriffen ganz zuHause sei und alles durchdringe mit seinem Lichte und mit seinem ewigen Leben. Nun, dasklingt wohl sehr weise und auch sehr mystisch – ein Etwas, das aber noch allzeit allenTheosophen, Weisen, Priestern und Magiern eigen war, was aber übrigens hier gar nichts zurSache hat –; aber wo und wie kann ein Mensch sich mit solchem seinem Geiste in eine ihmwohl und klar bewußte und gemeinsam wirkende Verbindung bringen, auf daß er dadurch alsein vollendeter Gottgeistmensch dastehe, alles klarst einsehe und fasse und mit der Machtseines Urwillens ein wahrer Herr und Meister aller Natur sei? Das, lieber Meister, ist eineganz andere Frage![212,05] Wer mir diese Frage rein, wahr und gleich wirksam fürs Leben beantwortenkann, vor dem werde ich eine große Achtung haben. Aber mit den gewissen mystischenFloskeln und Phrasen darf er mir nicht kommen; denn aus denen hat noch nie ein Menschetwas ganz Gutes und ganz Wahres gelernt, und die gesamte Menschheit ist eben darum nieweiter und höher, sondern in ihrer spirituellen Intelligenz nur stets tiefer herabgekommen.Darum rede ein jeder, der seinen Nebenmenschen etwas Höheres lehren will, klar undwohlverständlich, sonst tut er um vieles besser, so er schweigt. Wer ein Magier ist undwunderbare Dinge zustande bringen kann, der tue das zum Vergnügen der laien Menschheitmit noch so großmystischer Geheimtuerei; denn da ist sie am rechten Flecke und schadetniemandem. Will der Magier in seiner Kunst aber Schüler bilden, die mit der Zeit dasselbeleisten sollen, was er selbst leistet, da heißt es mit der Geheimtuerei beiseite, und an ihreStelle muß die allerpurste und rückhaltloseste Wahrheit treten.[212,06] Warum haben Plato und Sokrates so wenig praktische Nachahmergefunden? Weil sie Mystiker waren, sich selbst sicher nicht verstanden und daher noch um soweniger je von jemand anderm verstanden wurden! Diogenes und Epikur haben klar unddeutlich nach ihrem Verstande gesprochen und haben darum auch ehest eine große Menge derpraktischsten Jünger gefunden, und das für eine Lehre, die dem Menschen hier auf dieserErde nahe gar keine Annehmlichkeiten gewährt und nach dem Leibestode den Menschen ganzaufhören macht.[212,07] Epikur war reich und empfahl das zeitlebentliche Wohlleben, weil nach demTode alles gar sei. Diogenes wollte mit seiner Lehre allgemeiner nützlich werden, weil erwohl einsah, daß Epikurs Lehre nur die Reichen beglücken kann, die Armen aber nochunglücklicher machen muß. Er lehrte darum die möglichste Entbehrung und Beschränkungder menschlichen Bedürfnisse, und sein Anhang war und ist noch der viel stärkere, weil einjeder Mensch in seinen klar dargestellten Grundsätzen sich sicher ohne alle Mystik ehestzurechtgefunden hat.[212,08] Aristoteles ward sehr bewundert wegen seiner kräftigen und markigenRedeweise und war ein großer Philosoph. Aber seine Jünger haben sich nie zu sehr vermehrt,und selbst die wenigen waren fortwährende Forscher und Konkludisten und ihreMöglichkeitstheorien gingen oft auch schon ins Lächerliche über; denn was bei ihnen irgendlogisch als möglich erschien, das konnte unter gewissen Umständen auch physisch möglichsein. Wahrlich, für Magier eine ganz brauchbare Lehre, und die Essäer befinden sich schonlange sehr wohl dabei, obwohl sie für sich und für den eigenen Herd Epikuräer und teilweiseauch Kyniker sind![212,09] Wo aber steckt die große Wahrheit des Lebens, das in seinem Verlaufe denndoch so manche Momente aufweist, aus denen man wenigstens die Frage stellen möchte undsagen: Sollte das alles im Ernste eine Launenspielerei des leidig herrschenden Zufalls sein?Sollte die Ursache als hervorbringendes und ordnendes Prinzip wohl dümmer sein denn seineWerke, oder kann eine vollkommen todblinde Kraft ein seiner selbst bewußtes und reifdenkendes Wesen gestalten?

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[212,10] Die Mystiker stellen einen allmächtigen und höchstweisen Gott auf, – undMillionen fragen: ,Wo ist Er, und wie sieht Er aus?‘ Aber auf diese Fragen erfolgt nirgendseine haltbare Antwort. Doch die Menschen helfen sich bald mit der Poesie, und auf einmalwimmelt es von großen und kleinen Göttern auf der Erde, und die trägen, denkscheuenMenschen glauben daran, und solch ein Glaube ist beinahe ein doppelter Tod des Menschen;denn er macht ihn physisch und moralisch faul, träge, untätig und somit tot.[212,11] Wer aber ein rechter Weiser ist, der trete mit dem Kern der Wahrheit an dasoffene Tageslicht der Menschen und zeige ihnen klar das Urfundament und den Zweck ihresSeins, so wird er sich dadurch ein ewiges Monument in den Herzen von Millionen Menschenfür alle Zeiten der Zeiten setzen; denn ein rechter Mensch wird stets die reine Wahrheit imhöchsten Grade willkommen heißen.[212,12] Du, lieber Freund, willst, wie es scheint, ein reiner Wahrheitslehrer sein,und an Fähigkeiten dazu scheint es dir auch nicht zu mangeln; also beantworte du mir dieseFragen, die meines Wissens bis jetzt noch kein Mensch zur Genüge hell, klar und wahrbeantwortet hat, und du wirst unseren Herzen ein übergroßes Labsal bereiten! Aber mit einerHalbheit komme uns nicht; denn daran gibt es bei uns ohnehin durchaus gar keinen Mangel!“

213. Kapitel[213,01] Sage Ich: „Mein lieber Epiphan, wenn Ich darüber dem Aziona und Hiramnicht schon die hellsten und klarsten Antworten und Lehren gegeben hätte, so möchte Ichdeinem ganz gerechten Verlangen sogleich willfahren; aber so habe Ich das bereits getan, unddie beiden wissen es genau, woran sie mit Mir sind. Sie werden es euch schon auf eine ebensoeinleuchtende Weise kundtun, wie Ich es ihnen kundgetan habe, und dann brauchet ihr nurdanach zu leben, und euer Geist selbst wird euch dann alles offenbaren, was ihr auf demgerechten Wege zu wissen notwendig habt.[213,02] Aber ganz verwerfen müsset ihr den Glauben nicht; ohne den würdet ihrviel mühsamer zum Ziele gelangen.[213,03] Es gibt aber, wohl von selbst verständlich, einen zweifachen Glauben; derwahre Lichtglaube besteht vor allem aber darin, daß man einem wahrhaftigen undtieferfahrenen Menschen sich ohne welche Zweifel anvertraut im Gemüte und das von ihmGesagte dann auch als eine volle Wahrheit annimmt, wenn man dessen Tiefen auch nicht aufden ersten Moment überklar einsieht.[213,04] Denn sieh, wer die höhere Rechenkunde erlernen will, der muß im Anfangeseines Erlernens einmal alles glauben; erst nach und nach, wenn er schon so recht in den Wertder Zahlen und Größen eingedrungen ist, fängt ein Beweis um den andern an, ihm so rechthell und klar zu werden. Und sieh, also ist es auch hier![213,05] Wenn dir ein überaus wahrhaftiger Mensch etwas aus dem Bereiche seinerErfahrungen mitgeteilt hat, so kannst du das Vernommene anfänglich nur allein glauben, abernach dem Glauben auch gleich auf die angezeigte Art tätig werden, und du wirst dann aus derTätigkeit in jenes Licht selbsterfahrlich eindringen, das dir nie durch eine noch so geordnetemündliche Erörterung hätte erschaulich werden können.[213,06] Es könnte sich jemand wohl die größte Mühe und Geduld nehmen und dirzum Beispiel die Stadt Rom beschreiben vom Kleinsten bis zum Größten, so würdest du dirdennoch nie von jener großen Weltstadt einen ganz anschaulich wahren Begriff zu machenimstande sein. Aber du hast den Worten des Erzählers einen vollen Glauben geschenkt, sieerweckten in dir einen gar mächtigen Trieb, Rom persönlich zu sehen, und du suchtest nunmit allem Fleiße und Eifer eine Gelegenheit, nach Rom zu kommen. Die Gelegenheit ergabsich bald, du kamst nach Rom und stauntest nun ganz über die Stadt, sie zwarübereinstimmend mit der dir gemachten Beschreibung gefunden zu haben, – aber wie ganzanders als wie du es dir nach deiner Phantasie ausgemalt hattest, sah hernach das wirklicheRom aus![213,07] Aber hatte der Glaube an die dir früher gemachte getreue BeschreibungRoms bei der nachherigen wirklichen Anschauung dieser Stadt geschadet oder genützt?Offenbar nur überaus genützt! Denn fürs erste würdest du ohne solch eine vorhergehende

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Beschreibung wohl kaum je den Sinn, Rom zu besuchen, in dir haben wach werden lassen;und wärest du schon so etwa einmal ohne alle Vorkenntnis in diese große Stadt gekommen, sowärest du darin wie ein Blinder umhergegangen, hättest dich kaum jemanden zu fragengetraut, was etwa dieses und jenes sei, und hättest aus lauter Furcht und Langweile nurgetrachtet, so schnell wie möglich diese Weltstadt hinter dem Rücken zu haben. Hättest duaber der getreuen Beschreibung gar keinen Glauben geschenkt, nun, da wäre sie ohnehin sogut wie gar keine gewesen, und ein halber Glaube ist um nicht viel besser als gar keiner; denner belebt niemanden zur wahren und lebendigen Tat.[213,08] Und so siehst du, daß man beim Anhören einer neuen Lehre den Glaubenwenigstens anfangs nicht missen darf. Man kann die Lehren und ihre Gründe wohl sehrprüfen, – aber es gehört dazu, daß man sie zuvor auf Grund der Autorität der Wahrhaftigkeitdes Lehrers als Wahrheiten hohen Wertes angenommen hat, auch ohne sogleichesVerständnis bis auf den Grund; denn dieses kommt erst mit der Erfüllung dessen, was dieLehre als Bedingung in sich selbst aufgestellt hat. Kommt es nicht zum Vorschein, da erstkönnte man achselzuckend sagen: ,Entweder war die Lehre aus der Luft gegriffen, oder diegestellten Bedingungen sind von mir noch nicht völlig erfüllt worden!‘ Da ist es Zeit, sich mitdem Meister erst näher zu besprechen und Erkundigungen einzuholen, ob die getreueBeachtung der Grundsätze der neuen Lehre auch bei niemand anderm eine gehoffte Wirkunghervorgebracht hat.[213,09] Hat sie bei einem andern aber doch gewirkt, nur bei dir nicht, so läge dieSchuld doch offenbar auch nur an dir, und du hättest dann so manches Versäumte undUnterlassene emsigst nachzuholen, um auch ebendasselbe zu erreichen, was dein Nachbarerreicht hat. Hätte aber durch eine noch so strenge Beachtung der durch die neue Lehreauferlegten Pflichten gar niemand etwas erreicht, nun, so wäre dann erst Zeit, solch einerfalschen Lehre den Rücken zuzuwenden.“

214. Kapitel[214,01] (Der Herr:) „Aber neben dem wahren, notwendigen Glauben gibt es leidergleichwohl auch einen Leichtglauben, demzufolge gewisse träge, gar nichts denkendeMenschen gleich alles für wahr halten, was ihnen jemand oft sogar nur scherzweise vorgesagthat, oder häufiger noch aus purem Eigennutze. Nun, derart Gläubige gibt es jetzt wohl beiweitem eine größte Anzahl auf der Erde![214,02] Mit solchen Leichtgläubigen ist aber eigentlich auch nicht viel zu machen;denn ob sie durch ihren Glauben etwas erreichen oder nicht, das ist ihnen nahe eins. Sieglauben nur und verwundern sich dann und wann auch ganz gleichgültig darüber und tun auchäußerlich, aber ohne allen innern Lebenswert, was eine Lehre ihnen zu tun auferlegt; ob siedamit auch nie etwas, außer dann und wann eine Langweile, erreichen, das ist ihnen gleich.Sie sind zu träge, kennen und haben keinen Lebensernst und sind darum ganz jenenEphemeriden zu vergleichen, die bloß darum am Tage im Sonnenlichte pro formaherumschwirren, damit sie von den Schwalben desto leichter als Fraß gefangen werden. Übersolche Glaubenshelden wollen wir denn auch kein Wort mehr verlieren.[214,03] Aberglaube und Leichtglaube sind aber ohnehin gleich; nur darin ist einUnterschied, daß der Aberglaube stets aus dem Leichtglauben entspringt und eigentlich eineFrucht desselben ist.[214,04] Die unberechenbar argen Folgen, die aus dem Aberglauben entspringen,sind nun leider auf der ganzen Erde nur zu sicht- und fühlbar; alle tausendmal tausendGötzentempel hat der Aberglaube erbaut, und oft mit großen und schweren Opfern.[214,05] Aber nun ist die Zeit da, daß er vernichtet werde, und es ist also eine großeArbeit da; aber es fehlt noch sehr an tüchtigen und mutigen Arbeitern. Ich habe also eingroßes Feld vor Mir, das nun zu bestellen ist, und dinge nun Arbeiter. Ihr wäret, so euch dierechten Wege wohleinsichtlich bekannt wären, schon auch ganz rechte Leute zu diesemGeschäfte; aber es versteht sich von selbst, daß ihr selbst zuvor in Meine neue Lebenslehrevöllig eingeweiht sein müsset. Seid ihr aber das, dann wäret ihr vermöge eurer sonstigenWelterfahrungen ganz wohl zu gebrauchen. Daß der Lohn hier und besonders aber jenseits

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kein geringer sein wird, dessen könnet ihr schon zum voraus vollkommenst gewärtig sein. –Was sagst du, Mein Freund Epiphan, nun zu diesem Meinem für euch alle sicher ganzunvermuteten Antrage?“[214,06] Sagt Epiphan: „Hm, warum nicht? Wenn ich einmal von einer Wahrheitselbst gründlich und überzeugend durchdrungen bin, dann mache ich auch ohne Lohn, alleinder Wahrheit zuliebe, einen Lehrer und habe gar keine Furcht, dabei Hungers sterben zumüssen. Denn obwohl die Menschen in dieser Zeit zwar sehr verdorben sind und in einerdicksten Selbstsucht leben, so sind sie einer guten neuen Lehre aber dennoch nicht abgeneigt;wenn nur ein rechter Lehrer zu ihnen kommt, so nehmen sie ihn noch immer auf, hören seineLehren an, und wenn sie darin nur etwas Höheres und Wahres zu ahnen anfangen, dann lassensie bald ihre Selbstsucht fahren und werden lieb und freigebig.[214,07] In dieser Hinsicht ist ein kleiner Grad von Leichtgläubigkeit bei denMenschen auch nicht schlecht; denn ohne den wäre es oft schwer, den Menschen einen Lehrerabzugeben. Nur aber soll der rechte Lehrer dann vor allem bemüht sein, seine Jünger daraufnicht im unbegründeten Leichtglauben sitzen und stecken zu lassen, sondern so lange mitihnen arbeiten und sie führen, bis sie ins hellste Licht seiner Lehre ganz auf den Grundgedrungen sind. Hat er das durch seinen Eifer bezweckt, dann hat er etwas wahrhaft Gutesden Menschen erwiesen und kann darauf rechnen, daß sie ihm nicht undankbar verbleibenwerden.[214,08] Wie viele Wohltaten genießen von den leichtgläubigen Menschen ganzfalsche Lehrer, die da vorgeben, als verstünden sie etwas, und sogestaltig bald eine MengeZuhörer finden, die sie anstaunen und ordentlich wetteifern, sich bei dem Lehrer durch allerleiGeschenke bemerkbar zu machen! Um wie vieles mehr werden sie das einem Lehrer tun, derihnen die größten Lebensgeheimnisse und – verhältnisse gründlich und wohleinsichtlicherweisen und erörtern kann, theoretisch und natürlich, wo nötig, auch praktisch. Da bin ichschon dabei und allzeit zu haben; aber natürlich muß ich selbst zuvor gründlichst wissen, umwas es sich bei dieser ganzen Geschichte handelt. Nun, harthörig bin ich nicht, auch nichtbegriffsstutzig; was Aziona und Hiram begreifen, das werden auch ich und alle meineNachbarn begreifen. Aber natürlich – im Sacke wird bei uns nie eine Katze gekauft und in derNacht kein Handel um Schafwolle abgeschlossen! Nun, Freund und Meister, worin bestehtdenn so ganz eigentlich deine Sache und deine – sage – neue Lehre?“

215. Kapitel[215,01] Sage Ich: „Um dir mit wenigen Worten die Sache zu zeigen, so sage Ich dir:Meine Sache und Lehre besteht einfach darin, dem Menschen zu zeigen, wo er eigentlich herist, was er ist, und wohin er kommen soll und auch kommen wird der vollsten undevidentesten Wahrheit nach.[215,02] Schon die Griechen, das heißt die Weisen, haben gesagt: ,Das schwerste,wichtigste und höchste Wissen liegt in der möglich vollkommensten Selbsterkenntnis!‘ Undsieh, das eben ist nun Meine Sache; denn ohne diese Erkenntnis ist es unmöglich, einallerhöchstes Gottwesen als den Grund alles Werdens, Seins und Bestehens zu erkennen![215,03] Wer aber das nicht erkennt und sein Leben, sein Sinnen und Trachten nichtfür diesen allein wahren Lebenszweck einrichtet, sich und ein allerhöchstes Gottwesen als denewigen Urgrund alles Seins und Werdens vollkommen zu erkennen, der ist so gut wieverloren.[215,04] Denn wie ein jedes Ding, das in seinem Innern keine sich durch und durchergreifende und in allen seinen Teilen festhaltende und stets mehr und mehr unwandelbareKonsistenz hat, bald zerfällt und respektive als das, was es war, vollends zunichte wird,ebenso auch der Mensch, der in sich, mit sich und in und mit Gott nicht völlig eins gewordenist.[215,05] Das kann der Mensch aber nur eben dadurch werden, daß er einmal sich unddadurch dann unerläßlich auch Gott als seinen Urgrund vollends erkennt und nach solchemErkennen tätig wird in allen seinen Lebenssphären.[215,06] Ist ein Mensch also in sich reif und gediegen geworden, so ist er dann auch

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ein Herr aller der von Gott ausfließenden Kräfte und durch diese auch ein Meister allerKreatur geistig und materiell geworden, ist in und für sich durch gar keine Kraft mehrzerstörbar und stehet dann also im ewigen Leben.[215,07] Und sieh, das ist aber nun auch der totale Inbegriff Meiner gesamten neuenLehre, die aber im Grunde des Grundes eigentlich eine allerälteste Lehre seit Anbeginn desMenschen auf dieser Erde ist! Sie ist durch die Trägheit der Menschen nur verlorengegangenund wird von Mir als das verlorene uralte Eden (Je den = es ist Tag) den Menschen, die einesguten Willens sind, nun wieder als neu gegeben. – Sage du, Epiphan, Mir nun, ob du Michwohl so recht verstanden hast, und was da deine Meinung ist!“[215,08] Sagt Epiphan: „Ja, verstanden habe ich dich allerdings und muß auch dazunoch offen gestehen, daß eine solche Erkenntnis als unter den Menschen möglich fürallgemein angenommen das Allerwünschenswerteste und Höchste wäre, was je ein Sterblicherauf dieser Erde erreichen könnte, und es können dir und deinen Gefährten die instruktivenWege dazu ganz überaus wohl und klar bekannt sein! Aber nur erinnere ich mich bei dieserGelegenheit eines alten Römerspruches, der wahrlich sehr weise ist und vielseitige Auslegungund Vergleichung ganz gut verträgt. Der Spruch aber lautet: QUOD LICET IOVI, NONLICET BOVI! – PROPHETA, POETA ET CANTORES NASCUNTUR, – RHETOR FIT!Für kleine, nichtige Dinge und Arbeiten kann sogar ein Ochs ganz gut abgerichtet werden,aber ewig nie wird er mit Schlegel und Meißel dem harten Marmor eine Minerva entlocken![215,09] Die Weisesten der alten Ägypter und Griechen haben doch sicher allenFleiß auf die Erkenntnis ihrer selbst und eines göttlichen Grundurwesens verwendet; wie weitaber sind sie gekommen? Gerade so weit, daß sie eingesehen haben, daß zu einer solchennotwendig umfassendsten Erkenntnis zu gelangen für den beschränkten Menschen eineallerpurste Unmöglichkeit ist, und der Spruch: ,Quod licet Iovi, non licet bovi!‘ fand auch daseine vollste Geltung![215,10] Nun, es mag übrigens bei dir so manche Ausnahme stattfinden, was ich ausdeinen anderen Worten und besonders Taten vernommen habe; aber ob auch der gewöhnlicheMensch von zum Beispiel meinem Schlage davon und darin sich irgendeinen haltbarenBegriff wird machen können, das ist eine andere Frage! Denn so manche, freilich seltenenMenschen, die sogenannten Genies, besitzen oft gar eigentümliche Fähigkeiten in sehr vielenund verschiedenen Richtungen. Der eine ist schon in der Wiege ein Hellseher und einProphet, ein zweiter ist ein Sänger von außerordentlicher Art, der dritte ein Bildner, ein vierterein Rechner und ein Magier nahe schon im Mutterleibe. Der eine hat ein ungeheuer starkesGedächtnis, ein anderer ein paar so scharfe Augen, daß er auf etliche Stunden weit einenMenschen ausnehmen und zur Not sogar erkennen kann.[215,11] Und so gibt es noch gar manchen unter den Menschen von großen Talenten;aber alles das, was nur den Genies eigen ist, das läßt sich ewig nimmer so ganz gründlichnachlernen, daß es dann von einem Jünger auch in jener Vollendung wiedergegeben werdenkönnte, wie es der geniale Meister in sich besaß. Es ist und bleibt so etwas dennoch stets nureine nahe, wertlose Stümperei.[215,12] Und so bin ich denn auch der nahe maßgeblichen Meinung, daß wir dich insolcher deiner neuen Lehre wohl so halbwegs verstehen werden, was du uns sagen wirst, aberzur durchgreifenden praktischen Darstellung in uns werden wir es nimmer bringen. Doch,nun, du bist auf jeden Fall ein seltenster Meister deiner Sache und wirst dich wohl auskennen,was du in uns für Leute vor dir hast; wir aber werden es dann sehen, was wir zu begreifen undzu tun imstande sind! Wir sind wohl für eine reine Wissenschaft sehr eingenommen, obwohlwir sie auch leicht missen können, da unsere bisherige Lebensansicht – wie Figura unsereshiesigen Standes zeigt – sich mit dem Minimum der zur Erhaltung des Lebens erforderlichenBedürfnisse mehr denn vollkommen begnügt; aber – wie gesagt – darum sind wir keineFeinde der reinen Wissenschaft.[215,13] Hiram und Aziona haben mir wohl die aufrichtigste Nachricht von dirgegeben, der ich Glauben schenken mußte, weil ich die beiden als zu überaus wahrhaftigeMenschen kenne. Aber nun kommt es erst auf die Überzeugung von all dem auf demtheoretischen und praktischen Wege an; habe ich diese, dann sollst du an mir keinen

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schlechten und trägen Ausbreiter deiner neuen Lehre haben! – Ich habe nun geredet, und nunrede du!“

216. Kapitel[216,01] Sage Ich: „Lieber Epiphan, Ich habe es dir zwar gesagt, daß dir darüberdeine beiden Brüder eine gute, wahre Erklärung geben werden; aber da du im vollsten Ernsteein ganz selten offener Geist bist, so will Ich Selbst dir zum wenigsten eine gute Einleitungdazu geben, auf die dann Hiram und Aziona leicht werden bauen können.[216,02] Du siehst es mit deinen scharfen Augen, daß Ich allen andern wie auch dirgleich nur ein ganz schlichter und einfacher Mensch bin. Ich esse, trinke, trage Kleider nachArt der Galiläer und rede mit denselben Worten, mit welchen du redest. Darin kannst dukeinen Unterschied zwischen Mir und dir finden; aber so du redest und füllest deine Worteauch mit deinem allerfestesten Willen, so werden sie dennoch nur Worte bleiben, denennötigenfalls mühsam auch eine Handlung, aber sicher nur mit höchst mageren Effekten folgenwird. Und siehe, da ist es bei Mir himmelhoch anders! So ich eines Meiner Worte oder auchnur Meiner Gedanken, der eigentlich auch nur ein Wort des Geistes ist, mit Meinem Willenerfülle, so muß auf das Wort auch ohne den allergeringsten Handgriff schon auch dievollendetste Tat folgen![216,03] Und was Ich mit Meinem Worte vermag, das muß auch jeglicher Meinerrechten Jünger für sich vermögen, weil sein Inneres am Ende von demselben Geiste geleitetwird wie Mein Inneres![216,04] Und siehe, das ist eben ein Etwas in Meiner neuen Lehre, das in solcherFülle und Vollendung vom Anbeginn der Welt noch nie unter den Menschen ist bemerketworden! Sieh her, Ich habe kein Werkzeug bei Mir und keine geheimen Salben und Pulver, inMeinem Rocke und Mantel findest du keinen Sack, und desgleichen auch bei Meinen Jüngernnicht, – ja, wir haben und tragen sogar keine Stöcke und gehen gleichfort barfuß einher![216,05] Wort und Wille ist sonach unsere ganze Habe, und dennoch haben wir allesund leiden keine Not, – außer wir wollen sie wegen Erweichen der harten Menschenherzenselbst freiwillig tragen. Nun, warum vermag Ich denn gar alles mit Meinem Wort und Willen,und warum denn nicht auch du?“[216,06] Sagt Epiphan: „Ja, da wird es bei mir sehr schwer werden, dir darüber einerechte Antwort zu bringen! Ich habe zwar dasselbe über dich schon von Hiram und Azionavernommen und habe auch den Wein, den du aus dem Wasser kreiertest, genossen, derwahrlich nichts zu wünschen übrigließ. Nun, so das dein bloßes mit dem Willen gesättigtesWort ohne irgendein anderes noch so geheimes Mittel zu bewerkstelligen imstande ist, und sosolches ,Wie‘ auch von dir gelehrt wird, da müßte man vor dir, vor deiner Lehre und vordeinen Worten freilich wohl den höchsten Respekt bekommen! Denn so etwas ist meinesziemlich ausgedehnten Wissens noch gar nie dagewesen.[216,07] Ich könnte zu dir nun wohl sagen: ,Freund und Meister, gib mir nun einPröbchen von solch einer deinem willensschwangeren Worte innewohnenden Kraft!‘; aber eshat bei mir wenigstens so etwas keine Not, weil ich mich stets lieber durch klare, weise undkräftige Worte denn durch Zeichen belehren lasse. So du mir aber schon einmal gerade so einExtrapröbchen geben willst, da wird es mir, wie auch meinen Nachbarn, nicht schaden. Dochbetrachte du das nur als einen Wunsch und durchaus als keine wie immer gearteteForderung!“[216,08] Sage Ich: „Lehre ist besser denn Zeichen; denn die Zeichen zwingen, dieLehre aber führt und erweckt die zu erlangende Kraft in sich selbst, und es ist dann das erstdes Menschen wahrstes und völligstes Eigentum, was er sich selbst durch die eigene Tätigkeiterworben hat. Aber natürlich bei Menschen, wie ihr es seid, die sich schon lange über alleGlaubenszwangssachen und deren gemessene Schranken hinausgesetzt haben, haben selbstdie großartigsten Zeichen keine zwingende Kraft mehr, weil sie für Beobachter wie ihr solange keine Zwangskraft bekommen, als sie nicht von eurer Lebenstheorie in bezug auf das,Wie‘ als klar einleuchtend und wohl ersichtlich aufgenommen worden sind. Und so kann ichdir auch schon ohne Schaden für dein und deiner Nachbarn Gemüt ein Pröbchen aufführen.

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[216,09] Aber Meine Zeichen, die Ich zur Bestätigung der Wahrheit Meiner neuenLehre wirke, sollen stets so gestellt sein, daß sie den Menschen nebst dem großen moralischenNutzen auch den physischen abwerfen, und so glaube Ich für euch und gleichsam in euch, daßes euch für die Folge von großem Nutzen wäre, so ihr euch als nun Meine sehr geachteten,neuen Jünger nicht so ganz und gar in einer allermagersten Wüste befändet, sondern so dieseGegend sogleich in eine sehr fruchtbare umgewandelt würde. – Bist du und seid auch ihr alledamit einverstanden?“[216,10] Sagt Epiphan: „O Meister, so dir das möglich sein sollte, da würdest duwahrlich ein höchst wohlverdienstliches Zeichen gewirkt haben! Aber wahrlich, so dir dasmöglich sein sollte, dann wärest du ja doch offenbar mehr denn alle die größten Weisen undjüdischen Propheten der Welt, ja dann wärest du schon so ganz eigentlich im Ernste ein Gott,und deine neue Lehre müßte die vollste Wahrheit sein! Denn sehe sich ein Mensch einmaldiese wahre Dabuora (Pech- und Naphthawüste) an! Nichts als nackte Felsen, bis zu denWolken hinaufreichend; nur der Fuß dieses echten Pechberges ist mit spärlichem Gestrüpp hieund da bewachsen. Nur wenige Quellen sprudeln aus seinem Innern an das Tageslicht hervor,und dort unter den schroffsten Felsabhängen vegetiert ein magerer Zedernwald als ein wahresHeiligtum dieses Pechgebirges; alles sonstige weit und breit ist nackt und kahl wie dieOberfläche des Wassers![216,11] Nun, das soll jetzt durch dein Willensmachtwort in eine fruchtbare Gegendder Erde verwandelt werden?! Es ist so etwas zum voraus wohl ein wenig schwer zu glauben;aber du hast es in der Einleitung deiner Lehre gesagt, die, obschon eines sehr rätselhaftenKlanges, dennoch in Rücksicht dessen wahr sein muß, weil du ein Mann bist, der erstens zurein denkt, um sich mit Menschen, wie wir da sind, einen Scherz zu machen, und der zweitensschon so manches außerordentliche Zeichen hier geleistet hat. Ich ersuche dich darum, wennes dich im Ernste sonst nichts kostet als ein einziges Willenswort!“

217. Kapitel[217,01] Sage Ich: „So habe denn acht, und Ich sage dir weiter nichts als: Ich will esalso! – Und nun betrachte du, Mein sehr lieber Epiphan, diese Gegend, und sage es Mir, wiesie dir gefällt!“[217,02] Epiphan mit Aziona und Hiram und alle die hier Anwesenden schlagen sichauf die Brust und werden ganz stumm vor Verwunderung, und Epiphan betrachtet mit großenAugen bald die nun sehr herrliche Gegend – das Gebirge voll Wald und die Ufergegend, diedoch ein Flächenmaß von nahe tausend Morgen hatte und mit sonst nichts als nur mitspärlichem Gras zur Weide für wenige Ziegen und Schafe bewachsen war und nun in derfruchtreichsten Üppigkeit dalag – und bald wieder Mich mit forschendem Blicke.[217,03] Nach einer geraumen Weile des Staunens öffnet er erst wieder den Mundund sagt (Epiphan): „Ja, um so etwas in einem Moment bewerkstelligen zu können, muß manschon nahe mehr denn ein Gott sein! Denn ein Gott, wie ich deren aus den verschiedenenGotteslehren der Ägypter, Griechen, Römer, Juden und sogar Perser und Indier kenne, läßtsich Zeit und wirkt seine Tageswunder ganz gemach und scheint sich dazu einer Mengegroßartiger Mittel und Apparate zu bedienen. Da muß eine Sonne sein, ein Mond, mehrerePlaneten, eine zahllose Menge anderer Sterne. Diese helfen ihm unter gewissen Umständen,Stellungen und Verhältnissen die Wunder auf dieser Erde verrichten, – wo aber außer einemBlitze aus den Wolken alles so hübsch zeitlässig vor sich geht.[217,04] Du aber hast hier in einem Augenblick etwas bewirkt, wozu sich ein Gott,wie ich mehrere aus den Büchern und Schriften kenne, sicher selbst mit allem Mitfleiße vonMenschen noch ein paar Hunderte von langweiligen Jahren Zeit gelassen hätte. Daraus zieheich den untrüglichen Schluß, daß du offenbar mehr Gott sein mußt denn alle andern Götter,von denen ich vieles gehört und gelesen habe! Herr und Meister aller Meister der Erde! Wie,wie – und noch einmal – wie ist Dir das möglich? Und sollte das mit der Zeit sogar auchunsereinem möglich sein, so man sich ganz in Deine neue Lehre hineingelebt hat?“[217,05] Sage Ich: „Ja, Mein lieber Freund Epiphan, ansonst hätte Ich es dir nichtgesagt! Wie aber das möglich ist, habe Ich dir schon ehedem gesagt und auch sogar klar

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gezeigt, – und sage dir aber auch noch das dazu, daß Meine rechten Jünger mit der Zeit aufdieser Erde noch Größeres tun und wirken werden, als Ich nun getan und gewirkt habe. Abernatürlich soll es dann bei allen Meinen rechten Jüngern stets dabei bleiben, zu erkennen undzu wissen, daß sie solches alles nur dann werden zu wirken imstande sein, wenn sie im Geistemit Meinem Geiste vollends eins sein werden und so bei jeder Gelegenheit in ihrem Geistemit Meinem Geiste sich beraten werden, ob solches auch zur Erreichung irgendeines gutenZweckes notwendig sein werde. Denn so jemand, auch noch so genau in Meiner Lehrelebend, sich, von irgend jemand Mächtigem aufgefordert, selbst zu seiner Leibeslebensrettungveranlaßt fühlte, ein Zeichen zur Bestätigung seiner höchsten Sendung wirken zu sollen, undIch würde ihm im Geiste sagen: ,Tue es nicht; denn es ist nun nicht Mein Wille!‘, so wolledann auch der Jünger gleich also, wie Ich es will; möchte er sich aber trotzdem anschicken,ein Zeichen zu wirken, so wird er es nicht vermögen, dieweil Mein Wille nicht eins war mitdem seinen.[217,06] Nur mit Mir, das heißt im steten Vereine mit Meinem Geiste und Willen,werdet ihr alles zu bewirken imstande sein, ohne den aber nichts; denn der Herr bin Ich undwerde es ewig bleiben. Und siehe, das gehört auch zu Meiner Lehre! – Hast du Michverstanden?“[217,07] Sagt Epiphan: „Jawohl, Herr und Meister aller Meister! Aber ich finde daetwas, das sich nach meiner Beurteilung mit der eigentlichen vollsten Freiheit desMenschengeistes nicht so recht einen will. Denn so ich zum Beispiel nur dann ein Zeichenwirken kann, so Du solches zu bewirken mitwillst, dann ist mein Wille ja ein von dem Deinenewig abhängiger, gebundener und somit nicht freier.“[217,08] Sage Ich: „Oh, da bist du sehr in der Irre! Gerade das Gegenteil! Je engerein Menschengeist mit Meinem Geiste in Verbindung steht, desto freier ist er im Geiste undWillen, da Ich Selbst die allerhöchste und unbegrenzteste Freiheit und Macht in Mir berge.Nur der wird sich selbst in seiner Freiheit insoweit beschränken, inwieweit er sich mit Mirnicht einet; der aber ganz eins sein wird mit Mir, der wird auch alles das vermögen, was Ichvermag. Denn außer Mir gibt es ja nirgends eine unbeschränkte Macht und einunbeschränktes Wirkungsvermögen.[217,09] Die vollste Vereinigung mit Mir aber benimmt niemandem irgend auch nurein Atom von seiner Selbständigkeit. Welch größeren und seligeren Lebensvorteil aber kannstdu dir wohl denken als den, mit Mir, das heißt, mit Meinem Geiste, gleich Mir allmachtsvolltatkräftig und dabei doch vollkommenst selbständig zu sein?! – Sage es Mir nun, wie dir dieseSache gefällt!“[217,10] Sagt Epiphan: „Größter Herr und Meister! Mich darüber so recht triftig zuäußern, dazu bin ich in solch ein ganz neues und früher nie erhörtes Lebensverhältnis nochviel zu wenig eingeweiht und kann mir, wie jedermann leicht begreiflich, da unmöglich einenklaren Begriff schaffen und daher darüber auch kein Urteil schöpfen; aber soviel ich eben ausDeinen Worten nun meinem Begriffe näherbringen kann, so wäre ein solches Leben freilichein sehr vorteilhaftes. Denn mit einem allmächtigen Gottgeiste mitallmächtig sein und dabeidennoch die vollste Lebensselbständigkeit innehaben, das ist freilich wohl das Höchste, wasman sich von einer Lebensvollkommenheit denken kann, und es wird die Sache schon auchalso sein können, weil Du es mir und uns allen nun also verkündet hast.[217,11] Um das ,Wie‘ aber wollen wir uns nun gar nicht kümmern; denn das wäreeine eitle Sache, da uns als den jüngsten Schülern Deiner Lehre noch gar zu sehr alle die dazunötigen Begriffe völlig mangeln. Zudem sind wir alle jetzt wegen des zu unerhört großenMeisterwunderwerkes auch zu verblüfft und zu zerstreut, um in uns zu einem ruhigen Urteilegelangen zu können. Daher lasse, o Herr und göttlicher Meister, uns nun ein wenig ausruhenund uns in uns sammeln, damit wir dann in einer größeren Gemütsruhe Dir, o Herr undMeister, eine bessere Antwort werden geben können, als wie ich sie Dir soeben gegebenhabe!“

218. Kapitel[218,01] Sage Ich: „Ja, ja, da hast du ganz recht und völlig gut geredet; Ruhe, die

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wahre, innere Gemütsruhe ist für jeden Menschen das notwendigste geistige Element, ohnedas er nichts wahrhaft Inneres und geistig Großes zu fassen vermag, und darum gewähre Icheuch auch gerne das, was du soeben verlangtest.[218,02] Es ist aber solch eine Ruhe, in der dem Leibe und seinen Gliedern dieTätigkeit vorenthalten wird, dennoch keine Ruhe, sondern vielmehr eine innere großeTätigkeit der Seele danach und darin, sich mit ihrem Geiste, den sie wahrzunehmenangefangen hat, mehr und mehr zu einen. Und so du eine solche Ruhe verlangst, so tust du,wie auch ein jeder andere, wohl daran, und nach fortgesetzter und täglich einmalvorgenommener solcher innerer Ruhe, oder besser Seelentätigkeit, wirst du erst zu fühlenanfangen, welch einen großen wahren Lebensnutzen du daraus gewonnen hast.[218,03] Nun aber möget ihr alle euch in eure Hütten, die sich mit diesem früherwüsten Boden nun auch um etwas gebessert haben, zurückziehen und besehen, was euch alleszugute geworden ist. Dann kommt gen Abend wieder![218,04] Ich aber werde unterdessen Mich mit dem beschäftigen, was Mir vonMeinem Vater auferlegt ist, der da wohnt im Himmel und völlig eins ist mit und in Mir. Weraber hier bei Mir den Tag über verweilen will, der kann auch das tun; denn es ist kein Muß,daß sich darum jemand von hier entferne, sondern nur wer es will, und es wird ihm eins wiedas andere zum großen Nutzen sein. Und nun tuet, was euch euer Wille gibt!“[218,05] Hierauf erheben sich bis auf Hiram und Epiphan alle und eilen vollBegierde in ihre Hütten, um da zu erfahren, was daheim alles vor sich gegangen ist und sichda alles verändert hat. Und als sie daheim anlangen, können sie sich nicht genug erstaunenund verwundern über die gar stattlichen Häuser, die nun die Stellen ihrer früheren, elendstenHütten einnehmen, und über die vielen Fruchtbäume, Weingärten, Äcker und Wiesen, und sieloben Gott den Vater, von dem Ich ihnen Meldung gab, daß Er einem Menschen der Erdesolch eine Macht gegeben habe.[218,06] Epiphan aber ermannt sich und sagt: „O Herr und Meister aller Meister! Ichaber ziehe es dennoch vor, hier zu bleiben; was den andern geworden ist durch Deine Güteund göttliche Macht, das wird auch mir geworden sein, – eine Wohltat, für welche wir alleund unsere Kindeskinder Dir nie zu irgendeiner Genüge werden zu danken und Dich zu lobenund zu preisen imstande sein.[218,07] So unschätzbar groß aber auch diese von Dir uns erwiesene Wohltat ist, sosteht sie dennoch in keinem Vergleiche zu der, die durch Deine Lehre unseren Seelengeworden ist. Denn nur durch sie sind wir als ehedem ganz verwilderte wahre Menschentierezu eigentlich wahren Menschen geworden. Du hast uns erst das rechte Leben gezeigt, undhast uns seinen Wert kennen gelehrt.[218,08] Früher hatten wir nur Liebe für den Tod, nun aber haben wir eine wahre undgroße Liebe fürs Leben, das einer übergroßen Vollendung nach allen Richtungen hin fähig ist,während der Tod ewig Tod bleibt und nie irgendeine gradatime Vollendung zulassen kann.Und eben darum ziehe ich es nun vor, bei Dir, o Herr und Meister, zu verbleiben, damit mirnichts entgeht, was Dein – sage – wahrhaftest heiliger Mund noch weiteres verkünden wird.“[218,09] Sage Ich: „Was die andern taten, ist gut; aber was du tust, ist besser. Dennjedes Wort, das aus Meinem Munde geht, ist Licht, Wahrheit und Leben; fassest du MeineWorte in deinem Herzen und tust danach, so überkommst du mit dem vernommenen Worteschon auch das wahre, ewige Leben.[218,10] So aber jemand Meine Worte hört, aber sodann nicht danach tut undhandelt, den wird Mein Wort nicht lebendig machen, sondern ihm nur dienen zum Gerichteund zum Tode. Ist das auch schon nicht Mein Wille also, sondern nur Gottes ewige Ordnung,so kann Ich ihm aber dennoch nicht helfen, dieweil er nur sich selbst helfen soll.[218,11] Denn so einem Hungernden eine Speise gereicht wird, und er ißt sie nicht,sondern betrachtet sie bloß, so ist da der Speisegeber nicht schuld, wenn der Hungernde dabeiverhungert und stirbt, sondern offenbar der Hungernde selbst, dieweil er keine Speise zu sichnehmen wollte. Und ebenalso steht es mit dem, dem Ich Mein Wort als das wahrste Brot ausden Himmeln vorsetze, der es aber bloß anhört und nicht danach tätig werden will. Darum seiniemand ein purer Hörer, sondern auch ein Täter Meines Wortes, so wird er dadurch

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wahrhaftest gesättigt werden mit dem Brote aus den Himmeln in seiner Seele und wird fürdernimmer sehen, fühlen und schmecken einen Tod, da er sonach selbst ganz zum Leben ausGott geworden ist. – Fassest du dieses?“

219. Kapitel[219,01] Sagt Epiphan: „Oh, das ist die allervollkommenste Wahrheit und ist mirganz klar auch ohne irgendeine weitere Erläuterung! Angenommen, ich oder ein andererwollte sich ein neues Wohnhaus aufrichten. Er zieht darüber einen Baukundigen zu Rate, daßer ihm erkläre mit Wort und Bild, wie er als Bauunternehmer sein Haus erbauen solle. DerBauunternehmer tut aber hernach nicht nach dem Rate des verständigen Baumeisters, sondernweil ihm das zu mühsam und zu zeitraubend vorkommt, so fügt er lieber selbst Steine undBalken ohne alle Verbindung zusammen, verfügt sich dann in seine neue Wohnung undwohnt, keine Gefahr ahnend, eine kurze Zeit ganz behaglich darin. Alsdann kommt aber eingroßer Sturm zur Nachtzeit und stößt an des Hauses lockere Wände, und diese stürzen alsbaldzusammen und erschlagen den Eigentümer und zugleich Baumeister. – Was hat dieser nundabei gewonnen, da er sich nicht nach dem Rate des verständigen Baumeisters richtenwollte?![219,02] Und so, meine ich, ist fast der ganz gleiche Fall zwischen Dir und unsblinden und nichts wissenden Menschen. Du bist offenbar derjenige Baumeister, der die Welt,das ganze All und auch den Menschen, wie er ist, geistig und materiell gewisserart aufgebauthat und somit auch am besten wissen muß, was demselben frommt, und was er als einvernünftiges, denkendes, selbsturteilendes und sich selbst bestimmendes Wesen zu tun und zuunterlassen hat. Und so Du ihm, dem Menschen, denn nun durch Worte und Taten zeigst, daßDu unwiderruflich Derselbe bist, dem er sein Dasein verdankt, und ihm ferner zeigst, was erzu tun hat, um das zu erreichen, für was Du ihn erschaffen hast, so ist der blinde und dummeMensch dann nur selbst schuld, so er sich aus irgend nichtigen, materiellen Gründen dasewige Leben verwirkt und dafür den Tod überkommt. Und so meine ich, daß ein jederMensch, der von Dir Selbst einmal belehrt ward und Dich als Den erkannt hat, der Du bist,unmöglich mehr unterlassen kann, mit aller Liebe und Freude allergenauest also zu leben undzu handeln, wie Du ihm befohlen hast.[219,03] Wohl möchten bei der nun sehr argen, total blinden und über alle Grenzenselbstsüchtigen, stolzen und herrschsüchtigen Menschenwelt sich so manche Hindernisse undSchwierigkeiten dem Befolger Deiner Lehre entgegenstellen, da es der argen Menschengeisterum gar sehr viel mehr gibt als der guten; aber so man einmal weiß, was man an Deiner Lehrehat, und was man durch ihre Befolgung zu gewärtigen hat, da mögen sich die Bergedagegenstemmen und alle Stürme dagegenwüten, so wird man ihnen dennoch allen mit dembeharrlichsten Mute von der Welt Trotz bieten können. Denn verteidigt sich der von Feindenüberfallene Wanderer doch nicht selten mit einem Löwenmute, um nicht zu verlieren dieskurze und ohnehin ehest vergängliche Leben, an dessen Verluste wahrlich ohnehin nicht garzuviel gelegen ist, – warum dann nicht mit einem wahren Tausendlöwenmute sich verteidigengegen Feinde, die dem durch dies Leben wandernden Menschen das ewige Leben zu nehmendrohen?! Ich meine, daß ich in dieser Hinsicht ganz der rechten Ansicht bin.[219,04] Ja, Menschen, die an dieser eitlen Welt hängen, ihr ganzes Heil im Kotedieser Erde suchen und von Deiner Lehre nicht mir gleich durchdrungen sind und ihrenLebenswert nicht einsehen und begreifen mögen, wollen oder können, die werden beiGefahren freilich allen Mut verlieren und bald wieder in den alten Kot zurücksinken; aberMenschen wie unsereiner werden sich so leicht nicht ins Bockshorn treiben lassen.[219,05] Ich sage es Dir, o Herr und Meister: Wer keine Furcht vor dem Leibestodehat, für den dürften die Kaiser und Könige schwer Gesetze zu machen haben! Laß nun dieganze Erde in Trümmer gehen, und ich werde nicht erschrecken vor dem sicheren Untergangemeines Leibes; denn ich weiß ja nun aus Deinen Worten, daß meine Seele mit DeinemLebensgeiste in ihr nicht zugrunde gehen wird! Unter dieser Zuversicht mögen denn Feindekommen, woher und wieviel ihrer wollen, und sie werden mir, dem Aziona und dem Hiramwahrlich keinen Schreck bereiten; ihr Veto wird unangehört und ihre Drohung unbeachtet

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bleiben. – Und nun sage uns Du, o Herr und Meister des Lebens, ob ich recht habe odernicht!“[219,06] Sage Ich: „Ganz vollkommen recht hast du, und das um so mehr, weil duauch im Notfalle dich also verhalten würdest, gleichwie auch ihr alle in diesem Orte. Aber dawir nun schon also im Vertrauen beisammen sind und uns gegenseitig wohl haben kennengelernt, Mir aber sicher sehr daran liegt, daß ihr bei allerlei Vorkommnissen undVersuchungen nicht wankend werdet, so muß Ich euch nun schon auch mit noch somancherlei bekannt machen. Und so höret Mich!“

220. Kapitel[220,01] (Der Herr:) „Dem Leibe nach bin auch Ich, gleich wie ihr, ein sterblicherMensch, und die Folge davon ist, daß auch Ich diesen Leib ablegen werde, und zwar amKreuze zu Jerusalem zum Zeugnisse wider die argen Juden, Hohenpriester und Pharisäer undzu ihrem Gerichte. Denn dieses allein wird für immerdar ihre Macht brechen, und der Fürstder geistigen Finsternis, der nun die Menschenwelt beherrscht hat, wird machtlos werden unddie Menschen nicht mehr so sehr wie bis jetzt verführen und sie ins Verderben stürzenkönnen.[220,02] Der Fürst aber heißt ,Satan‘, das ist Lüge, Trug, Stolz, Habsucht,Eigenliebe, Neid, Haß, Herrschgier und Mordlust und allerlei Hurerei.[220,03] Der höchste Hochmut kann nur durch die tiefste Demut zugrunde gerichtetwerden, und es ist alsonach notwendig, daß an Mir solches verübt werde. Wenn ihr abersolches vernehmen werdet, so entsetzet euch nicht darob; denn Ich werde nicht im Grabeverbleiben und verwesen, sondern am dritten Tage wieder auferstehen, und also, wie Ich nunda bei euch bin, also werde Ich wieder zu euch kommen! Und erst das wird euch allen dasgrößte und wahrste Zeugnis von Meiner göttlichen Sendung in eure Seelen geben undvollends stark machen euren Glauben. Ich habe euch nun das darum zum voraus gesagt, aufdaß, wann es dahin kommen wird, ihr euch an Mir nicht ärgert und Meine Lehre verlasset. –Wie gefällt dir, du Mein lieber Epiphan, dieses?“[220,04] Sagt Epiphan: „Herr und Meister, Du bist weiser und mächtiger denn alleWeisen und Mächtigen der ganzen Erde! So Du solches über Dich zu kommen zulässest, somußt Du sicher einen guten Grund dazu haben, den wir nun nicht zu durchblicken vermögen;aber zur gänzlichen und unerhörtesten Demütigung und Züchtigung für den gewissen,verworfenst ärgsten Teil der Menschen zu Jerusalem und in ganz Palästina und überhaupt imganzen Judenreiche müßte offenbar das sein, so sie den ihnen verhaßtesten Menschen sogaram schimpflichsten Kreuze nicht völlig tot zu machen vermöchten und er nach drei Tagen alsganz Derselbe wieder dastünde, der Er zuvor war! Das sehe ich nun schon auch recht gut undklar ein. Aber doch scheint es mir, als ob das, von Deiner Weisheit und Macht wohl erachtet,denn doch auch noch anders verfügt werden könnte![220,05] Ich setze den Fall, die Priester und andern Gewaltigen Jerusalems sähen einsolches Zeichen von Dir wirken wie das, welches Du soeben hier gewirket hast, so müßte esdenn doch mit allen Tartarusfurien hergehen, so sie Dich nicht erkenneten als das und alsDen, was und wer Du bist! Und da müßte ihr Haß gegen Dich sich ja gleich in die höchsteEhrfurcht gegen Dich und in die heißeste Liebe zu Dir umgestalten, und es versteht sich vonselbst, daß Du da nicht nötig hättest, Dich ans schimpflichste Kreuz, das nur für die ärgstenMissetäter bestimmt ist, hängen zu lassen!“[220,06] Sage Ich: „Ja, wenn es also wäre, da hättest du schon ganz recht; aber es istleider nicht also, sondern himmelhoch ganz anders! Glaube es Mir: Dies Natterngezücht unddie Schlangenbrut der Templer von Jerusalem weiß genau, was Ich lehre und was Ich wirke;aber das vermehret eben ihren Grimm, und sie werden eben darum gegen Mich nur erbittertervon Stunde zu Stunde, wie dir davon beispielhalber Aziona und Hiram die gestrigvormitternächtlichenBegebungen treulich kundgeben können. Sie sind alle erzverstockt, blindund taub im Herzen, dabei voll des höchsten und unbegrenztesten Hochmutes, voll Habgierund voll der höchsten Herrschsucht. Und siehe, solch einer Kreatur ist kein Evangelium zu

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predigen und vor ihren Augen kein Zeichen zu wirken! Denn Meine Lehre und MeineZeichen zerstören ihr altes Ansehen und vernichten ihr großes Einkommen, und darumkönnen die Templer sie nicht brauchen und sind eben darum Meine unversöhnlichsten Feinde.[220,07] Ich hätte allerdings die Macht, sie alle auf dem ganzen Erdkreis in einemAugenblicke zu vertilgen, wie solches, von Meinem Vatergeiste, der in Mir wohnt, verordnet,schon einmal zu den Zeiten Noahs und zu den Zeiten Abrahams mit Sodom und Gomorra undihren zehn Nachbarstädten geschehen ist; aber was hat es genützt?![220,08] Heutzutage zeugt das umfangreiche Tote Meer noch von jenem Gericht, unddie Schrift weiset mit den Fingern dahin; wer aber beachtet das noch und läßt es sich zu einergerechten Warnung dienen? Sage einem echten Pharisäer nunmehr etwas davon, und du läufstGefahr, von ihm verhöhnt und bitter zurechtgewiesen und sogar mit einer starken Strafe aufdas eindringlichste bedroht zu werden! Wo aber also, da läßt sich weiter nichts mehr tun alsdas nur, was Ich dir ehedem zum voraus verkündet habe. Das wird sein für jeneWiderspenstigen ein allerärgstes Gericht und für die Meinen der Kulminationspunkt MeinerLiebe, und Meine Auferstehung wird sein auch eine Auferstehung für alle, die Meines Sinnesund Willens sind.“

221. Kapitel[221,01] (Der Herr:) „O Freund, dir sage Ich es: Wenn es möglich wäre, denLeidenskelch auf die Seite zu schieben, so würde es auch unverzüglich geschehen; aber es istsolches leider unmöglich, und darum lassen wir nun das! Du weißt es nun, daß solchesgeschehen wird und auch warum, und eines mehreren bedarf es wohl nicht. Wenn Ich aberwerde auferstanden sein, dann erst werde Ich Selbst euch taufen mit dem Heiligen Geiste ausMir, und der wird euch dann erst führen in alle Weisheit und Macht, und ihr werdet dann, soihr in Meiner Lehre verblieben seid, alles das als Meine wahren Kinder vermögen, was Ichnun vermag. Und nun sage du Mir wieder, wie dir dieser Antrag und diese Verheißunggefällt!“[221,02] Sagt Epiphan: „Dem nach, was wir und alle Guten daraus nach DeinemWorte zu erwarten haben, ganz natürlich überaus gut; aber was Du, o Herr und Meister, vonder unverbesserlichen Dummheit und Bosheit zu erwarten hast nach Deinen Worten, dasgefällt mir ganz und gar nicht! Aber wenn es schon ein für alle Male durchaus nicht andersmöglich ist, so geschehe es immerhin nach Deinem Willen![221,03] Daß Du Deinem wahren, innern Wesen nach nicht sterben wirst, das ist mirnun nur zu klar; denn wer sollte Dich vom Tode des Leibes erwecken außer Du Selbst mit derMacht Gottes, die in Dir ist?! Diese ist also unzerstörbar; was liegt dann am Sterben einesLeibes, den Du allzeit wieder erwecken kannst, wann Du willst?! Aber das mit der TötungDeines Leibes offenbar verbundene große Leiden ist mir dennoch eben nicht ganzangenehm!“[221,04] Aber Du bist einmal der Herr, voll der höchsten Weisheit, Macht und Liebe,und weißt Dir am besten zu raten und zu helfen, und so wird alles immerhin nur nach Deinemhöchsteigenen Rate und Willen geschehen, wie es auch Dein Wille ist, daß wir Menschen aufdieser Erde einen oft glühheißen Sommer und einen eiskalten Winter zu ertragen haben, waseben auch nichts Angenehmes ist, und zum Beschluß dieses Erdenlebens einen oft sehrschmerzvollen, bittern Tod, und wir können, da das einmal Dein Wille ist, daran nichtsändern. Und so, meine ich, ist auch da Dein Wille, was Dein allerhöchstes Selbst betrifft, nunvon uns schwachen Erdenwürmern um so weniger zu ändern! Und so sei und geschehe es,was Du willst![221,05] Was aber unsereiner doch noch immerhin tun könnte zur Verhinderungdessen, daß du also leiden sollst, wie Du es mir hier zum voraus angekündet hast, wäre das,daß zum Beispiel etwa ich, Aziona und Hiram hingingen nach Jerusalem zu den Templernund würden als wohlberedte Heiden etwa die Finsterlinge mit ganz gewählten Worten überDich eines Bessern belehren, und sie würden ihren Grimm über Dich sicher fahrenlassen; undgeschähe dies, so könntest Du auf diese Weise den vermeinten Leidenskelch wohl auf dieSeite schieben.“

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[221,06] Sage Ich: „Ja, Mein Freund, da bleibt Mir wohl nichts anderes übrig, alsallein deinen guten Willen fürs Werk anzunehmen; denn siehe, so wenig du eine alte Zeder zubeugen imstande bist, ebensowenig wird ein solcher Großpharisäer oder gar ein Hoherpriesterirgendeine Lehre von dir annehmen! Aber was er tun würde, das kann Ich dir ganz genausagen:[221,07] Siehe, er würde dich recht freundlich anhören, würde sich von dir mit derbesten Miene und größten Freundlichkeit alles über Mich haarklein erzählen lassen! Er würdedir sogar mit kleinen Einwürfen und scheinbaren Zweifeln entgegentreten, – aber das nurdarum, um dich in einen größeren Redeeifer zu bringen; und er würde dann aber auch gleichein anderes Gesicht machen, sowie er sähe, daß er von dir schon so beinahe alles heraushabendürfte! Auf ein geheimes Zeichen würden dann vermummte Männer in reichlicher Anzahl zuWege kommen, dich festnehmen, und es wäre schon sehr viel, so du dann noch an einTageslicht kämest! Dann aber würde darauf so ein Hoherpriester in Vereinigung mit Herodessogleich ein ganzes Heer mit großen Prämienverheißungen für Meine Habhaftwerdungaussenden und alles Judenvolk in ganz Galiläa um Meinetwillen quälen lassen – allenthalben,wo man Mich mit Meinen Jüngern nur immer aufgenommen hat.[221,08] Siehe, das wäre wahrlich nicht, was wir alle als wünschenswert ansehenkönnten! Das siehst du ein, und es ist also schon besser: einer für alle mit Effekt, denn alle füreinen ohne Effekt! – Siehst du das nun sicher ein?“[221,09] Sagt Epiphan: „Ja, Herr, nun ist mir alles ganz klar! – Aber nun ist dasEssen bereitet, und wir wollen von dem abbrechen und dann mit etwas anderem die Zeitausfüllen!“[221,10] Sage Ich: „Ja, das ist auch gut; aber gehe hin und wecke vom Schlafe MeineJünger!“

222. Kapitel[222,01] Es hatten sich nämlich die Jünger, da sie den Abend zuvor zu weniggeschlafen hatten, nach dem Morgenmahle unter dem schattigen Baume niedergelegt,schliefen ganz fest ein und wußten sohin nichts von der Verhandlung zwischen Mir undEpiphan. Dieser aber ging nun auf Mein Geheiß hin und weckte sie vom Schlafe.[222,02] Als sie aber munter wurden, machten sie große Augen und fragten einanderganz erstaunt, wo sie nun wären; denn die Gegend sah nach ihrer Verwandlung so sehrverschieden von der früheren Wüste aus, daß sie sich in ihr nimmer zurechtfinden konnten.Früher war Azionas Hütte zum Teil aus unförmlichen Steinen und zum Teil aus Lehm undSchilf höchst unarchitektonisch erbaut, und nun stand an ihrer Stelle ein stattliches Haus,umgeben mit Fruchtbäumen und einem schönen Garten; und eine ganz gute Stallung für dieHaustiere und eine große Scheuer fürs Getreide waren unweit des Wohnhauses ganz guthergestellt. Dazu war das früher ganz kahle Gebirge nun dicht bewaldet, und die ehedemebenso kahlen Seeufer waren in üppige Fluren umgestaltet, und es war somit begreiflich, daßsich Meine Jünger nicht sobald zurechtfanden.[222,03] Petrus, Jakobus und Johannes fragten nach Mir, und Epiphan sagte, daß Ichins Haus gegangen sei, um das Tagesmahl zu bestellen. Wieder fragten sie den Erwecker, wosie nun wären, und er sagte: „Am alten Flecke, der aber durch die Macht des Einen nunfreilich ein ganz anderes Aussehen bekommen hat!“[222,04] Aber die Jünger schenkten dem Epiphan eben nicht den stärksten Glaubenund dachten bei sich vielmehr, der Herr habe sie wie auf dem Gebirge des Kisjonah durch dieLuft in eine ganz fremde Gegend versetzt. Erst als Ich Selbst zu ihnen kam und ihnenkundmachte, daß es sich also verhalte, wie der Freund Epiphan es ihnen gesagt hatte, dannerst glaubten sie, daß es sich also verhalte, und fingen an sich zu erstaunen über die Kraft undMacht Gottes in Mir.[222,05] Ich aber sagte zu ihnen: „Wie wundert es euch denn nun gar so sehr obdieses Zeichens? Habe Ich beim Markus nicht ein Gleiches gewirkt?! Aber zu wundern wärehier eigentlich nur das, wie ihr mitten in Meinen Besprechungen mit diesen Griechen hierhabet gar so gut einschlafen können! Aber das Fleisch, das Blut bedarf wohl auch der Ruhe,

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und so wachet denn jetzt, auf daß niemand von euch in eine Versuchung falle![222,06] Nun aber ist es schon stark Mittag geworden, die Speisen stehen auf demTische, und so wollen wir denn gehen und unseren Leibern eine mäßige Stärkung geben, aufdaß da niemand sage, jemand hätte bei Mir Not gelitten. Es gibt wohl welche zu Jerusalem,die da haben und streng halten allerlei Fasttage in der Meinung, sich dadurch dasHimmelreich zu verdienen; diese aber werden sich sehr irren, da sie erwarten ein Reich nachdem Leibestode, das wahrlich nirgends vorhanden ist.[222,07] Ich aber will nicht sagen, daß ihr darum Schwelger, Prasser und Vollsäuferwerden sollet; sondern ihr sollet allzeit nüchtern und mäßig sein in allem und euch liebenuntereinander, so wird die Welt daraus entnehmen, daß ihr wahrhaft Meine Jünger seid! –Und nun gehen wir zu Tische!“

223. Kapitel[223,01] Der Tisch war wohlbesetzt mit den besten Fischen, mit Brot und Wein undallerlei wohlschmeckenden Früchten. Am Tische aber saß Ich mit den Zwölfen und Hiramund Epiphan. Aziona diente uns, nahm aber nach dem Mahle dennoch Platz am Tische. Alswir so beisammensaßen, unsere Blicke auf die schöne Wasseroberfläche hinausrichteten, daentdeckte der scharfsichtige Epiphan, wie in der großen Bucht mehrere Schiffe lavierten. Siewollten die große Bucht befahren; da sie aber die Gegend ob ihrer gewaltigen Veränderungnicht mehr als diejenige, die ihnen von früher her wohlbekannt war, erkennen konnten, solavierten sie hin und her und entsandten nur ein Kundschafterboot in die Bucht.[223,02] Es waren aber diese Schiffe so eine Nachhut auf dasjenige, das hier als einegute Strandprise in der vorhergehenden Nacht von den Fischern auf Mein Geheiß genommenward. Diese Nachhutschiffe hatten wohl schon die ganze Nacht und auch diesen starkenhalben Tag herumlaviert, fanden aber nirgends eine Spur mehr. Sie waren darum derMeinung, daß dies Schiff sich etwa wohl in diese schwer zu befahrende Bucht verloren undvielleicht gar irgend Schaden gelitten hätte. Aber diese Bucht sah der früheren nimmer gleich,und so wußten die Nachhutschiffer nicht, wie sie daran waren, und entsandten darum einleichtes Auskundschaftungsboot in die Bucht.[223,03] Als Ich solches also den dreien erklärte, da sagte Aziona: „Na, wenn die dasgroße Schiff hier finden, dann dürfen wir das Weite suchen, sonst sind wir alle verloren!“[223,04] Sage Ich: „Sei ruhig; dies Kundschaftsboot wird bald umkehren! Ich werdeeinen Wind entsenden, der des Bootes Rückzug sicher sehr beschleunigen wird.“[223,05] Im Augenblick kam ein großer Sturmwind und trieb das Kundschafterbootsamt den etlichen Nachhutschiffen pfeilschnell hinaus aufs hohe Wasser.[223,06] Aber Aziona sagte: „Herr, sieh, nun sind sie wohl aus der Sicht gekommen;aber sie werden wiederkommen, so der Wind sich legen wird! Oh, diese Menschen sind wiedas böse Gewissen und hartnäckig wie eine böse Krankheit! Die verlassen ihre Absicht undihr Ziel nimmer, und sind es diese nicht – die von ihrem Suchen kaum abstehen dürften –, sowerden dann in einer jüngsten Zeit schon wieder andere kommen und das gleiche Zielverfolgen; und finden sie das Schiff hier, dann geht es uns schlecht, denn gegen die Gewaltder Mächtigen gibt es kein Recht! Ich möchte das ganze Sünderschiff lieber ganz zerstörenund vernichten, als mit seinem Besitze in einer steten Angst sein!“[223,07] Sage Ich: „So Ich es dir aber sage, daß du deshalb durchaus keine Angst zuhaben brauchst, so kannst du wohl ruhig sein! Diese, die nun zu sehen waren, werden niemalswiederkehren, und eine zweite oder gar dritte Nachhut noch weniger; denn in dieser Zeit istallbekannt das Galiläische Meer sehr stürmisch und wird außer von etwelchen Fischern wenigbefahren, da man den Stürmen nicht traut, – und in etlichen Monden ist diese ganzeBegebenheit so gut wie ganz vergessen![223,08] Denn wird es auch sicher nach Jerusalem also berichtet, daß die nach Mirausgesandten Fahnder irgend am Meere verunglückt sein werden, da man ungeachtet allesSuchens von ihnen nichts mehr auffinden kann, so wird im Tempel bloß zeremoniell von dendazu eigens bestimmten Tempeldienern männlichen und weiblichen Geschlechts drei Stundenlang gewehklagt, und nachher denkt niemand im Tempel mehr an die Verunglückten, sondern

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man hebt wieder andere für denselben Zweck aus, versieht sie mit Vollmachten, Geld und dennötigen Waffen und sendet sie unter allerlei strengsten Aufträgen, und diese ziehen dann ausund kehren zumeist unverrichteterdinge wieder nach Hause zurück, oder öfter auch gar nicht,wie die, die uns gestern besuchten. – Und so hast du nun das ganze Verhältnis aufgedeckt undkannst das ohne Scheu fest behalten, was Ich dir gebe, sichere und schütze.“[223,09] Sagt nun Epiphan: „Freund Aziona, unter solchen Versicherungen würdeich mich nicht scheuen, sogar von ganz Rom Besitz zu ergreifen, so dieser Herr und Meisterzu mir sagen würde: ,Gehe hin und sage: ,Der Herr hat mir die ganze Stadt gegeben, und ichzeige es hiermit an, daß von nun an alles, was da steht, lebt und wächst, mein vollstesEigentum ist!‘‘ Und sieh, kein Mensch in der Welt könnte mir solch ein vom Herrn mireingeräumtes Recht streitig machen, und jeder müßte sich fügen nach der Allmacht desgöttlichen Willens![223,10] Und dasselbe ist auch hier der Fall! Welche irdische Macht wird mit dieserGottesmacht einen Kampf bestehen wollen? Denn ehe sie zum Kampfe die Hand an den Griffdes Schwertes legete, wäre sie ja auch schon vernichtet! Ja, wenn der Herr und Meister eszulassen wird, daß Seine Feinde Hand an Ihn legen werden, so werden sie Ihn auch wohl demLeibe nach sogar töten können; aber solange Er Selbst das unerforschbar geheime ,FIAT!‘nicht in Sich ausgesprochen haben wird, solange wird es auch niemand wagen, auch nur denSaum Seines Gewandes anzutasten, – und der es wagen wird, dem dürfte es ergehen, wie esden gestrigen Frevlern ergangen ist! Also für die, welche mit diesem wahren Gottmenschenals wahre Freunde durch alle die größten Gefahren der Welt wandeln, ist für die höchsteSicherheit schon gebürgt.[223,11] Sehet an diese unsere nun allerherrlichste Gegend! Vor kaum einer Stundewar sie eine unwirtlichste, starre Wüste, ein wahres Bild des Todes – gleich uns in unseremfrüheren Seelenzustande, den auch Er durch Sein Wort in einen lebendigen umgestaltet hat –,und nun treibt die unerforschlich-wunderbare Macht Seines Wortes selbst aus dem hartenSteine, den sie zuvor in ein gutes, fettes Erdreich zermalmt und umgestaltet hat, das üppigstePflanzenleben hervor.[223,12] Vor Dessen Hauche sich die Steine beugen und alle zahllosen Naturgeistertätig werden müssen, vor Desselben Hauche beugen sich der Erde Völker, – und was sollenwir als nun sicher Seine Freunde uns noch mit irgendeiner Furcht in unseren Gemüternabgeben, als könnte uns im Ernste unter Seinem Schutze noch irgend etwas Übles begegnen?!Ich hoffe, daß du, dies überlegend, aller eitlen Furcht ledig wirst.“[223,13] Sagt Aziona: „Freund, du hast nun ganz wohl und richtig gesprochen, undich bin früher, wie auch jetzt, sicher deiner Ansicht mit meinem ganzen Leben gewesen; aberder Mensch bleibt denn doch immer ein Mensch, besonders wenn irgend Gefahren sich ihmzu nahen anfangen! Man vergißt in einer Art Gemütsverwirrung nicht selten das Wichtigste,denkt nicht mit der innern, ruhigen Seelenverfassung, sondern überstürzt sich von oben nachunten und gerät dadurch in eine derartige Angst, daß man dabei sogar der bestenSchutzwaffen nicht mehr gedenkt, die man doch offenbarst bei sich hat.[223,14] Und so erging es mir soeben, als ich die Bedeutung des diese Buchtherauffahrenden Auskundschafterbootes erfuhr aus dem Munde unseres Gottes und unseresHerrn und Meisters. Aber nun bin ich schon wieder in aller Ordnung, wozu deine Worte rechtviel beigetragen haben.“

224. Kapitel[224,01] (Aziona:) „Aber da wir nun so recht gemütlich beisammensitzen bei Brotund Wein, so möchte ich denn doch aus Deinem Munde, o Herr, vernehmen, wie es mit demSeelenleben nach dem Abfalle des Leibes steht![224,02] Man hat nach den Sagen fast aller sogenannten Götterlehren stets mit wenigVarianten einen zweifachen Zustand – als nämlich bei uns, sage, Heiden –: ein Elysium, allwogute und würdige Seelen in einer unbeschreiblichen Wonne ewig fortleben, und dann einenTartarus, wo die schlechten und bösen Seelen mit allerlei unerhörten Plagen und Martern ebenauch ewigfort gepeinigt werden.

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[224,03] Die Juden haben ihren Himmel und ihre Hölle, was alles gewisserart ganzdasselbe ist wie bei den Heiden das Elysium und der Tartarus. Ebenso haben unter gewissenFormen, Namen und Abweichungen die Indier ein zweifaches Allmachtswesen, ein gutes undein böses. So sind die elysäischen Götter alle gut und die des Tartarus alle böse.[224,04] Und bei den Juden gibt es einen höchst guten und weisesten Jehova und zuseinen Diensten Myriaden von ebenso guten Geistern, die da ,Engel‘ genannt werden undbereit sind, dem Menschen die besten Schutzdienste zu leisten; dem guten, allmächtigenJehova und seinen Engeln schnurgerade gegenüber gibt es aber dann auch einen nahe nichtminder mächtigen Satan, auch ,Leviathan‘ genannt, und ihm zur Seite eine zahllose Mengeder allerbösesten Geister, die man ,Teufel‘ nennt.[224,05] Es ist zwar der gute Jehova in einem fort bemüht, die Menschen gut zumachen und an sich zu ziehen. Aber es hilft ihm das nicht gar zu besonders viel; denn derSatan versteht sich besser darauf, die Seelen für sich zu fangen, und treibt dem guten Jehovastets Scharen auf Scharen ab. Wohl drohe der gute Jehova dem Satan in einem fort mit allerleiStrafen und Gericht; aber dazu lache der Satan stets und tut dennoch, was er will. – Nun, Herr,was soll man von solchen Sagen halten? O Herr, gib uns darüber einen richtigen Aufschluß!“[224,06] Sagt vor Mir noch Epiphan: „Da sehe man einmal unsern Direktor Azionaan! Er ist wahrhaft denn doch noch gescheiter als wir alle! Wir haben nun schon um somanches gefragt, und dieser wichtigste Lebenspunkt ist nur ihm eingefallen! Ja, Herr undMeister, solche Dinge habe ich selbst in allerlei Schriften schon vielmals gelesen und habemir auch allzeit mein gutes Teil dabei gedacht! Entweder haben die sonst in vieler Hinsichtweisen Alten alles, was sie wußten, in einer für uns unverständlichen Bilderspracheniedergeschrieben, oder sie haben gleich den Kindern und Narren bloß rein nach ihrer nochhöchst unkultivierten Phantasie gefabelt und gefaselt.[224,07] Ich als ein ganz einfacher Mensch von beschränktem Verstande, mit einem– wie man sagt – menschlich guten Herzen versehen, kann mir wohl vernünftigerweise einjenseitiges Fortleben der Seele, weil sie einmal entweder zufällig gut oder sicherer schlecht zuleben begonnen hatte, nur also vorstellen, daß es wenigstens bis zu einem gewissen, möglichsthöchsten Grade der Vollendung sich fortwährend in einer Progression befindet, und daß es fürein hier schon aus mannigfachen Ursachen und Gründen schlecht begonnenes und sicher nochschlechter beendetes Leben jenseits nur weise und entsprechend zweckmäßige Korrektionengibt, damit auch eine hier ihr Leibesleben schlecht durchgeführt habende Seele dort, wennauch später, zu einem besseren Erkennen ihrer selbst und eines wahren, allerhöchstenGottwesens und auch ihrer wahren Lebensverhältnisse und Pflichten gelange.[224,08] Aber für ein kurzes, leider schlecht durchgeführtes Leben dort dann ewigeStrafen in einer unbeschreiblichsten Härte und allerunmenschlichsten Schärfe zu erleiden undzu erdulden bekommen, und das rein zu gar keinem anderen Zwecke, als daß sich einallmächtiger Gott an dem ohnmächtigsten Wesen ewig seine nimmer endende Rache kühle, –nein, das kann ich mir von einem Gott, wie Du, o Herr, wenigstens für uns doch offenbareiner bist, auch in einer bösesten Fieberhitze, die schon an den derbsten Wahnsinn grenzt,dennoch nicht träumen lassen![224,09] Ein Löwe ist doch sicher eine sehr böse Bestie, desgleichen eine Hyäne, einTiger, ein Wolf oder ein Bär; aber sie können dennoch gezähmt werden und werden dann oftWächter der Menschen und somit nützliche Geschöpfe. Lassen sich aber Ungetüme dererwähnten Art noch bändigen und zu etwas Nützlichem abrichten, warum nicht eine sehr oftohne ihr eigentlichstes Verschulden schlecht gewordene Seele?! – Also, liebster Herr undMeister, sage es uns, wie es denn aussieht mit den sonderbaren Dingen und Verhältnissen, umdie Aziona weislichermaßen Dich gefragt hat!“

225. Kapitel[225,01] Sage Ich: „Seht, Meine Lieben! Das, was die heidnischen Bücher davonsagen, ist nur ein höchst verstümmelter Widerhall dessen, was den Urmenschen dieser Erdehell und klar durch denselben Geist, der nun in Mir wohnt, ist geoffenbart worden.[225,02] Nur die Schrift der Juden enthält allein die volle Wahrheit, allein nicht

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enthüllt, sondern in entsprechenden Bildern verhüllt, und zwar aus dem wohlweisen Grunde,damit die Heiligkeit der darin enthaltenen Wahrheit von den eigentlichen, schmutzigenKindern dieser Erde nicht verunreinigt und entheiligt werde.[225,03] Denn es wohnen auf dieser Erde oder Welt zweierlei Art Menschen. Dieeigentlichen und meisten sind nach der geordneten Stufenfolge des geschöpflichenEmporklimmens der Seele und dem Leibe nach pur von dieser Erde, und man kann sie,Kinder der Welt‘ nennen.[225,04] Ein viel geringerer Teil der Menschen dieser Erde aber ist nur dem Leibenach von eben dieser Erde, der Seele nach aber entweder aus den verschiedenenSternenwelten oder mitunter sogar als reinste Engelsgeister aus den reinen Geisterhimmeln.Das sind jedoch bisher die seltensten.[225,05] Diese zweite und viel edlere Art der Menschen dieser Erde kann man,Gotteskinder‘ nennen, und diesen allein ist es auch vorbehalten, die Geheimnisse des ReichesGottes zu fassen, zu verstehen und nach Bedarf und nach Fähigkeit der Auffassung solche denKindern der Welt zu lehren und ihnen zu zeigen den Weg, auf dem auch sie zu KindernGottes und zu Bürgern Seines Reiches werden können.[225,06] Nun, diese eigentlichen Weltmenschen, als erst aus dem Schlamme dieserErde entwachsen, sind natürlich noch sehr sinnlicher Art, da ihre Seelen noch nie eineirgendwie menschliche Vorschule eines freien, sich selbst bestimmenden Lebensdurchgemacht haben. Sie können daher anfänglich auch nur durch pur sinnliche Bilder zu derErkenntnis eines allerhöchsten und ewigen Gottesgeistes hingeleitet werden.[225,07] Und sehet, der meisten Menschen dieser Erde wegen sind auch dieOffenbarungen über die Reiche der Geister in lauter gewisserart sinnliche Bilder eingehüllt,die nur von den Kindern Gottes von Zeit zu Zeit mehr und mehr, nach der Fassungsfähigkeiteben der Weltkinder, denselben enthüllt werden können, – aber nie zuviel auf einmal, sonderngerade nur so viel, als selbige zu vertragen und in ihrem seelischen Magen zu verdauenvermögen. Aus dem Gesagten aber könnet ihr nun schon so manchen Schluß fassen.[225,08] Der Menschen Seelenleben nach dem Abfalle des Leibes ist, wie ganz leichtvon selbst verständlich, ein fortwährend progressives, da die Vollendung desselbenunmöglich das Werk eines Momentes sein kann, und das aus dem Grunde, weil die Seele eingleich ihrem früheren materiellen Leibe räumlich wie auch zeitlich begrenztes und in diebestimmte, schöne Menschenform gewisserart eingezwängtes Wesen ist und deshalb dasUnendliche und das Ewige sowohl dem Raume und der Zeit nach, wie auch derallerunbegrenztesten Macht des Geistes Gottes und seiner Werke nach nur nach und nach insich aufnehmen und fassen kann.[225,09] Es kommt nun auf den Standpunkt der inneren Gesittung an, in welchemeine Seele ihren Leib verließ. Ist dieser den irgend bestehenden guten Gesetzen gemäß, sowird der jenseitige Zustand der Seele sicher sogleich auch ein solcher sein, von dem aus siesich sofort auf eine höhere Vollendungsstufe des freien Lebens setzen und immer und immerauf eine höhere Stufe fortschreiten kann.[225,10] Hat aber eine Seele entweder aus Mangel an einer Erziehung oder imschlimmeren Falle aus Mangel an irgendeinem guten Willen bei sonst guter Bekanntschaftmit den bestehenden Gesetzen den Leib verlassen müssen, ohne sich früher im Leibeslebenund dessen Verhältnissen nur ein wenig zum Wahren und Besseren gekehrt zu haben, nun, dawird es ja für einen nur einigermaßen helleren Denker doch auch leicht begreiflich sein, daßeine solche ganz verkümmert elende Seele jenseits nur in einen solchen, sicher nichtbeneidenswerten Zustand gestellt werden muß, in dem sie nach der höchsten Liebe undWeisheit Gottes von ihrer tierischen Crudheit (Roheit) einmal gereinigt und geheilt werdenund mit der Weile sich zu einer höheren Lebensstufe erheben mag, von der sie dann schonimmer leichter und leichter zu einer noch höheren übergeht.“

226. Kapitel[226,01] (Der Herr:) „Nun gibt es aber auf dieser Erde auch Menschen, die alsKinder überaus reicher Eltern alle mögliche Erziehung und Bildung genossen haben. Als sie

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aber älter wurden und zu großen Ämtern und hohen Ehrenstellen gelangten, da fuhr derHochmutsteufel in ihr Herz. Sie fingen an zu herrschen, die Nebenmenschen zu hassen, zubetrügen und zu bedrücken und frönten nur ihrer Sinne Lust. Ihr Himmel, nach dem sie mitaller Gier trachteten, hieß äußerstes Wohlleben in aller Weichlichkeit, Pracht und Üppigkeit.Was ihnen nicht dienen wollte, das wurde auf das oft schauderhafteste verfolgt und ohne alleSchonung zugrunde gerichtet.[226,02] Nun kommt aber die Zeit und die Stunde, in der solcher Menschen Seelenauch ihren gar so geliebten Leib nach der Anordnung des allmächtigen Gottes verlassenmüssen. Was nun?[226,03] Seht, dieser Art Seelen haben sich denn doch etwa strafbar gemacht, was einjeder nur einigermaßen rechtlich denkende Mensch zugeben muß! Und dennoch werden sievon Mir aus nicht gerichtet, sondern gerade in einen solchen Zustand und in ein solchesLeben versetzt, das ganz gleich ist dem auf dieser Welt gehabten, nur mit dem Unterschied,daß weit und breit ihre Nachbarn ganz dasselbe haben, sind und wollen wie die erst jüngstdahin Gekommenen. Und da stehet es dann gar nicht lange bis zum erbittertsten Kriege an;denn ein jeder dünkt sich der Höchste und Mächtigste zu sein, will alle beherrschen und hältjeden für einen strafbaren Meuterer, der sich nicht seinen Befehlen und Gesetzen fügen will.[226,04] Würde nur einer, zwei oder auch drei also denken und sich fühlen, dieandern aber wären mehr demütige und sich fügende Geister, so würde das eine Art Monarchieim Reiche der Geister geben, allwo einer gebietet und Millionen ihm gehorchen. Aber da istes nicht also; denn da will ein jeder ein Monarch sein und ganz tyrannisch seine ebensoherrschsüchtigen Nachbarn beherrschen. Und solch arge Leidenschaft gebiert dann einennahezu unlöschbaren Haß gegenseitig, einen steten Hader, Zank, Streit, Verfolgung und einenförmlichen Krieg, wobei zwar niemand getötet werden kann, – aber der gegenseitige,grenzenlose Haß und Zorn gestaltet sich wie ein wütend verheerendes Feuer, welches aus denKämpfern hervorlodert, mit welchem Feuer sie sich dann gegenseitig quälen und bekämpfen.[226,05] Da kommt es nun darauf an, wenn solch ein böser Klub wieder zu einer ArtRuhe gelangen soll, daß ein mächtiger Geist aus den Himmeln dahin entsendet wird und Ruheschafft durch ein noch mächtigeres Feuer, das solchen Seelen wohl fühlbare, unsäglicheSchmerzen, teils nur momentan, teils aber auch längere Zeiten während, bereitet. Sinddadurch solche Seelen zu einer völligen Ruhe gelangt, dann verstummen auch mehr und mehrihre dummen Leidenschaften, das sie quälende Feuer verlischt, und der Engelsgeist belehrt siedann über ihre große Blindheit, Verstocktheit und Torheit.[226,06] So eine oder die andere unglückliche und sicher unselige Seele sich darankehrt, so wird sie auch gleich in einen besseren Zustand übergehen; will sie das infolge ihresinnern, geheimen Hochmutes aber nicht, nun, da bleibt sie der alte Narr und wird bei einerjüngsten Gelegenheit wieder das gleiche zu gewärtigen überkommen. Und man kann da mitden Römern sagen: VOLENTI NON FIT INIURIA, – und wenn solche nahezuunverbesserlichen Seelen sich auch Äonen von Erdjahren also abquälen wollten![226,07] Ich meine, daß ihr nun schon ziemlich über das belehrt sein dürftet, um wasihr Mich so ganz eigentlich gefragt habt; aber alles dessen ungeachtet will und werde Ich euchdennoch so manches hinzufügen, – und so höret Mich denn noch weiter an!“

227. Kapitel[227,01] (Der Herr:) „So da jemand von einer derartigen Riesenstärke hier wäre, daßer mit seinen Händen die stärksten Eichen und Zedern zu entwurzeln vermöchte, hätte aberkeinen Widerstand, sondern um seine zu entwurzelnden Bäume nur Schlamm und Wasser,würde er da wohl einen Baum, der etwa um ein paar Klafter tiefer seine Wurzeln wohl infestem Erdreiche stecken hätte, zu entwurzeln imstande sein? Ich sage: Nein; denn sowie ersich anschickte, mit seinen mächtigen Armen den Baum aus der Erde zu reißen, da würde ereinsinken in des Wassers und Schlammes Tiefe und somit mit aller seiner Riesenkraft garnichts ausrichten.[227,02] Wenn also ein Riese die große Muskelstärke seiner Hände als wirksamdarstellen will, so müssen auch seine Füße einen sehr festen Boden als eine notwendige

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Stütze haben, was sicher jedem von euch wohl einleuchtend sein wird. Ich setze aber hiernoch einen Mir gar wohl möglichen und für euch noch einleuchtenderen Beispielsfall.[227,03] Nehmen wir an, hier vor uns befänden sich etwa ein paar hundertallerkräftigster Kämpfer, hundert auf der einen und hundert auf der andern Seite. Sowie sieaufeinander loszugehen anfangen, hebe Ich sie mit Meiner innern Macht hoch in die Luftempor und lasse sie durch einen heftigen Wind in alle Gegenden und Richtungen zerstreuen.Frage: Wie werden diese ohne allen festen Stützpunkt nun ihren Kampf beginnen undvollführen? Wird einer selbst mit den kräftigsten Füßen in der Luft sich auch nur um einenSchritt weiterbewegen können oder so einen recht gewaltigen Hieb mit der Hand tun unddabei seine aufrechte Stellung behalten können?[227,04] Ich sehe, daß ihr da nun so ein wenig zu studieren anfanget, wie etwasolches möglich wäre. Es steht aber in Meiner Macht, einem von euch das praktisch zuzeigen, und so saget Mir nur, wer von euch sich wohl einer solchen Probe unterziehen will!Willst du, Epiphan, etwa eine Mannshöhe über der Erde dich von der Wahrheit MeinerAussage überzeugen?“[227,05] Sagt Epiphan: „O ja, Herr und Meister; denn es kann mir unter DeinerObhut ja unmöglich etwas Übles begegnen! Ich bin demnach schon entschlossen dazu.“[227,06] Sage Ich: „Nun gut, erhebe dich eine Mannshöhe vom Boden der Erde indie freie Luft, und erzähle es den andern, wie du dich befindest!“[227,07] Epiphan befand sich nun ganz freischwebend in der Luft, und zwar ganzruhig in aufrechter Stellung, und Ich sagte zu ihm: „Mache nun etwelche Bewegungen, undtue, als ob du irgendwohin kommen oder dich gegen irgendeinen Feind verteidigen wolltest,und erzähle es uns, was du empfindest, und wie es dir zumute ist!“[227,08] Epiphan versuchte das, verlor aber natürlich sogleich die bequeme,aufrechte Stellung, und je mehr er mit Händen und Füßen arbeitete, desto mehr kam er inallerlei höchst unbequeme Stellungen. Am Ende drehte er sich wie ein in der Luftschwebendes Blatt herum, und ein nur ganz leiser Lufthauch fing an ihn weiterzuschieben,und zwar nach Meinem Willen gegen des Aziona Haus, an dessen Wänden er einen festenStützpunkt fand, seine unbequeme Stellung wieder in die bequeme aufrechte umwandelte undsich dann, die Extremitäten der Wand erfassend, bis zur Erde gewisserart herabschob.[227,09] Als Epiphan mit den Füßen wieder den Erdboden erreichte, da war er, Michlobend, über alle Maßen froh, kam schnell zu uns an den Tisch und sagte: „O Herr, alles, wasDu willst, – aber nur keine solche verzweifelte Probe mehr! Ich hätte euch wohl von der Luftherab erzählen sollen, was ich empfand und fühlte! Ja, das hätte ich in der aufrechtenStellung, die von einem ziemlich angenehmen Gefühle begleitet war, wohl erzählen können,wie ich mich eben recht angenehm fühle und sehr anmutiglich befinde; aber als ich mich dannauf Dein Geheiß zu bewegen anfing und alle Stellungen mir mußte gefallen lassen, weil ichsie nicht zu ändern vermochte, da war es mit der Sprache aus. Ich hätte allenfalls, so ich michnicht geschämt hätte, ein angstvolles Zetergeschrei beginnen können, aber von einemverständigen Worte wäre da gar keine Möglichkeit gewesen! Von tausend Schwindelnergriffen und sich ohnmächtiger denn eine Mücke fühlend, – da rede, wer da wolle; für michwar das die allerplatteste Unmöglichkeit![227,10] Nur eine Mannshöhe vom festen Boden in die freie Luft entrückt, und manist im Augenblick das aller Macht und aller Kraft barste Wesen! Der leiseste Lufthauch, derkaum ein Blättchen an einem Baume zu rühren vermag, trägt einen ohne irgend möglichenWiderstand fort, und das in einer zumeist sehr unbequemen Stellung. Nein, alles, wie gesagt,– aber nur keine solche Probe mehr! Aber der Satz aus Deinem Munde, o Herr, ist nun alseine glänzendste Wahrheit bestätigt, daß nämlich die größte Kraft ohne einen festenStützpunkt, den ich als eine notwendige Gegenkraft betrachte, so gut wie gar keine Kraft ist.Das ist nun so meine lebendigste und wahrste Überzeugung.[227,11] Was und worin bestehend nach Deiner früheren Erklärung der Orkus,Tartarus oder die Hölle in sich ist, das wäre mir nun schon so ziemlich klar; aber mit demSatan und seinen Helfershelfern, den sogenannten Teufeln, weiß ich jetzt noch nichts zumachen! Weil Du, o Herr und Meister, uns schon das eine so gut erklärt hast der vollsten und

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vernunftgerechten und -gemäßen Wahrheit nach, so erkläre uns auch noch das, so es Deinheiliger Wille ist!“

228. Kapitel[228,01] Sage Ich: „Darum habe Ich euch ja die Beispiele gegeben, damit ihr dienachfolgende Erklärung vom Satan und seinen Engeln leichter zu fassen imstande sein sollet;und alsodenn vernehmet Mich nun weiter![228,02] Daß nach eurer nun gemachten Erfahrung der allerstärkste Riese ohne einensehr festen Gegenstützpunkt, den wir eine Gegenkraft oder einen Gegenpol nennen wollen,nichts zu wirken vermag, das sehet ihr nun ganz gut ein. Das gleiche Verhältnis aber dehntsich, wennschon ins endlos Große gehend, bis zum allerhöchsten Gottwesen aus![228,03] Wenn der ewige, allerfreiest weiseste und allmächtige Geist Gottes Sichnicht eben auch schon von Ewigkeit aus Sich heraus einen Gegenpol gesetzt hätte, so wäre esihm als pur positivem Gott nie möglich geworden, Sonnen, Welten und all die zahllos vielenWesen auf ihnen ins Dasein zu rufen.[228,04] Wie aber sieht dieser Gottesgegenpol aus, und worin besteht er? Ist er eindem positiven, freien Gotteslebens- und Machtpole ganz fremder oder ein in einer gewissenHinsicht gleichartiger? Ist er ein Selbstherr, oder hängt er in allen seinen Teilen nur von dempositiven Gottesmachtpole ab?[228,05] Seht, diese gar wichtigen Fragen werde Ich euch nun so lichtvoll alsmöglich beantworten, und ihr werdet dann gleich einsehen, wer der sogenannte Satan, undwer so ganz eigentlich seine Teufel sind! Und so habet nun acht![228,06] Wenn ein Mensch zum Beispiel etwas darstellen will, so fängt er an zudenken, und es werden eine Menge flüchtige Bilder als einzelne Gedanken sein Gemütdurchstürmen. Wenn sich der Denker eine längere Zeit mit der Beschauung seiner innerenGeistbilder, die man ,Gedanken‘ nennt, abgibt und sie auch mehr und mehr festzuhaltenbeginnt, so wird er bald und leicht gewahr, daß sich einige bessere Gedanken angezogen undgewisserart schon zu einer lichteren Idee verbunden haben. Solch eine Idee behält dann dieSeele wie ein ausgeprägtes Bild festhaftend in ihrem Gedächtnissensorium, und man könntedas eine Grundidee nennen.[228,07] Nun geht aber der Gedankenflug fort, gleichwie das Wasser eines Stromes,und unter den vielen vorüberströmenden Gedanken kommt denn wieder so etwasGediegeneres, wird von der Grundidee sogleich angezogen und vereint sich mit derselben,wodurch die Grundidee dann schon heller und noch bestimmter ausgeprägt wird.[228,08] Das geht dann eine Zeitlang sogestaltig fort, bis neben der Grundidee sichmehrere nachfolgende, mit der ersten harmonierende Seitenideen gebildet haben und dadurchschon den Begriff von irgendeiner konkreten Sache oder vorzunehmenden Handlung undderen Erfolgen darstellen.[228,09] Ist der Denker einmal zu solch einem gänzlich ausgeprägten, klarenBegriffe gekommen, da findet er ein Wohlgefallen an ihm und erfaßt und durchdringt ihnsofort mit dem Lebensfeuer seiner Liebe. Die Liebe erweckt den Willen und die Tatkraft desDenkers, und es wird sodann ungehalten der innere Begriff zur materiellen Verwirklichungerhoben.[228,10] Nun steht der frühere, pur geistige Begriff nicht mehr allein nur als eingeistiges Bild in seiner vollen Klarheit im Sensorium der Seele, sondern auch als eingleichsam gerichtetes festes Ebenmaß des innern, geistigen Bildes in der materiellen Naturund ist gestellt zur Benutzung dessen, der es früher erdacht hatte.[228,11] Die einzelnen Gedanken und Ideen, aus denen dann ein vollständigkonkreter Begriff gebildet ward, sind noch ganz geistiger Art und machen mit dem Geisteeinen und denselben Pol aus, und wir wollen ihn den Haupt- und Lebenspol nennen.[228,12] Der konkrete, aus vielen verschiedenen Gedanken und Ideen bestehendeGesamtbegriff – wenn auch noch als ein pures, geistiges Bild in der Seele – ist, weil er schonein gewisses fixiertes Bestehen hat, nicht mehr dem Hauptpole angehörig, sondern demGegenpole, weil er gewisserart so wie ein ausgeschiedenes Ganzes für sich der Seele

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gegenüber beschaulich in allen seinen Teilen dasteht und durch die weitere Tätigkeit ganz alsmaterielle Sache hinausgestellt werden kann und also als ein gerichtetes und fixiertes Dingnicht mehr der Lebenssphäre des Geistes und der Seele angehören kann. – Jetzt höret Michnur noch weiter an!“

229. Kapitel[229,01] (Der Herr:) „Du, Epiphan, dachtest dir wohl, daß auch eine aus mehrerenEinzelgedanken zusammengestellte Idee schon ein begriffsartiges Bild sein und daher wohlauch dem Gegenpole angehören kann, ja, sogar ein einzelner für und in sich dastehender, ganzausgeprägter Gedanke! Da hast du ganz recht; wenn so, da ist aber der also fixierte Gedankeund desgleichen eine solche Idee eben keine eigentliche Idee mehr, sondern schon ein für sichdastehender Einzelbegriff, weil er der Seele gegenüber als ein wohlgeformtes Bild oder alseine schon geordnete Handlung dasteht und daher den Gegenpol zum Pole des Lebensausmacht.[229,02] Im ersten (positiven) Pole ist Leben, Tätigkeit und Freiheit, im zweiten(negativen) oder Gegenpole der Tod, die Trägheit und das Gericht; und seht, darin bestehtdann auch die Hölle, der Satan und die Teufel, – also entsprechende Bezeichnungen ebendessen, was Ich nun als Gegenpol bezeichnete![229,03] Seht, die ganze Schöpfung und alles, was ihr mit euren Sinnen nur immerwahrnehmet, sind fixierte Gedanken, Ideen und Begriffe Gottes, – auch ihr Menschen euremsinnlichen Leibe nach; und inwieweit die Seele mit dem Leibe durch seinen Nerven- undBlutäther verbunden ist, ist auch sie im Gerichte und somit im Tode desselben haftend, vondem sie sich aber dadurch, daß sie durch ihren freien Willen nach den Gesetzen Gottes demrein Geistigen nachstrebt, befreien und ganz eins werden kann mit ihrem Geiste aus Gott,wodurch sie sonach als selbsttätig und selbständig von ihrem alten Tode in das freie, ewigeLeben übergegangen ist.[229,04] Nun merket aber etwas gar Wichtiges! – Erkenntnis und Liebe bestimmenden ganzen Menschen zu irgendeiner guten oder auch schlechten Tätigkeit. Ist das Erkennenein geistiges und zu Gott hinlenkendes, so wird die Liebe auch zu dem Geistigen und sonachzu Gott sich hinneigen und auch also tätig werden, und diese Tätigkeit ist eine gute, und ihreFolgen sind der Segen aus den Himmeln des Lebens.[229,05] Wird aber ein Mensch schon von der Wiege an mit nichts anderem inseinem Erkennen bereichert als mit solchem nur, was dem Leibe dient, so wird auch seineLiebe ganz der Materie sich zuwenden und bald über Hals und Kopf danach tätig werden, umsich desto mehr materielle Schätze zu sammeln und durch sie dem Fleische desto mehrAnnehmlichkeiten zu bereiten. Bei dieser Gelegenheit geht dann die Seele ganz in dieMaterie, als in den Gegenpol des freiesten Gottesgeistes, über und bildet also mit demGegenpole, als vom selben gefangen, eben auch den Gegenpol. Die notwendige Folge davonist das Gericht in und durch sich selbst, der Fluch vom Leben in den Tod und also gewisserartder ewige Tod selbst. Und wer schuldet daran – als eben der Mensch selbst, der sich ausseinem Erkennen, Lieben, Wollen und Tun selbst das angetan hat![229,06] Merket euch das! Wo ihr mit Menschen reden werdet, da forschet, ob sienichts wissen von der Seele in sich und nichts vom ewigen Leben derselben! Wenn sie mitden Achseln zu zucken anfangen und gewisserart nur so mitleidig sagen: ,Ja, davon redenhaben wir wohl schon zu öfteren Malen gehört; daß aber daran blutwenig oder wohl amgewissesten keine wahre Silbe hängt, das lehrt die tagtägliche Erfahrung, – was darüber ist, istnichts als eine hohle Schwärmerei von gewissen arbeitsscheuen Hungerleidern!‘, da könnetihr mit Sicherheit den Schluß ziehen, daß solcher Menschen Seelen von ihrer Fleischmaterieschon so gut wie ganz aufgezehrt sind und sich samt und sämtlich schon im Gerichtebefinden.[229,07] Da wird es viel kosten, sie wieder aus ihrem Gerichte und ihrergegenpolischen Gefangenschaft zu erlösen, – diesseits schon sehr schwer und jenseits nochschwerer, obschon gerade nicht unmöglich. Aber dazu wird eine sehr lange Abödung in ihremeigenen Gerichte und Tode nötig sein, bis das immerhin noch ein bißchen Geistige der Seele

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das eigene oft weltengroße Materielle in sich ganz aufgezehrt hat und endlich durch denHunger genötigt wird, nach einer geistigen Nahrung eine große Sehnsucht zu empfinden. Daswird wohl allzeit werden, aber nach einer für euch undenklich langen Zeitenfolge.“

230. Kapitel[230,01] (Der Herr:) „Ihr sehet daraus, daß selbst Gott, so Er nicht aus Sich SichSelbst den für eure Begriffe endlos großen Gegenpol gestellt hätte, keine Schöpfung alsmateriell bestehend aus Sich hätte hervorrufen und hinstellen können, weil eben der großeGegenpol die Schöpfung selbst ist. Diese muß also gerichtet, fest, so gut wie tot undbeharrlich sein, so sie ihrem vom Schöpfer gestellten Zweck entsprechen soll. Und weil siedas ist, was sie ist und wie, so ist sie auch gut Gott gegenüber. Böse der Wirkung nach ist sienur den Menschen gegenüber, weil diese der Seele und teilweise sogar dem Fleische nach dieBestimmung haben, als aus dem Tode erweckte Wesen sich für ewig mit dem reinen,positiven Geiste aus Gott zu vereinen mit Gott, ohne dadurch je mehr ihre absoluteste Freiheitund Selbständigkeit einzubüßen.[230,02] Es stellt sich nun freilich wohl die wichtigste aller Lebensfragen von selbstund lautet: Was hat denn hernach ein Mensch zu tun und zu beachten, um seine Seele vor demRücktritt ins alte Gericht der Materie, die tot ist, zu bewahren? –[230,03] Er halte die zehn Gebote, durch Moses den Menschen gegeben, genau, dieaber ganz kurz darin bestehen, daß man zuerst an einen wahrhaftigen Gott fest glaube, Ihnüber alles aus allen Lebenskräften liebe, seine Brüder und Schwestern aber wie sich selbst undim Notfalle sogar mehr![230,04] In diesen eigentlich nur zwei Geboten liegt aber dann auch das ganzeMosaische Gesetz, sowie alle die Propheten, die des größeren Verständnisses halber nichtsanderes als nur das mit vielen Worten gelehrt haben.[230,05] Wer das tun wird, der wird sicher sein Herz und somit auch seine Seele vorjeglichem Hochmute, vor jeglicher Härte, vor Zorn, Haß, Selbstsucht, Neid, Geiz, Habgier,Herrschsucht und Weltwohlleben und Weltliebe bewahren und sodann leicht eingehen in denGottesgeisteslebenspol; denn die Liebe zu Gott erfüllt eben den ganzen Menschen mit demGotteslebensgeiste, und die Nächstenliebe verkörpert und befestigt denselben in der Seele,wodurch sie dann notwendig in allem identisch wird mit Gott Selbst durch den LiebegeistGottes in ihr.[230,06] Ist sie aber identisch mit Gott, so wird sie auch identisch sein mit dem euchnun bekanntgemachten positiven Lebenspole in Gott und wird herrschen mit Ihm über alleMaterie, von der sie nie mehr möglich wird gefangen und verschlungen werden können.[230,07] Wer immer dieses befolgen wird, der wird auch das euch nun klarstGezeigte ernten und ewig in steter Steigerung behalten. – Nun sage du, Mein lieber Epiphan,wie du dieses verstanden und aufgenommen hast!“

231. Kapitel[231,01] Sagt Epiphan: „Großer Herr und Meister! Groß war Dein früheresWunderwerk zu unserem leiblichen Besten, – aber noch größer ist Deine Weisheit in dieserDeiner uns gegebenen Lehre; denn sie beweist uns Deine Göttlichkeit noch um einUnvergleichbares intensiver. Mit dem Wunderwerke zeigtest Du uns wohl unverkennbar, daßDu mit der Kraft und Macht Gottes erfüllt sein mußt, ansonst Dir ein solches Werk unmöglichwäre; aber mit dieser Belehrung hast Du uns gezeigt, daß Du unmittelbar Selbst Derjenigebist, dessen Gedanken und Ideen den gewissen, gerichteten, festen Gegenpol bilden![231,02] Ich und sicher auch Aziona und Hiram haben das nun ganz wohl begriffen,was Du, o Herr, uns über unsere gewiß sehr wichtige Frage gesagt hast, und sehen nun ein,wie sich die Sache verhält und eigentlich nie möglich anders verhalten kann. Aber eben dieserPunkt zieht eine andere für die gesamte Menschheit dieser Erde wichtige Frage nach sich.[231,03] Siehe, großer Herr und Meister! Wir wissen nun, was der Mensch zu tunhat, um nicht von Deinem Gegenpole der Seele nach verschlungen zu werden, was gewiß einhöchst trauriges Los für jeden ist, der sich davon nicht hat retten können. Wir wissen durch

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Deine Gnade und übergroße Güte den rechten Weg und werden solchen ganz gewiß undsicher wandeln. Aber was geschieht mit all den andern, zahllos vielen Menschen, die diesegroße Erde bewohnen? Diese wissen nichts von dem, was Du uns nun enthüllt hast! Wiezahllos viele sind schon seit dem Beginne der Menschen auf dieser Erde vor unshinübergewandelt, und welche zahllosen Mengen werden erst nach uns hinüberwandeln![231,04] Die vor uns waren, haben von dieser Lehre sicher nichts gewußt und lebtennach ihren materiellen Gelüsten. Was anders wohl kann ihr jenseitiges Los sein als dietraurige Gefangennehmung von seiten Deines Gegenpols? Wer wird, wer kann sie darauserlösen, und wann? Was zählen etwa im Ganzen die etlichen Menschen, die, weil sie schonursprünglich geistiger waren, sich auch leichter dem rein Geistigen zugewandt haben unddarum nach der leidigen Ablegung dieses materiellen Leibes ganz leicht und unaufgehalten inDeinen Hauptpol übergegangen sind? Wenn ich nach den Büchern, in denen die frommen undrein geistig großen Menschen verzeichnet stehen, auch alle zusammenzähle, so erreiche ichvielleicht kaum die Summe hunderttausend! Was ist aber das gegen die Unzahl derer, die allevon dem Gegenpole für undenkbar lange Zeiten verschlungen worden sind? Da frage ich denndoch jeden nur einigermaßen vernünftigen und verständigen Menschen, ob es für dieUnglücklichen nicht besser wäre, nie geboren worden zu sein?[231,05] Ebenso wird es auch mit denen sein, die vielleicht noch eine halbe Ewigkeitnach uns das Licht der Welt erblicken werden. Sie werden wohl auch irgend schon ganzverworrene Begriffe von dieser Deiner Lehre zu Gesichte bekommen; wer aber wird sie so,wie Du Selbst nun uns, darüber des nähern klar belehren? Ist aber eine solcheaußerordentliche Lehre nicht in der lichtesten Klarheit gegeben, so wird sie auch schwer vonjemandem mit einem lebendigen Eifer zur Handelnsrichtschnur genommen werden, und dieMaterie wird so wie bisher stets den größten Sieg davontragen.[231,06] Deine gegenwärtige größte Lehre an uns ist zwar übergroß und heilig; aberdiese Lücke ist an ihr unvermeidbar da, die ich eben durch Deine gütige Beantwortung diesermeiner sicher ganz gewichtigen Frage für mein Gemüt möchte ergänzt haben! So es Deinguter und heiliger Wille ist, da gib uns auch darüber einen rechten Aufschluß!“

232. Kapitel[232,01] Sage Ich: „Wenn die Sache mit den fremden Nationen und Völkern sichgerade also verhielte, wie du in deiner Frage sie aufgestellt hast, so wäre es wahrlich etwastraurig aussehend um das Seelenheil der Menschen auf Erden; aber da sieht es denn dochnoch ein bißchen anders aus, und somit ist jedem Menschen die Gelegenheit gegeben, sich,welch eines Glaubens auch immer seiend, mehr dem Geistigen als dem Materiellenzuzuwenden. Ist das der Fall, so kann eine Seele jenseits schon nicht mehr so ganz vommateriellen Pole angezogen werden, sondern bleibt mit ihrem immer vollkommen freienWillen in einer Art Schwebe, in der sie weder dem einen noch dem andern Pole angehört. Ichbezeichne diesen Zustand der Seelen als ein Mittelreich, in welchem die Seelen von den schonvollendeten Geistern geleitet und zuallermeist dem bessern Pole zugeführt werden.[232,02] Freilich geht die Sache der vollen Umkehr etwas langsam vor sich; aber esmacht das immerhin nichts, weil von einem gänzlichen Verlorengehen einer Seele ohnehinnie eine Rede sein kann. Und sollte sie auch vollends einer zu großen Verstocktheit halbervon dem vollen Gegenpole verschlungen werden – was freilich wohl sehr schlimm wäre –, sowird sie nach einem Kreislauf der Zeiten es sich denn wieder gefallen lassen müssen,entweder auf dieser Erde oder auch auf einer andern, deren es im endlosen Raume zahllosegibt, eine abermalige Fleischlebensprobe durchzumachen, ohne zu wissen und auch nur zuahnen, daß sie schon einmal eine Fleischlebensprobe durchgemacht hat. Es wäre ihr einesolche Wissenschaft auch zu nichts nütze, weil sie dadurch als notwendig sinnlich sogleichwieder in ihr Urübel fiele und dadurch eine zweite Lebensprobe eine rein vergebliche undvereitelte wäre. Um das leichter einzusehen, gebe Ich euch ein Beispiel:[232,03] Es wäre vor etwa zweitausend Jahren irgendein höchst herrschsüchtiger undgrausamer König gewesen, der vor lauter Mordlust Tausende von Menschen auf diegrausamste Weise hatte hinrichten lassen und auch sonst allen möglichen Lastern gefrönt

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hatte. Wohin dessen Seele nach dem Leibestode gekommen ist, das wird leicht zu erratensein![232,04] Wie Ich euch aber schon früher gezeigt habe, so kann solch eine Seele dortnirgends anderswohin gelangen als nur zu ihresgleichen. Wie es ihr nach kurzer Zeit daergehen kann, wo ihre Gesellschaft auch geradeso beschaffen ist wie sie selbst und mit derWeile noch um etwas ärger, weil durch einen gewissen Zeitraum hin sich ihr Zorn und ihreRachewut stets steigert, das kann sich ein jeder von euch leicht vorstellen; denn alles hat seineGrenzen noch bei den materiellen Seelen, nur der Hochmut und die Herrschsucht nicht, wasschon so mancher König in der Vorzeit bei Lebzeiten nur zu klar an den Tag gelegt hat, da ersich seinem Volke als ein Gott vorstellte und vom selben verlangte, ihn als den allein wahrenGott anzubeten und ihn mit allerlei Opfern, die er verlangte, allerhöchst zu verehren. Diebekannte Geschichte des einstigen Königs Nebukadnezar von Babylon zeigt das nur zu klar.[232,05] Das aber geschieht dort in einem noch um vieles höheren Grade. Eine jedesolche Seele offeriert sich der andern alsbald als den allerhöchsten und allmächtigen Gott,nimmt dabei gleich eine furchtbar gebietende Stellung an und verlangt gleich gar alles vonden andern gleichgesinnten und gleichbeschaffenen Seelen.[232,06] Mit welch einer Wut da die anderen gleichen Seelen, die schon längere Zeitsich aus demselben Grunde untereinander zerzaust haben, über so eine anmaßende Seeleherfallen und sie die fürchterlichsten Proben ablegen lassen, davon könnet ihr euch freilichkeinen Begriff machen; aber so eine überdumme Seele läßt sich sogar eine Zeitlang auch nochalle erdenklichen Martern und Qualen gefallen, weil sie in der blinden Meinung ist, daß sienach allen überstandenen wahren Höllenproben von den andern als ein Gott und Herrscherüber alles anerkannt und angenommen werde.[232,07] Aber da sie mit der Länge der Zeiten, die darüber hinwegstreichen, denndoch einzusehen anfängt, daß sie nur die Gefoppte war, so ergrimmt sie vor Zorn und Wutüber ihre Peiniger, und da gibt es dann Kampf und Feuer im höchsten Übermaße, und dieseSeelen lösen sich in solchem Zornfeuer dann ordentlich auf, ja, sie würden sich am Ende ganzvernichten, wenn so etwas möglich wäre![232,08] Aber es hat ein solcher zugelassener Sturm, so gräßlich er auch tobt, immerdarin sein Gutes, daß er in solchen Seelen einen großen Teil der schädlichsten Materie zerstörtund somit die Seele um etwas reiner macht. Nach vielen ähnlichen Stürmen wird hie und daso manche Seele nüchterner und sucht sich von solch einer tumultuarischen Gesellschaftloszumachen und sucht sich einen Ausweg; – und da wird es dann gewöhnlich zugelassen,daß sie zu einer bessern Gesellschaft kommt, oder sie wird wieder in ein Fleisch eingezeugt.[232,09] Und nun sind wir wieder bei unserem Beispielskönige, dessen Seele soeinen Weg durchgemacht hat, den Ich euch nun so in aller Kürze genau beschrieben habe. Diein diese Welt zurückgekehrte Seele eines einstigen Vorzeitkönigs, der etwa im äußerstenHinterasien sein arges Wesen trieb, kommt nun in einem ganz andern Weltteile auf demgewöhnlichen Fleischeswege in eines Kindes Leibe zur Welt, natürlich geboren ausirgendeinem armen Weibe. Da ist eine solche Seele dann wieder ganz Kind und weiß vonihrem Vorzustande nicht das mindeste, und es wäre hoch gefehlt, so sie nur die leisesteErinnerung daran hätte.[232,10] Das Kind, wieder wie zuvor des männlichen Geschlechts, wächst nun in derArmut zum Manne heran und wird mit dürftiger Erziehung und anderer Ausbildung ein ganzehrlicher und tüchtiger Tagelöhner in was immer für einer Haus- oder Landarbeit, erkenntGott und betet zu Ihm und dankt Ihm für das tägliche Brot. Er findet am Ende eine rechteLust, den anderen Menschen um einen kargen Lohn zu dienen und nützlich zu sein. Am Endewird unser Arbeiter alt, schwach, mühselig und krank und stirbt wie alle Menschen auf Erden.[232,11] Was geschieht nun mit seiner Seele? Sie kommt jenseits eben wieder zu denrecht guten, arbeitsamen und tätigen Seelen und hat ihre Freude, recht niedrig zu stehen undallen nach Bedarf zu dienen. Solch eine gute Richtung ihres Gemütes bewirkt die baldigeErweckung ihres Geistes aus Gott, der ihr jenseitiges Alter ego (zweites Ich) ist.[232,12] Ist das einmal der sichere Fall, so wird die volle Vereinigung mit ihm auchnicht lange auf sich warten lassen. Ist diese erfolgt, so kehrt in solch einer Seele erst das volle

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Bewußtsein wieder zurück und mit ihm die klare Erinnerung an alle ihre Vorzustände, und sielobt da Gottes Weisheit, Macht und Liebe, die sie sogar aus den jammervollsten Zuständenwieder zum wahren ewigen Leben zurückgeführt hat.[232,13] Aus dem aber könnet ihr nun zur Genüge klar entnehmen, wie Gott aufSeinen für keinen Sterblichen erforschbaren Wegen jede euch noch so verworfen dünkendeSeele zum wahren Leben und Lichte zu führen vermag.“

233. Kapitel[233,01] (Der Herr:) „Gott, als in Sich Selbst die reinste Liebe, kann nicht andersdenn Seine Gedanken und Ideen lieben, wenn sie auch Seinen Gegenpol als Geschöpfeausmachen. Und so kann selbst ein Stein nicht ewig Stein verbleiben, und in für euchundenkbar vielen Jahren wird auch diese Erde, wie auch alle die zahllosen anderen Sterne,sehr veralten und mürbe werden wie ein altes Kleid. Und es wird da alles umgestaltet werdenin Gott verwandtes, selbständiges Geistiges, dafür aber werden wieder hervorgehen neuematerielle Schöpfungen und werden, jegliches in seiner Art, fortgeführt und fortgebildetwerden.[233,02] Aber freilich wird dazu noch eine überaus lange Zeit von mehr dennäonenmal Äonen von Erdjahren erforderlich sein. Es ist aber das nicht also zu verstehen, alswürde einmal diese gegenwärtige Schöpfung urplötzlich aufhören und dafür eine ganz neueins Dasein gerufen werden, sondern das geschieht nur teilweise, so wie da in einem Urwaldezwar die alten Bäume aussterben, verfaulen und am Ende ganz zu Wasser, Luft und Ätherwerden, also in ein anderes, geistigeres Sein übergehen, aber an ihrer Stelle stets wieder eineMenge anderer Bäume dem Boden entwachsen. Wie aber der Geist Gottes wirkt im Kleinen,ebenso wirkt er im Großen, wenn man Gott gegenüber überhaupt etwas ,groß‘ nennen kann.[233,03] Nun habe Ich euch alles klar gezeigt, ohne Mich dabei einer Bildersprachebedient zu haben, wie solches die alten Weisen getan haben. Aber Ich habe das nun auch nureuch gezeigt, weil ihr dazu die nötige Fassungskraft besitzt; der andern Weltmenschheit aberbrauchet ihr das nicht wiederzugeben, sondern nur, daß sie glaube an Meinen Namen und dieGebote Gottes halte, die da sind wahrhafte Gebote der Liebe. Alles andere wird dembekehrten Menschen schon ohnehin sein eigener geweckter Geist, der aus Gott ist, nachBedarf der Seele offenbaren. Die Kinder dürfen nur mit Milch gesättigt werden; wenn sieeinmal männlich und stark sind, dann werden sie auch festere Speisen verdauen können.[233,04] Denket nun über alles das in euren Herzen nach, und sollte euch noch irgendetwas unklar sein, so bleibe Ich nun noch bei fünf Tage als Gast bei euch, und ihr könnetMich oder auch einen Meiner Jünger darum fragen, und es soll euch Licht werden! Ich aberwerde euch von jetzt an keine neue Lehre mehr geben, da Ich euch ohnehin alles gezeigt undgelehrt habe; aber als euer Freund werde Ich Mich noch bei fünf Tage, wie Ich schon gesagthabe, bei euch aufhalten und euch gelegentlich noch so manches irdisch Gute und Nützlichezeigen. Jetzt aber gehen wir besichtigen alle die neuen Anlagen und Fruchtgärten, Äcker,Wiesen und Haustiere!“[233,05] Alle dankten Mir aus ganzem Herzen für diese Lehre, erhoben sich undzogen mit Mir zu den Nachbarn. Als sich diese drei neuen Jünger von allem überzeugt hatten,was da alles geschehen war, konnten sie sich nicht genug erstaunen und belehrten ihreNachbarn über Mich und über den hohen und heiligen Zweck Meiner Dahinkunft, und dieNachbarn glaubten nun ganz ohne irgendeine Einwendung ihren Worten und wurden vollFreude darüber.[233,06] Ich Selbst aber belehrte sie über den Gebrauch der vielen Dinge undSachen, die sie nun hatten, und machte sie dadurch zu recht tüchtigen Landleuten, was siefrüher nicht waren. Daß sie alle auch darüber eine große Freude hatten, versteht sich vonselbst. Und so wurden die bewußten, noch übrigen fünf Tage in diesem Orte zugebracht.

234. Kapitel – Jesus in der Gegend von Kapernaum. (Kap.234-243)[234,01] Am sechsten, eigentlich aber am siebenten Tage sagte Ich zu den Jüngern:„Wir haben nun sechs Tage ehrlich gearbeitet und haben eine gute Ernte gemacht auch in

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dieser Wüste. Nun aber ist es an der Zeit, daß wir uns wieder weiterbegeben; denn anderortsgibt es noch eine Menge brachliegender Felder und Wüsten, die wir bebauen, segnen undfruchtbar machen wollen.[234,02] Aber bevor wir von hier noch weiterziehen werden, sollet ihr etliche hierverharren, bis Ich mit Petrus, Johannes und Jakobus von diesem hohen Berge, an dessen Fußewir nun stehen, und den Ich sogleich mit den benannten dreien besteigen werde, wiederhierher zu euch zurückkommen werde!“[234,03] Es fragten Mich aber die, die da zurückzubleiben hatten, warum denn sienicht auch mit auf den Berg dürften.[234,04] Und Ich sagte: „Weil Ich es nun also haben will!“[234,05] Da wurden sie stille, und niemand getraute sich, Mich irgend um etwasweiter zu fragen.[234,06] Aziona nur sagte so für sich hin: „Der höchste Berg hier ist dieser da, dergerade vor uns liegt; aber er ist seiner steilen Wände wegen unsäglich schwer zu besteigen!“[234,07] Sagte Ich: „Glaube es Mir, daß für Mich kein Berg zu steil ist, und keiner jezu hoch! In wenigen Stunden kommen wir wieder hierher, und du halte ein Mittagsmahl inBereitschaft!“[234,08] Darauf nahm Ich die drei bewußten Jünger zu Mir, und wir machten uns aufden Weg. (Matth.17,1) Auf einer Seite war der Berg gut zu besteigen, und wir erreichten diehöchste Spitze in etlichen Stunden; der Berg aber könnte vermöge seiner Höhe vongewöhnlichen Bergsteigern erst in zwölf bis dreizehn Stunden erstiegen werden, und es wardaher auch diese unsere Bergbesteigung eine Art Wunder.[234,09] Nun waren wir auf der höchsten Kuppe, von der aus man beinahe ganzGaliläa, Judäa und Palästina übersehen konnte, auch einen Teil des wirklichen, großenMeeres. Als so die drei Jünger vor lauter Entzückung über die großartigst herrliche Aussichtordentlich verklärt wurden und Mir von ganzer Seele für den so großartigst herrlichen Genußdankten, da wurde denn auch Ich derart verklärt, daß darob Mein Angesicht leuchtete gleichwie die Sonne und Meine Kleider so lichtweiß wurden wie ein von der Sonne beleuchteterfrischgefallener Schnee. (Matth.17,2) Da wurden die drei Jünger ganz verblüfft und konntenkaum reden vor lauter Staunen.[234,10] Nach einer Weile erst ermannte sich Petrus und sagte: „Herr, sind wir nunschon im Himmel oder bloß nur im Paradiese? Es kommt mir ja gerade also vor, als vernähmeich ganz leise lispelnde Engelsstimmen um mich herum!“[234,11] Sagte Ich: „Weder im Himmel noch im Paradiese IN SPECIE, sondern ganzeinfach und natürlich auf der Erde! Aber indem wir sowohl den Himmel als auch das Paradiesdurch die Kraft des Wortes Gottes in uns haben, so es da in sich fasset Wahres und Gutes, dasind wir der Tat nach auch im Himmel und im Paradiese zugleich. Das ist es aber auch, waseuer Gemüt verklärt, und dieweil ihr in eurem Gemüte verklärt seid vor Mir, so wurde auchsogar Ich nach außen vor euren Augen verklärt, auf daß ihr in der Tat gewahret, daß ihr imParadiese und im Himmel zugleich seid, indem euer Inneres voll ist des Glaubenswahren unddaraus des Liebeguten; denn nur das ist der rechte Himmel und das wahre Paradies, daß ihr anMich glaubet und das tuet, was Ich euch lehre, und endlich in der Tat Mich aus vollstemHerzen liebet und also das wahre Reich Gottes in euch selbst habt, ohne das es aber sonstirgend örtlich auch nirgends eines gibt. Ist es aber einmal in euch, dann ist es auch örtlichüberall durch die ganze Unendlichkeit, und wo ihr da sein möget örtlich, ob hier auf dieserErde oder im Monde oder auf einem der vielen Sterne, die pur Weltkörper sind, so seid ihrvon euren seligen Brüdern umgeben, wenn ihr sie eures Leibes wegen auch nicht sehenkönnet mit euren fleischlichen Augen.“

235. Kapitel[235,01] Sagte Petrus: „Herr, es soll irgend in der Schrift heißen: ,Die Seelen derverstorbenen Menschen aber werden in aller Ruhe im Schoße der Erde aufbewahrt bis zumJüngsten Tage, allwann sie dann wieder von ihrer langen Ruhe erweckt werden durch diemächtigen Posaunen der Engel. Da werden die Guten auferstehen zum ewigen Leben im

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Himmelreiche Gottes, die Bösen aber werden verstoßen auf ewig ins Reich der Hölle undfortan gepeinigt werden von den Teufeln.‘“[235,02] Sagte Ich: „Wie diese Prophetenrede zu verstehen ist und alle ihresgleichen,habe Ich euch schon so oftmals erklärt, daß es nun höchst überflüssig wäre, euch darüber nochweitere Erklärungen zu geben. Um euch aber tatsächlich von solcher eurer höchst irrigenAnsicht zu heilen, so werde Ich euch nun euer inneres Seelenauge erschließen, und ihr werdetda selbst sehen, wie es mit der gewissen Ruhe der Seelen schon lange verstorbener Väteraussieht, und was der Schoß der Erde für ein Gesicht hat!“[235,03] Darauf sagte Ich laut: „Epheta!“, das heißt, „Tue dich auf!“[235,04] Und siehe, da erschienen zwei Propheten, Moses und Elias, und redeten klarmit Mir von dem, was sich in ein paar Jahren mit Mir zutragen werde, und ob solches nichtabgeändert werden könnte. (Matth.17,3) Ich aber beteuerte ihnen, daß Ich unmöglich etwasanderes tun könne als das nur, was der Vater, der in Mir ist und wohnt, will.[235,05] Da verneigten sich tief die beiden Propheten und sagten wie mit einerStimme: „O Herr, Dein Wille ist allein heilig und geschehe allzeit und ewig wie bei uns inden Himmeln also auch bei allen Menschen und Geistern auf Erden! Wir beide waren zuunseren Erdenlebenszeiten groß und angesehen um Deines Namens willen; doch wollten wirlieber nun mit Dir auf Erden sein, was diese drei und noch die andern, die nicht hier weilen,sind, obwohl sie jetzt und noch langehin um Deines Namens willen verachtet und verfolgtwerden!“[235,06] Sagte Ich zu Elias: „Du warst in jüngster Zeit doch auch mit Mir auf derErde, – hat dir des Herodes Werk an deinem Fleische wohlgetan?“[235,07] Sagte Elias: „Auf Erden nicht, aber um so wohler hier, und ich möchte trotzaller der größten Seligkeit, die nun für ewig mein Teil ist, Dir zulieb noch hundertmal denFleischesweg durchwandeln, so elend und dornig er auch ist!“[235,08] Hier übermannte die Jünger ein mächtiger Schlaf, daß sie zu Boden sankenund auf eine kurze Zeit ganz fest einschliefen.[235,09] Ich aber redete mit den beiden Propheten und sagte zu Elias: „Am Ende derZeiten dieser Erde wirst du wohl noch einmal im Fleische zu den Menschen der Erde gesandtwerden, aber nicht mehr mit verdeckter innerer Geistessehe, sondern also und noch hellerdenn die beiden früheren Male unter den Namen ,Sehel‘ und später ,Elias‘, und der BruderMoisez (Moses) wird dich geleiten, aber pur im Geiste; denn sein Fleisch bleibt bis ans Endeder Zeit ein Eigentum der Erde.[235,10] Aber dann wird alles Fleisch dieser Erde ins Geistige umgewandelt werden;du wirst dessen aber nimmer bedürfen, indem Ich dir ohnehin einen neuen Leib gab für ewig.Wache Mir aber wohl über die Kinder Israels, bis Ich heimkehren werde in Kürze, so Meingrößtes Werk vollendet sein wird! Alsdann auch werde Ich dir geben einen festen Stuhl inMeinem neuen Reiche. Denn siehe, es ist nun die Zeit da, die Ich dir dereinst auf Erdengezeigt habe, da Ich alles neu schaffe: zuerst Meine Geisterwelten, und später einmal wirddasselbe auch mit der Materie geschehen, bis sie den rechten Grad der Vollgärung erlangthaben wird! – Nun aber lasset uns die drei wieder vom Schlafe erwecken!“

236. Kapitel[236,01] Hier wurden die drei wieder wach, erhoben sich vom Boden und ersahenMich, Moses und Elias ohne Lichtglanz, was ihnen ganz angenehm war, da sie vom früherenzu starken Lichte überaus mächtig geblendet wurden. Sie erzählten, wie sie in ihrem Traumemit gar vielen Propheten aus der Vorzeit über alle Zustände des jenseitigen Lebens, geradealso wie auf Erden seiend und handelnd, gesprochen hätten und über viele geheime Dingeaufgeklärt worden seien.[236,02] Moses und Elias aber belehrten sie noch weiter über die mannigfachstenVerhältnisse des großen Jenseits.[236,03] Da wurden die drei so entzückt und glücklich, daß Petrus darauf lautausrief: „Herr, hier ist gut sein! So Du willst, wollen wir hier drei Hütten aufrichten: Dir eine,Moses eine und dem Elias eine!“ (Matth.17,4)

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[236,04] Und als er noch also von dem Bau der Hütten redete, da überschattete sieplötzlich eine dichte, lichte Wolke, so daß sie nicht eine Spannelang über sich hinaus irgendetwas sehen und wahrnehmen konnten.[236,05] Und siehe, eine Stimme sprach aus der Wolke: „Sehet, dies ist Meingeliebter Sohn, an dem Ich Mein Wohlgefallen habe, – diesen sollet ihr hören!“ (Matth.17,5)[236,06] Da das die drei hörten gleich dem mächtigen Rollen eines starken Donners,erschraken sie gewaltig und fielen darob auf ihr Angesicht. (Matth.17,6)[236,07] Ich aber trat alsbald zu ihnen hin, rührte sie an und sagte zu ihnen: „Stehetauf und fürchtet euch nicht!“ (Matth.17,7)[236,08] Als sie darauf ihre Augen vom Boden erhoben, sahen sie niemanden mehrdenn nur Mich allein und fingen an, sich stark zu wundern über alles das Gesehene undGeschehene. (Matth.17,8) Die drei aber wollten Mich nun noch um so manches fragen, undnamentlich um die Bedeutung alles dessen, was sie in ihrem Traum gesehen hatten.[236,09] Aber Ich sagte: „Das alles wird euch euer Geist, der eigentlich Mein Geistin euch ist, in eurer Seele selbst offenbaren, und ihr werdet es sodann lebendig in euch haben;denn erkläre Ich es euch jetzt, so werdet ihr das Erklärte in euer Wissen aufnehmen und dannglauben, daß es also sei, weil Ich es euch eben also erklärt habe. Aber da seid ihr noch langenicht in der vollen Wahrheit, und das darum, weil das Erklärte nicht euer Eigentum ist,sondern nur Dessen, der es euch erklärt hat aus Seinem lebendigen Schatze; aber wenn euerGeist es euch in eurer Seele offenbart, dann ist die Offenbarung euer Eigentum, und ihr seidalso dann erst in der vollen Wahrheit.[236,10] Der Geist aber, von dem Ich sage, daß er euer Geist sei, ist eben auch MeinGeist in euch und weiß um alle Dinge und Verhältnisse gleichwie Ich Selbst und kann euch inalle Weisheit leiten. Aber jetzt ist er in euch noch nicht wach und vollwirkend, das heißt, er istzwar für sich wohl wach und wirkend, aber sein Wachsein und Wirken ist für euch,wennschon für euch, noch wie etwas Fremdes und euch nicht Angehöriges, weil eure Seelenoch nicht rein genug ist, um sich mit Meinem Geiste völlig zu einen.[236,11] Aber so Ich nach Meinem euch schon bekanntgegebenen Leiden werdeaufgefahren sein in Meine Himmel, so werde Ich erst den heiligen Geist aller Wahrheit übereure Seelen ausgießen und sie mit ihm vereinen. Dieser Geist, der dann in euch mit euchvöllig eins sein wird für ewig, wird euch dann in alle Wahrheit und Weisheit leiten.[236,12] Von diesem hier gehabten Gesichte aber saget vor Meiner euchbekanntgegebenen Auffahrt niemandem etwas, wie auch nichts, was Ich gewirkt habe beiCäsarea Philippi und hier unten bei diesen Fischern! – Und nun begeben wir uns wieder vomBerge hinab ins Dorf unserer Fischer!“[236,13] Und wir traten den Rückweg an, und auf dem Wege warnte Ich auch diedrei, daß sie von dem Gesichte auch den andern Brüdern nichts mitteilen sollten bis zurbestimmten Zeit, das ist, bis nach Meiner Auferstehung und Auffahrt. (Matth.17,9)

237. Kapitel[237,01] Petrus aber trat zu Mir, als wir noch auf dem Wege vom Berge herab waren,und fragte Mich, was das zu bedeuten habe, so die Schriftgelehrten sagen, es müsse vor derAnkunft des Messias der Elias kommen und alles zurechtbringen und also bereiten dem Herrndie Wege. (Matth.17,10)[237,02] Darauf sagte Ich zu Petrus: „Da haben die Schriftgelehrten recht, und dunun auch mit deiner Frage! Elias sollte wohl zuvor kommen und alles zurechtbringen(Matth.17,11), doch sage Ich euch: Elias ist schon dagewesen, aber sie haben ihnebensowenig erkannt wie nun Mich und haben an ihm getan, was sie wollten. Geradealsowerden sie auch an Mir, dem Menschensohne, tun, wie Ich es euch schon zum voraus mehrereMale kundtat. (Matth.17,12) Ich sage es euch: Diese ganz verkehrte Art wird nicht eher ruhen,als bis sie erreicht hat das Ziel ihrer Rache und dadurch dann aber auch ihr Gericht![237,03] Johannes, in dem Elias Geist wohnte, tat Zeichen, lehrte und taufte undbereitete also das Volk für Mich vor. Was geschah ihm dafür? –[237,04] Ich Selbst lehre nun eine reinste Lebenslehre und wirke Zeichen, die auf

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dieser Erde noch nie gewirkt worden sind und hinfort auch nicht mehr gewirkt werden insolcher Größe und Ausdehnung; darum haben sie noch um so mehr Zorn und Rache überMich und werden mit Zulassung von oben an Mir das tun, was Ich euch schon vorausangedeutet habe.[237,05] Es regt sich in eurer Brust freilich stets die alte Frage von neuem, warumIch Selbst über Mich von den Menschen so etwas kommen lasse. Aber auch darüber seid ihrschon mehr denn zur Genüge belehrt worden, und so lasset uns nun hinabziehen ins Tal zuden Unsrigen!“[237,06] Als Ich diese Rede beendet hatte, da erst ersahen die drei, daß Johannes derTäufer eigentlich der Elias war. (Matth.17,13)[237,07] Als wir aber noch also fortgingen ins Tal hinab, da fragte Mich abermalsPetrus und sagte: „Herr, aber es ist doch etwas Sonderbares mit dem Elias! Er war alsovollernstlich schon dreimal auf dieser Erde und allzeit – sage – im Fleische?[237,08] Die ersten zwei Male, als Sehel und später als Elias, ist er nicht gestorben,sondern nur gleich mit dem höchst sicher ganz verklärten Leibe in die Himmel aufgefahren,obwohl er ebenalso wie das letzte Mal aus einem Weibe ist zur Welt geboren worden; diesletzte Mal aber mußte er wirklich entleibt werden. Was ist mit seinen früheren zwei Leiberngeschehen, und was wird nun mit diesem geschehen? Wird er in Deinem Himmelreiche, wennalles vollendet sein wird, mit drei Leibern einhergehen? Denn es heißt ja, daß am JüngstenTage auch die Leiber auferstehen werden und wieder mit ihren Seelen vereinigt werden! Wiesollen wir das verstehen?“[237,09] Sagte Ich: „Was die Auferstehung des Fleisches und was der Jüngste Tagbesagt, habe Ich schon zu Cäsarea Philippi und da unten im Dorfe mehr denn zur vollstenAnschauung erläutert. Hast du dir denn nicht Meine Reden gemerkt? Wie soll Ich dir einesund dasselbe wiederholen? Du aber weißt wohl etwas davon, doch ohne Zusammenhang, unddaran schuldet dein noch sehr starkes Judentum, daß du trotz aller Meiner vielen Erklärungenin deiner alten, verschrobenen Phantasie noch immer alles wörtlich nimmst![237,10] Nimm die rechte Ansicht an und werde in diesem Meinem wahrhaft reinstenLichte verständig, so wirst du nicht mehr um derlei Dinge fragen, die dir vor jedem andernschon lange verständlich sein sollten![237,11] Ist denn nicht ein Tag, in welchem ein Kind zur Welt geboren wird, dessenjüngster Tag? Oder ist nicht selbst ein jeder Tag, den du erlebst, ein jüngster, und dagegendein Geburtstag, der dir einst ein jüngster war, nun dein ältester?[237,12] Das Fleisch, aus dem nun dein Leib besteht, das wird verwesen, übergehenin Würmer und Pflanzen und in deren Seelen, und es werden aus ihm ganz fremde Wesen, diedann ewig mit deiner Seele und mit deinem Geiste nichts mehr zu tun haben werden.Verstehe! Der jüngste Tag für deine Seele wird aber nach dem dir nun Erklärten offenbar dersein, an dem du aus deinem Leibe wirst genommen werden.“

238. Kapitel[238,01] (Der Herr:) „Unter der Auferstehung des Fleisches aber verstehe du dieguten Werke der wahren Nächstenliebe! Diese werden sein das Fleisch der Seele und sogleichmit ihr an ihrem geistweltlich jüngsten Tage nach dem wahren Posaunenrufe dieser MeinerLehre zum ewigen Leben als gediegener ätherischer Leib auferstehen. Ob du hundert Maleauf der Erde getragen hättest einen Leib, so wirst du jenseits aber nur einen Leib, und zwarnur den bezeichneten haben. – Hast du das nun verstanden?“[238,02] Sagte Petrus: „Ja, Herr und Meister, das ist mir nun klarer denn je! Aber ichkann mich noch eines Textes aus einem Propheten erinnern, der da etwa also lautet: ,Indeinem Fleische wirst du dereinst deinen Gott schauen; darum halte es rein und verunreinigees nicht durch allerlei Sünde! Mit einem sündigen Fleische wirst du Gottes Angesicht nimmerschauen!‘ So ungefähr lautet der Text, und es ist für den Menschenverstand da schwer, etwasanderes herauszufinden. Wie soll man denn hernach das im wahren Sinne nehmen?“[238,03] Sagte Ich: „So wie das Frühere! ,In deinem Fleische wirst du Gott schauen‘heißt soviel als: In deinen guten Werken nach dem wohlerkannten Willen Gottes wirst du

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deinen Gott schauen, weil nur die Werke es sind, die die Seele mit ihrem Leibe, der ihr bloßzu einem Werkzeuge gegeben ist, ausübt, und die einer Seele entweder den Adel vor Gottoder auch das Gegenteil geben. Reine Werke geben das Reine, unreine das Unreine. Das reineDenken nach der reinen Wissenschaft und das auch sonst keusche und reine Sich-Verhaltenallein ohne Werke der Nächstenliebe oder mit zuwenig derselben verschafft einer Seele nochlange keinen geistigen Leib und somit auch keine Anschauung Gottes.[238,04] Denn wessen Seele noch in so lange hin derart blind ist, daß sie nichteinsieht, daß nicht das pure Wissen allein, sondern nur vor allem die Werke nach dem reinenWissen und Glauben der Seele die wahre Lebensfestigkeit geben, der ist noch sehr armseligdaran und gleicht einem Menschen, der ganz gut ein Haus aufzubauen versteht und auch desbesten Baumaterials in großer Menge besitzt, aber sich nicht dazu entschließen kann, seineHände ans Werk zu legen. Saget, wird der wohl einmal ein Haus besitzen und sich, so dakommen Stürme und der Winter, darin verbergen und schützen können vor der wildenElemente entfesselter Gewalt?[238,05] Was nützet dir im Sturme das allerbegründetste Wissen und Kennen darin,daß die wohlgebauten Wände eines Hauses den Stürmen Trotz bieten können, demzufolge derim Hause Wohnende vor ihrer Macht völlig sicher ist, so du kein Haus besitzest und aufdeiner Wanderung über die noch starke Wüste deines Lebens auch kein fremdes mehr irgenderreichen kannst?[238,06] Ja, Meine Lieben, das noch so reine Wissen und Glauben hat keine festenWände, die euch schützeten zur Zeit der Stürme; wohl aber sind und haben das die Werke derwahren Nächstenliebe. Sie sind der wahre, bleibende Leib der Seele, ihr Wohnhaus, ihr Landund ihre rechte Welt. Dieses merket euch wohl, nicht allein euretwegen, sondern auch vorallem deretwegen, denen ihr das Evangelium predigen werdet nach Mir! So sie einmal wissenund glauben werden das Wort des Heils, so ermahnet sie, zu tun die wahren Werke der vonMir so oft gebotenen Nächstenliebe![238,07] Denn wahrlich sage Ich euch: So da jemand sagt, er liebe Gott über alles,dabei aber nicht achtet der Not seines armen Bruders, der wird Gott nimmer in seinemFleische schauen! Denn die Pharisäer und Schriftgelehrten sagen es auch, daß sie Gott dienenim reinsten Maße und Sinne und durch ihre Gebete und Opfer in einem fort die sündigeMenschheit mit Gott versöhnen; dafür aber ziehen sie das Volk ganz aus, und es ist bei ihnenvon keiner Nächstenliebe je eine Rede. Was nützet dann solches? Es nützt weder denPharisäern noch dem Volke![238,08] Denn fürs erste hat Gott noch nie irgendeines Menschendienstes bedurft,und noch weniger irgendeines Brandopfers geschlachteter Tiere. Aber das Opfer, das diewahre Nächstenliebe Gott darbringt in guten Liebeswerken, das siehet Er an mitwohlgefälligen Augen, und Sein Lebenssegen wird da auch nicht unterm Wege verbleiben. –Verstehest du, Petrus, nun, was das heißt: ,in seinem Fleische Gott schauen‘?“[238,09] Sagt Petrus: „Ja, Herr, nun bin ich schon völlig im klaren; denn Du, o Herr,hast uns das nun ja doch so klar gezeigt, daß wir es schon ganz ordentlich mit Händen undFüßen begriffen haben. Wir danken Dir darum! – Aber nun sind wir auch schon wieder imOrte; doch anstatt Mittag wird es nun schon nahe Abend sein!“[238,10] Sage Ich: „Das tut nichts! Wir werden etwas Brot und Wein nehmen unduns dann sogleich weiterbegeben! Darum gehen wir das kleine Stückchen Weges nur rechtbehende!“

239. Kapitel[239,01] Wir verdoppelten unsere Schritte und erreichten bald Azionas Wohnhaus,allwo die anderen Jünger unser harrten und Aziona, Hiram und Epiphan schon ein gutes Mahlfür uns in Bereitschaft hielten, bestehend aus Fischen, Brot und Wein.[239,02] Petrus sagte freilich beiseits zu Mir: „Herr, Du hast unterwegs zu uns nurvom Brot und Wein geredet, und nun sind auch Fische da! Dürfen wir nun auch Fischeessen?“[239,03] Aber Ich verwies ihm solch eine echt tempeljüdische, kleinliche

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Bedenklichkeit und sagte: „Was dir vorgesetzt wird, das iß, und es wird weder deinem Leibe,noch irgend deiner Seele schaden; nur vor der Unmäßigkeit hat sich jedermann, und somitauch ihr, zu hüten.[239,04] Was übers Maß ist, das ist für den Menschen vom Übel. Unmäßigkeit imEssen erzeugt Magenkrankheiten, – Unmäßigkeit im Trinken aber erzeugt neben den MagenundBrustübeln auch die Geilheit des Fleisches und gebiert die Unzucht aller Art und Gattung.[239,05] Darum seid in allem mäßig und nüchtern, und ihr werdet in einem stetsgesunden Leibe auch eine gesunde und heitere Seele haben! Wer aber da Speise für sich undfür andere bereitet, der bereite sie frisch und gut, so wird sie ihm nicht schaden! Dies merketeuch auch zu dem vielen andern hinzu!“[239,06] Petrus aber fragte noch und sagte: „Herr, sündigen die sonst oft sehrachtbaren Heiden nicht, so sie das Fleisch der unreinen Tiere essen? Denn uns Juden ist esuntersagt, und wer es äße, würde eine grobe Sünde gegen das Gesetz Mosis begehen.“[239,07] Sagte Ich: „Im Notfalle kannst auch du als ein strenger Jude aller TiereFleisch essen, und es wird dir gut dienen; denn alle Nahrung, die zu nehmen ein Menschdurch die Not gezwungen wird, ist von Mir aus gereinigt, – nur muß er dabei eine nochgrößere Mäßigkeit beachten![239,08] Das Fleisch der Schweine ist gut; aber es muß das geschlachtete Tier sehrgut ausbluten, dann bei sieben Tage lang in Salz und Essig mit Thymiankräutl eingeschwertliegen. Darauf nehme man es aus solcher Beize, trockne es mit Linnen gut ab und hänge esdann einige Wochen lang in den Rauch von gutem Holze und Kräutern, bis es völlig hart undganz trocken wird. So man es dann genießen will, so siede man es zuvor in halb Wasser undhalb Wein mit Thymian und Steinwürzlein (Petersilie), und man wird damit ein gutes undgesundes Nährmittel auf dem Tische haben; doch müssen diese Tiere stets im Wintergeschlachtet werden.[239,09] Wie da aber mit den Schweinen, so ist auch mit den andern unreinen Tierenzu verfahren, so ihr Fleisch bei mäßigem Genusse dem Menschen nicht schaden soll. Wieaber mit den Landtieren, ebenso auch mit dem verschiedenartigen Gevögel der Luft und mitdem mannigfachen Getier in den großen Meeren![239,10] Und nun wirst du, Petrus, etwa wohl wissen, was du essen darfst und wie,damit du nicht sündigest wider deinen Magen und auch nicht wider deine Seele! Nun aber laßtuns schnell das Mahl nehmen und darauf sogleich weiterziehen!“[239,11] Wir setzten uns zu Tische und nahmen das Mahl.[239,12] Es kam aber Aziona und sagte: „Herr und Meister, wolltest Du denn nichtlieber morgen in der Frühe fortziehen denn jetzt am Abende?! Es ist von hier nach jedem mirbekannten Orte Stunden Weges weit hin, und es wird Dich eher die Nacht ereilen, als bis Duan irgendeinen Ort kommst!“[239,13] Ich aber sagte: „Bleibet im Herzen bei Mir und in Meiner Lehre, und Ichwerde auch also bei euch sein hier in eurer Erdenzeit und jenseits ewig! Aber nun muß Ichvon hier ziehen; denn es harren unfern von hier viele Meiner. Dahin muß Ich eilen und ihnenhelfen. Ich aber werde in der Winterszeit euch also wie jetzt schon wieder einmal einige Tagelang besuchen; denn Ich werde unfern von hier, etwa in Kis in der Nähe von Kane, denWinter zubringen. Nun aber löset Mir unser Schiff ab vom Stocke, und Ich werde sodann mitMeinen Jüngern Mich sogleich von hier begeben!“[239,14] Hierauf geschah schnell, wie Ich's befohlen hatte. Ich bestieg das Schiff undstieß schnell ins Wasser und fuhr ab mit gutem Winde. Wir umfuhren den nördlichen Teil desGebirgsfußes und kamen bald in eine kleine Bucht, die gerade der, wo wir uns nun dieetlichen Tage aufgehalten hatten, über das von Mir bestiegene Gebirge gegenüberlag.[239,15] An den Ufern der Bucht lag ein Dorf, wo recht viel Volkes wohnte undzusammenkam; denn es war das ein Handelsplatz, wo man das beste Salz zu Markte brachte,auch das reinste Bergöl, Bauholz, Kochgeschirre und allerlei andere Hausgerätschaften. Undes war darum dieser Ort ein recht wohlhabender und stets von vielen Menschen aus allenGegenden und Orten häufig besuchter, und zugleich war das auch der Ort, dahin MeineJünger gekommen waren, als Ich sie vor etwa ein paar Monden auf eine kurze Zeit vor Mir

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ausgesandt hatte, damit sie die Menschen auf Mich vorbereiten sollten, und von wo Ich sie aufeine wunderbare Weise dann wieder zu Mir auf das Gebirge bei Kis berief; und so war Ichallda schon gewisserart bekannt, und noch mehr Meine Jünger, die sich bei der soebenangegebenen Gelegenheit mehrere Tage allda aufgehalten hatten.

240. Kapitel[240,01] Wir landeten, befestigten unser Schiff und stiegen noch bei hellem Tage ansLand. Es war aber an diesem Tage ein großer Jahrmarkt und viel Volkes anwesend.[240,02] Als wir aber zum Volke kamen, da wurden wir von vielen Menschenalsbald erkannt, und einer kam, fiel Mir zu Füßen (Matth.17,14) und sagte: „Herr, erbarmeDich über meinen Sohn, er hat ein schweres Leiden; denn er ist mondsüchtig, wie die Ärztesagen, und hat darin eine große Qual, daß er oft ins Feuer und ins Wasser fällt! (Matth.17,15)Als erst vor nicht gar langer Zeit Deine Jünger hier waren und durch Auflegung ihrer Händeviele recht schwer Kranke geheilt haben, da brachte ich auch meinen Sohn zu ihnen; aber siekonnten ihm nicht helfen.“ (Matth.17,16)[240,03] Da sagte Ich zu eben jenem Teile Meiner Jünger, dessen Glaube noch zukeinem Fels geworden war, und der eben vor ein paar Monden allda in Meinem Namengewirket hatte: „O du ungläubige und verkehrte Art! Wie lange soll Ich denn noch bei euchsein und wie lange euch dulden? Bringet Mir den Kranken hierher!“ (Matth.17,17)[240,04] Da erhob sich der Vater des kranken Sohnes, eilte in sein Haus und brachteihn alsbald zu Mir. Als der Knabe bei Mir war, da machte er ein erbärmlich verzerrtesGesicht; denn der arge Geist, von dem der Knabe besessen war, riß ihn noch ein paarmal vorMir und stieß dabei durch den sehr verzerrten Mund des Knaben mehrere arge Flüche undVerwünschungen aus, die hier wiederzugeben eine unnütze Sache wäre. Ich aber bedrohte denargen Geist sehr und hieß ihn, augenblicklich zu verlassen des Knaben Leib und zu fahrenhinab zur Hölle. Da fuhr der Arge sichtlich aus dem Knaben, und der Knabe ward sogleichvöllig gesund. (Matth.17,18)[240,05] Der arge Geist aber hatte die Gestalt einer großen, schwarzen, zottigenKatze und bat Mich, sagend: „Du Sohn des Allerhöchsten, erlasse mir die Hölle und bestrafemich durch sonst etwas!“[240,06] Ich aber sagte: „Hebe dich von hier und büße deine vielen Greuel, die duvor achtzig Jahren hier auf Erden, im Fleische seiend, verübt hast, in den kahlen Talschlündendes Mondes, allwo du ehedem warst!“[240,07] Da bekam der Arge die Gestalt eines mit großen Fledermausflügelnversehenen Affen und flog sogleich auf und pfeilschnell davon. Da wunderten sich dieMenschen, und viele entsetzten sich über solchen Anblick.[240,08] Ich aber beruhigte sie und sagte: „Fürchtet euch nicht; denn Mir ist alleGewalt gegeben im Himmel wie auf dieser Erde, und dieser Geist, der sieben Jahre lang denKnaben gepeinigt hat, wird fortan nimmer dieser Erde nahe kommen!“[240,09] Da fragte Mich aber der Vater des nun ganz kerngesunden Knaben: „Herr,warum mußte denn diesem meinem Sohne das geschehen, da er bisher noch nie irgend aufeine nur scheinbare Weise gesündigt hat, so wie sich überhaupt auch mein ganzes Haus stetsstreng nach dem Gesetze verhalten hat? Und doch mußte gerade der Allerunschuldigste solcheine geraume Zeit hindurch gar elendig gemartert werden! So etwas kann ja doch nur durchdie Zulassung Gottes geschehen! Warum aber läßt Gott so etwas zu?“[240,10] Sagte und antwortete Ich: „Den Gott besonders liebhat, den prüft Er, und soder Geprüfte die Prüfung wohl bestehet, dann hat er aber auch für ewig sein Heil gefunden![240,11] Es ist aber deines Knaben Seele aus einer jener großen Welten, derenzahllos viele über dieser und unter dieser Erde erfüllen den endlos großen Himmelsraum. Ihrwar um ihres Heiles willen nebst der Probe des Fleischtragens auch diese notwendig, durchwelche sie nun schon in der Jugend jene Kraft erhielt, die so manche andere Seele nichterlangt, so sie auch hundert Jahre lang den Druck ihres schweren Fleisches zu ertragen hätte.[240,12] Glaube es Mir: Die Menschen wissen es nicht und können es auch nichtwissen, warum da irgend etwas ist und geschieht; aber Gott weiß ganz und gar um alles!

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[240,13] Der arge Geist aber war vor achtzig Jahren ein gar wucherischerSchweinemäkler und trieb einen großen Handel, ward sehr reich und trieb als Jude am Endesogar den Sklavenhandel, wobei er großer Grausamkeiten sich bediente. Er starb endlich eineselenden Todes, und sein Los war, zu gelangen in das Reich der Teufel als selbst Teufel.[240,14] Und weil es ihm da schlecht behagte, so fing er an, in sich zu gehen undgedachte in seinem Innersten: ,Warum muß ich denn ein Teufel geworden sein? Daranschuldete mein schlechter, gefräßiger Leib. Laßt mich noch einmal zurückkehren in das gute,nüchterne Fleisch eines unschuldigen Knaben, und ich will darin zu einem Engel werden!Und so des Knaben Fleisch nur irgendeine kleinste Begierde nach einer Gefräßigkeitverspüren sollte, so soll es von mir aber auch sogleich gezüchtigt werden!‘[240,15] Und siehe, da dies der zwar sehr argen Seele ein ganz ernster Entschlußwar, so ward er ihr faktisch gewährt. Der Erfolg davon aber ist nun für den Knaben ein guter,und die früher sehr arge Seele hat nun für sich schon eine bessere Richtung und schon etwasmehr Menschliches angenommen. Das Weitere werden die höchst kahlen und unwirtlichenTalschlünde des Mondes tun!“[240,16] Hierauf fragte Mich der Mensch weiter und sagte: „Ist denn der Mond aucheine Welt? Und wie ward denn mein Sohn mondsüchtig? Denn er mußte nebst derBesessenheit das sein, weil der Vollmond auf sein Leiden einen großen Einfluß hatte.“[240,17] Sagte Ich: „Daß der Mond auch eine Art Erde und Welt ist, das wirst du nunnoch schwer oder gar nicht begreifen, obwohl es also ist; aber Meine Jünger begreifen das,und die späteren Nachkommen werden es nur zu gut begreifen und einsehen. Daß aber deinKnabe stets eine so große Furcht vor dem Vollmonde hatte, das lag nicht in seiner Natur,sondern in der seines Plagegeistes, der ursprünglich aus jener sehr magern und höchstunwirtlichen Welt herstammte. Alles Weitere brauchst du nicht zu wissen.“[240,18] Als viele Umstehende das auch mit anhörten, sagten sie: „Das ist doch einsonderbarer Mensch! Er leistet Wunder wie irgend ein großer Prophet, gleich darauf fängt eraber an zu faseln und redet gleich einem Irrsinnigen!“[240,19] Aber der Mensch trat zu ihnen hin und sagte ganz ernstlich: „Er ist sichernicht irrsinnig, – aber wir sind es, weil wir seine Weisheit gar nicht zu fassen imstande sind!“[240,20] Da entstand ein kleiner Wortstreit unter ihnen, den aber der geheilte Knabedurch einige sehr triftige Worte zu Ende brachte.[240,21] Darauf traten Meine Jünger zu Mir und fragten Mich, sagend: „Herr, sagenun aber uns, warum wir eben diesen Geist nicht haben auszutreiben vermocht; denn wirhaben ja doch mehrere andere in Deinem Namen ausgetrieben?“ (Matth.17,19)[240,22] Sagte Ich: „Vorerst um eures Unglaubens willen! Denn Ich sage es euch:Wahrlich, so ihr des festen, ungezweifelten Glaubens habet nur wie ein Senfkörnlein groß, somöget ihr zu diesem hohen Berge sagen: ,Hebe dich von hinnen dorthin übers Meer!‘, so wirder sich auch sogleich heben, und euch wird nichts unmöglich sein! (Matth.17,20) Aber dieseArt fährt dennoch nicht anders aus denn durch Beten und Fasten. (Matth.17,21)[240,23] Als ihr hier waret, da hatte der Knabe noch nicht den höchsten Grad desFastens und Betens erreicht, wie das sein Besitzer verlangte. Nun aber ist dieser Falleingetreten, und da hätte der Gläubigste von euch ihn auch auszutreiben vermocht, obschonder Geist sich sicher noch sehr hartnäckig erwiesen hätte. Aber jetzt war es also besser. – Nunwird es aber schon Abend, da die Sonne sich unter den Horizont senkt, und so wollen wir indas Haus des Menschen gehen, dessen Knaben Ich geheilt habe!“

241. Kapitel[241,01] Der Mensch aber vernahm das und ward überfroh, daß Ich bei ihm Herbergezu nehmen bestimmt hatte. Der Mensch bereitete ein Abendmahl und war sehr freundlich mituns, sowie auch sein ganzes Haus. Nur widerriet er uns, nach Jerusalem zu gehen; denn er seierst jüngst des Handels wegen dort gewesen und habe nur zu klar vernommen, welch einenunversöhnlichsten Haß die Pharisäer besonders auf Mich hätten.[241,02] Ich aber sagte: „Freund, Ich kenne ihre geheimsten Gedanken! Und was sieMir antun wollen und auch noch werden, das weiß Ich auch sehr genau. Aber so sie Mich

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auch töten werden, so wird ihnen das dennoch nichts nützen; denn nach drei Tagen werde Ichden Tod besiegen und auferstehen und wieder bei den Meinen sein bis ans Ende der Welt! –Aber nun nichts mehr davon, sondern gib du uns ein gutes Nachtlager, und wir wollen uns zurRuhe begeben, da unsere Glieder sehr müde geworden sind!“[241,03] Der Wirt tat das sogleich, und wir begaben uns zur Ruhe. Die Nacht wurdebald durchgeschlafen, und wir waren vor dem Aufgange schon auf den Füßen. Und unserWirt beschäftigte auch schon sein ganzes Haus und ließ für uns ein Morgenmahl richten. Alsdas eingenommen war, fragten Mich die Jünger, was da nun Weiteres zu tun sein werde.[241,04] Und Ich sagte: „Jetzt wird weitergefahren; denn hier gibt es nicht viel zutun!“[241,05] Da fragte der Wirt, sagend: „Ich wäre aber der Meinung, daß es eben hiersehr viel zu tun gäbe; denn es gibt in diesem Flecken ja doch eine große Anzahl Menschen!“[241,06] Sagte Ich: „Das ist wohl wahr; aber es sind das zumeist pur Handelsleute,und die haben entweder wenig oder gar keinen Sinn für uns. Daher wollen wir uns irgendwoanders hinbegeben, wo es nicht so viele Handelsleute und Wechsler gibt.“[241,07] Hierauf erhob Ich Mich mit den Jüngern, und wir bestiegen unser Schiff undfuhren schnell ab. Gegen die Mitte des Tages kamen wir bei unserer diesmal etwas langsamenFahrt längs dem Ufer in unser altes Jesaira. Als uns hier die Menschen ersahen, liefen sie unsscharenweise entgegen und baten Mich, daß Ich ihre Kranken heilen möchte.[241,08] Ich aber sagte: „Ich bin nicht gekommen darum nur, daß Ich heilete eureKranken, sondern vielmehr darum, euch zu verkünden, daß das Reich Gottes nahe zu euchgekommen ist, wie Ich es schon einmal getan habe vor einer nicht gar langen Zeit; aber ihrachtetet damals nicht viel darauf, weil ihr Mich kanntet von Nazareth aus, und jetzt haltet ihrerst so recht gar nichts darauf! Und so bleibe Ich auch nicht bei euch und heile auch eureKranken nicht! Gehet zu euren Ärzten; sie werden mit euren Kranken schon fertig werden!“[241,09] Auf das wurden einige mürrisch, andere aber blieben und baten gleichfort,daß Ich heilete ihre Kranken.[241,10] Ich aber sagte: „Wohl denn, wer von euch glaubt, daß Ich der verheißeneMessias bin, der lege seinem Kranken in Meinem Namen die Hände auf, und es soll bessermit ihm werden, mit welchem Übel er auch behaftet sei!“[241,11] Da schrien viele: „Wir glauben, wir glauben!“[241,12] Darauf verließen sie hastig das Ufer und eilten zu ihren Kranken, von denenetliche sogleich frisch und gesund wurden. Aber jene, die nicht recht im Herzen glaubten,legten ihren Kranken vergeblich die Hände auf und liefen wieder ans Ufer, um sich mit Mirzu beraten, woran es fehle, darum ihnen nicht gelinge, was doch mehreren ihrer Nachbarngelungen sei. Aber Ich war nicht mehr an Ort und Stelle, sondern schon weit weg, und zwarnahe einem Orte, allda eben Petrus seine Fischerhütte hatte, unfern Kapernaum.[241,13] Da blieben wir ein paar Tage lang und ruhten von unseren Mühen ein wenigaus und halfen der Familie Petri fischen. Hier ließen wir auch das Schiff und machten dann zuFuß Reisen in Galiläa und besuchten eine Menge Orte, Dörfer und Flecken. Ich und dieJünger verkündeten das Evangelium, fanden vielfach eine gute Aufnahme, aber auch vieleGegner. Denn auf dieser Reise tat Ich wenig Wunder, denn es fand sich dazu wenig Glauben.Überhaupt aber gesagt, war das nördliche Galiläa damals zu viel von Griechen und Römernunterspickt und stets von einer Menge Zauberer und Magier durchzogen, die da ihr Wesentrieben, daher allda die Wunder auch eben nicht viel besagten und in keinem großen Ansehenstanden. Es war darum besser, hier unterdessen nur den guten Samen auszustreuen, ihnaufgehen zu lassen und erst etwa um ein Jahr später dahin zu gehen und eine weitere Pflegezu unternehmen.

242. Kapitel[242,01] Als wir mit unserer Reise durch das nördliche Galiläa zu Ende waren, dafragten Mich die Jünger und sagten: „Herr, wir sind nun ein paar Monde lang in Obergaliläaumhergezogen von Ort zu Ort und beinahe von Haus zu Haus und haben gepredigt DeineLehre, und viele haben sie mit viel Liebe und Glauben angenommen und haben sich also vom

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Heidentume zum Judentume bekehrt. Wir sind nun mit Galiläa nahe fertig; was sollen oderwas werden wir nun beginnen? Sollen wir etwa gar in das Dir und uns allerfeindlichstgesinnte Judäa, Ituräa, Trachonitis oder nach Kleinpalästina ziehen?“[242,02] Sagte Ich: „So ihr die Menschen lehret Mein Wort, da ist eure Rede gut undweise; wenn ihr aber solches und der Dinge der Welt Dümmstes redet mit Mir, da seid ihrganz gewöhnlichen Menschen gleich und denket und redet gleich wie sie! Wenn Meine ZeitMeines euch schon zu öfteren Malen vorhergesagten Leidens kommen wird, da wird sie auchunabänderlich dasein; solange sie aber nicht da ist, können wir hundertmal nach Jerusalemund Bethlehem ziehen, und es wird niemand Hand an uns legen! – Habt ihr Michverstanden?“[242,03] Sagte Petrus: „Ja, Herr; denn nun hast Du wieder einmal ganz klar geredet!Aber nun sage uns einmal denn auch ganz klar heraus, wie Dein Leiden beschaffen seinwird!“[242,04] Sagte Ich: „Ich habe es euch ja doch schon beim alten Römer Markus undwieder bei den armen Fischern kundgetan und auch schon früher, als wir nach Cäsareahinzogen, was sich mit Mir etwa von nun an in ein paar Jahren zu Jerusalem zutragen wird.Wie fraget ihr denn jetzt dennoch wieder darum? Ja, ihr habet eine große Angst darin, und sofraget ihr um eurer Angst willen; aber damit sich eure Seelen daran gewöhnen, so sage Icheuch nun wieder:[242,05] Es wird dann in jener Zukunft sein, daß Ich, aber nur als ein Menschensohn,überantwortet werde in der Weltmenschen Hände. (Matth.17,22) Sie werden an Mir zwar das,was des Menschensohnes ist, töten; aber am dritten Tage wird der getötete Menschensohn –sage – mit Haut und Haaren wieder auferstehen und mehr denn jetzt lebendig hervorgehen ausdem Grabe als ein ewiger Sieger über Tod und Hölle, und ihr werdet Mich wieder so wie nunin eurer Mitte haben. (Matth.17,23) Euch aber wird darum kein Haar gekrümmt werden! –Verstehet endlich einmal, wie diese Sache steht!“[242,06] Sagten alle: „Ja, Herr, von nun an verstehen wir es und sehen auch soziemlich, und es kommt uns vor, als vernähmen wir also lautende Worte in uns: Man mußzuvor sogar auch einen unsterblichen Leib haben, so man den sehr sterblichen, blinden undbösen Menschen die Augen zum Leben öffnen kann in vollster Weise.“[242,07] Und Ich sagte dazu: „Amen, also ist es; denn wer nicht selbst ganz durchund durch geistig lebendig ist, kann dem andern nicht das volle ewige Leben sichern! Ich aberbin darum in diese Welt gekommen, um das zu bewirken durch Wort und Tat, und so mußauch das geschehen. Denn auch Mein Leib ist nun noch so gut sterblich wie der eurige; erwird aber dadurch unsterblich werden, und Ich werde danach auch euch das vollste ewigeLeben vollkommenst sichern können. – Habt ihr das nun verstanden?“[242,08] Nun verstanden die Jünger das schon besser und wurden beruhigter.

243. Kapitel[243,01] Unter noch manchen Gesprächen dieser Art, durch die die Jünger aus ihrerBetrübtheit kamen, kamen wir aber auch in die Nähe von Kapernaum. Und da war eineWegmaut; diese stand in der Nähe des Galiläischen Meeres und forderte von jedermann denWegzinsgroschen.[243,02] Es ging daher der Mautner, dem wir gar wohl bekannt waren, zu Petrus hinund sagte: „Pflegt euer Meister nicht den Zinsgroschen zu zahlen?“ (Matth.17,24)[243,03] Und Petrus antwortete: „O ja, so jemand von Ihm welchen verlangt; aberwir sind fürs erste keine Fremden, die allein nach dem Gesetze den Zinsgroschen zuentrichten haben, und fürs zweite hat keiner von uns samt dem Meister ein Geld. Du weißt,daß dort am Meere, kaum zweihundert Schritte von hier, mein Haus steht. Wir gehen nundahin und werden sicher einige Tage dort verweilen, und ich werde dir sogleich denZinsgroschen herüberbringen.“[243,04] Da sprach der Zöllner: „Es hat damit ja keine Eile; außer eurem Meister, derkein Kapernaumer ist, seid ihr andern ja ohnehin frei, weil ihr Hiesige seid.“[243,05] Auf diese Abfertigung zogen wir dann heim in des Petrus Haus, und als wir

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da waren, fragte Ich den Jünger und sagte: „Was dünkt dich nun, Simon Petrus? Von wemnehmen denn so ganz eigentlich die Könige auf dieser Erde den Zoll oder Zins? Von ihrenheimischen Kindern oder nur, wie Mir wohl bekannt, allein von den Fremden?“ (Matth.17,25)[243,06] Sagte Petrus: „Wie ich schon beim Zollhause mit dem Zöllner verhandelthabe – gesetzlich nur von den Fremden!“[243,07] Da sagte Ich weiter: „Alsonach sind wir als Kinder frei! (Matth.17,26) Aberauf daß wir diese Habgierigen nicht ärgern, und da du nach der Beteuerung deinerAngehörigen auch im Hause keinen Pfennig Geldes besitzest, so nimm eine starke Angel,gehe ans Meer hin und wirf die Angel, und der erste Fisch, der dir herauffährt, den nimm; undso du seinen Mund auftust, wirst du einen Stater (Zweigroschenstück) darin finden! Diesennimm, trage ihn hin und gib ihn dem Zöllner für Mich und dich!“ (Matth.17,27)[243,08] Petrus tat nun sogleich, wie Ich es ihm befohlen hatte. Und siehe, einsiebenpfündiger Lachs bekam die Angel, brachte den Stater – und uns ein gutes Mahl; denndiese Art Fische sind die besten und gesündesten eines Binnenmeeres. Als Petrus vomZollhause heimkam, da erzählte er, daß sich der Zöllner sträubte, den ganzen Stateranzunehmen, sondern nur den halben annehmen wollte; er, Petrus, aber habe ihm bedeutet,daß sie alle Zwölfe doch auch so viel Weges werden breitgetreten haben wie der Meisterallein für Seine Person. Das fand der Zöllner gut berechnet und nahm endlich den ganzenStater an.[243,09] Ich aber sagte: „Nun, laß nur den Fisch zurichten, und lassen wir denZöllner sein, was er ist!“[243,10] Es fragte Mich aber Jakobus, wie der Stater in des Fisches Mund gekommensei.[243,11] Und Ich sagte: „Die Römer aus Kapernaum unterhielten sich damit, daß sieihren sehr schwimmkundigen Schiffsjungen Stater ins Meer warfen und diese sie dannherausholten. Diesen aber schnappte unser Lachs auf und kaute eine Zeitlang daran. Da sichaber das Metall weder zerkauen und darum auch nicht verschlingen ließ, so blieb es imMunde des Fisches kleben, und Petrus fing eben denselben gefräßigen Lachs um so leichter,weil er sehr gefräßig war. Das Wunderbare für Menschen daran ist nur das, daß Ich darumwußte. – Aber nun sehet, daß wir Wein und Brot bekommen und dazu den Fisch!“[243,12] Alles beeilte sich nun, das Verlangte herbeizuschaffen. Der Wein mußtefreilich wieder auf die bekannte, wunderbare Weise hergestellt werden. In der Bälde war allesfertig, und wir setzten uns an den Tisch.

244. Kapitel – Der Herr im Hause des Simon Petrus. (Kap.244-251)[244,01] Als wir aber also aßen und tranken und am Ende voll guter Dinge wurden,was bei einer Stunde lang währte, da erhoben sich etliche Jünger von ihren Sitzen, traten zuMir hin und fragten Mich: „Herr, Du hast uns nun viel erzählt von der eigentlichen Gestalt desHimmelreiches, und wie es dort verschiedene Stufen der ewigen Glückseligkeit gibt, vondenen einige Gott am nächsten, andere von Gott entfernter und wiederum welche gewisserartvon der Gnadensonne am entferntesten abstehen. Wir fanden das ganz richtig und jeder reinenVernunft gemäß; denn es muß auch in den Himmeln Unterschiede geben, sowohl in der Form,als in den verschiedenen Stufen der Seligkeit und der Seligen. Wir möchten aber nun von Direrfahren, wer denn einst in Deinen Himmeln der Erste sein wird und, wie man sagt, natürlichnach Gott der Größte.“ (Matth.18,1)[244,02] Es waren aber in Simon Petrus Hause mehrere kleine Nachbarskinder; vondenen rief Ich eines zu Mir und stellte es sogleich in die Mitte der fragenden Jünger (Matth.18, 2) und sagte zu ihnen: „Wahrlich, so ihr euch nicht umkehret von solchen weltlichhochtrabenden Gedanken und nicht werdet ebenso demütig wie diese Kinder, da kommet ihrselbst, obwohl ihr nun Meine Jünger seid, nicht in das Himmelreich hinein! (Matth.18,3)[244,03] Wer sich selbst erniedrigt wie dieses Kind und keine Spur irgendeinesHochmutes in sich verspürt, der ist der Größte im Himmelreiche; denn nur die wahre Demuteines reinen Herzens bestimmt allein den Seligkeitsgrad in den Himmeln. (Matth.18,4)[244,04] Wer aber ein solch armes Kind aufnimmt in Meinem Namen, wahrlich, der

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nimmt Mich Selbst auf! (Matth.18,5) Wer aber durch was immer ärgert dieser noch sogeringen Kinder eines, die nun mehr denn ihr selbst an Mich glauben, dem wäre es besser, soihm ein Mühlstein an den Hals gehängt und er dann ersäuft würde im Meere, da es am tiefstenist. (Matth.18,6) Wahrlich sage Ich euch: Wehe der Welt der Ärgernisse willen; denn sie wirdeben an denen, die durch sie geärgert worden sind, ihre unerbittlichsten Richter finden!“[244,05] Hier wendete ein Jünger Mir ein und sagte: „Herr, bei solcher Deiner Redeund nach ihrem Sinne wird es im Himmelreiche sehr mager aussehen; denn wo lebt auf Erdender Mensch, der, ohne es zu wollen, nicht ein oder das andere Kind irgend geärgert hat? Undich setze den möglichen Fall, daß ein solches Kind auch nie von jemand geärgert würde, sowird es aber dennoch in seinem mannbareren Alter durch seine eigenen erwachten Triebeganz instinktartig geärgert und zum Teil durch die notwendige Bekanntschaft mit denGesetzen Mosis. Sage uns demnach klar, was Du uns mit solcher Rede, die sehr hart ist, hastsagen wollen!“[244,06] Sprach Ich weiter und sagte: „Seid nicht blöde in eurem Denken! Welchernur einigermaßen weise Mensch wird es dir zu einer Sünde rechnen, so du, ohne zu wissenund zu wollen, dennoch jemanden geärgert hast?! Es kommen und müssen zwar gewisseÄrgernisse in die Welt kommen, aber da sind sie eine Zulassung von oben; Ich aber sage hiernur: Wehe dem, durch den sie böswillig und vorsätzlich kommen!“ (Matth.18,7)[244,07] Hier nahm ein anderer Jünger wieder das Wort und sagte: „Was ist aberdann, so mich meine eigene Natur ärgert? Wer wird da zur Verantwortung gezogen werden?Da schuldet doch offenbar der, der mir solch eine ärgerliche Natur gegeben hat!“[244,08] Auf diese etwas zu freie und ziemlich kecke Frage von seiten des etwaserregten Jüngers ward Ich denn auch etwas erregt und sagte: „Gut, so dich deine Hand oderdein Fuß ärgert, so haue beides ab und wirf es von dir! Denn es ist dir besser, daß du lahmund als ein Krüppel eingehest ins Himmelreich, als daß du mit beiden Händen und Füßen insewige Feuer geworfen werdest! (Matth.18,8) Und so dich ärgert dein Auge, da reiße es ausund wirf es von dir; denn es ist dir besser, daß du einäugig eingehest ins Himmelreich, denndaß du mit zwei Augen geworfen werdest ins Höllenfeuer!“ (Matth.18,9)[244,09] Hier erhob sich Petrus, dem diese Lehre auch nicht so recht munden wollte,und sagte: „Aber Herr, gedenkest Du jener Worte nimmer, die Du bei den armen Fischerngeredet hast über das Wesen der Hölle, über das Gericht und über die ewigen Strafen derverlorenen Seelen? Ja, das waren Lehren, die jede gesunde Menschenvernunft mit denhöchsten Freuden begrüßen mußte! Aber was Du nun in einer Art Aufregung gelehrt hast,verwischt alles Frühere, und die alte Hölle mit ihren ewigen Strafen und ihren Satanen undTeufeln und Feuern steht wieder so wie früher in der völlig unveränderten Gestalt vor uns,und einen allerunversöhnlichsten Gott haben wir auch wieder vor uns! Ich habe es ja gewußt,daß wir sicher wieder auf das Alte zurückkommen werden, und die Indier mit ihrenschaudererregenden Leibesverstümmlungsbußen haben sonach die allein wahre und richtigeLebens- und Gotteslehre![244,10] Sieh, ich setze nun den Fall, daß eben jetzt diese meine linke Hand michgeärgert hat! Auf daß sie mich aber nicht irgend möglicherweise noch einmal ärgern kann, sonehme ich nach Deinem Verlangen ein Beil und haue mir die mich ärgernde Hand ab, was mirohne einen schnellen ärztlichen Beistand offenbarst den Tod geben wird. Ich setze aber dengünstigen Fall, daß ich geheilt werde und dann wieder ganz heiter einhergehe. Aber esgeschieht, daß mich da einmal die noch übrige Rechte zu ärgern anfängt. Nach deiner jetzigenLehre soll ich sie um des Himmelreiches willen auch abhauen, was nun aber rein unmöglichist. Es fragt sich nun, was ich in diesem Falle zu tun habe, um nicht des Himmelreichesverlustig zu werden![244,11] Mein lieber Herr und Meister! Mit dieser Lehre wird es nicht also gehen,wie Du sie nun ausgesprochen hast! Ob aber irgendein anderer Sinn dahintersteckt, das isteine Frage, deren Beantwortung sicher jedem noch so weisen Menschen sehr schwerfallendürfte. Ehe er sie also nackt, wie Du sie nun ausgesprochen hast, als wahr und als gesetzlichernst annimmt, wird er sich sehr Zeit lassen und sicher bei seiner alten Lehre verbleiben. Ichselbst, so wertvollst auch Dein Himmelreich ist und sein kann, will dasselbe wohl durch alle

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mögliche Selbstverleugnung mir verdienen, aber durchs Hände- und Füßeabhauen undAugenausreißen nimmer! Statt dessen nehme man sich lieber gleich das ganze Leben, undman ist dann ganz sicher vor allem Ärgernis!“

245. Kapitel[245,01] Mit diesen Worten des Petrus waren bis auf Johannes auch alle die andernApostel einverstanden. Dieser aber nahm das Wort und sagte: „Aber, liebe Brüder, wie mögetihr euch nun darüber gar so entsetzen, als hätte der Herr uns damit eine ganz neue Lehreaufgestellt! Erinnert ihr euch denn nicht an des Herrn Worte auf dem Berge zu Samaria! Daredete der Herr über die Ärgernisse nahe ebenalso und hat uns dazu auch das rechte Lichtgegeben. Damals habt ihr das alles im rechten Sinne verstanden; wie denn jetzt nicht?“[245,02] Sagte Petrus: „Es kommt mir nun wohl vor, als sei davon schon einmal eineErwähnung geschehen; aber von dem, wie das zu nehmen und zu verstehen ist, weiß ich sowie sicher auch die andern Brüder keine Silbe mehr, und es wäre sehr zu wünschen, daß unsdas noch einmal erklärt würde.“[245,03] Sagte Ich: „Es sind solche Worte sogar aufgezeichnet worden, so wie nuneben diese Worte, die Ich über den Nachteil der Ärgernisse nun gesprochen habe,aufzuzeichnen sind, auf daß ihr sie nicht so leicht wieder vergesset.[245,04] Was aber entspricht der Hand des Menschen? Die Tätigkeit, – ob gut oderschlecht, so ist es eine Tätigkeit, was in der rechten Entsprechung durch das Wort und Bild,Hand‘ dargestellt wird; der feste Wille aber ist das Beil, mit dem allein du deine schlechteTätigkeit auf immer von dir trennen kannst. Wie aber kannst du nun noch so blöde sein undmeinen, daß Ich damit die leibliche Verstümmelung befohlen habe?[245,05] Ich habe desgleichen auch von einem dich ärgernden Fuße befehlendgeredet. Wer wohl wird es je vermögen, sich einen Fuß wirklich abzuhauen? Und wie dummmüßte Ich Selbst sein, um solch eine grausame Verstümmelung am selbstischen Leibe zugebieten, auf daß sich dadurch rettete die Seele aus der Hölle![245,06] Gleichwie aber der Leib Füße haben muß, um weiterzukommen und amrechten Orte tätig werden zu können, so muß die Seele eine Liebe und Begierde haben zuirgend etwas, damit sie danach und zum Zwecke ihres wie immer gearteten Wohlbehagenstätig werde.[245,07] Ist nun die Liebe und Begierde der Seele nicht nach Meiner Lehre, was etwawohl zu erkennen ist, so ist sie schlecht und dein ganzes Wesen ärgernd, und da nimm duabermals das scharfe Willensbeil und haue dir ab solche Liebe und Begierde und wandle undhandle dann allein mit der guten Liebe und Begierde, und du wirst dann auf diesem neuenWandelfuße der Seele ganz leicht ins Himmelreich eingehen![245,08] Es ist also das im Grunde also zu verstehen: Ein jeder Mensch auf dieserWelt hat notwendig eine zweifache Liebe und daraus hervorgehende Begierde. Die eine istmateriell und muß es sein, da ohne sie niemand die Erde bearbeiten und sich auch nichtnehmen würde ein Weib. Damit der Mensch auf dieser Erde aber auch das tue, so muß er aucheine materielle Liebe und Begierde nach außenhin haben, die ihn zu solch einer Tätigkeitbewegt und trägt. Wird solche Liebe und Begierde zur Außenwelt zu mächtig, so ärgert sie jaden ganzen Menschen und macht verkümmern die Seele, weil diese zu sehr in die Materiehinausgedrängt wird. Da ist es dann an der Zeit, sich sehr zu ermannen und mit dem festestenWillen sich von solcher Liebe und Begierde ganz loszumachen und allein pur dem, was reindes Geistes ist, mit allen Kräften nachzustreben. Ist das der Fall, so genügt das allein auch zurGewinnung des Reiches Gottes, obwohl man sonst nach der rechten Ordnung der Dingebeides tun soll der Liebe des Nächsten wegen.[245,09] Es gibt nun schon und wird fürder solcher noch mehr geben, die sichgänzlich von der Welt und ihrer Arbeit abwenden werden und allein dem nachstreben, was daist des Geistes. Aber Ich sage nicht, daß sie dadurch dereinst als ganz gerechtfertigt dastehenwerden; nur sind sie, wie gesagt, dennoch um vieles besser daran, als so sie als verärgertmaterielle Menschen in den euch bekannten Lebensgegenpol, von dem Ich bei dem FischerAziona gesprochen habe, geraten würden, was soviel heißt, als so ganz eigentlich in die Hölle

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kommen oder geworfen werden.[245,10] Unter dem Ausreißen und Von-sich-Werfen des Auges aber ist derWeltverstand des Menschen zu verstehen. Er ist ein Auge der Seele, zu besehen und zubeurteilen die Dinge der Welt und sie zu vergleichen mit den Dingen des Geistes. Wenndieses zu sehr die Richtung nach der Welt nimmt und von dem aber, was des Geistes ist, sichganz abwendet und kaum eines Gottes gedenkt, so ärgert das die Seele sehr, darum, da siedadurch auch ganz in die Materie übergeht, und es ist dann sehr an der Zeit, der purenWeltweisheit ganz zu entsagen und allein in dem zu denken anzufangen, was da ist Gottes,des Geistes und der Seele, des Himmels willen.[245,11] Wer das tut, der wird auch als gerechtfertigt dastehen und anschauen dasAngesicht Gottes; aber es werden derlei selige Geister denjenigen, die ihre Weltweisheit auchdurch Worte und Taten zu einer göttlichen erhoben haben, um ein sehr Bedeutendesnachstehen.[245,12] Ich meine nun, daß ihr das jetzt doch werdet begriffen haben, und so Ichfürderhin wieder einmal auf dieses Thema geraten sollte, da fraget Mich nicht mehr um denSinn solcher Lehrbilder, die Ich eben darum also verhüllt gebe, weil sie pur für die Seelegestellt sind, die nun bei jedem Menschen auf dieser Erde auch durch das Fleisch verhüllt istvor dem Leibesauge! Denn es ist ein anderes um eine Lehre, die den ganzen Menschenbetrifft, und ein anderes um die Lehre, die allein die Seele angeht. – Verstehet ihr nun diesesalles?“

246. Kapitel[246,01] Sagte nun Petrus: „Ja, Herr und Meister, jetzt sind wir darüber ganzvollkommen im klaren; ich bitte Dich aber darum für die Folge, uns bei wiedervorkommenden ähnlichen Lehren auch sogleich die Erklärung mitzugeben, damit wir unsnicht zu ärgern notwendig haben über unseren eigenen Unverstand!“[246,02] Sagte Ich: „Das werde Ich tun, wo es nötig sein wird; aber wo Ich eureeigene Denkkraft stärken und eure Seele tätiger machen will, da enthülle Ich die Bilder nichtsogleich. Denn wer ein rechter Lehrer sein will, der muß seine Lehren also stellen, daß seineJünger dabei stets viel zu denken und zu suchen haben, sonst macht er sie zu faulen undträgen Forschern nach allerlei Wahrheiten.[246,03] Noch aber sage Ich euch: Der Meister, der da lehrt, muß stets sein einWeiser und muß vom tiefsten Grunde aus selbst wohl verstehen, was er lehrt. Aber die Jüngersollen, solange sie Jünger sind, gleichfort sein wie diese Kleinen hier, die eine ihnen gegebeneLehre annehmen und befolgen, so sie auch noch lange nicht einsehen ihren innern Sinn; dierechte Einsicht wird ihnen in ihren reiferen Jahren schon werden.“[246,04] Hier aber dachten einige der Jünger still unter sich, daß es da noch langedauern werde, bis sie selbst weise und wohlverständig würden, so sie sich jetzt noch fürebenso dumm und unverständig halten sollten, als wie dumm, unverständig und unerfahren dawären die zerlumpten Kinder, von denen noch keines in irgendeiner Schule weder das Alphaund noch weniger das Omega hatte kennengelernt![246,05] Ich aber sagte: „Sehet zu, daß ihr niemand von diesen Kleinen verachtet!Denn Ich sage es euch: Ihre Engel im Himmel sehen allzeit das Angesicht Meines Vaters imHimmel!“ (Matth.18,10)[246,06] Sagte Petrus: „Haben denn wir keine Engel mehr im Himmel, die auchallzeit sehen das Angesicht Deines Vaters im Himmel? Auch sagtest Du einmal, daß DeinVater in Dir wohne und völlig eins sei mit Dir, und bald versetzest Du Ihn wieder in den vonhier endlos weit entfernten Himmel! Ja, das bringen wir nun schon wieder nicht zusammen!Wie sollen wir denn nun das schon wieder verstehen? Ist denn Dein Vater nur sowechselweise bald in Dir und bald wieder in den Himmeln? Und wie bist denn Du Selbst baldder Vater Selbst und bald wieder nur Sein Sohn? – Darüber wolle Du uns auch ein etwashelleres Licht geben, als wir es bis jetzt hatten!“[246,07] Sagte Ich: „Ihr habt freilich auch eure Engel im Himmel, und hättet ihr sienicht, da wäret ihr Meine Jünger nicht! Aber die Kleinen haben sie auch, und ihr sollet sie

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darum nicht verachten; denn sie sind euch völlig ebenbürtig! Ich sagte euch aber das, weil Iches nur zu gut weiß, daß ihr keine Kinderfreunde seid.[246,08] Könnet ihr diese zarten, lieben und engelreinen Kinderchen nicht lieben,wie werdet ihr erst eure Nächsten und wie euren Gott lieben?[246,09] Wollet ihr Menschen bilden nach Meinem Sinne, da müsset ihr schon beiden Kindern anfangen; denn wahrlich sage Ich euch: Der Unterricht in der Wiege ist mehrwert denn alle Hochschulen der Welt! Wer aber aus den Kindern Menschen bilden will, dermuß sie lieben und muß mit ihnen eine rechte Geduld haben. Ein solches Kind ist von Naturaus mehr denn hundert Bettler arm; denn es ist arm am Geiste, arm an physischen Kräften undarm an Besitztümern.[246,10] Darum sage Ich euch und durch euch allen Menschen, denen diesesEvangelium gepredigt wird, noch einmal: Wer ein solches Kind aufnimmt in Meinem Namen,der nimmt Mich auf, und hat er Mich also in aller Liebe aufgenommen, so hat er auch denVater im Himmel aufgenommen, und in seinem Hause wird es da am Segen nicht fehlen.Denn solche Kinder sind der echte und wahre Segen Gottes selbst in einem Hause, da sie sindund gepflegt, genährt und zu wahren Menschen gebildet werden, und es ist da das Geschlechteinerlei, ob Knabe oder Mägdlein; in ihrer Jugend sind sie gleich den Engeln des Himmels.[246,11] So du, Petrus, aber fragest ob Meines Vaters im Himmel, und wie es sei,daß Ich bald sagete, Er sei im Himmel und bald wieder, daß Er in Mir wohne und eins sei mitMir, da muß Ich rein nur mit deinem Gedächtnisse eine Geduld haben, ansonst Ich dir amEnde doch gram werden müßte![246,12] Was der Himmel ist, und wo er ist, das habe Ich euch, und noch ganzbesonders dir, auf dem Berge erst jüngst genau gezeigt und vollends lichtklarst erklärt, wieauch über das unteil- und untrennbare Verhältnis zwischen Mir und Meinem Vater schon nahemehr denn zu viel und zu oft gesprochen, und nun, siehe da, weißt du schon wieder nichtsmehr davon![246,13] Ist der Vater denn nicht die ewige Liebe in Mir? Wo aber die ist und hauset,ist da nicht der Himmel und das wahre Gottesreich?[246,14] Bin Ich als Mensch nicht der Sohn eben dieser Liebe, die in Mir Selbstwohnet, die alles, was da ist und die Unendlichkeit erfüllt, erschaffen hat von Ewigkeiten her?Und weil diese ewige und allmächtige Gottliebe in Mir ist, bin Ich da nicht völlig eins mitihr? – Nun rede, ob du das noch nicht einsiehst!“[246,15] Sagt Petrus: „Ja, ich sehe es nun ganz sicher besser ein, als ich es frühereingesehen habe; aber dennoch befindet sich darunter noch so mancherlei, das mir, aufrichtiggesagt, noch nicht völlig klar ist! Und das, was mir noch nicht so ganz klar ist, besteht in dem,daß ich noch immer das nicht einsehe, warum Du einmal von Dir sagst, daß Du des MenschenSohn, ein andermal wieder Gottes Sohn und wieder ein andermal Jehova Selbst seiest! WillstDu mir darüber noch ein kleines Licht geben, so wirst Du wohl tun an uns allen; denn ichmeine, daß darin noch keiner von uns eine rechte Einsicht hat!“[246,16] Sage Ich: „Auch das habe Ich euch schon bei Gelegenheiten, wo Ich vonMeinen bevorstehenden Leiden sprach, ganz deutlich beleuchtet; aber so euch eine Sachenicht mindestens zehnmal derart erklärt wird, daß ihr sie ganz mit Händen und Füßenbegreifen könnet, so verstehet ihr sie nicht! Ich sage es euch nun aber den noch einmal:[246,17] Weder Jehova in Mir, noch Ich Seele als Dessen ewiger Sohn, sondernallein dieser Leib als des Menschen Sohn wird getötet werden in Jerusalem, aber am drittenTage als völlig verklärt auferstehen und dann für ewig eins sein mit Dem, der in Mir ist undMir alles offenbart, was Ich als Menschensohn zu tun und zu reden habe, und den ihr nochimmer nicht völlig kennet, obwohl Er schon eine geraume Zeit unter euch redet und wirkt. –Und nun rede du, Simon Juda, wieder!“

247. Kapitel[247,01] Sagt Simon Juda: „Ja, Herr und Meister, da wäre noch so manches zubesprechen, was von Deinem Munde kommt, aber selbst der gesündesten Menschenvernunftnicht so rechtswichtig und lichtkräftig einleuchten will. Und da steht eben im Hintergrund wie

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ein Ungeheuer grinsend, die strikte und unabweisbare Notwendigkeit der demMenschensohne bevorstehenden Leiden, und ich getraue es mir, fest zu behaupten, daß solcheine Notwendigkeit nie eines noch so gesunden und guten Menschen Vernunft ganz klareinsehen wird![247,02] Es solle solch ein Akt noch so nötig sein zur Erreichung eines von Dirschon von Ewigkeiten her gestellten Hauptzweckes; aber es nützt das alles wenig oder nichtszur beruhigenden Aufhellung der menschlichen Vernunft, und sie wird zu allen Zeiten dieFrage stellen und sagen: ,Warum mußte denn der Allmächtige also von Seinen Geschöpfenzugerichtet werden, um ihnen die Seligkeit und das ewige Leben geben zu können? Genügtedie pure reinste Lehre und Sein rein nur Gott mögliches Wundertun nicht? Bessert das dieMenschen nicht, wie wird sie dann Sein Leiden und Sterben bessern?‘[247,03] Ich als einer Deiner getreuesten Anhänger sage es da ganz offen: DeinLeiden wird vielen guten Menschen zum Steine des Anstoßes werden, und sie werdenwankend werden in ihrem Glauben. Darum frage ich Dich auch jetzt schon um ein rechtesLicht darüber, auf daß wir dann zur rechten Zeit den fragenden Menschen auch eine rechteAufklärung zu geben imstande sind zu ihrer Beruhigung.“[247,04] Sagte Ich: „Du fragst hier nun um eine ganz gute und gerechte Sache, diedu, so Ich sie dir auch ganz recht erkläre, dennoch immerhin nie als pur Mensch ganz rechtund richtig begreifen wirst; erst nach Meiner Auferstehung, wenn du wiedergeboren wirst imGeiste, wirst du auch ganz rein und klar einsehen das große Warum.[247,05] Ich als der alleinige Träger alles Seins und Lebens muß nun auch das, wasvon Ewigkeiten her durch die Festigkeit Meines Willens dem Gerichte und dem Todeverfallen war, erlösen und muß eben durch das Gericht und durch den Tod dieses MeinesFleisches und Blutes in das alte Gericht und in den alten Tod eindringen, um so Meinemeigenen Gottwillen jene Bande insoweit zu lockern und zu lösen, wegen der in sich reifgewordenen Materie der Dinge, auf daß darauf alle Kreatur aus dem ewigen Tode zum freienund selbständigen Leben übergehen kann.[247,06] Und es ist darum des Menschen Sohn in diese Welt gekommen, um das,was gewisserart von Ewigkeit her verloren war, aufzusuchen, es zu erlösen und also für dieSeligkeit fähig zu machen. (Matth.18,11)[247,07] Was dünket euch: Wenn irgendein Mensch hundert Schafe hätte und einesderselben sich verirrte irgendwo im Walde, läßt er nicht die neunundneunzig stehen auf demBerge und geht hin und sucht das verlorene? (Matth.18,12) Und so es sich dann begibt, daß eres findet, wahrlich sage Ich euch: Wird er da nicht mehr Freude haben über daswiedergefundene denn über die neunundneunzig, die nie verloren waren? (Matth.18,13)[247,08] Und sehet, es ist denn auch also bei Gott, obwohl Er durch Seinenallmächtigen Willen alles, was da fasset der unendliche Raum, erschaffen hat aus der ewigenFülle Seiner ewig zahllosen Gedanken, Ideen und Begriffe und wie außer Sich gestellt hatdurch die Festigkeit Seines Willens! Wenn das alles für ewig also bleiben müßte, wie es nunist im starren Gerichte und Tode, so wäre das alles gleich dem verlorenen Schafe, das abernimmer irgendwo mehr zu finden wäre. Und welches Vergnügen und welche Freude böteGott wohl eine ewig tote, materielle Kreatur?[247,09] Ich aber kam ja hauptsächlich eben darum als nun Selbst materiell in dieseWelt, um dies verlorene Schaf zu suchen und es der seligen Bestimmung zuzuführen.[247,10] Gottes Geist und Wille wird nun in diesem Meinem Leibe, also in derMaterie, gesänftet und gleichsam beugsam und lösbar gemacht. Ist das geschehen, dann mußdiese Meine Materie in der möglich größten Erniedrigung und Demütigung gebrochen undzuerst gelöset werden, und der Geist Gottes, der in aller Seiner Fülle in Mir wohnt und eins istmit Meiner Seele, muß diese gebrochene Materie, als durch Sein Liebefeuer geläutert,erwecken und beleben, und sie wird dann auferstehen als ein Sieger über alles Gericht undüber allen Tod.[247,11] Daß ihr es nun noch nicht ganz klar einsehen werdet, wie und warum diesesalso geschehen muß und auch wird, das habe Ich euch zum voraus gesagt; aber das könnet ihrnun schon daraus schließen, daß solch ein Akt, so abschreckend er auch für ein pures

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Menschenauge aussehen mag, doch notwendig ist, um alle Kreatur mit der gerechten Längeder Zeiten zum freien, unabhängigen und reinen Gottleben zurückzuführen.[247,12] Und so Ich da euch nun solches für euer Verständnis genügend enthüllthabe, so werdet ihr daraus innerlich – so ihr nun sehet, wer da so ganz eigentlich die Kleinensind – auch einsehen, wie es nun des Vaters Wille also ist, daß auch nicht selbst derAllerkleinste und Geringste von ihnen je verlorengehe. (Matth.18,14)[247,13] Und Ich habe euch darum auch diese Kinder vorgestellt und zeigte euch ineiner wohlgeordneten Entsprechung den Willen Dessen, der in Mir wohnt und ein Herr ist fürewig über alle Kreatur in der ganzen Unendlichkeit. Und da Ich solches nun zu euch geredethabe und wir Zeit und Muße zur Genüge haben, so möget ihr nun abermals reden und zeigen,wo es euch noch irgend fehlt. – Petrus, hast du noch etwas?“[247,14] Sagte der Jünger: „O Herr und Meister, da gäbe es wohl noch so manches!Aber ich muß dieses nun so um etwas mehr noch verdauen; denn wie ich nun gleich mit etwasNeuem käme, so entginge mir das nun Vernommene gleich wieder, und Du hättest uns dasgroße Licht umsonst gegeben.“[247,15] Hierauf entstand ein kurzer Stillstand im Reden, und die Jünger dachtensehr über das vor ihnen von Mir Gesagte nach.

248. Kapitel[248,01] Es entstand aber außerhalb des Hauses Petri zwischen einigenheimkehrenden Fischern ein lauter Zank, und Petrus meinte, daß wir hinausgehen sollten, umden bösen Streit zu schlichten.[248,02] Sagte Ich: „Ja, tue du das denn, es ist das auch ein gutes Werk, den Streitzwischen den Menschen zu schlichten und zu machen, daß sich lege ihr Zorn; denn dieser isteine Geburt der Hölle und verpestet auf Jahre das Herz und machet finster die Seele. Gehedenn und schlichte den Streit!“[248,03] Hier ging Petrus hinaus und fragte die noch vor seines Hauses FlurStreitenden, um was es sich handle, darum sie in den argen Streit geraten seien.[248,04] Da sagte einer, der etwas gemäßigter war, daß eines Bürgers Knecht aus derStadt, der kein Fischerrecht besitze und eben da in ihrer Mitte stehe, mit Angeln auf einer derbesten Fischstellen gefischt habe, eine recht reiche Beute machte und, als sie als berechtigteFischer ihn dabei erwischt, ihn zurechtgewiesen und nach allem Rechte ihm die Beuteabgenommen hätten, er sich ihnen entgegengesetzt und mit den gröbsten Ausdrückenangefangen habe zu beweisen, daß auch er das volle Recht habe und fischen könne, wo erwolle. Er habe jedoch keinen Pachtbrief und maße sich das Recht nur gleich so an, was sieaber nicht dulden könnten und dürften.[248,05] Da Petrus solches vernahm, sagte er: „Der Mensch ist zwar ein Dieb; aberlasset ihn nun dennoch gehen. Wagt er seinen Frevel noch einmal, so übergebet ihn dann erstden Gerichten; denn ihr wisset es ja selbst, daß wir nach dem Gesetze dem Feinde zuvorsieben Male vergeben sollen!“[248,06] Da sagten die Fischer, die den Fischdieb festhielten: „Wir haben ihm aberschon sieben Male seine Frevel verziehen; von achtmal vergeben aber spricht das Gesetznicht, und wir wollen ihn daher nun vor das Gericht stellen.“[248,07] Sagte Petrus: „Da habt ihr nun zwar das volle Recht dazu; aber tuet hier nunmir zuliebe das Bessere und vergebet ihm auch dies letzte, obwohl schon achte Mal! So ihrihn aber ein neuntes Mal beim Frevel erwischet, dann übet an ihm erst euer gutes Recht!“[248,08] Auf diese Worte ließen sie den Dieb frei, nachdem er ihnen zuvor gelobte,den Frevel nimmer zu begehen, und es war also der arge Streit geschlichtet, und dieStreitenden kehrten ruhig in ihre Wohnungen zurück.[248,09] Als Petrus wieder zu uns ins Zimmer kam, da sagte er: „Herr und Meister,der Streit ist zwar geschlichtet, da ich meine Nachbarn dazu bewogen habe, dem Fischdiebseinen Frevel auch zum achten Male nachzusehen; aber gesetzlich wäre er dies achte Malfreilich schon dem Gerichte zu überliefern gewesen. Es wäre da, o Herr, wohl auch gut, so Duuns in diesem irdischen Rechtsbereiche die Gesetze Mosis etwas genauer erklären möchtest,

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besonders in dieser Zeit, wo auch die Gesetze Roms in der Juden Lebensverhältnisse starkeinzugreifen begonnen haben und man nicht mehr so recht weiß, ob man sich mehr an dasmosaische oder an das römische halten soll. In manchen Beziehungen ist das römische Gesetzoffenbar humaner denn das mosaische, das als Staatsgesetz in gar vielen Fällen buchstäblichgar nicht mehr anzuwenden ist. Was wäre da nun nach Deiner größten Liebe und WeisheitRechtens?“[248,10] Sagte Ich: „Ich weiß es, daß die Sachen nun also stehen und es für einenRichter schwer ist, zwischen den zweierlei Gesetzen zu richten und auch schwer zubestimmen, wie und wann sich ein Mensch gegen den andern versündigt hat, weil zumBeispiel das eine Gesetz das gut heißt, was nach dem anderen Gesetz eine Sünde ist.[248,11] Um da für euch und auch durch euch für alle Menschen eine Bestimmungzu geben, nach der sich dann ein jeder zu richten hat, so merket euch das und zeichnet es auchauf:[248,12] Sündigt irgend ein Bruder an dir, so gehe hin und stelle ihm das bloßzwischen dir und ihm mit sanften Worten vor und ersuche ihn, solches nicht mehr an dir zutun. Hat er dich angehört und erhört, so hast du mit ihm schon gewonnen. (Matth.18,15) Hörter dich aber nicht an, so nimm nach der Gestalt der an dir begangenen Sünde einen oder zweiZeugen, auf daß dann die Sache auf zweier und im Notfalle sogar dreier Zeugen Mundberuhe. (Matth.18,16) Hört er, der an dir gesündigt hatte, dich in Gegenwart dermitgebrachten Zeugen auch nicht, so sage solches in Gegenwart der mitgenommenen Zeugender Gemeinde, der der Sünder angehört. Hört er auch diese nicht und bleibt auch diesergegenüber halsstarrig, so werde er von dir, von den Zeugen und von der ganzen Gemeinde alsein Heide und arger Zöllner erklärt und dafür gehalten. (Matth.18,17)[248,13] Und das genüge dir und jedermann; was darüber, ist schon vom Übel underzeugt von neuem abermals noch größere Übel. Diese Bestimmung aber ist genommen ausMeiner göttlichen Ordnung und gilt nicht nur für hier, sondern auch fürs große Jenseits. Dennwahrlich sage Ich euch: Was ihr auf dieser Erde also binden und lösen werdet, das soll auchjenseits sogar im Himmelreiche gebunden oder gelöst sein. (Matth.18,18)[248,14] Und weiter sage Ich euch, auf daß ihr allen Streit und alles Ungemach aufErden noch leichter begleichet: Wenn nur zwei darin untereinander einig werden, um was siebitten wollen den Vater in Meinem Namen, das soll ihnen auch gewährt werden, eben vonMeinem Vater, im Himmel und also auch auf Erden. (Matth.18,19)[248,15] Hat demnach jemand gesündigt an dir, so vergib du ihm von ganzemHerzen und bitte in Meinem Namen den Vater, daß Er des Sünders Herz zurechtrichten wolle,so wird das auch nach dem Maße deines Glaubens und nach dem Maße dessen, wie du etwazuvor dem, der an dir sich versündigt hatte, vergeben hast, geschehen.[248,16] Ich sage es euch noch einmal: Wo zwei oder gar drei in irgendeinerAngelegenheit, die gut und in Meiner Ordnung ist, in Meinem Namen sich versammeln, dawerde Ich im Geiste unter ihnen sein und werde erhören das, um was sie Mich bitten werden.(Matth.18,20)[248,17] Und Ich meine, daß ihr und jedermann euch in allen möglichen kritischenLebensverhältnissen und auch inmitten von tausenderlei sich oft noch so widersprechendenWeltgesetzen bei solchen Meinen euch nun gegebenen Bestimmungen ganz leichtzurechtfinden werdet!“[248,18] Hier trat abermals Petrus zu Mir hin und sagte: „Herr, es ist das nun allesgut und recht, und es versteht sich von selbst, daß wir solche Deine Bestimmungen gewißlebendigst selbst beachten und sie auch den andern Menschen zur getreuen Beachtung ansHerz legen werden; aber es handelt sich nun um einen einzigen kritischen Punkt, und derbesteht darin: Wie oft soll ich oder ein anderer dem, der an mir gesündigt hat, nach Deinenuns nun gegebenen versöhnlichen Bestimmungen verzeihend entgegenkommen? Ist es genugnach dem Gesetze Mosis sieben Male?“ (Matth.18,21)[248,19] Da sagte Ich: „So das schon nach einer Zahl geschehen soll, da ist diemosaische Zahl Sieben zu wenig, sondern siebzigmal siebenmal hat das zu geschehen!(Matth.18,22) Denn eben darin besteht ja hauptsächlich das Himmelreich, daß unter den

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Menschen dieselbe Liebe, Eintracht und Versöhnlichkeit herrsche, wie sie herrscht in denHimmeln unter Meinen Engeln, deren etliche ihr schon habt kennengelernt.“

249. Kapitel[249,01] (Der Herr:) „Um euch aber das Himmelreich in seinem richtigstenVerhältnisse noch anschaulicher darzustellen, will Ich es euch in einem entsprechenden Bildedarstellen. Und es ist demnach das Himmelreich gleich einem Könige, der einmal mit seinenDienern Rechnung halten wollte. (Matth.18,23) Und als er anfing zu rechnen, da kam einer,der ihm zehntausend Pfunde schuldete. (Matth.18,24) Da dieser Knecht und Diener desKönigs nun nicht hatte, damit er demselben die große Schuld hätte abtragen können, so befahlder König, den faulen Diener selbst, sein Weib, seine schönen Kinder und alle andernBesitztümer zu verkaufen, um sich selbst aus dem Erlös alles das bezahlen zu können, wasihm der Knecht und Diener schuldete. (Matth.18,25)[249,02] Da das der Diener sah, daß er nun samt all den Seinen als ein Sklaveverkauft sei, da fiel er vor dem noch anwesenden Könige nieder und betete ihn vollends andadurch, daß er weinend sagte: ,O du großer, mächtigster König und Herr, habe doch nocheine kurze Geduld mit mir! Hebe auf den Verkauf, laß mich nur noch einige Zeit frei, und ichwerde nach aller Möglichkeit trachten, dir die ganze Schuld zu bezahlen!‘ (Matth.18,26) Alsdas der König vernommen hatte, da ward auch erweicht sein Herz. Es jammerte ihn desselbenDieners, und er hob den ganzen Verkauf auf, erließ dem Diener die ganze Schuld und ließ ihnfrei. (Matth.18,27)[249,03] Bald darauf aber ging dieser Knecht hinaus in die Stadt des Königs, da erallda und alldort so manches zu tun und zu bestellen hatte. Und siehe, da traf es sich, daß ereinen seiner Mitdiener traf, der ihm seit kurzem gelegenheitlich hundert Groschen schuldete!Als der Mitdiener aber ihn ersah, bat er ihn um nur noch eine kurze Nachsicht, und er werdeihm die Schuld abtragen. Aber unser vom König so hoch begnadigter Diener hörte ihn nichtan, sondern ergriff ihn mit aller Wut, würgte ihn und schrie: ,Bezahle mir nun sogleich, wasdu mir schuldest; denn ich habe dir schon lange zugewartet, und meine Geduld ist nun völligzu Ende!‘ (Matth.18,28)[249,04] Da fiel der Mitdiener abermals nieder und bat mit Tränen: ,Habe doch nurnoch eine kleine Geduld mit mir, und ich werde dir alles bezahlen!‘ (Matth.18,29) Aber desKönigs Diener und Knecht wollte von keiner Geduld irgend mehr etwas wissen, sondern ließden armen Mitknecht von den Schergen ergreifen und ihn ins Gefängnis werfen auf so lange,bis aus seinen in Beschlag genommenen Einkünften bezahlt war die ganze Schuld.(Matth.18,30)[249,05] Da aber die andern Mitknechte solches erfuhren und ersahen, wurden siesehr betrübt und voll Ärgers über den gar so sehr unbarmherzigen Diener des Königs, gingenhin und brachten alles, was sich da begeben hatte, vor seine Ohren. (Matth.18,31)[249,06] Als der König aber solches erfuhr, da forderte er sogleich denunbarmherzigen Diener vor sich und sprach zu ihm mit zornigem Angesichte: ,Höre, duSchalksknecht! Habe ich dir nicht alle Schuld erlassen, dieweil du mich darum gebeten hast?(Matth.18,32) Warum hast denn du dich über deinen Mitknecht nicht auch also erbarmt, wieich mich deiner erbarmt habe?‘ (Matth.18,33)[249,07] Da ward der Knecht stumm vor Schreck und Angst, da er ersah, wie gut undgerecht der König ist, und daß er den Frevler an seiner Gnade und Liebe streng zu züchtigenpflegt. Darauf ward der König erst recht zornig und übergab den Unbarmherzigen den ebensounbarmherzigen Peinigern auf so lange, bis nun auch aus seinen mit Beschlag belegtenEinkünften bezahlt ward die ganze, große Schuld. (Matth.18,34)[249,08] Und sehet, ebenalso wird euch Mein himmlischer Vater auch tun, so ihr denMenschen nicht vergeben werdet von ganzem Herzen die Sünden und Fehler, die sie an euchbegangen haben! (Matth.18,35) Und eben darin besteht auch das eigentliche Himmelreich imGrößten wie im Kleinsten, daß da unter den Seligen nirgends besteht irgend eine Feindschaftoder ein Neid oder gar Haß, sondern es muß da sein die größte Harmonie, die größte Eintrachtund die größte gegenseitige Liebe.

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[249,09] Es ist eben darum nicht nötig, daß auf dieser Welt irgend ein Schutzgerichtbesteht, das da das Recht zu bestimmen hat zwischen den Beleidigern und Beleidigten,sondern euer vor Mir allein gültiges Schutzgericht sei euer gutes und versöhnliches Herz, undihr werdet bei diesem Gerichte ganz gut und mit den wenigsten Unkosten und richterlichenRechtsspruchtaxen darauskommen, und der Sünder an euch wird um vieles eher euer Freundder Wahrheit nach werden, als so er durch einen richterlichen Spruch wäre dazu genötigtworden. – Und nun saget es Mir, ob ihr das alles so recht aus dem Grunde verstanden habt!“

250. Kapitel[250,01] Sagt Petrus: „Herr und Meister! Das gewiß, und es wäre so wohl schon amallerbesten; aber so wir auch das alles genauest beachten werden, wie auch noch gar vieleandere Menschen, die von uns solche Lehre überkommen werden, so fragt es sich aberdennoch sehr darum, ob die weltlichen Gerichte deshalb keinen Bestand mehr haben werden.[250,02] Siehe, so da jemand an mir in irgend etwas sich versündigt hat, so werde ichihm das ganz sicher vergeben auch siebzigmal siebenmal, so es mein Beleidiger im Ernstesollte darauf ankommen lassen; aber so er dann als ein arger und schadenfroher Mensch nochnicht genug hat und seine Beleidigungen über die große Zahl von siebzigmal siebenmal treibt,– was dann mit einem solchen Menschen? Da, bin ich nun der Meinung, dürfte es doch an derZeit sein, solch einen Frevler dem weltlichen Gerichte zu überliefern, wie auch Deinbarmherziger König am Ende, da seine große Langmut nichts fruchtete, den unbarmherzigenKnecht denn doch dem Peiniger überantwortete. – Was sprichst Du, Herr, zu solcher meinerMeinung?“[250,03] Sage Ich: „Mein lieber Petrus, da sage Ich eben nicht gar viel, weil Ich euchfür einen solchen unverbesserlichen Fall gleich nach dem Fischerstreit vor deinem Hauseschon ohnehin ganz offen die vollgültige Weisung gegeben habe und ein jeder von euch denndoch sicher begriffen hat, was da zu tun und zu verfügen ist![250,04] Es versteht sich aber von selbst, daß in dieser Welt für große und grobeVerbrecher an den Rechten der Menschen auch gewaltige und große Weltgerichte sein undbestehen müssen, ansonst am Ende niemand seines Lebens mehr sicher wäre. Aber was da diekleineren Verirrungen betrifft, die sich nicht selten ereignen unter euch Menschen, so sollendiese an dem Richterstuhle des barmherzigen und versöhnlichen Herzens geschlichtet werden,auf daß aus den kleinen Verirrungen der Menschen untereinander nicht große und schwereVerbrechen werden; denn wahrlich sage Ich: Raub, Totschlag und Mord sind am Endedennoch nichts anderes als Folgen der anfänglichen kleinen Verirrungen der Menschen untersich aus lauter kleinen, weltlichen Eigennutz- und Eigendünkelrücksichten und -bezugnahmen. – Es soll euch das nun noch ein kleines Gleichnis heller erleuchten:[250,05] Es ist ein reicher und angesehener Vater im Besitze einer sehr schönen undlieben Tochter, in die ein junger, aber armer, wennschon recht gut gebildeter Mannsterbensverliebt wird, und das um so mehr, da die liebe Tochter ihm schon einige Male durchallerlei freundliche Winke und Zeichen nur zu klar zu verstehen gab, daß sie ihm im Herzengeneigt ist. Nun, dieser sonst ehrliche und biedere junge Mann faßt endlich den Mut und gehtin einer ganz natürlich guten Absicht zum Vater der schönen Tochter und verlangt, daß sieihm zum Weibe gegeben würde. Allein der Vater, ob seines großen Reichtums überstolz undhart, läßt dem ehrlichen, armen Bewerber um der Tochter Hand die Tür weisen durch seineKnechte und ihn aus dem Hofraum hetzen mit seinen Hunden.[250,06] Diese ungebührliche Aufnahme des armen Mannes hat nun dessen Herzerfüllt mit Zorn, Grimm und Rachgier, und je mehr er nun nachdachte über die reinsteUnmöglichkeit, ein Schwiegersohn des reichen Mannes zu werden, desto mehr auch wuchsder Rachegedanke, den harten und stolzen Menschen auf das empfindlichste zu demütigen.Und als der arge Gedanke vollends reif geworden war, da waren Plan, Entschluß, und Willeund Tat auch schon da, und der junge Mann ward zum Mörder des reichen Mannes.[250,07] Er wäre aber das sicher nicht geworden, wenn er von dem reichen Mannewäre als ein Mensch behandelt worden. Der reiche Mann glaubte in seiner stolzen Größe nichteinmal viel zu tun, so er den armen Bewerber auf die besagte Weise aus dem Hause wies;

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aber für den Ausgewiesenen war es zuviel, und er ward dadurch ein Verbrecher, ein Mörder,verbarg sich dann aus Furcht vor den Weltrichtern ins Dickicht der Wälder und ward da zueinem Schrecken der Menschen.[250,08] Und sehet nun aus diesem kleinen Bilde, daß nur die Härte der Menschenzuallermeist ihre ärmeren Nebenmenschen zu Verbrechern macht. Darum beachtetallenthalben das an denen, die sich durch irgend etwas an euch versündigt haben, was Icheuch anbefohlen und klar gezeigt habe, so werden große Verbrecher selten werden auf Erden,und die guten Menschen werden dann herrschen über die Armen der Erde. – Habt ihr alle daswohl verstanden und begriffen?“[250,09] Nun bejahten alle, daß sie diese Lehre wohl begriffen hätten. Die Jünger,die diese Lehre nach ihrer eigenen Aussage nun wohl begriffen, dachten aber dennoch über somanches nach, was darin enthalten war, und Johannes und Matthäus zeichneten dieHauptsache auf, und Jakobus und Thomas zeichneten auch für sich, aber mehr dieErklärungen, auf. Sie hatten wohl bei zwei Stunden damit zu tun.[250,10] Und als da all das Nötigste aufgezeichnet war, da sagte Petrus: „Nun kannuns diese Lehre nicht mehr verlorengehen, und damit ist schon vieles gewonnen! Aber es wirdnun Abend, und ich werde doch dafür zu sorgen anfangen müssen, daß wir ein Abendmahlbekommen.“[250,11] Sagte Ich: „Aber wer sagte es dir denn, daß es nun schon Abend werde?Sieh hinaus nach dem Stande der Sonne! Ich sage es dir, so wir uns nun erheben und mitgutem Winde über die ganze Länge des Meeres fahren, so kommen wir noch vor demUntergange sicher an die Grenzen des jüdischen Landes jenseits des Jordan!“[250,12] Darauf sah Petrus nach dem Stande der Sonne und fing an, sich sehr zuwundern, und zwar darüber, wie er sich in der Beurteilung der Zeit gar so gewaltig habe irrenkönnen; denn die Sonne hatte noch bei drei Stunden Weges bis zum Untergange.

251. Kapitel[251,01] Petrus aber ermannte sich bald und fragte Mich um den Grund solcherseiner Täuschung, und Ich sagte zu ihm: „Gehe du hinaus ans Meer, und du wirst des Grundesbald gewahr werden!“[251,02] Petrus tat, was Ich ihm befohlen hatte, und er sah, soweit seine Augenreichten, die Wasserfläche ganz mit Heuschrecken bedeckt. Sogar unser Schiff, das im Hafendes Petrus lag, war ganz voll von diesen Insekten. Petrus entsetzte sich vor diesem Anblicke,kam eiligst zu Mir ins Zimmer und fragte Mich, ob die Myriaden von Heuschrecken, die nundas Meer bedeckten, die Ursache seiner Zeitirrung gewesen wären.[251,03] Und Ich antwortete und sagte: „Allerdings! Als sie aus Ägyptendahergeflogen kamen, da verfinsterten sie gleich einer dichtesten Wolke die Sonne so sehr,daß du hier im Zimmer offenbar dir denken mußtest, daß es schon Abend geworden sei. Ichaber sah in Mir die Ursache des so früh hereingebrochenen Abends und machte dich daraufaufmerksam, – und das ist nun aber auch schon alles, was Ich dir darüber zu sagen habe!“[251,04] Petrus war damit ganz zufrieden und ging abermals hinaus, zu schauen dasgroße Naturspektakel.[251,05] Andreas und Philippus aber waren so ein wenig Naturforscher und fragtenMich, wie denn solche ungeheuren Heuschreckenmassen entstehen könnten, wo denn so ganzeigentlich ihr Entstehungsort sei, und wozu sie gut seien.[251,06] Sagte Ich: „Meine Lieben, es ist wohl ganz löblich, sich in der Natur einwenig umzusehen – denn sie ist ein großes Buch, geschrieben von der allmächtigen HandGottes, und gibt jedem biederen Forscher die schönsten Beweise von der Liebe und Weisheitund Macht des Vaters im Himmel –; aber ein zu verpickter Forscher kann bei seinen zuemsigen Forschungen sehr leicht auf Irrwege geraten, auf denen er von Gott ganz abkommtund am Ende alles Werden und Sein allein von den blinden und stummen Kräften der Naturableitet.[251,07] Und sehet, eben derlei Erscheinungen können die puren Naturforscherzuerst ganz von Gott abbringen; denn sie erblicken da in der Natur eine plan- und zwecklose,

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überschwengliche Lebensreproduktionsfähigkeit, die irgendeines weisen Gottes ganz gutentbehren könnte. Sie können auf dem Wege bloß äußerer Forschungen freilich wohl nieeinen innern Grund solcher Erscheinungen erschauen, weil sie mit ihrer ganz nur in dieMaterie vertieften Seele nimmer den Licht- und Liebegeist Gottes berühren und ergreifenkönnen.[251,08] Wer aber in seiner Seele den Geist Gottes berührt und vollends ergriffenhat, dem wird es dann sein Geist selbst lehren, wie solche Begebnisse entstehen und warum, –und es soll dann erst ein solcher im Geiste geweckter Mensch die Dinge der Natur erforschenund sie also enthüllt zeigen seinen unkundigen und unmündigen Brüdern, auf daß sie dadurchdesto eifriger werden in der Erweckungstätigkeit ihres Geistes in ihrer Seele.[251,09] Um aber auf unsere Heuschrecken zurückzukommen, so entstehen sie zwarallenthalben auf den wärmeren Erdstrichen, aber zumeist zu gewissen Zeiten in Ägypten undim südlichen Asien. Da ist durch die Beschaffenheit des Klimas die stärksteNaturlebensgeisterproduktion, oder sie entwickeln sich dort am ehesten und häufigsten, weilda der materielle Boden der Erde, die Wärme der Sonne, ihr starkes Licht, der stets mächtigeTau und noch eine Menge anderer Umstände so mächtig einwirken, daß stets eine großeMenge früher noch gebundener Erdgeister frei werden, sich ehest mit den Luftgeisternverbinden, dann in eine leichte Materie gewisserart sich einpuppen und weiter in der Puppesich sodann mit einem Leibe bekleiden und in das tierische Erdenleben eingehen.[251,10] Auf diese Art und Weise entstehen in den sehr warmen Ländern der Erdeauch die Heuschrecken, und zwar sehr oft, obwohl sie auch aus ihren eigenen Eiernausgebrütet werden können.[251,11] Ich sage euch: Alles, Bäume und Pflanzen und alles Getier der Erde, istbestimmt, die gerichteten Geister aus der harten Materie zu erlösen, und das geht von Stufe zuStufe bis zum Menschen. Was dann mit dem Menschen geschieht, das wisset ihr nun schonohnehin, und so habe Ich über das vor uns liegende Naturereignis nichts mehr zu erklären. –Aber nun rufet Mir Petrus herein; denn Ich werde ihm und euch etwas kundtun!“[251,12] Andreas und Philippus tun sogleich, was Ich ihnen geboten habe, undPetrus, kaum ins Zimmer tretend, fragte sogleich, was es sei, das Ich ihnen zu verkündenwillens wäre.

252. Kapitel – Jenseits des Jordan am Galiläischen Meer. (Kap.252-276)[252,01] Und Ich sagte: „Machet euch alle reisefertig; Ich will und muß noch heutevon hier abgehen, und zwar ganz aus Galiläa hin in das Land, das über dem Jordan liegt undan das Land der Juden grenzt! (Matth.19,1) Dort waren wir noch nicht, und es gibt dort einegroße Menge sehr wißbegieriger Menschen, und wir werden dort darob noch heute guteGeschäfte machen.“[252,02] Sagte Petrus: „Herr, dahin müssen wir zu Wasser reisen, und unser Schiffist voll des Heuschreckengeschmeißes; um es zu reinigen, brauchen zwei fleißige Menscheneinen halben Tag zu solch einer Arbeit!“[252,03] Sagte Ich: „Da hast du wahr gesprochen, auch einen ganzen Tag dürftenzwei Arbeiter zu tun haben; aber Ich werde mit solch einer Arbeit schneller fertig! Begebenwir uns nur behende hinaus ans Meer, und es wird das Schiff schon gereinigt sein!“[252,04] Und als wir ans Meer zu unserem Schiffe kamen, siehe, da war es ganz rein,und es war keine Spur von einer Heuschrecke mehr irgendwo zu entdecken![252,05] Als die Jünger solches ersahen, verwunderten sie sich sehr darüber, undPetrus sagte: „Du bist wahrlich ein größter Meister in allen Dingen; auch die Heuschreckenmüssen sich Deinem Willen gehorchend erweisen! Sollen wir nun sogleich das Schiffbesteigen und abfahren, oder sollen wir zuvor ein Nachmittagsbrot mit etwas Wein verzehren,da die Reise eine ziemlich weite ist?“[252,06] Sagte Ich: „Was benötigen wir alles dessen? Bis jetzt haben wir nochnirgends, wo wir auch immer waren, Hunger gelitten, und so werden wir auch in dem Lande,dahin wir nun ziehen werden, weder Hunger noch Durst zu erleiden haben. In deinem Hausehast du ohnehin alles geordnet, und so besteigen wir das Schiff! Spannet das Segeltuch aus,

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dann löset das Schiff ab vom Stocke, und einer mache sich allein ans Steuerruder! Ich werdeeinen guten Wind kommen lassen, und wir werden bald an Ort und Stelle sein, dahin Ichziehen will.“[252,07] Petrus aber fragte Mich noch, ob er wegen der Versorgung und Bewahrungdes Schiffes am fernen, jenseitigen Ufer nicht etwa ein paar seiner Fischerknechte mitnehmensolle.[252,08] Und Ich sagte: „Ja, tue das; denn wir kommen so bald nicht wieder hierherzurück!“[252,09] Da berief Petrus zwei seiner Fischerknechte. Diese brachten das Schiffalsbald in Ordnung; der Wind fing auch an zu gehen, und wir fuhren nahezu mitPfeilesschnelle ab.[252,10] Als wir so mit einer wahren Sturmesschnelligkeit über die weiteWasserfläche dahinglitten und diese trotz des starken und heftigen Windes nur von ganzkleinen Wellen bewegt ward, da fiel das den zwei Knechten des Petrus auf, und sie fragtenihn, worin da etwa der Grund zu suchen wäre. Denn als sehr erfahrene, alte Fischer undSchiffer hatten sie so etwas noch nicht erlebt.[252,11] Petrus aber sagte zu ihnen: „Wie möget ihr jetzt noch um so etwas fragen!Habt ihr denn schon vergessen, was der große Meister aus Nazareth als unser Messias alleskann und vermag?!“[252,12] Da sagten die Knechte: „Das wußten wir schon, daß er große Wunder wirkt;aber daß ihm auch Wind und Meer gehorcheten, das wußten wir nicht! Der muß wahrlich eingroßer Prophet sein, so groß wie Moses und so groß wie Elias!“[252,13] Und Petrus sagte: „Endlos mehr denn Moses und Elias! Aber jetzt fragetnicht weiter, sondern gebet acht auf das Schiff; zur rechten Zeit werdet ihr schon ein mehreresüber die Göttlichkeit des Herrn in eure Erfahrung bringen! Wir kommen nun bald zumAusfluß des Jordan, und da heißt es aufpassen, daß wir nicht in die Strömung geraten, aus derherauszukommen ohne einen günstigen Gegenwind schwer ist.“[252,14] Hier griffen die beiden recht wacker nach den Rudern, und wir warenpfeilschnell über die ein wenig gefährliche Stelle gekommen und hatten aber auch schon dasUfer erreicht nach einer kaum eine Stunde dauernden Fahrt.[252,15] Es war allda, ein Ort, wo wir ans Ufer stiegen, und der Ort war bewohntzumeist von Fischern, zum größten Teile wohl aus Juden bestehend, aber so um ein Dritteilwar er auch von Griechen bewohnt, die da mit allerlei Handel trieben. Als wir ans Ufer kamenund dasselbe mit unseren Füßen betraten, da war viel Volkes da, dieweil etliche Pharisäer ausJerusalem anwesend waren und ihren Zehent in diesem Orte nahmen. Daß uns das Volk zuliefund einige Bessere von den vielen Menschen auch bald fragten, wer wir wären, was wir hiermachen würden, und ob wir etwa so manches einkaufen möchten, versteht sich von selbst.[252,16] Petrus aber ermannte sich und sagte zu den Neugierigen: „Lasset uns zuvoreine Herberge finden, dann werdet ihr früh genug erfahren, wer wir so ganz eigentlich sind,und was wir allhier wollen!“

253. Kapitel[253,01] Als Petrus solches kaum ausgesprochen hatte, trat sogleich ein angesehenerGastwirt zu ihm und sagte: „Kehret bei mir ein; denn ich habe wohl die größte Herberge imganzen Ort und bin ein billiger Wirt, obwohl ich ein Grieche bin! Ihr seid zwar Juden allemAnsehen nach, aber das tut nichts zur Sache; denn es wohnen ja auch etliche Pharisäer ausJerusalem, die hier den Zehent von den Juden nehmen, bei mir nun schon etliche Tage lang.“[253,02] Sagte Petrus: „Das ist uns eben das Angenehmste nicht! Übrigens kommt esda rein auf unsern Herrn an; was Er will, das wird geschehen!“[253,03] Sagte der Wirt: „Welcher von euch ist denn hernach der Herr, daß ich zuihm hintrete und mit ihm selbst rede?“[253,04] Petrus zeigte auf Mich und sprach: „Dieser da ist es!“[253,05] Da trat der Wirt mit einer Verbeugung zu Mir hin und sagte: „Willst du mitden Deinen bei mir Herberge nehmen? Mein Haus ist groß und sehr geräumig und hat viele

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Gemächer; zudem bin ich einer der allerbilligsten Wirte im ganzen, nicht unbedeutendenOrte.“[253,06] Sagte Ich: „Das bist du wohl, – aber wir haben nicht, um dich zu bezahlen;daher werden wir diese Nacht lieber auf unserem Schiffe zubringen! Zudem hast du Krankeim Hause und auch einen Arzt, der deinen Kranken nicht helfen kann, obwohl du ihn ausJerusalem hast kommen lassen und er dich viel Geld kostet. Und siehe, wie man sagt, es ist ineinem Hause nicht gut Wohnung nehmen, das mit allerlei böser Krankheit behaftet ist!“[253,07] Als der Wirt solches von Mir vernahm, da erschrak er ordentlich und fragteMich ganz erstaunt, wie Ich als ein in diesem Orte ganz Fremder das wissen könne.[253,08] Sagte Ich: „Ich könnte dir noch gar manches andere sagen, was dich nochmehr befremden würde; aber davon nun nichts Weiteres!“[253,09] Hier ward der Wirt sehr verlegen und fing an zu bitten, daß Ich dennoch beiihm möchte Herberge nehmen; denn es habe die Sonne ja bereits den Horizont erreicht, undder Abend stehe vor der Tür.[253,10] Darauf sagte Ich: „So gehe denn hin und bringe Mir deinen blinden Sohn,und wir werden sehen, ob Ich ihn werde heilen können!“[253,11] Hierauf verließ der Wirt schnell das Ufer, eilte nach Hause und brachte denvierzehn Jahre alten, gänzlich blinden Sohn, stellte ihn vor Mich hin und sagte: „Hier, lieberFreund, ist mein blinder Sohn! Er ward also blind, wie er jetzt da vor dir stehet, geboren. AlleÄrzte und Zauberer haben schon ihre Kunst an ihm versucht; aber da war alles reinvergebens! Nun, wie du ehedem bemerkt hast, ist ein ordentlicher Wunderarzt aus Jerusalembei mir im Hause; aber er kann auch geradesoviel wie die früheren! Nun kommt es auf dich,lieber Freund, an! Wahrlich, so du ihn heilest, da gehört mein halbes Vermögen dir!“[253,12] Da sagte Ich: „Kannst du glauben, daß Ich diesen deinen blinden Sohnsehend mache, so wird er auch sehend!“[253,13] Und der Wirt sah Mich fest an und sagte: „Ja, Freund, dir kann ich'sglauben! Es liegt ja in deinen Augen etwas so Entschiedenes, daß sie mir sagen: Durch diesenMund kam noch nie ein lügenhaftes Wort! Und so glaube ich denn nun auch fest, daß dumeinen Sohn heilen wirst.“[253,14] Sagte Ich: „Die andern Ärzte haben ihre Salben, und die Magier ihreZauberstäbe, – Ich aber habe weder eine Salbe und noch weniger irgendeinen Zauberstab;Mein Wille ist alles, und so Ich es nun will, da werde dein Sohn alsogleich sehend!“[253,15] Als Ich solches ausgesprochen hatte, da ward der Blinde im Augenblickvollkommen sehend und schrie vor Freuden laut auf, da er nun ersah die Menschen, das Meer,die Gegend und alles, was da war.[253,16] Der Wirt aber trat völlig zu Mir hin und sagte: „O du großer undwahrhaftigster Heiland, wie soll ich dir denn nun gebührend danken für solche deinewahrhaftigste Gnade? Denn wahrlich, der das kann, was du kannst, der allein kann Gnadenausteilen; denn was nützen einem Blinden tausend Gnaden und Wohltaten von seiten derMachthaber dieser Erde, so sie ihm bei aller ihrer sonstigen Macht und Güte das Licht derAugen nicht geben können!? Du aber hast ihm aus einer innern, mir gänzlich unbegreiflichenMacht das Augenlicht gegeben und hast dadurch mir und meinem liebsten Sohne eineunaussprechlich große Gnade erwiesen. Aber als Lohn dafür ist das, was ich dir ehedemversprochen habe, viel zuwenig! Oh, sprich du es aus, was ich dir nun schulde, und ich werdemit aller Liebe und Freude deinem Wunsche Gewähr leisten!“[253,17] Sagte Ich: „Heute gib uns Herberge, tue den Armen Gutes und machesonach das wieder gut, was du oft Schlimmes an ihnen getan hast!“[253,18] Der Wirt versprach, solches alles strengstens zu beachten und zu tun und batMich inständigst, ihm in sein Haus zu folgen. Und Ich und die Jünger und auch die zweiFischerknechte des Petrus gingen nun mit dem Wirte, und alles Volk, das da Zeuge von derHeilung des Blinden war, folgte uns auf dem Fuße nach.[253,19] Auf dem Wege aber schrien viele aus dem Volke: „O du wahrhaftigsterHeiland, heile du auch unsere Kranken, deren wir viele haben! Denn siehe, wer bei unseinmal krank wird, der wird nimmerdar gesund; er siecht so langsam bis zum Grabe hin! Es

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ist das eine wohl recht böse Eigenschaft dieser sonst schönen Gegend. O du lieber Heiland,erweise auch uns Armen eine solche Heilsgnade, wie du sie dem blinden Wirtssohne erwiesenhast! Dein Wille geschehe!“[253,20] Und Ich sprach: „Nun wohl denn, also geschehe nach eurem Wollen undGlauben! Gehet aber nun zu euren vielen Kranken und überzeuget euch, ob in euren Häusernund Lagern sich noch irgendwo ein Kranker vorfindet!“ (Matth.19,2)[253,21] Auf diese Meine Worte eilten bis auf wenige, die keine Kranken hatten, alledavon, um sich daheim zu überzeugen, ob ihre Kranken wahrhaft geheilt worden seien. Alssie in ihren Häusern, schon stark gegen Abend, ankamen, da fanden sie keinen Kranken,sondern alle, mit was für Krankheiten und Gebrechen sie auch behaftet waren, waren derartgeheilt, als wären sie nie mit irgendeiner Krankheit behaftet gewesen waren.[253,22] Die Geheilten aber wußten nicht, was da vorgefallen war, daß sie alle aufeinmal gesund geworden waren, und fragten alsbald nach der Ursache solch eines nie erhörtenVorkommens. Da erzählten ihnen die Ihrigen von Mir, und wie Ich schon vor ihnen amMeeresufer des reichen Wirtes blindgeborenen Sohn sehend gemacht habe, und wie nun auchsicher alle andern Kranken des Wirtes gesund geworden seien.[253,23] Als die Geheilten das vernommen hatten, da eilten sie aus den Häusern undkamen vor des Wirtes Haus. Da verlangten sie bittend, Mich zu sehen und Mir ihren Dankabzustatten.[253,24] Da ging Ich unter sie und sagte zu ihnen: „Gehet nun nach Hause undsündiget nachher nicht mehr; denn so ihr abermals in eure alten Sünden verfallet, so werdetihr dadurch auch wieder in eure alten Krankheiten verfallen! Haltet die Gebote, welche Mosesgegeben hat, so wird von euch alles Übel fernbleiben.“[253,25] Hierauf entließ Ich sie alle, und unser Wirt, der nun über alle Maßen frohund heiter ward, da auch alle seine anderen Kranken geheilt worden waren, wußte nun garnicht, was er uns alles zugute tun sollte für unsere ihm erwiesene Wohltat.

254. Kapitel[254,01] Da der Wirt aber ein Grieche und auch noch ein Heide war, aber doch rechtwohl wußte, wie die Juden nicht alles essen dürfen, was die Griechen als hienoch Heidenaßen, so fragte er Mich, sagend: „O du großer Herr und Meister, was pflegst du und waspflegen sicher diese deine Jünger am Abende zu essen? Ob ich auch ein Heide bin, so weißich dennoch aus meinen gemachten Erfahrungen, daß die Juden gar manches nicht essen, waswir zu essen pflegen, und so frage ich dich denn, womit ich euch, ihr lieben Männer, dienenkönnte. Denn nun seid ihr ganz Herren in diesem Hause und ich nur euer gehorsamsterKnecht, und sonach wollet mir nur gnädigst befehlen, und ich werde jeden eurer Wünsche aufdas möglichste zu befriedigen eifrigst beflissen sein!“[254,02] Sagte Ich: „Gib uns etwas Brot und Wein und darauf ein gutes Nachtlager!Mehr bedürfen wir nicht.“[254,03] Da wurde der Wirt beinahe traurig, dieweil Ich nicht etwas Mehreres undBesseres verlangt hatte. Aber er ging dennoch hinaus in seine Speisekammer und brachte unsselbst Brot und Wein, und das in gerechter Menge. Wir nahmen Platz an einem großenTische, und der Wirt nahm mit seinen Kindern auch am selben Tische Platz, aß und trank mituns, und als ihm der Wein ein wenig die Zunge löste, da fing er an, uns so manches aus seinenErlebnissen zu erzählen, und es kamen darum auch die Wunderwerke der Essäer und die derPharisäer zur Sprache, sowie auch die zehn Hauptgesetze Mosis.[254,04] Da meinte der Wirt, daß diese Gesetze wohl recht gut wären, – aber siewürden nicht gehalten, und am allerwenigsten von den jüdischen Priestern, die doch ihrenGlaubensgenossen allzeit mit einem guten Beispiel vorangehen sollten. Da Ich ein so großerund sicher höchstweiser Heiland sei, da dürfte Ich ihm auch da einen rechten Aufschluß zugeben imstande sein. Hauptsächlich aber möchte Ich ihm darin einen rechten Rat geben, ob ernach schon mehrmals erfolgten Aufforderungen von seiten der Pharisäer zum Judentumübertreten oder beim Griechentum verbleiben solle. Es gefiele ihm der Juden Lehre imGrunde besser denn die seine, die eigentlich nur ein poetisches Phantasiegebilde sei, dahinter

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nur sehr wenig Wahres sich berge.[254,05] Darauf antwortete Ich ihm, sagend: „Bleibe du dem Außen nach, was dubist, innerlich aber sei ein wahrer Jude, was du um so leichter sein kannst, weil du dabeikeinem Priester als irgend verpflichtet dastehst! Daß die Pharisäer dich deiner großenReichtümer wegen lieber zu den Ihrigen hätten, als daß du für sie ein Fremder bist, das wirstdu wohl einsehen! Daher bleibe du, was du bist, und suche die Wahrheit und den Grund desLebens und Seins! Denn nur die Wahrheit wird dich frei machen, und mit ihr wirst du hochüber allem Priestertume stehen und über allem, was die Welt Weisheit nennt. – Hast du Michnun wohl verstanden?“[254,06] Sagte der Wirt: „Ich habe dich verstanden; nur ist da noch eine besondereFrage zu stellen, nämlich: Was ist die Wahrheit? Ja, die reine Wahrheit machete denMenschen schon allersicherst frei, – aber wo ist sie, wer kann sie mir zeigen, wer geben?“[254,07] Sagte Ich: „Das kann Ich und jeder dieser Meiner Jünger, – aber Ich Selbstam sichersten; denn Ich Selbst bin die Wahrheit und das Leben, dieweil Der, welcher in Mirwohnt, von Ewigkeit her eben das ist!“[254,08] Sagte der Wirt: „Herr und Meister, das verstehe ich nicht! Wie soll ich dasnehmen?“[254,09] Sagte Ich: „Dahier um Mich herum sitzen Meine Jünger, diese frage darum,sie werden dir das schon erklären; denn es ist besser, von sich reden zu lassen, denn selbst zureden! Ich Selbst aber werde unterdessen hinausgehen und Mich erquicken an der kühlenAbendluft.“[254,10] Hier erhob Ich Mich und ging ganz allein ins Freie. Die Jünger aberunterrichteten den Wirt nun von dem Wichtigsten, was Mich anbelangt. Und als der Wirtdarauf ins klare kam, wer und was Ich bin, da kam er auch bald hinaus ins Freie zu Mir unddankte Mir samt seinen Kindern inbrünstigst für die ihm erwiesene große Gnade. Die Kindertaten desgleichen. Ich segnete sie alle, und wir begaben uns darauf zur Ruhe; denn es warschon so ziemlich spät in der Nacht geworden.

255. Kapitel[255,01] Als wir am Morgen als wohlausgeruht uns gestärkt von unseren Ruhestättenerhoben und ins Freie hinaustraten, da war unser Wirt auch schon auf den Füßen, und diebeiden Knechte des Petrus befanden sich auch schon auf dem Schiffe, um alsbald abzufahren.Aber wir hießen sie noch warten auf ein Morgenbrot, das ihnen unser Wirt auch sogleichverabfolgen ließ. Dann fuhren sie ab, da wir des Schiffes nun eine längere Zeit nichtbenötigten.[255,02] Darauf begaben auch wir uns infolge der Einladung unseres Wirtes zumMorgenmahle. Als wir noch kaum mit demselben fertig waren, da kamen auch schon andereMenschen, um Mich, den Wundermann, wie sie sagten, zu sehen und auch zu sprechen.Darunter aber waren Juden und Griechen, und sie erzählten sich gegenseitig, was Ich durchMeinen puren Willen alles gewirkt habe.[255,03] Da aber, wie schon erwähnt, sich auch Pharisäer in ebendiesem Hauseaufhielten, so erfuhren sie denn auch, was sich gestern am Abende alles zugetragen hatte, underrieten bei sich bald, daß Ich der ihnen schon bekannte Zimmermannssohn aus Nazareth seinwürde. Sie traten darauf in unser Zimmer und fingen an, Mich mit allerlei Fragen zuversuchen, die Ich ihnen stets auf das sicher triftigste beantwortete, und ihnen den Mundstopfte.[255,04] Es lebten aber hier etliche, die mit ihren Weibern unzufrieden waren. Diesebegehrten von den hier anwesenden Pharisäern die Scheidung.[255,05] Da fragte Mich wieder einer der Pharisäer: „Höre, du wunderbarer undallweiser Meister! Ist es wohl recht, daß ein Mann sich scheiden lasse von seinem Weibe ausirgendeiner gegründeten Ursache?“ (Matth.19,3)[255,06] Da sah Ich ihn fest an und sagte: „Was fraget ihr denn Mich nun darum?Habt ihr in der Schrift denn nicht gelesen, daß Der, welcher im Anfange die Menschengemacht hat, es auch also machte, daß sie da nur ein Männlein und ein Weiblein waren?!

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(Matth.19,4)[255,07] Und als das erste Menschenpaar dastand vor Dem, der es gemacht hatte, undDieser wohl sah, daß dem Manne das schöne Weib sehr wohl gefiel, da sprach dieser Eine,den ihr noch nie erkannt habt: ,Sieh, darum wird in der Zukunft ein Mensch Vater und Mutterverlassen und wird anhangen seinem Weibe, und es werden die zwei also ein Fleisch sein!‘(Matth.19,5) Wenn sich aber das nach dem Worte Gottes also verhält, so sind sie nun nichtzwei, sondern nur ein Fleisch. Was aber Gott also zusammengefügt hat, das soll der Menschnicht trennen!“ (Matth.19,6)[255,08] Darauf sprachen die Pharisäer: „Wenn du schon so ein Schriftkundiger bist,so wirst du auch wohl wissen, daß uns ebenderselbe Moses, der die Erschaffung desMenschen beschrieb, einen förmlichen Scheidebrief so gut als völlig gesetzlich hinterließ undgeboten hat, daß man sich scheide vom Weibe einer gegründeten Ursache wegen.“(Matth.19,7)[255,09] Darauf erwiderte Ich: „Moses hat euch wohl einen Scheidebrief gegeben,laut dessen ihr euch scheiden könnet von euren Weibern; aber er tat solches nur um der Härteeurer Herzen willen. Vom Anbeginne der Menschheit auf dieser Erde aber war es nicht also,sondern wie Ich es euch ehedem gesagt habe. (Matth.19,8)[255,10] Ich sage euch aber noch weiter hinzu: Wer sich von seinem Weibe, und seies auch um der argen Hurerei willen, scheidet und freiet eine andere, der bricht die Ehe. Undwer die Abgeschiedene freit, der bricht auch die Ehe. (Matth.19,9) Was aber der Ehebruch füreine Sünde ist, das wisset ihr ohnehin, und Ich brauche euch darüber keine weitereAufhellung zu geben.“[255,11] Hier verließen Mich ohne ein weiteres Wort die Pharisäer.

256. Kapitel[256,01] Dafür aber traten Meine Jünger zu Mir und sagten: „Herr, wenn die Sacheeines Mannes mit seinem Weibe also stehet, dann ist es wahrlich nicht gut, ehelich zu werden!(Matth.19,10) Denn es gibt dann und wann ja doch Weiber, die gegen den Mann wahreSatane sind, und so denken wir, daß es denn für Deine Ordnung doch nicht gar so unpassendwäre, sich von einem solchen Weibe zu scheiden und des Haushaltes wegen um eine anderezu freien. Denn behält ein Mann ein böses, hurerisches Weib, so gibt es da in einem solchenHause ja einen ewigen Zank und Hader und viele böse Worte, was im Hause selbst und beiden Nachbarn stets einen bösen Ärger erregen muß. Läßt aber ein solcher Mann sich voneinem solchen Weibe scheiden, so wird bald volle Ruhe im Hause herrschen. Und in demFalle glauben wir denn doch, daß der Scheidebrief Mosis vor aller bessern Menschenvernunftseine volle Rechtfertigung findet.“[256,02] Darauf sagte Ich zu den etwas verlegenen Jüngern: „Das Wort (was vor denPharisäern gesprochen ward) fasset nicht ein jeder Mensch, sondern nur die, denen es gegebenist, es zu fassen (Matth.19,11), und bis jetzt habt ihr es auch nicht gefaßt, obwohl es euchgegeben ist, es zu fassen; aber ihr sollet es dennoch fassen und werdet es auch![256,03] Fürs erste verweise Ich euch auf das zurück, was Ich über diesenGegenstand schon zu öfteren Malen geredet habe, und das in einer erschöpfenden Weise.[256,04] Fürs zweite aber versteht es sich von selbst, daß Ich durch Moses nie einenScheidebrief euch beschieden hätte, so Mir in so manchen Fällen, die sich wohl begründenlassen, dessen Notwendigkeit etwa nicht ersichtlich gewesen wäre. Aber wisset ihr denn nicht,welchen verderblichen Mißbrauch die Pharisäer in dieser Zeit und schon lange her mit denEhescheidungen treiben?! Sie selbst stiften geheim allerlei Unfrieden in einer sonst noch soguten Ehe und bringen es endlich dahin, daß sich die Eheleute scheiden lassen müssen. Nun,die Ehescheidung wird von den Priestern vorgenommen und kostet viel Geld, und darin ebenliegt der Grund, warum in dieser Zeit so häufig Ehescheidungen vorkommen, und warum Ichin dieser Hinsicht den Pharisäern die Urgesetze Gottes vor Augen gestellt habe. Meine Machtkennen sie, und so sind sie daher auch mit geheimen Grimme abgezogen.[256,05] Fürs dritte aber sage Ich euch noch etwas, und darauf habet acht undzeichnet es sogar auf! Sehet, es gibt unter den Menschen beiderlei Geschlechtes welche, die

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da verschnitten sind schon vom Mutterleibe aus, andere, aber nur Männlein, die von denMenschen aus was immer für einer Ursache verschnitten worden sind, und es gibt endlichsolche Verschnittene, die sich selbst des Himmelreiches wegen verschnitten haben! Wer dasfassen kann, des fasse es! (Matth.19,12)[256,06] Kurz, diese sind für keine Ehe mehr, und jede mit solchen Verschnittenengeschlossene Ehe ist völlig ungültig und kann ohne alle weiteren Bedenken vollkommengeschieden werden, und der unbeschnittene Teil kann ohne Begehung des Ehebruchs vonneuem freien.[256,07] Ist aber jemandes Weib unfruchtbar, da tue er im gerechten Sinne, was diealten Väter getan haben, damit sie sich einen Samen erweckt haben, und er wird deshalb vorkein Gericht gestellt werden. – Ich meine nun, daß ihr das endlich werdet gefaßt haben.“[256,08] Sagte Petrus: „Bis auf eines wohl; aber wenn jemand ein Weib hat, das ausangeborener purer Geilheit trotz aller Ermahnungen und liebreichen Vorstellungen dennoch ineinem fort hurt und also gänzlich unverbesserlich ist, soll man sich von solch einem Weibeauch nicht scheiden lassen? Oder was soll man da nach Deinem Willen Rechtens tun?“[256,09] Sagte Ich: „Du kannst dich von solch einem Weibe, das offenbar eineEhebrecherin ist, ohne weiteres scheiden lassen, – aber du darfst, so sie irgend lebt, um keinanderes Weib freien! Denn du kannst es nicht wissen, ob das Weib sich in der Folge nichtbekehrt und voll Reue in dein Haus zurückkehrt und du dann ein gebessertes, treues Weibhast. Hast du aber unter der Zeit eine andere gefreit, und das frühere Weib käme danngebessert und voll Reue zu dir zurück, so würdest du es des neues Weibes wegen nicht mehrannehmen können, und siehe, das wäre dann ja doch etwas Schlimmes für dich und nochetwas Schlimmeres für deine nun beiden Weiber; denn dem älteren könntest du keineBarmherzigkeit erweisen und von dem jüngeren dich nicht scheiden, und doch sollst du alsobarmherzig sein, wie der Vater im Himmel barmherzig ist. Wenn aber du die Barmherzigkeitnicht üben kannst, was bist du dann, und was willst du tun, um in Meiner Ordnung zuverbleiben? Hast du aber einen Drang und viel Natur, da blicke auf die Altväter zurück; aberin deinem Herzen sei Gott getreu und hüte dich vor der Geilheit und Unzucht und derHurerei! Denn Hurer und Ehebrecher werden in das Gottesreich nicht eingehen. – Hast du dasnun wohl verstanden?“[256,10] Sagte Petrus: „Ja, Herr, nun bin ich auch da im klaren!“

257. Kapitel[257,01] Hier trat aber sogleich der Wirt zu Mir hin und sagte: „Herr, gilt das auchfür uns Heiden?“[257,02] Sagte Ich: „Allerdings! Denn es gibt nur einen Gott und Herrn; Der will alleMenschen gleich erzogen haben, und Ich bin darum in diese Welt gekommen, um auch denHeiden das Tor zum Licht und Leben zu öffnen. Und es wird einst die Zeit kommen, und isteigentlich schon da, wo den Juden das Licht genommen und den Heiden gegeben werdenwird.“[257,03] Da sprach der Wirt: „Ganz gut, Herr und Meister, es ist gut, daß ich das nunweiß; ich werde meine Genossen schon dahin anhalten, daß sie in Deiner Lehre bleiben undhandeln werden. Denn ich errate es jetzt schon, mit wem ich es nun zu tun habe! Du bist einGott und kein Mensch; denn Deine Taten hat noch nie je ein Mensch verrichtet, und Worte,wie Du sie geredet hast, sind auch noch nie aus eines Menschen Mund geflossen. Solchesalles ist nur einem Gott möglich![257,04] Aber nun habe ich noch eine Bitte an Dich, der Du nun ein wahrer Gott fürmich geworden bist. Siehe, wir haben in diesem Orte eine Menge Kinder, und ich meine, soDu sie segnen würdest in Deiner wahrlich allmächtigen Art und Weise, so müßte ihnen dasfür die Folge in ihrer Reife ja von einem großen sittlichen Nutzen sein! Herr und – sage –mein Gott, habe ich ein rechtes Verlangen an Dich gestellt?“[257,05] Sagte Ich: „Nun, so gehe und lasse die Kleinen zu Mir kommen!“[257,06] Hierauf sandte der Wirt eiligst seine vielen Diener in den ganzen Ort aus,um allen zu verkünden, daß sie ihre Kleinen zu ihm bringen sollten, allwo sie der wunderbare

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Heiland segnen und stärken werde.[257,07] Bald darauf wurden eine Menge Kindlein zu Mir gebracht, auf daß Ichihnen die Hände auflegete und über sie das Segnungsgebet richtete.[257,08] Da die Kinder sich zu Mir hindrängten, weil einige lebhaftere die Ersten beiMir sein wollten, so fuhren die Jünger sie des unartigen Drängens halber an und verwiesenihnen solche Unart. (Matth.19,13) Da wurden die Kleinen schüchtern und trauten sich nichtzu Mir hin.[257,09] Ich aber ermahnte die Jünger und sagte zu ihnen: „Ei, so lasset doch dieseKleinen; denn ihrer ist das Himmelreich!“ (Matth.19,14)[257,10] Darauf ermunterte Ich die Kleinen, zu Mir zu kommen ohne Furcht undScheu. Da bekamen die Kleinen wieder Mut und eilten zu Mir hin. Ich aber legte ihnen allendie Hände auf und segnete sie.[257,11] Als diese Handlung vollzogen war, da ging alles nach verrichtetem Dankewieder nach Hause. (Matth.19,15)[257,12] Darauf trat abermals der Wirt zu Mir und sagte: „Herr und mein Gott!Möchtest Du wohl meinem Hause noch die große Gnade erweisen und Dich noch etlicheTage oder Wochen und Monde lang hier aufhalten?“[257,13] Sagte Ich: „Solange du bei Meiner von den Jüngern vernommenen Lehreverbleiben wirst, solange wird Der, den du in Mir Gott nanntest, bei dir verbleiben; verläßt duaber diese neue Lehre im Glauben und im Tun danach, so wird dich auch dieser dein Gottverlassen. Aber Ich, als nun auch noch ein Leibesmensch, muß nun alsbald von hier ziehen;denn mit den Pharisäern unter einem Dache wohnen, wäre eben nicht besonders gut – wederfür den einen noch für den andern Teil.[257,14] Ich habe nun ungerufen deinem Hause und diesem ganzen Orte sicher einegroße Wohltat erwiesen! Gedenket dieses Tages, und so euch wieder irgendeine Not drückensollte, berufet Mich nur volltrauig in euren Herzen, und es soll euch geholfen werden!“[257,15] Darauf erhoben wir uns schnell und zogen aus diesem Orte.

258. Kapitel[258,01] Als wir eine kleine Stunde Weges vom Orte, wo wir waren, entfernt waren,da kam uns ein junger Mensch aus ebendemselben Orte auf dem Wege entgegen. Er war aucham gestrigen Abende Zeuge gewesen von Meinen Taten und Lehren und war dazu für seineJugend sogar ein ganz tüchtiger Schriftgelehrter, aber nicht von Profession. Als er Mich ersahund erkannte, da trat er Mir entgegen, hielt Mich auf und bat Mich, ihm zu erlauben, eineFrage an Mich zu stellen.[258,02] Ich tat das, und er sprach: „Guter Meister, was soll ich denn alles für Gutestun, um dasjenige ewige Leben, von dem gestern deine Jünger bei dem griechischen WirteRauris gar soviel Wunderherrliches und sicher sehr Wahres erzählten, zu erlangen auf einemkürzeren Wege, als ihn deine Jünger bezeichneten? (Matth.19,16)[258,03] Ich aber sah ihn ernst an und sagte zu ihm: „Wie kannst du Mich, der Ich dirbekannt nur ein Mensch bin, als selbst ein Schriftgelehrter gut heißen? Weißt du denn nicht,daß außer Gott niemand gut ist? – So du aber zum ewigen Leben eingehen willst, da halte dieGebote!“ (Matth.19,17)[258,04] Hier fragte der Mensch weiter und sagte: „Welche Gebote denn?“ – DieseFrage aber stellte er darum, weil er meinte, daß Ich dafür etwa ganz neue und völligunbekannte Gesetze habe.[258,05] Ich aber sagte zu ihm: „Die, welche Moses gegeben hat, als: Du sollst nichttöten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst kein falsches Zeugnisgeben! (Matth.19,18) Ehre Vater und Mutter; und: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dichselbst!“ (Matth.19,19)[258,06] Hierauf fragte der Jüngling: „Wen aber soll oder kann ich als meinenNächsten ansehen?“[258,07] Hierauf erzählte Ich ihm das bekannte Gleichnis vom barmherzigenSamariter, und er begriff nun, wer als sein Nächster anzusehen sei.

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[258,08] Als er aber solches von Mir vernommen und auch eingesehen hatte, da sagteer darauf: „Wenn also, da gebe ich dir die volle Versicherung, daß ich das alles schon vonmeinem Knabenalter an getan habe! Was fehlet mir noch?“ (Matth.19,20)[258,09] Und Ich erwiderte ihm: „So du aber ganz vollkommen sein willst, da gehehin und verkaufe alle deine irdischen Güter und verteile sie unter die Armen, so wirst du dirdamit einen Schatz im Himmel gründen! Darauf komme und folge Mir nach; da werde MeinJünger und lerne von Mir die Geheimnisse des Himmelreiches kennen!“ (Matth.19,21)[258,10] Als der junge Mann aber solches von Mir vernommen hatte, da ward ertraurig, dieweil er viele und große Güter hatte, kehrte Mir den Rücken und ging seines Wegesweiter. (Matth.19,22)[258,11] Des wunderten sich die Jünger, und sie sagten: „Das ist aber dochsonderbar! Der Mensch schien recht gut dessen innezusein, daß aus Dir ein Gottesgeist redet;aber der eitlen Weltschätze wegen kehrte er dem allmächtigen Gottgeiste lieber den Rücken,als daß er Seiner Mahnung Folge geleistet hätte! Sonderbar, überaus sonderbar! Was istdereinst mit einem solchen Menschen?“[258,12] Sagte Ich: „Ein Reicher wie dieser wird schwerlich ins Himmelreichkommen! (Matth.19,23) Habet acht darauf, was Ich euch da noch weiteres sage! Wahrlich, esist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein solcher Reicher komme insReich Gottes!“ (Matth.19,24)[258,13] Da aber die Jünger auf dem Wege solches von Mir vernahmen, daentsetzten sie sich sehr und sagten: „O je, o weh, – wenn also, wer kann da ins Himmelreichkommen und selig werden?! (Matth.19,25)[258,14] Ich aber sah die sehr verlegen gewordenen Jünger freundlich an und gabihnen damit einen Trost, daß Ich zu ihnen sagte: „Bei den Menschen wäre so etwas wohlfreilich unmöglich; aber bei Gott sind alle Dinge möglich![258,15] Ich habe aber schon ohnehin bei dem Fischer Aziona ausführlich überdiesen Gegenstand gesprochen, wie es möglich ist, daß die Seelen noch ärgerer Menschen aufGottes geheimen Wegen noch selig werden können, und so wäre es hier ganz überflüssig,noch ein mehreres darüber zu sagen. Ihr werdet davon wohl noch etwas wissen?“

259. Kapitel[259,01] Sagte Petrus: „O ja, das ist mir und sicher auch allen andern noch sehr wohlim Gedächtnisse! Aber ich nehme mir hier die Freiheit, im Namen unser aller Dich zu fragen,was dereinst uns dafür wird, die wir alles verlassen haben und sind Dir treulich gefolgt?“(Matth.19,27)[259,02] Darauf antwortete Ich und sagte: „Wahrlich, Ich sage es euch, die ihr Mirnachgefolgt seid: In eurer vollen Wiedergeburt, so Ich auferstanden sein werde und sitzen aufdem Stuhle Meiner ewigen Herrlichkeit, werdet auch ihr neben Mir, und gleich Mir, sitzen aufzwölf Stühlen und richten die zwölf Stämme Israels (Matth.19,28), was soviel sagen will als,daß ihr dereinst in Meinen Himmeln mit Mir zum ewigen Wohle aller Menschen dieser Erdeund auch der anderen Welten stets Mir gleich tätig sein werdet und als den Erdenmenschenunsichtbare Schutzgeister eben diese Menschen hier und auch noch jenseits bewachen, leitenund führen! Denn nur in einer stets sich mehrenden, wahren Liebetätigkeit besteht das wahreHimmelreich und dessen wachsende Seligkeit.[259,03] Und noch sage Ich euch hinzu: Wer da verläßt Häuser, Brüder oderSchwestern, oder Vater oder Mutter, oder sein Weib, seine Kinder, oder seine Äcker, oderGärten und Wiesen und Herden um Meines Namens willen, der wird alles das in MeinemReiche hundertfach wiedererhalten und dadurch erben das wahre, ewige Leben. (Matth.19,29)[259,04] Aber das merket euch auch: Die da nun sind die Ersten, werden gar leichtdort sein die Letzten, und die da werden sein die Letzten, werden dort auch leicht sein dieErsten!“ (Matth.19,30)[259,05] Das verstanden die Jünger nicht, und Petrus fragte: „Was soll das, waswillst Du damit gesagt haben? Denn was Du aussprichst, das hat seine Realität für die ganzeEwigkeit, und wir wollen da alles genau wissen und verstehen, was da kommt aus Deinem

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Munde! Dieses scheint auf uns einen Bezug zu haben, und es wäre das eben nicht sehr fein, sowir eben darum die Letzten im andern Reiche sein sollten, dieweil wir allhier die Erstenwaren!“[259,06] Sagte Ich: „Mein lieber Simon Juda, darum sicher nicht; aber so da jemandvon euch sich darum für besser dünken möchte, weil Ich ihn zuerst erwählt habe, der wäredadurch ja schon in einen Hochmutsdünkel verfallen, mit welchem er im Himmelreiche wohlnimmer ein Erster sein könnte. Da wäre einer, den Ich nach mehr denn tausend Jahrenerweckt und erwählt hätte, doch sicher ein Letzterer der Erwählung nach; so er aber im hohenGrade demütig wäre in seinem Berufe, so daß er sich dabei stets für den solcher GnadeUnwürdigsten hielte, aber dabei dennoch treu und ausharrend wäre in seinem Berufe, obwohler nicht solche Beweise von der vollen Echtheit dessen hätte, was ihm gegeben würde,sondern sich nur mit dem alleinigen Glauben fortbringen müßte, – wäre dann ein solcherBerufener nicht ein Erster im Himmelreiche?[259,07] Ich hätte euch aber diese Bemerkung nicht gemacht, so ihr euch nicht schonhier um den Lohn für das, was ihr nun für Mich zu tun glaubet, erkundigt hättet! Das war, duSimon Juda, auch nicht fein von dir und euch allen, da Ich euch dadurch, daß Ich euch erwählthabe, nur eine größte Wohltat geistig und leiblich erwiesen habe, daß ihr euch darum noch umeine Belohnung zu erkundigen begonnen habt! Hatte Ich da dann etwas Unrechtes an euchgetan, so Ich euch einen kleinen Rippler gab?“[259,08] Sagte Petrus: „O mitnichten, Herr und Meister; wie ich es nun einsehe, sowar er viel zu gering gegenüber unserer großen Dummheit! – Aber es fragt sich nun um etwasanderes, und das ist das: Wohin wir nun ziehen werden!“[259,09] Sagte Ich: „Wir werden einen sehr verborgenen Ort besuchen und eben insolchem Orte eine Ruhe nehmen; denn wir haben bisher fleißig gearbeitet. Auf eine fleißigeArbeit aber gehört auch eine Ruhe; darum schreiten wir nur mutig vorwärts, und wir werdenden verborgenen Ort bald erreichen! Dort werdet ihr wahrhaft Meine Engel auf- undniederfahren sehen; darum also nur mutig vorwärts geschritten!“

260. Kapitel[260,01] Nach ein paar Stunden Weges erreichten wir den verborgenen Ort, der so,wie viele andere, keinen Namen hatte. Die Juden wie die Griechen benannten ihre bewohntenOrte oft deswegen nicht, auf daß sie wegen der Besteuerung von den Römern und denLehnsfürsten nicht so leicht aufgefunden werden konnten; denn so ein solcher Ort einmalaufgefunden, beschrieben und benamset war, so war er auch tributpflichtig.[260,02] Nebstbei aber war auch noch ein anderer Grund der allda so oftvorkommenden Namenlosigkeit der kleinen Ortschaften vorhanden, und der bestand darin: Eswar bei den Römern wegen der schnelleren und leichteren Kolonisierung und Kultivierungder unwirtbaren und wüsten Gegenden gebräuchlich, daß eine neue Kolonisation samt ihrenneuerbauten Orten zwanzig, dreißig, vierzig bis fünfzig Jahre hindurch unbesteuert blieb, jenachdem eine oder die andere Gegend mehr oder weniger Zeit zu ihrer vollen Kultivierungbenötigte. Nun, daß die Juden und Griechen, die nie gar besondere Freunde vom Steuerzahlenwaren, dieses humane römische Gesetz sehr zu ihrem Nutzen auszubeuten verstanden, daranwird sicher niemand irgendeinen Zweifel haben. Sie gaben darum einem neuerbauten Ortekeinen Namen, und wurden sie irgendwann von einem römischen Kommissarius befragt, sowar der Ort erst zehn Jahre alt, wenn er auch schon längst über ein halbes Säkulum auf demRücken hatte. Darauf bekam der also von einem Kommissarius besehene Ort eine Nummer,aber noch keinen Namen; erst von diesem Zeitpunkte angefangen, ward der neue Ort nach derabgelaufenen gesetzlichen Frist steuerbar und bekam einen Namen.[260,03] Und also war denn dieser kleine Ort, den wir soeben erreichten, einnamenloser, aber darum auch ein noch steuerfreier Ort. Dieser Umstand kam aber auch unsoftmals zugute; denn die Bewohner von solchen neuen oder besser noch unbesteuerten Ortenwaren um vieles freigebiger und zugänglicher. Und so war es abermals hier wieder der Fall.Wir kamen gerade mit dem Untergange der Sonne an einem Vorsabbat in diesem wahrlichsehr verborgenen Orte an.

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[260,04] Der Ort aber lag in einem Hochgebirgstal, das da recht fruchtbar undbesonders zur Viehzucht geeignet war; aber es war nur von einer Seite, und selbst da sehrschwer zugänglich. Menschen, die dem Kopfschwindel unterworfen sind, würden es wohlkaum wagen, sich über diese steilen Pfade hinaufzubegeben. Das Tal selbst lag nach derjetzigen Messung über viertausend Fuß über dem Meere, was in Asien freilich wohl ebennicht gar zuviel sagen will, dieweil es da noch viel höher gelegene, bewohnte Orte gab undnoch gibt.[260,05] Als wir also in diesem Orte ankamen, da ersahen uns alsbald mehrereEinwohner und beriefen schnell ihren Ältesten und Vorsteher, daß er käme und unsausforschen solle, warum wir dahin gekommen wären. Der Vorsteher, ein schon ergrauterJude, war gleich bei der Hand, besah uns und fragte uns darauf, was wir hier zu tun willenswären, und was uns genötigt habe, diesen von aller Welt schroffst abgeschiedenen Ort zuerklimmen.[260,06] Ich aber sagte zu ihm: „Der Friede sei mit dir und mit diesem ganzen,wahrlich nicht unbedeutenden Orte. Das Reich Gottes ist nahegekommen, was ihr schlichtenund einfachen Leute während Meiner Ruhe, die Ich bei euch nehmen will, schon noch zurGenüge werdet einsehen lernen! Für jetzt aber frage Ich dich, ob wir bei dir nicht eine kurzeZeit hindurch eine Herberge haben können?“[260,07] Sprach der Vorsteher: „Ihr seid keine argen Menschen, das habe ich auf denersten Augenblick herausgehabt; aber ihr seid so Abenteurer, und das macht nichts, und sokönntet ihr schon unter meinem Dache Wohnung haben. Aber ihr müsset mir recht vieleserzählen, wie es etwa nun in der Welt so zugeht; denn ich bin nun schon bei zwanzig Jahrelang nicht von da in die lose Welt hinabgekommen und weiß sonach wenig oder gar nichtsvon ihr! Auch die Bewohner dieses Ortes gehen nur von Zeit zu Zeit in das nahegelegeneStädtchen oder Flecken Nahima, des Salzes wegen, das wir hier nicht haben. In Jerusalemaber waren wir, obwohl wir feste Juden sind, schon bei zwanzig Jahre lang nicht. Denn daherrschte schon damals nichts als Lug, Trug, Herrschsucht und der allerstinkendste Hochmutvom Tempel aus durch alle Volksschichten hinab. Wie wird es erst jetzt aussehen?[260,08] Ich zog mich als ein echter Jude darum auch hierher aus wahrer Liebe zuGott zurück mit noch einigen, die ebenso gesinnt waren wir ich, und wir stifteten hier somiteine zwar freie, aber möglichst reine, Gott, dem alleinigen Herrn, treu ergebene Gemeinde,und Er hat uns dafür schon recht reichlich gesegnet.[260,09] Ihr seid auch Juden und werdet noch eure großen Stücke fürs Seelenheil aufden Tempel zu Jerusalem halten? Aber ihr waret nie Schriftgelehrte und Diener des Tempelsund könnet daher auch gar keine Ahnung haben, welch ein schauderhafter, jedes bessereMenschengemüt empörender Unfug da mit den heiligen Rechten der Menschen innerhalb derheiligen Mauern getrieben wird! Das hat mich und mehrere meiner Freunde empört! Wirgingen durch und fanden dieses Tal, in dem wir sogleich die nötige Leibesnahrung fanden.[260,10] Mit der Zeit erbauten wir uns hier diese recht artigen Häuser und leben jetztso recht gemütlich und friedlich beisammen und geben allzeit Gott allein die Ehre. Nur umdas einzige bitte ich euch, daß ihr bei eurer Wiederkehr in die lose Welt hinab uns gegenniemanden verratet! Ansonst seid ihr uns sehr willkommene Gäste. Nun begeben wir uns inmein Haus, das nun Gott dem Herrn sicher wohlgefälliger ist als der Salomonische Tempel zuJerusalem. Im Hause bei einem guten Mahle werden wir noch so manches besprechen, und ihrsollet uns da erst so recht kennenlernen!“

261. Kapitel[261,01] Wir gingen nun ins recht niedliche und geräumige Alpentalhaus und wurdensogleich mit Brot, Salz und frischer Milch bedient. Der Vorsteher entschuldigte sich, daß eruns keinen Wein aufwarten könne; aber er hätte mehrere Schläuche von Waldbeerensaft, dernicht minder wohl schmecke als irgendein Wein. So wir ihn versuchen möchten, würde er unsmit vielem Vergnügen ein paar Krüge voll davon aufsetzen lassen.[261,02] Ich sagte: „Tue das; wir wollen deinen Waldwein versuchen! Schmeckt eruns, dann werden wir dich schon noch um ein paar Krüge angehen.“

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[261,03] Da ging der Hauswirt in seinen Keller und brachte uns ein paar Krüge volldes Waldbeerensaftes, der ganz wie Wein schmeckte, da er im Grunde auch Wein war; denndas Träublein, jetzt auch Johannisträublein genannt, gehört ja auch zu den verschiedenenRebengattungen, deren Frucht ungefähr die kleinste Gattung Trauben ist. Kurz und gut, wirtranken mit etwas Wasser vermengt diesen Waldwein recht gerne, und der Wirt hatte einegroße Freude daran, daß uns sein Wein also wohl schmeckte.[261,04] Als die beiden Krüge leer geworden waren, da wollte sie der Wirt sogleichwieder anfüllen gehen; aber Ich sagte zum nun schon sehr beredt gewordenenWaldbeerweinerzeuger: „Höre, lasse du nun das und fülle die Krüge statt mit dem Waldweinejetzt lieber mit ganz frischem Wasser, und Ich werde das Wasser sogleich in einen allerbestenWein verwandeln!“[261,05] Da machte der Wirt große Augen und sagte: „Na, auf dies Kunststück binich wahrlich sehr neugierig!“[261,06] Die beiden großen Krüge wurden sogleich, mit Wasser vollgefüllt, auf denTisch gestellt, und der Wirt sagte: „Nun steht schon auf dem Tische, was du verlangt hast,und du, Freund, zeige uns, was du kannst und vermagst!“[261,07] Und Ich sagte zu ihm: „Nimm einen oder den andern Krug in die Hand undversuche den Inhalt!“[261,08] Der Wirt versuchte den Inhalt und war dabei so überrascht, daß er sogleichsein ganzes Hausvölkchen zusammenberief und einen jeden verkosten ließ. Alle behaupteten,noch nie einen so überaus guten Wein über ihre Lippen gebracht zu haben. Nun wollte aberauch ein jeder wissen, wie denn das zuging, daß da aus dem pursten Wasser ein so himmlischguter Wein wurde.[261,09] Der Wirt aber sagte zu den vielen Fragenden: „Ja, meine Lieben, da fragetihr den dort in der Mitte! Mir ist das selbst das größte Rätsel! So etwas ist seitMenschengedenken noch nicht dagewesen und ist gänzlich unerhört!“[261,10] Hier wandte sich der Wirt an Mich und sagte: „Meister der Meister in deinermir unbegreiflichen, wunderbaren Kunst! Gib uns doch einen ganz kleinen Aufschluß, wieund auf welche Art dir so etwas möglich war! Und kannst Du noch mehrere solcherKunststücke?“[261,11] Sagte Ich: „Lieber Freund, auf deine erste Frage kann Ich dir für jetzt keineAntwort geben; morgen aber wirst du schon ohnehin von selbst darauf kommen! Aber auf diezweite Frage kann Ich dir das sagen, daß Mir eigentlich gar nichts unmöglich ist und Ich dirbloß durch die alleinige Macht und Kraft Meines Willens zahllose Wundertaten vorführenkönnte! Bist du damit einverstanden?“[261,12] Sagte der Wirt: „Du redest viel von dir, da du doch nur ein Mensch bist!Bedenkest du nicht, daß nur Gott allein allmächtig ist?! So dir alle Dinge möglich wären, somüßtest du ja Gott selbst sein, oder du müßtest solches mit Hilfe des Beelzebub, welcher allerTeufel Oberster ist, bewirken, wozu du mir aber ein viel zu ehrliches, frommes und offenesGesicht hast, von dem man sagen kann: Siehe, das ist ein wahres Ebenmaß Gottes![261,13] Ich aber will gar nicht irgend maßgebend reden und denke an die Zeitzurück, in der ich zu Jerusalem und auch in den andern Städten, besonders einst in Damaskus,war, wo ich auch einen indischen Magier habe kennengelernt, der auch mit der ungeheuerstenÜbertreibung von sich kundgab, daß ihm auch gar nichts unmöglich sei. Er hat im ErnsteDinge geleistet, deren Möglichkeit mir ebensowenig ersichtlich war wie die Art, wie du nundas Wasser in den besten Wein umgewandelt hast. Aber es ist bei allen Magiern undKünstlern das Übertreiben ihrer immerhin besonders uns Laien wunderbaren Fähigkeitenschon so eine altübliche Sache, die man ihnen gerne zugute hält, weil sie im Grunde denndoch außergewöhnliche Menschen sind. Etwas aber möchte ich an diesem Abende denn dochnoch von dir, Meister der Meister, sehen!“[261,14] Sagte Ich: „Siehe, ein jeder Mensch urteilt nach seinem Verstande, und alsoauch du, und es wäre da gar nicht fein von Mir, dir darüber etwas zu entgegnen! So du zueiner tieferen Anschauung gelangen wirst, dann wirst du auch anders urteilen; darum davonnun nichts Weiteres! Du hast Mich für heute noch um ein sogenanntes Kunststücklein ersucht,

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und Ich will es auch tun. Aber damit du dir nicht etwa denkst, Ich könne nur, was Ich kann, sosage an, was Ich dir tun soll!“

262. Kapitel[262,01] Sage der Wirt: „So dir gar nichts unmöglich ist, da mußt du auch einen sehrkranken Menschen gesund zu machen imstande sein?!“[262,02] Sagte Ich: „O ja, hast du einen?“[262,03] Sagte der Wirt: „Ja leider, – eine meiner liebsten Töchter; – aber der wirdschwer zu helfen sein! Sie ist nun zwanzig Jahre alt und war ein munteres und emsiges Kind.Sie ging vor einem Jahre mit diesem meinem ältesten und stärksten Sohne nach Nahim umSalz. Auf dem Rückwege, da er am steilsten ist, glitt sie aus und fiel über fünf Mannshöhentief auf einen vorspringenden Felsen und brach sich durch solchen Fall Hände und Füße.Mehr denn dreiviertel Jahre litt sie die größten Schmerzen; nach der Zeit ließen dieSchmerzen zwar nach, aber sie schrumpfte dennoch zu einem derartigen Krüppel zusammen,daß sie das Lager nimmer wird verlassen können. Meister der Meister, wenn du diese meineTochter zu heilen vermagst, dann möchte ich schier zu glauben anfangen, daß dir nahe keinDing mehr unmöglich ist!“[262,04] Sagte Ich: „Bringe sie hierher!“[262,05] Sagte der Wirt zu den starken Brüdern der kranken Schwester: „Gehet hin inihr Gemach und bringet sie samt ihrem Lager daher!“[262,06] Da beeilten sich die Brüder und brachten die arme und wahrlich sehr krankeSchwester und stellten sie vor Mich hin.[262,07] Ich sah die arme Kranke an und sagte zu ihr: „Tochter, möchtest du wohlwieder also gesund sein, wie du noch vor einem Jahre gesund warst?“[262,08] Spricht mit schwacher Stimme die Kranke: „Ach ja, das wäre eine großeWohltat für mich; aber mich zu heilen vermag kein Heiland mehr, – sondern nur Gott, demAllmächtigen, ist so etwas möglich!“[262,09] Sagte Ich: „So du solches einmal denkst und glaubst, da stehe du nun aufund wandle, und gib Gott die Ehre!“[262,10] Im Augenblick ward das Mädchen also gesund, als hätte ihr nie etwasgefehlt.[262,11] Als der Wirt und alle, die im Hause waren, solches sahen, da fingen sie an,ganz ehrfürchtige Gesichter zu machen, und alle wurden beinahe sprachlos vor Staunen, underst nach einer Weile sagte der Wirt mit einer ehrerbietig verwundersamen Stimme: „Nein,das liegt nicht mehr im Bereiche dessen, was ein noch so geistreich talentierter Mensch aufdieser Erde erlernen könnte, sondern das ist eine äußerst seltene Gabe und Gnade von Gott,und wir müssen darum Gott, dem alleinigen Herrn unser allgemeines und höchstes Lobdarbringen, daß Er einem Menschen auf Erden wieder einmal zum vielfachen Heile derMenschen solch eine rein göttliche Kraft, Macht und Gewalt gegeben hat, wie sie in dergrauen Vorzeit nur die großen Propheten besessen haben![262,12] Jetzt verstehe ich aber auch schon dieses unseres lieben, wunderbarenGastes ersten Gruß: ,Der Friede sei mit dir!‘ und ,Das Reich Gottes ist nahe zu euchgekommen!‘ Höret, ihr alle meine Hausgenossen, das ist ein seltener Liebling Gottes, einneuer, großer Prophet! Den müssen wir hoch verehren um Gottes willen und müssen ihnhören!“[262,13] Hierauf wandte sich der Wirt zu Mir und sagte: „Du erhabener Freund undMeister aller Meister, ich habe keine Worte, durch die es mir möglich wäre, mein Dankgefühlgegen Gott und gegen dich, seinen wahrhaftigsten, großen Propheten, nur einigermaßenauszudrücken! Oh, vergib es mir, so ich mich etwa im Anfange unseres Zusammenseinsirgend ungebührlich gegen dich ausgedrückt habe! Nachdem du aber ohnehin eine Zeitlangbei uns zu verweilen dir vorgenommen hast, so werde ich aus allen meinen Kräften bestrebtsein, mich dir und deinen Jüngern schon möglichst dankbar zu erweisen.[262,14] Oh, du hast mir mein liebstes Kind wiedergegeben und dadurch mehr, alswenn du mir alle Reiche der Welt gegeben hättest! Darum gebührt dir nach Gott von mir aus

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auch die höchste Dankbarkeit!“[262,15] Sagte Ich: „Sei nun ruhig, Barnabe, und sieh, daß deine Tochter Elisa etwaszu essen bekommt; denn sie ist nun vollkommen gesund und muß nun auch vollkommenessen und trinken, damit sie wieder vollends kräftig werde!“[262,16] Dies geschah, und die Geheilte stand auf von ihrem Lager, kleidete sichschnell zur Not an, eilte dann auch zu Mir hin, ergriff hastig Meine Hand und drückte sie mitDankestränen an ihren schönen Mund und an ihr Herz und sagte dann, vor Dank und großer,seliger Freude schluchzend: „O du wahrhaft allmächtiger Freund und Meister! Da dir allesmöglich ist, so wird es dir auch nicht unmöglich sein, in mein Herz zu schauen; dort wirst dumit der glühendsten Liebeschrift den Dank gezeichnet finden, den ich dir ewig schuldenwerde!“[262,17] Sagte Ich: „Bleibe in solcher Liebe, und sie wird dir vielen Segen bringen!Aber nun setze dich an unsern Tisch, iß und trink und sei heitern Mutes! Wenn du aber wiedernach Nahim gehen wirst, dann mußt du nicht so hüpfen wie eine Gazelle, sondern rechtbescheiden den etwas gefährlichen Fußsteig fortwandeln, so wirst du keinen solchenLeibesschaden mehr zu erleiden haben! Merke es dir nur, du Meine sonst wohl allerliebsteTochter Elisa! Nun setze dich, sei ruhig, und iß und trink!“

263. Kapitel[263,01] Hier ging die Elisa zu ihrem Vater, der sie unter vielen Dankestränen ansein Herz drückte, ihr dann zwischen sich und seinem Weibe einen Platz anwies und ihr zuessen und zu trinken gab von allem, was da war; besonders aber schmeckte ihr Mein Wein,gemacht aus Wasser.[263,02] Als die Tochter da nun so ganz gesund aß und trank, da fragte Mich mitaller Ehrfurcht der Wirt: „Herr und Meister aller Meister! Es ist zwar sehr dumm von mir,dich zu fragen, woher du es wissen kannst, daß ich ,Barnabe‘ heiße, und daß diese meineTochter ,Elisa‘ heißet; denn so dir, von Gott gegeben, solche Dinge möglich sind, warumsollte es dir denn nicht auch ebenso leicht möglich sein, zu wissen, wie ich und auch alleandern heißen mit ihren Namen? Aber ich dachte mir nur, daß du mich vielleicht schon vonJerusalem aus bei irgendeiner Gelegenheit gesehen und erkannt hast. Und so das ein leichtmöglicher Fall wäre, so wäre das für Mich von einem doppelten Interesse!“[263,03] Sagte Ich: „Rede, was dich nun auf diesen Gedanken gebracht hat!“[263,04] Sagte der Wirt: „Vergib es mir nur schon zum voraus, so ich mich irgendungebührlich ausdrücken sollte, – denn ich habe nun schon etwas Wein genossen, und der hatmir die Zunge vielleicht schon etwas locker gemacht; aber ich werde mich nach Möglichkeitschon derart noch zusammennehmen, daß meine Zunge mir keine zu große Schande machenwird![263,05] Siehe, vor ungefähr zwanzig Jahren war ich zu Jerusalem noch Levite undeigentlich schon angehender Pharisäer (VARIZAR = Hirte, auch Hirtenvorstand). Da begabes sich einmal – wie vor- und nachher nicht wieder –, daß bei der gewöhnlichen Prüfung derzwölfjährigen Knaben ein Knabe namens Jesus aus Nazareth in Galiläa uns vorgeführt ward.Dieser Knabe wußte schon damals mehr denn alle Templer zusammen und war eigentlich derHauptgrund, warum ich bald nachher den Tempel für alle Zeiten verließ.[263,06] Ich muß aber nun dahinzu noch hier offen bekennen, daß eben du, Meisterder Meister, mit jenem wahrsten Wunderknaben namentlich im Gesichte eine ganzaußerordentliche Ähnlichkeit hast. Ich will damit aber durchaus nicht behaupten, als seiest duals nunmaliger Mann aus jenem Knaben herausgewachsen, was da gerade auch nicht etwasUnmögliches wäre; aber nur wollte ich damit bemerkt haben, daß es nämlich höchstmerkwürdig ist, wie sich ähnliche große Geister, wenn sie eine und dieselbe Tendenzverfolgen, auch sehr oft in ihren Gesichtern ähnlich sind.[263,07] Jener denkwürdige Knabe hat uns drei Tage hindurch im Tempel haarkleinbewiesen, daß eben er selbst der verheißene Messias sei! Ich kam aber hernach ausverschiedenen Gründen selbstwillig aus dem Tempel in diese Einsamkeit und bin nachher niewieder dahin gekommen, auch nicht irgendwoandershin, und ich kann denn auch nicht

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wissen, was doch etwa aus jenem Knaben geworden ist. Ich war zwar damals ein Gegner vonihm; aber es dauerte gar nicht lange, so wurden mir die Behauptungen jenes Knaben immereinleuchtender, dafür aber der Tempel von Tag zu Tag widerwärtiger und unerträglicher.[263,08] Ja, jenes Knaben Worte waren mein Retter aus der wahren Hölle desTempels! Und da möchte ich denn nun von dir auch noch das erfahren, was etwa doch ausjenem Knaben geworden ist! Was mich damals von den alten, eingefleischten Tempelheldenam allermeisten erbittert hat, war das, daß sie ganz geheim einen Preis jenem bestimmten, derden Knaben bei irgendeiner guten Gelegenheit aus der Welt befördern würde. Solange ichnoch im Tempel war, ist so etwas wohl nicht geschehen; aber nun es denn doch schon beinahezwanzig Jahre sind, daß ich hier bin, – wer weiß es, was alles hernach vom Tempel aus gegendiesen Knaben unternommen worden ist! Du, Meister der Meister, wirst das alles sicherwissen, und so bitte ich dich darum, daß du mir darüber eine Aufklärung geben möchtest!“[263,09] Sage Ich: „Siehe, eben auf Grund dessen bin Ich nun zu dir gekommen;denn Ich Selbst bin eben jener Knabe, der damals im Tempel den Ältesten, Pharisäern undSchriftgelehrten stark zugesetzt hat! Und dieweil du nun das weißt, so wird es dir nun auchgar leicht klarer werden, warum ich gleich bei Meiner Ankunft zu dir sagte: ,Friede sei mit dirund deinem Hause! Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen!‘ Aber erst morgen wollenwir davon eine weitere Verhandlung anstellen! Heute aber laß uns gute Lager bereiten, damitwir von unserer kleinen Müdigkeit los werden und morgen wieder tatkräftig dastehenmögen!“[263,10] Hierauf befahl der Wirt Barnabe seinen Dienern, daß sie uns sogleich guteLager bereiten sollten, und sie taten, wie es ihnen befohlen war.[263,11] Als wir vom Tische aufstanden, da trat die geheilte Tochter noch einmal zuMir hin und dankte Mir auf das inbrünstigste für die Heilung ihrer Leiden, und desgleichen tatauch der Wirt, sein Weib und seine anderen Kinder; denn sie alle hatten die schöne undmuntere Elisa sehr gern und freuten sich eben darum so sehr, da sie nun wieder ihre Elisaganz frisch und gesund vor sich hatten. Ich erteilte ihnen allen Meinen Segen und begab Michdann mit Meinen Jüngern schnell zur Ruhe.

264. Kapitel[264,01] Als wir frühmorgens erwachten, fanden wir schon das ganze Haus vollTätigkeit, und auf dem Herde brannte schon ein munteres Feuer, um das mehrere Töpfestanden, in denen allerlei würzhafte Speisen für uns und für die Hausleute gekocht wurden;auch Fische waren da, und zwar die besten und schönsten Gebirgsforellen. Die geheilteTochter war die Alleremsigste am Herde und tummelte sich sehr, um uns ein gutesMorgenmahl so bald als möglich zu bereiten. Als sie Meiner ansichtig ward, da stürzte sieordentlich mit einer Liebehast auf Mich hin und dankte Mir abermals für ihre Heilung.[264,02] Ich aber sagte zu ihr, wie sie heute, als an einem Sabbat, also arbeitenmöge?[264,03] Darauf antwortete Elisa und sagte: „Herr und Meister, es stehet aber in derSchrift ja nirgends ein Gesetz, das dem Menschen verbieten würde, an einem Sabbat Gott zudienen!“[264,04] Sagte Ich: „Ganz gut, – am Sabbat soll man wohl vorzüglich Gott alleindienen; aber du dienest nun mit deinem Fleiße ja nur Mir und Meinen Jüngern! Sind wir dennGötter?!“[264,05] Sagte die emsige Tochter: „O Herr, Deine Jünger sind wohl nur Menschengleich wie unsereins; aber Du bist Gott durch und durch, was ich jetzt nur zu klar einsehe!Und so ich und alle im Hause durch ihre Tätigkeit nun Dir dienen, da entheiligen wir denSabbat sicher nicht!“[264,06] Sagte Ich: „Aber sage Mir, du Meine allerliebste Elisa, wer es dir da gesagthat, daß Ich ein Gott sei! Denn sieh, so Ich ein Gott wäre, und Jehova im Himmel ist dochauch ein allerwahrhaftigster Gott, da gäbe es dann ja doch offenbar zwei Götter; in der Schriftaber heißt es doch ausdrücklich: ,Ich allein bin dein Gott und Herr; darum sollst du keineandern und fremden Götter neben Mir haben!‘ Nun, wie reimt sich dann das, wenn auch Ich

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ein Gott sei, zusammen?“[264,07] Sagte Elisa neben ihrer fleißigen Zurichtung der Fische: „O Herr, das reimtsich sehr gut zusammen!“[264,08] Sagte Ich: „Ja wieso denn?“[264,09] Sagte sie: „Weil Du und der Vater im Himmel nicht zwei, sondern ganzvollkommen eins seid und der Himmel allzeit und ewig nur dort ist, wo Du, o Herr, bist!“[264,10] Sagte Ich: „Wer aber hat dir das gesagt, und wer hat dich darinunterwiesen?“[264,11] Sagte sie: „Zuerst Du Selbst, o Herr! ,Der Friede sei mit dir und deinemHause!‘ und ,Das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen!‘, das sind Worte, die nur einemGottesmunde entströmen können! Darauf kamen Deine Wundertaten, die außer Gott niemandverrichten kann! Dann habe ich gestern, als Du, o Herr, Dich zur Ruhe begeben hast, nochviel von dem zwölfjährigen Jesus im Tempel mit meinem Vater gesprochen und im Jesajasalle die auf Dich Bezug habenden Texte durchgeschaut, und da hat sich's denn doch mehr alssonnenhell herausgestellt, daß Du als der verheißene Messias niemand anders bist und seinkannst als eben in Deinem Geiste der Jehova Zebaoth Selbst! Sieh, o Herr, das sind meineGründe, Dich nun für das zu halten, was Du offenbar bist!“[264,12] Sagte Ich: „Nun, du sollst recht haben, wie auch dein Erdenvater; aber ihrdürfet Mich an eure Nachbarn nicht vor der Zeit verraten! Und da ihr also Mich erkannt habtund durch euren Fleiß heute als an einem Sabbat nur Mir dienet, so arbeitet; aber sehet zu, daßihr dadurch nicht etwa jemanden von euren Nachbarn ärgert!“[264,13] Sagte Elisa: „Oh, da habe Du keine Sorge! Wir alle sind über diesen Punktweit hinaus. Wir verrichten an einem Sabbate zwar keine schwere, knechtische Arbeit; aberwas da not tut, das verrichten wir auch an jedem Sabbat. Wir stehen nun nicht mehr unter desTempels Gleisnerei und seinen eigennützigen Gesetzen, von denen sich ein jeder Reiche aufeine gewisse Zeit loskaufen kann, sondern unser Gesetz ist die Wahrheit und ihr Gutes, unddie verbietet niemand, an einem Sabbat das Nötigste für sein Haus zu besorgen.[264,14] Wenn aber schon das gänzlich tatenlose Herumgehen und – stehen zurGewinnung des ewigen Lebens so etwas Notwendiges wäre, so würdest Du, o Herr, allenMenschen dadurch sicher mit einem guten Beispiele vorangehen, daß Du am Sabbate keineSonne, keinen Mond und keine Sterne auf- und niedergehen ließest, was da sicher auch inDeiner Allmacht stünde. Also dürfte da auch kein Wind gehen, keine Wolken und Nebelaufsteigen, kein Bach fließen, kein Meer sich regen, und auch sogar die Tiere müßten alsBeispiele für uns Menschen die völlige Sabbatruhe instinktmäßig beachten! Aber so man diegesamte, große Schöpfung nur einigermaßen genau beobachtet, so ersieht man nur zu bald,daß Du an den Sabbaten ebenso tätig bist wie an allen andern Werktagen, und da wir schonGottes Kinder nach der Schrift sind, so tun wir doch sicher nichts Unrechtes, so wir in allemden guten, heiligen und lieben Vater nachahmen!“[264,15] Sagte Ich: „Wahrlich, so viel Klugheit hätte Ich in dir als Mensch kaumgesucht! Darum bleibe, wie du bist, und gehe allen mit einem guten Beispiele voran, wie derVater im Himmel stets allen Menschen mit dem besten Beispiele vorangehet!“

265. Kapitel[265,01] Hierauf ging Ich mit Barnabe und etlichen Meiner Jünger ins Freie, undBarnabe zeigte uns seine Besitzungen. Wir durchzogen den ganzen etwa aus zwanzig Häusernbestehenden Ort, der recht niedlich und überall sehr reinlich aussah.[265,02] Als die Bewohner aber unser ansichtig wurden, da bekamen sie Furcht, alswären wir Kommissare, die nun von ihnen Steuern und vielleicht gar irgendwelche Strafenabverlangen würden. Da vertraute Ich geheim den Grund solcher ihrer eitlen Furcht demBarnabe an, und der berief etliche zu sich und gab ihnen die vollste Versicherung, daß ihreFurcht eine völlig leere sei, und daß im höchsten Gegenteile diesem Orte nur überaus Glückzu wünschen sei, daß eben Ich ihn besucht habe und als ein allererster und bester Heilandseine sonst von niemand in der ganzen Welt heilbare Tochter in einem Augenblicke sovollkommen geheilt habe, daß sie nun hundertmal gesünder, regsamer und frischer sei, als sie

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je früher war.[265,03] Als sie solches von ihrem Vorsteher vernahmen, da wich ihre Furcht, undsie verwunderten sich alle hoch darüber; nur etliche Weiber sagten: „Das können wir nichteher glauben, als bis wir die Elisa werden selbst gesehen haben; denn der könnte nur einEngel Gottes aus den Himmeln geholfen haben, – einem Menschen wäre das unmöglich, undwäre er selbst ein allererster Heiland der ganzen Welt!“[265,04] Während aber die Weiber noch solches untereinander redeten, da kam unsElisa auch schon ganz behende nach und lud uns zum Morgenmahle. Als die Weiber die Elisaersahen, da erschraken sie förmlich und trauten ihren Augen kaum; endlich aber gingen siedoch zu ihr hin und befragten sie, wie denn das doch zugegangen sei.[265,05] Elisa aber sagte, auf Mich hinzeigend: „Da steht der göttlich-erhabeneHeiland; Den fraget! Daß ich nun ganz vollkommen gesund bin, das weiß und fühle ich, unddas sehet ihr auch; um alles andere, und wie etwa das möglich war, weiß ich nicht.“[265,06] Darauf kehrten wir wieder um und gingen nach Barnabes Hause, wo einreichliches Morgenmahl unser harrte. Daß uns sowohl die Männer, als auch die Weiber undKinder dahin folgten, das versteht sich von selbst; aber sie blieben denselben ganzen Tagallda, und die Jünger belehrten sie über Mich und über Meine Sendung aus den Himmeln zurErde hernieder, und alle glaubten nun an Meinen Namen.[265,07] Nach dem eingenommenen Morgenmahle aber führte Mich der Wirt zu derstets sehr gefährlichen Stelle hin, allwo seine Tochter den Sturz gemacht hatte, und fragteMich, ob Ich da mit Meiner Allmacht nicht dahin helfen könnte und wollte, daß diese StreckeWeges nur um ein wenig leichter zu passieren wäre.[265,08] Sagte Ich: „Du weißt nun schon, daß Mir nichts unmöglich ist; aber für jetztlassen wir noch diese Stelle, – denn sie ist zu eurem Schutze! Wäre diese Stelle nicht, sowäret ihr schon lange entdeckt. Daher meine Ich also, daß ihr diese Stelle lassen sollet, wie sieist, und so Ich euch da schon etwas tue, so mache Ich diese Stelle noch unwegsamer, undzwar also, daß in der Folge keine Katze darüberzugehen imstande sein soll. Dafür aber zeigeIch euch einen andern Abweg, der schon besteht, aber den ihr alle bis jetzt noch nichtentdeckt habt.“[265,09] Als Barnabe solches von Mir vernahm, da bat er Mich, daß Ich solches wohltun möchte, und Ich sagte: „Nun denn, also sei es!“[265,10] Da löste sich tiefer unten eine große Steinmasse, und es entstand dadurcheine sogar überhängend steile und hundert Mannshöhen hohe Wand, über die kein Menschmehr zu klettern imstande war. Allda aber, wo wir standen, entstand eine Art Brüstung, überdie man wohl hinwegschauen, aber nicht so leicht darübersteigen konnte, was ohnehin eineeitle Mühe gewesen wäre, verbunden mit großer Lebensgefahr. Mit dieser Bescherung warunser Wirt nun ganz voll Verwunderung zufrieden.[265,11] Aber er fragte Mich auch sogleich um den bequemeren und wenigergefährlichen Abweg, und Ich sagte: „Den wollen wir erst des Nachmittags aufsuchen! Er istwohl um ein weniges weiter, um auf ihm nach Nahim zu gehen, aber er ist um vielesbequemer zu begehen, und ihr könnet auf ihm alle Haustiere ohne allen Anstand aus- und einundauf- und abtreiben, und das ist für euch ja doch ein wesentlicher Vorteil.“

266. Kapitel[266,01] (Der Herr:) „Denn sieh, Ich will es also, daß diejenigen, die nach denGesetzen Mosis wandeln, auch in ihren Erdengütern nicht gar so verkümmert dastehen sollen.[266,02] Und so bin Ich denn auch zu euch hierher gekommen, erstens, um euchallen zu verkünden, daß das Reich Gottes und also alle Himmel zu euch auf diese Erdeherabgekommen sind in und durch Mich, was nun schon eine große Anzahl der früherfestesten Heiden erkennen und offen bekennen, auf daß da erfüllet sei, was Daniel weissagte:,Auch die in den Gräbern werden Seine Stimme vernehmen!‘ Denn die Heiden sind es eben,die da schon von der Wiege an begraben waren im Grabe der Nacht, des Gerichtes und desTodes.[266,03] Zweitens aber will Ich euch und eure Kinder und Kindeskinder auch irdisch

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also stellen, daß ihr euren leiblichen Bedürfnissen nach keine Not leiden sollet. Ich will zwarnicht, daß ihr im großen Überflusse schwelgen sollet, aber ihr sollet auch keine zu große Notleiden, wie es bis jetzt bei euch recht oft der Fall war.[266,04] Und der dritte Grund Meines Hierherkommens aber ist dir schon ohnehinbekannt, da Ich es Mir vorgenommen habe, mit Meinen Jüngern hier in dieser stillen Gegendauf etwelche Tage Ruhe zu nehmen. – Und nun, da wir mit diesem für euch notwendigenGeschäfte zu Ende sind, so wollen wir uns wieder nach Hause begeben und sehen, was daallen geschehen ist!“[266,05] Unterwegs sagte der Wirt: „Herr und Meister! Wäre es Dir nicht genehm, sowir da über diese kleine Höhe und somit auf einem kleinen Umwege nach Hause zögen?Denn von dieser Höhe genießt man wahrlich eine überaus herrliche Aussicht; man sieht vonda sogar nach Jerusalem, sieht auch einen Teil des Galiläischen Meeres, und bei einem sehrheitern Wetter kann man sogar das große Griechische Meer sehen! So Du, o Herr, es wolltest,so möchte ich Dir nun diesen meinen wahren Seligkeitsplatz zeigen!“[266,06] Sagte Ich: „Da bin Ich schon dabei; denn auch Ich bin ein Freund der Bergeund der recht weiten Aussichten, und so besteigen wir diese kleine Höhe!“[266,07] Wir bestiegen demnach die kleine Höhe, und es war recht anmutig, oben zusein, und Barnabe war da nahezu unerschöpflich in der Anpreisung der schönen Gegendgeworden.[266,08] Aber Ich ermahnte ihn und sagte: „Es ist nicht zu leugnen, daß die Gegend,hier von dieser Anhöhe aus betrachtet, recht anmutig anzusehen ist, – das macht dasGesamtbild; aber stelle dir nun jedes einzelne, das du hier in der Gesamtheit schauest, so rechtnahe zu dir, und du wirst bald der Schönheit dieser Gegenden satt werden![266,09] Nur das, was da ist der Seele und des Geistes, das ist wahrhaft und für ewigbleibend schön. So dir nun nur das Bild dieser Gegend gefällt und ihr duftiges Farbenspiel,dann hast du immerhin noch bedeutend mehr Wohlgefallen an der Materie und ihren Formenals an dem Geistigen, das dir die starren Formen wie in einer großen Schrift darstellen. Ah,wenn du aber alle diese Formen wirst mit den inneren Geistesaugen zu schauen und zu lesenund zu verstehen imstande sein, dann wirst du auch mit David ausrufen können: ,O Herr, wiegroß und herrlich sind alle Deine Werke! Wer ihrer achtet, hat eitel Lust daran!‘[266,10] Sieh, das wahre Achten der sämtlichen Werke Gottes ist das Besehenderselben mit den Augen des Geistes, woraus dann die Seele ihr wahres Verständnis schöpft,und das gibt dem Menschen erst die wahre Freude, die nicht mehr vergänglich ist, sondern fürimmer und ewig bleibend der Seele eigen bleibt. Und willst du dann auch schauen dieGeisterwelt, so wirst du sie zuerst auch nur geistig erschauen durch das Verständnis zuerst derFormen allein dieser Welt, und dann stets mehr durch das Erkennen der verschiedenenTätigkeiten, Bestrebungen und wechselseitigen Verhältnisse dieser Formen, die dir nun ohneihr weiteres und tieferes Erkennen auch so schon sehr gefallen.[266,11] Das geistige Schauen ist zuerst nur ein Erkennen der äußeren und innerenEntsprechungsverhältnisse; so man sich aber dann gleichfort übt mit einem reinen, möglichstsündenfreien Gemüte in der reinen Liebe zu Gott und daraus zum Nächsten, so geht dann dasErkennen und Verstehen in ein helles Schauen über und liefert dann dem Seher den Beweis,daß er eins geworden ist in sich und erreicht hat die wahre Wiedergeburt seines Geistes unddie Auferstehung der Seele aus dem materiellen Totengrab ihres Fleisches. – Verstehest duMich wohl?“[266,12] Sagt der Wirt: „O Herr und wahrlich mein Gott! Wenn ich das so recht inder Tiefe verstünde, so wäre ich offenbar einer der glücklichsten Menschen dieser Erde; aberso bin ich da mit meinem Verständnisse sehr weit zurück, obwohl ich nun so gewissehalbdunkle Ahnungen von dem bekommen habe, was Du mir so ganz eigentlich hast sagenwollen! Meine Elisa, die ohnehin so eine halbe Geisterseherin ist, würde diese DeineErklärung offenbar besser aufgefaßt und verstanden haben denn ich; aber etwas habe auch ichverstanden! Nur gehört da äußerst viel dazu, um in den äußeren Formen die inneren, reingeistigen Entsprechungen zu finden und sie in ihren zahllosen Beziehungen richtig zuverstehen. Herr, könntest Du mir das nicht durch irgendein passendes Bild etwas mehr

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anschaulich machen?“[266,13] Sage Ich: „O ja, das sicher, und so höre du Mich an!“

267. Kapitel[267,01] (Der Herr:) „Als du und deine freundlichen Nachbarn in diese Gegendgekommen seid, da habt ihr nichts als Steine und Holz gefunden. Ihr legtet sogleich eureHände ans Werk, sammeltet das Beste und Tauglichste zusammen, darauf ginget ihr in euchund habt recht tüchtig darüber nachzudenken angefangen, nach welchen Regeln der Baukunstihr euer zusammengebrachtes Material zu einer Hütte oder gar zu einem Wohnhauseverbinden solltet.[267,02] Als ihr aber noch tiefer in euch forschtet, da zeigten sich euch Bilder. Ausdiesen Bildern entwarfet ihr dann bald einen Plan und finget dann nach diesem Plane an, einund das andere Haus aufzubauen, und bald standen ganz niedliche Häuser in euremGebirgstale. Hättet ihr da kein taugliches Baumaterial gefunden, so hättet ihr aus eureminneren Verstande auch nie einen geistig dem Material entsprechenden Plan entwerfenkönnen; da ihr aber ein solches gefunden habt, so fandet ihr auch bald ein demselbenentsprechendes Wohnhausbild und fügtet darauf das Material also zusammen, daß es dannetwas ganz anderes darstellte, als was ihr ursprünglich vor euch fandet.[267,03] Obwohl das nur ein materielles Bild ist, so ist es aber dennoch ein Anfang,um einem Menschen die ersten Begriffe von den Entsprechungen zwischen der ganz rohenMaterie und dem, was ein Geist aus ihr machen kann, beizubringen. Hat ein Mensch dasgewürdigt und verstanden, so geht es dann schon ganz leicht weiter und tiefer, und so ist danndas da, daß wer da sucht, der findet, wer da bittet, dem wird gegeben, und wer da anklopft,dem wird aufgetan.[267,04] Sieh, je geistiger gebildet irgendwo die Menschen sind, desto geordneter,kunstvoller werden auch ihre Werke und Produkte sein. Warum denn also? Weil bei ihnenihre Seele schon in einem näheren Verbande mit ihrem Geiste steht. Je näher und inniger sichaber die Seele mit ihrem Geiste, der aus Gottes Herzen kommt, verbindet, desto höher wirdsie auch in der Ordnung alles Erkennens und Bewußtseins emporsteigen und stets mehr undmehr Entsprechung finden zwischen Materie und Geist. Und es ist da denn auch leichteinzusehen, daß ein Mensch, der es in der Kunde der Entsprechungen zwischen Materie undGeist am weitesten gebracht hat, sich dadurch auch die Materie am meisten dienst- undzinsbar machen muß. Am meisten aber wird das erst jenseits bei vollendeten, in ihrem Geistewiedergeborenen Seelen der allerseligste Fall sein, alldort ihnen nichts mehr unmöglich seinwird. – Nun sage du Mir, ob du Mich jetzt schon um etwas besser verstanden hast!“[267,05] Sagt der Wirt: „Ja, Du mein Herr und Gott in Dir Selbst, jetzt fange ichschon an, auch einen Lichtdunst zu erschauen! Die alten Völker, wie zum Beispiel dieÄgypter, müssen in der Entsprechungswissenschaft sehr bewandert gewesen sein, da ihreWerke jetzt noch eine Ordnung zeigen, von der sich nun in unseren Zeiten beinahe keinMensch mehr einen rechten Begriff machen kann.“[267,06] Sage Ich: „Allerdings, – denn nur die geistige Gewecktheit zeigt der Seelestets mehr und mehr Ordnung und lehrt sie erkennen zu erforschen die Verhältnisse zwischender Materie und wieder Materie und zwischen Materie und Substanz, zwischen Substanz undSeele und zwischen Seele und Geist; und der Geist durchdringt am Ende alles, und alles mußihm dienen in der möglichst höchsten und tiefsten Ordnung. – Verstehest du das?“[267,07] Sagt der Wirt: „Ja, jetzt verstehe ich das schon immer heller und werde esmit der Zeit hoffentlich noch besser verstehen! Aber jetzt nur noch eine Frage! Sieh, ichkenne doch die Schrift; darin las ich oftmals von Engeln Gottes, die da purste Geister seinsollen! Sind etwa das jene Geister, die sich mit unseren Seelen vereinen sollen, um siedadurch erst vollends gottähnlich zu machen?“[267,08] Sagte Ich: „Zu einem sehr geringen Teile dann und wann ja, wenn MeineOrdnung sie aus ganz besonderen Gründen dazu bestimmt; aber es geschieht so etwas stetsäußerst selten. Was aber zu öfteren Malen geschieht und hinfür noch öfter geschehen wird,das besteht darin, daß auch gar viele Engel den Weg des Fleisches also durchmachen werden,

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wie Ich Selbst als der höchste Geist Gottes ihn nun durchmache, auf daß sie dann Gotteswahre Kinder werden können.[267,09] Aber da werden sie sich selbst eine rechte, noch nie in einem Fleischegewesene Seele erwählen und sie in das Fleisch einer reinen Mutter geben, und sie werdendann sorgen für das Weitergedeihen und für die rechte Lebensbildung nach ihrem Lichte undnach ihrer Kraft, auf daß eine solche Seele erstarke für die ewige Einigung mit ihnen.[267,10] Nun, das wirst du jetzt freilich noch nicht fassen; aber es wird schon nocheine Zeit kommen, wo du auch solche geheime Himmelsdinge fassen wirst. Aber nun könnenwir uns hinab ins Haus begeben; denn siehe, es ist einem deiner Nachbarn ein kleinesUngemach zugestoßen, und wir müssen dahin gehen und die Sache wieder gutmachen!“[267,11] Das war dem Wirte sehr recht, und wir gingen und waren bald an Ort undStelle.

268. Kapitel[268,01] Als wir aber vor dem Hause des verunglückten Nachbars waren, da kamendessen Weib und Kinder heraus und baten uns um Hilfe.[268,02] Ich aber sagte: „Gehet nur hinein zu ihm; denn Ich habe ihm schongeholfen!“[268,03] Da eilten Weib und Kinder hinein zum Hausvater, der ihnen schon ganzgesund entgegenkam. Er hatte zuvor barfuß einen Weg durch ein Gebüsch gemacht und wardvon einer bösen Natter gebissen, schwoll bald sehr auf und stand in Lebensgefahr. Ich aberkam und heilte ihn.[268,04] Als er aber herauskam, um Mir zu danken, da sagte Ich: „Ein anderes Malspare nicht deine Schuhe, so du in einem Gebüsche etwas zu tun hast! Aber es soll von nun ankeine solche Natter diese Gegend bekriechen! Amen.“[268,05] Darauf gingen wir nach Hause, wo das Mittagsmahl samt den Jüngern unserharrte. Das Mittagsmahl war diesmal sehr reichlich bestellt, nur mit dem Weine sah es etwasspärlich aus; darum fragte Mich der Wirt, ob er wieder den Waldbeerensaft aufsetzen solle.[268,06] Ich aber sagte zu ihm: „Tue auch heute wie gestern abend, und wir werdenauch am Weine keinen Mangel haben!“[268,07] Da ließ er die etlichen großen Krüge mit Wasser füllen und Ich wollte, –und es ward Wein.[268,08] Da aber diesmal auch einige Nachbarn zum Tische des Barnabe geladenwaren und mit uns das Mittagsmahl einnahmen, so bemerkte ein Nachbar, sagend: „Ichmeine, es würde sich für solch seltene Gäste der Waldwein, der bei dir recht gut und kräftigist, doch besser schicken denn das pure Wasser!“[268,09] Sagte der Wirt: „Aber, liebe Nachbarn, das weiß ich so gut wie irgendeinervon euch; aber ich weiß es auch, daß ihr euch vom Morgen an bis jetzt mit den Jüngernbesprochen habt, sicher auch dahin, wer dieser Meister aller Meister so ganz eigentlich ist,und daß Ihm nichts unmöglich ist! Und so dürftet ihr auch in Erfahrung gebracht haben, wieEr nicht nur gestern abend hier, sondern auch schon an mehreren anderen Orten in Galiläa dasWasser bloß durch Seinen Willenssegen in den allerbesten Wein verwandelt hat und dann dieerstaunten Gäste allzeit den allerbesten Wein zu trinken bekamen. Mir wenigstens hat gesterngeheim einer der Jünger anvertraut, wie solches ihr Herr und Meister schon gar oftmalsbewerkstelligt hat, und ich weiß nun darum. Haben euch die Jünger davon nichts gemeldet?“[268,10] Sagte der um den Waldwein sich kümmernde Nachbar: „Ja, davon habendie Jünger uns wohl mehreres erzählt; aber eben, weil wir nur zu gut wissen, wer dieser Herrund Meister ist, so getrauten wir als Sünder uns nicht, den Heiligen Jehovas darumanzugehen; aber wir sind jetzt auch schon vollkommen überzeugt, daß das hereingeschaffteWasser in den – sage – besten Wein verwandelt ist. Halte mir darum meine etwas zu vorlauteSorge um den Waldwein diesmal zugute!“[268,11] Sagte der Wirt: „Es ist ja schon alles wieder gut; esset und trinket nun nacheurem Hunger und Durste!“[268,12] Darauf aßen und tranken wir ganz wohlgemut, und es ward bei dieser

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Mahlzeit viel von verschiedenen guten Dingen gesprochen, so wie solches bei ähnlichenGelegenheiten auch anderorts der Fall war.[268,13] Als wir aber so bei zwei Stunden lang am Tische saßen, da kam ein etwasentfernterer Nachbar, der von Meiner Anwesenheit noch nichts erfahren hatte, mit einer ganzverzweifelten Miene in des Vorstehers Haus und sagte: „Barnabe, Barnabe, wir sind so gutwie verloren! Wie das geschehen ist, weiß ich nicht; aber es ist tatsächlich wahr: Unsereinziger und notwendigster Weg nach Nahim ist nicht mehr! Man kommt zu einer Artgemauerter Brüstung; über die sieht man in eine große Tiefe, daß einem davor schaudert! Dahinabzukommen ist nur einem Vogel, aber keinem Menschen mehr möglich! Einen andernAbweg aber kenne ich nicht, da dieses Gebirge nach allen Richtungen hin nichts als nurhöchst steile Felswände hat. Was tun wir nun, so wir irgend des Salzes benötigen? MeinVorrat ist zu Ende, und der eurige wird es werden; was nachher? Wer muß uns das angetanhaben?“[268,14] Sagte der Wirt: „Sei darob nicht ängstlich! Wenn du auch bis jetzt nochkeinen bessern Abweg gefunden hast, so gibt es aber dennoch andere Menschen hier, dieeinen viel bequemeren Abweg kennen, und den werden wir in der Zukunft auch wandeln.Denn du siehst hier fremde Gäste bei mir; das sind gar wunderbare Menschen, diese wissenschon um den bessern Weg und werden ihn uns zeigen. Wir werden ihn aber von nun an ebennicht zu oft zu bereisen haben, da uns der Meister, dieser große Meister aller Meister derWelt, auch in diesem unserem Gebirge ein noch besseres Salz zeigen wird, als das zu Nahimist. Jetzt aber setze dich her und iß und trinke mit uns!“[268,15] Der Nachbar ließ sich das nicht zweimal sagen, setzte sich alsbald an denTisch und aß und trank mit uns und konnte sich über die Güte des Weines nicht genugverwundern; er fragte den Wirt, wo er den Wein herbezogen hätte.[268,16] Der Wirt aber sagte: „Da sieh hin! Der Meister der Meister, der da mit unsam Tische sitzt, und der, wie du siehst, auch meine Tochter Elisa bloß durch Seinallmächtiges Wort also in einem Augenblicke geheilt hat, wie du sie hier an meiner Seitesitzen siehst, hat für uns auch diesen nun herrlichsten Wein aus Wasser geschaffen und wirdauf dieselbe Art und Weise sicher auch dafür sorgen, daß wir ein eigenes Salz haben werden.Sage nun, ob du des noch ängstlich bist, weil eben dieser wahre Herr und Meister pur durchSein allmächtiges Wort uns den stets sehr gefährlichen Abweg für alle Zeiten verrammt hatund dafür eröffnet einen verborgenen und bequemen, auf welchem wir auch unsere nötigenHaustiere ganz gefahrlos werden auf- und abtreiben können! – Bist du damit einverstanden?“[268,17] Sagte der ferne Nachbar: „Ja, wenn so, wie ich's nun nicht im geringstenbezweifle, dann ist es freilich sehr gut für uns; denn ich war schon seit langher in einer großenAngst darum, daß die Nahimer uns am Ende doch einmal auswittern und an die Römer oderJerusalemer Juden verraten dürften, was uns durchaus nicht zum Glücke gereichen würde. Soaber können wir noch lange die Segnungen dieses seltenen Hochtales genießen, ohne davonden schnöden Weltprassern einen Tribut entrichten zu müssen. Aber nun möchte ich denndoch etwas Näheres über diesen außerordentlichen Wundertäter erfahren! Seid so gut undsaget mir etwas!“[268,18] Sagte der Wirt: „Laß du das nun nur noch gut sein! Dieser göttliche Meisterwird mit Seinen Jüngern noch eine längere Zeit in unserer Mitte verharren, und da wird sichschon noch eine gute Zeit finden, in der du mit Ihm eine nähere Bekanntschaft wirst machenkönnen!“

269. Kapitel[269,01] Sagte Ich: „Hört! Nachdem wir unsere Glieder nun mit Speise und Trankgestärkt haben, so lasset uns nun aufstehen vom Tische, und wir wollen gehen und sehen, wosich der neue Weg hinab nach Nahim befindet! Auch werde Ich euch, so ihr alle nichtsdawider habt, daß man auch an einem Sabbate Gutes tue, die Salzquelle diesesGebirgesanzeigen, die sehr mächtig ist, dieweil du, Barnabe, schon davon Erwähnunggemacht hast. Gehet aber alle, die ihr hier seid, mit; denn das, was Ich euch hier zeige undbeschere, soll ein Gemeingut aller sein, die in diesem Tale wohnen!“

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[269,02] Hierauf erhoben wir uns und gingen eine ziemliche Strecke talauf- undtaleinwärts. Da kamen wir zu einer Felswand, die etwa eine gute Mannshöhe vom Boden einestarke Spalte hatte, in die man über einige schnell herbeigewälzte Steine leicht gelangenkonnte. Wir waren sonach bald in der sehr geräumigen Kluft, hinter der eine große,grottenartige Höhle sich zeigte.[269,03] Und Ich sagte nun zu den Mitgegangenen: „Sehet, durch diese Höhle gehetganz bequem und völlig gefahrlos! Gehet Mir nach und überzeuget euch selbst! Nur gegendas Ende wird die Höhlung um ein weniges enger, sie ist aber immer noch breit genug, umeinen Ochsen durch sie gehen lassen zu können. In der Mitte des Hohlganges wird es freilichetwas dunkler werden denn hier; aber so viel Licht kommt dennoch hinein, daß von euch einjeder recht gut die Stelle wird bemerken können, wohin er seinen Fuß zu setzen hat.“[269,04] Wir wanderten nun ohne alles Ungemach durch die Höhle, und als wir amEnde derselben waren und heraustraten ins Freie, da zeigte sich ein ganz leicht und völliggefahrlos zu begehender, mit spärlichem Grase und Moose bewachsener Abhang bis in dieEbene, die freilich sehr wüst aussah, was aber eben sehr gut war, weil sie nur selten vonirgendeinem Wanderer betreten wurde und darum unsere Hochtalbewohner destounbemerkter ins tiefe Tal hinabkommen konnten.[269,05] Als Barnabe und alle, die da mit waren, das ersahen, da fielen sie vor Mirnieder und sagten: „Wir danken Dir, o Herr, aus allen Tiefen unserer Herzen; denn Du hastuns hierdurch, daß Du uns diesen neuen und sicheren Weg gezeigt hast, eine unaussprechlichgroße Wohltat erwiesen und hast uns erlöst von der großen Qual, die uns der frühere,entsetzliche Weg verursachte!“[269,06] Ich hieß sie aufstehen und sagte zu ihnen: „So wie Ich euch hier einenneuen, sichern und auch bequemeren Weg zu wandeln gezeigt habe, also zeige Ich euch allenauch einen allein wahren, guten und sichern Weg zum ewigen Leben![269,07] Diesen Weg zeige Ich euch mit sehr wenigen Worten an, und diese lauten:Seid von ganzem Herzen sanftmütig und demütig! Liebet Gott über alles und jeder seineNächsten wie sich selbst; denn darin bestehet das ganze Gesetz und alle Propheten! Dannglaubet, daß eben Ich Derjenige bin, der verheißen ward von Gott und geweissaget von denPropheten, so habt ihr die Pforte und den Weg in das Reich Gottes, das nun zu euchgekommen ist, ebenalso geöffnet, wie euch nun ein anderer Weg geöffnet und gezeigt wardaus diesem Hochtale hinab in die Niederung der Erde![269,08] Daß da alle Gesetze Mosis in den zwei Geboten der Liebebeisammenstecken, versteht sich von selbst; denn wer Gott über alles liebt, der wird sicheralles, was da sündhaft ist, meiden und nicht sündigen wider das eine oder das andere GebotGottes, und wer seinen Nächsten liebt wie sich selbst, der wird ihm nichts Übles wollen undnoch weniger etwas Übles tun.[269,09] Daß ihr aber diese Meine Worte beherziget und danach tun werdet, das istdann das rechte Salz des Lebens, und Ich will denn euch nun darum auch ein natürliches Salzanzeigen und auch geben. Darum verlassen wir nun denn auch diese Stelle, kehren zurück ineuer Tal, und wir werden dort in einem euch allen noch ganz unbekannten Winkel diesesTales ein ganz reines und gutes Salz finden! Und so wollen wir unsere Wanderung dahinmachen!“[269,10] Alle dankten Mir mit wahrer Inbrunst, und wir begaben uns auf denRückweg.

270. Kapitel[270,01] Als wir wieder im Tale vor der Wandkluft standen, da legten alleMerkzeichen von dort bis zu den nächsten Häusern, auf daß sie für die künftigen Fälle diesenAusweg wiederfinden möchten. Wir gingen nun ganz entgegengesetzt bis zu dem fernenNachbar, der sein Haus auf einem recht hohen Hügel hatte und von den anderen Häusern beieiner halben Stunde Weges entfernt war.[270,02] Allda angelangt, sagte Ich zum Besitzer dieses Hauses: „Siehe, gerade inder Richtung, wo nun bald die Sonne untergehen wird, ersiehst du in geringer Ferne von hier

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eine weiße Felswand von einer bedeutenden Ausdehnung; sieh, das ist pur Salz, und ihr allekönnet es gleich ohne alle vorhergehende Reinigung gebrauchen! Nur etwas weniger müssetihr zu euren Speisen nehmen; denn dieses Salz ist kräftiger als das Nahimer, obgleich auchdas Nahimer Salz – aber freilich schon sehr in der Tiefe – von diesem Stocke gewonnen wird.Wer von euch dahin gehen will, der gehe und bringe eins herüber!“[270,03] Der Besitzer dieses Hauses erbot sich gleich, dahin zu eilen, da es nur kaumeiner Viertelstunde Weges bedurfte, um mit geläufigen Füßen dahin zu gelangen. Er nahmeine Schaufel und ein Gefäß mit, löste leicht mehrere Stücke von der Wand ab, füllte damitdas Gefäß und brachte es ebensobald zu uns herüber. Alle versuchten das Salz und fanden esüberaus vortrefflich. Darauf ward Mir wieder gedankt. Ich segnete dieses hochgelegene Haus,und wir begaben uns darauf alle auf den Rückweg; auch der ferne Nachbar ging mit uns undnahm sogar sein Weib und etliche erwachsene Kinder mit.[270,04] Als wir wieder beim Hause Barnabes ankamen, da erwartete uns schon dieganze Einwohnerschaft des Ortes und wünschte sich laut Glück, Mich wiederzusehen undunter sich zu haben.[270,05] Und der Nachbar, den Ich am Mittage von dem Natternbiß geheilt hatte,schrie laut auf: „Hosianna in dieser Höhe Dem, der zu uns gekommen ist! Dahier ist nun daswahre, neue Jerusalem, von dem schon ein Prophet geweissagt hat; das alte und schlechteaber wird in Kürze zugrunde gehen!“[270,06] Diesem Spruche ahmten alle nach, und zwar mit einer solchen Begeisterungund Stimmenkraft, daß solche von den vielen weiten und hohen Felswänden in tausend Echoswiderhallte. Die Bewohner, denen solch ein Naturspiel noch fremd war, meinten, Ich müsseschon darum ein höchster Geistmensch sein, weil nun sogar die Luft- und die Berggeister inihr Lob eingestimmt hätten.[270,07] Doch Ich Selbst erklärte ihnen solch eine Erscheinung, und sie nahmen auchsolche Meine Erklärung dankbar auf, versuchten aber ihre kräftigen Stimmen noch einmalund bekamen die gleiche Rückwirkung auch ohne das Hosianna.[270,08] Und sie glaubten darauf alle und sagten: „Du bist ein allein Wahrhaftiger;denn ein Templer hätte uns nun schon gesteinigt, so wir es nicht geglaubt hätten, daß diesganz wahrhaftige Berg- und Luftgeister gewesen wären!“[270,09] Ich aber sagte zum Wirte, daß er sich nun umschauen solle, wie alle diesevielen Gäste, bei zweihundert an der Zahl, mit einem Abendmahle versorgt würden.[270,10] Der Wirt aber sagte: „Herr, was und wieviel ich habe, soll hergerichtet undhergegeben werden; nur befürchte ich, daß es kaum für alle auslangen wird!“[270,11] Ich aber sagte: „So gehe hinein und sieh nach!“[270,12] Und der Wirt ging hinein und sah nach und fand alle seine Speisekammernvoll mit Brot, Wein, Milch, Honig und frischen Fischen und noch einer großen Menge desfeinsten Mehles für Semmeln und andere Speisen.[270,13] Da kam er alsbald zurück, schlug sich auf die Brust und sagte: „Oh, dasgeht nun schon über alle die Maßen! Ich weiß genau, was sich früher in meinenSpeisekammern vorfand; sie waren nur spärlich für meinen Hausbedarf gefüllt, und nunstrotzen sie vom höchsten Überflusse! Das warst schon wieder Du, o Herr! Ja, jetzt kann fürTausende gekocht werden, nicht nur für die Zweihundert! Aber wo nun so viele Köchehernehmen? Die lieben Nachbarn müssen heute schon alle Hand ans Werk legen; denn meineLeutchen würden damit bis morgen nicht fertig!“[270,14] Als die Weiber und Töchter der Nachbarn das vernahmen, da eilten sieschnell in die große Küche und machten sich an ihr Werk, und so ward ein großes Mahl ineiner Stunde fertig.[270,15] Das Mahl war jetzt zwar fertig; aber da kam ein ganz anderer Umstand zumVorscheine. Der Wirt hatte nun viel zuwenig Tische und Bänke, und seine Zimmer waren fürzweihundert Gäste auch zu klein. Kurz und gut, es fehlte ihm an allem für solch einVorkommnis. Er trat daher zu Mir hin und bat Mich um einen Rat, was da zu machen wäre.[270,16] Sagte Ich: „Ja, du Mein Freund Barnabe, auf einem natürlichen Wege wirdda nicht viel zu machen sein! Wenn es nicht so kühl wäre hier auf dieser Höhe, da könnten

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wir uns hier im Freien niederlassen; aber es werden nun die Abende schon sehr kühl undfinster, und so tut es sich im Freien wohl nicht mehr. Es haben in einem Schafstalle freilichwohl viele friedliche Schafe Platz; aber da es dir auch an Bänken und Tischen fehlt, so ist dieSache dennoch etwas schwer. Auch mit der Beleuchtung wird es in deinem Hause sicher einwenig spärlich aussehen! Das ist Mir bekannt. Aber wir werden dennoch Mittel treffen, durchdie wir alle recht gut untergebracht werden. Sieh du im Hause nach, wie es mit den Tischenund Bänken aussieht, und komme dann und sage es Mir!“[270,17] Hier ging der Wirt ins Haus, besah nun alles und kam bald vollVerwunderung zurück. Ich fragte ihn, wie es aussehe.[270,18] Und Barnabe erwiderte wieder voll Verwunderung: „O Herr, Du Allgütiger,nun erst sehe ich es überaus klar ein, daß Dir gar kein Ding unmöglich ist! Die Zimmer nachrückwärts sind mehr denn um die Hälfte erweitert, und Tische und Bänke gibt es mehr dennzur Genüge, und auch an den schönsten Lichtern hat es keinen Mangel. Auf allen Tischenstehen schon die Speisen bereit und harren unser, und so meine ich armer Sünder, daß wir unsnun in die Zimmer begeben sollten und einnehmen das wunderbare Abendmahl“[270,19] Sagte Ich: „Ja, das tun wir nun, und so folget Mir alle; denn an euch habeIch eine gute Ernte gemacht!“[270,20] Hierauf ging Ich voran, und alles folgte Mir. In wenigen Augenblickensaßen alle in bester Ordnung an den Tischen.[270,21] Bevor aber einer einen Bissen in den Mund führte, erhob sich der Wirt undsprach: „Höret mich, meine lieben Nachbarn alle! Dieses Mahl ist ein wahres Gottesmahl imParadiese, das verlorenging durch die Schuld der Menschen. Der große, heilige Gott und Herrhat es uns Selbst wiedergebracht. Er sitzet, o Wunder aller Wunder, nun leibhaftig in unsererMitte und hat uns Selbst dieses wahre paradiesische Mahl bereitet! Dieses Mahl ist daher einhöchst gesegnetes und heiliges. Wir aber sind sündige Menschen – und möchten nun aberdoch dieses Mahl genießen als Unwürdige. Bitten wir daher zuvor alle den Herrn, daß Er unsvergeben möchte unsere Sünden und uns dann für nur ein wenig würdiger halten, mit Ihm zugenießen dies heilige Mahl! Erhebet euch und sprechet mit mir: O Herr, Du Wunderbarer!Vergib uns unsere Sünden, auf daß wir würdiger werden, mit Dir zu Tische zu sitzen!“[270,22] Hierauf sagte Ich: „Ich bin ein Arzt und komme, um da zu heilen dieKranken. Ein Sünder aber ist auch ein Kranker, und so waret denn auch ihr krank an Seeleund Leib. Und Ich habe euch darum aufgesucht und völlig geheilt, und ihr seid darum nunkeine Sünder mehr; darum setzet euch wohlgemut zu Tische, und esset und trinket nachHerzenslust! Deine Worte, du Mein Barnabe, aber haben Mir eine rechte Freude gemacht, undihr alle sollet darum noch mehr denn bis jetzt an Mir der Herrlichkeit Gottes gewahr werden!Und nun esset!“[270,23] Hierauf setzten sich alle, dankten Mir und fingen an, mit einer wahrenHerzenslust zu essen und zu trinken; und Ich und die Jünger taten dasselbe. Während desEssens und Trinkens aber wurde wenig geredet; nur nach Beendung des Mahles erhoben sichalle die Nachbargäste, legten ihre Hände auf die Brust und dankten Mir laut für diesparadiesisch gute Abendmahl. Als sie aber mit ihrem Danke zu Ende waren, da wollten sienach Hause gehen; Ich aber bedeutete ihnen, daß sie noch eine Zeitlang verweilen und sichein wenig besprechen sollten über dieses vergangenen Sabbates Begebenheiten.

271. Kapitel[271,01] Da sagte einer aus ihrer Mitte: „O Meister und Herr! Siehe, so man inseinem Gemüte voll ist von tausendmal tausend Gedanken über Dich, über Deine Taten undüber Deine Lehre und man in sich noch lange nicht völlig zu der klaren Ruhe gelangen kann,da wird einem das Reden schwer, weil man gar nicht weiß, wo man anfangen und wo manenden soll! Zu dem aber kommt hier noch das, daß eben Du Selbst da gegenwärtig bist, derDu auch sicher jeden unserer Gedanken schon eher kennst, als er in uns noch aufgetaucht istund von uns empfunden ward. Was können wir da in Deiner persönlichen Gegenwart dannreden und worüber uns besprechen? Ja, so Du hier noch etwas reden wolltest, da möchten wirDich wohl anhören, solange Du auch immer reden möchtest; aber mit unserem Reden würde

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es nun wohl sehr mager aussehen!“[271,02] Sagte Ich: „Höret! Die Bescheidenheit ist eine schöne Tugend, und mankann sie den Menschen nur sehr anempfehlen; aber zu bescheiden sein ist nicht selten unklug,weil man durch eine zu große Bescheidenheit seinem Nächsten gar zur Überschätzung seinerwenn auch noch so guten Fähigkeiten und nach und nach sogar zum Hochmute verhilft, waseben nicht gut, sondern im Gegenteile recht schlimm ist. Bei Mir euch gegenüber kann dasfreilich wohl nie der Fall sein, aber bei andern euch gegenüberstehenden Menschen gar leicht.[271,03] Sehet, die gar oft zu große Bescheidenheit der sonst ganz ehrlichenMenschen gegen jene, die ihnen mit besonderen Talenten und Fähigkeiten gegenüberstanden,und die ihnen darum zu groß erwiesene Bewunderung und Verehrung hat aus ihnen Königeund am Ende allerhochmütigste Tyrannen gemacht, sowie auch das allerhochmütigstePriestertum! Daher sollet ihr auch in den Tugenden, als da sind die Demut, die Sanftmut unddie Bescheidenheit, stets die goldene Mittelstraße beachten, ansonst ihr, und wäret ihr jetztnoch so frei, unter euch mit der Zeitenfolge euch selbst solche Menschen bilden würdet, dieeuch dann mit aller Härte behandeln würden, und ihr dann seufzen würdet unter ihrem Druck.[271,04] Ich weiß es wohl, daß euch Meine Taten und Meine Worte den Mut, etwasvor Mir zu reden, benommen haben; aber es ist daran dennoch nicht soviel wie an dem, daßihr in eurem Herzen glaubet, daß Ich eben Derjenige bin, der aus Gott durch den Mund derPropheten verheißen ward zunächst den Juden und durch sie allen Völkern der Erde.[271,05] So ihr das so recht lebendig glauben und in der Tat Meine Lehre und Meineleichten Gebote beachten werdet, da werdet ihr auch aufnehmen Meinen Geist und durchdenselben noch Größeres tun, als Ich nun vor euch getan habe; denn so ihr Kinder eines unddesselben Vaters im Himmel seid, so seid ihr auch Erben Seiner Vollkommenheiten, wozu ihrberufen seid. Ihr könnet dann auch handeln und tun, wie nun diese Meine Jünger auch schontun und handeln können, wenn es not tut. So ihr nun solches wisset, da könnet ihr nun auchohne Furcht und Scheu vor Mir wie vor diesen Meinen Jüngern reden.[271,06] Denn würde solches zu leisten nie möglich werden können, da hätte Ichsicher keine Jünger bei Mir, darum, daß sie also vollkommen sein sollen, wie der Vater imHimmel und in Mir vollkommen ist; denn als einen Diener brauche Ich doch sicher keinenMenschen, da Ich Selbst allen Menschen dienen kann und auch allzeit diene. Wollte Ich aberschon Wesen haben, die Mir dieneten, da dürfte Ich nur wollen, und im Augenblick stündenMir zahllose Scharen der mächtigsten Engel zu Gebote und würden horchen auf MeineWinke. Aus dem aber könnet ihr schon den alleruntrüglichsten Schluß ziehen, daß Ich nurdarum Jünger zu Mir genommen habe, auf daß sie von Mir alles erlernen sollen, was IchSelbst kann, und daß Ich auch aus ganz demselben Grunde zu euch gekommen bin. – SagetMir nun, ob ihr euch vor Mir jetzt auch noch nicht zu reden getrauet!“

272. Kapitel[272,01] Sagte der ferne Nachbar: „O Herr, zu reden getrauten wir uns nun geradeschon, wenn wir nur wüßten, von was! Zu dem aber kommt noch das, wie von selbst leichtbegreiflich, daß wir alle noch viel zu voll von Gedanken sind über das, was alles wir heutegehört, gesehen und erfahren haben. So ich aber bloß nur für meine Person Dich um etwasfragen dürfte, so bestünde das darin, daß Du uns allen oder bloß nur mir allein sagetest, wasdereinst nach dem sichern Tode dieses Leibes mit mir werden wird.[272,02] Wird die pure Seele ihr Bewußtsein fortbehalten, oder wird sie erst nach derdurch die Propheten verkündeten Auferstehung des Fleisches ins Bewußtsein wiedererwachen? An einem Jüngsten Tage soll diese allgemeine Auferstehung geschehen; wannaber dieser Tag kommen wird, das ist im höchsten Grade unbestimmt. An diesemSchreckenstage sollen die Gerechten vor Gott dann empfangen ihren ewigen Lohn imHimmel und die Sünder ihre ewige Strafe in der Hölle.[272,03] Nun, das sind wahrlich Lehren, mit denen sich mein Gemüt und auch meinVerstand nie völlig haben befreunden können! Wie ist das in der Wahrheit zu verstehen, oderwird das wortgetreu also geschehen?[272,04] Wahrlich, wenn das wortgetreu alles also geschieht, so steht es um die

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Menschheit sehr traurig, und es wäre bei solchen Umständen ja doch um viele tausend Malebesser, so man nie geboren und ein Mensch geworden wäre! Wie viele tausendmal tausendMenschen wissen nichts von unserer Lehre, sind finstere Heiden, und ihr unverschuldetes Loswird dann sein die ewige Strafe im schrecklichsten Feuer der Hölle![272,05] Wahrlich, so ich Gottes Weisheit, Liebe und Güte so recht betrachte, sokommt mir solch eine endliche Verfügung mit den Menschen beinahe unmöglich vor! O Herr,Du wirst uns darüber sicher eine bessere Erklärung zu geben vermögen! Ist es aber also, dannsind wir Menschen die unglücklichsten Geschöpfe auf der ganzen Erde!“[272,06] Sagte Ich: „Ja, Meine Lieben, diese Sache ist jetzt für diesen Augenblickeuch mit wenigen Worten schwer zu erklären; aber Ich habe dieses alles Meinen Jüngern indie kleinsten Punkte erklärt, und diese werden es euch wieder erklären.[272,07] Was die Propheten davon geschrieben haben aus ihrer inneren Eingebung,das haben sie in Bildern geschrieben, die pur Entsprechungen sind von den in ihnenverborgenen nackten Wahrheiten. Wer demnach die alte Lehre von den Entsprechungenversteht, dem wird es bald klar werden, was alles die Bilder der Propheten zu bedeuten haben.[272,08] Ihr habt von den Entsprechungen nie etwas gehört, und so kennet ihr auchvon der Schrift nur den groben, naturmäßigen Sinn; aber es gibt in den Bildern derProphetenschrift stets einen dreifachen Sinn: erstens den naturmäßig-geistigen, zweitens denpur geistigen und drittens den rein himmlischen aus dem Herzen Gottes.[272,09] Nach dem ersten bestimmt sich das sittliche Leben des Menschenalsogestaltig, daß er als naturmäßiger Mensch also denkt infolge einer rechten Erziehung undauch also handelt, daß er nicht an der Materie klebenbleibt, sondern sich von ihr abwendetund sie nur insoweit benutzt, um durch sie in das rein Geistige stets tiefer und hellereinzudringen. Wer das tut, wenn er dazu unterrichtet ist, der findet dann bald dieEntsprechung zwischen Materie und Geist. Hat er das, dann wird er aus dem Geistigen in dasHimmlische eingehen, oder in das Reingeistige. Von da gehet es dann leicht in das reingöttlich Himmlische über. Da wird ihm dann erst vollends klar werden, was im Grunde desGrundes die Schrift der Propheten alles als vollends Enthülltes in sich enthält.[272,10] Wer aber in der Schrift nur die puren Materiebilder schon für alles hält, derbeweist, daß er selbst noch pur Materie ist, die gerichtet ist und sein muß, und daß er ihrGericht in seinem Bewußtsein und in seinem Gefühle zeit seines diesirdischen Lebensfortbehält und in der steten Furcht und Angst schwebt, auch mit seiner Seele nach demAbfalle des Leibes in jenen rein materiellen Zustand zu geraten, in welchem die Schriftbildlich den Zustand der Materie darstellt und beschreibt.[272,11] Ich aber sage es dir und euch allen, daß jenseits sich alles anders verhält, alswie es in den Bildern der Schrift dargetan ist.[272,12] Die Worte der Schrift sind gleich der Schale eines Eies, innerhalb welchersich auch ein Dreifaches birgt, nämlich das Weiße und das Gelbe und in der Mitte des Gelbenerst das rötliche Lebensknäulchen, welches den Lebenskeim birgt.[272,13] Diese Umhülsung aber muß in der materiellen Welt überall da sein, wo nurimmer etwas ist, auf daß das Innerste, Göttliche nirgends, nie und von niemandem je kannverunreinigt werden. Weil aber überall in allem Naturmäßigen Geistiges, Himmlisches undGöttliches steckt, was doch offenbar die Allgegenwart des göttlichen Willens beweist, sobesteht auch Entsprechung zwischen allem, was in der Welt, im Geisterreiche, im Himmelund endlich gar in Gott Selbst sich vorfindet.[272,14] Meine Jünger aber, die nun schon von gar vielem die Kenntnisse haben,werden euch bei Meinem längeren Aufenthalte in eurer Mitte schon das Nähere davon klarzeigen und euch auch bei manchen Gelegenheiten zeigen, daß sie Meine Jünger sind – bis aufeinen, der bis jetzt eben noch nicht gar zuviel begriffen hat wegen seines noch immerweltgewinnlich habsüchtigen Herzens. Aber die andern elf und der Schreiber Matthäus sindschon ganz tüchtige, gottweise Männer geworden, und ihr werdet von ihnen vieles erlernenund erfahren können; höret sie nur!“[272,15] Hier sagte Petrus: „Herr, Dein göttliches Zeugnis gehet wohl über alleZeugnisse dieser Welt; aber nur sind wir dessen noch lange nicht würdig!“

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[272,16] Sagte Ich: „Es bestehet in der Welt unter den Menschen keine Würde außerder, daß sie Ebenbilder Gottes sind, und das ist auch der Grund, darum ein Mensch denNebenmenschen zu lieben und zu achten hat. Und so jemand Mein Wort hört, glaubt unddanach tut, so ist er auch würdig, daß Ich ihm ein rechtes Zeugnis gebe; denn wer da MeinZeuge ist, dessen gültigster Zeuge bin auch Ich vor Meinem Vater im Himmel alles Lebens.So Ich aber jemand ein Zeugnis gebe auch vor der Welt, da tue Ich das nicht, um ihn vor derWelt zu rühmen, sondern Ich zeige dadurch an, daß die Wahrheit aus Gott in ihm ist. Undsogestaltig möget ihr Mein Zeugnis schon ertragen!“

273. Kapitel[273,01] Da dankten Mir die Jünger alle bis auf den einen, was ihm Thomas heimlichsehr verwies.[273,02] Der eine aber sagte (Judas Ischariot:) „Ich danke Ihm im stillen für alles,was ich empfangen habe; ihr aber habt nach Seinem Zeugnisse mehr empfangen als ich, –daher ist es ja nun auch recht, daß ihr um das Mehrempfangene dem Herrn danket. Ihr könnetschon allerlei Wunder wirken; mir gelingt nicht eines, wenn ich auch noch glaube, daß es mirgelingen solle, – und euch gelingt schon beinahe alles! Was ich somit noch nicht empfangenhabe, für das kann ich nicht danken, sondern nur darum bitten. Ich habe zwar schon sehr oftim stillen darum gebeten, aber bis jetzt außer Speise, Trank und Lehre noch immer nichtserhalten und habe darum nur um das zu danken, – aber um die Gabe, Wunder zu wirken,sicher nicht! Verstehet mich, so ihr mich verstehen wollt!“[273,03] Solches hatte der eine freilich nur so mehr still gesprochen, wurde aber vonden andern Jüngern und von Mir ganz gut vernommen.[273,04] Und Ich sagte zu ihm: „Du, Judas Ischariot, hast da ganz recht, daß du Mirnicht dankest um das, was du nicht so recht in der Fülle gleich den andern Jüngern empfangenhast. Aber als Ich euch vor einigen Monden einmal vor Mir hinaussandte, um in Galiläa dieMenschen auf Mich vorzubereiten, da gab Ich dir so gut die Macht, Wunder zu wirken, wieden andern; aber du fingst damit als ein geldsüchtiger Mensch an, ein ordentliches Geschäftzu treiben, und ließest dich für deine gewirkten Wunder hoch und teuer bezahlen. Dadurchhast du dir in wenigen Wochen eine große Summe Goldes und Silbers erworben, an dem deinHerz hing. Weil aber dein Herz eben nur am größten Miste der Erde so sehr hing und an derWundertatsgabe nur des Mistes wegen, – weil dies der tatsächliche Fall bei dir war, so ist ausweisem und gutem Grunde solche Gabe dir wieder genommen worden, aber die Lehre nicht,und somit kannst auch du wohl einen Unterricht über die Ankunft des Reiches Gottes aufErden den Menschen erteilen, wenn du willst; willst du's aber nicht, so kannst du es auchbleiben lassen! Ich aber meine: So es dich nicht verdrießt, zu essen und zu trinken, so soll esdich auch nicht verdrießen, ein wenig zu arbeiten für dich und für Mich!“[273,05] Sagte ganz betroffen Judas Ischariot: „Ah, das tue ich ja ohnehin gerne, aberdie Brüder lassen es mich nicht immer, – – ich will nicht hadern, und so bin ich dann wiederruhig und schweige!“[273,06] Sagte Ich: „Ja, da hast du schon wieder recht, – bis dahin aber nur, daß dieBrüder dich erst dann nicht wollen weiterpredigen lassen, so du anfängst, gegen den Schlußdeiner Predigt schmutzige Absichten an den Tag zu legen. Laß also das in der Folge, und duwirst dann ungehindert predigen können und dürfen! Wozu ist das, ein Almosen bei denZuhörern erbetteln wollen, da bei Mir noch keiner von euch einen Tag irgendeine Not gelittenhat?! Daher tue also, wie Ich es haben will, so wirst du alles recht tun, und niemand wird dichbei deinem Tun je beirren! – Hast du Mich wohl verstanden?“[273,07] Judas Ischariot sagte: „Ja, Herr und Meister, ich werde mich auch bemühen,Deinem Willen zu genügen! Aber nun lasset mich ein wenig ins Freie gehen; denn michdrängt es nun ordentlich hinaus!“[273,08] Hierauf erhob er sich schnell und ging ins Freie. Er tat dies aber, weil ersich verraten und beschämt fühlte.[273,09] Der Wirt fragte Mich, wie es denn komme, daß der hinausgegangene Jüngernoch nicht so vollkommen sei wie die andern.

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[273,10] Sagte Ich: „Lieber Freund, das kommt von seinem zeitweiligen Eigennutzeher! Er ist seiner Profession nach ein Töpfer und hat sich damit auf den Märkten viel Gelderworben. Aber als er von Mir hörte, da kam auch er zu Mir, hörte Meine Worte und sahMeine Taten. Da bat er Mich, daß er auch Mein Jünger würde. Ich gestattete ihm das, und sowurde auch er Mein Jünger. Aber er ist noch, was er war, ein Kaufmann, und das Geld hält erfür eine fürs irdische Leben unentbehrliche Sache; darum möchte er denn auch für immer undeigentlich nur für sich Wunder wirken und sich gleich den Magiern dafür bezahlen lassen. Daaber das mit Meinen Wundertaten sich nie vereinen kann und darf, so verlor er durch eigenesVerschulden die schon innegehabte Fähigkeit und ist darum nun stets geheim bei sich etwasunzufrieden. Aber er weiß sonst um alles und ist ein guter Redner, und wenn er jemandenüber Mich und Meine Sendung aus den Himmeln belehrt, so machen seine Worte stets einegute Wirkung, und er ist darum gleich den andern ein aus Meinen anfänglichenzweiundsiebzig Jüngern auserwählter Apostel. – Nun weißt du ganz, wer er ist, und was duvon ihm zu halten hast.“[273,11] Sagte der Wirt: „Ah, da ist er immer sehr zu achten, und ich werde michnoch sehr oft mit ihm besprechen! Aber nun möchte ich doch wissen, was denn aus denandern sechzig Jüngern geworden ist! Haben sie nicht den Sinn und Willen fassen mögen, umDir, gleich diesen Zwölfen, auf allen Wegen und Stegen zu folgen, um da noch gar vieles zuhören und zu sehen, was für sie sicher von größtem Nutzen gewesen wäre?“[273,12] Sagte Ich: „Sie haben so viel gehört und gesehen, daß sie genau wissen, wassie zu tun haben, um das ewige Leben zu erreichen, und eines mehreren bedarf es für sienicht. Sie wollten ihrer häuslichen Verhältnisse wegen Mir auch nicht stets und überallhinfolgen, und so entließ Ich sie für einstweilen; aber sie werden schon wiederkommen und Mirfolgen auf allen Wegen und Stegen, – denn sie haben Mein Wort angenommen, leben undhandeln nun danach, und es dränget sie nun schon sehr, ehest wieder zu Mir zu kommen. Siesind zumeist Galiläer so wie auch Ich und diese Meine zwölf Hauptjünger. – Nun weißt duauch das der vollsten Wahrheit nach; so du aber noch etwas wissen willst, da frage!“

274. Kapitel[274,01] Sagte der Wirt: „Ich möchte Dich wohl um noch etwas fragen; aber Dudürftest mir darum nicht gram werden!“[274,02] Sagte Ich: „Frage, um was du willst!“[274,03] Sagte der Wirt: „Nun gut denn! Sieh, als ich im Tempel noch ein Levitewar, da trug es sich einmal bei einer Mission wegen eines Zehentrückstandes zu, daß ich damit etlichen Essäern zusammenkam! Diese waren sehr freundlich und erzählten mir mit dergrößten Wahrheitsversicherung, daß in ihrem Tempel, größer als jener zu Jerusalem, diegrößten Wunderwerke verrichtet werden.[274,04] Da werden alle Kranken geheilt, ja sogar die Verstorbenen wieder ins Lebenzurückgerufen. Sogar die Elemente und Kräfte der gesamten Natur haben sie in ihrer vollenGewalt, und Sonne, Mond und alle die Sterne müssen sich fügen ihrem Willen, und soerscheine in und bei ihnen der Mensch erst als ein wahrer Herr der Natur, so, wie es einst derUrvater Adam war, bevor er gesündigt hatte. Bei ihnen müssen sogar die Bäume, das Gras,die Steine, das Wasser, die Luft und alle Kreaturen reden und ihnen das Zeugnis der vollstenWahrheit geben, und wenn ich solches nicht glauben könne, da solle ich nur mit ihnen gehenund mich selbst von allem dem persönlich überzeugen.[274,05] Nun, mein dem Tempel dienliches Geschäft hatte eben keine Eile; denn wasman bei uns in einer Woche nicht verrichten kann, das kann man ganz bequem in der drittenWoche auch ohne irgendeinen Anstand zustande bringen. Ich hatte sonach Zeit und folgte dersehr freundlichen Einladung der beiden Essäer. Wir kamen mit Hilfe von drei schnellfüßigenKamelen, die die beiden bei sich hatten, bald an Ort und Stelle an, weil meinZehenteinhebungsgeschäft ohnehin nicht ferne von der Essäer Besitzung zu verrichten war.[274,06] Ich ward von den beiden bald ihrem Obersten, einem äußerst freundlichenManne, vorgestellt, der mich mit vieler Liebe empfing und es mir an nichts abgehen ließ.Seine Bewirtung ließ wahrlich nichts zu wünschen übrig! Ich hielt mich dabei acht Tage lang

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auf und überzeugte mich von allem dem, was mir die beiden vorher angezeigt hatten, selbstder vollsten Wahrheit nach. Oft dachte ich daran und wäre selbst gerne zu ihnenübergegangen; aber ich ward nicht angenommen meiner Jugend wegen, was mir wahrlich sehrleid tat.[274,07] Nun, da möchte ich nun von Dir erfahren, was denn Du von dieser Anstaltsagst. Denn ihre Wundertaten sind ganz den Deinen ähnlich, so daß ich geheim nun immerder Meinung war, daß Du vielleicht auch ein Essäer seist. Denn auch sie sagten mir, daß ausihnen der Weltmessias hervorgehen werde. Kläre mich darin mehr auf!“[274,08] Sagte Ich: „Lasset euch von den Essäern nicht berücken; denn ihre Wortesind Lügen, ihre Taten Betrug, und ihre Freundschaft ist die purste Heuchelei! Bei ihnenheiligt der Zweck das Mittel, durch das er erreicht wird; sei dieses an und für sich noch soelend und schlecht, so werde es dadurch gut und geheiligt, wenn für die Menschheit nur einguter Zweck erreicht werde. Sie tun den Menschen natürlich nur fürs Geld viel Irdisch- Gutes;aber das Gute ist kein Gutes, weil es ein purster Betrug ist.[274,09] Denn käme ein Mensch, was denn doch eben in einer aufgeklärten Zeitnichts Unmögliches wäre, irgend erwiesen schon hier in diesem Leben dahinter, so wäre erdann doppelt unglücklich – einmal, weil er um viel Geld auf das schmählichste hintergangenworden ist, und zum zweiten Male, daß er dazu noch schweigen müßte, auf daß ihm nicht einärgeres Übel zugefügt würde.[274,10] Denn diese so gepriesenen und von allen Weltgegenden überaus gesuchtenEssäer haben allenthalben eine große Menge Spione, die unter allerlei menschlichenCharakteren sich in vielen Ländern umhertreiben. Durch diese erfahren die Hauptleiter undVorstände der großen Anstalt alles, was irgendwo etwa Besonderes ist und geschieht. Und soist es gar nicht ratsam, irgendwo gegen sie zu Felde zu ziehen, weil sie das sicher balderfahren und Rache nehmen würden an ihrem Widersacher.[274,11] Damit sei du, Barnabe, ganz zufrieden; ein Weiteres darüber werden direben auch Meine Jünger kundtun. Es ist sogar einer unter Meinen Jüngern, der noch vorkurzem ein Hauptessäer war; der wird dir ihre Wundertaten am besten beschreiben, und duwirst dann sehr staunen über deine damalige Blindheit.[274,12] Für jetzt aber wollen wir uns noch ein wenig ins Freie begeben und draußenuns ein wenig erheitern an der Betrachtung des heute sehr sternreichen Himmels!“[274,13] Das war allen recht, und wir erhoben uns von den Bänken und Tischen undwaren bald darauf im Freien.

275. Kapitel[275,01] Alle staunten über die große Pracht des Himmels, und der Wirt fragte Mich,was etwa doch diese zahllos vielen großen und kleinen Sterne seien. Und Ich erklärte ihnendas gerade also, wie Ich solches auch schon bei anderen gleichen Gelegenheiten getan habe;ja, Ich tat hier noch mehr.[275,02] Nachdem Ich bei zwei Stunden lang allen das Notwendigste davon klarerörtert hatte und dadurch geheim in ihren Gemütern der Wunsch rege wurde, sich von derWahrheit des Gesagten, so es möglich wäre, noch um vieles heller und tiefer zu überzeugen,da versetzte Ich sie alle, ohne daß sie es ahnen konnten, was da mit ihnen geschah, in dengeweckt rein geistigen Zustand, und sie schauten nun mit im höchsten Grade verklärtenBlicken nach den Sternen und konnten einen um den andern so wie ganz in der Nähebetrachten.[275,03] Da entstand plötzlich ein größter Jubel, der immer heftiger geworden wäre,so Ich die Gesellschaft noch länger in solcher geistigen Gewecktheit gelassen hätte; aber Ichrief sie alle wieder zurück in den naturmäßigen Zustand, und keiner von ihnen begriff, was damit ihm vorgegangen ist, daß er solche unerhörten Wunderdinge in den Sternen hat schauenkönnen.[275,04] Ich aber sagte zu ihnen: „Wundert euch dessen doch nicht zu sehr! Ich habedurch Meine Willensmacht nur euer inneres Geistesauge geöffnet, und so waret ihr denn auchimstande, diese fernen Welten wie ganz in der Nähe zu beschauen; denn für den Geist ist eine

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jede irdische und also räumliche Ferne so gut wie gar keine. Denket aber nun darüber zuHause nach, und morgen wollen wir darüber noch so manches verhandeln! Für jetzt aberbegebet euch nach Hause zur Ruhe, und des Sabbats Ruhe und Feier sei damit beendet!“[275,05] Hierauf dankten Mir alle und begaben sich dann in ihre Wohnungen. Nurder ferne Nachbar blieb bei uns die kurze Nacht hindurch. Ich begab Mich mit den Jüngernauch zur Ruhe, und es ist sonach abermals ein Sabbat mit lauter guten Werken zugebrachtworden.[275,06] Die Nacht verging bald, und am Morgen früh waren schon die meistenNachbarn samt Weibern und Kindern vor dem Hause des Barnabe versammelt, und das ganzeHaus des Barnabe war schon voll Tätigkeit, um ein gutes Morgenmahl zu bereiten.[275,07] Ich kam mit Meinen Jüngern auch bald ins Freie hinaus zu den Harrenden,und Barnabe brachte Mir einen recht herrlichen Morgengruß, sowie nebenbei auch MeinenJüngern. Darauf taten dasselbe auch alle andern hier anwesenden Nachbarn und frohlocktenhoch, daß sie Mich in ihrer Mitte hatten, und sie konnten sich noch immer nicht zur Genügeerstaunen über den gestrigen Anblick des gestirnten Himmels.[275,08] Einer, der ganz auf die Oberfläche eines fernen Wandelsternes im Geisteversetzet ward, und zwar auf den Uran (Uranus), der fragte Mich, ob jene vielen und sehrkräftigen Menschen, die er dort ganz gut gesehen hatte, schon eine Art Selige wären. Erwenigstens habe sie dafür gehalten; nur das hätte ihn etwas wundergenommen, daß er sienoch viel emsiger habe arbeiten sehen als selbst die fleißigsten Menschen auf dieser Erde.Viele und gar große Gebäude hatte er auch gesehen und viele, die erst mit allem Eifer erbautwurden. Nun meinte er, ob denn im Himmelreiche sich die Seligen auch also, wie hier aufErden die Menschen, ihre Häuser erbauen müßten.[275,09] Da sagte Ich zu ihm: „Zum Teile wohl auch; aber die Menschen, die du aufjener Welt gesehen hast, die sind eben noch lange keine Geister und somit auch keine Seligen,sondern sie sind für jene Welt ebenso materielle Menschen wie ihr hier auf diesemWeltkörper, nur mit dem Unterschiede, daß ihr Erdenmenschen allein den Beruf habt, KinderGottes zu werden, während alle Menschen auf allen den zahllosen Myriaden von Weltkörpernim allgemeinen diesen Beruf nicht haben, obwohl sie davon gerade nicht gänzlichausgeschlossen sind. Aber es gehört dort viel mehr dazu denn hier auf dieser Erde, die schonvom Anbeginne an dazu bestimmt ward.[275,10] Wohl gab es noch eine gar große Erde, die von dieser Sonne das Lichtempfing. Die hatte auch dieselbe Bestimmung, aber ihre Menschen hatten sich zu gewaltigübernommen, und es geschah darum, daß über sie ein gar großes Gericht kam, wie es auchschon einmal dieser Erde um nicht gar vieles besser ergangen ist. Jene Erde wurde ganzzerstört und zertrümmert, und mit ihr auch ihre über alle die Maßen stolz und lasterhaftgewordenen Menschen.[275,11] Ein Weiteres darüber könnet ihr von diesen Meinen Jüngern erfahren; dasGanze aber wird euch mit der Zeit, so ihr ganz getreu und tätig in Meiner Lehre verbleibenwerdet, euer Geist, so er eins wird mit eurer Seele, zeigen und euch in alle die wunderbarstenWahrheiten leiten.“[275,12] Da wunderten sich wieder alle über Meine Allwissenheit und dankten Mirund lobten und priesen Mich darum, daß Ich sie Meines Besuches gewürdiget habe.[275,13] Nun aber kam auch schon ganz munter die Elisa, die sich an der Bereitungdes Morgenmahles am eifrigsten beteiligt hatte, und lud uns zum Morgenmahle. DieNachbarn aber entschuldigten sich, daß sie ein solches schon daheim eingenommen hätten.[275,14] Aber Barnabe sagte: „Nun ist schon alles eins! Bereitet ist für alle, so wiedas gestrige Abendmahl, und sie sollen sich darum nur ganz wohlgemut an die Tischemachen!“[275,15] Darauf ging denn alles wieder ins Haus, und es ward fröhlich dasMorgenmahl eingenommen. Nach dem Mahle, das eingenommen ward, bekamen die Jüngerviel zu tun; denn die Nachbarn fingen sie einmal wegen der Essäer zu fragen an, und da gabein Wort das andere. Und es dauerte das Befragen und das Erklären nahe bis auf den Abendhin, und es wurde kein Mittagsmahl genommen, außer etwas Brot und Wein. Bei dieser

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Gelegenheit führten einige Jünger auch einige Proben ihrer Wunderkraft aus, worüber sich dieNachbarn höchlichst erstaunten und desto mehr Eifer bekamen, sich ganz genau nach denvernommenen Lehren zu verhalten.[275,16] Ich aber war stets mit unserm Barnabe beschäftigt, bei welcher Gelegenheiter auch Erwähnung tat von den zwei Wundern, die Ich als zwölfjähriger Knabe im Tempelgewirkt habe, und daß diese beiden Wunder auf ihn zwar einen ungeheuren Eindruck gemachthätten, er aber dessenungeachtet noch stets bei der Meinung geblieben wäre, daß Ich aus derSchule der Essäer wäre, wovon er aber nun das schroffste Gegenteil einsehe und Michvollkommen als das erkenne, als was Ich Mich schon damals im Tempel Selbst vorgeführthabe. Kurz, die ganze Gemeinde samt Barnabe war nun ganz gewonnen, und wir bekamennun sehr viel Muße, um über verschiedene Dinge zu reden, und es kam also auch bald derAbend herbei, an dem es natürlich an einem Abendmahle nicht gemangelt hat.

276. Kapitel[276,01] Am nächsten Tag ward zu dem fernen Nachbar gegangen und allda derganze Tag wie auch die ganze Nacht zugebracht. Hier geschah es, daß Ich Mich, allensichtbar, von den Engeln des Himmels bedienen ließ und auch die andern Gäste. Da gab esdes Staunens schon gar kein Ende mehr, und die Bewohner fühlten sich ganz in die Himmelversetzt. Sie besprachen sich auch vielseitig mit den reinen Himmelsgeistern und lobten derengroße Weisheit und deren große Macht; denn es wurden in dieser Nacht gar viele Wundervollbracht, und zwar zum Besten dieser sehr braven Gebirgsbewohner.[276,02] Unter den vielen Wundern war auch das, daß der ferne Nachbar ein ganzneues und sehr zweckmäßiges Haus erhielt und noch einiges in Hülle und Fülle und Eßwarenund Weine von der besten Art. Also wurden auch den sämtlichen Bewohnern eine Mengenützlicher Haustiere beschafft und ihre Gärten bestbestellt, auch wurden ihre sämtlichenWohnhäuser ganz gut hergestellt und mit Wirtschaftsgebäuden versehen, ein jegliches nachseinem Bedarf. Daß darob diese Menschen vor lauter Verwunderung und Dankbarkeitordentlich zerflossen, bedarf wohl keiner näheren Erwähnung mehr.[276,03] Am Morgen endete diese nächtliche Szene, und alle Nachbarn kehrten anMeiner Seite überfroh, überaus erbaut und von höchster Dankbarkeit erfüllt nach Hausezurück, und alle betrachteten voll der seligsten Bewunderung ihre viel verbesserten Häuserund Gärten und Äcker. Aber bei all dem konnten sie sich von Mir denn doch nicht trennen,und Ich mußte bald in einem und bald wieder in einem anderen Hause ihr Gast sein samt denJüngern, wo da allzeit viel von allerlei Weltzuständen gesprochen ward.[276,04] Und so wurde diesem ärmsten Völklein doppelt geholfen, nämlich physischund moralisch. Als Ich aber nach der abgelaufenen Zeit davon zu reden anfing, daß Ich dennjüngst von da abreisen und nach Jerusalem zu einem Feste ziehen werde, da wurden alle sehrtraurig, und Barnabe fragte Mich, wie es Mir denn wohl möglich sein könne, in diese höchstdemoralisierte, gottlose Stadt zu ziehen.[276,05] Da sagte Ich: „Freund, wo es der Kranken am meisten gibt, dort ist auch einArzt am allernotwendigsten!“[276,06] Ich blieb aber auf vieles Bitten noch etliche Tage daselbst und habe sie nochüber so manches Gute und Nützliche belehrt wie auch Meine Jünger, die eben auch nicht sehrdamit einverstanden waren, daß Ich zu diesem Herbstfeste Mich nach Jerusalem begebe.[276,07] Aber Ich sagte zu ihnen: „Es ist also der Wille des Vaters, und da kann esnimmer anders sein!“[276,08] Als sie solches vernahmen, da willigten sie ein und hatten nichts mehreinzuwenden.[276,09] Es war an einem Vorsabbat, an dem wir uns auf den Weg machten. Dennwir wollten am Sabbate, an dem das Fest begann, in Jerusalem eintreffen, und so mußten wiram Vorsabbate schon unsere mehrwöchige Ruhestätte verlassen, um am Sabbat morgens inJerusalem zu sein; denn es war von da noch eine gute Tagereise dahin.[276,10] Nach einem Morgenmahle segnete Ich den Ort und seine Bewohner undbegab Mich, von allen begleitet, durch den neuen Ausgang, den zuvor noch nie jemand

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begangen hatte, auf die Reise. Bei dem Ausgang durch die Grotte beschied Ich die Begleiterzum Rückzug und empfahl ihnen noch einmal den vollen Glauben an Mich und die Liebe zuGott. Ich sagte ihnen auch, daß sie nie wankend werden sollten in diesem Glauben, dannwürde Ich verklärt nach ein paar Jahren wieder zu ihnen kommen und ihnen allen erteilen dieKraft Meines Geistes. Dafür dankten Mir alle und baten Mich, daß Ich auch ferne von da ihrerja nicht vergessen möchte.[276,11] Ich aber sagte: „Meine lieben Freunde! Bei Mir gibt es kein Vergessen; dasgibt es nur bei den Menschen. Wer Meiner nicht vergißt, dessen vergesse auch Ich ewig nicht.Darum bleibet Mir getreu, solange ihr im Fleische wohnet, und Ich werde euch geben, wie Icheuch zu mehreren Malen versichert und sogar gezeigt habe, das unvergängliche, ewige Lebenin Meinem Reiche. Amen!“[276,12] Hierauf trat Ich schnell die Reise an, allwo uns die Begleiter noch bei einerStunde lang nachsahen und ihre Grüße und guten Wünsche nachsandten.[276,13] Darauf begaben sie sich zurück, voll der besten Vorsätze und des bestenWillens; zugleich aber beschlossen sie, da sie nun mit allem möglichen versorgt waren undnicht mehr Not hatten, des Salzes wegen nach Nahim zu gehen, auch diesen Ein- undAusgang so zu verlegen, daß sie ja von niemand irgendmehr aufgefunden werden könnten.Und was sie beschlossen hatten, das führten sie auch genau mit vereinten Kräften an diesemVorsabbate aus und waren sonach ganz von aller Welt abgeschlossen und führten da einstrenges Leben genau nach Meiner Lehre.