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LOGISCHE

UNTERSUCHUNG-EN

VON

EDMUND HUSSERL

ZWEITER BAND

ELEMENTE EINER PHÄNOMENOLOGISCHEN

AUFKLÄRUNG DER ERKENNTNIS

II. TEIL

ZWEITE, TEILWEISE UMGEARBEITETE AUFLÄGE

HALLE 41.. D. 8.MAX NIEMEYER

1921

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Vorwort.

Die vorliegende Neuausgabe des Schlußstückes der "LogischenUntersuchungen" entspricht zu meinem Bedauern nicht der An-kündipmg in der Vorrede, die ich im Jahre 1913 dem I. Bandeder zweiten Auflage beigegeben habe. Im mußte mich dazu ent-schließen, an Stelle der radikalen Umarbeitung, von der damalsschon ein erheblicher Teil gedruckt war, den alten, nur in einigenAbschnitten wesentlich verbesserten Text zu veröffentlichen..Wieder einmal hat sich das alte Wort, daß Bücher ihre Schick-sale haben, bewahrheitet. Zuerst zwang mich eine nach einerPeriode übersteigerter Arbeit natürlich einsetzende Ermüdung,den Druck zu unterbrechen. Theoretische Schwierigkeiten, diemir während desselben empfindlich geworden waren, verlangteneingreifende Umgestaltungen des neuentworfenen Textes, zu denenes frischerer Kräfte bedurfte. In den nun folgenden Kriegsjahrenwar ich aber unfähig, für die Phänomenologie des Logischen jeneleidenschaftliche Anteilnahme aufzubringen, ohne die bei mireine fruchtbare Arbeit unmöglich ist. Ich konnte den Krieg undden nachgekommenen "Frieden" nur ertragen in allgemeinsten.philosophischen Besinnungen und in der Wiederaufnahme der-jenigen Arbeiten, welche der methodischen und sachlichen Aus-gestaltung der Idee einer phänomenologischen Philosophie, demsystematischen Entwurfe ihrer Grundlinien, der Ordnung ihrerArbeitsprobleme und der Fortführung solcher konkreten Unter-suchungen gewidmet waren, die in diesen Beziehungen unentbehr-lich erschienen. Auch meine neue Freiburger Lehrtätigkeit,förderte meine Interessenrichtung auf die leitenden Allgemeinheitenund das System. Erst neuerdings führten diese systematischen

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IV Vorwort.....................

Studien mich wieder zurück in das Ursprungsgebiet meiner phäno-menologischen Forschungen und erinnerten mich an die alten,der Vollendung und der Veröffentlichung so lange harrendenFunclamentierungsarbeiten zur reinen Logik. Wann ich, zwischenintensiver Lehrtätigkeit und intensiver Forschung geteilt, imstande,bin, diese Arbeiten den inzwischen gemachten Fortschritten an-zupassen und literarisch neu zu formen; ob ich dabei den Textder VI. Untersuchung mitbenütze oder meinen inhaltlich weit übersie hinausreichenden Entwürfen die Gestalt eines völlig neuenBuches gebe, steht noch dahin.

Wie die Dinge liegen, habe ich dem Drängen der Freundedes vorliegenden Werkes nachgeben und mich dafür entscheidenmüssen, sein Schlußstück mindestens in der alten Gestalt derÖffentlichkeit wieder zugänglich zu machen.

Den ersten Abschnitt, den ich auch in Einzelheiten nichtüberarbeiten konnte, ohne den Stil des Ganzen zu gefährden,habe ich fast wörtlich wieder abdrucken lassen. Dagegen habeich in den mir besonders werten zweiten Abschnitt über „Sinn-lichkeit und Verstand" vielfach mit bessernden Textgestal-tungen eingegriffen. Ich bin noch immer überzeugt, daß dasKapitel über „sinnliche und kategoriale Anschauung" in Ver-bindung mit den vorbereitenden Ausführungen der vorangegangenenKapitel, einer phänomenologischen Aufklärung der logischenEvidenz (und damit eo ipso auch ihrer Parallelen in der axio-logischen und praktischen Sphäre) den Weg freigemacht hat.Manche Mißverständnisse meiner „Ideen zu einer reinen Phäno-menologie" wären unmöglich gewesen, wenn man dieses Kapitelbeachtet hätte. Selbstverständlich besagt danach die Unmittelbar-keit der Schau allgemeiner Wesen, von der in den „Ideen" dieRede ist, ganz wie diejenige einer sonstigen kategorialen An-schauung, den Gegensatz zur Mittelbarkeit eines unanschaulichen,etwa eines symbolisch-leeren Denkens. Dem entgegen hat mandieser Unmittelbarkeit die der Anschauung im gewöhnlichenSinne untergeschoben, eben weil man von dem für jede Theorieder Vernunft fundamentalen Unterschied zwischen sinnlicher und

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Vorwort.

kategorialer Anschauung nicht Kenntnis genommen hatte. Es istm. E. bezeichnend für den gegenwärtigen Stand der philosophischenWissenschaft, daß schlichte Feststellungen von so eingreifenderBedeutung, dargeboten in einem Werke, das in fast zwei Jahr-zehnten viel angefeindet, aber auch viel benutzt worden ist, ohnemerklichen literarischen Einfluß bleiben konnten.

Nicht anders steht es mit dem — textlich ebenfalls ver-besserten — Kapitel über „die apriorischen Gesetze des eigent-lichen und uneigentlichen Denkens". Mindestens den Typus liefertes für die erste radikale 'Überwindung des Psychologisraus in derTheorie der Vernunft; dieser Typus bricht im Rahmen der vor-liegenden, nur für die formale Logik interessierten Untersuchungin der Beschränkung auf die formal-logische Vernunft durch.Mit wie wenig Vertiefung gelesen worden ist, zeigt der oft ge-hörte, wie ich aber meine, groteske Vorwurf: nach der scharfenAbsage an den Psyclologismus im ersten Bande dieses Werkes,sei ich im .zweiten in den Psychologismus zurückverfallen.Es tut dem Gesagten keinen Eintrag, wenn ich hinzufüge, daßich heute, nach zwanzigjähriger Fortarbeit, vieles so nicht mehrschreiben würde, daß ich manches, wie z. B. die Lehre von derkategorialen Repräsentation, nicht mehr billige. Dennoch glaubeich sagen zu dürfen, daß auch das Ung-ereifte und selbst dasVerfehlte in diesem Werke eines genauen Nachdenkens Wert ist.Denn es ist darin alles und jedes aus einer wirklich an die Sachenselbst herankommenden, rein nach ihrer intuitiv en Selbstgegebenheitsich orientierenden Forschung geschöpft und zudem einer Forschungin der eidetisch-phänomenologischen Einstellung auf das reine lie-wußtsein, die für eine Theorie der Vernunft allein Frucht bringenkann. 'Wer hier, wie auch in den „Ideen" den Sinn meinerDarlegungen verstehen will, muß freilich erhebliche Mühen nichtscheuen — auch nicht die Mühe, seine eigenen Begriffe undüberzeugungen über die gleichen, oder vermeintlich gleichenThemen "einzuklammern". Die Mühen sind aber durch die Naturder Sachen selbst gefordert. Wer sie nicht scheut, wird Gelegen-heit genug finden, meine .A.ufstellungen zu verbessern und wenn

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VI

Vorwort.

ihm das Freude macht, ihre Unvollkommenheit zu tadeln. Nurauf Grund einer oberflächlichen Lektüre und von einem außer-phänomenologischen Gedankenkreise her darf er dergleichen nichtversuchen, ohne von jedem wirklich Verstehenden desavouiert zuwerden. Wie bequem es sich manche Autoren mit wegwerfendenKritiken machen, mit welcher Gewissenhaftigkeit sie lesen, welchenUnsinn sie mir und der Phänomenologie zuzumuten die Kühnheithaben, das zeigt die "Allgemeine Erkenntnistheorie" von MoritzSchlick, in der wir (S. 121) mit Erstaunen lesen: „Es wird {sc.in meinen „Ideen" die Existenz einer besonderen Anschauungbehauptet, die kein psychischer realer Akt sein soll; undvermag jemand ein solches nicht in den Bereich der Psy-chologie fallendes ‚Erlebnis' nicht aufzufinden, so wird ihmbedeutet, er habe die Lehre eben nicht verstanden, er seinochnichtzu der richtigen Erfahnings- und Denkeinstellung vorgedrungendas erfordere nämlich ‚eigene und mühselige Studien' ". Die völligeUnmöglichkeit, daß ich je eine tolle Behauptung, wie sie mir vonSchlick in den oben durch Sperrdruck hervorgehobenen Sätzenzugeschrieben ist, ausgesprochen haben könnte, und ebenso dieUnwahrheit seiner sonstigen Darstellung des Sinnes der Phäno-menologie muß jeder, dem diese vertraut ist, im ersten Blick er-kennen. Natürlich forderte ich immer wieder "mühselige Studien".Aber nicht anders als sie etwa der Mathematiker von jedemfordert, der in mathematischen Dingen soll mitreden, oder garüber den Wert der mathematischen Wissenschaft eine Kritik wagendürfen. Jedenfalls weniger Studium an eine Lehre wenden, alsnötig ist, ihren Sinn zu fassen, und sie doch kritisieren, dasverstößt gegen die ewigen Gesetze literarischer Gewissenhaftigkeit.‚Keine naturwissenschaftliche oder psychologische Gelehrsamkeitund keine in den historischen Philosophien kann diese Mühen fürdas Eindringen in die Phänomenologie entbehrlich machen, ja auchnur erleichtern. Es hat aber auch noch jeder, der sie auf sich ge-nommen und sich zu der so selten betätigten Vorurteilslosigkeiterhoben hat, diejenige zweifellose Gewißheit vom Gegebensein deswissenschaftlichen B o d en s und vom Eigenrechte der für ihn gefor-

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Vorwort. vii

derten Methode gewonnen, die hier, ähnlich wie in anderen Wissen-schaften, die Gemeinsamkeit begrifflich bestimmter Arbeitsproblemeund feste Entscheidungen nach Wahrheit und Falschheit ermöglicht.Ich muß noch ausdrücklich bemerken, daß es sich bei M. Schlicknicht bloß um irrelevante Entgleisungen handelt, sondern um sinnverkehrende Unterschiebungen, auf die seine ganze Kritikaufgebaut ist.

Nach diesen Worten der Abwehr muß ich zumill. Abschnittnoch bemerken, daß ich meine Stellung zum Problem der phäno-menologischen Deutung derFrage- und Wunschsätze schon kurznach der ersten Ausgabe des Werkes geändert habe, und daßhier mit kleinen Überarbeitungen, wie sie zurzeit allein vorgenom-men werden konnten, nicht auszukommen war. Der Text bliebdaher ungeändert. Weniger konservativ durfte ich hinsichtlichdes vielbenutzten Anhanges über "äußere und innere Wahrneh-mung" sein. Bei Erhaltung des wesentlichen Textgehaltes erscheinter jetzt in erheblich verbesserter Gestalt.

Das Desiderai eines Index zu dem Gesamtwerke konnte leidernicht erfüllt werden, da mein hoffnungsvoller Schüler, Dr. Rudolf"Clemens, der dieBearbeitung übernommen hatte, für das Vater-land gefallen it.

Freiburg i. Br., Oktober 1920. E. Nuserl.

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Druckfehler-Verzeichnis.

Band I.Seite xm Zeile 1 v. e. lies de raison statt du raison.

I, 197 Anm. " Mechanik „ Mathematik,

Band II, 1. Teil.Seite 68 Zeile 5 v. u. lies surregieren statt suggerieren.

„ 109 » 17 v. o. „ § 46 statt § 26.„ 112 lt 2 v. u. „ es ist ein Akt da statt es ist ein Akt.

205 1, 19 v. o. „ Unterscheidungen statt Entscheidungen.1, 291 17 3 v. o. „ wo nicht eine Zerstückung statt wo eineZerstückung.„ 378 /7

9 v. o. " Gegenständliches statt gegenständliches.8 v. u. fehlt nach werden )

,) 408 Anm. lies § 6 u. ff. statt § 6.„ 484 Zeile 20 v. o. „ verstehenden statt vorstehenden.,) 500 " 9 v. o. „ zweiten und dritten Sinne statt dritten und vierten

Sinne.„ 506 „ 12 v. o. „ reelles statt reales.

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Inhalt._........_

VI. Elemente einer phänomenologischen Aufklärung der Erkenntnis.Seite

Einleitung . i

Erster Abschnitt.Die objektivierenden Intentionen und Erfüllungen.

Die Erkenntnis als Synthesis der Erfüllung und ihre Stufen.

Erstes Kapitel.Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung.

§ 1. Ob alle oder nur gewisse Aktarten als Bedeutungsträger fungierenkönnen 8

§ 2. Die Ausdrückbarkeit aller Akte entscheidet nicht. Zwei Bedeutungender Rede vom Ausdrücken eines Aktes 10

§ 3. Ein dritter Sinn der Rede vom Ausdruck eines Aktes. Formu-lierung unseres Themas . 12

§ 4. Der Ausdruck einer Wahrnehmung ("Wahrnehmungsurteil"). SeineBedeutung kann nicht in der Wahrnehmung, sondern muß ineigenen ausdrückenden Akten liegen . . • . 14

§ 5. Fortsetzung. Die Wahrnehmung als Bedeutung bestimmender, abernicht als Bedeutung enthaltender Akt . 17

§ 6. Die statische Einheit zwischen ausdrückendem Gedanke und aus-gedrückter Anschauung. Das Erkennen 23

§ 7. Das Erkennen als Aktcharakter und die "Allgemeinheit des Wortes" 26§ 8. Die dynamische Einheit zwischen Ausdruck und ausgedrückter

Anschauung. Das Erfüllungs- und Identitätsbewußtsein . . . 32e 9. Der verschiedene Charakter der Intention in und außerhalb der

Erfüllungseinheit 37§ 10. Die umfassendere Klasse der Erfüllungserlebnisse. Anschauungen

als erfüllungsbedürftige Intentionen • . 39§ 11. Enttäuschung u.nd Widerstreit. Synthesis der Unterscheidung . 41§ 12. Totale und partiale Identifizierung und Unterscheidung, als die

gemeinsamen phänomenologischen Fundamente der prädikativenund deterrainativen &usdrucksform . . . 43

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lnhctli

Zweites Kapitel.Indirekte Charakteristik der objektivierenden Intentionen und Ihrer

wesentlichen Abarten durch die Unterschiede der Erfüllungssynthesen.Seite

§ 13. Die Synthesis des Erkennens als die für die objektivierenden Aktecharakteristische Form der Erfüllung. Subsumption der Bedeutungs-akte unter die Klasse der objektivierenden Akte 49

§ 14. Phänomenologische Charakteristik der Unterscheidung zwischensignitiven und intuitiven Intentionen durch die Eigenheiten derErfüllung. a) Zeichen, Bild und Selbstdarstellung • . 53b) Die perzeptive und imaginative Abschattung des Gegenstandes 56

§ 15. Signitive Intentionen außerhalb der Bedeutungsfunktion . . 60

Drittes Kapitel.Zur Phitnomenelogie der Erkenntnisstufen.

§ 16. Bloße Identifizierung und Erfüllung 64{ 17. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Erfüllung und Veran-

schaulichung . • .•

67§ 18. Die Stufenreiben mittelbarer Erfüllungen. Mittelbare Vorstellungen 69§ 19. Unterscheidung zwischen mittelbaren Vorstellungen und Vorstel-

lu.ngsvorstellungen .... .. • • 71§ 20. Echte Veranschaulichungen in jeder Erfüllung. Eigentliche und

uneigentliche Veranschaulichung . 72§ 21. Die "Fülle" der Vorstellung • 75§ 22. Fülle und "intuitiver Gehalt ... 78§ 23. Die Gewichtsverhältnisse zwischen intuitivem und signitivem Ge-

halt ein und desselben Aktes. Reine Intuition und reine Sigui-fikation. Wahrnehmungsinhalt und Bildinhalt, reine Wahrnehmungund reine Imagination. Die Gradationen der Fülle . 79

§ 24. Steigerungsreihen der Erfüllung 84§ 25. Fülle und interttionale Materie 86§ 26. Fortsetzung. Repräsentation oder Auffassung. Die Materie als der

Auffassungssinn, die Auffassungsform und der aufgefaßte Inhalt.Unterscheidende Chzirakteristik der intuitiven. und signitiven Auf-fassung . • • • . ........ 90

§ 7. Repräsentationen als notwendige Vorstellungsgrundlagen in allenAkten. Letzte Klärung der Rede von den verschiedenen Weisender Beziehung des Bewußtseins auf einen Gegenstand . . 94

§ 28. Intentionales Wesen und erfüllender Sinn. Erkenntni mWesen. Anschauungen in specie .

9te§ 29. Vollständige und lückenhafte Anschauungen. Angemessene und

objektiv vollständige Veranschaulichung. Essenz . . . . 97

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Inhalt. XI

Viertes Kapitel.Ve*rträglichkeit und Unverträglichkeit.

Seite§ 30. Die ideale Unterscheidung der Bedeutungen in mögliche (reale) und

unmögliche (imaginäre) . ........... 102§ 31. Vereinbarkeit oder Verträglichkeit als ein ideales Verhältnis in der

weitesten Sphäre der Inhalte überhaupt. Vereinbarkeit von "Be-griffen" als Bedeutungen ... . 105

§ 32. Unvereinbarkeit (Widerstreit) von Inhalten überhaupt . . 10733. Wie auch "fiderstreit Einigkeit fundieren kann. Relativität der

Reden von Vereinbarkeit und Widerstreit . 108§ 34. Einige Axiome . . 111§ 35. Unvereinbarkeit von Begriffen als Bedeutungeu . 113

Fünftes Kapitel.Das Ideal der Adäquation. Evidenz und Wahrheit.

§ 36. Einleitung. ..§ 37. Die Erfüllungsfunktion der Wahrnehmung. Das Ideal der letzten

Erfüllung ... . •§ 38. Setzende Akte in Erfüllungsfunktion. Eviaenz im laxen und

strengen Sinne .§ 89. Evidenz und Wahrheit .

Zweiter Abschnitt.Sinnlichkeit und Verstand.

115

116

120122

Sechstes Kapi/tel.Sinnliehe und kategorlaie ikesctatuunten.

§ 40. Das Problem der Erfüllung kategorialer Bedeutungsformen undein leitender Gedanke für dessen Lösung ... • • 128

§ 41. Fortsetzung. Erweiterung der Beispielssphäre 132§ 42. Der 'Unterschied zwischen sinnlichem Stoff lind kategorialer Form

in der Gesamtsphäre der objektivierenden Akte. 134§ 43. Die objektiven Korrelate der kategorialen Formen keine „realen"

Momente . . 137§ 44. Der Ursprung des Begriffes Sein und der übrigen Kategorien liegt

nicht im Gebiete der inneren Wahrnehmung 139§ 45. Erweiterung des Begriffes Anschauung, spezieller der Begriffe

Wahrnehmung und Imagination. Sinnliche und kategoriale An-schkung 142

§ 46. Phänomenologische Analyse des Unterschiedes zwischen sinnlicherund kategorialer Wahrnehmung ..... • 144

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XII Inhalt. •

Seite§ 47. Fortsetzung. Charakteristik der sinnlichen Wahrnehmung als

„schlichte" Wahrnehmung 147§ 48. Charakteristik der kategorialen Akte als fundierte Akte 152§ 49. Zusatz über die nominale Formung ... 156§ 50. Sinnliche Formen in kategorialer Fassung, aber nicht in nominaler

Funktion . . .. 159§ 51. Kollektiva und Disjunktiva 159§ 52. Allgemeine Gegenstände sich konstituierend in allgemeinen An-

schauungen . 161

Siebentes Kapitel.Studie über kate

§ 54. Die Frage nach den Repräsentanten der kategorialen Formen . 167§ 53. Rückbeziehung auf die Forschu d" ersten Abschnitts . . . 165

55, Argumente für die Annahme eigener kategorialer Repräsentanten 169§ 56. Fortsetzung. Das psychische Band der verknüpften Akte und die

kategoriale Einheit der entsprechenden Objekte 172§ 57. Die Repräsentanten der fundierenden Anschauungen nicht unmittel-

bar verknüpft durch die Repräsentanten der synthetischen Form 17358. Das Verhältnis der beiden Unterschiede: äußerer und innerer

Sinn, sowie Sinn der Kategorie ... 177

Achtes Kapitel.Die apriorischen Gesetze des eigentlichen und uneigentlichen

Denkens.§ 59. Komplikation zu immer neuen Formen. Reine Formenlehre mög-

licher Anschauungen . . . - . . , . . 181§ 60. Der relative oder funktionelle Unterschied zwischen Materie und

Form. Reine und mit Sinnlichkeit bemengte Verstandesakte. Sinn-liche Begriffe und Kategorien . ...... . . . 182

§ 61. Die kategoriale Formung keine reale Umgestaltung des Gegenstandes 185§ 62. Die Freiheit in der kategorialen-Formung vorgegebenen Stoffes und

ihre Schranken: die rein kategorialen Gesetze (Gesetze des „eigent-lichenu. Denkens) , . ..... 187

§ 63. Die neuen Geltungsgesetze der signitiven und signitiv getrübtenAkte (Gesetze des u n eigentlichen Denkens) . . . . 191

§ 64. Die reinlogisch -grammatischen Gesetze als Gesetze jedes und nichtbloß des menschlichen Verstandes überhaupt. Ihre psychologischeBedeutung und ihre normative Funktion hinsichtlich des inadäquatenDenkens . 196

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Inhalt. ICTII—,

Seite§ 65. Das widersinnige Problem der realen Bedeutung des Logischen . 199§ 66. Sonderung der wichtigsten, in der üblichen Gegenüberstellung

von "Anschauen", und „Denken" sich vermengenden Unterschiede 201

Dritter Abschnitt,.Aufklärung des einleitenden Problems.

Neuntes Kapitel.Niehtobjektivierelide Akte als scheinbare Bedeutangserfitilangen.

§ 67. Daß nicht jedes Bedeuten ein Erkennen einschließt 204§ 68. Der Streit um die Interpretation der eigenartigen grammatischen

Formen zum Ausdruck nichtobjektivierender Akte. 207§ 69. Argumente für und wider die ARMTOTELISCHE Auffassung . 210§ 70. Entscheidung 218

Beilage.

Äußere und innere Wahrnehmung. Physische undpsychische Phänomene.

§ 1. Die populären und die traditionell philosophischen Begriffe vonäußerer und innerer Wahrnehmung . ...... . . . ' 222

i 2 und 3. Erkenntn3.stheoretische und psychologische Motive zur Ver tiefu.ng der traditionellen Scheidung; BRENTÄNOS Auffassung . 223

§ 4, Kritik. Äußere und iere Wahrnehmung' sect bei :timenderFassung der Begriffe von demselben erkenntnistheoretischen Charak.ter; Wahrnehmung und Apperzeption . . ...... 231

§ 5. Die Äquivokationen des Terminus Erscheinung 289

§ 6. Daher Verwechslung des erkenntnistheoretisch bedeutungslosenGegensatzes von innerer und äußerer Wahrnehmung mit dem er-kenntnistheoretisch fundamentalen Gegensatz von adäqu.ater und.inadäquater Wahrnelimung . ......... . . . . 237

§ 7. Daß der Streit kein Wortstreit ist . 240§ 84 Verwechslung zweier fundamental verschiedener Einteilungen der

„Phänomene". Daß die "physischen" Inhalte nicht "bloß phino-

mens.1", sondern "wirklich" existieren 242

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VI.Elemente einer pbänomenologischen Aufklärung

der Erkenntnis.

Einleitung.

Die vorige Untersuchung, die sich zunächst in fernabliegendeFragen der deykriptiven Psychologie zu verlieren schien, hat unsereerkenntnisklärenden Interessen nicht unerheblich gefördert. •AllesDenken, zumal alles theoretische Denken und Erkennen, vollziehtsich in gewissen „Akten", die im Zusammenbange der ausdrücken-den Rede auftreten. In diesen Akten liegt die Quelle all derGeltungseinheiten, die als Denk- und. Erkenntnisobjekte oder alsderen erklärende Gründe und Gesetze, als deren Theorien undWissenschaften dem Denkenden gegenüberstehen. In diesen .Äktenliegt also auch die Quelle "für die zugehörigen allgemeinen undreinen Ideen, deren idealgesetzlichen Zusammenhänge die reineLogik herausstellen und deren Klärung die Erkenntniskritik voll-ziehen will. Offenbar ist nun schon durch die Feststellung derphänomenologischen Eigenart der Akte als solcher, dieser viel-umstrittenen und vielverkannten Erlebnisklasse, für die erkenn' tztis-klärende Arbeit viel gewonnen. Durch die ginordniing' der logi-schen Erlebnisse in diese Klasse ist ein erster wichtiger Schrittzur Abgrenzung der analytischen Verständlichung der logischen,Sphäre und der fundamentalen Erkenntnisbegriffe getan. Der Fort-gang unserer Untersuchung führte uns aber auch zur Absonde-rung verschiedener Begriffe von Inhalt, die überall, wo Akte und.ihnen zugehörige ideale Einheiten in Frage sind, verwirrend in-

Busserl, Log. Unters. II. 1

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2 T2 Elemente einer phiinomenolog. Aufklä'rung der Erkenntnis.

einander zu laufen pflegen. Unterschiede, die uns im engerenKreise der Bedeutungen und bedeutungverleih.enden Akte schon in-der ersten Untersuchung aufgefallen waren, kehrten jetzt im w'ei-toren Gebiet und in allgemeinster Form wieder. Auch der in derletzten Untersuchung als neuer gewonnene und besonders merk-würdige Inhaltsbegriff, der des iiitentionalen. Wesens, entbehrtedieser Beziehung zum logischen Gebiete nicht; denn dieselbeReihe von Identitäten, die uns früher zur Mustrierung der Ein-heit *der Bedeutung gedient hatte, ergab, passend verallgemei-nert, eine gewisse auf beliebige Akte zu beziehende Identität alsdie des „intentionalen Wesens". Durch diese Anknüpfung, bzw.Unterordnung der phänomenologischen Charaktere und idealen.Einheiten des logischen Gebietes unter die ganz allgemeinen Cha-raktere und Einheiten, die im Aktgebiet überhaupt ihre Domänehaben, gewannen die ersteren ein erhebliches Maß an phänome-nologischem und kritischem Verständnis.

Die in den letzten Kapiteln durchgeführten Untersuchungen,sich anschließend an die Unterscheidung von Aktqualität und Akt-materie innerhalb des einheitlichen intentionalen Wesens, führten.abermals tief in die logische Interessensphäre hinein. Die sich auf-drängende Frage nach dem Verhältnis dieser intentionalen. Materiezu der jedem Akte wesentlichen Vorstellungsgrundlage zwang uns,mehrere wichtige und allzeit vermengte Begriffe von Vorstellungzu sondern, womit zugleich ein Fun.damentalstück der „Urteils-theorfe" herau.sgearbeitet wurde. Allerdings blieben dabei diespezifisch logischen Begriffe von Vorstellung und der Begriff desUrteils ohne abschließende Klärung. Hier und überhaupt istnoch ein großes Stück Weges vor uns. Wir stehen immer nochin den Anfängen.

Selbst das näherliegende Ziel, den Ursprung der Idee Bedeu-tung klarzulegen, haben wir noch nicht zu erreichen vermocht.Unverkennbar liegt, und das ist eine wertvolle Einsicht, die Be-deutung der Ausdrücke im intentionalen Wesen der betreffenden.Akte; aber die Fräge, was für Arten von. Akten zur Bedeutungs-funktion überhaupt befähigt, oder ob nicht vielmehr Akte jederlei

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Einleitung. 3

Art in dieser Hinsicht gleichgestellt sind, ist noch garnicht er-wogen. Sowie wir diese Frage aber in Angriff nehmen wollen,stoßen wir (dies werden die nächsten Paragraphen gleich zeigen)auf das Verhältnis von Bedeutungsintention und Bedeu-tungserfüllung, oder in traditioneller, aber freilich äquivokerAusdrucksweise, auf das Verhältnis von „Begriff" oder „Ge-danke" (hier eben als anschaulich unerfüllte Meinung verstanden)und „korrespondierender Anschauung".

Die genaueste Erforschung dieses schon in der Untersuchung Iangezeigten Unterschiedes ist von ausnehmender Wichtigkeit In.der Durchführung der zugehörigen und zunächst an die allerein-fachsten nominalen Intentionen angeknüpften Analysen werden wirbald darauf aufmerksam, daß die ganze Betrachtung nach einernaturgemäßen Erweiterung und Umgrenzung verlangt.Die weiteste Klasse der Akte, bei welchen wir Unterschiede derIntention und Erfüllung, bzw. Enttäuschung ,der Intention vor-finden, reicht weit über das lo' gische Gebiet hinaus. Diesesselbst grenzt sich durch die Besonderheit eines Erfüllungsverhält-nisses ab. Eine Klasse von Akten — die objektivierenden —sind nämlich gegenüber allen anderen dadurch ausgezeichnet, daßdie in ihre Sphäre gehörigen Erfüllungssynthesen den Charakterder Erkenntnis, der Identifizierung, der „In-Eins-Setzung" von„Übereinstimmendem" haben, und demgemäß die Enttäuschungs-synthesen den korrelaten Charakter der ;,Trennung" von „Wider-streitendem". Innerhalb dieser weitesten Sphäre der objektivieren-den Akte werden wir nun alle auf die Erkenntniseinheit be-züglichen Verhältnisse studieren, und zwar nicht nur soweites sich um eine Erfüllung jener besonderen Intentionen handelt,die den Ausdrück-en als Bedeutun.gsin.tentionen. anhängen. Ana-loge Intentionen treten auch unabhängig von grammatischer An-knüpfung auf. Ferner haben auch die Anschauungen, und sogarin der Regel, den Charakter von Intentionen, welche noch weitereErfüllung fordern und solche oft erfahren.

Wir werden die ganz allgemeinen Begriffe von Signifikationund Intuition phänomenologisch, und zwar in Rekurs auf die

1*

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4 VI. Elemente einer phänomenoZog. Aufklärung der Erkenntnis.

Erfüllungsphänomene, charakterisieren und die für die Klärungder Erkenntnis fundamentale Analyse der verschiedenen Artenvon Anschauung, zunächst der sinnlichen Anschauung, erfor-schen. Wir werden dann in die Phänomenologie der Erkennt-nisstufen eintreten und einer Reihe auf sie bezüglicher Grund-begriffe der Erkenntnis Klarheit und feste Bestimmtheit verleihen.Hierbei werden auch neue, in den vorangegangenen Analysennur nebenbei berührteinhaltsbegriffe hervortreten: der Begriff desintuitiven Inhalts und der Begriff des repräsentierenden(aufgefaßten) Inhalts. Dem bisherigen Begriff des intentionalenWesens wird sich das erkenntnismäßige Wesen anreihen, undinnerhalb des letzteren werden wir die intentionale Qualität, dieintentionale Materie als den Auffassungssinn, die Auffassungs-form und den aufgefaß ten (apperzipierten, bzw.repräsentierenden)Inhalt unterscheiden. Es wird dabei der Begriff der Auffassungo der Repräsentation, als Einheit von Materie und repräsentie-rendem Inhalt durch die Auffassungsform, bestimmt werden.

Was nun die Stufenreihe der Intention und Erfüllung anbe-langt, so werden wir die Unterschiede größerer oder geringererIlittelbarkeit in der Intention selbst, die eine schlichte Er-füllung ausschließt, vielmehr eine abgestufte Folge von Erfüllungen.fordert, kennen und damit den wichtigsten, bisher noch unge-klärten Sinn derRede von indirekten Vorstellungen verstehen.lernen. Wir verfolgen dann die Unterschiede größerer oder gerin-gerer Angemessenheit der Intention an das sich ihr in der Er-kenntnis als Erfüllung anschmelzende Anschauungserlebnis, undbestimmen den Fall der objektiv vollständigen Anzuessung..Im Zusammenhang damit streben wir eine letzte phänomenologi-sche Klärung der Begriffe Möglichkeit und Unmöglichkeit(Einigkeit, Verträglichkeit — Widerstreit, Unverträglichkeit) und.der auf sie bezüglichen idealen Axiome an. Unter Mitberück-sichtigung der bislang außer Spiel gebliebenen Aktqualitäten be-trachten wir dann den auf die setzenden Akte bezogenen Unter-schied vorläufiger und letzter Erfüllung. Die letzte Erfüllungrepräsentiert ein Vollkommenheitsideal. Sie liegt allzeit in einer ent-

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Einleitung. 5

sprechenden „Wahrnehmung" (wobei allerdings eine notwendigeErweiterung des Wahrnehmungsbegriffs über die Schranken derSinnlichkeit hinaus vorausgesetzt ist). Die Erfüllungssynthesisdieses Falls ist die Evidenz oder Erkenntnis im prägnantenWortsinn. Hier ist das Sein im Sinne der Wahrheit, derrecht verstandenen „Übereinstimmung", der „adaequatio rei acintellectus" realisiert, hier ist sie selbst gegeben, direkt zu erschallenund zu ergreifen. Die verschiedenen Begriffe von Wahrheit,die auf Grund der einen und selben phänomenologischen Sachlagezu konstituieren sind, finden hier die vollkommene Klärung. DasAnaloge gilt für das korrelate Ideal der Unvollkommenheit, alsofür den Fall der Absurdität, und zwar in Hinsicht des „Wider-streites" und des darin erlebten Nichtseins, der Unwahrheit.

Der natürliche Gang unserer, ursprünglich nur für die Be-deutu.ngsintentionen interessierten Untersuchung bringt es mit sich,daß alle diese Betrachtungen zunächt die einfachsten Bedeutungenals Ausgang nehmen, und somit von den Formunterschiedender Bedeutungen abstrahieren. Die ergänzende, diese Unterschiedein Rücksicht ziehende Untersuchung des zweiten Abschnitts leitetuns sofort auf einen völlig neuen Begriff von Materie, näm-lich auf die fundamentale Gegenüberstellung von sinnlichemStoff und kategorialer Form, oder, um die objektive mit derphänomenologischen Stellung zu vertauschen, zwischen sinnlichenund kategorialen Akten. In nahem Zusammenhang damit stehtdie wichtige Unterscheidung zwischen sinnlichen (realen) und kate-gorialen Gegenständen, Bestimmtheiten, Verknüpfungen; wobei essich als für die kategorialen charakteristisch erweist, daß sie inder Weise der „Wahrnehmung" nur in Akten „gegeben" sein können,welche in anderen Akten, letztlich in Akten der Sinnlichkeit fu.n-diert sind. Überhaupt ist die intuitive, also auch die imaginativeErfüllung kategorialer Akte in sinnlichen Akten fundiert. Nie-mals kann aber bloße Sinnlichkeit kategorialen, genauer: katego-riale Formen einschließenden Intentionen Erfüllung bieten; viel-mehr liegt die Erfüllung jederzeit in einer durch kategoriale Aktegeformten Sinnlichkeit. Damit hängt eine durchaus unentb ehr-

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VI Elemente einer phnomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

liehe Erweiterung der ursprünglich sinnlichen BegriffeAnschauung und Wahrnehmung, zusammen, welche es ge-stattet, von kategorialer und speziell von allgemeiner An-schauung zu sprechen. Die Unterscheidung zwischen sinlieber und rein kategorialer Abstraktion bedingt dann dieUnterscheidung der Allgem.einbegiffe in sinnliche Begriffe undKategorien. Der alte erk.enntnistheoretische Gegensatz zwischenSinnlichkeit und Verstand findet durch die Unterscheidungzwischen schlichter oder sinnlicher, und fundierter oder kategorialerAnschauung alle erwünschte Klarheit. Ebenso der Gegensatzzwischen Denken und Anschauen, welcher im philosophischenSprachgebrauch die Verhältnisse von Signifikation und erfüllenderIntuition mit den Verhältnissen sinnlicher und kategorialer Aktevermengt. 'Alle Rede von logischer Form betrifft das rein Kate-gorial° der betreffenden Bedeutungen und Bedeutungserfüllungen.Die logische „Materie", der Inbegriff der „Termini", kann aber,vermöge einer stufenweisen Übereinanderlagerung kategorialerIntentionen, selbst noch Unterschiede zwischen Stoff und Formzulassen, so daß die logische Gegenüberstellung von Stoff undForm auf eine gewisse, leicht verständliche Relativi ening unseresabsoluten Unterschiedes hinweist.

Den Hauptstock dieser Untersuchung beschließen wir miteiner Erwägung der Schranken, welche die Freiheit der aktuellenkategorialen Formung eines Stoffes eindämmen. Wir werden aufdie analytischen Gesetze des eigentlichen Denkens auf-merksam, welche, in den reinen Kategorien gründend, von allerBesonderheit der Stoffe unabhängig sind. Parallele Schrankenumgrenzen das uneigentliche Denken, d. i. die bloße Signi-fikation, wofern sie zum Ausdruck im eigentlichen Sinne, a prioriund unabhängig von den auszudrückenden Stoffen, soll befähigtsein können. Aus dieser Forderung .entspringt die Funktion dereigentlichen Denkgesetze als Normen der bloßen Signifikation.

Die zu Beginn der Untersuchung aufgeworfene Frage nacheiner natürlichen Umgrenzung der sinngebenden und sinnerfüllen,den Akte ist durch deren Einordnung in die Klasse der objekti-

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Einleitung. 7

vierenden Akte und durch die Einteilung der objektivierenden Aktein signifikative und intuitive erledigt. Erst die im Ganzen derUntersuchung vollzogene Klärung der die Erfüllung angehendenphänomenologischen Verhältnisse setzt uns in den Stand, die Argu-mente kritisch zu würdigen, welche für und gegen die Aristote-lische Auffassung der Wunsch-, Befehlssätze u. dgl. als Prädi-kationen sprechen. Der vollen Aufklärung dieser Streitfrage ist derSchlußabschnitt der vorliegenden Untersuchung gewidmet.

Die soeben geschilderten Ziele unserer Bemühungen sind nichtdie letzten und höchsten einer phänomenologischen Aufklärung derErkenntnis überhaupt. Das so überaus fruchtbare Gebiet des mittel -

baren Denkens und Erkennens lassen unsere Analysen, so umf4sendsie auch sind, noch fast ganz unbearbeitet; das Wesen der mittelbarenEvidenz und ihrer idealen Korrelate bleibt ohne zureichende Aufklärung.Immerhin glauben wir nicht zu Geringes angestrebt, wir hoffen dieuntersten und ihrer Natur nach ersten Fundamente der Erkenntnis-kritik bloßgelegt zu haben. Auch in der Erkenntniskritik heißt esjene Selbstbescheidung üben, welche im Wesen aller streng wissen-schaftlichen Forschung liegt. Richtet sich ihr Absehen auf wirklicheund endgültige. Erledigung der Sachen, täuscht sie sich nicht mehrvor, die großen Erkenntnisprobleme durch bloße Kritik überlieferterPhilosopheme und probables Raisonnement lösen zu können; ist siesich dessen endlich bewußt, daß die Sachen nur in handanlegenderArbeit von der Stelle gebracht und gestaltet werden: so muß sie sichauch darein finden, die Erkenntnisprobleme vorerst nicht in ihren

höheren und höchsten Ausgestaltungen anzufassen, in denen sie unsam interessantesten sind, sondern in ihren relativ einfachsten Formen,

in den niedrigsten der ihr zugänglichen Bildungsstufen. Daß einesich in dieser Weise bescheidende erkenntnistheoretische Arbeit nochein überreiches Maß von Schwierigkeiten zu überwinden, ja fast nochAlles zu leisten hat, werden die jetzt folgenden Analysen beweisen.

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VI. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

Erster Absohn tt.Die objektivierenden Intentionen und Erfüllungen.

Die Erkenntnis als Synthesis der Erfüllung und ihre Stufen

Erstes Kapitel.Bedeutungsintention -und Bedeutungserfüllung.

§ L Ob alle oder nur gewisse Aktarten als L utungsträgerfungieren können.

Wir knüpfen an die in der Einleitung angeregte Frage an, obsich das Bedeuten nur in Akten gewisser eingeschrän- kter Gattungenvollziehe. Zunächst möchte es als ganz selbstverständlich erscheinend derartige Schranken nicht bestehen und jedweder Akt alssinngebender fungieren könne. Wir können doch Akte jeder Art— Vorstellungen, Urteile, Vermutungen, Fragen, Wünsche usw.— zum Ausdruck bringen, und indem wir dies tun, liefernsie uns die Bedeutungen der bezüglichen Redeformen, der Namender Aussagen, der Frage-, Wunschsätze usw.

Aber auch für die gegenteilige Auffassung kann man Selbst-verständlichkeit in Anspruch nehmen, und speziell dafür, daßsich alle Bedeutungen auf eine engbegrenzte Klasse von Aktenbeschränken. Gewiß ist jeder Akt, sagt man nun, ausdrückbar,aber seinen jeweiligen Ausdruck findet er in einer ihm (bei hin-reichend entwickelter Sprache) eigens angepaßten Redeform; wirhaben beispielsweise bei den Sätzen die Unterschiede der Aus-sagesätze, der Fragesätze, der Befehlssätze usw. Bei den Erst-genannten wieder den Unterschied der kategorischen, hypothe-tischen, disjun.ktiven u. a. Sätze. Jedenfalls muß der Akt, indemer in dieser oder jener Redeform zum Ausdruck kommt, in seinerArtbestimmtheit erkannt sein, die Frage als Frage, der Wunschals Wunsch, das Urteil als Urteil usw. Dies erstreckt sichauf die aufbauenden Teilakte, soweit der Ausdruck sich ihnenanmißt. Die Akte können nicht die zu ihnen passenden Formen

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Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. 9

finden, ohne daß sie nach Form und Inhalt apperzipiert, erkanntwürden. Das Ausdrücken der Rede liegt also nicht in bloßenWorten, sondern in ausdrückenden Akten; diese prägen diekorrelaten, durch sie auszudrückenden Akte in einem neu en Stoffaus, sie schaffen von ihnen einen gedanklichen Ausdruck,dessen allgemeines Wesen die Bedeutung der betreffenden Redeausmacht.

Eine treffliche Bestätigung dieser Auffassung scheint in derMöglichkeit der rein symbolischen Funktion der Ausdrücke zuliegen. Der geistige Ausdruck, jenes gedankliche Gegenbild desauszudrückenden Aktes, haftet am sprachlichen Ausdruck und kannmit diesem aufleben, auch wenn jener Akt selbst von dem Ver-stehenden nicht vollzogen wird. Wir verstehen den Ausdruckeiner Wahrnehmung, ohne selbst wahrzunehmen, den Ausdruckeiner Frage, ohne selbst zu fragen usw. Wir haben nicht diebloßen Worte, sondern auch die gedanklichen Formen oder Aus-drücke. Im gegenteiligen Falle, wsä die intendierten Akte wirk-lich gegenwärtig 'sind, kommt der Ausdruck mit dem _Auszu-drückenden zur Deckung, die den Worten anhaftende Bedeutungpaßt sich dem, was sie bedeutet, an, ihre gedankliche Intentionfindet darin die erfüllende Anschauung.

In offenbar innigem Zusammenhang mit diesen gegensätz-lichen Auffassungen steht der alte Streit, ob die eigentüm.-lichen Formen der Frage-, Wunsch-, Befehlssätze u. dgl. als Aus-sagen, ihre Bedeutungen somit als -Urteile gelten dürfen odernicht. Nach der Aristotelischen Lehre liegt die Bedeutung allerselbständig geschlossenen Sätze in verschiedenartigen psychischen.Erlebnissen, in Erlebnissen des Urteilens, Wünschens, Befeh-len.s usw. Hingegen vollzieht sich nach der anderen, sich in.neuerer Zeit immer mehr verbreitenden Lehre, das Bedeuten aus-schließlich in Urteilen, bzw. in deren vorstellungsmäßigen Modi-fikationen. Im Fragesatz sei zwar in gewissem Sinne eine Frageausgedrückt, aber nur dadurch, daß die Frage als Frage aufge-faßt, in dieser gedanklichen Fassung als Erlebnis des Sprechen-den hingestellt und somit als sein Erlebnis beurteilt sei. So

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10 VI. Elemente ei

nolog. kliirung

überall. Jede Bedeutung ist im Sinne dieser Lehre entweder nomi-nale oder propositionale Bedeutung, oder, wie wir noch bessersagen können, jede ist entweder die Bedeutung eines ganzen Au s-sagesatzes oder ein möglicher Teil einer solchen Bedeutung. Aus-sagesätze sind hierbei prädikative Sätze. Denn allgemein wirdauf dieser Seite Urteil als prädizieren der Akt verstanden, wäh-rend freilich, wie wir noch hören werden, der Streit seinen Sinnbehält, wenn Urteil als setzender Akt überhaupt verstan-den wird.

Um die richtige Stellung zu den aufgeworfenen Fr: en zufinden, wird es genauerer Erwägungen bedürfen, als sie in denobigen, maChstliegenden Argumentationen vor nommen sind.Es wird sich zeigen, daß, was auf der einen und anderen Seiteals Selbstverständlichkeit hingestellt wird, bei näherer Betrachtungsich als unklar und sogar als irrig herausstellt.

§ 2. Die ...4.usclrückbarkeit aller Akte eztscizdet nicht. Zwei Bedeu-tungen der Rede vom Ausdrücken eines Aktes.

Alle Akte, so sagte man uns vorhin, sind ausdrückbar.Das ist natürlich außer Zweifel, aber es liegt darin nicht, wasnatin unterschieben möchte, nämlich daß alle Akte darum auch inder Funktion von Bedeutungsträgern stehen können. Die Redevom Ausdrücken ist, wie wir früherl besprachen, eine mehrfältige,und sie ist es auch noch, wenn wir sie auf auszudrückende Aktebeziehen. Als ausgedrückt kann man die Bedeutung verleihendendie im engeren Sinne „kundgegebenen" Akte bezeichnen. Aber nochandere Akte können, und dann natürlich in anderem Sinne, ausge-drückte heißen. Ich meine hier die sehr gewöhnlichen Fälle, wowir Akte, die wir gerade erleben, nennen und mittelst derNennung aussagen, daß wir sie erleben. In diesem Sinne gebeich einem Wunsche Ausdruck in der Form ich wünsche, daß .einer Frage in der Form ich frage ob ., einem Urteil in derForm ich urteile daß . usw. Selbstverständlich können

I Vgl. Unt. I, S.

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Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllting. 11

wir ja so gut wie über äußere Dinge, auch über eigene innereErlebnisse urteilen, und tun wir dies, so liegen die Bedeutungender betreffenden Sätze in den Urteilen über diese Erlebnisseund nicht in den Erlebnissen selbst, den Wünschen, Fragen u. dgl.Genau so liegen ja auch die Bedeutungen der Aussagen über dieäußern Dinge nicht in diesen Dingen (den Pferden, Häusern usw.),sondern in den Urteilen, die wir über sie innerlich fällen, bzw.in den Vorstellungen, welche diese Urteile aufbauen helfen. Daßdie beurteilten Objekte 'in einem Falle dem Bewußtsein trans-zendent sind (oder als das gelten wollen), im anderen als demBewußtsein immanent, bedingt hier keinen wesentlichen Unter-schied. Allerdings ist der mich erfüllende Wunsch, indem ich ihnausspreche, mit dem Urteilsakt konkret Eins. Aber zum Urteilträgt er nicht eigentlich bei. Der Wunsch wird in einem Aktereflek#ver Wahrnehmung aufgefaßt, dem Begriffe Wunsch unter-geordnet, mittelst dieses Begriffes und der determinierenden Vor-stellung des 1W-unschin.halts genannt; und so liefert direkt diebegriffliche Vorstellung vom Wunsche ihren Beitrag zum Urteilüber den Wunsch und der entsprechende Wunsch n. am e den seinenzur Wunschau.ssage, ganz wie die Vorstellung -vom Menschen ihrenBeitrag zum Urteil über den Menschen (bzw. der Name Menschden seinen . zur Aussage über den Menschen) liefert. Denken wiruns im Satze ich wünsche, daß . . . statt des Subjektwortes ichden bezüglichen Eigennamen substituiert, so leidet darunter derSinn des Satzes nach den un.modifizierten Teilen sicherlich nicht.Es ist aber unverkennbar, daß die -Wunschaussage nun von einemHörenden in identischem Sinne verstanden und urteilend nach-erlebt sein kann, der selbst den Wunsch gar nicht teilt. Manersieht daraus. , daß der Wunsch, auch da, wo er gelegentlich mitdem auf ihn gerichteten Urteilsakt Eins ist, wirklich nicht zurUrteilsbedeutung gehört. Ein wahrhaft sinngeben des Erlebniskann nie fortfallen, wenn der lebendige Sinn des Ausdrucks sichunverändert erhalten soll.

Danach ist es auch klar, daß die Ausdrückbarkeit aller Akte fiüdie Frage, ob sie alle auch in der Weise sinngebender fungieren

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12 I. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

können, irrelevant ist wofern nämlich unter dieser Ausdrückbar-keit nichts weiter verstanden wird als die Möglichkeit, über dieAkte gewisse Aussagen zu machen. Gerade dann fungieren dieAkte überhaupt nicht als Bedeutungsträger.

§ 3. Ein dritter Sinn der Rede tem Ausdruck eines Aktes.Formulierung unseres Themas.

Wir haben soeben einen doppelten Begriff der Rede von aus-bedrückten Akten unterschieden. Entweder es sind Akte gemeint.,in welchen sich der Sinai, die Bedeutung des betreffenden Aus-drucks konstituiert, oder andererseits Akte, die der Redende, alsvon ihm soeben erlebte, prädikativ hinstellen will. Diesen letzte-ren Begriff können wir passend erweitert denken. Selbstredend istdie von ihm gefaßte Sachlage nach dem., was hier wesentlich inBetracht kommt, dieselbe, wenn der ausgedrückte Akt 'ficht aufdas erlebende Ich, sondern auf andere Objekte prädikativ bezogenwird; und sie ist wieder dieselbe für alle etwa anzunehmendenAusdrucksformen, die diesen Akt als erlebten reell nennen, ohnees gerade in derjenigen Weise zu tun, welche ihn zum Sub-jekt- oder Objektglied einer Prädikation stempelt. Die Haupt-sache ist, daß der Akt, indem er genannt oder sonsterie „aus-gedrückt" wird, als der aktuell gegenwärtige Gegenstand derRede, bzw. der ihr zugrunde liegenden objektivierenden Setzungerscheint; während dies bei den sinn.gebenden Akten nicht derFall ist.

In einem dritten Sinn derselben Rede handelt es sich, wieim zweiten, um ein zu den betreffenden Akten gehöriges Urteilenoder sonstiges Objektivieren; aber nicht um ein Urteilen überdiese Akte — also nicht um eine Objektivierung derselben mittelstauf sie bezogener Vorstellungen und Nennungen — sondernum ein Urteilen auf Grund dieser Akte, welches deren Objek-tivierung nicht erfordert. Z. B. daß ich Meiner WahrnehnzungAusdruck gebe, kann heißen, daß ich von meiner Wahrnehmungprädiziere, sie habe den oder jenen Inhalt. Es kann aber auchheißen, daß ich mein Urteil aus der Wahrnehmung schöpfe da

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Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. 13

ich die betreffende Tatsache nicht nur behaupte, sondern wahr-nehme und sie so behaupte, wie ich sie wahrnehme. Nicht überdie Wahrnehmung, sondern über das Wahrgenommene wirdhierbei das Urteil gefällt. Wo man kurzweg von Wahrneh-mungsurteilen spricht, sind in der Regel Urteile dieser ebencharakterisierten Klasse gemeint

In ähnlicher Weise können wir anderen anschaulichen Akten,Einbildungen, Erinnerungen, Erwartungen Ausdruck geben.

Bei den Aussagen auf Grund der Einbildung ist es allerdingszu bezweifeln, ob darin ein wirkliches Urteil vorliege, oder viel-mehr ist es sicher, daß es dann nicht vorliegt Wir denken hieran die Fälle, wo wir, einem Zug der Phantasie hingegeben, das,was uns dabei erscheint, in regulären Aussagen so nennen, alswäre es wahrgenommen; oder auch an die Form berichtender Er-zählung, in welcher der Märchendichter, der Novellist usw. nichtwirklichen Begebenheiten, sondern den Gestaltungen seiner künst-lerischen Phantasie „Ausdruck gibt". Nach den Ausführungen.der letzten Untersuchung" handelt es sich dabei um konform mödi-fizierte Akte, die den in gleichen Worten auszudrückenden wirk-lichen Urteilen als Gegenstücke in ähnlicher Weise entsprechen-wie die anschaulichen Einbildungen den Wahrnehmungen, even-tuell auch den Erinnerungen und Erwartungen. Zunächst wollenwir solche Unterschiede außer Acht lassen.

Anknüpfend an die bezeichnete Klasse von Fällen und dendurch sie umgrenzten neuen Sinn der Rede von ausgedrücktenAkten, wollen wir das Verhältnis zwischen Bedeutung und aus-gedrückter Anschauung zur Klarheit bringen. Wir wollen erwägen,ob diese Anschauung selbst der die Bedeutung konstituierende Aktist, und wenn nicht, wie das Verhältnis beider sonst zu verstehenund gattungsmäßig einzuordnen sei. Hierbei steuern wir zumalauf die allgemeinere Frage hin, ob sich die Akte, die überhauptAusdruck geb en, und die Akte, die überhaupt Ausdruck erfahrenkönnen, in den Sphären wesentlich verschiedener und dabei fest...............

1 "V, Kap. 5, § 40, S. 454 unten der ersten, § 491f. der zweiten Auflage..

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14 ITL Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis. .•+•!»...w•••el ,....... 7.7=1=7-72,===.

bestimmter Aktarten bewegen, und ob bei alldem eine über-greifende Gattungseinheit maßgebend sei, weiche die Gesamtheitder Akte, die zu einer Bedeutungsfunktion im weiterenSinne befähigt sind — sei es zu der Funktion der Bedeutungselbst, sei es zu derjenigen der „Bedeutungserfüllungu — befasseund abschließe, so daß die Akte aller anderen Gattungen vonsolchen Funktionen eo ipso und gesetzlich ausgeschlossen blieben.Damit ist unser nächstes Ziel bezeichnet. Im Fortgang der Über-legungen wird die selbstverständliche Erweiterung der Betrach-tungssphäre die Bedeutung der angeregten Fragen für eine Ver-ständigung der Erkenntnis überhaupt evident machen, und eswerden dann alsbald neue und höhere Ziele in unseren Gesichts-kreis treten.

§ 4. Der Ausdruck einer Wahrnehmung („Wahrnehmungsurteile9.Seine Bedeutung kann nicht in der Wahrnehmung, fondern muß

eigenen ausdrückenden Akten liegen.

Wir befrachten ein Beispiel. Ich blicke soeben in den Gartenhinaus und gebe meiner Wahrnehmungmit den Worten Ausdruck:eine Amsel fliegt auf. Welches ist hier der Akt, in dem dieBedeutung liegt? Iria. Einklang mit den Ausführungen derI. Untersuchung glauben wir sagen zu dürfen: die Wahrnehmungist es nicht, zum mindesten nicht sie allein. Es will unsscheinen, daß die vorliegende Sachlage nicht so beschrieben werdenkönne, als ob neben dem Wortlaut nichts weiter gegeben und fürdie Bedeutsamkeit des Ausdrucks entscheidend sei als die Wahr-nehmung, an die er sich knüpft. Auf Grund dieser selbenWahrnehmung könnte ja die Aussage noch ganz anders lautenund dabei einen ganz anderen Sinn entfalten. Ich hätte z. B.sagen können: dies ist schwarz, ist ein schwarzer Vogel; diesesschwarze Tier fliegt auf, schwingt sich auf u. dgl. Und umge-kehrt, es könnte der Wortlaut und sein Sinn derselbe bleibenwährend die Wahrnehmung mannigfach wechselt. Jedezufällige Änderung der relativen Stellung des 'Wahrnehmendenändert die Wahrnehmung selbst, und verschiedene Personen die

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Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. 15

dasselbe zugleich wahrnehmen, haben niemals genau dieselbeWahrnehmung. Für die Bedeutung der Wahrnehmungsaussagesind Unterschiede der soeben angedeuteten Art irrelevant. Eskann natürlich auch auf sie gelegentlich abgesehen sein, aberdann müßte auch die Aussage ganz anders lauten.

Freilich könnte man nun sagen, der Einwand sei bloß dafürein Beweis, daß die Bedeutung gegen derartige Unterschieden-heften der einzelnen Wahrnehmungen unempfindlich sei; sieliege eben in einem Gemein s am en, das -die mannigfaltigen, zuEinem Gegenstand gehörigen Wahrnehmungsakte sämtlich in sichtragen.

Dein gegenüber merken wir aber an, daß die Wahrnehmungnicht bloß wechseln, sondern auch ganz fortfallen kann, ohnedaß der Ausdruck aufhörte, bedeutsam zu bleiben. Der Hörendeversteht meine Worte und den ganzen Satz, ohne in den Gartenzu blicken, er erzeugt, meiner Wahrhaftigkeit vertrauend, dasselbeUrteil ohne die Wahrnehmung. Vielleicht dient ihm eine ge-wisse Verbildlichun.g durch Phantasie, vielleicht fehlt auch diese;oder sie ist so lückenhaft, so inadäquat, daß sie nicht einmalals Gegenbild der Wahrn.ehmungserscheinung nach den in derAussage „ausgedrückten" Zügen gelten kann.

Verbleibt aber bei Wegfall der Wahrnehmung für die Aus-sage noch ein Sinn übrig: und sogar derselb e Sink wie vordem,so werden wir' nicht annehmen können, daß die Wahrnehmungder Akt sei, in welchem sich der Sinn der Wahrnehmungsaussage,ihr ausdrückendes Meinen vollzieht. Die Akte, welche mit demWortlaut geeinigt sind, je nachdem dieser rein symbolisch oderintuitiv, auf Grund bloßer Phantasie oder realisierender Wahr-nehmung, bedeutsam ist, sind phänomenologisch zu sehr different,als daß wir glauben könnten, das Bedeuten spiele sich bald injenen, bald in diesen Akten ab; wir werden eine Auffassung bevor-zugen müssen, welche diese Funktion des Bedeutens einem'überall

1 Auch abgesehen von den kategorialen Formen, die wir in diesem Ab-schnitt mit Vorbedacht ignorieren.

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16 V/. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

gleichartigen Akte zuweist, der von den Schranken der uns sooft versagten Wahrnehmung und selbst Phantasie frei ist und sichwo der Ausdruck im eigentlichen Sinne ausdrückt", mit dem aus-gedrückten Akte nur vereint.

Bei alldem ist es aber unbestreitbar, daß in den „Wahrneh-mungsurteilen" die Wahrnehmung in einer inneren Beziehungzum Sinn der Aussage steht. Nicht umsonst heißt es ja: die Aus-sage drückt die Wahrnehmung aus, bzw. drückt das aus, wasin der Wahrnehmung „gegeben" ist. Dieselbe Wahrnehmung magverschiedenen Aussagen zugrunde liegen, aber wie immer derSinn diesser Aussagen wechseln mag, er „richtet" sich doch nachdem Erscheinungsgehalt der Wahrnehmung; es sind einmal dieseund einmal jene Teilwahrnehmungen (wenn auch vielleicht unselb-ständige Teile der einheitlichen und vollen Wahrnehmungen), diedem Urteil die spezielle Unterlage bieten, ohne daß sie darum.die eigentlichen Bedeutungsträger wären; wie eben die Möglich-keit des Fortfallens aller Wahrnehmung lehrte.

Man wird also sagen müssen: dieses „Ausdrücken" einerWahrnehmung (oder objektiv gewendet: eines Wahrgenommenenals solchen) ist nicht Sache des Wortlautes, sondern Sachegewisser ausdrückender Akte; Ausdruck bedeutet in diesemZusammenhange den von seinem ganzen Sinn belebten Ausdruckwelcher hier in eine gewisse Beziehung gesetzt wird zur Wahrneh-mung, die ihrerseits um eben dieser Beziehung willen ausgedrücktheißt. Zugleich liegt darin, daß zwischen Wahrnehmung undWortlaut noch ein Akt (bzw. ein Aktgebilde) eingeschoben ist.Ich sage ein Akt: denn das Ausdruckserlebnis hat, ob von Wahr-nehmung begleitet oder nicht, eine intentionale Beziehung aufGegenständliches. Dieser vermittelnde Akt muß es sein, dereigentlich als sinngeben.der dient, er gehört zum sinnvoll fun-gierenden Ausdruck als das wesentliche Bestandstück und bedingtes, daß der Sinn identisch derselbe ist, ob zu ihm belegende Wahr-nehmung sich gesellen mag oder nicht.

Die Durchführbarkeit dieser Auffassung wird die nachfolgendeUntersuchung immerfort bestätigen.

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Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. 17

§ 5. Fortsetzung. Die Wahrnehmung als Bedeutung bestimmender,

aber nicht als Bedeutung enthaltender Akt.

Wir dürfen nicht weitergehen, ohne einen naheliegendenZweifel zu erwägen. Unsere Darstellung scheint eine gewisseEinschränkung zu erfordern, es scheint in ihr mehr zu liegen, alswir vollkommen rechtfertigen können. Macht die Wahrnehmungauch niemals die volle Bedeutung einer auf Grund von Wahr-nehmung vollzogenen Aussage, so trägt sie doch, und zwar geradein Fällen der eben erörterten Klasse, zur Bedeutung einiges bei.Dies tritt klarer hervor, wenn wir das Beispiel zunächst modifizierenund statt ganz unbestimmt von einer Amsel von dieser sprechen.Dies ist ein wesentlich okkasioneller Ausdruck, der nur durch.Hinblick auf die Umstände der Äußerung und hier auf die voll-zogene Wahrnehmung voll bedeutsam wird. Das wahrgenommeneObjekt ist, so wie es in der Wahrnehmung gegeben ist, mit demdies gemeint. Übrigens drückt auch das Tempus Präsens in dergrammatischen Form des Verbum eine Beziehung auf die aktuelleGegenwart, also wieder auf die Wahrnehmung aus. Offenbar giltnun dasselbe.von dem unmodifizierten Beispiel; denn wer sagt „eine"Amsel fliegt auf, meint ja nicht, daß eine Amsel überhaupt, son-dern daß eine Amsel jetzt und hier auffliege.

Allerdings hängt die intendierte Bedeutung nicht am Wortlaut,sie gehört nicht zu den durch ihn allgemein und fest gebundenenBedeutungen. Aber da nicht davon abzugehen ist, daß der Sinnder einheitlichen Aussage in dem gesamten Akte des Meinensgelegen ist, der ihr gegebenenfalls zugrunde liegt — mag er sichnun in den Worten vermöge ihrer allgemeinen Bedeutungen vollausprägen oder nicht —so werden wir, scheint es, wohl zugestehenmüssen, daß die Wahrnehmung, wo sie den Sachverhalt zur A n-

schaumig bringt, welchen die Aussage urteilsmäßig ausdrückt,zu dem Bedeutungsgehaii dieses Urteils einen Beitrag leiste.Es ist allerdings ein Beitrag, der eventuell auch durch andereAkte in wesentlich übereinstimmender Weise geleistet werdenkann. Der Hörende nimmt den Garten nicht wahr, aber er kennt

Russ erl , Log. Unters. II. 2

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18 . Elemente ein änomenolog. Aufklärung der

ihn vielleicht, stellt ihn anschaulich vor , versetzt die vorgestellteAmsel und den ausgesagten Vorgang in ihn hinein und erzeugtso, der Intention des Sprechenden folgend, mittels der bloßenPhantasiebildlichkeit ein gleichsinniges Verständnis.

Die Sachlage läßt aber noch eine zweite Deutung zu. Ingewissem Sinne ist es ja zu sagen, daß die Anschauung zur Be-deutung der Wahrnehmungsaussage einen Beitrag leiste: in demSinne nämlich, daß sich die Bedeutung ohne Sukkurs der An-schauung in ihrer bestimmten Beziehung auf die gemeinteGegenständlichkeit nicht entfalten könnte. Andererseits ist damitnicht gesagt, daß der Akt der Anschauung selbst Bedeutungs-träger sei, oder daß er im eigentlichen Sinne Beiträge zur Be-deutung hergebe, Beiträge, die dann als Bestandstücke in derfertigen Bedeutung vorgefunden werden könnten. Die wesent-lich okkasionellen Ausdrücke haben zwar eine von Fall zu Fallwechselnde Bedeutung; aber in allem Wechsel bleibt ein Gemein-sames übrig, das solche Vieldeutigkeit von derjenigen zufälligerÄquivokation unterscheidet.' Der Hinzutritt der Anschauung hatnun die Wirkung, daß - sich dieses Gemeinsame, jedoch in seinerAbstraktheit Unbestimmte der B edeutung bestimmt. Die Anschauunggibt ihm nämlich die Bestimmtheit der gegenständlichen Richtungund damit seine letzte Differenz. Diese Leistung erfordert esnicht, daß ein Teil der Bedeutung selbst in der Anschauungliegen müsse.

Ich sage dies und meine soeben das vor mir liegende Papier.Die Beziehung auf diesen Gegenstand verdankt das Wörtchender Wahrnehmung. Nicht liegt aber in dieser selbst die Bedeutung.Ich nehme, wenn ich dies sage, nicht bloß wahr; sondern aufGrund der Wahrnehmung baut sich ein neuer, sich nachihr richtender, in seiner Differenz von ihr abhängigerAkt auf, der Akt des Dies-Meinens. In diesem hin-weisendenMeinenliegfundliegt ganz allein die Bedeutung.Ohne die Wahrnehmung — oder einen entsprechend fungierenden

1 Vgl. Unt. I, § 26, S. 80.

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Bedeutungsintention. und Bedeutungserfüllung. 19

Akt — wäre das Hinweisen leer, ohne bestimmte Differenzierung,in conereto garnichkmöglich. Denn natürlich ist der unbestimmteGedanke, der Redende weist auf „etwas" hin — welcher sichbeim Hörenden einstellen mag, während er noch nicht erkannthat, was für ein Objekt wir mit dem dies aufzeigen wollten —durchaus nicht der Gedanke, den wir selbst in der aktuellenHin.weisung vollzogen haben: als ob sich bei uns nur noch diebestimmte Vorstellung des Aufgezeigten hinzugesellte. Man wirdnicht, den allgemeinen Charakter des aktuellen Hinweisens alssolchen verwechseln mit der unbestimmten Vorstellung von einergewissen Hinweisung-.

Die Wahrnehmung realisiert also die Möglichkeit für dieEntfaltung des Dies-Meinens mit seiner bestimmten Beziehung aufden Gegenstand, z.B. auf dieses Papier vor meinen Augen; abersie konstituiert, so will es uns scheinen, nicht selbst. die Bedeutung,auch nicht einem Teile nach.

Indem sich der Aktcharakter der Hinweisung nach der An-schauung richtet, nimmt er eine Bestimmtheit der Intention an, welchesich: in der Anschauung, nach einem allgemeinen Bestand°, derals das intentionale Wesen zu charakterisieren ist, erfüllt. Denn dashinweisende Meinen ist dasselbe, welche Wahrnehmung aus derMannigfaltigkeit zusammengehöriger Wahrnehmungen zugrundeliegen mag, in denen immer derselbe, - und erkennbar derselbe,Gegenstand erscheint. Die Bedeutung des dies ist abermals dieselbe,wenn für die Wahrnehmung irgendein Akt aus der Mannigfaltigkeitimaginativer Vorstellungen eintritt, die in etkennbar identischerWeise denselben Gegenstand im Bilde vorstellen. Sie ändert sichaber, wenn Anschauungen aus anderen Wal .arn.ehmungs- oder Bild-.lichkeitskreisen. supponiert werden. Wir meinen wieder dies, aberder gemeinsame Charakter des hier obwaltenden Meinens, nämlichdes direkt (d.i. ohne jede attributive Vermittlung) auf den Gegen-stand Hinzielens ist verschieden differenzliert, ihm haftet nun eineIntention auf einen anderen Gegenstand an, ähnlich wie sich dasphysische Hinweisen mit der Änderung der räumlichen Richtungeben räumlich differenziiert.

2*

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20 VI Elemente einer philnomendoll. Aufklärung der Erkenntnis.- • T '1- - ..- ----

Eine Bestätigung für diese Auffassung, welche die Wahr-nehmung zwar als Bedeutung bestimmenden, aber nichtals Bedeutung enthaltenden Akt gelten läßt, bietet der Um-stand, daß auch wesentlich okkasionelle Ausdrücke der Art, wiedies, vielfach ohne angemessene Anschauungsunterlage gebrauchtund verstanden werden. Es kann die einmal auf Grund passen-derAnschauung konzipierte Intention auf den Gegenstand wiederholtoder gleichstimmig nacherzeugt werden, ohne daß eine irgendangemessene Wahrnehmung oder Imagination vermitteln würde.

Die wesentlich okkasionellen Ausdrücke wären danach denEigennamen nahe verwandt, wofern die letzteren in ihrer eigent-lichen Bedeutung fungieren. Denn auch der Eigenname nennt denGegenstand „direkt". Er meint ihn nicht in attributiver Weise alsTr er dieser oder jener Merkmale, sondern ohne solche „begriff-liche" Vermittlung, als denjenigen, der er „selbst" ist, so wie ihndie Wahrnehmung vor Augen stellen würde. Die Bedeutung desEigennamens liegt also in einem direkt-diesen-Gegenstand-Meinen,einem Meinen, das sich lediglich durch Wahrnehmung und in„vorläufiger" (illustrierender) Weise durch Imagination erfüllt,aber nicht mit diesen Anschauungsakten identisch ist. Genau sogibt die Wahrnehmung dem dies (wo es auf Gegenstände mög-licher Wahrnehmung gerichtet ist) den Gegenstand; das Dies-Meinen erfüllt sich in der Wahrnehmung und ist nicht sie selbst.Und natürlich erwächst auch beiderseits die Bedeutung dieserdirekt nennenden Ausdrücke ursprünglich aus der Anschauung,nach welcher die nominalen Intentionen ihre Richtung auf denindividuellen Gegenstand ursprünglich orientieren. In anderenPunkten besteht Unterschied: dem dies haftet der Gedanke einerHinweisung an, der in früher erörterter Weise eine gewisse Mittel-barkeit und Verwicklung, also eine gewisse Form hineinbringt,die beim Eigennamen fehlt. Andererseits gehört der Eigennameals feste Benennung zu seinem Gegenstande. Dieser konstantenZugehörigkeit entspricht auch etwas in der Weise der Beziehungauf den Gegenstand; das bezeugt sich durch die Tatsache desnamentlichen Erkennens der so heißenden Person oder Sache:

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Bedeutungsint,ention und Bedeutungserfüllung. 21

ich erkenne Hans als Hens, Berlin als Berlin. — Offenbar siehtdiese Ausführung jedoch von den Eigennamen ab, die in 'abge-leiteter Bedeutungsfunktion stehen. Sind einmal irgend-welche Eigennamen in direkter Anknüpfung an gegebene Gegen-stände (also auf Grund gebender Anschauungen) gebildet, so kannder in Reflexion auf das Eigen-Nennen gebildete Begriff desReißens dazu dienen, Gegenstände, die uns Dicht gegeben unddirekt bekannt, sondern nur als Träger gewisser Merkmale indirektcharakterisiert sind, -mit Eigennamen zu belegen, bzw. von ihrenEigennamen Kenntnis zu nehmen. Z. B. die Hauptstadt Spaniensheißt (hat den Eigennamen) Madrid. Wer die Stadt Madrid

',selbst" nicht kennt, gewinnt daraus die Kenntnis ihres Namens

und die Möglichkeit, ihn angemessen zu verwenden, und dabeidoch nicht die Eigenbedeutung des Wortes Madrid. Statt desdirekten Meinens, das nur die Anschauung dieser Stadt zu. er-regen vermag, dient ihm die indirekte Anzeige solchen IVleinens,nämlich vermittelt durch charakteristische Merkmalvorstellungenund den Begriff des So-heißens.

Dürfen wir diesen Betrachtungen Vertrauen schenken, so istnicht bloß überhaupt zwischen Wahrnehmung und Bedeutung derWahrnehmungsaussage zu unterscheiden, sondern es liegt auchkein Teil dieser Bedeutung in der Wahrnehmung selbstDie Wahrnehmung, welche den Gegenstand gibt und dieAussage, die ihn mittelst des Urteils, bzw. mittelst derzu der Einheit des Urteils verwobenen. „Denkakte", denkt und.ausdrückt, sind völlig zu sondern, obschon sie im vor-liegenden Falle des Wahrnehmungsurieils in der innigsten _Auf-ein.anderbeziehung, im Verhältnis der Deckung, der Erfüllungs-einheit stehen.

Es braucht kaum ausgeführt zu werden, daß dasselbe Er-gebnis auch für alle anderen Anschauungsurteile gelten wird, alsofür Aussagen, die in einem analogen Sinne, wie es die Wahmeh-mungsurteile tun, den anschaulichen Gehalt einer Imagination,einer Erinnerung, Erwartung usw. „ausdrücken".

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22 171 Elemente einer phiinomenolog. A

Zusatz. In der Darstellung des § 26 der I. Untersuchung unter-

schieden wirl, ausgehend vom Verständnis des Hörenden, die „an-

zeigende" und „angezeigte" Bedeutung des wesentlich okkasionellen

Ausdrucks und speziell des dies. In dem Hörenden, in dessen

momentanen Gesichtskreis das Aufzuweisende vielleicht garnicht fällt

ist nämlich zunächst nur der unbestimmt allgemeine Gedanke erweckt,

es sei auf etwas hingewiesen; erst mit der ergänzenden Vorstellung

(einer anschaulichen, wenn es sich eben um ein anschaulich Aufzu-

weisendes handelt) konstituiert sich für ihn die Bestimmtheit der

Einweisung, und so die volle und eigentliche Bedeutung des Demon-

strativum. Für den Sprechenden besteht die Aufeinauderfol nicht;

er bedarf der unbestimmt hinweisenden Vorstellung nicht, welchebeim Hörenden als „Anzeige" fungierte. Nicht die Vorstellung derEinweisung, sondern die Einweisung selbst ist bei ihm gegeben,und sie ist eo 2:219ö die sachlich bestimmt gerichtete; von vornhereinhat der Sprechende die „angezeigte" Bedeutung und hat sie in der

unmittelbaren, sich nach der Anschauung orientierenden Vorstellungs-

intention. Ist die Sache keine anschaulich vorfindliche, wie bei derRückweisung auf einen Lehrsatz in der mathematischen Beweisführung,

so vertritt der betreffende begriffliche Gedanke die Funktion der An-

schauung: die hinweisende Intention würde auf Grund der aktuellen

Wiederherstellung jenes abgelaufenen Gedankens ihre Erfüllung finden.

In jedem Falle konstatieren wir eine gewisse Doppelheit in der hin-

weisenden Intention: der Charakter der Einweisung vermählt sich im

ersten Falle mit der direkten gegenständlichen Intention, und zwar sodaß hierdurch die Einweisung auf den bestimmten, hier und jetzt an-

geschauten Gegenstand erwächst. Ebenso im anderen Falle. Ist der

frühere begriffliche Gedanke just auch nicht aktuell vollzogen, sobleibt doch in der Erinnerung eine ihm entsprechende Intention zurück,

und diese verbindet sich mit dem Aktcharakter der Einweisung, ihmdie Bestimmtheit der Richtung verleihend.

Wenn somit von anzeigender und angezeigter Bedeutung

gesprochen wird, so kann Zweierlei gemeint sein. 1. Die beiden

Vel. 8. 83.

Page 36: Husserl Logische Untersuchungen 22 1921

Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. 23

einander ablösenden Gedanken, welche das sukzessive Verständnis des

Hörenden charakterisieren: zun äch.st die unbestimmte Vorstellungeines gewissen mit dem dies Gemeinten, dann die sich durch dieergänzende Vorstellung herausbildende Modifikation, der Akt ' derbestimmt gerichteten Hinweisung. Im letzteren Akt läge die angezeigte,im ersteren .die anzeigende Bedeutung. 2. Halten wir uns an die

fertige, bestimmt gerichtete Hinweisung, die im Sprechenden vonvornherein gegeben ist, so kann in ihr selbst wieder Doppeltes unter-schieden werden: der allgemeine Charakter der Hinweisung, und dassie Bestimmende, das was sie zur Einweisung auf Dieses da einschränkt.Ersteres-kann wieder als anzeigende Bedeutung, oder besser als dasAnzeigende an der untrennbar einheitlichen Bedeutung bezeichnetwerden, sofern es dasjenige ist, was der Hörende vermöge seinerau.sdrückbaren Allgemeinheit unmittelbar erfassen und was ihm nunzur Anzeige des Gemeinten dienen kann. Sage ich dis, so weiß derHörende mindestens, daß auf etwas hingewiesen sei: (Ebenso beianderen wesentlich okkassionellen Ausdrücken. Sage ich hier, so

handelt es sich um „etwas" in meiner näheren oder ferneren räum-lichen Umgebung; usw.) Andererseits liegt das eigentliche Ziel derRede nicht in diesem Allgemeinen, sondern in der direkten Intentionauf den betreffenden Gegenstand. Auf ihn und seine Inhaltsfülle istes abgesehen, und rti. ihrer Bestimmung tragen jene leeren Allgemein-heiten. nichts oder so gut wie nichts bei. In diesem Sinne ist die direkteIntention die primäre und angezeigte Bedeutung.

Diesen zweiten Unterschied legte die Definition in der früherenDarstellung (5. 83) zugrunde. Die hier vollzogene Unterscheidung undnähere Ausführung dürfte zu einer weiteren Klärung der schwierigenSachlage beigetragen haben.

§ 6. Die statische Einheit zwischen ausdrückendem Gedanken und

ausgedrückter Anschauung. Das Erkennen.

Wir vertiefen uns jetzt in eine nähere Erforschung der 'Ver-hältnisse, die zwischen den anschaulichen Akten auf der einenund den ausdrückenden Akten auf der anderen Seite obwalten. Vor-erst beschränken wir uns, und in diesem Abschnitt überhaupt, auf

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24 VI. Elemente einer pluinomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.-------- ------,___einen Kreis möglichst einfacher Fälle, also naturgemäß auf Aus-drücke, bzw. Bedeutungsintentionen, welche dem nominalenGebiet entnommen sind. Wir erheben damit übrigens keinenAnspruch, das ganze Gebiet zu umfassen. Es handelt sich umnominale Ausdrücke, die sich in möglichst durchsichtiger Weiseauf „entsprechende" Wahrnehmung und sonstige Anschauungbeziehen.

In diesem Kreise fassen wir zunächst das ruhende Ein.-heitsverhältnis ins Auge: der bedeutungverleihende Ge-danke sei auf Anschauung gegründet und dadurch aufihren Gegenstand bezogen. Z. B. Ich spreche von meinemTintenfaß, und es steht zugleich das Tintenfaß selbst vor mir,ich sehe es. Der Name nennt den Gegenstand der Wahrnehmungund nennt ihn mittelst des bedeutenden, seiner Art und Formnach sich in der Form des Namens ausprägenden Aktes. DieBeziehung zwischen Namen nnd Genanntem zeigt in diesem Ein-heitsstande einen gewissen deskriptiven Charakter, auf denwir schon aufmerksam wurden: der Name mein Tintenfaß Jegtsich(' gleichsam dem wahrgenommenen Gegenstande "auf", ge-hört sozusagen fühlbar zu ihm. Aber diese Zugehörigkeit istvon eigener Art. Die Worte gehören ja nicht zu dem objektivenZusammenhang, hier dem physisch-dinglichen, den sie ausdrücken,in ihm haben sie keinen Ort, sie sind nicht als etwas in oder anden Dingen, die sie nennen, gemeint. Gehen wir auf die Erlebnissezurück, so finden wir auf der einen Seite, wie bereits beschrieben,'die Akte der Worterscheinung, auf der anderen Seite die ähn-lichen Akte der Sacherscheinung. In letzterer Hinsicht steht unsin der Wahrnehmung das T.intenfaß gegenüber. Gemäß unsererwiederholten Geltendmachung des deskriptiven Wesens der Wahr-nehmung, besagt dies phänomenologisch nichts anderes, alsdaß wir einen gewissen Belauf von Erlebnissen aus der KlasseEmpfindung haben, sinnlich vereinheitlicht in ihrer so und sobestimmten Aneinanderreihung und durchgeistigt von einem

1 V 1 Unters. I, §§ 9 uL 10.

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Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. 25

gewissen, ihnen objektiven Sinn verleihenden Aktcharakter der"Auffassung". Dieser Aktcharakter macht es, daß uns ein.Gegenstand, eben dieses Tintenfaß, in der Weise der Wahr-nehmung erscheint. Und in ähnlicher Weise konstituiert sichnatürlich das erscheinende Wort in einem Akte der Wahrnehmungoder Phantasievorstellung.

Also nicht Wort und Tinten.faß, sondern die beschriebenenAkterlebnisse, in denen sie erscheinen, während sie „in" ihnengarnichts sind, treten in Beziehung. Aber wie nun dies? Wasbringt die Akte zur Einheit? Die Antwort scheint klar. DieseBeziehung ist als nennende vermittelt durch Akte nicht bloßdes Bedeutens, sondern des Erkennens, und zwar sind eshier Akte der Klassifikation. Der wahrgenommene Gegen-stand wird als Tintenfaß erkannt, und sofern der bedeutendeAusdruck in besonders inniger Weise mit dem klassifikatorischenAkte Eins ist, und dieser wieder als Erkennen des wahrgenommenenGegenstandes mit dem Wahrnehmungsakte Eins ist, erscheintder Ausdruck gleichsam als dem Dinge aufgelegt und als wiesein Kleid.

Normaler Weise sprechen wir von Erkenntnis und Klassi-fikation des Wahrn.ehmungsgegenstandes, als ob der Akt sicham G egenstan de betätigte. Im Erlebnis selbst aber i.M .,sagten wir, kein Gegenstand, sondern die Wahrnehmung, .das sound so bestimmte Zumu.tesein; also ist der Erkenntnisakt imErlebnis auf den Wahrnehraungsakt gegründet. Natürlichdarf man da nicht mißverstehend einwenden, wir stellten die Sacheso hin, als sei die Wahrnehmung klassifiziert anstatt ihres Gegen-standes. Das tun wir keineswegs. Dergleichen setzte ja Akteganz anderer und komplizierterer Konstitution voraus, die sich in.Ausdrücken von entsprechender Komplexion, wie z.B. die Wahr-nehmung des Tintenfasses, ausprägen würden. Also ein in be-stimmter und schlichter Weise das Ausdruckserlebnis auf der einen.,mit der betreffenden Wahrnehmung auf der anderen Seite ver-schmelzendes Erkennen konstituiert das Erlebnis: Erkennen diesesDinges als mein Tintenfa 13.

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26 FL Elemente einer phanomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

Ganz ebenso verhält es sich in den Fällen, wo statt der Wahr-nehmung eine Bildvorstellung dient. Das bildlich erscheinendeObjekt, z. B. dasselbe Tintenfaß in der Phantasie oder Erinnerungist fühlbarer Träger des nominalen Ausdrucks. Phänomenologischgesprochen heißt das, ein Akt des mit dem Ausdruckserlebnis ver-einten Erkennens ist auf den Akt der Verbildlichung in der Weisebezogen, die wir objektiv als Erkennen des bildlich Vorgestell-ten, z. B. als unseres Tintenfasses, bezeichnen. Auch das bildlicheObjekt ist ja in der Vorstellung schlechterdings nichts, Erlebnisist vielmehr ein gewisser 'Verein von Phantasmen (Phantasie-Empfindungen), durchgeistigt von einem gewissen auffassendenAktcharakter. Diesen Akt erleben, und eine Phantasievorstellungvon dem Gegenstande haben, ist einerlei. Sagen wir dann aus-drückend: ich habe ein Phantasiebild, und zwar das eines Tinten-fasses, so haben wir offenbar mit dem Ausdrücken zugleich ne 11E3

Akte vollzogen und, speziell auch einen mit dem Akt der Ver-bildlichung innig einheitlichen. Akt des Erkennens.

§ 7. Das Zrkennen als .Aktcharakter und die „Allgemeinheit

des Wortes".

Daß wir wirklich berechtigt sind, in allen Fällen der Nennungeines anschaulich Gegebenen zwischen der Erscheinung des Wort-lauts, bzw. des ganzen sinnbelebten Wortes, und der Sachanschauungdas Erkennen als einen vermittelnden Aktcharakter anzunehmen,dessen scheint uns folgende genauere Überlegung völlig zu ver-sichern. Man hört oft von der Allgemeinheit der Wortbedeu-tungen sprechen und. meint in dieser vieldeutigen Rede zumeistdie Tatsache, c.laß das Wort nicht an die vereinzelte Anschauunggebunden ist, sondern zu einer unendlichen Mannigfaltigkeit mög-licher Anschauungen gehört.

Was liegt nun in dieser Zugehörigkeit?Betrachten wir ein möglichst einfaches Beispiel, etwa den

Namen Rot. Indem er ein erscheinendes Objekt als rot benenntgehört er zu diesem Objekt vermöge des an ihm erscheinendenRotmomentes. Und jedes Objekt, das ein gleichartiges Moment

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Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. 27

in sich trägt, berechtigt zur selben Nennung, zu' jedeni gehörtdieser selbe Name, und ei gehört zu ihm vermöge des identischenSinnes.

Was liegt nun wieder in dieser Nennung vermöge einesidentischen Sinnes?

Wir bemerken zunächst: das Wort hängt nicht äußerlich,bloß auf Grund verborgener psychischer Mechanismen an dengleichartigen Einzelzügen der Anschauungen. Vor_ allem reichenwir nicht mit der bloßen Tatsache aus, daß, wo immer einsolcher Einzelzug in der Anschauung auftritt, sich ihm nun auch.das Wort als bloßes Lautgebilde zugesellt. Das bloße Zusam-men, das bloß äußerliche Miteinander oder Aneinander dieserbeiden Erscheinungen schafft zwischen ihnen keine innerliche Be-ziehung und gewiß keine intentionale. Und eine solche liegt dochoffenbar als eine phänomenologisch durchaus eigenartigevor. Das Wort nennt das Rote als rot. Das erscheinendeRot ist das mit dem Namen Gemeinte und zwar als rot Ge-meinte. in dieser Weise des nennenden Meinens erscheint derName als zu dem Genannten gehörig und mit ihm Eins.

Andererseits hat das Wort seinen Sinn auch außerhalb derVerknüpfung mit dieser Anschauung, ja ohne Verknüpfung mit einer„entsprechenden" Anschauung überhaupt. Da der Sinn überall der-selbe ,ist, so ist es klar, daß wir für die nennende Beziehung an Stelledes bloßen W ortlaute s das eigentliche und volle Wort, nämlichdas mit dem überall gleichartigen Charakter des Sinnes begabte,zugrunde legen müssen. Aber auch dann dürfen wir uns nichtbegnügen, die Einheit des sinnvollen Wortes und der entsprechen.denAnschauung als ein bloßes Zusammen zu beschreiben. Denkenwir uns das Wort, etwa so wie ei außerhalb aller aktuellenNennung als bloß symbolisch verstandenes bewußt ist, undnun dazu die entsprechende Anschauung: so mag es sein, daßsich die beiden Erscheinungen aus genetischen Gründen alsbaldzur phänomenologischen Einheit der Nennung zusammenschließen;aber an sich ist das Zusammmen noch nicht diese Einheit, sieerwächst erst als ein offenbar Neues. Es -wäre a priori denkbar,

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28 Tri. Elemente einer pluinomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.,

daß sie nicht erwüchse; dann wären die koexistierenden Erschei-nungen phänomenologisch beziehungslos: das Erscheinende stündenicht als das im sinnvollen Worte Gemeinte, also Genannte daund das Wort nicht als das in der Weise des Namens zu ihmGehörige, es Nennende.

Da wir nun phänomenologisch statt der bloßen Summe dieinnigste Einheit und zwar eine intentionale Einheit vorfindenso werden wir wohl mit Recht sagen dürfen: die beiden Akte,deren einer uns das volle Wort und deren anderer die Sachekonstituiert, schließen sich intentional zur Akteinheit zusammen.Naturgemäß beschreiben wir das Vorliegende ebenso gut mit denWorten: der 2\rame Rot nennt das rote Objekt rot, als mitden Worten: das rote Objekt wird als rot erkannt undmittelst dieses Erkennens rot g en an n 1. Rot Nennen — indem aktuellen Sinn von Nennen, der die unterliegende An-schauung des Genannten voraussetzt — und als rot Erkennensind im Grunde genommen bedeutungs-identische Ausdrücke;nur daß der letztere deutlicher zur Ausprägung bringt, daß hierkeine bloße Zweiheit, sondern eine durch einen Aktcharakterhergestellte Einheit gegeben ist. Bei der Innigkeit der Verschmel-zung treten, wie wir allerdings zugestehen latissen, die impliziertenMomente dieser Einheit — die physische Worterscheinung mitdem beseelenden Moment der Bedeutung, das Moment der Er-kennung und die Anschauung des Genannten — nicht mit deut-licher Abhebung auseinander; aber nach dem Ausgeführten wer-den wir sie wohl alle annehmen müssen. Ergänzende Erwägungensollen diesem Punkt übrigens noch gewidmet werden.'

Offenbar ist der Aktcharakter des Erkennens, dem das Wortseine sinngemäße Beziehung auf das Gegenständliche der An-schauung verdankt, nichts zum Wortlaut wesentlich Zugehöriges;es gehört vielmehr zum Worte nach seinem sinnvollen (b edeu-tun gsmäß igen) Wesen. Bei den verschiedensten Wortlauten,man denke an „dasselbe Wort in verschiedenen Sprachen kann

1 Vgl. S. 37 ff.

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Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. 29— —

die Erkenntnisbeziehung identisch dieselbe sein; das Objekt wird.wesentlich als dasselbe erkannt, obschon unter Beihilfe verschiede-ner -Wortlaute. Freilich schließt das volle als rot Erkennen, sowiees mit dem aktuellen Namen gleichwertig ist, auch den Wortlautmit ein. Mitglieder verschiedener Sprachgemeinschaften erlebendie Zugehörigkeiten. verschiedener Wortlaute und befassen dieseletzteren mit in die Einheit des Erkennens. Indessen erhält sichdie Bedeutung, die zu dem Wortlaut gehört, und der Erkennungs-akt, in welchem sie sich mit dem Bedeuteten aktuell einigt, überallunverändert, so daß die Differenzen selbstverständlich als außer-wesentlich-gelten müssen.

Die Allgemeinheit des Wortes besagt danach, daß ein unddasselbe Wort durch seinen einheitlichen Sinn eine ideell fest-begrenzte Mannigfaltigkeit möglicher Anschauungen so umspannt(und, wenn es widersinnig ist, zu umspannen „prätendiert"), daßjede dieser Anschauungen als Grundlage eines gleichsinnigennominalen Erkenntnisaktes fungieren kann. Zu dem Worte Rotgehört beispielsweise die Möglichkeit, alle in möglichen An-schauungen zu gebenden roten Objekte eben als rot zu erkennenund zu nennen. Daran knüpft sich aber weiter die a priorigewährleistete Möglichkeit, durch identifizierende Synthesissolcher Erkennungen sich dessen bewußt zu werden, es sei dasEine und Andere bedeutungsmäßig dasselbe, es sei dieses A rotund jenes A sei dasselbe, nämlich auch rot; die beiden Einzel-heiten der Anschauung gehörten unter denselben „Begriff".

Eine- Zweifelsfrage drängt sich hier auf. Das Wort, sagtenwir oben, könnte verstanden werden, ohne etwas aktuell zu nennen..Müssen wir ihm aber nicht mindestens die Möglichkeit zubilli-gen, in der Funktion aktueller Nennung zu stehen, also aktuelleErkenntnisbeziehun.g auf entsprechende Anschauung zu gewinnen?Müssen wir nicht sagen: ohne diese Möglichkeit wäre - es über-haupt kein Wort? Natürlich lautet die Antwort: diese Möglichkeithängt an der Möglichkeit der bezüglichen Erkenntnisse. Abernicht alle intendierte Erkenntnis ist möglich, nicht alle nominaleBedeutung ist zu realisieren. „Imaginäre" Namen sind eben

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30 Tri. Elemente einer phänomeno . Aufklärung der Erkenntnis.

auch Namen, aber sie können in keiner aktuellen Nennungstehen, sie haben, eigentlich gesprochen, keinen Umfang, siehaben keine Allgemeinheit im Sinne der Möglichkeit undWahrheit. Ihre Allgemeinheit ist leere Prätention. Wiediese Reden aber ihrerseits zu klären sind, was phänomenologischhinter ihnen liegt, wird der Verlauf der weiteren Untersuchungnoch herausstellen.

Was wir dargelegt haben, gilt überall und nicht etwa bloßbei den Ausdrücken, welche eine allgemeine Bedeutung haben inder Weise von Allgemeinbegriffen. Es gilt auch bei denAusdrücken individueller Bedeutung, wie es die Eigennamensind. Die Tatsache, die man als die "Allgemeinheit der Wort-bedeutung"- zu bezeichnen pflegt, meint keineswegs diejenige All-gemeinheit, die man Gattungsbegriffen im Gegensatz zu Individual.-begriffen beimißt; sie umfaßt im Gegenteil die Eine und Anderein gleicher Weise. Demgemäß ist das „Erk enn.en", von dem wirin der Beziehung eines sinnvoll fungierenden Ausdrucks aufkorrespondierende Anschauung sprechen, auch nicht gerade als einaktuelles Klassifizieren aufzufassen, das sich in der Einordnungeines anschaulich oder schon gedanklich vorgestellten Gegenstandesin einer Klasse — also notwendig auf Grund allgemeiner Begriffeund sprachlich mittelst allgemeiner Namen — vollzieht. Auchdie Eigennamen haben ihre "Allgemeinheit", obschon bei ihnen,wo sie in der Funktion aktueller Nennung stehen, von Klassifikationeo ipso keine Rede ist. Auch die Eigennamen, wie alle sonstigenNamen, können nichts nennen, ohne nennend zu erkennen. Daßin der Tat ihre Beziehung zu einer entsprechenden Anschauungnicht minder eine mittelbare ist als bei anderen Ausdrücken,zeigt eine ganz analoge Betrachtung wie diejenige, die wiroben durchgeführt haben. Der jeweilige Name gehört offenbarweder zu einer bestimmten Wahrnehmung, noch zu einer bestimmtenEinbildung oder sonstigen Verbildlichung. In unzähligen möglichenAnschauungen kommt dieselbe Person zur Erscheinung, und allediese Erscheinungen haben nicht bloß intuitive, sondern aucherkenntnismäßige Einheit. Jede Einzelerscheinung aus einer

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Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. 31

solchen intuitiven Mannigfaltigkeit kann der gleichsinnigen Nen-nung durch den Eigennamen mit gleichem Fug zugrundeliegen. Welche immer gegeben ist, der Nennende meint die eineund selbe Person oder Sache. Und er meint sie nicht in derbloßen Weise anschaulichen Zugewendetseins, wie in der Be-trachtung eines ihm individuell fremden Objektes; sondern er er-kennt sie als diese bestimmte Person oder Sache, im Nennenerkennt er Hans als Hans, Berlin als Berlin. Das als diesePerson, als diese 'Stadt Erkennen ist wiederum ein Akt, der nichtan den bestimmten sinnlichen Gehalt der jeweiligen Worterschei-nung gebunden ist Es ist identisch derselbe Akt bei verschie-denen (und der Möglichkeit nach unendlich vielen) Wortlauten.;so z. B. wenn sich Mehrere für dieselbe individuelle Sache ver-schiedener Eigennamen "bedienen.

Natürlich ist nun diese Allgemeinheit des Eigennamens undder ihm entsprechenden Eigenbedeutun.g von ganz andeermCharakter als diejenige des Klassennamens..

Die Erstere besteht darin, daß zu einem individuellen Ob-jekt eine Synthesis möglicher Anschauungen gehört, die Eins sinddurch einen gemeinsamen intentionalen Charakter, nämlich durchden Charakter, der, unbeschadet der sonstigen phänomenalen Unter-schiede zwischen den einzelnen Anschauungen, einer Jeden Be-ziehung auf denselben Gegenstand verleiht. Dieses .Einheitlicheist dann das Fundament für die Erkenntniseinheit, die zur

', Allgemeinheit der Wortbedeutung", zum Umfange ihrer ideell'möglichen Realisierung gehört So bat das nennende Wort Er-kenntnisbeziehung zu einer unbegrenzten Mannigfaltigkeit von An-schauungen, deren einen un d selben Gegenstand es erkenntund dadurch nennt

Ganz anders bei den Klassenn.amen. Ihre Allgemeinheitumspannt einen Umfang von Gegenständen, zu deren jedem,an und für sich betrachtet, eine mögliche Synthesis vonWahrnehmungen, eine mögliche Eige.nbedeutu.ng, ein möglicherEigenname gehört. Der allgemeine Name „umspannt" diesenUmfang in der Weise der Möglichkeit> jedes Glied dieses Umfangs

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VI Elemente einer phiinomenoloy. Aufklärung der Erkenntnis.

allgemein zu nennen, d. h. es nicht in der Weise der Eigennamendurch Eigenerkennen, sondern in der Weise der Gemeinnamendurch Klassifikation zu nennen; das entweder direkt Angeschauteoder bereits in seiner Eigenheit, oder gar schon durch MerkmaleErkannte wird nun als ein A erkannt und genannt.

§ 8. Die dynamische Einimit zwischen Ausdruck und ausgedrückter

Anschauung. Das Erfüllungs- und Identitätsbewz

Statt der ruhenden, gleichsam statischen Deckung zwischenBedeutung und Anschauung nehmen wir jetzt die dynamischean; dem vorerst bloß symbolisch fungierenden Ausdruck gesellesich nachher die (mehr oder minder) entsprechende Anschauungbei. Wird dies Ereignis, so erleben wir ein deskriptiv eigentüm-liches Erfüllungsb e wußtsoin 1 : der Akt des puren Bedeutensfindet in der Weise einer abzielenden Intention seine Erfüllungin dem veranschaulichenden Akte. In diesem tibergangserlebnistritt zugleich die Zusammengehörigk eit beider Akte, derBedeutun.gsintention tmcl der ihr mehr oder minder vollkommen.entsprechenden Anschauung, nach ihrer phänomenologischen Be-gründung deutlich hervor. Wir erleben es, wie in der Anschauungdasselbe Gegenständliche intuitiv vergegenwärtigt ist, welchesim symbolischen Akte „bloß gedacht" war, und daß es geradeals das so und so Bestimmte anschaulich wird, als was es zunächstbloß gedacht (bloß bedeutet) war. Es ist nur ein anderer Aus-druck dafür, wenn wir sagen, das in.tentionale Wesen des.A.nschauu.ngsaktes passe sich (mehr oder minder vollkommen)dem bedeutungsraäßigen. Wesen des ausdrückendenAktes an.

in dem zuerst betrachteten statischen. Verhältnis zwischenden Akten der Bedeutung und Anschauung sprachen wir vonErkennen. Dieses stellt sagten wir, die sinngemäße Beziehung

1 Vgl. meine Psych. Studien z. eiern. Logik, II. Über Anschauungenu. Repräsentationen, Philos. Monatshefte, Jahrg. 1894, S. 176. Den dort bevor-zugten Begriff der Anschauung habe ich, wie aus dem vorliegenden Werkeersichtlich, aufgegeben.

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Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. 33

des Namens auf das in der Anschauung Gegebene als Genanntesher. Aber das Bedeuten ist darin nicht selbst das Erkennen. In.dem rein symbolischen Wortverständnis wird ein Bedeuten voll-zogen (das Wort bedeutet uns etwas), aber es wird nichts erkannt.Der Unterschied liegt, nach dem im vorigen Paragraphen Er-örterten, nicht in dem bloßen Mitgegebensein der Anschauungdes Genannten, sondern in der phänomenologisch eigenartigenEinheitsform. Das- Charakteristische dieser Erkenntniseinheitmacht uns nun das dynamische Verhältnis klar. Zunächst istdabei die Bedeutungsintention, und zwar für sich gegeben; dannerst tritt entsprechende Anschauung hinzu. Zugleich stellt sichdie phänomenologische Einheit her, die sich jetzt als Erfüllungs-b ewuß ts ein bekundet. Die Reden von Erkenntnis des Gegen-standes und Erfüllung der Bedeutungsintention drücken also, bloßvon verschiedenen Standpunkten, dieselbe Sachlage aus. DieErstere stellt sich auf den Standpunkt des gemeinten Gegenstandes,während die Letztere nur die beiderseitigen Akte zu Beziehungs-punkten nimmt. Phänomenologisch existieren jedenfalls die Akte,nicht immer die Gegenstände. Somit gibt die Rede von der Er-füllung dem phänomenologischen Wesen der Erkenntnisbeziehungden besser charakterisierenden Ausdruck. Es ist eine primitive phä-nomenologische Tatsache, daß Akte der Signifikation 1 und Intui-tion in dieses eigenartige Verhältnis treten können. Und wo siees tun, wo gegebenenfalls ein Akt der Bedeutungsintention sichin einer Anschauung erfüllt, da sagen wir auch, es werde „der

1 Ich benütze diesen Ausdruck ohne besondere terminologische An-kii.ndigung, weil er die bloße Übersetzung von Bedeutung ist. Ebenso werdeich öfters von signifikativen oder auch kurzweg signitiven Akten sprechen,statt von Akten der Bedeutungsintention, des Bedeutens u. dgl. „BedeutendeAkte" kann man, da normalerweise die Aus.drück e als Subjekte des Be-deutens bezeichnet werden, nicht gut sagen. Signitiv gibt auch einen passen-den terminologischen Gegensatz zu intuitiv. Ein Synonym für signitiv istsymbolisch, sofern in neuerer Zeit der schon von Kant gerügte Mißbrauchum sich gegriffen hat, das Wort Symbol, entgegen seinem ursprünglichen und.auch jetzt noch unentbehrlichen Sinne, als Äquivalent für Zeichen zu ver-wenden.

Russen, Log. Unters. II. 3

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34 171. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

Gegenstand der Anschauung durch seinen Begriff erkannt", oderes „finde der betreffende Name auf den erscheinenden Gegenstandseine Anwendung".

Dem unzweifelhaften phänomenologischen Unterschied zwischender statischen und dynamischen Erfüllung oder Erkennung werdenwir leicht gerecht. Im dynamischen Verhältnis sind die Verhältnis-glieder und der sie beziehende Erkenntnisakt zeitlich auseinander-gezogen, sie entfalten sich in einer Zeitgestalt. Im statischenVerhältnis, das als bleibendes Ergebnis dieses zeitlichen Vorgangesdasteht, sind sie in zeitlicher und sachlicher Deckung. Dorthaben wir im ersten Schritte das „bloße Denken" (— den bloßen„Begriff" die bloße Signifikation) als schlechthin unbefriedigteBedeutungsintention, die sich im zweiten Schritte mehr oderminder angemessene Erfüllung zueignet; die Gedanken ruhengleichsam befriedigt in der Anschauung des Gedachten, das sicheben vermöge dieses Einheitsbewußtseins als das Gedachte diesesGedankens, als das in ihm Gemeinte, als das mehr oder mindervollkommen erreichte Denkziel ankündigt. In dem statischen Ver-hältnis andererseits haben wir dieses Einheitsbewußtsein allein,eventuell ohne daß ein merklich abgegrenztes Stadium unerfüllterIntention vorangegangen wäre. Die Erfüllung der Intention ist hiernicht ein Vorgang des sich Erfüllens, sondern ein ruhendes Er-fülltsein, nicht ein sich Decken, sondern das in Deckung Sein

In gegenständlicher }lin.sicht sprechen wir hier auch von 1den-titäts einheit. Vergleichen wir überhaupt die beiden Komponen-ten einer Erfüllungseinheit (gleichgültig ob wir sie im dynamischenÜbergehen ineinander betrachten, oder ob wir, die statische Ein-heit analysierend, die Komponenten auseinanderhalten, um sie als-bald ineinander überfließen zu sehen), so konstatieren wir gegen-ständliche Identität. Wir sagten ja, und dies durften wirmit Evidenz, daß der Gegenstand der Anschauung derselbe seiwie der Gegenstand des sich in ihr erfüllenden Gedankens, undim Falle der genauen Anpassung sogar, daß der Gegenstand genauals derselbe angeschaut, als welcher er gedacht (oder was hierimmer dasselbe sagt: bedeutet) sei. Es ist klar , d die Identität

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Bedeutungsintention itnd Bedeutungserfüllung. 35

nicht erst durch die vergleichende und gedanklich vermittelte Re-flexion hereingebracht wird, sondern daß sie von vornherein da,daß sie Erlebnis, unausdrückliches, unbegriffenes Erlebnis ist. Mitanderen Worten: was wir phänomenologisch, mit Beziehung aufdie Akte, als Erfüllung charakterisieren, ist mit Beziehung auf diebeiderseitigen Objekte, auf das angeschaute Objekt einerseitsund das gedachte Objekt andererseits, als Identitätserlebnis, Iden-titätsbewußtsein, Akt der Identifizierung auszudrücken; die mehroder minder vollkommene Identität ist das Objektive, das demAkte der Erfüllung entspricht, oder das in ihm „erscheint".Eben darum dürfen wir nicht bloß die Signifikation und Intui-tion, sondern auch die Adäquation, d. i. die Erfüllungseinheit, alseinen Akt bezeichnen, weil sie ein ihr eigentümliches intentio-'n.ales Korrelat hat, ein Gegenständliches, worauf sie „gerichtet"ist. Wieder eine andere Wendung derselben Sachlage ist, nachdem oben Gesagten, in der Rede vom Erkennen ausgedrückt.Der Umstand, daß sich die Bedeu.tun.gsintention in der Weiseder Erfüllung mit der Anschauung einigt, gibt dem in der letz-teren erscheinenden Objekte, wo wir . ihm primär zugewendetsind, den Charakter des Erkannten. Zur genaueren Bezeichnungdes „als was" des Erkanntseins weist die objektive Reflexion stattauf den Akt des Bedeutens, auf die Bedeutung selbst hin (denidentischen „Begriff"), und die Rede vom Erkennen drückt sodie Auffassung derselben Einheitslage vom Standpunkt des An-*schauungsobjekts (bzw. des Objekts des erfüllenden Aktes) und inRelation zum Bedeutungsgehalt des signitiven 4ktes aus. In um-gekehrter Relation sagt man allenfalls auch, obschon zumeist inengerer Sphäre, der Gedanke „begreife" die Sache, er sei ihr

',Begriff". Selbstverständlich kann man nach dieser Darlegung

wie die Erfüllung auch das Erkennen — was ja nur ein anderesWort ist — als einen identifizierenden Akt bezeichnen.

Zusatz. Ich darf nun auch ein Bedenken nicht unterdrücken,

welches sich gegen die sonst so einleuchtende Auffassung der hier

auftretenden Identitäts- oder Erkenntniseinheit als eines Aktes der

Identifikation oder des Erkennens, richtet; und ich darf dieses Be-3*

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36 VI. Elemente einer M.

1 g. Au kliirung der Erkenntnis.

denken um so weniger unterdrücken als es sich im späteren Verlaufe

der Untersuchung und im Fortschritt der uns erwachsenden Auf-

klärungen als ein ernstliches erweisen und zu fruchtbaren Erwägungen

anregen wird. Bei genauerer Analyse fällt es uns nämlich auf, daß

wir doch in den vorliegenden Fällen, wobei sich ein Name in aktueller

Nennung auf ein Objekt der Ansch.auu.ng bezieht, wohl den angeschauten

und in Eins damit genannten Gegenstand meinen, keineswegs aber

die Identität dieses Gegenstandes, als des zugleich angeschautenund genannten, meinen. Sollen wir sagen, es sei die Bevorzugung

der Aufmerksamkeit, die hier entscheide? Oder sollen wir nicht viel-

mehr zugestehen, es sei der Akt der Identifiziening eigentlich noch

nicht voll und ganz konstituiert: das Hauptstück dieses Aktes, das Mo-

ment der verknüpfenden Einigung von Bedeutungsintention und korre-

spondierender Anschauung sei zwar reell vorhanden; aber dieses Einheits-

moment fungiere nicht als „Repräsentant" einer objektivierenden „Auf-

fassung"; die erlebte Deckungseinheit begründe keinen Akt beziehen-

den Identifizierens, kein intentionales Bewußtsein - von Identität,in welchem uns die Identität als gemeinte Einheit allererst gegen-

ständlich werde. In der Rellexion über die ErfüLlungseinheit voll-zögen wir naturgemäß, ja notwendig, mit der Gliederung und Gegen-überstellung der miteinander verknüpften Akte auch jene beziehende_Auffassung, welche die Form ihrer Einheit apriori zulasse. - In derallgemeinsten, auf die kategorialen Aktcharaktere überhaupt bezogenen

Gestalt wird uns diese Frage im zweiten Abschnitt beschäftigen. 1 Vor-läufig fahren wir fort, den bezeichneten Einheitscharakter wie einen

vollen Akt zu behandeln, oder ihn von dem vollen Akt nicht aus-

drücklich abzuscheiden. Das Wesentliche unserer Betrachtungen wirdhierdurch insofern nicht betroffen, als der Übergang vom Einheits-

erlebnis zur beziehenden Identifizierung jederzeit offen steht, da

seine apriorische Möglichkeit gewährleistet ist, so daß wir

mit Recht sagen dürfen: identifizierende Deckung sei erlebt, mag

auch die bewußte Intention auf Identität, das beziehende Iden-tifizieren unterblieben sein.

1 Vgl. Kap. 6, § 48 und das ganze Kap. 7,

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Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. 37

§ 9. Der verschiedene Charakter der Intention in und außerhalb

der Erfüllungseinheit.

Die Heranziehung der dynamischen, sich in Form eines ge-gliederten Prozesses abspielenden Erfüllung zum Zwecke derInterpretation des statischen Erkenntnisaktes behebt auch eineSchwierigkeit, welche die klare Erfassung des Verhältnisseszwischen der Bedeutungsintention und dem vollen Erkenntnisaktzu beirren droht. Dürfen wir wirklich behaupten, daß in derEinheit der Erkenntnis sich viererlei unterscheiden lasse, der ver-bale Ausdruck, der Akt des Bedeutens , der des Anschauens und,-endlich der übergreifende Einheitscharakter des Erkennens, bzw.der Erfüllung? Man könnte einwenden, was die 'Analyse wirklichvorfinde, das sei einerseits der sprachliche Ausdruck, speziellder Name, andererseits die Anschauung, und beide geeinigt durchden Charakter des erkennenden Nennens. Daß aber mit demsprachlichen Ausdruck noch ein Akt des B e deut ens verknüpftsei, als etwas vom Erkenntnischarakter und der erfüllenden An-schauung Unterscheidbares und mit dem Verständnischarakterdesselben Ausdrucksaußerhalb seiner Erkenntnisfunktion Identi-fizierbaies, das müsse geleugnet werden; zum mindesten sei eseine überflüssige Annahme.

Dieser Zweifel richtet sich also gegen die leitende Auffassung,die sich uns in § 4, noch vor der Analyse der Erkenntniseinheit,als die verständlichste dargeboten hatte. Was wir uns bei derErwägung zu vergegenwärtigen haben, ist folgendes:

Fürs Erste zeigt die Vergleichung des in der Erkenntnis-funktion und des außerhalb derselben stehenden Ausdrucks, daßdie Bedeutung beiderseits wirklich dieselbe sei. Ob ich das WortBaum bloß symbolisch verstehe, oder ob ich es auf Grund derAnschauung eines Baumes gebrauche, beide Male meine ichevidentermaßen mit dem Worte etwas und beide Male dasselbe.

Fürs Zweite isf es evident, daß es im Prozeß der Er-füllung die Bedeutungsintention des Ausdrucks ist, die sich „er-füllt" und dabei mit der 'Anschauung zur „Deckung" kommt,

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88 Tri. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

und daß somit die Erkenntnis als das Ergebnis des Deckungs-prozesses diese Deckungseinheit selbst ist. Es liegt aber schonim Begriff einer Deckungseinheit, daß es sich hier nicht umeine auseinandertretende Zweiheit handelt, sondern um eine insich ungeschiedene Einheit, die sich erst durch Verschiebung inder Zeit gliedert. Also werden wir sagen müssen: der gleicheAkt der Bedeutungsintention, der das leere symbolische Vmtellenausmachte, wohnt auch dem komplexen Erkenntnisakte ein; aberdie Bedeutungsintention, die früher eine „freie" war, ist imStadium der Deckung „gebunden", zur „Indifferenz" gebracht.Sie ist dieser Komplexion so eigentümlich eingewoben oder ein-geschmolzen, daß ihr bedeutungsmäßiges Wesen darunter zwarnicht leidet, aber ihr Charakter in gewisser Weise doch eineModifikation erfährt.

Ähnliches gilt ja allgemein, wo immer wir Inhalte einmalfür sich und das andere Mal in Verknüpfung mit anderen, alseingewobene Teile von Ganzen betrachten. Die Verknüpfungwürde nichts verknüpfen, wenn die verknüpften Inhalte durch sienichts erfahren würden. Es ergeben sich notwendig gewisseÄnderungen, und natürlich sind es diejenigen, welche als Ver-knüpfun.gsbestimmtheiten die phänomenologischen Korrelate derrelativen gegenständlichen Beschaffenheiten ausmachen. Mandenke sich eine Linienstrecke für sich, etwa auf einem leerenweißen Hintergrunde, und dann dieselbe Strecke als Bestandstückeiner Figur. Im letzteren Falle stößt sie mit anderen Linien zu-sammen, sie wird von ihnen berührt, geschnitten usw. Dassind, wenn wir uns, von, den mathematischen Idealen absehend,an die Strecken der empirischen Anschauung halten, phänomeno-logische Charaktere, die den Eindruck der Streckenerscheinungmitbestimmen. Dieselbe Strecke (nämlich nach ihrem innerenGehalt dieselbe) erscheint uns immer wieder ander, je nachdemsie in den oder jenen phänomenalen Zusammenhang eintritt; undfügen wir sie einer qualitativ mit ihr identischen Linie oder Flächeein, so geht sie sogar in diesen Hintergrund „ unterschiedslos"ein, sie verliert die phänomenale Sonderung und Eigengeltung.

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Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. 39

§ 10. Die umfassendere Klasse der Erfüllungserlebnisse.

Anschauungen als erfüllungsbedürftige Intentionen.

Zur weiteren Charakteristik des Erfüllungsbewußtseins seidarauf hingewiesen, daß es sich dabei um. einen Erlebnischarakterhandelt, der auch sonst in unserem Seelenleben eine große Rollespielt Wir brauchen bloß an die Gegensätze von Wunschintentionund Wunscherfüllung, Willensintention und 'Willenserfüllung zuerinnern, oder an die Erfüllung von Hoffnungen oder Befürchtungen,an 'die Lösung von Zweifeln, an die Bestätigung von Ver-mutungen u. dgl., so wird es alsbald klar, daß innerhalb ver-schiedener Klassen von intentionalen Erlebnissen im Wesen der-selbe Gegensatz zutage tritt, der uns hier speziell als derGegensatz zwischen Bedeutungsintention. und Bedeutungserfüllungentgegentrat. Wir haben - diesen Punkt schon früherl berührtund unter dem prägnanteren Titel Intentionen eine Klasse vonintentionalen Erlebnissen abgegrenzt, welche durch die Eigen-tümlichkeit charakterisiert sind, Erfüllungsverhältnisse fundierenzu können- In diese Klasse ordnen sich alle zur engeren oderweiteren Sphäre des Logischen gehörigen Akte ein, darunter auchdie Akte, die in der Erkenntnis zur Erfüllung anderer Intentionenberufen sind, die Anschauungen.

Wenn z. B. der Anfang einer bekannten Melodie ertönt, soerregt er bestimmte Intentionen, die in der schrittweisen Aus-gestaltung der Melodie ihre Erfüllung finden. Ähnliches findetauch dann statt, wenn uns die Melodie fremd ist Die im Me-lodischen obwaltenden Gesetzmäßigkeiten bedingen Intentionen,die zwar der vollen gegenständlichen Bestimmtheit ermangeln,aber doch auch Erfüllun.gen finden oder finden können. Natürlichsind diese Intentionen selbst als konkrete Erlebnisse vollbestimm4die "Unbestimmtheit" hinsichtlich dessen, was sie intendieren, istoffenbar eine deskriptive Eigentümlichkeit, die zum Charakter derIntention gehört, so daß wir, ganz so wie wir .es in analogen

1 Vgl. § 13 der vorigen Untersuchung, S. 379.

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40 VI Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der

Fällen früher getan haben, paradox und doch richtig sagenkönnen, die „Unbestimmtheit" (d. i. die Eigenheit, eine nicht voll-bestimmte Ergänzung, sondern nur eine solche aus einer gesetz-lich umschriebenen Sphäre zu fordern) sei eine Bestimmtheit dieserIntention. Und ihr entspricht dann nicht nur eine gewisse Weitemöglicher Erfüllung, sondern für jede aktuelle Erfüllung aus dieserWeite ein Gemeinsames im Erfüllungscharakter. Es ist phäno-menologisch etwas anderes, ob sich Akte mit bestimmter oderunbestimmter Intention erfüllen, und in letzter Hinsicht wieder,ob sich Intentionen erfüllen, deren Unbestimmtheit auf diese oderjene Richtung möglicher Erfüllung hinweist.

In dem vorliegenden .Beispiel haben wir es zugleich miteinem Verhältnis von Erwartung und Erfüllung der Er-wartung zu tun. Es wäre aber offenbar unrichtig, nun auchumgekehrt jedes Verhältnis einer Intention zu ihrer Erfüllung alsErwartungsverhältnis zu deuten. Intention ist nicht Er-w artung, es ist ihr nicht wesentlich, auf ein künftiges Eintretengerichtet zu sein. Wenn ich ein unvollständiges Muster sehe,z. B. das dieses Teppichs, der durch Möbelstücke teilweise ver-deckt ist, so ist gleichsam das gesehene Stück mit Intentionenbehaftet, die auf Ergänzungen hinweisen (wir fühlen sozusagen,-daß die Linien und Farbengestalten im „Sinne" des Gesehenen fort-gehen); aber wir erwarten nichts. Wir würden erwarten könnenwenn Bewegung uns weiteres Sehen verhieße. Aber möglicheErwartungen oder Anlässe möglicher Erwartungen sind ja nichtselbst Erwartungen.

Eine Unendlichkeit von hierhergehörigen. Beispielen liefern über-haupt die äußeren Wahrnehmungen. Die jeweils in die Wahr-nehmung fallenden Bestimmtheiten weisen auf die ergänzenden, inneuen möglichen Wahrnehmungen selbst in die Erscheinung tre-tenden Bestimmtheiten hin, und dies, je nach dem Maße unserer„Erfahrungskenntnis" des Gegenstandes, bald in bestimmter, baldin graduell unbestimmter Weise. Genauere Analyse zeigt, daßsich jede Wahrnehmung und jeder Wahrnehmungszusammenhangaus Komponenten aufbaut die unter diesen beiden Gesichtspunkten

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Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. 41

Intention und (wirkliche oder mögliche) Erfüllung zu verstehensind; eine Sachlage, die sich auf parallele Akte der Phantasie,der Bildlichkeit überhaupt, ohne Weiteres überträgt Normaler-weise haben hier überall die Intentionen nicht den Charakter vonErwartungen, sie haben ihn nicht in jedem Falle ruhender Wahr-nehmung oder Bildlichkeit, sie gewinnen ihn erst, wo die' Wahr-nehmung in Fluß kommt und sich in eine kontinuierliche Serievon Wahrnehmungen aus der zu dem einen und selben Gegen-stand gehörigen Wahrnehmungsmannigfaltigkeit ausbreitet. Ob-jektiv gesprochen: der Gegenstand zeigt sich von verschiedenenSeiten; was von der einen Seite gesehen nur bildliche Andeutungwar, kommt von der anderen zu bestätigender und voll zu-reichender Wahrnehmung; oder was auf jener nur indirekt durchAngrenzung mitgemeint, nur vorgedeutet war, kommt auf diesermindestens zu bildlicher Andeutung, es erscheint perspektivisch ver-kürzt und abgeschattet, um erst von einer neuen Seite „ganz sowie es ist" zu erscheinen. Nach unserer Auffassung ist jedeWahrnehmung und Imagination ein Gewebe von Partialintentionen,verschmolzen zur Einheit einer Gesamtintention. Das Korrelatdieser letzteren ist das Ding, während die Korrelate jener Partial-intentionen dingliche Teile und Momente sind. Nur so istes zu verstehen, wie das Bewußtsein über das wahrhaft Erlebtehinausreichen kann. Es kann sozusagen hinausmeinen, und dieMeinung kann sich erfüllen.

§ 11- Enttäuschung und Widerstreit. Synthesisder Unterscheidung.

In der weiteren Sphäre der Akte, welche überhaupt Unter-schiede der Intention und Erfüllung zulassen, reiht sich der Er-füllung, als ihr ausschließender Gegensatz, die Enttäuschungan. Der zumeist negative Ausdruck, der hierbei zu dienen pflegt,wie z. B. auch der Ausdruck Nichterfüllung, meint keine bloßePrivation der Erfüllung, sondern ein neues deskriptives Faktum,eine so eigenartige Form der Synthesis, wie die Erfüllung. Diesgilt überall, also auch in der engeren Sphäre der Bedeutungs-

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49 VI. Elemente einer Aänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

intention.en in ihrem Verhältnis zu intuitiven Intentionen. Die Syn-thesis der Erkenntnis war Bewußtsein einer gewissen „Überein-stimmung". Der Übereinstimmung entspricht aber als korrelate Mög-lichkeit die „Nichtübereinstimmung", der „Widerstreit". DieAnschauung „stimmt" zur Bedeutungsintention nicht, sie „streitet"mit ihr. Widerstreit „trennt", aber das Erlebnis des Widerstreitessetzt in Beziehung und Einheit, es ist eine Form der Synthesis.War die frühere Synthesis von der Art der Identifizierung, so istdie - jetzige von der Art der Unterscheidung (über einen anderenpositiven Namen verfügen wir hier leider nicht). — Diese „Unter-scheidung" darf nicht verwechselt werden mit derjenigen, welcher.die Vergleichung gegenübersteht. Die Gegensätze zwischen „Identi-fizierung und Unterscheidung" und „Vergleichung und Unterschei-dung" sind nicht einerlei. Daß übrigens eine nahe phänomeno-logische Verwandtschaft die Verwendung der gleichen Ausdrückeerklärt, ist offensichtlich. — In der hier fraglichen „Unterscheidung"erscheint der Gegenstand des enttäuschenden Aktes als „nicht-derselbe", als „anders" wie der Gegenstand des intendierendenAktes. Diese Ausdrücke weisen jedoch auf allgemeinere Sphärenvon Fällen hin, als welche wir bislang bevorzugt haben. Nichtbloß die signifikativen, sondern auch die anschaulichen Intentionenerfüllen sich in der Weise der Identifikation und enttäuschen sichin der Weise des Widerstreits. Die Frage nach der natürlichenUmgrenzung der Gesamtklasse von Akten, zu welcher das der-selbe und das anders (wir können gleich auch sagen; das istund ist nicht) gehört, werden wir baldi einer genaueren Erwägungunterziehen.

Völlig gleichgeordnet sind die beiden Synthesen allerdingsnicht. Jeder Widerstreit setzt etwas voraus, was der Intentionüberhaupt die Richtung auf den Gegenstand des widerstreitenden.Aktes gibt, und diese Richtung kann ihr letztlich nur eine Er-füllungssynthesis geben. Der Streit setzt gleichsam einen gewissenBoden der Übereinstimmung voraus. Meine ich A sei rot

1 Vgl. § 14, S. 4911.-

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Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. 43

während es sich in „Wahrheit" als grün herausstellt, so streitetin diesem sich Herausstellen, d. 13. in der Anmessung an dieAnschauung, die Rotintention mit der Grünanschauung. Es istaber unverkennbar, daß ‚dergleichen nur möglich ist auf demGrunde der Identifikation des A in den Akten der Signifikationund Intuition. Nur so kann die Intention an diese Anschauungüberhaupt heran. Die Gesamtintention geht auf ein rotseiendesA, und die Anschauung zeigt ein grünseiendes A. Indem sichBedeutung und Anschauung hinsichtlich der Richtung auf das-selbe A decken, treten allererst die beiderseits einheitlich mitge-gebenen inten.tionalen. Momente in Widerstreit, das vermeinte Rot(das vermeint ist als Rot des A) stimmt nicht zu dem erschautenGrün. Durch die Identitätsbeziehung entsprechen sich erst dienicht zur Deckung gekommenen Momente; statt sich durch Er-füllung zu „verknüpfen", „trennen" sie sich vielmehr durch Wider-streit, die Intention wird auf das ihm nun zugeordnete der An-schauung hingewiesen, wird von diesem jedoch abgewiesen.

Was wir hier in spezieller Beziehung auf die Bedeutungs-intentionen und die ihnen widerfahrenden Enttäuschungen aus-geführt, haben gilt offenbar für die ganze, vorhin angedeutete Klassevon objektivierenden Intentionen. Allgemein werden wir danachs'agen dürfen: Eine Intention enttäuscht sich in der Weisedes Widerstreites -nur dadurch, daß. ,sie ein Teil einerumfassenderen Intention ist, deren ergänzender Teilsich erfüllt. Bei einfachen, bzw. vereinzelten Akten ist alsovon Widerstreit keine mögliche Rede.

§ 12. Totale und partiale Identifizierung und Unterscheidungals die gemeinsamen phänomenologischen Fundamente der prädikativen

und determinativen Ausdrucksform.

Das bisher betrachtete Verhältnis zwischen Intention (speziellBedeutungsintention) und Erfüllung war das der totalen Über-einstimmung. Darin liegt eine Beschränkung, die sich vonselbst daraus ergab, daß wir, um möglichste Einfachheit zu er-zielen, von aller Form, und zumal von der im Wörtchen ist sich

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44 VI. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

ankündigenden, abstrahierte; und in der Beziehung des Ausdrucksauf die äußere oder innere Anschauung jene Ausdrucksteile alleinberücksichtigten, die sich dem Angeschauten als wie ein Kleid an-paßten. Durch die Heranziehung der zum Falle totaler Über-einstimmung entgegengesetzten Möglichkeit des Widerstreits —den wir demnach (obschon nicht ganz unmißverständlich) alstotalen Widerstreit bezeichnen könnten — werden wir zugleichauf neue Möglichkeiten aufmerksam, nämlich auf die wichtigen.Fälle partialer Übereinstimmung und Nichtübereinstim-mun.g zwischen der Intention und dem sie erfüllenden bzw. ent-täuschenden Akte.

Ihre nähere Betrachtung halten m.n. von vornherein so allge-mein, daß die Gültigkeit aller wesentlichen Feststellungen für dieIntentionen des oben angezeigten weiteren Kreises, also nicht bloßfür Bedeutungsintentionen von selbst, einleuchtet.

Aller Widerstreit führte darauf zurück, daß die vorgegebenesich enttäuschende Intention ein Teil einer umfassenden Inten-tion war, welche sich partiell, d. i. nach den ergänzenden Teilenerfüllte und zugleich nach jenem ersteren Teil entfremdete. Beijedem Widerstreit liegt also in gewisser Weise auch partielleiibereinstimmulg und partieller Widerstreit vor. Auf diese Mölighkeiten hätte uns übrigens auch der Hinblick auf die gegen-ständlichen Beziehungen führen müssen; denn wo von Deckungdie Rede ist, da bieten sich von selbst als kon-elate Möglichkeitendie der Exklusion, Inklusion und Kreuzung dar.

Bleiben wir zunächst bei dem Fall des Widerstreites stehenso gibt er zu folgender ergänzenden Überlegung- Anlaß.

Wenn ein e sich in einem 75' dadurch enttäuscht, daß e' mitanderen Intentionen 27, t . . verwob en ist, welche sich erfüllen,so brauchen diese letzteren mit .0- nicht so geeinigt zu sein, daßdas Ganze (3; 27, .) die Auszeichnung eines für sich heraus-gestellten Gesamtaktes habe, eines Aktes, „in dem wir leben",auf dessen einheitlichen Gegenstand wir „achten". Im Gewebeder intentionalen Erlebnisse unseres Bewußtseins gibt es viele

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Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. 45

Möglichkeiten der pointierenden Aussonderung von Akten und Akt-komplexionen, aber sie bleiben im, allgemeinen un.realisiert. Undnur solch pointierte Einheiten kommen in Betracht, wo wir voneinzelnen Akten und ihren Synthesen sprechen. Der Fall dertotalen und reinen Enttäuschung besteht nun darin,, daß dasbloße e., nicht aber 0 *, für, sich hervortritt oder mindestens primärhervortritt, und daß ein p ointiertesWiderstreitsb ewuß tsein ausschließ-lich. zwischen e. und.79. die Einheit herstellt; mit anderen Worten,das Interesse ist speziell auf die Beziehung der den es und 79:entsprechenden Objekte gerichtet. So wenn eine Grün-Intentionin einem angeschauten Rot sich enttäuscht, und dabei nur aufdas Grün und Rot geachtet ist. Kommt die widerstreitende An-sChauung des Rot irgendwie zum Ausdruck, nämlich durch eineWortintention, die sich in ihr erfüllt, und kommt ebenso die Ent-täuschung als solche zum Ausdruck, so hätten wir etwa: dies [diesRot] ist nicht grün. [Selbstverständlich bedeutet dieser Satz abernicht dasselbe, wie der uns eben im Gedanken liegende Satz:

„Die Wortintention Grün enttäuscht sich in der Anschauung des.

Bot." Denn der neue Ausdruck macht ja das uns hier inter-essierende Verhältnis der Akte geg en.ständlich und schmiegtsich diesem mit seinen neuen Bedeutungsintentionen in totalerErfüllung an.]

Es kann andererseits aber auch sein, daß ein 0 (5; 27, ..)als Ganzes in die Synthesis eintritt, und zwar so, daß es hierbeientweder mit einem korrelaten Ganzen 0 (79 7, 77, t .-.) oder mitdem bloßen, vereinzelten Teil 79. aus demselben in spezielle Be-ziehung tritt. Im erstgenannten Falle besteht den verwobenenElementen nach zum Teil Deckung (hinsichtlic"h der 77, undzum Teil totaler Streit (8-5). Die ganze Synthesis hat hierden Charakter eines totalen Widerstreites, aber nicht den einesreinen, sondern vermischten Widerstreites. Im anderen Fallehebt sich das bloße 79. als korrelater Akt heraus, eventuell auchdadurch, daß im gemischten Widerstreite sich die Einheit des0 (79".; 77, t .) auflöst; die, spezielle Synthesis des Widerstreitesverknüpft nun als Glieder: 0 (0', 27, t . .) und 79.- ; bei passendem

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46 YI Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

Ausdruck etwa: dies [das ganze Objekt, das rote Ziegeldach]ist nicht grün. Dieses wichtige Verhältnis können wir das derAusscheidung nennen. Offenbar bleibt der hauptsächlicheCharakter desselben bestehen, wenn und 79: selbst komplexwären; so daß wir zwischen reiner und vermischter Aus-scheidung differenziieren. könnten. Im Rohen :mag die letzteredurch das Beispiel dies [das rote Ziegeldach] ist kein grünesZiegeldach illustriert werden.

Betrachten wir nun noch den Fall der Inklusion. EineIntention kann sich in ineni Akte erfüllen, der mehr enthält.,als zu ihrer Erfüllung vonnöten ist, sofern er einen Gegen-stand vorstellt, der ihren Gegenstand mitenthält, sei es als Teilim gemeinen Sinne, sei es als ihm zugehöriges, explizite oderimplizite raitgemeintes Moment. Selbstverständlich sehen wirwieder von den Akten ab, in welchen sich eine umfassendere)Gegenständlichkeit in der Weise des gegenständlichen Hintergrun-des konstituiert, Akten, die sich nicht einheitlich abgrenzen und.nicht als Träger der Aufmerksamkeit bevorzugt sind. Anderen-falls kämen wir wieder auf die Synthesis der totalen Deckungzurück. Es sei also z. B. die Vorstellung eines roten Ziegel-daches gegeben, und in ihr erfülle sich die Bedeutungsinten.tiondes Wortes Rot. Die Wortbedeutung erfüllt sich hierbei indeckender Weise mit dem angeschauten Rot; aber in eine syn-thetische Einheit eigentümlicher Art tritt darum doch die Ge-samtanschauung des roten Ziegeldaches, in ihrer durch dieFunktion der Aufmerksamkeit sich scharf vom Hintergrunde ab-hebenden Einheit, mit der Bedeutungsintention Rot: [dies]ist rot. Wir sprechen hier von dem Verhältnis der „Einord-nung", die ihren Gegensatz in der obigen Ausscheidung besitzt.Die Einordnung kann offenbar nur eine reine sein.

Der Akt der einordnenden Synthesis, und zwar als der denintendierenden und erfüllenden Akt in Eins setzende Gesamtakt,hat sein gegenständliches Korrelat in dem Verhältnis partiellerIdentität der entsprechenden Gegenstände. Darauf weistauch die Rede von der Einordnung hin, welche das Erfassen des

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Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. 47

Verhältnisses unter dem Bilde der Tätigkeit ausdrückt: der Teilwird dem Ganzen eingeordnet. Offenbar ist dasselbe objektiveVerhältnis je nach dem Standpunkt der Auffassung (dies weistnatürlich auf u.n.berücksichtigte und sich in der Ausdrucksformmitbekundende phänomenologische Unterschiede hin) auch durchdie Ausdrücke bezeichnet: Og hat 3 , bzw. e g kommt dem Og zu.der Index g mag darin aufmerksam machen, • daß es die inten-tionalen Gegenstände der angezeigten Akte sind, welche in dieseVerhältnisse eintreten; wir betonen die in.tentionalen Gegen-stände, nämlich die Gegenstände, so wie sie in dienen Aktengemeint sind.

Die Übertragung des eben Ausgeführten auf den Fall derAusscheidung und auf die Ausdrücke hat nicht, kommt nicht zu,ergibt sich von selbst.

Zum bloßen ist gehört überall die objektive Identität über-haupt, zum ist nicht die Nichtiden.tität (der Widerstreit). Daß essich spezieller um ein Verhältnis der Einordnung oder Aus-scheidung handelt, bedarf anderer Ausdrucksmittel, wie z. B. deradjektivischen Form, die das Gehabte, das Zukommendeals solches kennzeichnet, ebenso wie die substantivischeForm das Korrelativum, das Hab en *de als solches, d.i. in derFunktion das „Subjekt" einer Identifizierung zu bilden, ausprägt.In der attributiven, oder allgemeiner, dete' rminativen. Ausdrucks'-form (auch volle Identität kann determinieren) steckt das Sein inder adjektivischen Flexion, wofern es nicht im Relativsatz expliziteund gesondert ausgedrückt oder im Gegenteil nicht ganz unter-sirückt ist (dieser Philosoph Sokrates). Ob der allzeit mittelbareAusdruck der Nicht-Identität, sowohl in Prädikation und Attri-bution, als auch in den substantivischen Formen (Nicht-Identität,Nicht-Übereinstimmung) eine notwendige Beziehung der aktuellen.„Negation" auf eine, wenn auch nicht aktuelle, so doch modifi-zierte Affirmation ausdrückt, führt auf Diskussionen, in welchewir hier noch nicht eintreten wollen.

In der normalen Aussage ist also Identität oder Nichtidentitätausgesagt und im Falle der Beziehung auf „entsprechende An-

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48 n Elemente tiner phänomenelog. Aufklärung der Erkenntnis._

schaumig" ausgedrückt, d. h. die Intention auf Identität oderNichtidentität erfüllt sich in der vollzogenen Identifizierungoder Scheidung. Das Ziegeldach, heißt es im obigen Beispiel,falls die bloß e Intention vorherging, ist wirklich rot. Die Prä-dikatintention paßt zu dem (z. B. in der Weise „dieses Ziegel-

dach" vorgestellten und angeschauten) Subjekt. Im entgegen-gesetzten Falle hieße es: „in Wirklichkeit" ist es nicht rot;das Prädikat kommt dem Subjekt nicht zu.

Wenn aber die Bedeutung des ist nun auf Grund eineraktuellen Identifizierung (die selbst oft den Charakter einer Er-füllung hat) seine Erfüllung findet, se ist zugleich klar, daß wirdamit über die Sphäre hinausgeführt werden, welche wir, ohneuns über ihre Grenze recht klar zu werden, bisher immer imAuge hatten, nämlich über die Sphäre der Ausdrücke, die sichwirklich durch korrespondierende Anschauung zu erfüllen ver-mögen. Oder, vielmehr wir werden darauf aufmerksam, daß dieA nschauung im gewöhnlichen, von uns als selbstverständlich zu-grunde gelegten Sinne der äußeren oder inneren „Sinnlichkeitnicht die einzige Funktion ist, die auf den Titel Anschauungauf die Befähigung zu echter Erfüllungsleistung Anspruch erhebendarf. Wir sparen uns die nähere Erforschung des hier zutagetretenden Unterschiedes für den zweiten Abschnitt dieser Unter-suchung auf.

Schließlich sei noch ausdrücklich bemerkt, daß mit demoben Ausgeführten keine vollständige Urteilsanalyse, sondern nurein Bruchstück einer solchen vollzogen ist. Auf die Qualität dessynthetischen Aktes, auf die Unterschiede zwischen Attributionund Prädikation u. dgl. ist ja gar keine Rücksicht genommen worden.

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Indirekte Charakteristik der objektivierenden Intentionen usw. 49

Zweites Kapitel.

Indirekte Charakteristik der objektivierenden Intentionenund ihrer wesentlichen Abarten durch die Unterschiede der

Erfüllungssynthesen.§ 13, Die Synthesis des Erkennens als die für die objektivierendenAkte charakteristische Form der Erfüllung. Subsumption der' Bedeutungs-

akte unter die Klasse der objektivierenden Akte.

Die Bedeut'ungsintentionen haben wir obenl dem weiterenKreise der „In.tentionen" in dem prägnanten Wortsinn eingeordnet.Allen Intentionen entsprechen der Möglichkeit nach Erfüllungen(bzw. ihre negativen Gegenstücke: Enttäuschungen), eigenartigeÜbergangserlebnisse, welche selbst als Akte charakterisiert sind,und welche den jeweils intendierenden Akt in einem korrelativenAkt gleichsam sein Ziel ei-reichen lassen. Der letztere, soferner die Intention erfüllt, heißt der erfüllende Akt, aber er heißtso nur vermöge des synthetischen Aktes der Erfüllung, in demSinne des sich Erfüllens. Dieses Übergangserlebnis hatnicht überall denselben Charakter. Bei den signilikativen'undnicht minder offenbar bei den intuitiven Intentionen hat es denCharakter der Erkenntniseinheit, die in Ansehung der GegenständeEinheit der Identifizierung ist. Dies gilt aber nicht im weiterenKreise der Intentionen überhaupt. Zwar von einer Deckung könnenwir überall sprechen, und überall werden wir sogar eine Identifi-zierung vorfinden. Aber diese entspringt oft nur vermöge ein-gewobener Akte aus derjenigen Gruppe, welche eineIdentifizierungs-einheit zulassen und in diesen Zusammenhängen eine solche auchfundieren.

Ein Beispiel wird die Sachlage sogleich verdeutlichen. Dassich Erfüllen eines Wunsches vollzieht sich in einem Akte, dereine Identifizierung, und zwar als notwendiges Bestandstück, ein-

schließt. Denn. es besteht »die Gesetzmäßigkeit, daß die Wunsch-

qualität in einer Vorstellung, d. h. in einem objektivierenden Akte

1 Vgl. § 11, S. 39.Husserl, Log. Unters. 4

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50 V./. Elemente einer phänoinenolog. Aufklärung der Erkenntnis. •■■•■■•■••••■•

und des näheren in einer bloßen Vorstellung fundiert(' ist;und dazu besteht die ergänzende Gesetzmäßigkeit, daß auchdie Wunscherfüllung fundiert ist, nämlich in einem Akte, der diefundierende Vorstellung identifizierend einspannt: die Wunschinten-tion kann nur dadurch ihre erfüllende Befriedigung finden, daßdie ihr zugrunde liegende bloße Vorstellung des Gewünschtensich in die konforme Fürwahrnehmung verwandelt. Was' vorliegt,ist aber nicht die bloße Wandlung, also die bloße Tatsache, daßdie Einbildung durch die Fürwahrnehmung abgelöst wird, sondernbeide sind eins im Charakter der identifizierenden Deckung. Indiesem synthetischen Charakter konstituiert sich das es ist wirklichund wahrhaft so [sc. wie wir es vordem bloß vorgestellt undgewünscht hatten]; was freilich nicht ausschließt, daß diesesWirklichsein nur ein vermeintliches, zumal es in den meistenFällen ein inadäquat Vorstelliges ist. Ist der Wunsch in einerrein signitiven. Vorstellung fundiert, so kann die Identifizierungnatürlich auch den Charakter jener spezielleren, die Signifikationdurch eine konforme Intuition erfüllenden Deckung besitzen, diewir oben beschrieben haben. — Ähnliches wäre offenbar für jederleiIntentionen auszuführen, die in Vorstellungen (als objektivierendenAkten) ihre Grundlage haben; und zugleich ist das, was von derErfüllung gilt, mutatis pzutandis auf den Fall der Enttäuschungzu übertragen.

Dies vorausgeschickt, ist es nun klar, daß, wenn die Wunsch-erfüllung, um bei diesem Beispiel zu bleiben, auch in einer Iden-tifizierung und eventuell in einem Akt des intuitiven Erkennensfundiert ist, dieser Akt die Wunscherfüllung nicht erschöpft, son-dern eben nur fundiert. Das sich Befriedigen der spezifischenWunschqualität ist ein eigener und andersartiger Aktcharakter.Es ist nur Gleichnis, wenn wir auch außerhalb der Sphäre derGemütsintentionen von Befriedigung ja auch schon von Er-füllung zu sprechen lieben.

Also mit dem besonderen Charakter der Intention hängt derbesondere der erfüllenden Deckung zusammen. Nicht nur, daßjeder Abschattung der Intention eine ebensolche der

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Indirekte Charakteristik der objektivierenden Intentionen usw. 51

korrelaten. Erfüllung und zugleich des sich Erfüllens imSinne des synthetischen Aktes entspricht; sondern es entsprechenauch den wesentlich unterschiedenen Klassen von In-tentionen durchgreifende Klassenunterschiede der Er-füllung in dem erwähnten doppelten Sinne. - Offenbar gehörenin diesen parallelen Reihen die zugehörigen Gliederimmer in Eine Aktklasse. Die Erfüllungssynthesen bei denWunsch- und Willensintentionen sind sicherlich nahe verwandt undz. B. von den in den Bedeutungsintention.en auftretenden scharfunterschieden. Sicherlich sind andererseits die Erfüllungen vonBedeutungsintentionen und von intuitiven Akten von demselbenCharakter, und so überhaupt für all die Akte, welche wir unterdem Titel der objektivierenden befassen. Für ,diese uns hierallein interessierende Klasse können wir sagen, daß ihre Er-füllungseinheit den Charakter der Identifizierungsein-heit, und eventuell den engeren der Erkenntniseinheit hat,somit den eines Aktes, welchem gegenständliche identität als in.-tentionales Korrelat entspricht.

Wir müssen hier folgendes beachten: Es wurde oben nach-gewiesen, daß jede Erfüllung einer signitiven Intention durcheine intuitive, den Charakter einer Synthesis der Identifizieru.nghat. Aber nicht vollzieht sich umgekehrt in jeder Synthesis derIdentifizierung die Erfüllung gerade einer Bedeutungsintention,und die Erfüllung gerade durch eine korrespondierende Anschau-ung. Und noch mehr: Wir werden kaum geneigt sein, bei jederIdentifizierung auch schon von der Erfüllung einer Intentionzu. sprechen und demgemäß von einer Erkennung. Im weitesten.Sinne freilich heißt in der gewöhnlichen Rede jedes aktuelle Iden-tifizieren ein Erkennen. Im engeren aber handelt es sich, wirfühlen dies klar, um eine Annäherung an ein Erkenntnisziel, imengsten Sinn der Erkenntniskritik sogar um die Erreichung diesesErkenntniszieles selbst Das bloße Gefühl in deutliche Einsicht zuverwandeln und den Sinn dieser Annäherung, bzw. Erreichung,genau zu umgrenzen, wird noch unsere Aufgabe sein. Vorläufighalten wir nur fest, daß die Einheit der Identifizierung und

4*

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52 VI Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

damit zugleich alle Erkenntniseinheit im engeren und engstenSinne. ihre Urspru.ngstätte in der Sphäre derobjekti-vierenden Akte hat.

Die Eigenartigkeit der Erfüllung kann dazu dienen die ein-heitliche Klasse von Akten, in die sie wesentlich gehört, zucharakterisieren. Demnach könnten wir die objektivierenden Aktegeradezu als diejenigen definieren, deren Erfüllungssynthesis denCharakter der Identifikation, deren Enttäuschungssynthesis alsoden der Unterscheidung hat; oder auch als diejenigen Akte, welchephänomenologisch als Glieder einer möglichen Synthesis der Iden-tifikation oder Unterscheidung fungieren können; oder endlich,unter Vorwegnahme einer noch zu formulierenden Gesetzmäßig-keit, als diejenigen Akte, welche, sei es als intendierende odererfüllende, bzw. enttäuschende Akte, in einer möglichen Erkennt-nisfunktion stehen können. Zu dieser Klasse gehören danndie synthetischen Akte der Identifikation und Unter-scheidung selbst; sie sind ja selbst entweder ein bloßes Ver-meinen, Identität oder Nichtidentität zu erfassen, oder das ent-sprechende wirkliche Erfassen des einen oder anderen. JenesVermeinen kann sich in einer Erkenntnis (im prägnanten Sinn)„bestätigen" oder „widerlegen"; und im ersten Fall ist Identität,bzw. Nichtidentität, wirklich erfaßt, d. i. „adäquat wahrgenommen",

Die soeben mehr angedeuteten als durchgeführten Analysenleiten also zu dem Ergebnis, daß die Akte der Bedeutungs-intention so gut wie die der Bedeutungserfüllung, dieAkte des „Denkens" so gut wie die des Anschauens, zu einereinzigen Klasse von Akten gehören, zu den objektivie-renden. Damit ist festgestellt, daß andersartige Akte nie-mals in der Weise sinngebender fungieren und nur dadurch

',zum Ausdruck kommen" können daß die den Worten anhaftenden

signifikativen. Intentionen ihre Erfüllung finden mittelst Wahrneh-mungen oder Einbildungen, welche auf die auszudrückenden. Akteals Gegenstände gerichtet sind. Während also in den Fällen.,wo Akte in Bedeutungsfunktion stehen und in diesem Sinn Aus-.druck finden sich .in eben diesen Akten die signitive oder intui-

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Indirekte Charakteristik der objektivierenden Intentionen, usw. 53

tive Beziehung auf irgendwelche Gegenstände konstituiert, sind inden anderen Fällen die Akte bloße Gegenstände, und diesnatürlich hinsichtlich anderer, hierbei als eigentliche Bedeutungs-träger fungierender Akte.

Doch ehe wir auf die genauere Erörterung dieser Sachlage,zumal auf die Widerlegung der an sich recht scheinbaren Gegen-argumente eingehen', müssen wir den merkwürdigen Tatsachender Erfüllung, und zwar in der Sphäre der objektivierenden Akteetwas sorgsamer nachforschen.

§ 14. Phänomenologische Charakteristik der Unterscheidungzwischen signitiven uncZ intuitiven In,tentionen durch die Eigenheiten

der Erfüllung.

aL Zeichen, Bild und Selbstdarstellung.

Innerhalb der letzten Betrachtungen drängte sich uns dieBemerkung auf, daß mit dem Gattungscharakter der Intention enderjenige der Erfüllun.gssynthesis innig zusammenhängt, und diesso sehr, daß sich die Klasse der objektivierenclen. Akte geradezudurch den als bekannt vorausgesetzten Gattungscharakter derErfüllungssynthesis, als einer identifizierenden, definieren läßt.In Fortführung dieses Gedaniiens regt sich die Frage, ob nichtauch die wesentlichen Artunterscheidungen innerhalb dieserKlasse der Objektivationen durch die zugehörigen Unterschiededer Erfüllungsweisen bestimmbar sind. Durch eine fundamentaleEinteilung zerfallen die objektivierenden. Intentionen in die signi-fikativen und intuitiven. Versuchen wir uns über den Unter-schied der beiden Aktarten Rechenschaft zu geben.

Die signitiven Intentionen faßten wir, vermöge unseresAusgangs von den ausdrücklichen Akten, als Signifikationen., alsBedeutungen von Ausdrücken. Stellen wir die Frage vorläufigzurück, ob dieselben Akte, die als sinngebende fungieren, auchaußerhalb der Bedeutu.ngsfunktion auftreten können, so habendiese signitiven. Intentionen jeweils einen intuitiven Anhalt, näm-

1 Vgl. den Schluß ab schnitt dieser Untersuchung.

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54 ITL Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

lich am Sinnlichen des Ausdrucks, aber sie haben darum nichteinen intuitiven Inhalt; sie sind mit intuitiven Akten nur in ge-wisser Weise eins, sind aber -von ihnen der Art nach verschieden.

Der leicht faßliche Unterschied der ausdrücklichen gegen.-über den rein intuitiven Intentionen tritt hervor, wenn wirZeichen und Bilder miteinander vergleichen.

Das Zeichen hat mit dem Bezeichneten inhaltlich zumeistnichts gemein, es kann ihm Heterogenes ebensowohl bezeichnen,als ihm Homogenes. Das Bild hingegen bezieht sich auf dieSache durch Ähnlichkeit, und fehlt sie, so ist auch von einemBilde nicht mehr die Rede. Das Zeichen "als Objekt konstituiertsich uns im Akte des Erscheinens. Dieser Akt ist noch keinbezeichnender, es bedarf im Sinne unserer früheren Analysen.der Anknüpfung einer neuen Intention, einer neuen Auffassungs-weise, durch welche statt des intuitiv Erscheinenden ein Neues,das bezeichnete Objekt gemeint ist. Ebenso ist auch das Bild, etwadie Büste aus Marmor, ein Ding wie irgendein anderes; erst dieneue Auffassungsweise macht es zum Bilde, es erscheint nunnicht bloß das Ding aus Marmor, sondern es ist zugleich und aufGrund dieser Erscheinung eine Person bildlich gemeint.

Die beiderseits anhängenden Intentionen sind an den Er-scheinungsgehalt nicht äußerlich angeheftet, sondern wesentlich inihm fundiert, derart also, daß der Charakter der Intention durchihn bestimmt ist Es wäre eine deskriptiv unrichtige Auffassungder Sachlage, wenn man denken würde, der ganze Unterschied.bestehe darin, daß dieselbe Intention, die einmal an die Erschei-nung eines dem gemeinten Objekt ähnlichen Objektes geknüpftist, ein andermal an die Erscheinung eines ihm unähnlichenObjekts geknüpft sei. Denn auch das Zeichen kann dem Be-zeichneten ähnlich sein, ja vollkommen ähnlich. Die Zeichenvor-stellung wird dadurch aber nicht zur Bildvorstellung. Die Photo-graphie des Zeichens A fassen wir ohne weiteres als Bild diesesZeichens auf. Gebrauchen wir aber das Zeichen A als Zeichenfür das Zeichen A, wie wenn wir schreiben: 21 ist ein rönzisches

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,

Indirekte Charakteristik der objektivierenclen Intentionen usw. 55

Schriftzeichen, so fassen wir A trotz bildmäßiger Ähnlichkeitnicht als Bild, sondern eben als Zeichen.

Also die objektive Tatsache der Ähnlichkeit zwischen Er-scheinendem und Gemeintem bestimmt keinen Unterschied. Gleich-wohl ist sie für den Fall 'der Bildvorstellung nicht belanglos. Dieszeigt sich in der möglichen Erfüllung; und es ist ja nur dieErinnerung an diese Möglichkeit, welche uns die „ objektive"Ähnlichkeit hier heranziehen ließ. Die Bildvorstellung hatoffenbar die Eigentümlichkeit, daß, wo immer ihr Erfüllung zu-teil wird, ihr als „Bild" erscheinender Gegenstand sich mit demim erfüllenden Akte gegebenen Gegenstand durch Ähnlichkeitidentifiziert. Indem wir dies als Eigentümlichkeit der Bildvor-stellung bezeichnet haben, ist schon gesagt, daß hier die Er-füllung des Ähnlichen durch Ähnliches den Charakterder Erfüllun.gssynthesis als einer imaginativen inner-lich bestimmt. Wenn sich auf der anderen Seite, infolge einerzufälligen Ähnlichkeit zwischen Zeichen und Bezeichnetem, eineErkenntnis ihrer beiderseitigen Ähnlichkeit einstellt, so gehörtdiese Erkenntnis nicht zur Erfüllung der signitiven Intention —abgesehen davon, daß diese Erkenntnis keineswegs von der Artjenes eigentümlichen Identifizierungsbevrußtseifts ist, welches Ähn-liches und Ähnliches in der Weise von Bild und Sache zur be-beziehenden Deckung bringt. Vielmehr gehört es zum eigentüm-lichen Wesen einer signifikativen Intention, daß bei ihr dererscheinende Gegenstand des intendierenden Aktes und derjenigedes erfüllenden Aktes (z. B. Name und Genanntes in der realisier-ten Einheit beider) miteinander „nichts zu. tun haben".Danach -wird es klar, daß in der Tat die deskriptiv verschiedeneWeise der Erfüllung, so wie sie im verschiedenen deskriptiven.Charakter der Intention gründet, auch umgekehrt auf die -Ver-schiedenheit dieses Charakters aufmerksam machen und ihn defini-torisch bestimmeit. kann.

Wir haben bisher nur den Unterschied der signitiven undimaginativen Inten.tion.en in Erwägung gezogen. Übergehen wirdie hier weniger bedeutsamen Unterschiede innerhalb der weite-

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56 171. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

ren Sphäre der imaginativen Akte (wir haben ja oben die Vor-stellungen durch physische Bilder bevorzugt, statt auch auf diePhantasievorstellungen einzugehen), so bleiben noch die Wahr-nehmungen übrig.

Gegenüber der Imaginaition ist die Wahrnehmung, wiewir es auszudrücken pflegen, dadurch charakterisiert, daß in ihrder Gegenstand "selbst" und nicht bloß "im Bilde" erscheint.Darin erkennen wir sofort die charakteristischen Verschiedenheitender Erfüllungssynthesen. Die Imagination erfüllt sich durchdie eigenartige Synthesis der Bildähnlichkeit, die Wahrnehmungdurch die Synthesis der sachlichen Identität, die Sache be-stätigt sich durch sich "selbst", indem sie sich von verschiedenenSeiten zeigt und dabei immerfort die eine und selbe ist.

b) Die perzeptive und imaginative A.bsehattung des Gegenstandes.

Doch wir müssen hier folgenden Unterschied beachten: dieWahrnehmung, indem sie den Gegenstand „selbst" zu gebenprätendiert, prätendiert damit eigentlich, überhaupt keine bloßeIntention zu sein, vielmehr ein Akt, der anderen Erfüllung bietenmag, aber selbst keiner Erfüllung mehr bedarf. Zumeist, undz. B. in allen Fällen der „äußeren" Wahrnehmung, bleibt esbei der Prätention. Der Gegenstand ist nicht wirklich gegeben,er ist nämlich nicht voll und ganz als derjenige gegeben, welcherer selbst ist. Er erscheint nur „von der Vorderseite", nur „per-spektivisch verkürzt und abgeschattet" u. dgl. Während mancheseiner Bestimmtheiten mindestens in der Weise, welche die letzterenAusdrücke exemplifizieren, im Kerngehalt der Wahrnehmung ver-bildlicht sind, fallen andere nicht einmal in dieser bildlichenForm in die Wahrnehmung; die Bestandstücke der un.sichtigenRückseite, des Innern usw. sind zwar in mehr oder minder be-stimmter Weise mitgemeint, sie sind durch das primär Erscheinendesymbolisch angedeutet, aber selbst fallen sie garnicht in den.anschaulichen (perzeptiven. oder imaginativen) Gehalt der Wahr-nehmung. Damit hängt die Möglichkeit unbegrenzt vieler, inhalt-lich verschiedener Wahrnehmungen eines und desselben Gegen-

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Indirekte Charakteristik der objek,tivierenden Intentionen usw, 57-

standes zusammen. Wäre die Wahrnehmung überall, was sie präten-diert, wirkliche und echte Selbstdarstellung des Gegenstandes, so gäbees, da ihr eigentümliches Wesen sich in diesem Selbstdarstellenerschöpft, für jeden Gegenstand nur eine einzige Wahrnehmung.

Andererseits ist nun aber zu beachten, daß der Gegenstand,so wie er an sich ist — an sich in dem hier allein fraglichenund verständigen Sinne, welchen die Erfüllung der Wahmehmungs-intention realisieren würde — nicht ein total anderer ist, alswelchen ihn die Wahrnehmung, wenn auch unvollkommen, reali-siert. Dies liegt sozusagen im eigenen Sinne der Wahrnehmung.Selbsterscheinung- des Gegenstandes zu sein. Mag also auch, umauf das Phänomenologische zurückzugehen, die gemeine Wahr-nehmung aus vielfachen, teils rein wahrnehmungsmäßigen, teilsbloß imaginativen und sogar signitiven. Intentionen aufgebaut sein:als Ges amtakt erfaßt sie den Gegenstand selbst, sei es auchnur in. der Weise der Abschattung. Denken wir uns die jeweiligeWahrnehmung in Erfüllungsbeziehung gesetzt zur adäquaten, d.i.zu derjenigen Wahrnehmung, welche uns den Gegenstand im idealstrengen und eigentlichsten Sinn selbst geben würde, so könnenwir sagen: die Wahrnehmung intendiert den Gegenstand so, daßdie ideale Erfülltmgssynth.esis den Charakter einer partiellenDeckung des rein perzeptiven. Gehaltes des intendierenden Aktesmit dem rein perzeptiven des erfüllenden Aktes, und zugleich den.Charakter einer vollen Deckung der beiderseitigen vollen Wahrneh-mungsintentionen besitzen würde. Der „rein perzeptive" Gehaltin der „äußeren" Wahrnehmung ist das, was wir übrig behalten,nach Abstraktion von allen bloß imaginativen und symbolischenKomponenten; es ist also der „empfundene" Inhalt in der un-mittelbar zu ihm gehörigen rein perzeptiven Auffassung, die alleseine Teile und. Momente als Selbstabschattungen entsprechenderTeile und Momente des Wahrneh.mungsgegensta,n.des bewertet,und so dem ganzen . Inhalt den Charakter des „Wahmehmungs-bildes", der perzeptiven Al)sch.attu'ng des Gegenstandes erteilt.Im idealen Grenzfalle il -6"; adäquaten Wahrnehmung fällt dieserempfundene oder selbstdarstellende Inhalt mit dem wahrgen.omme-

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58 V1 Elemente einer phänornenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

nen Gegenstand zusammen. — Diese gemeinsame und zum Sinnaller Wahrnehmung gehörige Beziehung auf den Gegenstand ansich selbst, somit auf das Ideal der .A.däquation., bekundet sichauch in der phänomenologischen Zusammengehörigkeit der mannig-faltigen zu dem Einen Gegenstand gehörigen Wahrnehmungen. Inder einen Wahrnehmung erscheint der Gegenstand von dieser,in der anderen von jener Seite, einmal nah, das andere Malfern usw. In jeder ist bei alledem der eine und selbe Gegenstand"da", in jeder ist er nach dem Gesamtbelauf dessen, als was eruns -bekannt und in dieser Wahrnehmung gegenwärtig ist, inten-diert. Dem entspricht phänomenologisch der kontinuierliche Flußder Erfüllung oder Identifizierung, in der stetigen Aneinander-reihung der "zu demselben Gegenstand gehörigen" Wahrnehmungen.Jede einzelne ist darin ein Gemisch von erfüllten und unerfülltenIntentionen. Den ersteren korrespondiert am Gegenstande das-jenige, was von ihm in dies er einzelnen Wahrnehmung als mehroder minder vollkommene Abschattung gegeben, den letzterendasjenige, was von ihm noch nicht gegeben ist, also in neuenWahrnehmungen zur aktuellen und erfüllenden Präsenz kommenwürde. Und alle derartigen Erfüllungssynthesen sind durch einengemeinsamen Charakter ausgezeichnet, eben als Identifizierungenvon Selbsterscheinungen eines Gegenstandes mit Selbsterscheinun gendesselben Gegenstandes.

Es ist ohne weiteres klar, daß parallele Unterschiede auch.für die imaginative Vorstellung gelten. Auch sie bildet den-selben Gegenstand bald -s;'-on dieser, bald von jener Seite ab;der Synthesis mannigfaltiger Wahrnehmungen, in denen immerderselbe Gegenstand zur Selbstdarstellung kommt, entsprichtdie parallele Synthesis mannigfaltiger Imaginationen, in denendieser selbe Gegenstan.d zur bildlichen Darstellung kommt.Den wechselnden perzeptiven Abschattungen des Gegenstandesentsprechen hier die parallelen imaginativen Abschattungen, undim Ideal der vollständigen Abbildung fiele die Abschattung mitdem vollständigen Bilde zusammen. Erfüllen sich imaginative Aktebald im imaginativen Zusammenbange, bald durch entsprechende

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Indirekte Charakteristik der objektivierenden Intentionen usw. 59............»........■............................*

Wahrnehmungen, so ist der Unterschied im Charakter der Er-füllungssyn.thesis unverkennbar, der Übergang von Bild zu Bildist anders charakterisiert als derjenige vom Bild zur Sache selbst.

Diese, auch für unsere weitere Untersuchung nützlichen undim nächsten Kapitel fortzuführenden Analysen, belehren uns überdie Zusammengehörigkeit der Wahrnehmungen und Imaginationen.und über ihren gemeinsamen Gegensatz zu den signitiven Inten-lion.en. Überall unterscheiden wir von dem gemeinten — dembezeichneten, abgebildeten, wahrgenoraraenen. — Gegenstand einen.in der Erscheinung aktuell gegebenen, aber nicht gemeinten In-halt: den Zeicheninhalt auf der einen Seite, die imaginative unddie perzeptive Abschattung des Gegenstandes auf der anderen Seite.Während aber Zeichen und Bezeichnetes „miteinander nichts zutun haben", bestehen zwischen den, sei es imaginativen oderperzeptiven Abschattungen und der Sache selbst innere, im Sinnedieser Worte beschlossene Zusammengehörigkeiten. Und dieseVerhältnisse dokumentieren sich phänomenologisch in Unter-schieden der konstituierenden Intention.en, und nicht minder inUnterschieden der Erfüllungssynthesen.

Selbstverständlich stört diese Darstellung unsere Interpreta-tion jeder Erfüllung als einer Identifizierung nicht. Die Intentionkommt überall mit dem ihr Fülle bietenden Akte zur Deckung,d. h. der Gegenstand, der in ihr gemeint ist, ist derselbe wiederjenige, welcher im erfüll'enden Akte gemeint ist. Aber nichtauf diese gemeinten Gegenstände, sondern auf Zeichen und Ab-schattung in ihren Verhältnissen zu den gemeinten Gegenständen,biir. auf das, was diesen Verhältnissen phänomenologisch ent-spricht, bezog sich unsere Vergleichung.

Unser Interesse gehörte im vorliegenden Paragraphen primär den

Eigentümlichkeiten der Erfüllungssynthesen; durch sie erfuhren dieUnterschiede der intuitiven und signitiven Akte eine bloß indirekte

Charakteristik. Erst im weiteren Fortgang der Untersuchung - im§ 26 - werden wir, auf Grund der Analyse der für sich und ohneRücksicht auf die möglichen Erfüllungen betrachteten Intentionen, eine

dir ekte Charakteristik liefern können.

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60 Ta Elemente einer phänomenolog. _Aufklärung der Erkenntnis.:

§ 15. Signitive Intentionen außerhalb der Bedeutungsfunktion.

In den letzten Betrachtungen haben wir gewisse Komponentenintuitiver Akte als signitive Intentionen in Anspruch genommen.Aber in der ganzen Reihe bisheriger Untersuchungen galten unsdie signitiven Akte als Akte des B ed eutens, als sinngebendeFaktoren bei den Ausdrücken. Die Worte Signifikation undsignitive Intention galten uns als bedeutungsidentische. Es istalso an der Zeit, die Frage zu erwägen: können nicht dieselbenoder wesentlich gleichartige Akte, als welche wir sonst in derBedeutungsfunktion finden, auch außer dieser Funktion, von allenAusdrücken losgelöst, auftreten?

Daß diese Frage bejahend zu beantworten ist, zeigen gewisseFälle wortlosen Erkennens, welche durchaus den Charakter verbalenErkennens haben, während doch die Worte nach ihrem sinnlich-signitiven. Inhalt gar nicht aktualisiert sind. Wir erkennen bei-spielsweise einen Gegenstand als antiken römischen Wegstein, seineFurchungen als verwitterte Inschriften, ohne daß sich sogleichoder überhaupt 'Worte einstellten; wir erkennen ein Werkzeug alsDrillbohrer, aber das Wort will uns überhaupt nicht einfallen; u. dgl.Genetisch gesprochen, es wird durch die gegenwärtige Anschauungeine Assoziation dispositionell erregt, die auf den bedeutendenAusdruck gerichtet ist; aber die bloße Bedeutungskomponentedesselben wird aktualisiert, welche nun in -umgekehrter Richtungin die erregende Anschauung zurückstrahlt und in sie mit demCharakter erfüllter Intention überfließt. Diese Fälle wortlosenErkennens sind also nichts anderes als Erfüllungen von Bedeu-tungSintentionen., nur von solchen, die sich phänomenologisch vonden sonst zu ihnen gehörigen signitiven. Inhalten abgelöst haben.Hieherzurechnende Beispiele liefert auch die Reflexion auf diegewöhnlichen Zusammenhänge wissenschaftlichen Nachdenkens.Man bemerkt dabei, daß sich die vorwärts stürmenden Gedanken-reihen zu sehr erheblichem Teile nicht an die zu ihnen gehörigenWorte binden, sondern durch den Fluß anschaulicher Bilder oderdurch ihre eigenen assoziativen Verflechtungen erregt werden.

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lndirekte Charakteristik der obfektivierenden Intentionen usw. 61

Damit hängt auch ‚ daß das aus d r ii c k e n d eSprechen so weit über das hinausgeht, was zum Zwecke wirklicherAngemessenheit des erkennenden Ausdrucks anschaulich gegebensein mußte. Daß dies zum Teil einen entgegengesetzten Grundbat in der besonderen Leichtigkeit, mit der sich die Wortbilderdurch die gegebenen Anschauungen reproduzieren lassen, um dannihrerseits di symbolischen Gedanken, aber nicht die diesen ent-sprechenden Anschauungen, herbeizuziehen, wird niemand be-zweifeln. Es ist aber auch umgekehrt zu beobachten, wie dieReproduktion der Wortbilder hinter den durch die jeweilige An-schauung reproduktiv erregten Gedankenreihen oft recht weitzurückbleibt. In der einen und anderen Art kommen die un-zähligen inadäquaten Ausdrücke zustande, welche sich denaktuell vorhandenen primären Anschauungen und den auf siewirklich gebauten synthetischen Formungen nicht in schlichterWeise anmessen, sondern über das so Gegebene weit hinausgehen.Es erwachsen merkwürdige Mischungen von Akten. Eigentlicherkannt sind die Gegenstände nur als die in der aktuellen An-schauungsgrundlage gegebenen; aber da die Einheit der Intentionweiter reicht, erscheinen die Gegenstände auch als diejenigenerkannt, welche in der Gesamtintention intendiert sind. D e rErkenntnischarakter breitet sich gewissermaßen aus.So erkennen wir beispielsweise eine Person als den Adjutantendes Kaisers, eine Handschrift als die Goethes, einen mathematischenAusdruck als die OARDsche Formel u. dgl. Hier kann sich dasErkennen dem in der Wahrnehmung Gegebenen natürlich nichtanmessen, sondern böstenfalls besteht die Möglichkeit der An-passung anAnschauungsverläufe, die aber selbst garnicht aktualisiertzu werden brauchen. Auf diese Weise sind auf Grund partiellerAnschauung sogar Erkenntnisse und Erkenntnisreihen möglich,die auf Grund voller aktueller Anschauung überhaupt und a priorinicht möglich wären, weil sie in sich Unverträgliches in einssetzen. Es gibt, und in nur zi großem Maße, falsche undselbst absurde Erkenntnisse. Aber „ eigentlichL sind es

keine Erkenntnisse - nämlich nicht logisch wertvolle, voll-.

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62 VI Elemente einer pUinomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

kommene Erkenntnisse, nicht Erkenntnisse im prägnanten Sinne.Doch damit greifen wir künftigen Überlegungen vor. Denn nochsind die hier berührten Stufenreihen der Erkenntnis und die siebegrenzenden Ideale nicht klargelegt.

Wir hatten bisher mit signitiven Intentionen zu tun, dieidentisch, so wie sie sind, bald innerhalb bald außerhalb der Be-deu.tungdunktion auftreten. Aber unzählige signitive Intentionenentbehren jeder, sei es festen, sei es vorübergehenden Beziehungzu Ausdrücken, während sie doch ihrem wesentlichen Charakternach mit den Bedeutungsintentionen zu einer Klasse gehören.Ich erinnere hier an den perzeptiven oder imaginativen Ablaufeiner Melodie, oder eines sonstigen, uns der Art nach bekannten.Ereignisses und an die hierbei auftretenden (bestimmten oder un-bestimmten) Intentionen, bzw. Erfüllungen. Desgleichen an dieempirische Ordnung und Verknüpfung der Dinge in ihrer phäno-menalen Koexistenz, und zwar mit Hinweis auf das, was *denerscheinenden Dingen in dieser Ordnung, und vorerst den Teilenin jeder einzelnen dinglichen Einheit, den Charakter einer geradein dieserAnordnung und Form zusammengehörigen Einheitgibt. Die Repräsentation und Erkennung durch Analogie kannnur Bild und Sache (Analogon. und Analogisiertes) zur Einheitbringen und somit als zusammengehörig erscheinen lassen, nichtaber was in der Kontiguität nicht bloß zusammengegebenist, sondern als zusammengehörig erscheint. Selbst wo inder Realisierung. von Kontiguitätsrepräsentationen sich zunächstBilder einstellen, die das signitiv Repräsentierte im vorausimaginieren, und sich dann bei der Erfüllung in ihren Sachen.bestätigen, kann die Einheit zwischen dem Kontiguitätrepräsentan-ten und dem dadurch Repräsentierten nicht durch das Bildverhältnisgegeben werden (da es ja nicht zwischen diesen beiden wirksamist), sondern nur durch das schlechthin eigenartige Verhältnis dersignitiven Repräsentation als derjenigen durch Kontiguität.

Demgemäß werden wir in den inadäquaten Wahrnehmungen.und Einbildungen ganz richtig Komplexionen von primitiven In-tentionen sehen müssen, unter welchen sich neben perzeptiven und

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Indirekte Charakteristik der objektivierenden Intentionen usw. 63

imaginativen Elementen auch solche von, der Art der signitiven.Intentionen finden. Überhaupt werden wir urteilen dürfen, daßalle phänomenologischen Unterschiede der objektivierenden Aktesich zurückführen lassen auf die sie aufbauenden Elementarinten-tionen und Erfüllungen, die einen und andern geeinigt durch Er-füllungssynthesen. Auf Seite der Intentionen bleiben dann als dieeinzigen letzten Unterschiede die zwischen signitiven Intentionenals Intentionen durch Kontiguität", und imaginativen Intentionenals solchen durch Analogie, jede schlicht und rein in ihrer Art.Auf Seite der Erfüllung fungieren als Kömponenten teils wiederIntentionen der einen und andern Art; unter Umständen aber (wieim Falle der Wahrnehmung) auch solche, die nicht mehr als In-tentionen:anzusprechen sind: Komponenten, die nur erfüllen, dochnicht mehr nach Erfüllung langen, Selbstdarstellungen des vonihnen gemeinten Objektes im strengsten Wortsinn. Durch denCharakter der Elementarakte sind dann die Charaktere der diehomogene Einheit des komplexen Aktes bestimmenden Erfüllungs-synthesen bestimmt, und zugleich überträgt sich, unter Mithilfeder bevorzugenden Kraft der Aufmerksamkeit, der Charakter dieseroder jener Elementarakte auf die Einheit des gesamten .Aktes:der ganze Akt ist Imagination oder Signifikation oder Perzeption(Wahrnehmung schlechthin); und wo zwei solche einheitliche Aktein Beziehung treten, erwachsen Verhältnisse der Übereinstimmungund des Widerstreits, deren Charakter durch die fundierendenGesamtakte, letztlich aber durch deren Elemente bestimmt ist.

Im nächsten Kapitel sollen diese Verhältnisse in den Grenzenin denen sie phänomenologisch zu sichern und daher erkenntnis-kritisch zu verwerten sind, weiter verfolgt werden. Wir wollenuns dabei rein an die phänomenologisch gegebenen Einheitenhalten, an den Sinn, den sie in sich tragen, und den sie in derErfüllung verkündigen. So meiden wir die Versuchung, den Weghypothetischer Konstruktion zu beschreiten, mit deren Zweifeln dieErkenntnisklärung keineswegs beschwert zu werden braucht.

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64 VI. Elemente einer phänomenolog. Äufklä'rung der Erkenntnis.

Drittes Kapitel.

Zur Phänomenologie der Erkenntnisstufen.

§ 16. Bloße Identifizierung 'und Erfüllung.

Als wir, ausgehend vom sprachlichen Ausdruck einer Wahr-nehmung, das Verhältnis von Bedeutungsintention und erfüllenderAnschauung beschrieben, sagten wir, das intentionale Wesendes anschaulichen Aktes passe oder gehöre zu dem bedeutungs-mäßigen Wesen des signifikativen. Aktes. Dasselbe gilt sichtlichin jedem Falle einer totalen Identifizierung, iwelche qualitativgleiche, also setzende und setzende, oder nichtsetzende und nicht-setzende Akte zur Synthesis bringt; während bei der Verschieden-heit der Qualitäten die Identifizierung ausschließlich in den Materiender beiderseitigen Akte gründet. Dies überträgt sich mit passendenÄnderungen auf die Fälle partieller Identifizierung, so daß wiraussprechen dürfen, daß die Materie das für die Identifizierung(und dann selbstverständlich auch für die Unterscheidung) we s e nt-li eh in Betracht kommende Moment im Aktcharakter der jeweilszur Synthese kommenden Akte ist.

Für den Fall der Identifizierung sind die Materien die spe-ziellen Träger der Synthese, aber nicht etwa selbst identifiziert.Denn die Rede von der Identifizierung bezieht sich ja ihrem Sinnenach auf die durch die Materie vorgestellten Objekte. Anderer-seits kommen die Materien im Akte der Identifizierung selbst zurDeckung. Daß damit, wenn auch Gleichheit der Qualitäten vor-ausgesetzt wird, keine vollständige Gleichheit der beiderseitigenAkte erzielt ist, zeigt jedes Beispiel, und dies liegt daran, daßdas intentionale Wesen den Akt nicht erschöpft. Das Übrig-bleibende wird sich in der sorgsamen Durchforschung der Phäno-menologie der Erkenntnisstufen, die unsere nächste Aufgabe ist,als überaus bedeutsam herausstellen. Von vornherein leuchtethier folgendes ein. Wenn das Erkennen Vollkommenheitsstufen,und dies bei gleicher Materie, zuläßt, so kann die Materie fürdie Unterschiede der Vollkommenheit nicht aufkommen, also auch

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Zur Phänomenologie der Erkenntnisstufen,. 65

nicht das eigentümliche Wesen der Erkenntnis gegenüber jederbeliebigen Identifizierun.g bestimmen. Wir knüpfen die weitereUntersuchung an die Erwägung eben dieses, von uns bereitsfrüher beachteten Unterschiedes zwischen bloßer identifi-zierung und Erfüllung an.

Wir hatten 1, Erfüllung mit Erkennung (im engeren Sinn)gleichgesetzt und angedeutet, daß hiermit nur gewisse Formen derIdentifizierung bezeichnet seien, welche uns nämlich dem Er-kenntnisziel näher bringen. Was das besagen will, können wiretwa so zu verdeutlichen suchen: In jeder Erfüllung findet einemehr oder minder vollkommene Veranschaulichung statt. Wasdie Intention zwar meint, aber in mehr oder minder uneigentlicheroder unangemessener Weise vorstellig macht, das stellt die Er-füllung, d. h. der sich in der Erfüllungssynthesis anschmiegende,der Intention seine "Fülle" bietende Akt, -direkt vor uns hin;oder mindestens relativ direkter als die Intention. In der Erfüllungerleben wir gleichsam ein das ist es selbst. Dieses selbst istfreilich nicht im strengen Sinn zu nehmen: als ob eine Wahrneh-mung gegeben sein müßte, die uns das Objekt selbst zur aktuellenphänomenalen Gegenwart brächte. Es mag sein, daß wir imFortschritt der Erkenntnis, im stufenweisen Emporsteigen vonAkten geringerer zu solchen von reicherer Erkenntnisfülle, schließ-lich immer zu erfüllenden Wahrnehmungen gelangen müssen;darum braucht aber nicht jede Stufe, d. h. jede einzelne für sich.schon als Erfüllung charakterisierte Identifizierung, eine Wahr-nehmung als den erfüllenden Akt zu enthalten. Immerhin deutetuns clie relative Rede vom "mehr oder minder direkt" und vom.

m selbst" die Hauptsache einigermaßen an: daß die Erfüllungs-synthesis eine Ungleichwertigkeit der verknüpften Gliederzeigt, derart, daß der erfüllende Akt einen Vorzug herbeibringt,welcher der bloßen Intention mangelt, nämlich daß er ihr dieFülle des „selbst" erteilt, sie mindestens direkter an dieSache selbst h er anführt. Und die Relativität dieses direkt und

1 Oben § 14, S. 79.

ii usseri, Log. 'Intern. II, 5

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66 71. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

selbst deutet wieder darauf hin, daß die Erfüllungsrelation etwasvorn Charakter einer Steigerungsrelation an sich hat. Eine Ver-ketttmg solcher Relationen erscheint darnach als möglich, in denensich der Vorzug schrittweise steigert; wobei aber jede solcheSteigerungsreihe auf eine ideale Grenze hinweist oder sie schon.in ihrem Endglied realisiert, welche aller Steigerung ein unüber-schreitbares Ziel setzt: das Ziel der absoluten Erkenntnis,der adäquaten Selbstdarstellung des Erkenntnisobjekts.

Damit ist nun die charakteristische Auszeichnung derErfüllungen innerhalb der weiteren Klasse der Identifikationenzum mindesten in vorläufiger Andeutungl formuliert. Denn nichtin jeder Identifikation vollzieht sich solch eine Annäherung an ein.Erkenntnisziel, und demgemäß sind ziellos ins Unendliche fort-laufende Identifikationen sehr wohl möglich. Beispielsweise gibtes unendlich viele arithmetische Ausdrücke, die den identischen.Zahlenwert 2 haben, und so können wir dabei in infinitum Iden-tifizierung an Identifizierung reihen. Ebenso mag es unendlich vielBilder einer und derselben Sache geben, und dadurch bestimmtsich wieder die Möglichkeit unendlicher, keinem Erkenntnisziel zu-streb en.d eridentifiziertzugsketten. Ebenso für die unendliche Mannig-faltigkeit möglicher Wahrnehmungen einer und derselben Sache.

Achten wir bei diesen intuitiven Beispielen auf die konstituie-renden Elementarintentionen, so finden wir allerdings, daß demGanzen der Identifizierung zumeist auch Momente .echter Erfüllungeingewoben sind. So wenn wir Bildvorstellungen in einssetzen, die nicht gerade von völlig gleichem intuitiven Gehaltsind, so daß uns das neue Bild manches zu klarer "Vorstellungbringt und vielleicht „ganz so wie es ist" vor Augen stellt, wasuns das frühere bloß abgeschattet oder gar symbolisch andeutete.Denken wir uns in der Phantasie einen Gegenstand sich allseitigdrehend und wendend, so ist die Bilderfolge immerfort durch Er-füllungssynthesen hinsichtlich der Partialinten.tionen verknüpft;aber die jeweilig neue Bildvorstellung ist als Ganzes keine Erfüllung

1 Vgl. die tiefergehenden Analysen des § 24, S. 84ft.

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Zur Phänomenologie der Erkenntnisstufen._

67,......................Mwr

der vorhergehenden, und die gesamte Vorstellungsreihe ohne fort-schreitende Annäherung an ein Ziel. Ebenso bei der Mannig-faltigkeit zu demselben äußeren Ding gehöriger Wahrnehmungen.Gewinn und Verlust halten sich eben bei jedem Schritt die Wageder neue Akt ist in Hinsicht auf die einen Bestimmtheiten_ anFülle reicher, in Hinsicht auf andere mußte er dafür an Fülleeinbüßen. Dagegen können wir sagen, die gesamte Synthesisder Folge von Imaginationen, bzw. von Wahrnehmungen, reprä-sentiere im Vergleich mit dem vereinzelten Akt aus solch einerFolge einen Zuwachs an Erkenntnisfülle, die Unvollkommenheitder einseitigen Darstellung werde relativ überwunden in der all-seitigen Darstellung. Wir sagten bloß "relativ überwunden":denn die allseitige Darstellung vollzieht sich in solch einer syn-thetischen Mannigfaltigkeit nicht, wie es das Ideal der Adä'quationfordert, in Einem Schlage, als reine Selbstdarstellung und ohneZusatz von Analögisierung und Symbolisierung, sondern stück-weise und immerfort durch solche Zusätze getrübt. Ein anderesBeispiel einer intuitiven Erfüllungsreihe bietet etwa der Über-gang von einer rohen Umrißzeichnung zu einer genauer ausge-führten Bleistiftskizze, von dieser zu einem fertigen Bild, bis zumlebensvoll ausgeführten Gemälde, und zwar für denselben undsichtlich denselben Gegenstand.

Derartige Beispiele aus der Sphäre der bloßen Einbildungzeigen uns zugleich, daß der Charakter der Erfüllung nicht vor-aussetzt, was zum logischen Erken.ntnisbegriff mitgerechnet wird,nämlich die Setzun.gsqualität sowohl bei den intendierenden als beiden erfüllenden Akten. Von einer Erkenntnis sprechen wir vor-zugsweise da, wo ein Vermeinen, im normalen 'Sinn des Glau-b ens sich bekräftigt oder bestätigt.

§ 17. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Erfüllung

und Terarnschaulichüng.

Es wird sich nun fragen, welche Rolle die verschiedenenGattungen objektivierender Akte — die signitiven und intuitivenAkte, und unter dem letzteren Titel, die perzeptiven und imagi-

5*

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nativen — in der Erkenntnisfanktion spielen. Eier erscheinendie intuitiven Akte sichtlich bevorzugt, und dies so sehr, daß manzunächst geneigt sein wird, alle Erfüllung (so wie es im Vorbei-gehen auch oben geschah) als Veranschaulichung zu bezeich-nen, oder ihre Leistung, wo es sich von vornherein um anschau-liche Intentionen handelt, als bloße Steigerung in der Anschau-ungsfülle zu charakterisieren. Sicherlich bildet nun das Verhältniszwischen Intention und Erfüllung die Grundlage für die Bildungdes Begriffspaares Gedanke (enger gefaßt: Begriff) und korre-spondierende Anschauung. Es darf uns aber nicht entgehen.,daß ein bloß nach diesem Verhältnis orientierter Begriff der An-schauung keineswegs mit dem des intuitiven Aktes zusammen-fiele, obschon er vermöge der sozusagen im Sinn aller Erfüllungliegenden Tendenz zur Intuition mit ihm nahe zusammenhängen,ja ihn voraussetzen würde. Sich, wie man hier auch sagt, einenGedanken „klar machen", das heißt zunächst, dem Inhalt desGedankens erkenntnismäßige Fülle verschaffen. Dies kann aberin gewisser Weise auch eine signitive Vorstellung leisten. Frei-lich wenn wir die Forderung nach evident machender Klarheitstellen, als welche uns „die Sache selbst" klar, und damit ihreMöglichkeit und Wahrheit kenntlich mache, werden wir an dieAnschauung im Sinne unserer intuitiven Akte gewiesen. Ebendarum hat in erkenntniskritischen Zusammenhängen die Redevon Klarheit ohne weiteres diesen engeren Sinn, sie meint denRückgang auf die erfüllende Intuition, auf den „Ursprung" derBegriffe und Sätze aus »der Anschauung ihrer Sachen selbst.

Sorgsame Beispielsanalysen sind jetzt nötig, das soeben An-gedeutete zu bewähren und weiter fortzuführen. Sie werden unshelfen, das Verhältnis zwischen Erfüllung und Veranschaulichungaufzuhellen, und die Rolle, welche die Anschauung in jeder Er-füllung spielt, genau zu präzisieren. Die Unterschiede eigentlicherund uneigen.tlicher Veranschaulichung, bzw. Erfüllung, werdensich deutlich absondern, und zugleich damit wird der Unterschiedzwischen bloßer Identifizierung und Erfüllung seine letzte Klärungerfahren. Indem die Leistung der Anschauung sich dadurch be-

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Zur Phänomenologie der Erken,ninisstufen. 69

stimmen wird, daß sie in der eigentlichen Erfüllung, unter demTitel „Fülle", dem intendierenden Akte wirklich etwas Neues bei-bringt, werden wir auf eine bisher nicht pointierte, für die Er-kenntnis fundamentale Seite im phänomenologischen Inhalt derAkte aufmerksam: die „Fülle ‘ " wird sich als ein gegenüber derQualität und Materie neues, in der Weise einer Ergänzungspeziell zur Materie gehöriges Moment der. intuitiven Akte her-ausstellen.

§ 18. Die Stufenreihen mittelbarer Erfüllungen.Mittelbare Vorstellungen.

Jede in einer Definitionskette sich entfaltende mathematischeBegriffsbildung zeigt uns die Möglichkeit von Erfüllungs-ketten, die sich Glied für Glied aus signitiven Inten-tionen aufbauen. Wir machen uns den Begriff (5 8) 4 klar durchRückgang auf die definitorische Vorstellung: „Zahl, welche ent-steht, wenn man das Produkt 5 3 . 5 • 5 8.58 bildet". Wollen wirdiese letztere Vorstellung wieder klar machen, so müssen wirauf den Sinn von 5 9 zurückgehen, also auf die Bildung6.5.Noch weiter zurückgehend, hätten wir dann 5 durch die Defi-nitionskette 5 4+1, 4 ---- 3 +1, 3 7- -- 2 + 1, 2 1+1 zu er-klären. Nach jedem Schritt hätten wir aber die Substitution inden zuletzt gebildeten komplexen Ausdruck, bzw. Gedanken, zuvollziehen, und wäre dieser Gedanke immer wieder herstellbar(an sich ist er es gewiß, obschon ebenso gewiß nicht für uns),so kämen wir schließlich auf die vollständig explizierto Summevon Einem, von der es hieße: das ist die Zahl (5 3) 4 „selbst".Offenbar entspräche nicht nur dem Endresultat, sondern schonjedem einzelnen Schritte, welcher von einem Ausdruck dieser Zahlzu dem nächst aufklärenden und ihn inhaltlich bereichernden über-leitete, wirklich ein Akt der Erfüllung. In dieser Art ist übrigensauch jede schlichte dekadisch.e Zahl eine Anweisung auf einemögliche Erfüllungskette, deren Gliederzahl durch die um 1 ver-minderte Zahl ihrer Einheiten bestimmt ist, so daß derartigeKetten von unbegrenzt vielen Gliedern ct priori möglich sind.

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70 V-1. Elemente einer phänomenolog. .Aufkleirung der Erkenntnis.

Man spricht gewöhnlich so, als ob in der mathematischenSphäre die schlichte Wortbedeutung identisch sei mit dem Inhaltdes komplexen definitorischen Ausdrucks. Dann wäre hier aller-dings von Erfüllungsketten. keine Rede; wir bewegten uns ja inlauter Identitäteia von der Art der Tautologien. Indessen werauf die Komplikation der durch Substitution erwachsenden G-e-dan.kenbildungen hinblickt, wer sie auch nur in den allerein.-fachsten Fällen, in denen sie wirklich durchführbar sind, mit derursprünglich erlebten Bedeutungsinten.tion vergleicht, wird kaumernstlich annehmen, daß in dieser letzteren all die Komplikationvon vornherein enthalten war. Es ist ganz unverkennbar, daßhier wirklich Unterschiede der Intention bestehen, die, wie immerman sie näher charakterisieren mag, durch total identifizierendeErfüllungsverhältnisse miteinander verknüpft sind.

Eine merkwürdige Eigentümlichkeit der eben besprochenenBeispiele, bzw. der Klasse signitiver Vorstellungen, welche dieseBeispiele illustrieren, liegt darin, daß in ihnen der Inhalt derVorstellungen — deutlicher gesprochen, die Materie — einenbestimmten Stufen.gang der Erfüllung a priori vor-zeichnet. Die Erfüllung, die hier mittelbar erfolgt, kann niezugleich unmittelbar erfolgen. Zu jeder signitiven Intention dieserKlasse gehört eine bestimmte Erfüllung (bzw. eine bestimmteGruppe von Erfüllungen) als nächste, zu dieser wieder einebestimmte als nächste, usw. Diese Eigentümlichkeit findenwir auch bei gewissen intuitiven Intentionen. So wenn.wir uns eine Sache durch das Bild eines Bildes vor-stellig machen. Die Materie der Vorstellung schreibt auchhier eine erste Erfüllung vor, welche uns nämlich das primäreBild "selbst" vor Augen stellen würde. Zu diesem Bild gehörtaber eine neue Intention, deren Erfüllung uns auf die Sacheselbst führt. Offenbar ist das Gemeinsame all dieser mittelbaren,ob signitiven oder intuitiven Vorstellungen dadurch charakterisiert,daß es Vorstellungen sind, welche ihre Gegenstände nicht in schlich-ter Weise, sondern durch übereinand er gebaute Vorstellungenniederer und. höherer Stufe vörstelJig machen; oder, um es schärfer

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Zur Phänomenologie der Erkenntnisstufen. 71

auszudrücken, es sind Vorstellungen, die ihre Gegenstände alsGegenstände anderer Vorstellungen, oder als zu so vor-gestellten Gegenständen in Beziehu.ng stehend, vorstellen..So wie Gegenstände in Relation zu beliebigen anderen Gegen-ständen, so können sie eben auch in Relation zu Vorstellungen vorge-stellt werden; und diese Vorstellungen sind dann in der Relations-vorstellung selbst vorgestellte Vorstellungen; sie gehören zuihren intentionalen Objekten., nicht zu ihren Bestandstücken.

Mit Rücksicht auf die eben charakterisierte Klasse von Fällen.sprechen wir von mittelbaren (oder übereinander gebauten) In-tentionen, bzw. Erfüllungen, also auch von mittelbaren Vor-stellungen. Es gilt dann der Satz, daß jede mittelbare In-tention eine mittelbare Erfüllung 'fordert, welche selbst-verständlich nach einer endlichen Anzahl von Schritten in einerunmittelbaren Intuition endet.

§ 19. Unterscheidung zwischen mittelbaren Vorstellungen

und Vorstellungsvorstellungen.

Von diesen mittelbaren Vorstellungen wohl zu unterscheidensind die Vorstellungen von Vorstellungen, also diejenigenVorstellungen, die sich einfach auf andere Vorstellungen als aufihre Gegenstände beziehen. Obschon die vorgestellten Vorstellungen,allgemein zu reden, selbst wieder Intentionen sind, also Erfüllungzulassen, verlangt hier die Natur der gegebenen., der vörstellen-den Vorstellung keineswegs eine mittelbare Erfüllung durch Er-füllung der vorgestellten Vorstellungen. Die Intention der Vor-stellungsvorstellung VI (V-2) geht auf V. Diese Intention istalso erfüllt und schlechthin erfüllt, wenn eben T72 „selbst" auf-tritt; sie wird nicht etwa bereichert, wenn sich ihrerseits die In-tention der V2 erfüllt, wenn ihr Gegenstand im Bilde oder -imrelativ reicheren Bilde, oder gar in der Wahrnehmung erscheintDenn Fi meint ja nicht diesen Gegenstand, sondern schlechthin.seine Vorstellung V. Selbstverständlich wird daran nichts ge-ändert bei komplizierterer Ineinanderschachtelung, etwa nach Maß-

gabe des Symbols T71 [V2 (Vusw.

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72 VI. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

Beispielsweise findet der Gedanke signitive Vorstellung seineErfüllung in der Anschauung von einer signitiven Vorstellungz. B. der Vorstellung Integral (wenn wir wollen, auch der Vor-stellung signitive Vorstellung selbst). Man darf diese Fälle nichtmißverstehen, nämlich so, als ob hier die signitive VorstellungIntegral selbst den Charakter der Anschauung beanspruchte, alsob somit hier die Begriffe Anschauung. und signitiv er Akt(Bedeutungsintention) ineinandergingen. Nicht die signitive Vor-stellung Integral, sondern die innere Wahrn ehmung von dieserVorstellung ist die erfüllende Anschauung für den Gedanken s'igni-tive Vorstellung; statt als erfüllende Anschauung fungiert dieseVorstellung als Gegenstand der erfüllenden Anschauung. So wiedas Denken einer Farbe im Akte der Anschauung dieser Farbeseine Erfüllung findet, so das Denken eines Denkens in einem.Akte der Anschauung dieses Denkens, also letzterfüllende An-schauung in einer adäquaten Wahrnehmung desselben. Undnatürlich ist hier, wie sonst, das bloße Sein eines Erlebnisses nochkeine Anschauung und speziell Wahrnehmung von ihm. Es ist zubeachten, daß überhaupt in unserem Gegensatz zwischen Gedankeoder Intention und erfüllender Anschauung, unter Anschauungkeineswegs die bloße äußere Anschauung, die Wahrnehmung oderImagination von äußeren, physischen Gegen.ständlichkeiten, zuverstehen ist. Auch die „innere" Wahrnehmung oder Bildlich-keit kann, wie aus dem eben diskutierten Beispiel zu ersehenund übrigens nach dem Wesen des Vor'stellens selbstverständlichist, als erfüllende Anschauung fungieren.

§ 20. Echte Veranschaulichungen in jeder Erfüllung.

Eigentliche und uneigentliche Veranschaulichung.

Nachdem wir den Unterschied der mittelbaren Vorstellungenund der Vorstellungsvorstellungen hinreichend betont und geklärthaben, wird es gut sein, andererseits auch auf ihr Gemeinsameshinzublicken. Jede mittelbare Vorstellung schließt, nach derobigen Analyse, Vorstellungsvorstellungen ein, nämlich dadurchdaß sie ihren Gegenstand als Gegenstand gewisser in ihr vor-

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Zur Phänomenologie der 17rkenntnisstufen. 73

gestellter Vorstellungen meint. So z. B. wenn wir 1000 als 10 8,d. h. als die Zahl vorstellen, welche als Gegenstand derjenigenVorstellung charakterisiert ist, die ihrerseits in der Ausführungder angezeigten Potenzierung erwachsen würde. Daraus geht aberhervor, daß echte Veranschaulichungen die wesentlicheRolle bei jeder Erfüllung mittelbarer Intentionen, und.bei jedem Schritte dieser Erfüllung, spielen. Die Cha-rakteristik eines Gegenstandes als Gegenstandes einer vorgestell-ten Vorstellung (oder als eines, zu so definierten Gegenständenin gewisser Beziehung stehenden) setzt in der Erfüllung die Er-füllung der Vorstellun.gsvorstellungen voraus, und. diese einge-wobenen intuitiven Erfüllungen geben der gesamten Iden-tifikation allererst den Charakter einer Erfüllung. Die Zunahmean „Fülle" besteht schrittweise in nichts anderem, als daß nachund nach alle Vorstellu.ngsvorstellungen, sei es die von -vornhereineingewobenen, sei es die in der Erfüllung neu auftretenden,durch realisierende „Konstruktion" der jeweils vorgestellten Vor-stellungen und durch Anschauung dieser realisierten, erfülltwerden, so daß schließlich die herrschende Gesamtintentionmit ihrem Über- und Ineinander von Intentionen., mit einer un-mittelbaren Intention identifiziert erscheint. Dabei hat diese Iden-tifikation' auch als Ganzes den Charakter der Erfüllung. Wirwerden diese Art der Erfüllung aber zu den un eigen.tli oh enVeranschaulichungen rechnen müssen: denn als eigentlich()Veranschaulichung werden wir mit Grund eine - solche be-zeichnen, welche nicht in beliebiger Weise Fülle herbeischafft,sondern ausschließlich so, daß sie dem von der Gesamtvor-stellung vorgestellten Gegenstande den Zuwachs an Fülle erteilt,d. h. ihn mit größerer Fülle vorstellig macht. Im Grunde besagtdies aber nichts anderes, als daß eine bloße signitive Intentionüberhaupt keine Fülle hat, vielmehr alle Fülle in der aktuellen.Vergegenwärtigung von Bestimmtheiten liegt, die dem Gegen-stand selbst zukommen.

Wir werden diesen letzteren Gedanken bald weiter verfolgen.Hier setzen wir fort, daß der genannte Unterschied zwischen

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74 121 Elemente einer phänonenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

eigentlicher und uneigentlicher Veranschaulichung auch als einsolcher zwischen eigentlicher und uneigentlicher Erfüllungbezeichnet werden kann, sofern die Intention auf ihren Gegenstandabzielt, nach ihm gleichsam begehrend langt, und Erfüllung imprägnanten Sinne nun als Ausdruck dafür gelten kann, daßder Intention mindestens etwas von der Fülle des Gegenstandeszugeführt wird. Indessen müssen wir dabei festhalten, daß dieuneigentlichen und eigentlichen Erfüllungen innerhalb der Identi-fizierungssyn.thesen durch einen gemeinsamen phänomeno-logischen Charakter (der Erfüllung im weiteren Sinne) ausgezeichnetsind, und daß es ein eigener Satz ist, welcher lehrt, daß alleumeigentliche Erfüllung eigentliche Erfüllungen impli-ziere, also den Erfüllungscharakter diesen eigentlichen „verdanke".

Um. den Unterschied zwischen eigentlichen und =eigentlichenVeranschaulichungen etwas genauer zu umschreiben und zugleicheine Beispielsklasse zu erledigen, bei welcher uneigentlich.e Ver-anschaulichungen ganz mit dem Anschein wahrhafter auftretenführen -wir noch folgendes aus.

Nicht immer, wenn die Erfüllung einer signitiven Intentionsich auf Grund einer Anschauung vollzieht, sind die Materiellder beiderseitigen Akte, wie es oben vorausgesetzt war, im Ver-hältnis der D eckung, so daß der intuitiv erscheinende Gegen-stand selbst als der in der Bedeutung gemeinte dasteht. Nurwo dies zutrifft, ist aber im wahren Sinn von Veranschau-lichung zu sprechen, nur dann ist der Gedanke in der Weiseder Wahrnehmung realisiert, in der Weise der Imagination illu-striert. Anders wenn die erfüllende Anschauung einen Gegenstand.erscheinen läßt, der den Charakter eines indirekten Repräsen-tanten hat; z. B. wenn bei der Nennung eines geographischenNamens die Phantasievorstellung einer Landkarte auftaucht undmit der Bedeutungsintention dieses Namens verschmilzt; oderwenn eine Behauptung in betreff gewisser Straßenverbindungen.,Flußläufe, Gebirgszüge durch die Einzeichnungen einer vorliegen-den Karte bestätigt werden. Hier ist die Anschauung in wahremSinne garnicht als erfüllende zu bezeichnen, ihre eigene Materie

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Zur Phänomenologie der Erkenntnisstufen. 75

tritt garnicht in Aktion; das wirkliche Erfüllungsfundament liegtnicht in ihr, sondern in einer mit ihr verwobenen und offenbarsignitiv en Intention. Daß der erscheinende Gegenstand hierals indirekter Repräsentant für den bedeuteten und genanntenGegenstand fungiert, das besagt ja phänomenologisch, daß die ihnkonstituierende Anschauung Trägerin einer neuen Intention ist,welche über ihn, den erscheinenden Gegenstand, hinausweist undihn eben dadurch als ein Zeichen charakterisiert. Die eventuellvorhandene Analogie des Erscheinenden und des Gemeinten be-stimmt hier nicht eine schlichte Bildvorstellung, sondern eine aufdie Bildvorstellung aufgebaute Zeichenvorstellung. Der Umriß vonEngland, wie ihn die Landkarte malt, mag die Form des Landesselbst abbilden; aber die bei der Rede von England auftauchendePh.antasievorstellung der Karte - meint nicht England selbst inbildlicher Weise, auch nicht mittelbar, in der Weise des durchdiese Karte Abgebildeten; sondern sie meint England in derWeise des bloßen Zeichens, dank den äußerlichen Beziehungender Assoziation, die all unsere Kenntnisse über Land und Leutean das Kartenbild angeknüpft hat. Daher gilt, indem die nomi-nale Intention sich auf Grund dieser Phantasievorstellung erfüllt,nicht das in der letzteren imaginierte Objekt (die Landkarte),sondern das von diesem erst repräsentierte Objekt als dasselbe,wie das mit dem Namen Gemeinte.

§ 21. Die „Fülle" der Vorstellung.

Doch es wird jetzt nawendig sein, die Leistung der intuitivenIntentionen näher ins Auge zu fassen. Nachdem die Erfüllungder mittelbaren Inten.tion.en auf die Erfüllung, und zwar auf dieintuitive Erfüllung unmittelbarer Intention.en zurückführt, und sichauch herausgestellt hat, daß das letzte Ergebnis des ganzenmittelbaren Prozesses eine unmittelbare Intention ist, so interessiertuns jetzt die Frage altach der intuitiven Erfüllung unmittelbarerIntentionen und nach den hierbei waltenden Erfüllungsverhältnissenund -gesetzen. Diese Frage nehmen wir also in Angriff. Beiden folgenden Untersuchungen soll, worauf wir gleich aufmerksam

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machen, bezüglich der intentionalen Wesen die Materie allein.maßgeben.d sein für die festzustellenden Verhältnisse. Die Quali-täten (Setzung und „bloße" Vorstellung) können also beliebig an-genommen werden.

Wir beginnen mit folgendem Satze:Zu jeder intuitiven Intention gehört — im Sinne idealer

Möglichkeit gesprochen — eine sich der Materie nach ihr genauanmessende signitive Intention. Diese Einheit der Identifizierungbesitzt notwendig den Charakter einer Erfüllungsein.heit, in. wel-cher das intuitive, nicht das signitive Glied den Charakter deserfüllenden, und dann auch des im eigentlichsten Sinne Füllegebenden hat.

Den Sinn dieses letzteren drücken wir nur anders aus,wenn wir sagen, daß die signitiven Intentionen in sich „leer"und „der Fülle b e dürftig" sind. Im Übergang -von einer signi-tiven Intention zur entsprechenden Anschauung erleben wir nichtnur eine bloße Steigerung, wie beim Übergang von einem abge-Maßten. Bilde oder einer bloßen Skizze zu einem -voll-lebendigenGemälde. Vielmehr fehlt der signitiven Vorstellung für sich jed-wede Fülle, erst die intuitive Vorstellung bringt sie an sie heranund durch die Identifizierung in sie hinein. Die signitive Inten-tion weist bloß auf den Gegenstand hin, die intuitive macht ihnim prägnanten Sinne vorstellig, sie bringt etwas von der Fülle desGegenstandes selbst Wie weit das Bild im Falle der Imaginationhinter dem Gegenstande zurückbleiben mag, es hat mancherleiBestimmtheiten mit ihm gemein; und mehr als das, es „gleicht"ihm, es bildet ihn ab, und so ist er „wirklich vorstellig". Diesignitive Vorstellung aber stellt nicht durch Analogie vor, sie ist„eigentlich" garnicht „Vorstellung", vom Gegenstande wird inihr nichts lebendig. Die komplete Fülle als Ideal ist also dieFülle des Gegenstandes selbst, als Inbegriff der ihn konstituierenden..,Bestimmtheiten. Die Fülle der Vorstellung aber ist der In-

begriff derjenigen ihr selbst zugehörigen Bestinimtheiten, mittelswelcher sie ihren Gegenstand an.alogisierend ve egenwärtigt oderihn als selbst gegebenen erfaßt. Diese Fülle ist also neben

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Zur Phänomenologie der Erkenntnisstufen. 77

Qualität und Materie ein charakteristisches Moment derVorstellungen; ein positives Bestandstück freilich nur bei denintuitiven Vorstellungen, ein Manko bei den signitiven. Je „klarer"die Vorstellung ist, je größer ihre „Lebendigkeit", je höherdie Stufe der Bildlichkeit, die sie ersteigt: um so reicher istsie an Fülle. Das Ideal der Fülle wäre demnach in einerVorstellung erreicht, die ihren Gegenstand, den vollen und ganzen,in ihrem phänomenologischen Inhalt beschlösse. Das *vermagsicherlich, wenn wir zur Fülle des Gegenstandes auch die indivi-dualisierenden Bestimmtheiten rechnen, keine Imagination, viel-mehr nur die Wahrnehmung. Sehen wir von diesen Bestimmt-heiten jedoch ab, so ist hiermit auch für die Imagination einIdeal bestimmt bezeichnet

Wir hätten also auf die Merkmale des vorgestellten Gegen-standes zurückzugehen: je mehr dieser Merkmale an der ana-logischen Repräsentation beteiligt sind, und für jedes ein-zelne: je größer die Steigerung der Ähnlichkeit ist, mit welcher dieVorstellung dieses Merkmal in ihrem eigenen Inhalt repräsentiert —um so größer ist die Fülle der Vorstellung. In gewisser Weiseist allerdings, wie in jeder, so in der bildlichen Vorstellung jedesMerkmal ihres Gegenstandes mitgemeint; aber nicht jedes istanalogisch repräsentiert, nicht zu jedem gehört im phänome-nologischen Inhalt der Vorstellung ein eigenes, es sozu-sagen analogisierendes (verbildlichendes) Moment. DerInbegriff dieser miteinander innig verschmolzenen.Momente, als Fundamente der rein intuitiven (hier rein imagi-nativen) Auffassungen gedacht, die ihnen erst den Charakter vonRepräsentanten der entsprechenden gegenständlichen Momentegeben, macht die Fülle der imaginativen Vorstellung aus. Ebensobei der Wahrnehmungsvorstellung. Hier kommen neben den imagi-nativen Repräsentationen auch perzeptive Präsentationen, Selbst-erfassungen, Selbstdarstellungen gegenständlicher Momente in Be-tracht. Nehmen wir den Inbegriff der, sei es imaginativ oderperzeptiv fungierenden Momente der Wahrnehmungsvorstellungzusammen, so haben wir damit die Fülle derselben abgegrenzt.

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78 VI. Elernente einer phänornenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

§ 22. Fülle und „intuitiver Gehalt".

Genau besehen ist der Begriff der Fülle noch mit einer Doppel-deutigkeit behaftet. Man kann die oben bezeichneten Momentenach ihrem eigenen inhaltlichen Bestande ins Auge fassen, unterAbstraktion von den Funktionen reiner Imagination und Perzeption,die ihnen erst den Wert der Bildlichkeit oder Selbstabschattungund somit ihren Wert für die Erfüllungsfunktion geben. Mankann andererseits diese Momente in ihrer Auffassung, also nichtdiese Momente allein, sondern die vollen Bilder oder Selbstab-schattungen betrachten; also, unter bloßem Ausschluß der irden-tionalen. Qualitäten, die ganzen rein intuitiven Akte, welche dieseMomente, indem sie sie gegenständlich deuten, zugleich in sich,schließen. Diese „rein intuitiven" Akte verstehen wir als bloßeBestandstücke der vorgegebenen Anschauungen, nämlich als das-jenige in den Anschauungen, was den vorhin näher bezeichnetenMomenten die Beziehung zu ihnen entsprechenden und durchsie dargestellten gegenständlichen Bestimmtheiten verleiht; wirschließen somit (abgesehen von den Qualitäten) die etwa zudemnoch eingeknüpften signitiv en. Beziehungen auf weitere, nichtzu eigentlicher Darstellung kommenden Teile oder Seitendes Gegenstandes aus.

Offenbar sind es diese rein intuitiven Bestandstücke, welcheden Akten als Ganzen den Charakter von Wahrnehmungen undBildvorstellungen, kurz den intuitiven Charakter erteilen, undwelche im Zusammenhang der Erfüllungsreihen als Fülle gebendund vorhandene Fülle steigernd oder bereichernd fungieren. Wirwerden, um der Doppeldeutigkeit der Rede von der Fülle zu be-gegnen, unterscheidende Termini einführen:,

Unter darstellenden oder intuitiv repräsentierendenInhalten verstehen wir diejenigen Inhalte intuitiver Akte, welöhevermöge der rein imaginativen oder perzeptiven Auffassungen,deren Träger sie sind, auf ihnen bestimmt entsprechende Inhaltedes Gegenstandes eindeutig hinweisen, sie in der Weise vonimaginativen oder perzepf:ixen Abschattungen darstellen. 'Die sie

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Zur Phänomenologie der Erkenntnisstufert. 79...........■■••■■•••■••

in dieser Weise charakterisierenden Aktmomente schließen wirjedoch aus. Da der Charakter der Imagination in der analogisie-renden Abbildung, in der „Re-präsentation" in einem engerenSinne liegt, der Charakter der Wahrnehmung aber auch als Prä-sentation bezeichnet werden kann, so bieten sich als unterschei-dende Namen für die darstellenden Inhalte im einen .und anderen.Fall die Namen: analogisierende oder abbildende und prä-sentierende oder selbstdarstellende. Auch die Ausdrückeimaginativ und perzeptiv abschattende Inhalte sind rechtbezeichnend. Die darstellenden Inhalte der äußeren Wahrnehmungdefinieren den Begriff der Empfindung im gewöhnlichen, engenSinn. Die darstellenden Inhalte der äußeren Phantasie sind diesinnlichen Phantasmen.

Die darstellenden oder intuitiv repräsentierenden Inhalte inund mit der ihnen zugehörigen Auffassung nennen wir denintuitiven Gehalt des Aktes und sehen dabei immer noch vonder Qualität des Aktes (ob sie setzende ist oder nicht), als füralle hier fraglichen Unterscheidungen gleichgültig ab. Vom intui-tiven Gehalt ausgeschlossen sind nach dem Obigen ferner allesignitiven Komponenten des Aktes.

§ 23. Die Gewichtsverhältnisse zwischen intuitivem und signitivern

Gehalt ein und desselben Aktes. Reine Intuition und reine Signifikation.

Wahrnehmungsinhalt und Bildinhalt, reine Wahrnehmung und reineImagination. Die Gradationen der Fülle.

Zur vollen Klärung der eben abgegrenzten Begriffe und zurleichteren Abgrenzung - einer Reihe neuer, im selben Boden war-zeln.der Begriffe stellen wir folgende -Überlegung an.

In einer anschaulichen Vorstellung ist ein Gegenstand in derWeise der Imagination oder Perzeption gemeint; er „kommt" inihr, mehr oder minder vollkommen „zur Erscheinung." Notwendigmüssen jedem Teil, überhaupt jeder Bestimmtheit des Gegenstandes,und zwar als des hic et nunc gemeinten, gewisse Momente oderStücke des Aktes entsprechen. Worauf sich kein Meinen bezieht,das ist für die Vorstellung nicht vorhanden. Nun finden wir im

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80 T71. Elemente einer phänoenenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

allgemeinen die Möglichkeit zur folgenden phänomenologischenUnterscheidung gegeben:

1. der rein intuitive Gehalt des Aktes, als dasjenige, wasim Akte dem Inbegriff der "in die Erscheinung fallenden"Bestimmtheiten des Objektes entspricht;

2. der signitive Gehalt des Aktes, imgleichen entsprechenddem Inbegriff der übrigen, zwar mitgemeinten aber nichtselbst in die Erscheinung fallenden Bestimmth.eiten.

So machen wir ja alle, und zwar rein phänomenologisch, inder Anschauung einer Dingwahrnehmung oder eines Bildes denUnterschied zwischen dem, was darin vom Objekte wirklich zurErscheinung komme, zwischen der bloßen „Seite", von welcheres sich uns zeige, und dem, was der Darstellung ermangle, wasdurch andere phänomenale Objekte verdeckt sei u. dgl. Offenbarliegt im Sinn dieser Rede, was die phänomenologische Analysein gewissen Grenzen sicher bewährt, daß auch Nicht-Dargestelltesin der anschaulichen Vorstellung mitgemeint ist, und ihr somitein Gehalt an signitiven Komponenten zugeschrieben werden muß.Von ihm müssen wir erst abstrahieren, wenn wir den intuitiven,Inhalt rein erhalten wollen. Dieser letztere gibt dem darstellen-den Inhalt seine direkte Beziehung zu entsprechenden gegenständ.-lichen Momenten, und erst durch Kontiguität knüpfen sich an ihndie Auen, insofern also mittelbaren Intentionen signitiver Art.

Definieren wir nun als das Gewicht des intuitiven, bzw.signitiven Inhalts den Inbegriff der intuitiv, bzw. signitiv vor-gestellten gegenständlichen Momente, so ergänzen sich die beidenGewichte in jeder Vorstellung zur Einheit des Gesamtgewichts,d. i. zum Gesamtinbegriff der gegenständlichen Bestimmtheiten* . Esgilt also jederzeit die symbolische Gleichung

i s— 1.Die Gewichte i und s können, offenbar vielfach variieren: derselbe,intentional derselbe Gegenstand kann mit verschiedenen, und. bald.mit weniger, bald mit mehr Bestimmtheiten intuitiv werden; dem-entsprechend ändert sich auch der signitive Inhalt, er wächst odernimmt ab.

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Zur Phänomenologie der Erkenntnisstufen. 81

Ideell ergibt sich nun die Möglichkeit zweier Grenzfälle:i= 0 s —1,i==../ s = 0,

Im ersten Fall hätte die Vorstellung nur einen signitiven Inhalt;von ihrem intentionalen Gegenstande bliebe keine Bestimmtheitübrig, die sie in ihrem Inhalte zur Darstellung brächte. Die unsspeziell als reine Bedeutungsintentionen wohlbekann.ten rein signi-tivenVorstellungen erscheinen also hier als Grenzfälle der intuitiven..

Im zweiten Falle enthält die Vorstellung gar keinen signi-tiven Inhalt. Alles an ihr ist Fülle; kein Teil, keine Seite, keineBestimmtheit ihres Gegenstandes, die nicht intuitiv dargestellt,keine, die bloß indirekt mitgemeint wäre. Nicht nur ist alles,was dargestellt ist, gemeint (was ein analytischer Satz ist), sondern.es ist auch alles Gemeinte dargestellt. Diese uns neuen Vorstellun-gen definieren wir als reine Anschauungen. Wir gebrauchenübrigens diesen Ausdruck in einem unschädlichen Doppelsinn:bald so daß der volle Akt befaßt ist, bald unter Abstraktion vonder Qualität. Unterscheidend können wir von qualifizierten,und nicht-qualifizierten reinen Anschauungen sprechen. Eben-so . auch bei allen verwandten Akten.

Nun können wir doch in jeder Vorstellung von den signitivenKomponenten abstrahieren', indem wir lins auf das beschränken,was in ihrem repräsentativen Inhalt wirklich zur Repräsentationkommt Wir können also eine reduzierte Vorstellung bilden,mit einem derart reduzierten Gegenstande, daß sie in Beziehungauf ihn reine Anschauung ist. Demgemäß können wir auchsagen, der intuitive Gehalt einer Vorstellung befasse dasjenige,was in ihr reine Anschauung sei, wie wir dann auch hin-sichtlich des Gegenstandes von seinem rein intuitiven, nämlichin dieser Vorstellung zu reiner Intuition kommenden Inhaltsprechen dürfen. Dies überträgt sich auf den signitiven. Gehaltder Vorstellung, wir können ihn als dasjenige bezeichnen, .was an

ihr reine Signifikation ist.Der gesamte jeweilige Akt der Anschauung besitzt nun.

entweder den Charakter der Wahrnehmung oder den der Bildvor-Husserl, Log. Unters. II. 6

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82 VI Elemente einer phänomenolog. Aufkliirzhng der Erkenntnis.

stellung. Der intuitive Gehalt heißt dann speziell perzeptiver

oder Wahrnehmungsgehalt, bzw. imaginativer oder Bild-inhalt. Er ist nicht zu verwechseln mit dem perzeptiv oderimaginativ darstellenden Inhalt im definierten Sinne (S. 79).

Der Wahrnehmungsinhalt befaßt, obschon in der Regel nichtausschließlich, präsentierende Inhalte; der Bildinhalt nur analogi-sierende Inhalte. Daß diese letzteren Inhalte mitunter noch eineandere Auffassung zulassen, in der sie, wie im Falle der physischenBilder, als präsentierende fungieren, tut nichts zur Sache.

Vermöge der Mischung zwischen perzeptiven und imagina-tiven Komponenten, welche der intuitive Inhalt einer Wahrnehmungzuläßt und in der Regel aufweist, können wir wieder eineSonderung -vorgenommen denken, wonach nämlich der Wahr-nehmungsinhalt in den 7-einen, Wahrnehmungsinhalt und einenergänzenden Bildin.halt zerfällt wird.

Ebenso in jeder reinen Anschauung sind lor und br die Ge-wichte ihrer rein perzeptiven, bzw. imaginativen Komponenten,so können wir die symbolische Gleichung ansetzen

2,4 + br = 1,wobei 1 das Gewicht des intuitiven Gesamtinhalts der reinen An-schauung, also den Gesamtinhalt ihres Gegenstandes symbolisiert.Ist nun br — 0, d. h. die reine Anschauung von allem Bild-inhalt frei, so heißt sie reine Wahrnehmung, ober besser reine.Perxeption, denn vom qualitativen Charakter, den der Sinndes Terminus Wahrnehmung als setzenden mitzubefassen pflegt,soll hier abgesehen bleiben. Ist umgekehrt to,. ---- 0, so heißt dieAnschauung reine Bildvorstellun.g (reine Imagination) . Die „Rein-heit" der reinen Wahrnehmung bezieht sich also nicht nur aufsignitive, sondern auch auf imaginative Zutaten. Die Einschrän-kung einer unreinen Wahrnehmung durch Ausscheidung der symbo-lischen Komponenten liefert die ihr einwohnende reine Anschauung,und erst ein weiterer Schritt der Reduktion, die Ausscheidungalles Bildlichen, liefert den Gehalt an reiner Wahrnehmung.

Ist nicht in der reinen Wahrnehmung der darstellende Inhaltidentisch mit dem Gegenstande selbst? Das Wesen der reinen

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Zur Phäinomenologie der Erkenntnisstufen. 83

Präsentation besteht doch darin, reine Selbstdarstellung des Gegen-standes zu sein, also den darstellenden Inhalt direkt (in der Weise,des „selbst") als ihren Gegenstand zu meinen. Doch das wäreein Trugschluß. Die Wahrnehmung, als Präsentation, faßt dendarstellenden Inhalt so, daß mit un-d in ihm der Gegenstand alsselbst gegeben erscheint. Rein ist die Präsentation dann, wennjeder Teil des Gegenstandes im Inhalte wirklich präsentiert undkeiner bloß- imaginiert oder symbolisiert ist. So wie im Gegen-stande nichts ist, was nicht präsentiert, so im Inhalte nichts, wasnicht präsentierend ist. Trotz dieser genauen Korrespondenz kanndie Selbstdarstellung den Charakter einer bloßen, wenn auch all-seitigen Abschattung (eines vollständigen ;Wahrnehmungsbildes")haben, sie braucht nicht an das Ideal der Adäquation heranzu-reichen, bei dem der darstellende Inhalt zugleich der dargestellteist. Die reine Bildvorstellung, die ihren Gegenstand vermöge ihrerReinheit von allen signitiven Zutaten vollständig verbildlicht, be-sitzt in ihrem darstellenden Inhalt ein vollständiges Analogon desGegenstandes. Dieses Analogon kann sich dem Gegenstand mehroder minder annähern, bis zur Grenze der vollen Gleichheit. Genaudasselbe kann auch von der reinen Wahrnehmung gelten. Nurdarin besteht der Unterschied, daß die Imagination den Inhaltals Analogon, als Bild auffaßt, die Wahrnehmung aber als Selbst-erscheinung des Gegenstandes. Nicht bloß die reine Tmagination,auch die reine Wahrnehmung läßt darnach bei Festhaltung ihresintentionalen Gegenstandes noch Unterschiede der Fülle zu.

Hinsichtlich der Gradationen. der Fülle an intuitivemInhalt, mit welchen die Gradationen der Fülle an repräsentieren-dem Inhalt eo ipso parallel laufen, können wir unterscheiden:

1. den Umfang oder Reichtum an Fülle, wechselnd,je nachdem der Inhalt des Gegenstandes mit größerer odergeringerer Vollständigkeit zur Darstellung kommt.

2. die Leb en.digk eit der Fülle als Grad der Annäherungder primitiven Ähnlichkeiten der Darstellung an die ent-sprechenden Inhaltsmomente des Gegenstandes,

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84 Til Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

3. den Realitätsgehalt der Fülle ihr Mehr oder Wenigeran präsentierenden Inhalten.

In allen diesen Beziehungen stellt die adäquate Wahrnehmungdas Ideal dar, sie hat das Maximum des Umfangs, der Lebendig-keit und der Realität, eben als Selbsterfassung des vollen undganzen Objekts.

§ 24. Steigerungsreihen der Erfüllung.

Die Rede von der „Fülle" formten wir mit Beziehung aufdie Verhältnisse der „Erfüllung", dieser eigentümlichen Formder Synthesis der Identifizierung. In den letzten Feststellungenhaben wir aber nicht nur den Begriff der Fülle, sondern auchdie Unterschiede ihrer größeren oder geringeren Vollständigkeit,Lebendigkeit, Realität, und somit auch die Abstufungen der Bild-lichkeit und Abschattung, durch Verhältnisse innerer Momenteder Vorstellungen zueinander und zu den intendierten gegenständ-lichen Momenten erklärt. Es ist jedoch evident, daß diesenVerhältnissen mögliche Steigerungsreihen, gebaut aus Er-füllungssynthesen, entsprechen.

Erfüllung stellt sich, auf Grund erster Zuwendung einerFülle überhaupt, in der identifizierenden Anpassung „korrespon-dierender" Anschauung an eine signitive Intention ein. Der in-tuitive Akt „gibt" dem signitiven im Deckungszusammenhangseine Fülle. Das Steigerungsbewußtsein gründet hier in derPartialdeckung der Fülle mit dem korrelaten Teil der signitivenIntention, während der identifizierenden Deckung der einander ent-sprechenden Leerstücke der beiderseitigen Intentionen kein Anteilam Steigerun.gsbewußtsein wird zugeschrieben werden können.

Kontinuierliche Steigerung der Erfüllung vollziehtsich dann weiter in der Kontinuität intuitiver Akte, bzw. Erfüllungs-reihen, welche den Gegenstand mit immer mehr erweiterter undgesteigerter Bildlichkeit vorstellen. Daß B2 ein „vollkommeneres"Bild als Bi ist, besagt, daß im synthetischen Zusammenhangder zugehörigen Bildvorstellungen Erfüllung, und nach Seiten desB2 Steigerung statthat. Zu Steigerungen gehören, wie überhaupt,

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Zur Phänomenologie der Erkenntnisstufen. 85

so auch hier Abstände, und in der Verkettung der Verhältnisse„Transitivität". Ist also zugleich B2 > Bi und B3 > .B2 , so istB3 > Bi , und dieser letztere Abstand ist größer als die ihn vor-nlittebaden Abstände. So zum mindesten, wenn wir die dreioben unterschiedenen Momente der Fülle: Umfang, Lebendigkeitund Realität gesondert in Rechnung ziehen.

Diesen Steigerungen und Steigerungsreihen entsprechen, wiedie Analyse lehrt, Ähnlichkeiten und Ähnlichkeitsreihen hin.-sichtlich der darstellenden Inhalte der Füllen. Die Ähnlich-keit der Repräsentanten ist allerdings nicht ohne weiteres alsSteigerung, die ihn.lichkeitsverkettung nicht als .Steigerungsreihein Anspruch zu nehmen; nämlich nicht, wenn diese -„Füllen"nach ihrem eigenen inhaltlichen Bestande und unter Abstraktionvon ihrer repräsentierenden Funktion in den zugehörigen Aktenbetrachtet werden. Erst vermöge dieser Funktion, also vermögeder Tatsache, daß in der Ordnung der Erfüllungsreihe und derzwischen ihren Akten waltenden Steigerungen, jeder spätere Aktder Fülle noch als reicher erscheint, gewinnen auch die repräsen-tierenden Inhalte der Akte eine aufsteigende Ordnung; schritt-weise erscheinen sie selbst nicht nur überhaupt als Fülle gebend,sondern als immer reichere Fülle gebend. Die Bezeichnung dieserBestandstücke als Füllen ist eben eine relative,. funktionelle, siedrückt eine Charakteristik aus, die dem Inhalt durch den Aktund durch die Rolle dieses Aktes in möglichen Erfüllungsyn.thesenzuwächst. Es verhält sich hier ähnlich wie bei der Bezeichnung„Gegenstand". Gegenstand zu sein ist kein positives Merkmal,keine positive Art eines Inhalts, es bezeichnet den Inhalt nur alsintentionales Korrelat einer Vorstellung. Im übrigen gründendie Erfüllungs- und Steigeru.ngsverhältnisse offenbar in dem phä-nomenologischen Gehalt der Akte rein nach seinem spezifi-schen B estan de. Es handelt sieh durchaus um ideale, durchdie betreffenden Spezies bestimmte Verhältnisse.

In der Synthese intuitiver Akte findet aber nicht immerSteigerung der Fülle statt; denn es kann partielle Erfüllung undpartielle Eiltfüllung Hand in. Hand gehen, worüber wir oben

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8 6 VI. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

schon gesprochen haben. Letztlich führt, so können wir danachsagen, die Unterscheidung zwischen bloßer Identifikationund Erfüllung darauf zurück, daß bei der ersteren entwederüberhaupt keine Erfüllung im wahren Sinn statthat, weil es sichum Identitätsthesen von Akten handelt, die sämtlich ohne Füllesind; oder es findet zwar Erfüllung, bzw. Bereicherung der Füllestatt, aber unter gleichzeitiger Entleerung, unter*Dahingabe bereitsvorhandener Fülle, so daß kein ausgeprägtes und reines Steige-rungsbewußtsein zustande kommt. Die primitiven, auf die Ele-mentarintentionen bezüglichen Verhältnisse sind jedenfalls: Er-füllung einer leeren, d. i. rein signitiven, und gleichsam Zufüllungeiner bereits einigermaßen gefüllten d. i. Steigerung und Reali-sierung einer imaginativen Intention.

§ 25. Fülle und intentionale Materie.

Wir wollen jetzt das Verhältnis des unter dem Titel Füllebefaßten neuen Begriffes von Vorstellungsinhalt zu dem Inhaltim Sinne der Materie erwägen, welch letzterer in der bisherigenUntersuchung eine so große Rolle gespielt hat. Die Materie galtuns als dasjenige Moment des objektivierenden Aktes, welchesmacht, daß der Akt gerade diesen Gegenstand und gerade indieser Weise, d. h. gerade in diesen Gliederungen und Formenmit besonderer Beziehung gerade auf diese Besidmmtheiten. oderVerhältnisse vorstellt. Vorstellungen von übereinstimmenderMaterie stellen nicht nur überhaupt denselben Gegenstand vor,sondern sie meinen ihn ganz und gar als denselben, näm-lich als völlig gleich bestimmten. Die eine teilt ihm in ihrerIntention nichts zu, was ihm nicht auch die andere zuteilt. Jederobjektivierenden Gliederung und Form auf der einen Seite ent-spricht eine Gliederung und Form auf der andern Seite, derartdaß die übereinstimmenden Vorstellungselemente objektiv dasselbemeinen. In diesem Sinne sagten wir in der V. Untersuchung,1 in.den Erläuterungen zum Begriff der Materie und des bedeutun.gs-

1 Vgl. IP, 1, 8. 418.

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Zur Phänomenologie der Erkenntnisstufen. 87

mäßigen Wesens : „Zwei Urteile sind wesentlich dasselbe Urteil[nämlich Urteile derselben Materie], wo alles, was vom beur-teilten Sachverhalt na,,ch dem einen Urteil gelten würde, vonihm auch nach dem andern gelten müßte, und nichts anderes.Ihr Wahrheitswert ist derselbe." Sie meinen eben bezüglichdes Gegenstandes dasselbe, mögen sie sonst auch recht erheblichunterschieden sein; z. B. das eine nur signifikativ vollzogen, dasandere von mehr oder weniger Anschauung durchleuchtet.

Was mir für diese Begriffsbildung ursprünglich die Richtunggab, war das Identische im Aussagen und Verstehen eines unddesselben Ausdrucks, wobei der eine den Aussageinhalt „glauben"und der andere ihn „dahingestellt lassen" kann, ohne diese Iden-tität zu stören; wobei es ferner nicht darauf ankommt, ob sichdas Ausdrücken in Anmessung an korrespondierende Anschauungenvollzieht, und überhaupt vollziehen kann, oder nicht. Daherkönnte man sogar geneigt sein (und ich selbst habe in diesemPunkte lange geschwankt), die Bedeutung geradezu als diese„Materie" zu definieren; was aber die Unzuträglichkeit hätte, daßz. B. in der prädizierenden Aussage das Moment des aktuellenB ehauptens von der Bedeutung ausgeschlossen wäre. [Jeden-falls könnte man den Bedeutungsbegriff zunächst so beschränkenund dann zwischen qualifizierten und unqualifizierten Be-deutungen unterscheiden.] Die Vergleichung von Bedeutungs-intentionen und ihren korrelaten Anschauungen in der statischenund dynamischen Einheit der identifizierenden Deckung ergabdann, das dieses Selbe, was als Materie der Bedeutung abgegrenztwar, sich in der korrespondierenden Anschauung -vviederfinde und

die Identifikation vermittle, und daß somit die Freiheit in derHinzunahme oder Weglassung anschaulicher Elemente und sogarder ganzen korrespondierenden Anschauungen, wo es sich nur umdie identische Bedeutsamkeit des jeweiligen Ausdrucks handelt,darauf beruhe, daß der dem Wortlaut angehängte Gesana.takt aufder Anschauungsseite dieselben Materien hat, wie auf der Be-deutungsseite; nämlich nach all den Bedeutungsteilen, die über-

haupt zur Veranschaulichung kommen.

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88 PI Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

Danach ist es klar, daß der Begriff der Materie durch dieEinheit der totalen Identifizierung, und zwar als dasjenige in,den Akten, was in ihnen als Fundament der identifizie-rung dient, definiert ist, und daß folglich, die über die bloßeIdentifizierung hinausgehenden, die Eigenheiten der Erfüllung undErfüllungssteigerung mannigfaltig bestimmenden Unterschiede derFülle in dieser Begriffsbildung nicht berücksichtigt sind. Wieimmer die Fülle einer Vorstellung innerhalb ihrer möglichen Er-füllungsreihen variiert, ihr intentionaler Gegenstand, welcher undso wie er intendiert ist, bleibt derselbe; mit andern Worten, seineMaterie bleibt dieselbe. Andererseits sind aber Materie und Füllenicht beziehungslos, und wo wir einem rein signitiven einen ihmFülle zuführenden Akt der Anschauung an die Seite stellen, daunterscheidet sich dieser von jenem nicht etwa dadurch, daß sichder gemeinsamen Qualität und Materie noch die Fülle als eindrittes, von diesen beiden gesondertes Moment angegliedert hatSo zum mindesten nicht, wenn wir unter Fülle den intuitiven.Inhalt der Anschauung verstehen. Denn der intuitive Inhalt be-faßt selbst schon eine ganze Materie, nämlich hinsichtlich des aufeine reine Anschauung reduzierten Aktes. Ist der vorgegebeneAnschauungsakt von vornherein ein Akt reiner Anschauung, soist seine Materie zugleich ein 'Bestandstück seines intuitivenInhalts.

Am passendsten werden wir die hier obwaltenden Verhält-nisse, durch Parallelisierung der signitiven und intuitiven Akte,in folgender Art fassen können:

Der rein signitive Akt bestände als eine bloße Komplexionvon Qualität und Materie, wenn er überhaupt für sich sein, d. i.für sich eine konkrete Erlebniseinheit bilden könnte. Das kanner nicht; wir finden ihn immer als Anhang einer fundierendenAnschauung. Diese Anschauung des Zeichens hat allerdings mitdem Gegenstande des signifikativen Aktes „nichts zu tun", d. h.sie tritt zu diesem Akte in keine Erfüllungsbeziehung; aber sierealisiert seine Möglichkeit in concreto als die eines schlechthinunerfüllten Aktes. Es scheint also folgender Satz zu gelten:

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Zur Phänomenologie der Erkenntnisstufen. 89

Eine Signifikation ist nur dadurch möglich, daß eine Intuitionmit einem neuen intention.alen Wesen behaftet ist, wodurch derintuitive Gegenstand in der Weise eines Zeichens (gleichgültig obeines festen oder nur momentan sich darbietenden) über sich hin-ausweist. Genauer erwogen, scheint dieser Satz den hier 'walten-den Notwendigkeitszusammenhang nicht mit der. erforderlichenanalytischen Klarheit auszudrücken und sagt vielleicht mehr, alssich rechtfertigen läßt. Wir werden, scheint es, sagen dürfen.,daß es nicht die fundierende Anschauung als Ganzes, son-dern nur ihr repräsentierender Inhalt ist, was dem signitivenAkte wesentlich die Stütze verleiht. Denn was über diesen In-halt hinausgeht und das Zeichen als Naturobjekt bestimmt, kannwillkürlich variieren, ohne die signitive Funktion zu stören.Ob z. B. die Buchstaben eines Wortzeichens aus Holz, Eisen,Druckerschwärze sind usw., bzw. ob sie objektiv als dergleichenerscheinen, ist gleichgültig. Es kommt nur die überall wiedererkennbare Gestalt in Betracht, aber auch nicht als die objek-tive Gestalt des Dinges aus Holz usw., sondern als die im dar-stellenden sinnlichen Inhalt der Anschauung wirklich vorhandeneGestalt. Besteht der Zusammenhang nur zwischen dem signitivenAkt und dein darstellenden Inhalt der Anschauung, sind alsoQualität und Materie dieser Anschauung für die signitive Funk-tion bedeutungslos, so würden wir auch nicht sagen können, jedersignitive Akt bedürfe einer fu.n.dierenden. Anschauung, sonderner bedürfe eines fundierenden Inhalts. Als solcher kann, soscheint es, jeder beliebige Inhalt fungieren, wie ja auch jederals darstellender Inhalt einer Anschauung fungieren kann.

Ziehen wir nun den parallelen' Fall in Erwägung, den desrein intuitiven Aktes, so ist auch seine Qualität und Materie(sein intentionales Wesen) nicht für sich abtrennbar; auch hierbedarf es 'einer notwendigen Ergänzung. Diese liefert der i:eprä-sentierende Inhalt, d. h. der (im Falle der sinnlichen Anschauungsinnliche) Inhalt, welcher in der vorliegenden Verwebung- miteinem intentionalen Wesen den Charakter eines intuitiven Re-präsentanten angenommen hat. Beachten wir, daß derselbe (z. B.

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90 171 Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.••••••,........./............,,,

sinnliche) Inhalt einmal als Träger einer Signifik.ation, das andereMal als Träger einer Intuition dienen kann (hindeutend — ab-bildend), so liegt es nahe, den Begriff des repräsentierenden In-halts zu erweitern, und zwischen signitiv und intuitiv reprä-sentierenden Inhalten (oder kurzweg: signitiven und intuitivenRepräsentanten) zu unterscheiden.

Diese Einteilung ist aber unvollständig. Wir haben bishernur die rein intuitiven und rein signitiven Akte berücksichtigt.Ziehen wir nun auch die gemischten Akte heran, die man all-gemein unter dem Titel Anschauung mitbefaßt, so ist ihre Eigen-heit damit bezeichnet, daß sie einen repräsentierenden Inhalthaben, welcher in 1:Ulisicht auf den einen Teil der vorgestelltenGegenständlichkeit als abbildender oder selbstdarstellender Reprä-sentant, in Hinsicht auf den ergänzenden Teil als bloße Hin-deutung fungiert Wir müssen also den rein signitiven und reinintuitiven Repräsentanten die gemischten beiordnen, welche zu-gleich signitiv und intuitiv repräsentieren, und zwar inBeziehung auf dasselbe intentionale Wesen. Wir könnenjetzt sagen:

Jeder konkret vollständige objektivierende Akt hatdrei Komponenten: die Qualität, die Materie und denrepräsentierenden Inhalt. Je nachdem dieser Inhalt alsrein signitiver oder rein intuitiver Repräsentant oderals beides zugleich fungiert, ist der Akt ein rein signi-tiver, rein intuitiver oder gemischter.

§ 26. Fortsetzung. Repräsentation oder Auffassung.

Die Materie als der Auffassungssinn, die Auffassungsform und der

aufgefaßte Inhalt. Unterscheidende Charakteristik der i22tuitivsen und

signitiven Auffassung.

Es fragt sich nun, wie dieses Fungieren zu verstehenist, da doch a priori die Möglichkeit besteht, daß derselbe In-halt in Verbindung mit derselben Qualität und Materie in dieserdreifachen Weise fungiere. Es ist klar, daß es nur die phäno-

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Zur Phänomenologie der Erkenntnisstufen. 91

menologische Eigenart derEin.heitsform sein kann, die demUnterschied, als einem phänomenologisch vorfindlichen, seinenInhalt gibt. Diese Form verknüpft aber speziell die Materieund den Repräsentanten. Die repräsentative Funktion leidet janicht durch den Wechsel der Qualität. Ob uns z. B. die Phan-tasieerscheinung als die Vergegenwärtigung eines wirklichen Ob-jektes gilt, oder als bloße Einbildung, ändert daran - nichts, daßsie Bildvorstellung ist, daß ihr Inhalt ,also die Funktion einesBildinhalts trägt Wir nennen daher die phänomenologischeEinheit zwischen Materie und Repräsentanten, sofern siedem letzteren den Charakter als Repräsentanten verleiht, dieForm der Repräsentation, und das durch sie hergestellteGanze jener beiden Momente Repräsentation schlechthin.Diese Bezeichnung prägt die Beziehung zwischen repräsentierendem.und repräsentiertem Inhalt (dem Gegenstand, oder Gegenstandsteil,welcher repräsentiert ist) nach seinem phänomenologischen Grundeaus. Lassen wir den phänomenologisch nicht gegebenen Gegen-stand außer Spiel, um nur auszüdrücken, daß uns, wo der In-halt als Repräsentant, und näher als Repräsentant dieser oderjener Art und für dieses oder jenes Gegenständliche, fungiert, mitihm immer wieder anders „zumute" ist, so sprechen wir vondem Wechsel der Auffassung. Wir können also die Formder Repräsentation auch als .A.uffassungsform bezeichnen.Da die Materie sozusagen den Sinn angibt, nach dem derrepräsentierende Inhalt aufgefaßt wird, so können wir auch vonA.uffassungssinn sprechen; wollen wir die Erinnerung an denalten Terminus festhalten und zugleich den Gegensatz zur Formandeuten, so sprechen wir auch von _Auffassungsmaterie.Demnach hätten wir bei jeder Auffassung phänomenologisch zuunterscheiden: Auffassungsmaterie oder Auffassun.gssinn,Auffassungsform und aufgefaßten Inhalt; welch letzterervom- Gegen stande der Auffassung zu unterscheiden ist. —Der Ausdruck Apperzeption paßt, obschon historisch gegeben,durch seinen falschen terminologischen Gegensatz zu Perzeption,nicht; brauchbar wäre dagegen Apprehension.

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92 V/. Elemente einer pizänomenolog Aufklärung der Erkenntnis.

Die nächste Frage betrifft die unterscheidende Charakteristikder verschiedenen Weisen der Repräsentation oder Auffassung,die nach dem oben Gesagten auch verschieden sein können beiIdentität der Auffassungsmaterie (des "als was" der Auffassung).Im vorigen Kapitel haben wir die Unterschiede der Repräsenta-tionen durch die Unterschiede der Erfüllungsformen charakterisiert:im jetzigen Zusammenhang ist es auf eine innere Charakteristik,die sich auf den eigenen deskriptiven Gehalt der Intentionen be-schränkt, abgesehen. Benützen wir die Ansätze einer analytischenVerdeutlichung, die sich uns in der früheren Behandlung geboten,und zugleich die Fortschritte, die wir inzwischen im allgemeinenVerständnis der Repräsentationen gemacht haben, so ergibt sichfolgende Ideenreihe:

Den Ausgang nehmen wir von der Bemerkung, daß diesignitive Repräsentation zwischen der Materie und dem Re-präsentanten eine zufällige, äußerliche Beziehung herstellt,die intuitive Repräsentation aber eine wesentliche, innerliche.Die Zufälligkeit besteht im ersten Falle darin, daß identisch die-selbe Signifikation jedem beliebigen Inhalt angehängt zu denkenist. Die signifikative Materie bedarf nur überhaupt einesstützenden Inhalts, aber zwischen seiner spezifischen Be-sonderheit und ihrem eigenen spezifischen Bestandefinden wir kein Band der Notwendigkeit. Die Bedeutungkann sozusagen nicht in der Luft hängen, aber für das, was siebedeutet, ist das Zeichen dessen Bedeutung wir sie nennen,völlig gleichgültig.

Ganz anders im Falle der rein intuitiven Repräsentation.Hier besteht ein innerer, notwendiger Zusammenhangzwischen dr Materie und dem Repräsentanten, durchden spezifischen Gehalt der beiden bestimmt. Als intuitiver Re-präsentant eines Gegenstandes kann nur ein Inhalt dienen, derihm ähnlich oder gleich ist. Phänomenologisch ausgedrückt: alswas wir einen Inhalt auffassen (in welchem Auffassungssinn), dassteht uns nicht ganz frei; und nicht bloß au g empirischen Grün-den — denn empirisch notwendig ist jede, auch die signifikative

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Zur Phänomenologie der Erkenntnisstufen. 93

Auffassung — sondern weil uns der aufzufassende Inhalt durcheine gewisse Sphäre der Ähnlichkeit und Gleichheit, also durchseinen spezifischen Gehalt, Grenzen setzt. Diese Innerlichkeitder Beziehung knüpft nicht nur die Auffassungsmaterie alsganze und den ganzen Inhalt aneinander, sondern ihre beider-seitige,n Teile Stück für Stück. So in dem vorausgesetztenFalle reiner Intuition. Im Falle der unreinen Intuition istdie spezifische Einheit eine partielle: ein Teil der Materie — dieMaterie der reduzierten und dann natürlich reinen Anschauung —gibt den intuitiven Sinn an, in dem der Inhalt aufgefaßt ist; derübrige Teil der Materie erfährt keine Repräsentation durch Gleich-heit oder Ähnlichkeit, sondern durch bloße Kontiguität, d. h. inder gemischten Anschauung fungiert der refiräsentierende Inhaltnach einem Teile der Materie als intuitiver, nach dem ergänzen-den als signitiver Repräsentant.

Fragt man nun schließlich, was es macht, daß derselbe In-halt im Sinne derselben Materie einmal in der Weise des intuitivendas andere Mal in der eines signitiven Repräsentanten aufgefaßtwerden kann, oder worin die verschiedene Eigenart der Auf-fassun.gsf orm besteht, so vermag ich darauf eine weiterführendeAntwort nicht zu geben. Es handelt sich wohl um einen phäno-menologisch irreduktibeln Unterschied.

Wir haben in diesen Überlegungen die Repräsentation alsEinheit von Materie und repräsentierendem Inhalt für sich be-trachtet. Gehen wir wieder auf die vollen Akte zurück, so stellensie sie als Verknüpfungen zwischen der Aktqualität und der, seies intuitiven oder signitiven Repräsentation heraus. Die ganzenAkte nennt man intuitive oder signitive, ein Unterschied, deralso durch die eingewobenen. Repräsentationen bestimmt ist. DasStudium der Erfüllungsverhältnisse hatte uns oben zum Begriffdes intuitiven Gehalts oder der Fülle eines Aktes geführt. Ver-gleichen wir diese Begriffsbildung mit der jetzigen, so grenzt siedie einem Akt unreiner Anschauung zugehörige rein intuitiveRepräsentation (—reine Anschauung) ab. Die „Fülle" war ein Be-griff, der speziell für die vergleichende Betrachtung der Akte in

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94 VI. Elemente einer phänoenenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

ihrer erfüllenden Funktion geprägt war. — Der gegensätzlicheGrenzfall zu reiner Anschauung, die reine Signifikation, istnatürlich dasselbe wie rein signitive Repräsentation.

§ 27. Repriisentationen als notwendige Vorstellungsgrundlagenin allen, Akten. Letzte _Klärung der Rede von den verschiedenen Weisen

der Beziehung des Bewußtseins auf einen Gegenstand.

Jeder objektivierende Akt schließt eine Repräsentation in sich.Jeder Akt überhaupt ist, nach den Darlegungen der V. Unter-suchung,' 'entweder selbst ein objektivierender, oder hat einensolchen Akt zur Grundlage. Also die letzte Grundlage aller Aktesind "Vorstellungen" im Sinne von Repräsentationen.

Die Rede von der verschiedenen Weise der Beziehungeines Aktes auf seinen Gegenstand hat nach den bisherigenÜberlegungen folgende wesentlichen Vieldeutigkeiten. Sie betrifft:

1. Die Qualität der Akte, die Weisen des Glaubens, bloßenDahingestelltseinlassens, Wünschens, Zweifelns usw.

2. Die zugrunde liegende Repräsentation, und zwara) die Auffassungsform: ob der Gegenstand bloß signffiv ,

oder intuitiv, oder in gemischter Weise vorstellig ist.Hierher gehören auch die Unterschiede zwischen Wahr-nehmungsvorstellung, Phantasievorstellung usw.;

b) die Auffassungsmaterie: ob der Gegenstand in diesemoder jenem "Sinne" vorgestellt ist, z. B. signifikativ durchverschiedene, diesen selben Gegenstand vorstellenden aberihn verschieden bestimmenden Bedeutungen;

c) die aufgefaßten Inhalte: ob der Gegenstand mittelstdieser oder jener Zeichen vorgestellt ist, oder mittelstdieser oder jener darstellenden Inhalte. Genau besehen,handelt es sich in diesem zweiten Falle, vermöge dergesetzlichen Beziehung zwischen intuitiven Repräsentanten,Materie und Form, zugleich um Unterschiede, die selbstbei gleicher Materie die Form betreffen.

1 Vgl. ihr vorletztes Kapitel, bes. § 41, 112, 1, 8. 493.

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Zur Phänomenologie der Erkenntnisstufen. 95

§ 28. Intentionales Wesen 'und erfüllender Sinn. Erkenntnismäßiges

Wesen. Anschauungen in speie.

Wir haben in der I. Untersuchung der Bedeutung den er-füllenden Sinn (oder auch der intendierenden Bedeutung dieerfüllende) gegenübergestellt, indem wir darauf hinwiesen, daß inder Erfüllung der Gegenstand in derselben Weise intuitiv "ge-geben" sei, in welcher ihn die .bloße Bedeutung meine.' Wirnahmen, was sich dabei mit der Bedeutung deckt, ideal konzipiert,als den erfüllenden Sinn und; sagten, durch diese Deckunggewinne die bloße Bedeutun. gsintention., bzw. der Ausdruck, Be-ziehung auf den intuitiven Gegenstand (drücke der Ausdruck ihnund gerade ihn aus).

Darin liegt, wenn wir die später eingeführten Begriffs-bildungen verwenden, daß der erfüllende Sinn als das intentionaleWesen des vollständig angemessen erfüllenden Aktes gefaßt wird

Diese Begriffsbildung ist durchaus korrekt und ausreichend fürden Zweck, das ganz Allgemeine der Sachlage, wo eine signitiveIntention zu ihrem intuitiv vorgestellten Gegenstand Beziehunggewinnt, zu bezeichnen, also die wichtige Einsicht zum Ausdruckzu bringen, daß das bedeutungsmäßige Wesen des signitiven (aus-drückenden) Aktes sich identisch im entsprechenden intuitivenAkte, trotz der phänomenologischen Verschiedenheit der beider-seitigen Akte, wiederfinde, und daß die lebendige Identifizierungs-ein.heit die Deckung selbst und zugleich damit die Beziehung desAusdrucks zum Ausgedrückten realisiere. Andererseits ist es klar,daß eben vermöge dieser Identität der erfüllende Sinn nichts Ton

der Fülle impliziert, daß er also nicht den gesaniten Inhaltdes intuitiven Aktes, soweit dieser erkenntniskritischin-Betracht kommt, zusammenfaßt. Man könnte daran In.stoßnehmen, daß wir das intentionale Wesen so enge gefaßt haben,wodurch ein so wichtiges, ja für die Erkenntnis Ausschlag geben-des Bestandstück des Aktes ausgeschieden bleibe. Was uns

1 Unters. I, § 14, II 1, 1, S. 51 L

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96 VI. Elemente einer phä'nomenolog..Aufklärung der Erkenntnis.,,..........,*...............

leitete, war der Gedanke, es müsse doch als Wesen einer objekti-vierenden Intention dasjenige gelten, was keine Intention dieser Artüberhaupt entbehren könne, oder was in keiner solchen Intentionfrei variierbar sei, ohne daß sie, nach idealer Notwendigkeit, hin-sichtlich ihrer Beziehung auf Gegenständliches berührt würde.Die rein signitiven Akte sind aber „leere" Intentionen, ihnen fehltdas Moment der Fülle. und somit kann für die objektivierendenAkte überhaupt nur die Einheit von Qualität und Materie alsWesen gelten. Nun könnte man einwenden, daß die signitivenIntentionen ohne sinnlichen Anhalt nicht möglich sind, daß siein ihrer Art also auch intuitive Fülle haben. Indessen ist dies,im Sinne sowohl unserer Ausführungen über signitive Repräsen-tanten, als auch im Sinne der früheren über umeigentliche undeigentliche Veranschaulichung, in Wahrheit gar keine Fülle. Odervielmehr, es ist zwar Fülle, aber nicht die des signitiven, son-dern des ihn fundierenden Aktes, in welchem sich das Zeichenals anschauliches Objekt konstituiert. Diese Fülle kann, sahenwir, schrankenlos variiren, ohne die signitive Intention und all daswas ihren Gegenstand angeht, zu berühren. Mit Rücksicht aufdiese Sachlage und zugleich in Beachtung des Umstandes, daßauch bei den intuitiven Akten die Fülle, obschon beschränkt,variieren kann, während sie fortfährt, immerfort denselben Gegen-stand, mit denselben Bestimmtheiten und qualitativ in derselbenWeise zu meinen, *ist es klar, daß es jedenfalls eines Terminusbedarf, welcher die bloße Einheit von Qualität nnd Materie be-zeichnet

Andererseits ist es nun auch nützlich, einen Begriff um-fassenderen Inhalts zu bilden. Wir definieren demnach daserkenntnismäßige Wesen eines objektivierenden Aktes(im Gegensatz zum bloß bedeutungsmäßigen Wesen desselben) alsden gesamten, für die Erkenntnisfunktion in Betrachtkommenden Inhalt. Ihm gehören dann die drei KomponentenQualität, Materie und Fülle oder intuitiver Inhalt zu-; oder wennwir die Überschiebung der beiden letzteren vermeiden und dis-junkte Komponenten haben wollen: Qualität, Materie und in-

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Zur Phänomenologie der Erkenntnisstuft9b. 97

tuitiv repräsentierender Inhalt, wovon letzterer und mit ihmdie „Fülle" bei den leeren Intentionen entfällt.

Alle objektivierenden Akte von demselben erkenntnismäßigenWesen sind für das ideale Interesse der Erkenntniskritik „der-selbe" Akt. Wenn wir von objektivieren.den Akten in speciesprechen, haben wir die entsprechende Idee im Auge. Ebenso beider einschränkenden Rede von Anschauun.g en in speie u. dgl.

§ 29. Vollständige und lückenhafte Anschauungen. Angemessene und

objektiv vollständige Veranschaulichung. Essenz.

In einer intuitiven Vorstellung ist ein verschiedenes Maßintuitiver Fülle möglich. Diese Rede von einem verschiedenenMaß, weist, wie wir erörtert haben, auf mögliche Erfüllungsreihenhin; in ihnen fortschreitend, lernen wir den Gegenstand immerbesser kennen, mittelst eines darstellenden Inhalts, der dem Gegen-stand immer ähnlicher ist und ihn immer lebendiger oder vollererfaßt. Wir wissen aber auch, daß Anschauung statthaben kann,wo ganze Seiten und Teile des gemeinten Objekts gar nicht in dieErscheinung fallen,' d. h. die Vorstellung ist mit einem intuitivenInhalt ausgestattet, der von diesen Seiten und Teilen keine dar-stellenden RePrägentanten enthält, so daß sie nur mittelst eingewobener signitiver Intentionen. „un.eigentlich" vorstellig sind.Mit Beziehung auf diese Unterschiede, die noch sehr differenteWeisen der Vorstellung für ein und denselben, und nach Maß-gabe derselben Materie gemeinten Gegenstand bestimmen, sprachenwir oben von Unterschieden des Umfangs der Fülle. Es sindhier nun zwei wichtige Möglichkeiten zu unterscheiden:

1. Die intuitive Vorstellung stellt ihren Gegenstand an-

gemessen vor, d. h. mit einem intuitiven Gehalt von solcherFülle, daß jedem Bestandstück des Gegenstandes, so wie er indieser Vorstellung gemeint ist, ein repräsentierendes Bestandstückdes intuitiven Inhalts entspricht

2. Oder dies ist nicht der Fall; die Vorstellung enthält nureine unvollständige Abschattung des Gegenstandes, sie stellt ihn

unangemessen vor.Husserl, Log. Unters. II. 7

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98 VI. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.-

Hier ist von Angemessenheit und Unangemessenheit einerVorstellung an ihren Gegenstand die Rede. Da aber von An-gemessenheit im Erfüllun.gszu.sammenhange auch in. einem weite-ren Sinne gesprochen wird, führen wir noch eine andere Termi-nologie ein: wir wollen von vollständigen und lückenhaftenAnschauungen (spezieller: Wahrnehmungen, bzw. Einbildungen)sprechen. Alle reinen Anschauungen sind vollständig. Daß abernicht das Umgekehrte gilt, die vorgenommene Einteilung alsonicht einfach mit derjenigen in reine und unreine Anschau-ungen zusammenfällt, zeigt sogleich das Folgende:

Ob nämlich die Vorstellungen einfach oder komplex sind,darüber ist in der vollzogenen Unterscheidung nichts voraus-gesetzt. Die intuitiven,V orstellungen können aberin doppel-ter Weise zusammengesetzt sein:

A) so, daß die Beziehung auf den Gegenstand einfach ist,sofern der Akt (spezieller zu reden, die Materie) keine Teil-Akte aufwäist (bzw. keine gesonderten Materiell), die für sichschon. denselben. ganzen Gegenstand vorstellen. Diesschließt nicht aus, daß der Akt aus Partialintentionen., obschonhomogen verschmolzenen, aufgebaut ist, die sich auf die einzelnen.Teile oder Seiten des Gegenstandes beziehen. Solche Zusammen-setzung anzunehmen, wird man bei den „äußeren" Wahrnehmungenund Imaginationen i'iirohl kaum vermeiden können, und demgemäßsind wir verfahren. Auf der anderen Seite steht

B) die Art der Zusammensetzung, welche den Gesamtakt ausTeilakten aufbaut, deren jeder für sich schon eine volleintuitive Vorstellung dieses selben Gegenstandes ist,.Dies betrifft die überaus merkwürdigen kontinuierlichen Syn-thesen, die eine Mannigfaltigkeit zu demselben Gegenstand ge-hörig& Wahrnehmungen zu einer einzigen „vielseitigen" oder „all-seitigen", den Gegenstand in „wechselnder Lage" kontinuierlichbetrachtenden Wahrnehmung zusammenschließen; und desgleichen.die entsprechenden Synthesen. der Imagination. In der Kontinui-tät fortgesetzter, aber nicht in getrennte Akte zerfallender Iden-titätsverschmelzung erscheint hierbei der identisch eine Gegen-

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Zur Phänomenologie der. Erkenntnisstufen. 99

stand nur ein einziges Mal, und nicht so oft, als Einzelakte unter-scheidbar sind. Aber er erscheint in fortgesetzt sich ändernderInhaltsfülle; und zugleich bleiben die M ateri en und desgleichendie Qualitäten in fortdauernder Identität, so zum wenigsten,wenn der Gegenstand allseitig bekannt ist und als dieser bekannte,ohne sich zu bereichern, immer wieder zutage tritt.

Auf diese kontinuierlichen Synthesen bezieht sich die Unter-scheidung zwischen Angemessenheit und Unangemessenheit mit.Beispielsweise ist von einem äußeren Ding hinsichtlich der all-seitigen Oberflächengestaltung eine angemessene Vorstellung in.Form der Synthesis möglich, in Form der objektiv-einfachen Vor-stellung unmöglich.

Von den vollständigen Anschauungen sind nun offenbar dieobjektiv einfachen, nicht immer jedoch die objektiv zusammen-gesetzten reine Anschauungen. Die einem empirischen Dingentsprechende und uns versagte reine Anschauung steckt zwar ingewisser Weise in der vollständigen synthetischen Anschauungdesselben darin, aber sozusagen in verstreuter Weise und immerwieder vermengt mit signitiven Repräsentanten. Reduzieren wiraber diese synthetische Anschauung auf ihre reine, so ergibt sichnicht die reine Anschauung der objektiv einfachen Vorstellung,sondern eine Kontinuität von intuitiven Inhalten, in welcher jedesgegenständliche Moment nicht einmal, sondern öfters zur dar-stellenden Repräsentation, zur immerfort wechselnden Abschattungkommt, und .nur die Kontinuität der Identitätsverschmelzung dasPhänomen der Einzigkeit des Gegenstandes ausmacht. —

Wenn ein intuitiver Akt als Fülle gebender fungiert, und.zwar in Ansehung eines signitiven, etwa einer ausdrücklichen Be-deutungsintention, so stellen sich anologe Möglichkeiten heraus.Es kann der Gegenstand, so wie er bedeutet ist, angemessen,bzw. unangemessen veranschaulicht sein. Zum ersteren ge-hören im Falle komplexer Bedeutungen zwei trennbare Voll-kommenheiten, nämlich:

Erstens, daß allen Teilen (Gliedern, Momenten, Formen)der Bedeutung, welche selbst den Charakter von Bedeutungen

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100 VI. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.—

haben, Erfüllung zuwächst durch entsprechende Teile der er-

füllenden Anschauung.Zweitens, daß nun auf seiten der erfüllenden Anschauung

für sich Angemessenheit hinsichtlich des Gegenstandes statthat,soweit er irgend in den zur Erfüllungsfunktion herangezogenenGliederungen und Formen dieser Bedeutung gemeint ist.

Das erste bestimmt also die Vollständigkeit der Anpassungsignitiver Akte an korrespondierende Anschauungen; daszweite die Vollständigkeit der Anpassung signitiver Akte —mittels vollständiger Anschauungen — an den Gegenstandselbst.

So kann der Ausdruck ein grünes Haus dadurch veranschau-licht sein, daß ein Haus uns wirklich als ein grünes intuitivvorstellig ist. " Dies wäre die erste Vollkommenheit. Zur zweitenbedürfte es einer adäquaten Vorstellung eines grünen Hauses.Nur die erstere wird man zumeist im Auge haben, wo von an-gemessener Veranschaulichung von Ausdrücken die Rede ist.,Um aber die doppelte Vollkommenheit terminologisch zu markie-ren, wollen wir von objektiv vonständigerVeranschaulichungder signitiven Vorstellung, im Gegensatz zu ihrer zwar an-gemessenen, aber objektiv lückenhaften Veranschaulichungsprechen.

Ähnliche Verhältnisse bestehen auch im Falle der wider-streitenden statt erfüllenden Veranschaulichung. Wenneine signitive Intention sich auf Grund der Anschauung enttäuscht,etwa dadurch, daß sie ein grünes A meint, 'während dasselbe A(und vielleicht sogar ein A überhaupt) rot ist und soeben alsrot angeschaut ist: so verlangt die objektive Vollständigkeitder anschaulichen Realisierung des Widerstreites, daß alle Be-standstücke der Bedeutungsintention ihre objektiv vollständigeVeranschaulichung finden. Es ist also nötig, daß sich nichtnur die A- Intention in der gegebenen Anschauung des A.objektiv vollständig erfülle, sondern auch, daß sich die Grün-Intention — obschon natürlich in einer anderen, mit jener An-schauung rotes A eben „unvereinbaren" — Anschauung erfülle.

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Zur Phänomenologie der Erkenntnisstufen. 101

Dann tritt nicht die bloße signitive, vielmehr die objektiv voll-ständig erfüllte Grün-Intention in Widerstreit mit der Rot-An-schauung, wobei zugleich diese beiden Anschauungsmomente selbstin totalen und die zugehörigen Anschauungsganzen in , partialen„Wettstreit" treten. Vor allem trifft dies', wie man wohl wirdsagen dürfen, die intuitiven, bzw. die darstellenden Inhaltedieser erfüllenden Akte.

Wo nichts besonders angegeben ist, sind im folgenden unterdem Titel Veranschaulichungen solche von der Art der Erfüllung-engemeint.

Die Unterschiede der Fülle bei gleicher Qualität und Materiegeben noch zu einer wichtigen Begriffsbildung Anlaß:

Wir sagen zwei intuitive Akte besitzen dieselbe Essenz,wenn ihre reinen Anschauungen dieselbe Materie haben.So hat eine Wahrnehmung und die ganze, der Möglichkeit nachunbegrenzte Reihe von Phantasievorstellungen., deren jede den-selben Gegenstand mit demselben Umfang der Fülle vorstellt, eineund dieselbe Essenz. Alle objektiv vollständigen Anschauungeneiner und derselben Materie haben dieselbe Essenz.

Eine signitive Vorstellung hat in sich keine Essenz.Indessen schreibt man ihr im uneigentlichen Sinne einegewisse Essenz dann zu, wenn sie durch eine Anschauung ausder möglichen Mannigfaltigkeit von Anschauungen dieser Essenzvollständige Erfüllung zuläßt; oder was dasselbe ist, wenn sieeinen „erfüllenden Sinn" hat.

Damit dürfte die wahre Meinung des scholastischen Terminus,der ja die Möglichkeit eines „Begriffes" treffen will, klargelegt sein.

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102 V/. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

Viertes Kapitel.

Verträglichkeit und Unverträglichkeit.

§ 30: Die ideale Unterscheidung der Bedeukengen in mögliche .eale .)und unmögliche (imaginäre).

Nicht jeder signitiven Intention können sich intuitive Aktein der Weise „objektiv vollständiger Veranschaulichung" I anpassen.Darnach zerfallen die Bedeutungsintentionen in mögliche (in sichverträgliche) und unmögliche (in sich unverträgliche, imaginäre).Diese Einteilung, bzw. das ihr ,zugrunde liegende Gesetz, betrifft— was genau 'ebenso für alle hier sonst aufgestellten Sätzegilt -nicht die vereinzelten Akte, sondern generell, ihreerkenntnismäßigen Wesen, und darin ihre allgemein zufassenden Materiell. Denn nicht ist es etwa möglich, daß einesignitive Intention der Materie 3/ die Möglichkeit der Erfüllung inirgendeiner Ai)schauung fände, und eine andere signitive Intentionderselben Materie M dieser Möglichkeit entbehrte. Die Möglich-.keiten und Unmöglichkeiten sprechen nicht von den in irgend-welchen empirischen Bewußtseinskomplexionen tatsächlich vor-findlichen Anschauungen; es sind nicht reale, sondern idealeMöglichkeiten, sie gründen rein in den spezifischen Charakteren.In. der Sphäre der Ausdrücklichkeit, auf welche man sich ohnewesentliche Einbuße beschränken kann, lautet daher das Axiom:Die Bedeulungen speeie die Begriffe und Sätze) zer-fallen in mögliche und unmögliche (reale und imaginäre).

Die Möglichkeit (Realität) einer Bedeutung läßt sich, wennwir die oben vollzogenen Begriffsbildungen heranziehen, dadurchdefinieren, daß ihr in der Sphäre der objektivierenden Akte

Das Verständnis der in diesem und den folgenden Kapiteln versuch-ten analytischen Aufklärungen und die Bemessung ihrer etwaigen Leistungenhängt durchaus davon ab, daß die im Bisherigen festgelegten strengen Begriffesicher im Auge behalten und ihnen nicht die vagen Vorstellungen der populärenRede untergeschoben werden.

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Verträglichkeit und Unverträglichkeit. 103

in spe»ie eine angemessene Essenz entspricht, nämlicheine solche, deren Materie mit der ihren identisch ist;oder, was dasselbe ist, daß sie einen erfüllenden Sinn hat,oder auch, daß es eine vollständige Anschauung in speciegibt, deren Materie mit der ihren identisch ist. Dies„es gibt" hat hier denselben idealen Sinn -v'Tie in der Mathematik;es auf die Möglichkeit entsprechender Einzelheiten zurückführen,heißt, es nicht auf ein anderes 'zurückführen, sondern es durcheine bloße äquivalente Wendung ausdrücken. (So zum mindesten,wenn die Möglichkeit als reine, somit nicht als empirische, undin diesem Sinne als „reale" verstanden wird.)

Die Idee der Möglichkeit einer Bedeutung *drückt, wenn wirnäher zusehen, eigentlich die Generalisierung des Erfüllangs-verhältnisses in dem Falle ‚objektiv vollständiger Veran-schaulichung aus, und die obigen Definitionen sind statt bloßerWorterklärungen vielmehr als die idealen notwendigen undhinreichenden Kriterien der Möglichkeit anzusehen. In ihnenliegt das besondere Gesetz, daß, wo jenes Verhältnis zwischenMaterie einer Bedeutung und Materie einer Essenz besteht,, auchdie „Möglichkeit" statthat; wie umgekehrt, daß in jedem Fallevon Möglichkeit dies Verhältnis besteht.

Ferner: daß ein solches ideales Verhältnis überhaupt vor-kommt, d. h. daß jene Generalisierung objektiv statthat, also ihrer-seits „möglich" ist, darin liegt wieder eine Gesetzlichkeit, diesich einfach in den Worten ausprägt: Es gibt „mögliche"Bedeutungen (wobei zu beachten ist, daß „Bedeutung" nicht„Akt des Bedeuten.s" meint). Nicht jedes empirische Verhältnisgestattet solche Generalisierung. Finden wir dieses angeschautePapier rauh, so können wir nicht generell aussprechen, Papier ist

rauh, so wie wir auf Grund eines gewissen aktuellen Bedeutensaussprechen dürfen: diese Bedeutung ist möglich (real). Ebendarum liegt auch in dem Satze, jede Bedeutung ist entwedermöglich 'oder unmöglich, nicht ein einzelner Fall des Satzesvom ausgeschlossenen Dritten vor, in dem bekannten Sinn, welcherden Ausschluß kontradiktorischer Prädikate individueller Sub-

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104 V/. Elemente einer phänomenolog . Aufklärung der Erkenntnis.

jekte ausspricht, und einen solchen Ausschluß auch nur für solcheSubjekte schlechthin aussprechen kann. Der Ausschluß kontra-diktorischer Prädikate in einer idealen Sphäre (z. B. der arith-metischen, der Bedeutungssphäre usw.) ist gar nicht selbstverständ-lich, sondern muß in jeder solchen Sphäre von neuem bewiesenoder axiomatisch aufgestellt werden. Wir erinnern daran, daßwir nicht etwa sagen dürfen, jede Art Papier ist entweder rauhoder ist nicht rauh; denn darin läge, daß jedes einzelne Papiereiner beliebigen Art rauh, oder jedes einzelne nicht rauh sei, undderartige Behauptungen sind natürlich nicht für beliebige Art-bildungen richtig. Demgemäß liegt wirklich hinter der Einteilungder Bedeutungen in mögliche und unmögliche ein eigenes,inhaltreiches generelles Gesetz, ein Gesetz, das in idealer Weisedie phänomenologischen Momente beherrscht, nämlich dadurch,daß es in der Weise genereller 'ätze ihre Spezies verknüpft.

Um ein solches Axiom aussprechen zu dürfen, muß manes einsehen, und daß wir in unserem Falle Evidenz besitzen,ist sicher. Indem wir z. B. die Bedeutung des Ausdrucks weißeFläche auf Grund der Anschauung realisieren, erleben wir dieRealität des Begriffs, die intuitive Erscheinung stellt wirklichetwas Weißes und eine Fläche, und zwar gerade als eine weißeFläche vor; und darin liegt, daß die erfüllende Anschauung nichtbloß überhaupt eine weiße Fläche vorstellt, sondern sie durchihren Inhalt so vollständig, als die Bedeutungsintention es fordert,zu intuitiver Gegebenheit bringt.

Der Möglichkeit reiht sich die Unmöglichkeit als einegleichberechtigte Idee an, die nicht bloß als Negation der Möglich-keit zu definieren, sondern durch ein eigenes phänomenologischesFaktum zu realieren ist. Dies ist ja ohnehin die Voraussetzungdafür, daß der Begriff der Unmöglichkeit je Anwendung finden,und zumal daß er in einem Axiom — darunter auch in dem Axiom:es gibt unmögliche Bedeutungen — vorkommen könne. DieGleichwertigkeit der Reden von Unmöglichkeit und Unverträg-lichkeit weist uns darauf hin, daß dieses phänomenologischeFaktum im Gebiete des Widerstreits zu suchen sei.

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Verträglichkeit und Unverträglichkeit. 105

§ 31. Vereinbarkeit oder Verträglichkeit als ein idealesVerhältnis in der weitesten Sphäre der Inhalte überhaupt. Vereinbarkeit

von „Begriffen" als Bedeutungen.

Wir gehen aus von dem Begriffe der Verträglichkeit oderVereinbarkeit, der in den weitesten Sphären der Inhalte über-haupt (der Gegenstände im allerweitesten Sinne) Geltung hat.

Zwei Inhalte, welche Teile irgendeines Ganzen sind, sind inihm vereint, sie sind also auch vereinbar, in der Einheit einesGanzen verträglich. Das scheint eine leere Selbstverständlich-keit. Aber vereinbar wären diese selben Inhalte auch dann, wennsie zufällig nicht vereint wären. Sicher hat es einen guten Sinn,von der Vereinbarkeit von ‚Inhalten zu sprechen, deren tat-sächliche Vereinigung immer ausgeschlossen blieb und ausge-schlossen bleiben wird. Sind aber zwei Inhalte vereint, so be-weist ihre Einheit nicht nur ihre eigene Vereinbarkeit, sondernauch diejenige einer ideellen Unzahl andere; nämlich aller Paareihnen gleicher und gattungsmäßig ähnlicher. Es ist klar, woraufdies abzielt, und was als Axiom' ausgesprochen, keineswegs eineleere Behauptung iSt: daß die Vereinbarkeit nicht zu denverstreuten Einzelheiten gehört, sondern zu den Inhalt-spezies; daß wenn .z. B. die Momente Röte und Rundung ein.-mal vereint gefunden worden sind, nun durch ideier ende Abs-traktion eine komplexe Spezies gewonnen und somitgegeben werden kann, welche die beiden Spezies Röte und

Rundung in ihrer ebenfalls pezifisch gefaßten Verbindungsformumschließt. Die ideale „Existenz" dieser komplexen Spezies istes, welche a priori die Vereinbarkeit von Röte und Rundungin jedem denkbaren Einzelfalle begründet, eine Vereinbarkeit, diesomit ein ideal gültiges Verhältnis ist, ob in aller Welt empirischeEinigung vorkommt oder nicht. Bestimmt sich danach der wert-volle Sinn der Rede von Vereinbarkeit überall als das ideale Seinder zugehörigen komplexen Spezies, so ist aber noch ein wichtigerPunkt zu beachten, nämlich daß die Rede von der Vereinbar-keit allzeit Beziehung hat zu irgendeiner (für das logische

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106 VI. Elemente einer phänomenolog Aufklärung der Erkenntnis.—

Interesse gerade maßgebenden) Art von Ganzen. Diese Rede ge-brauchen wir doch im Zusammenhang mit derErwägun.g, ob sich vor-gegebene Inhalte nach Maßgabe gewisser Formen zusammenpassenlassen oder nicht, eine Frage, die sich bejahend entscheidet mitder intuitiven Aufweisung eines Ganzen von der betreffenden Art.

Das Korrelat dieser inhaltlichen Vereinbarkeit ist die „Mög-lichkeit" der komplexen Bedeutungen. Dies ergibt sich ausden obigen Kriterien der Möglichkeit. Die angemessene Essenz,bzw. die vollständige Veranschaulichung des entsprechenden kom-plexen Inhalts, begründet ja die Vereinbarkeit seiner Teile, wiees umgekehrt zu dieser Vereinbarkeit eine Essenz und eine ent-sprechende Bedeutung gibt Die Realität einer Bedeutung besagtalso dasselbe wie: die Bedeutung ist ein objektiv vollständiger„Ausdruck" einer intuitiven inhaltlichen Vereinbarkeit. Im Grenz-falle eines einfachen Inhalts mag man die Geltung der einfachenSpezies als Vereinbarkeit „mit sich selbst" definieren. Daß dieVerknüpfung zwischen Ausdruck und Ausgedrücktem (Bedeutungund korrespondierender,d.i.„objektiv vollständig angemessener"Anschauung) selbst wieder eine Verknüpfung der Vereinbarkeitist, deren besonderen spezifischen Gehalt wir oben bestimmt haben,ist selbstverständlich. Andererseits handelt es sich bei der Redevon der Vereinbarkeit hinsichtlich der tedeutungen(„Begriffe") nicht bloß überhaupt um ihre Vereinbarkeit zu einemGanzen, und sei es auch zu einem Bedeutungsganzen — das wärevielmehr die reinlogisch grammatische Vereinbarkeit im Sinneder IV. Unters. — sondern nach dem oben Dargelegten um dieVereinbarkeit der Bedeutung zu einer „möglichen" Bedeutung,d. i. zu einer Bedeutung, welche mit korrespondierender Anschauungzur Einheit objektiv angemessener Erkenntnis vereinbar ist. Dem-gemäß handelt es sich hier um eine üb ertragene Rede. Dasselbewird man von der „Möglichkeit" sagen müssen. Die originäreMöglichkeit (oder Realität) ist die Geltung, die ideale Existenzeiner Spezies; zum mindesten ist sie dadurch völlig gewährleistet.Dann heißt die Anschauung einer ihr entsprechenden Einzelheit,und wieder das anzuschauende Einzelne selbst, möglich. Endlich

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Verträglichkeit und Unverträglichkeit. 107

heißt die in solch einer Anschauung sich mit objektiver Voll-ständigkeit erfüllende Bedeutung möglich. Der Unterschied derReden von Vereinbarkeit und Möglichkeit liegt bloß darin, daß,während die letztere die schlichte Geltung einer Spezies bezeich-net, die erstere (vor der Erweiterung des Begriffs um den Grenz-fall) das Verhältnis der Teilspezi es einer einheitlich gelten-den Spezies bezeichnet — und mit Beziehung darauf nun auchdas Verhältnis: der Teilanschauungen einer einheitlichen Anschau-ung; der .anzuschauenden Teilinhalte innerhalb eines als ein-heitlich anzuschauenden Gesamtinhalts; der zu erfüllenden Teil-bedeutungen innerhalb einer einheitlich zu erfüllenden Gesamt-bedeutung.

Schließlich merken wir noch an., daß wie die Begriffe Mög-lichkeit und Vereinbarkeit, so auch der Begriff der Essenz seinenoriginären Sinn dem Bedeutungsgebiete durch Übertragung erstleiht. Dieser originäre Begriff der Essenz wird durch denSatz ausgedrückt: Jede gültige Spezies ist eine Essenz.

§ 32. Unvereinbarkeit (Widerstreit) von Inhalten überhaupt.

Unvereinbar sind nun, um den entgegengesetzten Fall inseine allgemeinen Gründe zu verfolgen, Inhalte dan; wenn. siesich in der Einheit eines Ganzen nicht vertragen. Phänomeno-logisch gesprochen: es soll keine einheitliche Anschauung möglichsein, die ein solches Ganzes in vollständiger Angemessenheit gibt.Woher sollen wir dies aber wissen? In empirischen Einzelfällenversuchen wir es, Inhalte zur Einheit zu bringen, mitunter gelingtes, mitunter nicht — wir erfahren einen unwiderstehlichen Wider-stand. Aber das faktische Mißlingen beweist nicht das not-wendige Mißlingen. Könnte nicht größere Kraft den Widerstandschließlich überwinden? Indessen, im empirischen Bemühen um.die fraglichen Inhalte und um Beseitigung ihres „Wettstreits" er-fahren wir ein einzigartiges Verhältnis der Inhalte, das wieder inihrem spezifischen Bestand° gründet und in seiner Idealität von

,allem empirischen Bemühen und von allem Sonstigen des Einzelfallsunabhängig ist. Es ist das Verhältnis des Widerstreites.

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108 V/. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis. 1-- -

Dieses VerhältnisVerhältnis setzt also ganz bestimmte Inhalts arten und.zwar innerhalb ganz bestimmter Inhaltsverbände in Be-ziehung. Farben streiten miteinander nicht überhaupt, sondern nurin bestimmten Zusammenhängen: mehrere Farbenmomente vonverschiedener spezifischer Differenz sind als gleichzeitige voll-ständige Überdeckungen einer und derselben Körperausdehnungunverträglich, während sie in der Weise des Nebeneinander inner-halb der einheitlichen Ausdehnung sehr wohl verträglich sind. Unddies gilt allgemein. Niemals ist ein Inhalt der Art q mit einem.Inhalt der Art p schlechthin unverträglich, sondern immer be-zieht sich die Rede von ihrer Unverträglichkeit auf eine Inhalts-verbindung bestimmter Art G (ix, je?, . . .; p), welche p enthältund welcher sich nun auch q einknüpfen soll. In dem soll liegtallerdings der Hinweis auf eine Intention, eine Vorstellungs- und.zumeist auch Willensinten.tion, welche das q, das in einer beliebi-gen Anschauung A (q) gegeben ist, in die vorliegende Anschauungdes. G hineingetragen denkt, d. i. in ihr signitiv vorstellt. Abervon 'dieser Intention sehen wir jetzt ab, ebenso wie wir bei derVereinbarkeit absahen von der Intention auf Vereinigung, des-gleichen von dem Prozeß der Hinübertragung und Einigung.Wir halten bloß fest, daß hier ein deskriptiv eigenartiges Verhältniszwischen dem q — der Rest des A ist willkürlich variabel undspielt weiter keine Rolle — und demi) des Lahaltsganzen. G eintritt,und daß dieses Verhältnis vom Individuellen des Falles unabhängigist; mit anderen Worten, daß es rein in den Spezies G, p, q grün-det. Das Spezifische des 'Widerstreitbewußtseins gehört zu diesenSpezies, d. h. die Generalisierung der Sachlage ist wirklich, ist ineinem intuitiv- einheitlichen.A.11gemeinheitsbewußtsein realisierbar;sie ergibt eine einheitliche, gültige („mögliche") Spezies, welcheauf Grund des G das p und q durch Widerstreit vereint

§ 33. Wie auch Widerstreit Einigkeit fundieren kann. Rela,tivitätder Reden von Vereinbarkeit und Widerstreit.

An diesen letzteren Ausdruck und Satz knüpft sich eine Kettebeunruhigender Zweifelsfragen. Ein Widerstreit vereint? Die Ein-

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Verträglichkeit und Unverträglichkeit. 109

heit des Widerstreits eine Einheit der Möglichkeit? Gewiß, Ein-heit überhaupt begründet Möglichkeit, aber schließt diese nichtSchlechterdings den Widerstreit, die Unverträglichkeit aus?

Die Schwierigkeiten lösen sich, wenn wir daran denken, daßnicht nur die Rede von einer Unvereinbarkeit, sondern auch die-jenige von einer Vereinbarkeit notwendig Beziehung hat auf eingewisses, subjektiv zu reden, die Intention beherrschendes Ganzes G.Auf seinen spezifischen Gehalt hinblickend, nennen wir die Teileverträglich. Wir würden dieselben Inhalte p, q . . ., die hier alsTeile fungieren, unverträglich nennen, wenn wir in der symbo-lischen Intention auf ihre „Einheit innerhalb eines ebensolchenGanzen, statt intuitive Einheit, vielmehr intuitiven Widerstreit er-lebten. Die Korrelation der beiden möglichen Fälle in ihrer Be-ziehung auf die jeweils bestimmte ,Art von Ganzen oder Ver-knüpfungen der verträglichen, bzw. unverträglichen Inhalte istklar. Diese Beziehung bestimmt auch mit den Sinn dieser Termini.Verträglich nennen wir die p, g . . . nicht schlechthin und mitbloßer Rücksicht darauf, daß sie überhaupt, gleichgültig wie, ge-einigt, sondern mit Rücksicht darauf, daß sie in der Weise desG geeinigt sind, und daß diese Einigung der p, q . . . den Wider-streit derselben p, q . . . mit Beziehung auf dasselbe 0ausschließt Und wieder heißen Inhalte p, q . .. unverträglichnicht schlechthin, sondern mit Rücksicht darauf, daß sie sich imRahmen irgendeiner Einheit aus der uns gerade interessierenden•Einheitsart 0 „nicht vertragen"; d. h. weil die Intention auf einesolche Einheit einen Widerstreit anstatt solcher Einheit herbei-führt; wobei der Ausschluß korrelater Einheit durch korrelatenWiderstreit auch wieder seine Rolle spielt.

Das Widerstreitbewußtsein begründet „Uneinigkeit", da esdie 0-Einheit der p, q . . ., die hier in Frage steht, ausschließt.Bei dieser Richtung des Interesses gilt der Widerstreit selbstnicht als eine Einheit, sondern als Geschiedenheit, nicht als „Ver-knüpfung" sondern als „Trennung". Wechseln wir aber die Be-ziehungen, so kann auch eine Unverträglichkeit als Einheit fungieren,z. B. als Einheit zwischen dem Charakter des Widerstreits und

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110 VL Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkennini9.

den Inhalten, die durch ihn „getrennt" werden. Dieser Charakterist mit diesen Inhalten verträglich und mit anderen vielleicht un-verträglich. Geht die herrschende Intention auf das Widerstreit.ganze als Ganzes der eben genannten Teile, so besteht, wo wires finden, wo der Widerstreit also statthat, Vertr • lichkeit dieserTeile, d. i. der p, q . in ihrem Zusammenhang@ und in demdes sie trennenden Widerstreits. Wo der Widerstreit fehlt unddies Fehlen intuitiv wird, knüpft sich an die nun in verschiedenenAnschauungen . verstreuten Elemente ein neues Widerstreitbewußt-sein. Dieser Widerstreit ist nicht Widerstreit zwischen denGliedern des intendierten Widerstreits, dessen Fehlen er ja geradeanzeigt, sondern ein Widerstreit, der sich an die in einer An-schauung widerstreitlos geeinigten Inhalte p, . und an das ineiner anderen Anschauung intuitiv werdende Moment Wider-streit anknüpft

Die Paradoxie der Rede von einer Einigung durchW i der-streit klärt sich also durch die Beachtung der Relativität dieserBegriffe auf:. Man darf jetzt nicht mehr einwenden: Widerstreitschließe Einheit schlechthin aus; in der Form des Widerstreitssei schließlich alles und jedes zu „einigen"; wo Einheit fehle,da bestehe eben Widerstreit, und ihn wieder als Einheit geltenlassen, das hieße, den absolut starren Gegensatz zwischen Einheitund Widerstreit verflüssigen und seinen echten Sinn entwertenwollen. — Nein, würden wir jetzt sagen dürfen, Widerstreit undEinheit schließen sich nicht „schlechthin", sondern in einerjeweils bestimmten, nur von Fall zu Fall wechselnden Korre-lation aus. In dieser schließen sie sich als starre Gegensätzeaus; nur wenn man das schlechthin auf eine solche, immer still-schweigendvorausgesetzte Korrelation einschränkt, können wir unsmit der gegnerischen Behauptung zufrieden geben. Ferner: in derForm des Widerstreites läßt sich nicht alles einigen, sondernnur all das, was eben einen Widerstreit fundiert, und nichts vondem, was vereint und vereinbar ist. Denn im Sinne dieser Redevon Einigung in Form eines Widerstreites liegt es, daß die Formdes Widerstreites irgendwelcher in einer gewissen Verbindung

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Verträglichkeit und Unverträglichkeit. 111

Oo gedachten p, q . . . als Einheit gelten soll, die als Einheitwirklich Einigkeit, Verträglichkeit herstellt und somit unseremobigen G entspricht. Besteht aber zwischen den p, q . . . hinsicht-lich der Verbindung 00 Einheit, so lassen sich diese p, qhinsichtlich dieser Verbindung nicht in ein Verhältnis desWiderstreits bringen, da Verbindung überhaupt Einigkeit ist.

Also in der Form des Widerstreits ist in Wahrheit nicht alleszu vereinen, und am wenigsten etwa darum, weil (wie es weiterhieß) wo die Einheit fehle, sich dies ja durch einen Widerspruchbekunde, der also Einheit durch Widerstreit herstellen würde.Wir verstehen die hier begangene Verwechslung, bzw. die Durch-einanderwerfung der fundierenden Relationen. Das Fehlen derEinheit Go char derisiert der sich an die p, q — in demdurch die Idee Go bestimmten Zusammenhang — anknüpfendeWiderstreit Dieser Widerstreit schafft aber nicht die Einheit Ga,sondern eine andere Einheit. Hinsichtlich der ersteren hat erden Charakter der „Trennung", hinsichtlich der neuen Einheit dender „Verbindung". Da ist alles in Ordnung. Ein Beispiel zurErläuterung. In Hinsicht auf einen bekannten phänomenalen Zu-sammenhang heißen rot und grün unverträglich, rot und rundverträglich. Der Charakter des Widerstreits bestimmt im_ersten.Fall die Unverträglichkeit, er stellt zwischen rot und grün „Tren-nune her. Dessen unerachtet hilft er in Hinsicht auf eine andereZusammenhangsart eine Einheit herstellen, nämlich in Hinsicht aufdie Zusammenhangsart „Widerstreit zwischen sinnlichen Merk-malm eines phänomenalen Objekts". Jetzt ist also Widerstreitzwischen rot und grün Einheit, und natürlich Einheit bezüglich.der Elemente Widerstreit, Rot, Grün. Dagegen ist jetzt „Wider-streit von rot und rund" Uneinigkeit, und zwar hinsichtlichdieser Elemente Widerstreit rot, rund.

§ 34. Einige _Axiome.

Nach dieser für unsere Fundamentalanalyse sehr wichtigenAufhellung des Sinnes der Verträglichkeitsrelationen, können wirdie primitiven Axiome fixieren und ihre phänomenologische

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VI. Elemente einer phänoneenolog. Au g der Erkenntnis. ..........................,,.....f. .....

Klärung vollziehen. Zunächst käme das Axiom der Umkehr-barkeit der Verträglichkeitsrelationen (Vertrlichkeit, bzw.Unverträglichkeit) in Betracht, welches nach unserer Analyse derzugrunde liegenden phänomenologischen Verhältnisse ohne weiteresklar ist.

Nähere -Überlegung erfordert das nächst aufzustellende Axiomdaß sich Einheit und Widerstreit, bzw. Vereinbarkeitund Unvereinbarkeit — die jeweiligen Paare auf das-selbe Fundament der Korrelation bezogen — wechsel-weise ausschließen (d. h. wieder: daß sie miteinander unver-einbar sind.) Es braucht jetzt nicht mehr betont zu werdendaß die Unvereinbarkeit nicht die bloße Privation der Vereinbar-keit; also nicht die bloße Tatsache meint, es komme irgendeineVereinigung objektiv nicht vor. Einigung und Widerstreit sindphänomenologisch verschieden fundierte Ideen, und es ist daherwirklich ein inhaltsvoller Satz damit ausgesprochen, daß, wennein p mit einem q‘ gen- der Einheitsform 0 (p, q, . . .) streitet(und das Streiten ist ein phänomenologisch positiver Charakter)nicht zugleich die Einigung des p mit dem q im Sinne desselben6 „möglich" ist. Und umgekehrt: wenn diese Einigung statthat,ist der entsprechende Widerstreit „unmöglich". Phänomenologischliegt dem zugrunde, was schon in der obigen Diskussion zu egetreten ist, nämlich daß der aktuelle Widerstreit zwischenp, q,. . . wenn wir versuchen, ihn mit der entsprechenden Ein-heit p, q, . . . zu vereinen — also die irgendwo mittelst gewisserm, n, . . . wirklich angeschaute Einheitsart 0 in dem Falle deszugehörigen Widerstreites den p, q,. .. aktuell unterzulegen — einneuer Widerstreit erwächst, welcher seine Fundamente in demersten Widerstreit und dem anderwärts angeschauten Einheits-charakter besitzt. Das Analoge zeigt sich im umgekehrten Falleder übrigens auch als eine Anwendung des ersten Axioms zuerkennen ist.

Der Satz, es besteht ein Widerstreit und es besteht nichtEinheit zwischen denselben aber beliebigen p, q, . . ., bes t einund dasselbe. Jedes nicht drückt einen Widerstreit aus.

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Verträglichkeit und Unverträglichkeit. 113

Wenn der Widerstreit sich daran knüpft, daß p, q einanderwiderstreiten sollen, also daß p, q, . . . in der Form des Wider-streits eins sind so sind p, q, . . . einig. Mit andern Worten:

Wenn p, q nicht widerstreiten, nicht nicht einigsind, so sind sie einig (Axiom von der doppeltenVerneinung);

daraus folgt:Eins von beiden hat statt, entweder Einigung oderWiderstreit — ein „Drittes" gibt es nicht

Es sind hier ja vier Möglichkeiten zu unterscheiden, diesichEinigung I

so ausdrücken: Es hat {

statt; es hat nicht statt.WiderstreitNicht-Einigung ist aber ein anderes Wort für Widerstreit undNicht-Widerstreit nach dem vorigen Axiom ein Äquivalent fürEinigung.

Die letzte Klärung dieser Axiome und ihr Verhältnis zu denrein logischen geht über die Grenze der jetzigen Untersuchunghinaus. Was wir angeführt haben, soll nur auf die inneren Be-ziehungen hindeuten, die wir späterhin verfolgen wollen, und unsein lebendiges Bewußtsein davon geben, daß wir hier schoii an derphänomenologischen Fundamentierung der reinen Logik arbeiten.

§ 35. Unvereinbarkeit von Begriffen als Bedeutungen.

Im Denken tritt die Unvereinbarkeit wie die Vereinbarkeitim Zusammenhang mit signitiven, auf gewisse Verknüpfun-gen gerichteten Intentionen auf, und somit im Zusammenhangmit signitiven und intuitiven Identifikationen. Der in den letz-ten Paragraphen abgegrenzte Begriff der Unvereinbarkeit beziehtsich jedoch nicht auf Intentionen, vielmehr ist der auf Intentio-nen bezogene una gleichnamige Begriff von Unvereinbarkeit einübertragener, er ist ein Spezialfall des ursprünglichen, aber vonganz bestimmtem, auf die Eneäuschungsverhältnisse eingeschränk-tem Gehalt. Es gilt hier das Analoge von dem, was wir oben'

1 Vgl. § 31, 8.106.Russen, Log. Unters. II. 8

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114 VI. Element, einer diiinomen019. Aeliiitrung iier ErkrimMis.

bezüglich der Vereinbarkeit oder Verträglichkeit dargetan haben.Wieder besagt die Rede von der Unvereinbarkeit in Anwendung:auf Bedeutungen („Begriffe") nicht j" e beliebige' ideale Unver-einbarkeit derselben, z. B. nicht die rein mmatische; sie be-trifft allein das Verhältnis von Teilbedeutungen einer komplexenBedeutung, welche sich nicht in objektiv vollständiger Veran-schaulichung erfüllt, sondern enttäuscht, bzw. enttäuschen kann.Offenbar liegt der Enttäuschung Widerstreit der veranschaulichtenInhalte zugrunde, wobei zu achten ist, daß der Widerstreit selbstnicht bedeutet und ausgedrückt ist: andernfalls gehörte der Wider-streit zur erfüllenden „Anschauung", und der Ausdruck drückte,als ein durchaus möglicher, die objektive Unmöglichkeit anmessen aus.

Der Zusammenhang zwischen der Bedeutung und jeder dereinheitlichen Anschauungen, die im Prozesse intuitiven Wider-streits einander ablösen, ist ebenfalls derjenige des Widerstreits(so. unter partieller Deckung).

Die für die Bedeu tun g 6-n aufzustellenden idealen Gesetzeder Möglichkeit gründen sich auf die originären und all einerenBegriffe, bzw. auf die für diese selben oben auf teilten (und nochweiter zu vervollständigenden) Axiome. Hierher gehören Sätze, wie:

daß sich Unvereinbarkeit und Vereinbarkeit derselben Be-deutungen und mit Beziehung auf dieselben Zusammen-hänge ausschließen;

daß von einem Paar kontradiktorischer Bedeutungen (d.solcher, von denen die eine als unvereinbar dasselbe meint,was die andere als in sich einig meint) eine möglich unddie andere unmöglich ist;

daß das Negative eines Negativen -- d. h. eine Bedeutung,welche die Unvereinbarkeit einer gewisse Sache M selbstwieder als eine Unvereinbarkeit vorstellt — dem entspre-chenden Positivum gleichwertig ist. Dieses Positivum isthierbei als die Bedeutung definiert, welche die innere Ein-stimmigkeit desselben 3/ mittelst derselben (nach Abstrichder Nega tionen verbleibenden) Vorstellungsmaterie vorstellt

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Das Ideal der .. uation. Evidenz und Wahrheit. 115

Selbstverständlich erfordert es eine wirkliche Theorie der Be-deutungen nach ihren logischen Verhältnissen, daß alle derartigenSätze in systematischer Ordnung aufgestellt und erwiesen werden..

Wir brechen diese lückenhaften Überlegungen ab, ihre Er-gänzung späteren Untersuchungen vorbehaltend. Zumal wird imlogischen Interesse eine viel weiter und vollständiger durchgeführtePhänomenologie und Theorie der Identifizierungen und Unter-scheidungen (und nz besonders der partialen) und ihrer sicht-lich nahen Beziehungen zur Lehre von Einigkeit und Widerstreiterforderlich sein.

Fünftes Kapitel.Das Ideal der Adiquation. Evidenz und Wahrheit

§ 36. Einleitung.

Von den Qualitäten der Akte war in den bisherigen Über-legungen keine Rede, es war von ihnen nichts vorausgesetzt. DieMöglichkeit und Unmöglichkeit hat eben zu den Qualitätenkeine besondere Beziehung. Auf die Mögliekeit z. B. eines Satzeshat es keinen Einfluß, ob wir die Satzmaterie als /eterie einessetzenden Aktes (nicht eines zustimmenden, in der Weise derBilligung anerkennenden oder annehmenden, sondern eines schlichtnehmenden Glaubensaktes) realisieren, oder ob wir sie in qualitativmodifizierter Weise als Materie eines bloßen Vorstellens gegebenhaben; es gilt immer, daß der Satz "möglich" ist, wenn derkonkrete Akt des propositionalen Bedeutens die erfüllende Iden-tifikation mit einer objektiv vollständigen Anschauung von gleicherMaterie zuläßt. Und ebenso ist es irrelevant, ob diese erfüllendeAnschauung eine Wahrnehmung ist, oder eine bloße Phantasie-bildung u. dgl. Da die Herstellung von Phantasiebildern in un-gleich größerem Maße unserer Willkür unterliegt, als die vonWahrnehmungen und Setzungen überhaupt, so pflegen wir dieMöglichkeit mit Vorliebe auf die Phantasiebildlichkeit zu beziehen.

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116 VI Elemente einer phänomenolog. Aufklärun 'kennbeis.

Als möglich gilt uns dann, was sich — objektiv geredet — inder Weise eines angemessenen Phantasiebild realisieren 17 t, esmag uns selbst, dem empirisch einzelnen Individuum je iiugenoder nicht Vermöge des idealen Zusammenhan zwischenWahrnehmung und Einbildung, wonach jeder Wahrnehmunga priori eine mögliche Einbildung entspricht, ist dieser Satzaber äquivalent mit dem unseren, und die Einschränkung desBegriffes auf die Einbildung unwesentlich.

Es wird sich jetzt darum handeln, in aller Kürze den Ein-fluß der eben angedeuteten Unterschiede auf die Erfüllungsver-hältnisse zu erw ; ' en, um für unsere Be htunn weni enseinen vorläufi:, zn Abschlug und für die weiteren Untersuchungeneinen Ausblick zu gewinnen.

§ 37. Die »füllungsfunktion der WahrneDas Ideal der Erf • ng.

Bezüglich der Art, wie das G nständliche in der Vorstellungvorstellig wird, haben sich die Vollkommenheitsunterschiede derFülle als bedeutsam erwiesen. Die unterste Stufe bilden diesignitiven Akte; sie haben überhaupt keine Fülle. Die intuitivenAkte haben Fülle, doch in graduellen Unterschieden des i ehr undMinder, und zwar schon innerhalb der SphYre der 1mnation.Aber die noch so große V likommenheit einer Im ,s'nation läßteine Differenz g nüber der Wahrnehmung bestehen: sie gibtnicht den Gegenstand selbst, auch nicht zum Teile, sie gibtnur sein Bild, das, so lange es überhaupt Bild, nie die Sacheselbst ist. Diese verdanken wir der Wahrnehmung. Auch sie,,gibt" den Gegenstand in verschiedenen Abstufun n der Voll-kommenheit, in verschiedenen Graden der "Abschattung". Derintentionale Charakter der Wahrnehmung ist im Ge nsatze zumbloßen Vergegenwärtigen der Imagination, das Gegenwärtigen(Präsentieren). Dies ist, wie wir wissen, ein innerer Unterschiedder Akte und, näher, ein solcher der Form ihrer Repräsentation(Auffassungsform). Aber das Präsentieren macht im All meinennicht ein wahrhaftes Gegenwärtigsein sondern nur ein als gegen-

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Das Ideal der Adäquation. Evidenz und Wahrheit. 117

wärtig Erscheinen, in welchem die gegenständliche Gegenwartund mit ihr die Vollkommenheit der Wahr-nehmung Abstufungenzeigt. Dies lehrt der Hinblick auf entsprechende Stufenreihender Erfüllung, auf welche hier, wie sonst, alle Exemplifizierungder Vollkommenheit in der Vorstelligmachung des Gegenstandesangewiesen ist. Wir bringen uns dabei zur Klarheit, daß sichüber die Wahrnehmungsfülle ein Unterschied ausbreitet, dem wirdurch die Rede von der perzeptiven Abschattung gerecht zuwerden versuchten, ein Unterschied, der aber nicht die Füllenach ihrem Empfindungsgehalt, nach ihrem inneren Charakterbetrifft, sondern eine abgestufte Ausbreitung ihres Charakters als„Fülle, also des auffassenden Aktcharakters, bedeutet. Danachgilt uns [immer unabhängig von allem Genetischen, denn daßdiese, wie alle ähnlichen Unterschiede, assoziativ erwachsen sind,wissen w# sehr wohl] manches Element der Fülle als endgültigePräsentation des entsprechenden gegenständlichen Elementes:es gibt sich als mit ihm identisch, nicht als sein bloßer Repräsen-tant, sondern als es selbst im absoluten Sinne. Anderes wiedergilt als bloße Jarbenabschattung", "perspektivische Verkürzung"u. dgl., wobei es klar ist, d solchen Reden auch im phänomeno-logischen Inhalt des Aktes und vor aller Reflexion etwas entspricht.Wir haben diese Unterschiede der Abschattung schon berührt und.sie auch bei der Imagination, nur ins Bildliche übertragen, vor-gefunden. Alle Abschattung hat repräsentativen Charakter, undzwar repräsentiert sie durch Ähnlichkeit, aber die Weise dieserRepräsentation durch Ähnlichkeit ist eine verschiedene, je nach-dem die Repräsentation den abschattenden Inhalt als Bild oderals Selbstdarstellung (Selbst-Abschattung) des Objektes auffaßt(vgl. S. 83). Die ideale Grenze, welche die Steigerung der Ab-schattungsfülle zur t, ist im Falle der Wahrnehmung das absoluteSelbst (wie in der Imagination das absolut gleichende Bild), undzwar für jede Seite, für jedes präsentierte Element des Gegenstandes.

So weist die Erwägung der möglichen Erfüllun.gsverhältnisseauf ein abschließendes Ziel der Erfüllungssteigerung hin,in dem die volle und gesamte Intention ihre Erfüllung

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und zwar nicht eine intermediäre und partielle sondern eineendgültige und letzte Erfüllung erreicht hat. Der intuitiveGehalt dieser abschlie enden Vorstellung ist die absolute Summemöglicher Fülle; der intuitive Repräsentant ist der G enstandselbst, so wie er an sich ist. räsentieren der und repr :enfierterInhalt sind hier identisch eines. Und wo sich eine Vorstellungs-intention durch diese ideal vollkommene Wahrnehmung letzteErfüllung verschafft hat, da hat sich die echte adaequatio rei etintellectus hergestellt: das Gegenständliche ist genau alsdas, als welches es intendiert ist, wirklich „gegenwärtig" •oder „gegeben"; keine Partialintention ist mehr impliziert, dieihrer h ung ermangelte.

Und damit ist eo ipso auch das Id I jeder und somit auchder signifikativen Erfüllung gezeichnet; der intell tu-s ist hierdie gedankliche Intention, die der Bedeutung. Und die adaeg tioist realisiert, wenn die bedeutete G nständlichkeit in der An-schauung im strengen Sinne gegeben und genau als das gegebenist, als was sie gedacht und genannt ist. Keine gedanklicheIntention, die nicht ihre Erfüllung fände, und zwar ihre letzteErfüllung, sofern das Erfüllende der Anschauung selbst nichtsmehr von unbefriedigten Intentionen impliziert.

Man bemerkt, d die Vollkommenheit der Adäquation desGedankens« an die „Sache" eine doppelte ist; einerseits ist die

Anpassung an die Anschauung eine vollkommene, da der ankenichts meint, wie die erfüllende Anschauung nicht als ihm zu-gehörig vollständig vorstellig m cht. Offenbar sind darin diefrüher (S. 99) unterschiedenen beiden Vollkommenheiten zusammen-gefaßt: sie ergeben das, was wir als „objektive Vollständigkeit« derErfüllung bezeichneten. Andererseits liegt in der volis radigenAnschauung selbst eine Vollkommenheit. Die Anschauung erfülltdie in er terminierende Intention nicht selbst wieder in der Weiseeiner Intention, die noch der Erfüllung bedürftig wäre, sondernsie stellt die letzte Erfüllung dieser Intention her. Wir müssenalso unterscheiden: die Vollkommenheit der Anpassung an dieAnschauung (der Adäquation im natürlichen und weiteren

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Das Ideal der .Adiiquatiore. Evidenz und Wahrheit. 119

Sinn) von der sie voraussetzenden Vollkommenheit der letztenErfüllung (der Adäqu.ation an die „Sache selbst"). 'Jede getreueund pure Beschreibung eines anschaulichen Gegenstandes oderVorganges bietet ein Beispiel für die erstere Vollkommenheit Istdas Gegenständliche ein innerlich Erlebtes und in reflektiver Wahr-nehmung, so wie es ist, Erfaßtes, dann kann sich die zweiteVollkommenheit hinzugesellen; wie wenn wir z. B. in Hinblickauf ein kategorisches Urteil, das wir gerade fällen, von derSubjektvorstellung dieses Urteils sprechen. Dagegen fehlt dieerstere Vollkommenheit, wenn wir den vor uns stehenden Baumeinen „veredelten" Apfelbaum nennen, oder von „der Schwingungszahl" des eben erklingenden Tones sprechen, und überhaupt von'B. ,:timmtheiten eines Wahrnehmungsobjekts, die, selbst wenn siein der Wahrnehmungsintention mitgemeint sind, doch nicht wenig-stens in mehr oder minder abgeschatteter Weise in die Er-scheinung fallen.

Wir merken hier noch folgendes an. Da die letzte Erfüllungschlechterdings nichts von unerfüllten Intentionen einschließendarf, muß sie auf Grund einer reinen Wahrnehmung erfolgen;eine objektiv vollständige Wahrnehmung, die sich aber in derWeise einer kontinuierlichen Synthesis unreiner Wahrnehmungenvollzieht, kann ihr nicht genügen.

Gegen diese Betrachtungsweise, welche die letzte Erfüllungaller Intentionen in Wahrnehmungen setzt, wird sich das Bedenkenerheben, daß das realisierte fillgemeinbewußtsein, welches denallgemein begrifflichen Vorstellungen ihre Fülle gibt und den„allgemeinen Gegenstand" „selbst" vor Augen stellt, sich aufGrund bloßer Imaginationen aufbaue, oder zum mindesten 'gegenden. Unterschied zwischen Wahrnehmung und Imagination un-empfindlich sei. Dasselbe gilt offenbar, und infolge des ebenGesagten, für alle evidenten generellen Aussagen, die in axioma-tischer Art "auf Grund der bloßen Begriffe" einleuchten.

Dieter Einwand weist auf eine gelegentlich schon berührteLücke in unserer Untersuchung hin. Wahrnehmung galt uns,zunächst wie selbstverständlich, als gleich mit sinnlicher Wahr-

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der120 VL Eletnente eii

nehmung, Anschauung als gleich mit sinnlicher Anschauung.Stillschweigend, ohne es uns recht zum Bewußtsein zu bringen.haben wir öfters, und z. B. auch im Zusammenhang der Er-wägungen über Verträglichkeit, die Schranken dieser B affeüberschritten: es geschah überall da, wo wir von Anschauungeines Widerstreits oder einer Einigkeit oder einer sonst Syn-these als solcher sprachen. Wir werden im näch pi 1,welches die kategorialen Formen überhaupt betrifft Not-wendigkeit einer Erweiterung der Begriffe von Wz rnehmung undsonstiger Anschauung erweisen. Zur Beseitigung d Einwandesbemerken wir jetzt nur so viel d die Imagination, welche dieGrundlage der generalisierenden Abs tion ist, darum nicht diewirkliche und ei ntliche Funktion der Erfüllung übt, also nichtdie „korrespondierende" Anschauung darstellt Das individuellEinzelne der Erscheinung ist ja, wie ir mehrf, betont hen,nicht selbst das Allgemeine und enthält es auch nicht in derWeise eines reellen Stückes in sich.

§ 38. Setzende Akte in Erf ngsfunktion.und strengen Sinne.

Unter dem Titel Intentionen haben wir bisher gle chmsetzende und nichtsetzende Akte bef t Indessen, obschon dasAllgemeine des Erfüllungsoharahers wesentlich durch die teriebestimmt ist, und 'für eine ;ihe wichtigster Verhältnisse auchnur die Materie in Betracht kommt, so zeigt sich doch in anderendie Qualität als mitbestimmend und dies so sehr, daß die Redevon einer Intention, von einem Abzielen, eigentlich nur auf diesetzenden Akte zu %passen scheint. Die Meinung zielt auf dieSache, unds sie erreicht ihr Ziel oder erreicht es nicht, je nach-dem sie zur Wahrnehmung (die hierbei ein setzender Akt ist) ingewisser Weise stimmt oder nicht stimmt. Und dann stimmtSetzung mit Setzung überein, der intendierende und erfüllendeAkt sind in dieser Qualität gleich. Das bloße Vorstellen aber istpassiv, „es läßt die Sache dahingestellt". Wo sich dem bloßenVorstellen zufällig eine angemessene Wahrnehmung bei 114 da

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Das Ideal der Adeiquation. Evidenz und Wahrheit. 121

tritt allerdings auf Grund der zusammenpassenden Materien, er-füllende Deckung ein; aber schon im "Übergange eignet sich.wohl die Vorstellung den Setzungscharakter zu, und die Deckungs-einheit selbst hat ihn sicher in homogener Weise. Jede aktuelleIdentifizierung, bzw. Unterscheidung ist ein setzenderAkt, m: sie selbst in Setzungen fundiert sein oder nicht; unddieser Satz fügt in den wenigen Worten eine fundamentale, alleErgebnisse der letzten Untersuchungen über die Verhältnisse derVertfi' • Lichkeit bestimmende Charakteristik bei, durch welche sichdie Theorie der Identifizierungen und Unterscheidungen in nochviel höherem Maße als bisher als ein Hauptstück der Urteils-theorie herausstellt Mit Beziehung darauf, ob gerade setzendeoder ob auch nichtsetzende Akte als intendierende und er-füllende fungieren, klären sich Unterschiede wie die zwischenIllustrierung, eventuell Exemplifiz' ierung, und Bestätigung (Be-währung und im gegensätzlichen Falle Widerlegung). Der BegriffBestätigung bezieht sich ausschließlich auf setzende Akte imVerhältnis zu ihrer setzenden Erfüllung und letztlich zuihrer Erfüllung durch Wahrnehmungen.

Diesem besonders ausgezeichneten Falle widmen wir einenähere Überlegung. In ihm liefert das Ideal der .Adäquation dieEvidenz. Im laxeren Sinne sprechen wir von Evidenz, woimmer eine setzende Intention (zumal eine Behauptung) ihre Be-stätigung durch eine korrespondierende und vollangepaßte Wahr-nehmung, sei es auch eine passende Synthesis zusammenhängenderEinzelwahrnehmungen, findet Von Graden und Stufen derEvidenz zu sprechen, gibt dann einen guten Sinn. Es kommenin dieser Hinsicht die Annäherungen der Wahrnehmung au dieobjektive Vollständigkeit ihrer gegenständlichen Präsentation inBetracht, und dann weiter die Fortschritte zum letzten Vollkom-menheitsideal: dem der adäquaten Wahrnehmung, der vollenSelbsterscheinung des Gegenstandes — soweit er irgend in derzu erfüllenden Intention gemeint war. Der erkenntniskritischprägnante Sinn von Evidenz betrifft aber ausschließlich diesesletzte unübersareitbare Ziel, den Akt dieser vollkommensten

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122 171. Elemente einer phiinomenolog. ,Aufklärzing der Erkennini.a;

Erfüllu.ngssynthesis welcher der Intention z. B. der Urteils-intention, die absolute Inhaltsfülle, die des Oenstandes selbstgibt Der Gegenstand ist nicht bloß gemein, sondern so wie ergemeint ist und in eins gesetzt mit dem Meinen, im strengstenSinn gegeben; im übrigen ist es gleichgültig, ob es sich unieinen individuellen oder allgemeinen Ge :nstand, um einen Gegen-stand im engeren Sinn oder um einen Sachverhalt (dem Korrelateiner identifizierenden oder unterscheidenden Synth is) handelt.

Die Evidenz selbst ist, sa n wir, der Akt jener vo kom-mensten Deckungssynthesis. Wie jede Idenfizierung ist sie einobjektivierender Akt, ihr objeküv-,. Korrelat bei t Sein im Sinne

er Wahrheit oder auch Wahrheil f. - man diesen letz-tere Terminus nicht lieber einem anderen aus der Reihe der Be-griffe zuteilen will, die alle in der besa n phänomenologischenSachlage wurzeln. Doch hier bedarf es genauerer Erörterung.

§ 39. EM= und Wahrheit.

1. Halten wir zunächst den eben angedeuteten Begriff derWahrheit fest, so ist die Wahrh eit als Korrelat eines identifizie-renden Aktes ein Sachverhalt, und als Korrelat einer deckendenIdentifizierung eine Identität: die volle Übereinstimmungzwischen Gemeintem und Gegebenem als solchem. DieseÜbereinstimmung wird in der Evidenz erlebt, sofern die Evidenzder aktuelle Vollzug der adäquaten Identifizierung ist. Andererseitskann man den Satz, die Evidenz sei „Erlebnis" der Wahr-heit nicht ohne weiteres dahin interpretieren, sie sei (wenn wirden Begriff der Wahrnehmung weit nug fassen) Wahrnehmungund bei der strengen Evidenz: adäquate Wahrnehmung derWahrheit Denn mit Rücksicht auf den früher' geäußertenZweifel werden wir zugestehen müssen, daß der Vollzug deridentifizierenden Deckung noch keine aktuelle Wahrnehmung dergegenständlichen Übereinstimmung ist sondern sie dazu erstwird durch einen eigenen Akt objektivierender Auffassung durch

1 Ygl. den Zusatz zu § 8, 8. f. und das Kapitel 7.

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Das Ideal der Adiiquation. Evidenz und Wahr 123

ein eigenes Hinblicken auf die vorhandene Wahrheit lind "vor-handen" ist sie in der Tat. A priori besteht hier die Möglich-keit, jederzeit auf die Übereinstimmung hinzublicken und sie sichin einer adäquaten Wahrnehmung zum intentionalen Bewußtseinzu bringen.

2. Ein anderer Begriff von Wahrheit betrifft das ideale Ver-hältnis, welches in der als Evidenz definierten Deckungseinheitzwischen den erkenntnismäßigen Wesen der sich decken-den Akte obwaltet. Während die Wahrheit im vorigen Sinn dasGegenständliche war, das dem Akte der Evidenz entsprach, istdie Wahrheit im jetzigen Sinn die zur Aktform gehörige Idee,nämlich das erkenntnismäßige und als Idee gefaßteWesendes empirisch zufälligen Aktes der Evidenz, oder die Idee derabsoluten Adäquation als solcher.

3. Wir erleben ferner auf Seite des Fülle gebenden Aktes inder Evidenz den gegebenen Gegenstand in der Weise desgemeinten: er ist die Fülle selbst. Auch dieser kann als dasSein, die Wahrheit, das Wahre bezeichnet werden, und zwar in-sofern, als er hier nicht so wie in der bloßen adäquaten Wahr-nehmung, sondern als ideale Fülle für eine Intention, als wahr-,machender erlebt ist; bzw. als ideale Fülle des spezifischenerkenntnismäßigen Wesens der Intention.

4. Endlich vom Standpunkt der Intention ergibt die Auf-fassung des Evidenzverhältnisses die Wahrheit als Richtigkeit,der Intention (speziell z.B. Urteilsrichtigkeit), als ihr Ad-äquatsein an den wahren Gegenstand; bzw. als die Richtigkeitdes erkenntnismäßigen 'Wesens der Intention in tpecie.In letzterer Hinsicht z. B. die Richtigkeit des Urteils im logischenSinn des Satzes: der Satz „richtet" sich nach der Sache selbst;er sagt, so ist es, und es ist wirklich so. Darin ist aber dieideale, also generelle Möglichkeit ausgesprochen, daß sich über-haupt ein Satz solcher Materie im Sinne strengster Adäquationerfüllen lt.

Wir müssen noch besonders darauf achten, daß das Sein,welches (als objektiver erster Sinn von Wahrheit) hier in Frage

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Eleenente einer phänenenolog. Au fklärung der Erkennt?,

kommt, nicht zu verwechseln ist mit dem Sein der Kopula der»affirmativen" kategorischen Auss;:e. In der Evidenz handeltes sich um totale Deckung, dieses Sein aber entspricht, wenn nichtimmer, so zumeist(Beschaffenheitsurtell)partiellenidentifizierungen.

Doch selbst wo eine totale Identifizierung zur Prädikationkommt, fällt das eine Sein mit dem anderen nicht zusammen.Denn wir bemerken, daß bei einer Urt ilsevidenz (Urteil -prädikative Aussage) das Sein im Sinne der Urteilswahr-heit erlebt, aber nicht ausgedrückt ist, also niemals mitdem in dem „ist" der Aussa meinten und erlebten Seinkoinzidiert. Dieses Sein ist das synthetische Moment des Seien-den im Sinne des Wahren — wie sollte d en Wahrseinausdrücken? Wir finden hier eben mehrfache Übereinstim-mungen zur Synthesis gebracht: die Eine, 'jene, prädi-kative ist behauptend gemeint und adäquat w. irgenommen, alsoselbst gegeben. (Was dieses heißt, wird schon im nächstenKapitel durch die allgemeinere Lehre von den k tegorialen Ob-jektivationen an Klarheit gewinnen.) Dies ist die überein-stimmung: zwischen Subjekt und Prädikat, das Passendieses zu jenem. Fürs zweite haben wir aber die überein-stimmung, welche die synthetische Form des Aktes derEvidenz ausmacht, also die totale Deckung zwischen derdeutungsintention der Aussage und der Wahrnehmung des Sach-verhaltes selbst, eine Deckung, die sich natürlich schrittweisevollzieht; worauf 'es hier nicht weiter ankommt. Diese Über-einstimmung ist offenbar nicht ausgesagt, sie ist nicht gegen-ständlich wie jene erstere zum beurteilten: Sachverhalt gehörige.Zweifellos, kann sie jederzeit ausgesagt, und mit Evidenz aus-gesagt werden. Sie wird dann zum wahrnlachenden Sach erhalteiner neuen Evidenz, von welcher das gleiche gilt, und so weiter.Aber bei jedem Schritte muß man zwischen dem wahrmachendenund dem die Evidenz selbst konstituierenden Sachverhalte unter-scheiden, zwischen dem objektivierten und dem nicht objektivierten.

Die soeben vollzogenen Unterscheidungen leiten uns zufolgender allgemeinen Erörterung.

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Das Ideal der Adäquation. Evidenz und Wahrheit, 125

In unserer Darstellung der Verhältnisse der Begriffe Evi-denz und Wahrheit haben wir auf der gegenständlichen Seiteder Akte, welche in der Evidenz, sei es in der Funktion derIntention oder der der Erfüllung, ihre strenge Adäquation finden.,nicht unterschieden zwischen Sachverhalten und sonstigen Gegen-ständen. Und dementsprechend haben wir auch auf den phäno-menologischen Unterschied zwischen beziehenden Akten —Akten der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung, prädika-tiven Akten — und nichtbeziehenden Akten keine Rücksichtgenommen; also auch nicht auf den Unterschied zwischen be-ziehenden und nichtbeziehenden Bedeutungen und ideal gefaßtenintentionalen Wesen überhaupt. Die strenge Adäquation kanneben nichtbeziehende Intentionen, so gut wie beziehende, mit ihrenvollkommenen Erfüllungen in eins setzen; es brauchen, um spezielldas Gebiet der Ausdrücke herauszuheben, nicht gerade Urteile alsAussageintentionen oder Aussageerfüllungen in Frage zu kommenauch nominale Akte können in eine Adäquation treten. Zumeistwerden die Begriffe Wahrheit, Richtigkeit, Wahres jedoch ein-geschränkter gefaßt, als wir es danach getan haben, sie werdenauf Urteile und Sätze, bzw. auf deren objektive Korrelate, dieSachverhalte bezogen; zugleich ist von Sein vorwiegend in Be-ziehung auf absolute Objekte (Nicht-Sachverhalte), obschon ohnesichere Begrenzung, die Rede. Das Recht unserer allgemeinerenFassung der Begriffe ist unanfechtbar. Die Natur der Sache selbstfordert es, d die Begriffe Wahrheit und Falschheit, mindestensvorerst, so weit gesteckt werden, daß sie die Gesamtsphäre derobjektivierenden Akte umspannen. Dabei erscheint es als dasPassendste, die Begriffe Wahrheit und Sein so zu differenziieren,daß die Begriffe von Wahrheit (ein gewisser Spielraum deriquivokation wird unvermeidlich, aber nach Klärung der Begriffekaum schädlich bleiben) auf die Seite der Akte selbst und ihrerideal zu fassenden Momente bezogen werden, die Begriffe von Sein.(Wahrhaft-sein) auf die zugehörigen gegenständlichen Korre-late. Dementsprechend hätten wir die Wahrheit nach 2) -und 4)zu definieren als Idee der Adäquation., oder aber als Richtigkeit

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126 VI. Ekmenle 6iner phiinoinen der Erkenntnis.

der objektivierenden Setzung und Bedeutung. Das Sein im Sinneder Wahrheit wäre dann nach 1) und 3) zu bestimmen als Iden-tität des in der Adäquation zugleich gemeinten und gegebenenG enstandes, oder aber (dem natürlichen Wortsinn entsprechender.)als das adäquat Wahrnehmbare überhaupt in unbestimmter Be-ziehung auf irgendeine dadurch wahrzumachende (adäquat zu er-füllende) Intention.

Nachdem die Begriffe in dieser Weite gefaßt und phänomeno-logisch gesichert sind, k ifl man dazu übergehen, in Rücksicht-nahme auf den Unterschied der beziehenden und nichtbeziehendenAkte (Prädikationen — absolute Positionen) engere Begriffe vonWahrheit und Sein abzugrenzen. Der engere Wahrheitsb , *ffwürde sich dann auf die ideale Adäquation eines beziehendenAktes an die zugehörige adäquate Sachverhaltwahrnehmung be.schränken; ebenso würde der engere Seinsbegriff das S *n vonabsoluten Gegenständen betreffen und dasselbe vom Bestehen«der Sachverhalte abscheiden.

Danach ist folgende klar: Definiert man Urteil als setzendenAkt überhaupt, so deckt sich, subjektiv geredet, die Sph ' desUrteils mit den vereini n Sphären der Begriffe Wahrheit und.Falschheit im weitesten Sinne. Definiert man es durch die Aus-sage und ihre möglichen Erfüllu.n n, bef: t man unter Urteilalso nur die Sp "re der beziehenden Setzun n, so besteht die-selbe Deckung wi er, wofern nur auch die engeren Begriffevon Wahrheit und Falschheit zugrunde gelegt werden. —

Einseitig haben wir bisher den Fall der Evidenz, also denals totale Deckung beschriebenen Akt bevorzugt. Der Evidenzentspricht aber mit Rücksicht auf den korrelaten Fall des Wider-streits die Absurdität, als Erlebnis des völligen Widerstreitszwischen Intention und Quasi-Erfüllung. Es entsprechen dann denBegriffen Wahrheit und Sein die korrelaten Begriffe Falschheitund Nichtsein. Die phänomenologische Klärung dieser Begriffeist, nachdem wir alle Fundamente vorbereitet haben, ohne besondereSchwierigkeiten zu vollziehen. Es müßte vorerst das nz- live'•Ideal der letzten Enttäuschung nau umschrieben werden.

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Da$ Ideal der Adiiquation. Evidenz und Wahrheit. 127

Bei der strengen Fassung des Evidenzbegriffes, die wir hierzugrunde gelegt haben, ist es offenbar, daß Zweifel derart, wiesie in neuerer Zeit zu gelegentlicher jiiaßerung kamen, absurdsind: nämlich ob nicht mit derselben JYlaterie A bei dem einendas Erlebnis Evidenz und bei dem andern das der Absurditätverknüpft sein könnte. Dergleichen Zweifel waren nur so langemöglich, als man Evidenz und Absurdität als eigenartige (positive,bzw. negative) Gefühle deutete, welche, demi Urteilsakte zufälliganhängend, ihm jene besondere Auszeichnung erteilen, die wirlogisch. als Wahrheit, bzw. Falschheit bewerten. Erlebt jemanddie Evidenz A, so ist es evident, daß kein zweiter die Absurditätdesselben A erleben kann; denn, daß A evident ist, heißt: A istnicht bloß meint, sondern genau als das, als was es gemeint ist,auch wahrhaft gegeben; es ist im strengsten Sinne selbst gegen-wärtig. Wie soll nun für eine zweite Person dieses selbe A,gemeint, aber die Meinung, es sei 4, durch ein wahrhaft Ge-o-ebenes non -A wahrhaft ausgeschlossen sein? Man sieht, eshandelt sich um eine Wesens-Sachlage, dieselbe, die der Satz vomWiderspruch (in dessen Vieldeutigkeiten die oben, 5. 123, beh‘andel-ten Korrelationen natürlich eingehen) zum Ausdruck bringt. —

Aus unseren Analysen geht mit zuverlässiger Klarheit hervor,daß Sein und Nichtsein keine Begriffe sind, die ihrem Ursprungnach Gegensätze der Urteils q ual i tät e n ausdrücken. Im Sinn unsererAuffassung der phänomenologischen Verhältnisse ist jedes Urteilsetzend, und Setzung kein Charakter des ist, der im nicht istsein qualitatives Gegenstück fände. Das qualitative Obgenstückzu Urteil ist bloße Vorstellung derselben Materie. Die Unter-schiede zwischen ist und nicht ist sind Unterschiede der inten-tionalen Materie. So wie das ist in der Weise der Bedeutungs-intention die prädikative trbereinstimmu.ng ausdrückt, so drücktdas nicht ist den prädikativen Widerstreit aus.

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128 VI Elemente ein •• enolog. Aufklärung der Erkenntnis.

Zweiter AbschnitSinnlichkeit und Verstand.

Sechstes Kapi tel.Sinnliche und kategoriale Anschauungen.

§ 40. Das Problem der Erfialung kateg • Bedeutungsformen undein Gs nke für dessen Lösung.

In unseren bisheri n Darlegungen ward uns eine großeLücke wiederholt recht empfindlich. Sie betraf die kategorialenobjektiven Formen, bzw. die „synthetischenu Funktionen in derSphäre der objektivierenden Akte, durch welche sich diese objek-tiven Formen konstituieren, durch welche sie zur Ansch uungund clemgem auch zur „Erkenntnis kommen sollen. Wir wollenden Versuch wagen, diese Lücke einigerm en auszufüllen undknüpfen wieder an die Untersuchung des ersten Kapitels an, dieauf ein beschränktes Ziel der Erkenntnisklärung gerichtet war,nämlich auf das Verhältnis ausdrückender Bedeutungsintentionund ausgedrückter sinnlicher Anschauung. Wir I gen. vorläufigauch wieder die einfachsten Fälle von Wahrnehmungs- und sonsti-gen Anschauungsaussagen zugrunde und machen uns auf Grundderselben das Thema der nächsten Betrachtungen klar, wie folgt

Im Jane der Wahrnehmungsaussage erfüllen sich nicht nurdie ihr eingeflochtenen nominalen Vorstellungen; Erfüllung durchdie unterliegende Wahrnehmung findet die Aussagebedeutung imganzen. Von der ganzen Aussage heißt es ja gleichfalls, daß sieunserer Wahrnehmung Ausdruck gebe; wir sagen nicht bloß, ichsehe dieses Papier, ein Tintenfa 13, mehrere Bücher u. dgl., son-dern au.orh ich sehe, daß dieses Papier beschrieben ist, daß hierein Tinten faß aus Bronze steht, daß mehrere Bücher aufge-schlagen sind usw. Erscheint jemandem die Erfüllung nominalerBedeutungen als hinreichend klar, so stellen wir die Frage

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Sinnliche und kategoriale Anschauungen. 129

wie die Erfüllung der ganzen Aussagen, zumal nach dem, wasüber ihre „Materie", d. h. hier über die nominalen Termini hin-ausreicht, zu verstehen ist? Was soll und kann den Bedeutungs-momenten, welche die Satzform als solche ausmachten, und wozu.beispielsweise die Kopula gehört — den Momenten der „katego-rialen Form" — Erfüllung verschaffen?

Näher besehen, überträgt sich diese Frage aber auch auf dienominalen Bedeutungen, wofern sie nicht gerade formlos sind wiedie Eigenbedeutungen. Wie die Aussage, so besitzt der Nameschon in der grammatischen Erscheinung seine „Materie" undseine „Form". Zerfällt er in Worte, so liegt die Form teils inder Weise der Aneinanderreihung, teils in eigenen Formworten,teils in der Bildungsweise des einzelnen Wortes, das dann insich selbst noch Momente der „Materie" und Momente der,„Formunterscheiden läßt Derartige grammatische Unterscheidungenweisen auf Bedeutungsunterscheidungen zurück; mindestens imRohen drücken die grammatischen Gliederungen -und Formen dieim Wesen der Bedeutung gründenden Gliederungen und Formen.aus; wir finden also in den Bedeutungen Teile von sehr ver-schiedenem Charakter, und unter ihnen fallen uns hier spezielldiejenigen auf, welche durch Formworte wie das, ein, einige,viele, wenige, zwei, ist, nicht, welches, und, oder usw. ausgedrücktwerden; ferner durch die substantivische und adjektivische , singu-lare und plural() Bildungsform der Worte usw.

Wie verhält sich nun all das in der Erfüllung? Ist das imdritten Kapitel formulierte Ideal vollständig angemessener Erfüllungaufrecht zu halten? Entsprechen allen Teilen und Formen,der Bedeutung auch Teile und Formen der Wahrneh-mung? Dieselafalls bestände also zwischen dem bedeutendenMeinen und dem erfüllenden Anschauen jener Parallelismus,den die Rede vom Ausdrücken nahelegt Der Ausdruck wäreein bildartiges Gegenstück der Wahrnehmung (so. nach all ihrenTeilen oder Formen, die eben ausgedrückt sein sollen), obschonhergestellt aus einem neuen Stoff — ein „Aus-druck" in demStoffe des Bedeutens.

Husserl, Log. Unters. 11. 9

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130 VI Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der fflenntnise

Das Prototyp für die Interpretation des Verhältnisses zwischenBedeuten und Anschauen wäre also das Verhältnis der Eigenbe-deutung zu. den entsprechenden Wahrnehmun n. Wer Köln selbstkennt und demgemäß die wahre Eigenbedeutung des Wortes Kölnhat, besitzt iii dem jeweiligen aktuellen Bedeutungserlebnis einder künftig bestätigenden Wahrnehmung genau Entsprechendes.Es ist nicht eigentliches Gegenbild der Wahrnehmung, wie etwadie entsprechende Phantasie; aber wie in der Wahrnehmung dieStadt (vermeintlich) selbst gegenwärtig ist, so meint, nach demfrüher Erörterten, der Eigenname Köln in seiner Eigenbedeutungdieselbe Stadt „direkt", sie selbst, so wie sie ist. Die schlichteWahrnehmung bringt hier ohne Hille weiterer auf sie gebauterAkte den Gegenstand zur Erscheinung, weichen die Bedeutungs-Intention meint, und so wie sie ihn meint. Die Bedeutungsinten-tion findet darum in der bleßen Wahrnehmung den Akt, in demsie sich vollständig angemessen erfüllt.

Betrachten wir statt der direkt nennenden, formlosen, viel-mehr geformte und gegliederte Ausdrücke, so scheint die Sache,zunächst ebenso zu liegen. Ich sehe weißes Papier und sageweißes Papier,- damit drücke ich, genau anmessend, nur dasaus, was ich sehe. Ebenso bei ganzen Urteilen. Ich sehe, daßdieses Papier weiß ist, und genau dies drücke ich aus ich seaus: dies Papier ist weiß.

Wir werden uns durch solche in gewisser Weise richtigenund doch leicht miß verständlichen Reden nicht täuschen lassen.Damit könnte man sogar begründen wollen, daß die Bedeutunghier in der Wahrnehmung li e, was, wie wir festgestellt habennicht zutrifft. Das Wort weiß meint sicherlich etwas am weißenPapier selbst, und somit deckt sich im Status der Erfüllung diesesMeinen mit der auf das Weißmoment des Gegenstandes bezüg-lichen Partialwahrn.ehmung. Aber die Annahme einer bloßenDeckung mit dieser Partialwahrnehmung will nicht auslangen.3fan pflegt hier zu. sagen, das erscheinende Weiß werde alsweiß erkannt und genannt Indessen die normale Rede vomErkennen bezeichnet vielmehr den Subjektgegenstand als den

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Sinnliche und kategoriale Anschauungen. 131

„erkannten". In diesem Erkennen liegt offenbar ein ‚anderer Aktvor, der jenen ersteren vielleicht einschließt, jedenfalls aber vonihm verschieden ist. Das Papier wird als weiß, oder vielmehrals weißes erkannt, wo wir, die Wahrnehmung ausdrückend, sagenweißes Papier. Die Intention des Wortes weißes deckt sich nurpartiell mit dem Farbenmoment des erscheinenden Gegenstandes,es bleibt ein Überschuß in der Bedeutung, eine Form, die inder Erscheinung selbst nichts findet, sich darin zu bestätigen.Weißes, d. h. weiß seiend.es Papier. Und wiederholt sich dieseForm nicht auch, obschon verborgener bleibend, bei dem Haupt-wart Papier? Nur die in seinem „Begriff" vereinten Merkmal-bedeutungen terminieren in der Wahrnehmung; auch hier ist derganze Gegenstand als Papier erkannt, auch hier eine ergänzendeForm, die das Sein, obschon nicht als einzige Form, enthält. DieErfüllungsleistung der schlichten Wahrnehmung kann an solcheFormen offenbar nicht hinanreichen.

Wir brauchen des weiteren nur zu fragen, was dem Unter-schiede der beiden, auf Grund derselben Wahrnehmung voll-zogenen Beispielsausdrücke diese,s weiße Papier und dieses Papier

ist weiß — also dem Unterschied der attributiven und prädikativenAussageform — auf Seite der Wahrnehmung entspricht, was eran ihr eigentlich ausprägt, und im Falle adäquater Anmessungmit besonderer Genauigkeit ausprägt: so merken wir dieselbeSchwierigkeit. Kurzum wir sehen ein, so einfach wie bei derEigenbedeutu.ng mit ihrer schlichten Deckungsbeziehung zur Wahr z.nehmung liegt die Sache bei den geformten Bedeutungen nicht.Gewiß kann man verständlich und für den Hörenden eindeutigsagen, ich sehe, daß dieses Papier weiß ist; aber die Meinungdieser Rede muß es nicht sein, daß die Bedeutung des ausge-sprochenen Satzes einem bloßen Sehen Ausdruck gebe. Eskann ja auch sein, daß das erkenntnisnaäßige Wesen des Sehens,in dem sich die erscheinende gegenständlichkeit als selbst ge-gebene bekundet, gewisse verknüpfende oder beziehende oder sonst-wie formende Akte begründet, und daß diese es sind, denen sichder Ausdruck mit seinen wechselnden Formen anmißt, und in

Q*

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denen er, hinsichtlich dieser Formen, alsWahrnehmung vollzogenen, seine Erfadiese fundierten Akte oder vielmehr Aktfoden Akten zusammen, und be sen wtdierter Akt die nzen komplexen Akte

auf Grund aktuellerdet. Nehmen wir

en itit ihren fundieren-unter dem Titel fun-ie durch jene formale

Fundierung erwachsen, so können wir sagen: unter Vorausse w. ngder eben angezeigten Möglichkeit stellt sich der Paralleli muswieder her, nur ist kein Parallelismus zwischen den Bedeutungs-intentionen der Ausdrücke und ihne r entsprechenden bloßenWahrnehmungen, sondern zwischen den Bedeutungsintentionenund jenen in Wahrnehmungen fundierten Akten.

§ 41. .Fortsetzung. ilerting der Bet'epintep

Denken wir uns den Kreis der Beispiele so weit ausedehnt,daß er das Gesaratgebiet des prädizierenden Denkens umfaßt, soergeben sich die analo n Schwierigkeiten und analoge Möglich-keiten zu deren Überwindung. Es treten dann zumal auch dieUrteile hinzu, weiche keine bestimmte Beziehung auf eine indivi-duelle, durch irgendwelche Anschauung zu abende Einzelheithaben, sondern in genereller Weise Beziehungen zwischenidealen Einheiten ausdrücken. Auch die generellen Bedeutungensolcher Urteile können sich auf Grund „korrespondierender" An-schauung vollziehen, wie ja auch ihr Ursprung unmittelbar odermittelbar in der Anschauung liegt. Aber das anschaulich Einzelneist hierbei nicht das Gemeinte, es fungiert b - denfalls als singu._lärer Fall, als Beispiel, oder nur als rohes Analogon eines Bei-spiels, des Allgemeinen, auf das es allein abgesehen ist. So rauns z. B., wenn wir generell von Farbe oder speziell von Rötesprechen, die Erscheinung eines singulären roten Dinges diebelegende Anschauung liefern.

Gelegentlich kommt es hier übrigens auch vor, daß man diegenerelle Aussage geradezu als Ausdruck der Anschauung be-zeichnet So wie man z.B, sagt, ein arithmetische. s Axiom drückeaus, was in der Anschauung liege; oder wenn man einem Geometerden Vorwurf macht er drücke, statt formal zu deduzieren bloß

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Sinn ichß wid kategoriale Anschauungen. 133...............................».

aus was er an der Figur sehe, er entnehme aus der Zeichnungund unterschlage Beweisschritte. Solche Rede hat ihren gutenSinn (wie denn der Einwand in nicht unerheblichem Umfang dieformale Schlüssigkeit der Euklidischen Geometrie trifft); nur meintdas Ausdrücken hierin etwas anderes als in den früheren Fällen.Ist schon bei jenen der Ausdruck kein bloßes Gegenbild derAnschauung, so hier erst recht nicht, wo die Intention den Ge-danken gar nicht auf die anschaulich gegebene Erscheinung undihre anschaulichen Eigenschaften oder Verhältnisse geht, ja imBeispiele gar nicht gehen kann: die Figur im geometrischen Sinnist bekanntlich eine ideale Grenze, die in concreto überhaupt nichtanschaulich aufweisbar ist. Bei alldem hat aber die Anschauungauch hier, und im generellen Gebiet überhaupt, eine wesentlicheBeziehung zum Ausdruck und zu seiner Bedeutung; diese bildendaher ein Erlebnis auf Anschauung bezogener Allgemeinerkennt-nis, kein bloßes Zusammen; sondern eine fühlbar zusammen-gehörige Einheit. Auch hier orientiert sich Begriff und Satz nachder Anschauung, und nur dadurch erwächst, bei entsprechenderAnpassung, die Evidenz, der Wert der Erkenntnis. Andererseitsbedarf es keiner langen Überlegung, um einzusehen, daß dieBedeutung der hierhergehörigen Ausdrücke ganz und gar nicht inder Anschauung liegt, sondern daß diese ihr nur die Fülle derKlarheit und günstigenfalls der Evidenz erteilt. Es ist ja zu be-kannt, daß die unvergleichliche Mehrheit der generellen Aussagen,zumal der wissenschaftlichen, ohne jedwede klärende Anschauungbedeutsam fungieren, und daß nur ein verschwindender Teil (auchder wahren und begründeten) einer vollen Durchleuchtung mitAnschauung zugänglich ist und bleibt.

Ähnlich wie im individuellen Gebiet bezieht sich die natür-liche Rede von Erkenntnis auch im generellen Gebiet auf dieanschaulich fundierten Denkakte. Entfällt die Anschauung ganzund gar, so erkennt das Urteil_ zwar nichts, immerhin meint esaber in seiner rein gedanklichen Art genau das, was durch Hilfeder Anschauung zur Erkenntnis käme — wenn das Urteil über-haupt ein wahres ist. Die Erkenntnis aber hat, wir können dies

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134 17/. Elemente einer phänometzolog. Aufklärung der Erkenntnis.===.

in jedem Falle nachträglicher Bewährung des generellen Urteilsan der Anschauung beobachten, so wie jede sonstige Erkenntnisden Charakter der Erfüllung und Identifizierung.

Zur Lösung der Schwierigkeit, wie Identifizierung hier zu-stande kommen soll, da die Form des generellen Satzes, zumaldie Form der Allgemeinheit, in der individuellen Anschauung ihrsympathische Elemente vergeblich suchen würde, bietet sich dann,analog wie oben, die Möglichkeit der fundierten Akte, die, näherausgeführt, etwa so zu gestalten wäre:

Wo generelle Gedanken in Anschauung ihre Erfüllung finden.,da bauen sich auf den Wahrnehmungen und sonstigen Erschei-nungen gleicher Ordnung gewisse neue Akte auf, und zwar Akte,welche sich auf den erscheinenden Gegenstand in ganz andererWeise beziehen, als diese ihn jeweils konstituierenden Anschau-ungen. Die Verschiedenheit der Beziehungsweise spricht sich inder selbstverständlichen und oben schon gebrauchten Wendung aus,daß hier der anschauliche Gegenstand nicht selbst als der gemeintedastehe, sondern nur als klärendes Beispiel für die eigentliche,generelle Meinung fungiere. Indem nun die ausdrückendenAkte diesen Unterschieden folgen, geht auch ihre signifikativeIntention statt auf ein anschaulich Vorzustellendes vielmehr aufein Allgemeines, durch Anschauung nur zu Belegendes. Und wosich die neue Intention durch unterliegende Anschauung adäquaterfüllt, erweist sie ihre objektive Möglichkeit, bzw. die öglich-keit oder »Realität" des Allgemeinen.

§ 42. Der Unterschied zwischen sinnlichem Stoff und kategorialerForm in der Gesamtsphiire der obj ivierenden Akte.

Nachdem diese vorläufigen Betrachtungen uns die Schwierig-keit kennen gelehrt und uns sogleich einen leitenden Gedankenfür ihre mögliche Überwindung an die Hand gegeben haben,versuchen wir die eigentliche Durchführung der Erwägung.

Wir gingen davon aus, daß die Idee eines gewissermaßenbildartigen .A.usdrückens ganz unbrauchbar ist, um das Verhältniszu beschreiben, das zwischen den ausdrückenden Bedeutungen

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Sinnliche und kategoriale Anschauungen. 135

und den ausgedrückten Anschauungen im Falle geformter Aus-drücke statthat. Dies ist zweifellos richtig und soll jetzt nur nocheine nähere Bestimmung erfahren. Wir brauchen 'uns bloß ernst-lich zu überlegen, was möglicherweise Sache der Wahrnehmungund was Sache des Bedentens ist, und wir müssen aufmerksamwerden, daß jeweils nur gewissen, in der bloßen Urteils-form im voraus angebbaren. Aussageteilen in der An-schauung etwas entspricht, während den anderen Aus-sageteilen in ihr überhaupt nichts entsprechen kann.

Sehen wir uns diese Sachlage etwas näher an.Die Wahrnehmungsaussagen sind, einen normalen vollstän-

digen Ausdruck vorausgesetzt, gegliederte Reden von wechselnderGestalt. Wir unterscheiden leicht gewisse Typen wie E ist P(wo E als Anzeige des Eigennamens stehen mag), ein ÄS ist P,dies 8 ist P, alle 8 sind P usw. Mannigfache Verwicklungenentstehen durch den moderierenden Einfluß der Negation, durchEinführung des Unterschiedes zwischen absoluten und relativenPrädikaten, bzw. Attributen, durch konjunktive, disjunktive, deter-minative Anknüpfungen usw. In der Verschiedenheit dieserTypen prägen sich scharfe Bedeutungsunterschiede aus. Den ver-schiedenen Buchstabenzeichen und Wörtern in diesen Typen ent-sprechen teils Glieder, teils verbindende Formen in den Bedeu-tungen der zu diesen Typen gehörigen aktuellen Aussagen. Esist nun leicht zu sehen, daß ausschließlich an den durchBuchstabensymbole angezeigten Stellen solcher „Urteils-formen" Bedeutungen stehen können, die sich in der Wahrneh-mung selbst erfüllen, während es für die ergänzenden Formbe-deutungen aussichtslos, ja grundverkehrt wäre, in der Wahrneh-mung direkt das zu suchen, war ihnen Erfüllung zu geben vermag.Freilich können die Buchstaben,' vermöge ihrer bloß funktionellenBedeutung, auch den Wert komplexer Gedanken annehmen; eskönnen eben sehr verwickelt gebaute Aussagen unter dem Gesichts-punkt sehr einfacher Urteilstypen aufgefaßt werden. Demgemäßwiederholt sich bei dem, was wir einheitlich als „Terminus" insAuge fassen derselbe Unterschied zwischen „Stoff" und „Form".

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136 V/. Elenente einer phänonzenolog. Aufklärung (ler Erkenntnis.

Aber schließlich kommen wir in jeder Wahrnehmungsaussage unddesgleichen natürlich bei jeder anderen, Anschauung in einemgewissen primären Sinn Ausdruck gebenden Aussage, auf letztein den Terminis vorhandenen Elemente — wir nennen sie diestofflichen Elemente — welche in der Anschauung (Wahrneh-mung, Einbildung u. dgl.) direkte Erfüllung finden, während dieergänzenden Formen, obschon sie als Bedeutungsformen gleichfallsErfüllung heischen, in der Wahrnehmung und den gleich ordnetenAkten unmittelbar nichts finden, was ihnen je gemäß sein könnte.

Diesen fundamentalen Unterschied bezeichnen wir, in dernaturgern* en Erweiterung über die ganze Sph ' des objektivie-renden Vorstellen; als den kategorialen, und zwar absolutenUnterschied zwischen For und Stoff des Vorstell ns,und sondern ihn zugleich von dem innig mit ihm zusammen-hängenden relativen oder funktionellen Unterschied welcherim obigen ebenfalls schon mitangedeutet war.

Wir sprachen soeben von der naturgemäßen Erweiterungdieses Unterschiedes über die ganze Sphäre des objektivierendenVorstellen& Wir fassen nämlich die den stofflichen, resp. formalenBestandstücken der Bedeutungsintentionen entsprechendenBestandstücke der Erfüllung ebenfalls als "stoffliche", resp. "for-male«, und damit ist klar, was in der Sphäre der objektivierendenAkte überhaupt als stofflich und als formal zu gelten habe.

Von Stoff (oder auch terie) und Form ist sonst noch invielfachem. Sinne die Rede. Ausdrücklich weisen wir darauf hin,daß die übliche Rede von der Materie, die ihren Gegensatz inder kategorialen Form findet, gar nichts zu tun hat mit der Redevon der Materie im Gegensatz zur >Aktqualität; so z. B. wenn wirin den Bedeutungen von der setzenden oder bloß dahinstellendenQualität die Materie unterscheiden, welche uns sagt, als was, alswie bestimmte und gefaßte, die Gegenständlichkeit in der Be-deutung gemeint ist. Zur leichteren Sonderung sprechen wir imkategorialen Gegensatze nicht von Materie, sondern von Stoff undsagen andererseits, wo die Materie im bisherigen Sinn gemeintist, akzentuierend in te nti o n al e Materie oder auch Auff «sun dnn.

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§ 43. Die objektiven Korrelate der kategorialen Formen keine„realen" Momente.

Es kommt jetzt darauf an, dem soeben bezeichneten Unter-schied Klarheit zu verschaffen. Wir knüpfen zu diesem Zweckean unsere ,früheren Beispiele an.

Die formgebende Flexion, das Sein in der attributiven und.prädikativen Funktion, erfüllt sich, sagten wir, in keiner Wahr-nehmung. Hier erinnern wir uns an den -ff.irr'schen Satz: DasSein ist kein reales Prädikat. Bezieht er sich auch auf dasexistenziale Sein, auf das Sein der "absoluten Position", wie esauch HERBART genannt hat, so können wir ihn doch nicht minderfür das prädikative und attributive Sein in Beschlag nehmen.Jedenfalls meint er genau das, was wir hier klarlegen wollen.Die Farbe kann ich sehen, nicht das Farbig-sein. Die Glättekann ich fühlen, nicht aber das Glatt-sein. Den Ton kann ichhören, nicht aber das Tönend-sein. Das Sein ist nichts imGegenstande, kein Teil desselben, kein ihm einwohnendes Moment;keine Qualität oder Intensität, aber auch keine Figur, keineinnere Form überhaupt, kein wie immer zu fassendes konstitutivesMerkmal. Das Sein ist aber auch nichts an einem Gegenstandees ist wie kein reales inneres, so auch kein reales äußeres Merk-mal und darum im realen Sinne überhaupt kein "Merkmal".Denn es betrifft auch nicht die sachlichen Einheitsformen, welcheGegenstände zu umfassenderen Gegenständen verknüpfen, Farbenzu Farbengestalten, Töne zu Harmonien, Dinge zu umfassenderen.Dingen oder Dingordnungen (Garten, Straße, phänomenale Außen-welt). In diesen sachlichen Einheitsformen gründen die äußerenMerkmale der Gegenstände, das Rechts und Links, das Hoch undTief, das Laut und Leise usw., worunter. sich so etwas wie dasIst natürlich nicht findet.

Wir sprachen jetzt von Gegenständen, ihren konstitutiven.Merkmalen, ihrem sachlichen Zusammenhang mit anderen Gegen-ständen, der umfassendere Gegenstände schafft und zugleich anden Teilgegenständen äußere Merkmale; wir sagten, daß etwas

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I. Elemente einer . Aufklärung dfr Erkenntnis.

dem Sein Entsprechendes unter ihnen nicht zu suchen sei. Alldas sind aber Wahmehmbarkeiten, und sie erschöpfen den Um-fang möglicher Wahrnehmun n so, d,8 hiermit gleich gesagtund konstatiert ist das Sein sei schlechthin nichts Wahr-nehmbares.

Doch hier bedarf es einer Ll nden Ergänzung. Wahr-nehmung und Gegenstand sind innigst zusammenhängende Be-griffe, die sich wechselseitig ihren Sinn anweisen, ihn miteinandererweitern und verengen. Es muß nun aber hervorgehoben werden,d wir hier einen gewissen natürlich begrenzten nächstliegenden,aber sehr engen Begriff von Wahrnehmung, bzw. vonGegenstand benutzt haben. Bekanntlich spricht m, n von Wahr-nehmen und zumal von Sehen auch in einem sehr erweitertenSinn, der das Erfassen ganzer Sachverhalte und schließlich sogardie apriorische Evidenz von Gesetzen (als "Einseheng) in sichbegreift. Im engeren Sinn wahrgenommen ist, populär und rohgesprochen, alles Gegenständliche, das wir mit Augen sehen, mitden Ohren hören, mit irgendeinem äußereng — oder auchinnerenSinnu erfassen können. S' nlich wahrgenommen"

heißen allerdings nach gemeinem Sprachgebrauch nur die äußerenDinge und dinglichen Verknüpfungsformen (nebst den unmittelbarzugehörigen Merkmalen). Konsequenterweise hätte man abernach Einführung der Rede vom „inneren Sinn4 auch den Begriffder sinnlichen Wahrnehmung passend erweitern müssen, so daßauch alle „innere" Wahrnehmung, und unter dem Titel sinn-liches Objekt der korrelate Kreis innerer Objekte — also dieIch und ihre inneren Erlebnisse — befaßt wären.

In der Sphäre der so verstandenen sinnlichen Wahrnehmung,und entsprechend der sinnlichen Anschauung überhaupt —diese Weite der Rede von der Sinnlichkeit halten wir fest —findet nun eine Bedeutung, wie die des Wortes Sein, kein mög-liches objektives Korrelat und darum in den Akten solcherWahrnehmung keine mögliche Erfüllung. Was vom Sein gilt,offenbar von den übrigen kategorialen Formen in den Auss II

mögen sie nun Bestandstücke der Termini untereinand r oder

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Sinnliche und kategoriale Anschauungen. 139

Termini selbst zur Einheit des Satzes verknüpfen. Das Ein unddas Das, das Und und das Oder, das -Wenn und das So, dasAlle und das Kein, das Etwas und Nichts, die Quantitätsformenund die Anzahlbestimmungen usw. — all das sind bedeutendeSatzelemente, aber ihre gegenständlichen Korrelate (falls wir ihnensolche überhaupt zuschreiben dürfen) suchen wir vergeblich inder Sphäre der realen Gegenstände, was ja nichts anderes heißt,als der Gegenstände möglicher sinnlichen Wahrnehmung.

§ 44. Der Ursprung des Begriffes Sein und der übrigen Kategorienliegt nicht in Gebiete der inneren Wahrnehmung.

Dies gilt aber — wir betonen es ausdrücklich — sowohl vonder Sphäre der „äußeren" Sinne, als von der des "inneren"Sinnes. Es ist eine naheliegende, seit LOCKE allgemein verbreitete,aber grundirrige Lehre, daß die fraglichen Bedeutungen, bzw.die ihnen entsprechenden nominal verselbständigten Bedeutungen— die logischen Kategorien, wie Sein und Nichtsein, Einheit,Mehrheit, Allheit, Anzahl, Grund, Folge usw. — durch Re-flexion auf gewisse psychische Akte, also im Gebiete desinnerenSinnes,der"innerenWahrnehmung" entspringen.Auf solchem Wege entspringen wohl Begriffe wie Wahrnehmung,Urteil, Bejahung, Verneinung, Kolligieren und Zählen, Voraus-setzen und Folgern — welche daher insgesamt "sinnliche"Begriffe sind, nämlich zur Sphäre des "inneren Sinnes" ge-hörige — niemals aber die Begriffe der früheren Reihe, die nichtsweniger denn als Begriffe von psychischen Akten oder derenrealen Bestandstücken gelten können. Der Gedanke Urteä erfülltsich in der inneren Anschauung eines aktuellen Urteils; aber nichterfüllt sich darin der Gedanke des ist. Das Sein ist kein Urteilund kein reales Bestandstück eines Urteils. Sowenig das Seinein reales Bestandstück irgendeines äußeren Gegenstandes ist,sowenig ist es ein reales Bestandstück irgendeines inneren; alsoauch nicht des Urteils. Im Urteil — der prädizierenden Aussage —kommt das ist als Bedeutungsmoment vor, so wie etwa, nur in.anderer Stellung und Funktion, Gold uhd gelb. Das ist selbst

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140 VI. Elemente einer phänemez . Aufklärung der Erkenntyzi&

kommt darin nicht vor , es ist in dem Wörtchen ist nur bedeutet,d. i. signitiv gemeint. Selbst gegeben oder zum mindesten ver-meintlich gegeben ist es aber in der, sich dem Urteil unter Um-ständen anschmiegenden Erfüllung: der Gewahrvrerdung desvermeinten Sachverhalts. Nicht nur das im Bedeutungsteil GoldGemeinte erscheint nun selbst, und imgleichen das gelb, sondernes erscheint Gold-ist-gelb; Urteil und Uiteilsintuition einen sichdabei zur Einheit des evidenten Urteils günstigenfalls des eviden-ten im Sinne der idealen Grenze.

Versteht man unter Urteilen nicht nur die zu den aktuellenAuss en gehörigen Bedeutungsintentionen, sondern auch dieeventuellen, ihnen voll& • dig zugepaßten Erfüllungen, so ist essicherlich richtig, daß ein Sein nur im Urteilen erfaßbarist; aber damit ist keineswegs gesagt, daß der B.- 'iff dSeins »in Reflexion" auf gewisse Urteile gewonnen werden müsseund je gewonnen werden könne. Reflexion ist sonst ein ziemlichv es Wort. In der Erkenntnistheorie hat es den wenigstensrelativ festen Sinn, den ihm Lot= g eben hat, den der innerenWahrnehmung; also nur an diesen können wir uns bei der Inter-pretation der Lehre halten, welche den Ursprung des BegriffesSein in der Reflexion auf das Urteil glaubt finden zu können.Einen solchen Ursprung also leugnen wir. Das beziehende Seindas die Prädikation zum Ausdruck bringt, z.B. als „ist", „sind"u. 41., ist ein Unselbständi s; gestalten wir es zum vollen.Konkretum aus, so erwächst der jeweilige Sachverhalt, das ob-jektive Korrelat des vollen Urteils. Wir können dann n:wie der sinnliche Gegenstand zur sinnlichen Wahrneh-mung, so verhält sich der Sachverhalt zu dem ihn (mehroder minder angeniessen.) „gebendenu Aktder Gewah.rw erdung(wir fahlen uns gedrängt, schlechtweg zu sagen: so verhält sichder Sachverhalt zur Sachverhaltwahrnehmung). Wie nunder Begriff sinnlicher Gegenstand (Reales) nicht durch „ReBoxionaauf die Wahrnehmung entspringen kann, weil dann eben der Be-griff Wahrnehmung, oder ein Begriff von irgendwelchen realenKonstituentien von Wahrnehmungen resultierte so kann auch der

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Begriff Sachverhalt nicht aus der Reflexion auf Urteile ent-springen, weil wir dadurch nur Begriffe von Urteilen oder vonrealen Konstituentien von Urteilen erhalten könnten.

Daß dort Wahrnehmungen, hier Urteile, bzw. Urteilsintui-tionen (Sachverhaltwahrnehmungen) erlebt sein müssen, damitdie jeweilige Abstraktion vonstatten gehe, ist selbstverständlich.Erlebtsein ist nicht Gegenständlichsein. Die "Reflexion" besagtaber, daß das, worauf wir reflektieren, das phänomenologischeErlebnis uns gegenständlich (von uns innerlich wahrgenommen)werde, und daß es aus diesem gegenständlichen Inhalt die zugeneralisierenden Bestimmungen real hergebe.

Nicht in der Reflexion auf Urteile oder vielmehratif Urteilserfüllungen, sondern in den Urteilserfüllungenselbst liegt wahrhaft der *Ursprung der Begriffe Sach-verhalt und Sein (im Sinne der Kopula); nicht in diesen Aktenals Gegenständen,, sondern in den Gegenständen dieserAkte finden wir das Abstraktionsfundament für die Realisierungder besagten Begriffe; und natürlich liefern uns dann ein ebensogutes auch die konformen Modifikationen dieser Akte.

Es ist ja von vornherein selbstvearständlich: wie ein sonstigerBegriff (eine Idee, eine spezifische Einheit) nur "entspringen",das ist, uns selbst gegeben werden kann auf Grund eines Aktes,welcher irgendeine ihm entsprechende Einzelheit mindestens imagi-nativ vor unser Auge stellt, so kann der Begriff des Seins nurentspringen, wenn uns irgendein Sein, wirklich oder imagi-nativ, vor Augen gestellt wird. Gilt uns, Sein als prädi-katives Sein, so muß uns also irgendein Sachverhalt gegebenwerden und dies natürlich durch einen ihn gebenden Akt —das Analogon der gemeinen sinnlichen Anschauung.

Dasselbe gilt von allen kategorialen Formen, bzw.von allen Kategorien. Ein Inbegriff z. B. ist gegeben und kannnur gegeben sein in einem aktuellen Zusammenbegreifen., also ineinem Akte, der in der Form der konjunktiven Verbindung A und

B und 0 ...' zum Ausdruck kommt. Aber der Begriff des In-begriffs erwächst nicht durch Reflexion auf diesen Akt; statt auf

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VI. Elemente einer pkietomenolog. Aufklärung

den gebenden Akt haben wir vielmehr auf das, was er gibt,ad den Inbegriff, den er in conereto zur Erscheinung bringt,zu achten und seine all eine Form ins allgemeinbe icheBewußtsein zu erheben.

§ 45. Erwei g des Begriffes Anschauung, spezielle- dem BegriffeWahrnehmung und Imagination. Sinnliche und kategoriale Anschauung.

Wird nun die Frage gestellt: Worin finden die kategorialenFormen der Bedeutungen ihre Erfüllung, wenn nicht durch Wahr-nehmung oder Anschauung in jenem engeren Verstande, den wirin der Rede von der "Sinnlichkeit" vorläufig anzudeuten versuchthaben — so ist uns die Antwort schon durch die eben voll-zogenen Erwägun n klar vorgezeichnet.

Zunächst, daß wirklich auch die Formen Erfüllungfinden, wie wir es ohne weiteres vorausgesetzt haben, bzw. daßdie ganzen, so und so geformten Bedeutungen und nicht etwabloß die "stofflichen" Bedeutungsmomente Erfüllung finden, machtdie Vergegenwärtigung jedes Beispiels einer getreuen Wahrneh-mungsaussage zweifellos; und so erklärt es sich auch, daß mandie ganze Wahrnehmungsaussage einen Ausdruck der Wahrneh-müng und, im übertragenen Sinn, einen Ausdruck dessen nennt,was in der Wahrnehmung angeschaut und selbst gegeben ist.Wenn aber die neben den stofflichen u om.enten vorhandenenkategorialen Formen" des Ausdrucks nicht in der Wahrnehmung

sofern sie als bloße sinnliche Wahrnehmung verstanden wirdterminieren, so muß der Rede vom Ausdruck der Wahrnehmunghier ein anderer Sinn zugrunde liegen, es muß jedenfalls ein Aktda sein, welcher den kategorialen Bedeutungselementen dieselben.Dienste leistet, wie die bloße sinnliche Wahrnehmung den stoff-lichen. Die wesentliche Gleichartigkeit der Erfüllungsfunktion undaller mit ihr gesetzlich zusammenhängenden idealen Beziehungenmacht es eben unvermeidlich, jeden in der Weise der bestätigen-den Selbstdarstellung erfüllenden Akt als Wahrnehmung, jedenerfüllenden Akt überhaupt als Anschauung und sein intentionalesKorrelat als Gegenstand zu bezeichnen. In der Tat können wir

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Sinnliehe und kategoriak Anschauungen. 143

auf die Frage, was das heißt, die kategorial geformten Be-deutungen fänden Erfüllung, sie bestätigten sich in der Wahr-nehmung, nur antworten: es heiße nichts anderes, als daß sieauf den Gegenstand selbst in seiner kategorialen Formungbezogen seien. Der Gegenstand mit diesen kategorialen Formensei nicht bloß gemeint, wie im Falle einer bloß symbolischenFunktion der Bedeutungen, sondern er sei uns, in eben diesenFormen selbst vor Augen gestellt; mit anderen Worten: er seinicht bloß gedacht, sondern eben angeschaut, bzw. wahrge-nommen. Demnach, sowie wir auseinanderlegen wollen, woraufhier die Rede von der Erfüllung zielt, was die geformten Be-deutungen und in ihnen die Formelemente ausdrücken, was dieihnen korrespondierende, einheitliche oder Einheit schaffende Ob-jektivität ist, stoßen wir unvermeidlich auf „Anschauung", bzw.

Wahrnehmung" und „Gegenstand". Wir können diese Worte,deren erweiterter Sinn freilich unverkennbar ist, nicht entbehren.Wie sollt n wir denn noch sonst das Korrelat einer nicht-sinn-lichen, bzw. nicht sinnliche Formen enthaltenden Subjektvor-stellu.ng bezeichnen, wenn uns das Wort Gegenstand, und wie sein.aktuelles „Gegebensein", bzw. als »gegeben" Erscheinen, nennen,wenn uns das Wort Wahrnehmung versagt bliebe? So werden,und in allgemein gebräuchlicherRede,Inhegriffe, unbestimmteVielheiten., Allheiten, Anzahlen, Disjunktiva, Prädikate(das Gerecht-sein), Sachverhalte zu „Gegenständen", die Akte,durch die sie als gegeben erscheinen, zu „Wahrnehmungen".

Sichtlich ist der Zusammenhang des weiteren und engeren,des übersinnlichen (d. i. über Sinnlichkeit sich erbauenden,oder kategorialen) und sinnlichen Tirahrn.ehmungsbegriffskein äußerlicher oder zufälliger, sondern ein in der Sachegründender. Er wird durch die große Klasse von Akten umspannt,deren Eigentümliches es ist, daß in ihnen irgend etwas als „wirk-lich", und zwar als „selbst gegeben" erscheint. Offenbar charakte-risiert sich dies als wirklich und selbst gegeben Erscheinen (dassehr wohl ein trügerisches sein kann) überall durch seinen Unter-schied von den wesentlich verwandten Akten und gewinnt nur

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dadurch seine volle Klarheit- nämlich durch den Unterschied vom .• • • . • • • "

bildlichen ergegenw -denken, welche beide das Ge nwärtigsein (das sozusagen in per-sona Erscheinen) aussellie en , obschon nicht d für seiendgalten. Was das letztere anlangt, so ist ja die bildliche wie diesymbolische Repräsentation in doppelter Weise möglich: in setzen-der Weise, als bildlich oder symbolisch für seiend halten, und innicht-setzender, als „bloßes" imaginieren oder Sich-denken ohnefür seiend halten. Auf die nähere Erörterung dieser Unterschiedehaben wir, nach den hinreichend allgemein zu interpretierendenAnalysen des vorigen Abschnitts nicht mehr nötig einzugehen.Jedenfalls ist es klar, daß mit dem Begriff der Wahrnehmungauch der der Imagination (in seinen mehrfachen Besonderun n)eine entsprechende Extension erfahren m . Wir könntennicht von einem übersinnlich oder kategorial Wahrgenommenensprechen, wenn nicht die Möglichkeit bestände, dasselbe auch „inderselben Weise" (also nicht bloß sinnlich) einzubilden. Wirwerden daher ganz allgemein zwischen sinnlicher und kate-gorialer An sch nung unterscheiden, bzw. die iöglichkeitsolchen Unterscheidung aufweisen müssen.

Der erweiterte Wahrnehmungsbegriff r t übrigens wiedereine engere und weitere Fassung zu. Im weitesten Sinn heißenauch allgemeine Sachverhalte wahrgenommen („eingesehen", inder Evidenz „erschaut"). In dem engeren Sinn geht Wahrneh-mung nur auf individuelles also zeitliches Sein.

§ 46. Phänomenologische A e des Unterschiedessinnlicher und akrn mung.

In unseren nächsten Betrachtungen kommen vorerst nur in-dividuelle Wahrnehmungen und in weiterer Folge die gleichge-ordneten individuellen Anschauungen zur Erwägung.

Die Scheidung zwischen „sinnlichen" und „übersinnlichen"Weihnlehnlungen war oben nur oberflächlich angedeutet und mitganz roher Charakteristik vollzogen. Die veraltete Rede vonäußeren und inneren Sinnen die den Ursprung aus dem All

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Sinnliche und kategoriale Anschauungen. 145..........

leüen mit seiner naiven Metaphysik und Anthropologie nicht ver-leugnet, mochte fiir den Augenblick dienlich sein, um das Gebietanzuzeigen, das ausgeschlossen werden sollte; aber die wirklicheBestimmung und Umgrenzung der Sphäre der Sinnlichkeit istdamit nicht vollzogen, und so entbehrt auch der Begriff -derkategorialen Wahrnehmung noch des deskriptiven Unterbaues. DieSicherung und Klärung der fraglichen Unterscheidung ist um sowichtiger, als von ihr so fundamentale Scheidungen, wie diejenigezwischen kategorialer Form und sinnlich fup.dierter Materie derErkenntnis, und desgleichen die Scheidung zwischen Kategorienund allen anderen Begriffen ganz und gar abhängig sind. Eshandelt sich also darum, tieferliegende deskriptive Charakteristikenzu suchen, die uns eini Einsicht in die wesentlich unterschie-dene Konstitution der sinnlichen und kategorialen Wahrnehmungen,bzw. Anschauungen überhaupt eröffnen.

Es ist für unsere nächsten Zwecke aber nicht 'nötig, eineerschöpfende Analyse der hierhergehörigen Phänomene durchzu-führen. Dies wäre eine Arbeit, die außerordentlich umfassendeBetrachtungen erfordern würde. Es reicht hier aus, auf einigewichtigeren Punkte zu achten, welche dazu dienen können, diebeiderseitigen Akts in ihrem Verhältnis zu einander zu kennzei chnen.

Von jeder Wahrnehmung heißt es, daß sie in. ihren Gegenstandselbst oder direkt erfasse. Aber dieses direkte Erfassen hateinen verschiedenen Sinn und Charakter, je nachdem es sich umeine Wahrnehmung im engem oder eine solche im erweiterten.Sinn handelt, bzw. je nachdem die "direkt" erfaßte Gegenständ-lichkeit ein sinnlicher oder ein kategorialer, anders ausge-drückt: je nachdem er ein realer oder idealer Gegenstand ist.Die sinnlichen oder realen Gegenstände werden wir nämlich alsGegenstände der untersten Stufe möglicherAnschauungcharakterisieren können, die kategorialen oder idealen als dieGegenstände der höheren Stufen,

Im Sinn der engeren „sinnlichen" Wahrnehmung ist einGegenstand direkt erfaßt oder selbst gegenwärtig, der sich imWahrnehmungsakte in schlichter Weise konstituiert. Damit

Ilusserl, Log.Untent. Lt. 10

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146 VI. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

ist aber folgendes gemeint: der Gegenstand ist auch in dem Sinneunmittelbar gegebener Gegenstand, daß er, als dieser mitdiesem bestimmten gegenständlichen Inhalt wahrgenom-mene, sich nicht in beziehende; verkhüpfenden und sonstwiegliederten Akten konstituiert, die in anderen, anderwei-tige Gegenstände zur Wahrnehmung bringenden Aktenfundiert sind. Sinnliche Gegenstände sind in der Wahrnehmungin Einer Aktstufe da; sie unterliegen nicht der Notwendigkeit,sich vielstrahlig in Akten höherer Stufe konstituieren zu müssen,'die ihre Gegenstände mittelst anderer, in anderen Akten für sichbereits konstituierten Gegenstände konstituieren'.

Jeder schlichte Wahrnehmun kt kann nun aber, sei es fürsich allein, sei es mit anderen Akten zusammen, als Grundaktvon neuen, ihn bald einschließenden, bald nur voraussetzendenAkten fungieren, die in ihrer neuen Bewußtseinsweise zugleichein neues, das ursprüngliche wesentlich voraussetzen-des Objektivitätsbewußtsein zeitigen. Indem sich dieneuen Akte der Konjunktion, der Disjunktion, der bestimmten undunbestimmten Einzelauffassung (das etwas), der Generalisationdes schlichten, beziehenden und verknüpfenden Erkennens ein-stellen, erstehen damit nicht beliebige subjektive Erlebnisse, auchnicht Akte überhaupt, die an die ursprünglichen angeknüpft sind;sondern Akte, welche, wie wir s en, neue Objektivitätenkonstituieren; es erstehen Akte, in denen etwas als wirklichund als selbst gegeben erscheint, derart daß dasselbe, alswas es hier erscheint, in den fundierenden Akten allein nochnicht gegeben war und' gegeben sein konnte. Andererseitsaber gründet die neue Gegenständlichkeit in der alten.;sie hat zu der in den Grundakten erscheinenden gegen-ständliche Beziehung. Ihre Erscheinungsweise ist durch dieseBeziehung wesentlich bestimmt. Es handelt sich hier um eineSphäre von Objektivitäten, die nur in derart fundierten Akten

selbst" zur Erscheinung kommen können.In solchen fundierten Akten liegt das Kategoriale des An-

schauens und Erkennens in ihnen fincippt das aussagende Denken

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Sinnliche und kategoriale Anschauungen. 147

wo es als Ausdruck fungiert, seine Erfüllung: die Möglichkeitvollkommener Anmessung an solche Akte bestimmt die Wahrheitder Aussage als ihre Richtigkeit. Allerdings haben wir bishernur die Sphäre der Wahrnehmung und in ihr nur die primitivstenFälle in Betracht gezogen. Man sieht ohne weiteres, daß sichunsere Unterscheidung zwischen schlichten und fundierten Aktenvon den Wahrnehmungen auf alle Anschauungen überträgt. Esleuchtet auch schon die Möglichkeit von komplexen Akten solcherArt ein, welche in gemischter Weise, teils auf schlichten Wahr-nehmungen, teils auf schlichten Imaginationen gegründet sind;ferner auch die Möglichkeit, daß sich auf fundierten Anschau-ungen neue Fundierungen konstituieren, also ganze Stufenfolgender Fundierung übereinander bauen; weiter, daß sich die signi-tiven Intentionen nach Maßgabe solcher Fundierungen niedereroder höherer Stufe gestalten, und daß sich dann abermalsMischungen zwischen signitiven und intuitiven Akten durch Fun-dierung gestalten, nämlich fundierte Akte, die auf Akten der einenund anderen Art gebaut sind. Zunächst kommt es - aber auf dieprimitiven Fälle an und auf ihre vollzureichende Klärung.

§ 47. Fortsetzung. Charakteristik der sinnlichen Wahrnehmungals „schlichte" Wahrnehmung.

Wir fassen also die Akte näher ins Auge, in welchen sichsinnliche Konkreta und ihre sinnlichen Bestandstücke als gegebendarstellen; im Gegensatz zu ihnen nachher die ganz andersartigenAkte, durch welche konkret bestimmte Sachverhalte, Kollektiva,Disjunktiva als komplexe „Denkobjekte" gegeben werden, als"Gegenstän.de höherer Ordnung", die ihre fundierenden Gegen-stände reell in sich schließen; und wieder Akte von der Artder Generalisation oder der unbestimmten Einzelauffassung, derenGegenstände zwar auch von höherer Stufe sind, aber ihre fundie-renden Gegenstände nicht so in sich schließen.

In der sinnlichen Wahrnehmung erscheint uns das „äußere"Ding in Einem Schlage, sowie unser Blick darauf fällt. Ihre Art,das Ding als gegenwärtiges erscheinen zu lassen, ist eine schlichte,

10*

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148 VI. Elemente einer pleänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

sie bedarf nicht des Apparates fundierender oder fundierter Akte.Aus welchen und aus wie komplizierten psychischen Prozessen siegenetisch entstanden sein mag, ist hierfür natürlich ohne Belang.

Wir übersehen auch nicht die offenbare Komplexion, die sichim phänomenologischen Gehalt des schlichten Wahrnehmungsaktesund zumal in seiner einheitlichen Intention nachweisen I t.

Gewiß gehören zum Dinge, als dem inhaltlich so und soerscheinenden, mannigfaltige konstitutiv° Eigenschaften, von denenein Teil „selbst in die Wahrnehmung fällt", während ein andererbloß intendiert ist. Aber wir erleben keinesweL all die arti-kulierten Wahrnehmungsakte, die erwachsen würden, wenn wirauf all die dinglichen Einzelheiten, näher, auf die Bestinuntheitender »uns zugewendeten Seilet' für sich achten, wenn wir sie zuGegenständen für sich machen würden. Gewiß sind auch dieVorstellungen der ergänzenden, nicht selbst in die Wahrnehmungfallenden Bestimmtheiten „dispositionell erregt a, gewiß fließendie auf sie bezüglichen Intentionen in die Wahrnehmung mit einund bestimmen ihren ganzen Charakter. Aber wie das Ding inder Erscheinung nicht als eine bloße Summe der unzähligenEinzelbestimmtheiten dasteht, welche die nachträgliche Einzel-betrachtung unterscheiden mag, und wie auch sie das Ding nichtin Einzelheiten zu zersplittern, sondern sie nur an dem immerfertigen und einheitlichen Dinge zu beachten vermag: so ist auchdei Wahntollmun.pakt allzeit eine homogene Einheit, die denGegenstand in einfacher und unmittelbarer Weise gegenwärtigt.Die Einheit der Wahrnehmung erwächst also nicht durcheigene synthetische Akte, als ob nur die Form der Synthesisdurch fundierte Akte den Paztialintentionen die Einheitlichkeit dergegenständlichen Beziehung verschaffen könnte. Der Artikulierungund, somit auch der aktuellen Verknüpfung bedarf es nicht DieWahrn.ehmungseinbeit kommt als schlichte Einheit, als un-mittelbare Verschmelzung der Partialintentionen undohne Hinzutritt neuer Aktintentionen zustande.

Es mag ferner sein, daß wir uns mit „Einem Blick nichtgenug sein lassen daß wir vielmehr in einem kontinuierlichen

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Sinnliche und kategorial Anschauungen. 149

Wahrnehmungsverlauf das Ding allseitig betrachten, es mitden Sinnen gleichsam abtastend. Aber jede einzelne Wahrnehmungdieses Verlaufs ist schon Wahrnehmung dieses Dinges. Ob ichdieses Buch hier von. oben oder unten, von innen oder außenansehe, immer sehe ich dieses Buch. Es ist immer die eineund selbe Sache, und zwar dieselbe nicht im bloßen physikali-schen Sinne, sondern nach der Meinung der Wahrnehmungenselbst. Herrschen einzelne Bestimmtheiten dabe*i auch vor undbei jedem Schritt wechselnde, so konstituiert sichdas Ding selbst,als wahrgenommene Einheit, nicht wesentlich durch einen über-greifenden, in den Sonderwahrnehmungen fundierten Akt.

Doch genau besehen, dürfen wir die Sache nicht so darstellen,als ob sich das Eine sinnliche Objekt in einem fundierten Aktezwar darstellen könne (nämlich im kontinuierlich verlaufendenWahrnehmen), während es bloß nicht notwendig sei, daß es sichin solch einem Akte darstellen müsse. Auch der kontinuierlicheWahrnehmungsverlauf erweist sich bei genauerer Analyse als eineVerschmelzung von Partialakten zu Einem Akt, nicht als eineigener in den. Partiala.kten fundierter Akt.

Dies zu zeigen, stellen wir folgende Erwägung an.Die einzelnen Wahrnehmungen des Verlaufs sind kontinuier-

lich einig. Diese Kontinuität meint nicht bloß die objektive Tat-sache zeitlicher Angrenzung; vielmehr hat der Verlauf von Einzel-

ten den Charakter einer phänomenologischen Einheit, in welchedie einzelnen Akte verschmolzen sind. In dieser Einheit sind dievielen Akte nicht nur überhaupt zu einem phänomenologischenGanzen verschmolzen, sondern zu Einem Akt und, näher, zu einerWahrnehmung. Im kontinuierlichen Ablauf der Einzelwahrneh-mungen nehmen wir ja kontinuierlich diesen einen und selbenGegenstand wahr. Dürfen wir nun die kontinuierliche Wahr-nehmung, da sie sich aus den Einzelwahrnehmungen aufbaut,als in ihnen fundierte Wahrnehmung bezeichnen? Fundiert istsie natürlich in dem Sinne, in welchem ein Ganzes durch seineTeile fundiert ist; nicht aber in dem hier für uns maßgebendenSinne wonach der fundierte Akt einen neuen. Aktcharakter

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150 Vl. Ekmnie einer phänomenolog. Aufklärung der Erkennini.N.

herstellen soll, der in den unterliegenden Aktcharakteren gründetund ohne sie nicht denkbar ist. Im vorliegenden File ist dieWahrnehmung gleichsam nur gedehnt; sie hißt von sich Teileabstü.cken, die für sich schon als volle Wahrnehmungen fungierenkönnten. Aber die Einheit dieser Wahrnehmungen zur kontinuier-lichen Wahrnehmung ist nicht Einheit durch einen eigenen Akt,als welcher ein neues Objektivitätsbewußtsein konstituieren würde.Statt dessen finden wir, daß im gedehnten A 'te objektiv schlechter-dings nichts Neues gemeint ist, sondern immerfort dieser selbeGegenstand, den schon die Teilwahrnelunungen, einzeln ge-nommen, meinten.

Man könnte nun auf diese Seibigkeit (hwicht legen unden: Die Einheit sei doch Einheit der Identifizierung. Die

Intention' der aneinandergereihten Akte decke sich fortgesetzt,und so komme die Einheit zustande. Dies ist sicherlich richtig.Aber Einheit der Identifizierung — es ist unausweichlichdiesen Unterschi :t zu machen — besagt nicht dasselbe wieEinheit eines Aktes der Identifizierung. Ein Akt meintetwas, der Akt der Identifizierung meint Identität, stellt sie vor.In unserem Falle ist nun Identifizierung vollzogen, aber keineIdentität gemeint. Der in den verschiedenen Akten des kontinu-ierlichen Wahrnehmungsverlaufs gemeinte Gegenstand ist zwarimmerfort derselbe, und die Akte sind durch Deckung einig; aberwas in diesem Verlauf wahrgenommen, was in ihm objektiv wirdist ausschließlich der sinnliche Gegenstand, niemals seine Identitätmit sich selbst. Erst wenn wir den Wahrnehmungsverlauf zumFundament eines neuen Aktes machen, erst wenn wir die Einzel-wahrnehmungen artikulieren und ihre Gegenstände in Beziehungsetzen, dient die zwischen den Einzelwahrnehmungen waltendeEinheit der Kontinuität (d. i. der Verschmelzung durch Deckungder Intentionen) als Anhalt für ein Bewußtsein von Identität; dieIdentität wird nun selbst gegenständlich; das Moment der dieA.ktcharaktere verknüpfenden Deckung dient jetzt als repräsen-tierender Inhalt einer neuen Wahrnehmung, die in denartikulierten Einzelwahrnehmungen fundiert ist und uns zum

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und kategoriale Anschauungen. 151

intentionalen Bewußtsein bringt: das jetzt und vordem Wahr-genommene sei ein und dasselbe. Natürlich haben wir es dannmit einem regulären. Akte der zweiten Gruppe zu tun. Der Aktder Identifizierung ist in der Tat ein neues Objektivitätsbewußt-sein, das uns einen neuen „Gegenstand" zur Erscheinung bringt,einen Gegenstand, welcher nur in einem fundierten Akt dieserArt selbst erfaßt" oder „gegeben" sein kann.

Doch ehe wir auf die neue Klasse von Akten und Objektennäher eingehen, mässen wir die Betrachtung der s'chlichten. Wahr-nehmungen zu Ende führen. Dürfen wir den Sinn des schlich-ten, oder was uns als dasselbe gilt, des sinnlichen Wahrnehmensfür geklärt erachten, so ist damit auch der Begriff des sinn-lichen oder realen Gegenstandes (real im ursprünglichsten.Sinn) geklärt. Wir definieren ihn geradezu als möglichen Gegen-stand einer schlichten Wahrnehmung. Vermöge des notwendigenParatlelismus zwischen Wahrnehmung und Imaginationi- wo-nach jeder möglichen Wahrnehmung eine mögliche Imagination(genauer zu reden, eine ganze Serie von Imagiiiation.en.) von der-selben Essenz entspricht, koordiniert sich auch jeder schlich-ten Wahrnehmung eine schlichte Imagination, womit zugleich derweitere Begriff der sinnlichen Anschauung gesichert istDaß wir danach die sinnlichen G-egenstän.de als die möglichenGegenstände sinnlicher Imagination und sinnlicher Anschauungüberhaupt definieren können, bedeutet selbstverständlich keinewesentliche Verallgemeinerung der vorigen Definition. AufGrund des eben betonten Parallelisnius sind beide Definitionenäquivalent.

Durch den Begriff des realen Gegenstandes ist auch der'Be-griff realer Teil, spezieller, die Begriffe reales Stück, realesMoment (reales Merkmal), reale Form bestimmt. Jeder Teileines realen Gegenstandes ist ein realer Teil.

In der schlichten Wahrnehmung heißt der ganze Gegenstandexplizite", jeder seiner Teile (Teil im weitesten Sinne) „im.-

plizite" gegeben. Die Gesamtheit der Gegenstände, welche inschlichten Wahrnehmungen explizite oder implizite gegeben

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152 17/. Elemente einer phänomenolog. Ati klärung der Erkenntnis.

sein können, macht die weitest gefaßte Sphäre der sinn-lichen Gegenstände aus.

Jeder konkrete sinnliche Gegenstand ist in der Weise einesexpliziten schlicht wahrnehmbar; und somit auch jedes Stückeines solchen Gegenstandes. Wie verhält es sich aber bei denabstrakten Momenten? Ihrer Natur nach können sie nicht fürsich sein; es ist also evident, daß ihre Wahrnehmung und Imagi-nation ein Unselbständiges ist, sofern der repräsentierende Inhalt,auch wo bloße Repräsentation durch Analogie statthat, nicht fürsich, sondern nur in einem umfassenderen Konkretum erlebt seinkann. Aber damit ist noch nicht gesagt, daß die Anschauungein fundierter Akt sein müsse. Sie wäre es, wenn der Er-fassung eines abstrakten Moments notwendig die Erfassung deskonkreten Ganzen, bzw. diejenigen der ergänzenden Momente — dieErfassung als ein Akt intuitiver Zuwendung — vorangehen müßte:und dies halte ich nicht für selbstverständlich. Dagegen ist essicher, daß die Erfassung eines Moments und überhaupt einesTeils als Teil des gegebenen Ganzen, somit auch die Erfassungeines sinnlichen Merkmals als Merkmal, einer sinnlichen FormOs Form, auf lauter fundierte Akte hinweist, und zwar auf solchevon der Art der beziehenden; damit wäre also die Sphäre der„Sinnlichkeit" verlassen und die des „Verstandes" betreten. Dieeben bezeichnete Gruppe fundierter Akte wollen wir sogleich einernäheren Betrachtung unterziehen.

§ 48. Charakteristik der kategorialen Akte als fundierte Akte.

Einen sinnlichen Gegenstand können wir in verschiedenerWeise auffassen. Zunächst natürlich in. schlichter Weise. DieseMöglichkeit, die wie alle hier in Rede stehenden Möglichkehendurchaus als ideale zu interpretieren ist, charakterisiert ihn ja alssinnlichen Gegenstand. So aufgefaßt, steht er gleichsam einfältigvor uns da: die Teile, die ihn konstituieren, sind zwar in ihmsie werden uns aber im schlichten Akte nicht zu expliziten Gegen-ständen. Denselben Gegenstand können wir aber auch in expli-zierender Weise auffassen: in gliedernden Akten „heben wir die

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Sinnliche und kategoriale Anschauungen. 153

Teile „heraus", in beziehenden Akten setzen wir die heraus-gehobenen in Beziehung, sei es zu einander, sei es zu demGanzen. Und erst durch diese neuen Auffassungsweisen gewinnendie verknüpften und bezogenen Glieder den bharak ter von„Teilen", bzw. von „Ganzen". Die artikulierenden Akte, und in derRückbeziehung der schlichte Akt, sind nicht bloß im Nacheinandererlebt; vielmehr sind jeweils übergreifende Akteinheiten da,in welchen sich als neue Objekte, die Teilverhältnissekonstituieren.

Fassen wir zunächst die Verhältnisse zwischen Teil undGanzem ins Auge, also, in Beschränkung auf die einfachsten Fälle,die Verhältnisse A ist (hat) und a ist in 4. Die fundiertenAkte nachweisen, in denen sich diese typischen Sachverhalte alsgegeben konstituieren, und die eben gebrauchten Formen kategori-scher Aussagen klären (d. i. eben auf ihren intuitiven Ursprungzurückführen, auf ihre adäquate Erfüllung) ist einerlei. Doch.kommt es uns hier nicht auf die Aktqualitäten, sondern ausschließ-lich auf die Konstitution der Auffassungsformen an, und soweit wirdunsere Analyse, als Urteilsanalyse betrachtet, unvollständig sein.

Ein wahrnehmender Akt erf t 4 als ein Gaues, in EinemSchlage und in schlichter Weise. Ein zweiter Wahrnehmungsaktrichtet sich auf das a, den Teil oder das unselbständige Moment,das dem A konstitutiv zugehört. Diese zwei Akte vollziehen sich.aber nicht bloß zugleich oder nacheinander in der Weise „zu-sammenhangsloser" Erlebnisse, vielmehr knüpfen sie sich zu einemeinzigen Akte zusammen, in dessen Synthesis däs A erst als dasa in sich habend gegeben ist. Ebenso kann, auch bei umgekehrter„Richtung" der beziehenden „Wahrnehmung", das a als dem A. zu-

kommend zur Selbstgegebenheit kommen.Suchen wir nun etwas tiefer einzudringen.Das anschauliche Gesamtmeinen des Gegenstandes befaßt

implizite die Intention auf das a. Die Wahrnehmung meint jaden Gegenstand selbst zu erfassen, und so muß ihr „Erfassen"in und mit dem ganzen Gegenstand alle seine Bestandstücke

treffen.

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154 121 Elemente einer pluinomenolog.Ati na der Erkenntnis.

Natürlich handelt es sich dabei mir um die Bestandstücke desGegenstandes, so wie er in der Wahrnehmung erscheint, als was erin ihr selbst dasteht, und nicht etwa um solche, die zu dem in„objektiver Wirklichkeit" seienden Ge nstande gehören, den erst nach-trägliche Erfahrungen, Erkenntnisse, Wissenschaften herausstellen.

In der Einschränkung der Gesamtwahrnehmung zur Sonder-wahrnehmung wird nun die Partialintention auf das a nicht ausder Gesamterscheinung des A herausgerissen, als ob dessen Ein-heit in Brüche ginge; sondern in einem eigenen Akt wird dasa zum eigenen Wahrnehmungsobjekt. Zugleich „deckt" sich aberdas fortwirkende Gesamtwahrnehmen gemäß jener implizierten,Partialintention mit dem Sonderwahrnehmen. Der auf das a be-zügliche Repräsentant fungiert als identisch derselbe in doppelterWeise und indem er es tut, vollzieht sich die Deckung als dieeigentümliche Einheit der beiden repräsentativen Funktionen, d.es decken sich die beiden Auffassungen, deren Träger dieserRepräsentant ist. Aber diese Einheit nimmt nun selbst die Funk-tion einer Repräsentation an; sie gilt dabei nicht für sich, alsdieser erlebte Verband der Akte; sie wird nicht selbst als Gegen-stand konstituiert, sondern sie hilft einen anderen Gegenstandkonstituieren; sie repräsentiert, und in solcher Weise daß nundas A als das a in sich habend erscheint bzw. in im kehrterRichtung: das a als in A seiend.

Je nach dem „Standpunkt der Auffassung bzw. je nachder "Richtung des Überganges" zum Teil vom Ganzen oderumgekehrt — und das sind neue zur intentionalen Gesamtmateriedes beziehenden Aktes hege; •ende phänomenologische Cha-raktere — gibt es zwei a priori vorgezeichnete Möglichkeiten,nach welchen „dieselbe Relation" zum aktuellen Gegebenseinkommen kann. Dem entsprechen die beiden a priori möglichen"Verhältnisse" als verschiedene, aber nach idealer Gesetzlichkeitnotwendig zusammengehörige Objektivitäten., die sich direktnur in fundierten Akten der angedeuteten Art konsti-tuieren, d. h. nur in so gebauten Akten zur „Selbstgegebenheit"zur „Wahrnehmung" kommen können.

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Sinnliche und kategoriale Anschauungen. 155

Diese Darstellung paßt sichtlich auf alle Besonderungen desVerhältnisses zwischen einem Ganzen und seinen Teilen. Allediese Verhältnisse sind. kategorialer, also idealer Natur. Es Wäreverkehrt, sie in das schlichte Ganze einzulegen und in ihm durchAnalyse finden zu wollen. Im Ganzen steckt zwar der Teil voraller Gliederung und ist darin im wahrnehmenden Erfassen desGanzen miterfaßt; aber diese Tatsache, daß er darin steckt, istzunächst bloß, die ideelle Möglichkeit, ihn und sein Teil-sein in.den entsprechenden gegliederten und fundierten Akten zur Wahr-nehmung zu bringen.

Ähnlich liegt die Sache offenbar bei den äußeren Rela-tionen, aus denen die Prä.dikationen der Art wie A rechts vonB, A größer, heller, lauter als B u. dgl. entstammen. Wo immersinnliche Gegenstände — schlichte Wahrnehmbarkeiten für sich —unerachtet ihrer sich abscheidenden Geschlossenheit zu Verbänden,zu mehr oder minder innigen Einheiten, also im Grunde zu um-fassenderen Gegenständen sich zusammenfinden, da erwächst dieMöglichkeit äußerer Relationen. Sie sind insgesamt unter den.Typus der Relation von Teil zu Teilen eines Ganzen zu be-fassen. Wieder sind es fundierte Akte, in welchen sich dieprimäre Erscheinung der hierhergehöri gen Sachverhalte,der äußeren Verhältnisse, vollzieht. Es ist ja klar, daß wederdie schlichte Wahrnehmung der ganzen Komplexion, noch die zuihren Gliedern gehörigen Sonderwahrnehmungen an sich schondie Beziehungswahrnehmungen sind, die in dieser Komplexion nurmöglich sind. Erst wenn ein Glied als Hauptglied bevorzugt undunter Festhaltung der übrigen Glieder betrachtet wird, tritt seinphänomenales, und je nach Besonderheit der; obwaltenden Ein-heitsart wechselndes Bestiramtsein durch die korrelaten Gliederhervor, die hierbei offenbar selbst zur Eteraushebung kommenmüssen. Auch hier bestimmt im allgemeinen die Wahl des Haupt-gliedes, bzw. die Richtung der beziehenden Auffassung, phäno-menologisch verschiedene und in korrelater Weise charakterisierteVerhältnisformen, die in der ungegliederten Wahrnehmung desVerbandes (also in dem Verbande, wie er als schlichter Gegen-

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156 VI Elemente einer phänomenolvg. Aufklärung der Erkenntnis.

stand erscheint) nicht wahrhaft, sondern nur als ideale Mög-lichkeiten beschlossen sind, nämlich die bezüglichen fundiertenAkte zu vollziehen.

Die reelle Einlegung dieser Teilverhältnisse in das Ganzewürde eine Vermengung von grundverschiedenen Bin n bedeuten:von sinnlichen oder realen Verknüpfungsformen undkategorialen und idealen. Die sinnlichen Verknüpfungensind Momente des realen Gegens ndes, wirkliche Momente des-selben, in ihm, wenn auch nur implizite, vorhanden und durcheine abstraktive Wahrnehmung aus ihm herauszuheben. Dagegensind die Formen der kategorialen Verknüpfung zur Weise derAkt-Synthesis gehörige Formen, also Formen, die sich in densynthetischen, auf Sinnlichkeit aufgebauten Akten objektiv konsti-tuieren. In der Bildung äußerer R,elationen mag die sinnlicheForm das Fundament abgeben zur Konstitution einer ihr ent-sprechenden kategorialen Form; wie wenn wir das in der An-schauung eines umfassenden Gegebene sinnliche Angrenzen derInhalte A und .B in den synthetischen Formen A. grenzt an .13,oder 13 grenzt an A auffassen und eventuell ausdrücken.der. Konstitution der letzteren Formen sind aber neue Gegen-stände erwachsen, zugehörig zur Klasse Sachverhal t, welchenur "Gegenstände höherer Ordnung" befaßt Im sinnlichen Ganzensind die Teile A. und B durch (L: sie sinnlich verknüpfendeIlement der Angrenzung einig. Die Heraushebung dieser Teileund Momente, die Bildung der Auschauungen von A, B und vomAngrenzen, liefert aber noch nicht die Vorstellung A grenzt an B.Diese erfordert einen neuen, sich dieser Vorstellungen bemäch-tigenden, sie passend formenden und verknüpfenden Akt

§ 49. Zusatz über die nominale Armung.

Wir fügen hier unserer bisherigen Analyse einen wichtigen.Zusatz an, die Formung betreffend, welche die synthetisch ver-knüpften Vorstellungen, jede für sich genommen, erfahren. Ineiner speziellen Klasse von Fällen haben wir diesen wichtigenPunkt schon studiert; wir haben in der V. Untersuchung bemerkt

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Sinnliche und kategoriale Anschauungen. 157

daß eine Aussage niemals in unmodifizierter Form zum Funda-ment eines darauf gebauten synthetischen Aktes, zum Subjekt-oder Objektglied einer neuen Aussage werden könne. Die Aus-sage muß, sagten wir, erst die nominale Form annehmen, wodurchihr Sachverhalt in neuer, in nominaler Weise gegenständlich wird.'In dieser Tatsache prägt sich eben der intuitive Unterschied aus,den wir hier im Auge haben, und der nicht bloß für die *Be-ziehungsglieder der bisher betrachteten Synthesen niederster, un-mittelbar auf Sinnlichkeit gebauter Stufe gilt, sondern für alleVorstellungen, deren sich (vielstrahlige) Synthesen beliebiger Artund Stufe bemächtigen,

Wir können zunächst vielleicht allgemein sagen: obj ektivi-rende Akte rein für sich und „dieselben" objektivieren-den Akte in der Funktion, Beziehungspunkte irgend-welcher Beziehungen zu konstituieren, sind nicht wahrhaftdieselben, sie unterscheiden sich phänomenologisch, und.zwar in Hinsicht auf das, was wir die intentionale Ma-terie genannt haben. Der Auffassungssinn hat sich ge-ändert, und daher die Bedeu.tungsänderung im angemessenenAusdruck. Es ist nicht so, als ob zwischen den ungeändertenVorstellungen nur ein Zwischenstück eingeschoben würde, alsein Band, das die Vorstellungen nur äußerlich aneinanderknüpfte.Die Funktion des synthetischen Denkens (die intellektive Funk-tion) tut ihnen etwas an, formt sie neu, obschon als kategorialeFunktion in kategorialer Weise; demnach so, daß hierdurch dersinnliche Gehalt des erscheinenden Gegenstandes unge änd ertbleibt. Der Gegenstand erscheint nicht mit neuen realen Be-stimmtheiten, er steht als dieser selbe, aber in neuer Weiseda. Die Einordnung in den kategorialen Zusammenhang gibt ihmdarin eine bestimmte Stelle und Rolle, die Rolle eines Be-ziehungsgliedes, speziell eines Subjekt- oder Objektgliedes;und das sind Unterschiede, die sich phänomenologisch bekunden.

Freilich ist es leichter, die Bedeutungsänderungen der aus-

1 A. a. 0. Kap. 4, § 35 u. 36, Il', 1, S. 466-476.

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158 Vit Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

prägenden Ausdrücke als die Modifikation der direkten Vorstel-lungen selbst zu bemerken; z. B. ist die Sachlage im Kreise derschlichten Anschauungen, bei Vergleich derselben in und außer-halb einer Beziehungsfunktion, nicht nz klar. Ich habe sie da-her in der vorigen Untersuchung nicht schon in Anspruch ge-nommen. Die vereinzelten Wahrnehmungen der Sinnlichkeitwurden mit den nominal fungierenden Akten gleichgestellt.'Ähnlich wie uns der Gegenstand in der schlichten Wahrnehmungdirekt gegenübergesetzt ist, so im nominalen Akte der Sachverhaltoder ein kategorial geformter Gegenstand sonst. Die allmählicheKonstitution des Gegenstandes hat sich vollzogen, als fertigerwird er dann zum Beziehungsglied gemacht — er behält, scheintes, seinen konstitutiven Sinn völlig umgeändert. — Sicherlich kannman aber sagen, zunächst bei der ahrnehmung en he uns diephänomenologische Änderung, die sie mit dem Eintritt in denbeziehenden Akt erfahre, gerade darum, weil die neue Form etwassei, was den ganzen alten Auffassungssinn in sie schließe und ihmeben nur den neuen einer „Rolle a erteile. Die W irnehmungbleibt Wahrnehmung, der Gegenstand ist, so wie er es wargeben, „nur" daß er eben „in Beziehung gesetzta wird. Der-artige Formungen der synthetischen Funktion ändern nicht denGegenstand selbst, also gelten sie uns als zu unserem bloßensubjektiven Betätigen gehörig, und so übersehen wir sie beider phänomenologischen, auf Erkenntnisklärung gerichteten Re-flexion. — Konsequent müssen wir dann sagen: auch der Sach-verhalt sei in der subj tivischen und überhaupt nominalenFunktion zwar derselbe Sachverhalt, und zu unterstem Grundeauch durch denselben Akt in ursprünglicher Anschauungkonstituiert, durch den er in der isolierten Funktion konsti-tuiert war; aber er sei in dem höherstufigen Akte, in dem erals Beziehungsglied fungiere, mit einer neuen Form konstituiert(s. z. s. mit dem charakterisierenden Kostüm seiner Rolle), diesich im angemessenen Ausdruck durch die nominale Ausdrucks-

Z. B. § 33, 112, 1, S. 459 0.

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*nnliche und kategoriak Anschauungen. 159

form bekunde. — Hier bedarf es zur letzten Klärung der nur ebenangegriffenen phänomenologischen Sachlage weiterer Forschungen.

§ 50. Sinnliche Formen in kategorialer Fassung, aber nicht innominaler Funktion.

Wir haben bisher nur von Formungen gesprochen, welchedie Beziehungsglieder erfahren, etwa Ganzes und Teil. Aberin den äußeren Relationen sehen wir, wie sinnliche Formen indie Einheit der Relation (in ihr Prädikat) eintreten und die Rela-,tionsform sinnlich bestimmen, ohne die nominale Verselb-ständigung zu erfahren. Z. B. A heller als B, A rechtsvon B usw. Die phänomenologischen Unterschiede — Unter-schiede des Auffassungssinnes — zwischen den Fällen, wo sozu-sagen auf die Helligkeitsform schlicht geachtet, und dieselbe dannin der Weise des Ausdrucks „dieses Helligkeitsverhältnis[zwischen A und _13] ist leichter merklich als jenes [zwischen 111und .N1 zum nominalen G-egenstande gemscht wird, und denganz anders gearteten Fällen, wo dieselbe Helligkeitsform in derWeise des obigen Ausdrucks „A ist heller als B" gemeint ist,diese 'Unterschiede, sage ich, sind unverkennbar. In den letzterenFällen finden wir abermals eine kategoriale Form, die auf eineeigenartige Funktion im Ganzen der Beziehung hinweist. Auf dieUnterschiede solcher Formen, wie wir sie hier und im vorigenParagraphen kennen gelernt haben, führen sich offenbar Begriffewie Beziehungsglied, Beziehungsform, Subjekt, Objekt und andere,nicht immer deutlich ausgeprägte und jedenfalls bisher nicht hin-

reichend geklärte Begriffe zurück.

§ 51. Kollektiva und Disjunktiva.

Wir haben als Beispiele kategorialer, und zwar synthetischerGegenstandsformen bisher nur einige der allereinfachsten Sach-verhaltsformen in Erwägung gezogen, nämlich die totalen undpartialen Identitätsbeziehungen •und die einfachen äußeren Rela-tionen. Wir fassen jetzt als weitere Beispiele zwei synthetische

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160 VI. Elemente ei,zer phänellienele. Au kmanis.

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Formen ins Auge die, nicht selbst Sachverhalte im Zusammen-hang° von Sachverhalten eine große Rolle spielen: die Kollek-tiva und Disjunktiva. Die Akte, in welchen sie sich alsGegebenheiten konstituieren, sind es, weiche den Bedeutungender Konjunktionen und und oder die erfüllende Anschauungbieten.

Das, was den Worten und und oder, beides und eins vonbeiden anschaulich entspricht, das läßt sich, so drückten wir esoben in etwas roher Weise aus, nicht mit Händen greifen, mitirgendeinem Sinn erfassen; wie es sich ja auch nicht eigentlichim Bilde darstellen, etwa malen F1 t. Ich k , a 4 malen und Bmalen, kann beide auch im selben Bildraume malen; aber dasbeide,? das A und B katnn ich nicht malen. Hier gibt es nurdie eine und jederzeit offenstehende Möglichkeit, daß wir aufGrund der beiden einzelnen Anschauun te den neuen Aktdes Konjungierens (Kolligierens) vollziehen und hierdurch dasZusammen der Objekte A, und B meinen. In ihm konstituiertsich in der Sachlage, die wir eben als Beispiel vor Augen hatten,die bildliche Vorstellung des A und B, während dieser In-begriff in der Weise der Wahrnehmung „selbst" geben istund nur gegeben sein kann in einem eben solchen, bloß konformmodifizierten Akte, der aber in den Wahrnehmungen von Aund B fundiert ist.

D wir von einem Akte sprechen, der diese W i ruehmun :

einigt, und nicht von irgendeiner Verknüpfung oder gar voneinem Zusammen dieser Wahrnehmungen im Bewußtsein, liegtnatürlich daran, d hier eine einheitliche intentionale Be-ziehung gegeben ist und ihr entsprechend ein einheitlicher Gegen-stand, der sich nur in dieser Aktverknüpfung konstituieren kann )

ganz so wie sich nur in dem beziehenden Verbinden vonVorstellungen ein Sachverhalt konstituieren kann. Man erkennthier zugleich den wesentlichen Irrtum der hervorragenden neuerenLogikern dadurch unterlaufen ist d sie der konjunktiven Ver-bindung von Namen, bzw. von AUSS n ein bloßes Zusammen-bewu.ßtsein der nominalen und propositionalen Akte glaubten unter-

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Sinnliche und kategoriale Anschauungen. 161

legen zu dürfen, und somit das Und als objektive logische Formdahingaben.'

Auch davor muß man sich hüten, die schlichten Wahr-nehmungen von sinnlich-einheitlichen Mengen, ReihenSchwärmen u. dgl. mit den konjunktiven Wahrnehmungen zuverwechseln, in welchen sich allein das Vielheitsbewußtsein selbstund eigentlich konstituiert. Ich habe in meiner Philosophie derArithmetik nachzuweisen versucht, wie die sinnlichen Einheits-charaktere (die ich dort figurale oder quasi-qualitative Momenteder sinnlichen Anschauungen nannte) als sinnliche Mehrheits-zeichen dienen; das heißt als sinnliche Anhaltspunkte für das(durch sie signitiv vermittelte) Erkennen der Mehrheit als solcherund als Mehrheit der betreffenden Art; welches Erkennen nunder gliedernden Einzelauffassung und Einzelerkenntnis nicht mehr.bedarf, aber dafür auch nicht den Charakter eigentlicher Intuitionder Kollektion als solcher besitzt.2

§ 52. Allgemeine Gegenstände sich konstituierend in allgemeinenAnschauungen.

Die einfachen synthetischen Akte, mit denen wir uns bisherbeschäftigt haben, waren in schlichten Wahrnehmungen so fundiert,daß die synthetische Intention auf die Gegenstände derfundierenden Wahrnehmungen mitgerichtet war, indem.sie dieselben ideell zusammen.begriff („Inbegriff") oder zu be-ziehender Einheit brachte. Und dies ist ein allgemeiner

So lesen wir bei SIGWAIIT (Logik 12, 206): „Die sprachliche Verknüpfungder Sätze mit ,Undc . . . sagt zunächst nichts anderes als diese subjektive Tat-sache des Zusammenseins in Einem Bewußtsein aus, und es kommt ihr darumkeine objektive Bedeutung zu.".. Vgl. auch a. a. 0.5. 278.

2 Eben diese Frage: wie überhaupt Vielheit> und Anzahlschätzungen ineinem Blick, also in schlichten, statt in fundierten Aktei möglich sind, währenddoch wirkliche Kollektion und Zählung gegliederte Akte höherer Stufe veraus-setzt, hat mich von selbst auf die anschaulichen Einheitscharaktere aufmerk-sam gemacht, die v. Ehrenfels in seiner etwas früher erschienenen und vonganz anderen Gesichtspunkten geleiteten Arbeit scharfsinnig behandelt und Ge-staltqualitäten genannt hat. (über Gestaltqualitäten, Viert,e1j. f. wiss. Philos.1890). Vgl. Philosophie d. Aritlun. Kap. XI.

Husserl, Log. Unters. II. 11

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162 17/. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

Charakter der synthetischen Akte überhaupt. Wir betrachten nunBeispiele aus einer anderen Gruppe kategorialer Akte, beidenen die Gegenstände der fundierenden Akte in die Intention desfundierten nicht miteintreten und erst in beziehenden Aktenihr nahes Verhältnis zu demselben bekunden würden. Hierher ge-hört das Gebiet der allgemeinen Anschauung — ein Ausdruck,der manchem 'freilich nicht besser klingen wird als hölzernes Eisen.

Auf Grund primärer Anschauungen betätigt sich die Ab-straktion, und damit tritt ein neuer kategorialer Aktcharakter auf,in dem eine neue Art von Objektivität zur Erscheinung kommt,die wieder nur in solchen fundierten Akten als wirklich oderbildlich gegeben zur Erscheinung kommen kann. Natürlich meineich hier nicht die Abstraktion in dem bloßen Sinne der Hervor-hebung irgendeines unselbständigen Moments an einem sinnlichenObjekte, sondern die ideierende Abstraktion, in welcher statt desunselbständigen Moments seine „Idee", sein Allgemeines zumBewußtsein, zum aktuellen Gegeben sein kommt. Dieser Aktist vorausgesetzt, damit uns gegenüber der Mannigfaltigkeit voneinzelnen Momenten einer und derselben Art, diese Art selbst,und zwar als eine und dieselbe vor Augen stehen kann.Denn wir werden uns im wiederholten Vollzuge eines solchenAktes auf Grund mehrerer individueller Anschauungen der Iden-tität des Allgemeinen bewußt, und dies offenbar in einem über-greifenden, alle einzelnen Abstraktionsakte zur Synthesis bringen-den Akte der Identifizierung. Mittels solcher Abstraktionsakteerwachsen uns dann weiter, in ihrer Verwebung mit neuen Akt-formen, die Akte der allgemeinen Bestimmung, nämlich der Be-stimmung von Gegenständen überhaupt als gewissen Arten Aunterstehend, ebenso die Akte, in welchen unbestimmte Einzel-objekte einer Art A vorstellig werden usw.

Im Abstraktionsakte, der sich nicht etwa notwendig mittelseiner Nennung vollziehen muß, ist uns das Allgemeine selbstgegeben; wir denken es nicht in bloß signifikativer Weise, wieim Falle des bloßen Verständnisses allgemeiner Namen, sondernwir erfassen es, wir erschauen es. Gewiß ist hier also die Rede

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Sinnliche und kategoriale Anschauungen. 163 w•,....S _ -.................-.........,_,

von der Anschauung und, näher, von der Wahrnehmungdes Allgemeinen eine wohlberechtigte.

Doch von einer anderen Seite erheben sich Bedenken. DieRede von einer Wahrnehmung setzt die Möglichkeit einer ent-sprechenden Imagination voraus, und die Scheidung zwischen beidengehört, sagten wir', mit zum natürlichen Sinn der allgemeinenRede von Anschauung. Eben diese Unterscheidung vermissenwir hier. Dies scheint daran zu liegen, daß sich die abstrahieren-den Akte nicht nach dem Charakter der fundierenden schlichten.Anschauungen differenziieren., daß sie völlig unempfindlich da-gegen sind, ob diese fundierenden Akte setzende oder nichtsetzende,ob sie perzeptive oder imaginative Akte sind. Das Rot, das Drei-eck der bloßen Phantasie ist spezifisch dasselbe wie das Rot, dasDreieck in der Wahrnehmung. Das Allgemeinheitsbewußtseinerbaut sich auf Grund der Wahrnehmung und der konformen Ein-bildung gleich gut, und erbaut es sich überhaupt, so ist das All-gemeine, die Idee Rot, die Idee Dreieck, selbst erfaßt, es istangeschaut in der einen und einzigen Weise, die keine Unter-schiede zwischen Bild und Original zuläßt.

Indessen ist zu beachten, daß die herangezogenen Beispielegerade von der Art adäquater Wahrnehmung des Allgemeinen.waren. Das Allgemeine war hier auf Grund wirklich entsprechen-der Einzelfälle auch wirklich erfaßt und gegeben. Wo sich dieSache so verhält, da scheint in der Tat eine parallele Imaginationmit demselben intuitiven Gehalt zu fehlen — wie in jedem Falleadäquater Wahrnehmung. Wie sollte, auch auf individuellemGebiet, ein Inhalt sich selbst analogisieren, da er, genommen alser selbst, doch nicht zugleich als Analogon von sich selbst ge-meint sein kann. Und wie sollte der Charakter der Setzungfehlen, wo der gemeinte Inhalt eben der erlebte und gegebeneist Anders verhält es sich, wo wir z. B. durch mathematischeAnalysis die Idee einer gewissen Gattung von Kurven dritterOrdnung indirekt konzipiert haben, ohne daß uns eine Kurvedieser Gattung je anschaulich war. Dabei mag uns gleichwohl

1 Vgl. oben § 45, S. 144.1 1*

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164 VI. Elemente einer phänornenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

eine anschauliche Figur, etwa einer uns bekannten Besonderungvon Kurven dritter Ordnung, gleichgültig ob eine gezeichnete oderbloß imaginierte, als intuitives Bild, als Analogon der intendiertenAllgemeinheit dienen: d.h. das Allgemeinheitsbewußtsein baut sich,als intuitives, aber als analogisierendes auf der individuellen An-

. schauung auf. Und wirkt nicht schon die gewöhnliche rohe Zeich-nung im Vergleich zur idealen Figur analogisierend, den imagi-nativen Charakter der allgemeinen Vorstellung mitbe-dingend? Ebenso schauen wir auf Grund eines Modells einerDampfmaschine die Idee der Dampfmaschine an, wobei natürlichvon einer adäquaten Abstraktion, bzw. Konzeption keine Rede seinkann. In solchen Fällen haben wir es mit keinen bloßen Signi-fikationen zu tun, sondern mit allgemeinen Repräsentationen durchAnalogie, also mit allgemeinen Im: :inationen. Fehlt aber, wasz. B. bei der Anschauung eines Modells vorkommen mag, dasBewußtsein bloßer Analogie, dann liegt eben ein Fall von Wahr-nehmung des Allgemeinen, wenn auch von inadäquaterWahrnehmung, vor.

Ebenso finden wir jetzt die vorhin vermißten Unterschiedezwischen setzendem und dahinstehen dem Allgemeinheits-bewußtsein. Wo wir einen allgemeinen Gegenstand bloß ana-logisch, imaginativ konzipieren, können wir ihn in setzender Weisemeinen, und dieser Akt kann sich, wie jede setzende Meinung inkünftiger angemessener Wahrnehmung bestätigen oder widerlegen.Das erstere, wenn sich die allgemeine Meinung in einer adäquatenWahrnehmung, d. i. in einem neuen Allgemeinheitsbewußtsein er-füllt, welches sich auf Grund einer „wirklichen" Abstraktion desentsprechenden Einzelfalls konstituiert. Der allgemeine Gegenstandist dann nicht bloß vorgestellt und gesetzt, sondern er ist selbstgegeben. Wieder können wir das Allgemeine in analogischer Weisevorstellen, aber ohne es zu setzen. Wir konzipieren es, lassenes aber dahingestellt. Die auf intuitivem Grunde erbaute Intentionauf das Allgemeine entscheidet jetzt nicht über „Sein". oder »Nicht-sein", wohl aber darüber, ob das Allgemeine und sein Gegebenseinin der Weise adäquater Abstraktion möglich ist oder nicht.

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Studie über kategoriale Repräsentation. 165

Siebentes Kapitel.

Studie über kategoriale Repräsentation.

§ 53. Rückbeziehung auf die Forschungen des ersten Abschnitts.

Die fundierten Akte, die wir in ausgewählten Beispielen ana-lysiert haben, galten uns als Anschauungen, und zwar als An-schauungen der neuartigen Gegenstände, die sie zur Erscheinungbringen, und die auch nur in fundierten Akten der ihnen jeweilsentsprechenden Art und Form gegeben sein können. Der auf-klärende Wert dieser Erweiterung des Begriffes Anschauung kannoffenbar nur darin bestehen, daß es sich bei ihr nicht um eineaußerwesentliche, bloß disjunktive Begriffserweiterung handelt,als welche die Sphäre eines vorgegebenen Begriffs über die Sphärenbeliebiger heterogener Begriffe auszuweiten gestattet', sondern.um eine echte, auf der Gemeinschaft wesentlicher Merkmale be.ruhende Verallgemeinerung. Wir nennen die neuen Akte An-schauungen, weil sie, unter bloßer Dahingabe der "schlichten"Beziehung auf den Gegenstand (also jener bestimmten Art von„Unmittelbarkeit", welche wir als Schlichtheit definierten), allewesentlichen Eigentümlichkeiten der Anschauungen haben; wirfinden bei ihnen dieselben wesentlichen Scheidungen, wie sie sich.auch als zu wesentlich denselben Erfüllungsleistungen be-fähigt erweisen. Dies Letzterwähnte ist für uns besonders wichtig,um dieser Leistungen willen haben wir die ganze Untersuchung

5 Stellt a die konstitutiven Merkmale eines Begriffs vor und ß diejenigeneines beliebigen anderen Begriffs, so kann man jederzeit die Form bilden:

Etwas das a oder p ist. Diese äußerliche Art der Begriffserweiterung, - die ichdie disjunktive nenne, kann unter Umständen immerhin recht nützlich werden;sie spielt z. B. für die Ausgestaltung der kunstvollen mathematischen Technikeine sehr wichtige und von den Logikern bisher nicht genügend gewürdigteRolle. Freilich liegt die Logik der Mathematik noch in den Anfängen und nurwenige Logiker scheinen es überhaupt bemerkt zu haben, daß hier ein Feld.großer, für das Verständnis der Mathematik und somit auch der mathemati-schen Naturwissenschaft fundamentaler und bei aller Schwierigkeit doch streng

lösbarer Probleme ist.

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166 Vl. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

geführt. Die Erkenntnis als Erfüllungseinheit vollzieht sich nichtauf dem bloßen Grunde schlichte; sondern in der Regel auf deinGrunde kategorialer Akte und dementsprechend kann, wenn wirdem Denken (als Bedeuten) das Anschauen gegenübersetzen,unter dem Anschauen nicht das bloße sinnliche Anschauen ver-standen werden.

Erst durch die Auffassung kategorialer Akte als Anschau-ungen wird das bisher von keiner Erkenntniskritik zu erträglicherKlarheit gebrachte Verhältnis zwischen Denken und Anschauenwirklich durchsichtig, und somit die Erkenntnis selbst in ihremWesen und ihrer Leistung verständlich. Die vorläufigen Fest-stellungen des ersten Abschnitts erhalten in Folge dieser Begriffs-erweiterung erst ihre angemessene Bestätigung. Allen Anschau-ungen nach dein jetzigen weitesten Sinne, wie nah oder fern sieder Sinnlichkeit stehen mögen, entsprechen, als ihre möglichenidealen Gegenbilder, ausprägende Bedeutungen. Die Unterschei-dungen, die wir innerhalb des erkenntnismäßigen Wesens gemacht,und die damit zusammenhängenden Begriffe, die wir gebildethaben, behalten, obschon im Hinblick auf eine engere Sphäreabgegrenzt, auch in der weiteren ihre Geltung.

Also jeder kategoriale Akt der Anschauung hat1. seine Qualität,2. seine (intentionale) Materie d. i. seinen .Auffassungssinn,3. seine Repräsentanten.Diese Unterscheidung reduziert sich nicht etwa auf die zu den

fundierenden Akten gehörigen Unterscheidungen. Die Qualitätdes Gesamtaktes kann eine andere sein als die eines Grundakteswie denn die Grundakte, wenn ihrer mehrere sind, verschiedenqualifiziert sein können: z. B. hei der Vorstellung einer Relationzwischen einem fiktiven und einem für wirklich gehaltenen Objekt.

Ferner hat nicht nur jeder unter den fundierenden Akten eineMaterie, sondern der fundierte bringt eine eigene Materie, wobeider Satz gilt, daß diese neue Materie, oder wofern sie dieliaterien der Grundakte einschließt, das neu Hinzukomm endein ihr, in den Materien der Grundakte fundiert ist.

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Studie über kategoriale Repräsentation. 167

Endlich hat der neue Akt auch seine Repräsentanten. Dochin Beziehung auf diese finden wir — sowie es an die Frage geht,ob zu der neuen Materie auch neue Repräsentanten an-genommen werden müssen, und welches diese sind —ernste Schwierigkeiten.

§ 54. Die Frage nach den Repräsentanten der kategorialen Formen.

Wenn man an die Analyse der kategorialen Akte herantritt,so drängt sich zunächst als scheinbar unwidersprechlich die Be-raerkung auf, daß sich, von Qualitäten abgesehen, alle Unter-schiede der kategorialen Akte auf die entsprechenden Unter-schiede der sie fundierenden Akte reduzieren, d. h. daß das Neue,das die kategoriale Funktion hereinbringt, ein Zuschuß an Inhaltist, der keine Differenziierung zuläßt. Wodurch sollte sich auchdie Phantasievorstellung einer Kollektion von der Wahrnehmungderselben Kollektion sonst noch unterscheiden, als durch die inten-tionale Weise, in der ihre Glieder gegeben sind? In der Ver-knüpfungsform ist, wird man sagen, beiderseits kein verständ-licher Unterschied mehr zu machen. Oder sollte sich die Kollektions-form (welche das Wörtchen und ausprägt) in der Erscheinungsartals Wahrnehmung oder Einbildwag differenziieren? Dann müßtenwir es aber für möglich halten, daß Phantasieerscheinungen durch.die Kollektionsform. der Wahrnehmung, Wahrnehmungserschei-nungen durch die Kollektionsform der Phantasie geeinigt wären.,und zwar in unterschiedener Weise. Das -ist offenbar unausdenk-bar, ja unverständlich.

Man könnte freilich einwenden, nichts sei leichter als. das.Wer hindert uns einige Wahrnehmungsobjekte kollektiv zusammenzu denken, damit aber einen anderen Inbegriff imaginativ zu.meinen; und abermals einige Phantasieerscheinungen zusammenzu denken, aber nur diesen Inbegriff von Phantasieerscheinungenzu meinen, also ihn wahrzunehmen. — Gewiß hindert uns in.dieser Hinsicht nichts. Aber dann sind jene Wahrneh.mungs-objekte Bilder, d. h. der Kollektivakt ist dann direkt nicht in denWahrnehmungen vielmehr in den auf sie gebauten Imaginationen

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168 V.T. Elemente einer phiinamenolog. nw der Erkenntnis.

fundiert Und ebenso sind im anderen Falle nicht die Gegen-stände der Phantasievorstellungen, sondern diese Vorstellungenselbst kolligiert, d. h. der Kollektionsakt ist direkt nicht in denPhantasievorstellungen, sondern in den auf sie bezogenen innerenWahrnehmungen fundiert. Zwischen dem „wirklichen" Kolligierenauf Grund von wahrgenommenen, und dem „eingebildeten" Kolli-gieren auf Grund von phantasierten Objekten beweist dies keinenUnterschied, und ein solcher besteht überhaupt nicht, es sei dennals Unterschied der fundierenden Akte.

Dasselbe scheint für alle sonstigen Modifikationen zu gelten,die das Kollektionsbewußtsein aufweisen kann. Die Allgerneinheitoder Besonderheit, die Bestimmtheit oder Unbestimmtheit, undwas sonst an kategorialen Formen bei den fundierenden Gegen-ständen in Betracht kommen mag, bestimmt auch den Charakterder Kollektivvorstellung, aber so, daß im Verknüpfungsch terkein phänomenologischer Unterschied zu finden ist; es ist immerdasselbe und. Je nach der Art der fundierenden Vorstellungenerscheint uns darnach eine Kollektion von allgemeinen Ge n-ständen (z. B. Farbenspezies: rot und blau und gelb) oder vonindividuellen Gegenständen (Aristoteles und Platon), von be-stimmten Gegenständen (wie in den bisherigen Beispielen) odervon unbestimmten (ein Mensch und ein anderer Mensch; eineFarbe und -i›.7n, Ton). Es ist nicht abzusehen, wie Differenzender Kollektions:,:te noch anders als durch solche der fundieren-den Akte m' eglich sein sollen.

Eben dasselbe scheint dann auch bei den beziehenden An-schauungen ohne weiteres klar. Das Beziehen zeigt immerfortdieselbe Form, alle Änderungen hängen an den unterlie ndenAkten.

Können wir aber bei dieser Sachlage noch konstatierbareUnterschiede zwischen Repräsentanten und Auffassungssinnhinsichtlicli des im fundierten Akte neu Hinzukommenden.also bei den synthetischen Akten hinsichtlich ihrer V erk n. üp f n gsform erwarten? Bei den schlichten Anschauungen waren zwarAuffassungssin.n (Materie) und Repräsentant innig vereint sie

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Studie über kategoriale Repräsentation,. 169

waren aufeinander bezogen und in ihren Variationen auch nichtganz unabhängig; aber dabei konnten sie doch gegeneinanderreichliche Verschiebungen erfahren. Bei wechselndem Auffassungs-sinn konnte der sinnliche Repräsentant derselbe bleiben, aber beikonstantem Auffassungssinn auch variieren; so kann z. B. einePhantasievorstellung nicht bloß der Materie, sondem sogar dem.Umfang der Fülle nach mit sich identisch bleiben und. doch hin-sichtlich der Lebendigkeit auffällig wechseln. In der Sphäre derSinnlichkeit ist also der 'Unterschied zwischen Materie und Re-präsentant leicht aufweisbar und als unzweifelhaft in Anspruchzu nehmen. Wie jedoch bei den kategorialen Akten, wo, vonden fundierenden Akten abzusehen, Variabilität überhaupt zufehlen scheint? Sollen wir sagen, sie entbehrten hinsichtlich derForm des fraglichen Unterschiedes ganz, sie hätten keinerlei Re-präsentanten, welche über die Repräsentanten der fundierendenAkte hinaus reichten? Und wo die fundierenden Akte selbstschon kategoriale, z. B. Akte der Ideation sind, so fehlte auchdiesen die Repräsentation, sie läge nur in den letztfundierendenschlichten Anschauungen.

§ 55. Argumente für die Annahme eigener kategorialerRepräsentanten.

Behufs einer Stellungnahme zu dieser Frage ist vor allemzu beachten, daß die völlige Unterschiedslosigkeit der Formengegenüber den vielgestaltigen ienderungen. des Gesamtaktes undseiner Fundamente 'in der obigen Darstellung vielleicht übertrieben und gar mißvdrstanden war. Denn wenn der Gesamtakteine Wahrnehmungsvorstellung ist, so ist seine Form als Formeiner Wahrnehmungsvorstellung jedenfalls in anderer Weise charak-terisiert als diejenige eil'la Phantasievorstellung. Ist die Form daseigentlich Neue und Wesentliche in der kategorialen Vorstellung,so muß sie von jedem wesentlichen. Charakter, der das Ganzedurchdringt und. ihm als Ganzem eignet, mitergriffen sein. Wennuns die Reflexion die Unterschiede des Auffassungssinnes in derForm nicht zeigt oder mindestens nicht in der Form der synthe-

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170 TU Elemente einer phänomenolog, Aufklärung der Erkenntnis.

tischen Akte [bei den ab tr t die Sache eigentlich schondurch die Überlegungen des § 52 erledigt], so erklärt sich dieswohl dadurch, daß wir von diesen Auffassungscharakteren, da siedas Moment der Synthese nicht auszeichnen und abgrenzen, son-dern den vollständigen fundierten Akt gleichmäßig durchdringen,unwillkürlich abstrahieren, um dafür ausschließlich auf das Ge-meinsame zu achten, das sich in allen Gestaltungen, z. B. derkollektiven Synthesis, entgegendrängt. Und eben dieses Gemein-same könnte der gesuchte Repräsentant sein. Wie in der schlichtensinnlichen Wahrnehmung der Wahrnehmungssinn ein homogenEinheitliches ist, das die gesamte Repräsentation durchdringt,wie es zwar bestimmte Beziehung bat zu jedem abgrenzbarenTeil des repräsentierenden Inhalts und doch in der inneren Re-flexion nicht als Kompositum abgegrenzter Teilauffassungen er-scheint: so durchdringt hier, bei den kategorialen Anschauungen,der Auffassungssinn den Gesamtakt und seine gesamte Repräsen-tation, ohne sich nach den in der Reflexion unterscheidbarenRepräsentanten deutlich abzugrenzen. In der obigen Darstellungaber läge, wenn wir diese Interpretation zulassen, die wichtigeWahrheit, daß bei allem Wechsel fundierender Akte undAuffassungsformen der repräsentierende Inhalt für jedeArt fundierter Akte ein einziger ist. Der schlichten, sinn-lichen Anschauung steht die überreiche Mannigfaltigkeit der Sinnes-qualitäten, der empfindbaren Formen usw. zu Zwecken der Re-präsentation zur Verfügung. In der Sphäre der kollektiven An-schauungen, oder der Identitätsanschauungen usw. wären wir jeauf eine Art beschränkt: die Und-Form ist überall dieselbe,ebenso die Ist-Form usw. Diese Formen wären hier aber ver-standen als die Analoga des sinnlichen Kerns, des Empfind-baren in der sinnlichen Anschauung, von der Qualität und demAuffassungssinn wäre abstrahiert.

Man könnte den Verdacht hegen, daß der Wunsch hier Vaterdes Gedankens sei, und uns aufmerksam machen, wie doch ausunseren früheren Betrachtungen hervorgehe, daß die Repräsen-tanten keine durchaus wesentlichen Bestandstücke der Akte aus-

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Studie über kategoriaie Repräsentation. 171

machen. Es ist ja das Eigentümliche aller signitiven Akte, daßsie der Repräsentanten entbehren — wohlgemerkt der eigentlichen.Repräsentanten, als welche zum inhaltlichen Bestande des Gegen-standes selbst Beziehung haben. Denn uneigentliche Repräsen-tanten, die nicht den im Akte gemeinten Gegenstand, sondernirgendeinen anderen, den Gegenstand eines fundierenden Aktes-vergegenwärtigen, haben auch die signitiven Akte. Genüge aberuneigentliche Repräsentanten, so sind wir nicht mehr in Verlegen-heit; denn an solchen fehlt es selbstverständlich in unserem Fallenicht, die fundierenden Akte bieten sie uns jederzeit; ihre eigent-lichen Repräsentanten könnten in Ansehung des fundierten Aktesals uneigentliche aufgefaßt werden,

Indessen, eben der Vergleich mit den bloß signitiven Aktenbringt uns zu lebendigem Bewußtsein, daß bei den fundiertenAkten ohne eigentliche Repräsentation, und zwar hinsichtlich derkategorialen Form, kein Auskommen ist; er erinnert uns an dieVerhältnisse möglicher Erfüllung, an die „Fülle", welche die in-tuitiven Akte den signitiven bieten, an die Steigerungsreihen,welche innerhalb der intuitiven Akte durch die wechselnde Füllebedingt werden, mit der letzten Adäquation als der idealen Grenze.Die Repräsentanten sind es, welche den Unterschied zwischen„leerer" Signifikation und „voller" Intuition ausmachen, ihnenwird die "bille« verdankt, weshalb sie geradezu den einen Wort-sinn von Fülle bestimmten. 1 Nur die intuitiven Akte bringen denGegenstand zur „Erscheinung", zur „Anschauung", nämlich da-durch d ein Repräsentant da ist, den die Auffassungsform alsAnalogon oder als das Selbst des Gegenstandes auffaßt. Das isteine Sachlage, die im allgemeinen Wesen des Erfüllungsverhält-nisses gründet, sie muß also auch in der jetzigen Sphäre nach-weisbar sein. Auch in ihr finden wir ja den Gegensatz zwischen

signitiv und intuitiv: den Gegensatz zwischen objektivierendenAkten, welche eine kategoriale Gegenständlichkeit signitiv meinen ,

und parallelen Akten, welche dieselbe Gegenständlichkeit in dem-

1 Vgl. § 22, S. 78.

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172 V./. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

selben Auffassungssinn intuitiv vergegenwärtigen, sei es nun „imBilde" oder „selbst". Da die intentionale Materie beiderseitsdieselbe ist, so können wir das Neue auf seiten der kategorialenAnschauung wieder nur so fassen, daß sie eben Repräsentationist, daß sie das Gegenständliche inhaltlich vor uns hinstellt,daß sie erlebte Inhalte als Repräsentanten des gemeinten Gegen-standes auffaßt Die Repräsentation kann aber nicht in den fun-dierenden Akten allein vollzogen sein, nicht bloß deren Objektesind -vergegenwärtigt, sondern der ganze Sachverhalt, der ganzeInbegriff usw.

§ 56. Fortsetzung. Das psychische Band der verknüpften Akte unddie kategoriale Einheit der entsprechenden Objekte.

Man könnte für den Augenblick denken, es seien z. B. imFalle einer Beziehung nur die Beziehungspunkte vergegenwärtigt,und das Neue liege in einem bloßen psychischen Charakter, derdie beiden Erscheinungen verknüpfe. Aber eine Verknüpfungder Akte ist ja nicht ohne weiteres eine Verknüpfung der Ob-jekte; bestenfalls kann sie solch einer Verknüpfung zur Erscheinungverhelfen: sie selbst ist doch nicht die Verknüpfung, die in ihrerscheint. Das psychische Band zwischen den Akten kann her-gestellt sein und hierdurch die gegenständliche Beziehung er-scheinen, während diese Beziehung, selbst wenn sie wirklichexistierende Objekte in Eins setzt, gar nicht besteht Urteilenwir signifikativ und ohne anschauliche Vergegenwärtigung desbeurteilten Sachverhalts (wie etwa bei den gewöhnlichen arith-metischen Urteilen), so ist die beziehende Einheit des Aktes einegegliederte, sie hat ihre psychische Verbindungsform und diegenau analoge, wie im Falle entsprechender Intuition. Aber derSachverhalt " erscheint", prägnant zu reden, nicht, er ist bloßbedeutet Nehmen wir dagegen den Fall intuitiver Vergegen-wärtigung, wie wenn wir die Farbe zweier wahrgenommener oderdurch Gedächtnis wiedervergegenwärtigter Flächen identifizieren,oder etwa die Person, die in zwei imaginativen Vorstellungendargestellt ist: so ist die Identität abermals gemeint, aber gemeint

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Studie über kategoriale Repräsentation. 173

in der Weise der Wahrnehmung, die den Gegenstand gibt, bzw.in der der Bildlichkeit, die ihn verbildlicht Was macht solcheUnterschiede möglich? Sollen wir sagen, der ganze Unterschiedliege in den fundierenden Akten? Aber dagegen erhöbe sich unserBedenken, daß z. B. in der signitiven Identifizierung nicht etwadie Identität der bedeuteten Gegenstände erlebt, * sondern dieseIdentität bloß vermeint ist; ferner daß im Falle der intuition.der Gegenstände die Identität zwar wahrgenommene oder imagi-nierte Identität, aber nur im Falle der Adäquation im vollen undstrengen Sinne gegebene und erlebte Identität ist Das psychi-sche Band, das die Synthesis herstellt, ist also Meinung,und ist als solche mehr oder ininder erfüllt. Sie *ist zwarein bloßes und unselbständiges Bestandstück der Gesam- tmeinung,ein signifikatives einer signifikativen, ein intuitives einer intuitivenMeinung; bei alldem aber ein Bestandstück, das selbst den Charäkterder einung teilt und damit auch die Unterschiede der Fülle.Demgemäß deuten wir, wohl nicht unberechtigt, die Sachlage so,daß auch dieses Bestan.dstück die Funktion einer Re-präsentation übt: das psychische Band, das im aktuellenIdentifizieren oder Kolligieren 'u. dgl. erlebt ist (im naktuellen", d.i.im eigentlichen, intuitiven); glauben wir in der vergleichenden Be-trachtung verschiedener Fälle und in der Weise der oben er-wogenen Möglichkeit auf ein überall Gemeinsames reduzierenzu können, das von Qualität und Auffassungssinn abgesondert zudenken ist und in dieser Reduktion denjenigen Repräsentantenergibt der speziell zum Moment der kategorialen Form gehört.

§ 57. Die Repräsentanten der fundierenden Anschauungen nicht unmittel-bar verknüpft durch die Repräsentanten der synthetischen Form.

Naturgemäß fügen sich hier einige ,nicht ganz unwichtigeBemerkun n an.

Objektiv betrachtet, gehört die Synthesis, z. B. die Synthesisder Identität, der attributiven Beziehung usw. zu den fundierendenObje,kten, die Identität ist etwa Identität der Person, die attri-butive Beziehung etwa Beziehung zwischen dem Subjekt Baum

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174 VI Elemente einer phänomenoLog. Aufklärung der Erkenntnis.

und dem Prädikat früchtetragend, Die verknüpften Objekte er-scheinen uns nun mittels ihrer Repräsentanten, und so möchte mandenken, daß das synthetische Band, in dem uns (oder mittelsdessen uns, gleichfalls in der Weise eines Repräsentanten) dieVerknüpfu.ng als Form erscheint, jene Repräsentanten der fundieren-den Objekte phänomenologisch einfach und direkt aneinander'pinde.

Dem gegenüber stellen wir aber fest, daß das Moment derSynthesis keinerlei direkte Verbindung der zu den Grund-akten gehörigen Repräsentanten herstellt, sondern daßz. B. die phänomenologische Form der Identifizierung wesentlichin den fundierenden Akten als solchen gründet, also indem gründet, was diese über ihre repräsentierenden Inhaltehinaus sind und enthalten.

Wäre das erlebte Identitätsmoment, der psychische Charakter ,

ein unmittelbares Band der repräsentierenden sinnlichen Inhalte(wir können uns ja auf den einfachsten Fall beschränken, wo diefundierenden Akte, bzw. Objekte, sinnliche sind), so wäre auchdie durch dieses Moment hergestellte Einheit eine sinnlicheEinheit, so gut wie z. B. die räumlichen oder qualitativen Konfi-gurationen oder die sonstigen Einheitsarten, welche die betreffen-den sinnlichen Inhalte anderweitig noch begründen. Alle sinn-liche (reale) Einheit ist aber in den Inhaltsgattungen des Sinn-lichen fundierte Einheit, wie schon in der III. Untersuchung aus-geführt wurde. Die konkreten Inhalte sind freilich vielseitig, sietragen verschiedene abstrakte Momente in sich, sie begründenvielfache Möglichkeiten der Veränderung und Verknüpfung. Dem-gemäß führen wir manche Verknüpfungsarten auf diese, mancheauf jene Momente zurück. Aber wenn die jeweiligen Einigungenauch nicht immer in den Gattungen der komplexen Ganzen, nachihrem vollen spezifischen Gehalt fundiert sind, so doch jedenfallsin den primitiven Gattungen, die den Momenten der jeweiligen.Ganzen entsprechen. Dagegen erweist sich die sachliche Be-ziehungslosigkeit der kategorialen Aktformen zu den sinnlichenInhalten ihrer Grundlagen darin, daß die Gattungen dieser Inhalteschrankenlos variabel sind, mit anderen Worten daß a priori

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aride Repräsentation. 175

keine Inhaltsgattung möglich ist, welche nicht im Fundamentkategorialer Akte jeder Art fungieren könnte. Das Kategorialegehört eben nicht zu den repräsentierenden sinnlichen Inhalten,sondern, und zwar notwendig, zu den Gegenständen und dabeidoch nicht zu ihnen nach ihrem sinnlichen (realen) Gehalt. Darinaber liegt: der psychische Charakter, in dem sich diekategoriale Form konstituiert, gehört phänomenologischzu den Akten, indenensich die Gegenstände konstituieren.In diesen Akten sind die sinnlichen Inhalte als Repräsentantengegenwärtig, und insofern gehören allerdings auch sie mit zudiesen Akten. Aber sie bilden nicht das charakteristische Wesender Akte, sie können auch ohne die Auffassung sein, die sieallererst zu Repräsentanten macht; sie sind dann, aber mit ihnenerscheint nichts, und folglich ist auch nichts da, was verknüpft,was als Subjekt oder Prädikat usw. in kategorialer Weise gefaßtwerden könnte. Nicht diese außerwesentlichen Elementeder fundierenden Akte verknüpft das kategoriale Momentdes synthetisch fundierten Aktes, sondern ihr beiderseitigWesentliches; es verknüpft unter allen Umständen ihre baten-ti onalen Materien, und ist in ihnen im wahren Sinne fundiert.So haben wir es ja oben schon allgemein ausgesprochen; in allenkategorialen Akten, sagten wir, sei die Materie der fundierten Akten den Materiell der fundierenden Akte fundiert. Die Identität

z.B. ist unmittelbar keine Einheitsform sinnlicher Inhalte, sonderneine „Einheit des Bewußtseins", die in dem einen oder anderen( wiederholten" oder inhaltlich verschiedenen) Bewußtsein vomselben Gegenstande gründet Und so überall. Es ist nun freilichrichtig, daß jederlei Arten von Anschauungen, ob es nun schlichteoder kategoriale sind, der Art nach die gleichen kategorialenFormungen erfahren können; aber damit ist nur gesagt, daß diekategoriale Formung phänomenologisch in dem Allgemeinen desobjektivierenden Aktes fundiert, oder daß es eine Funktion ist, diewesentlich an das Gattungsmäßige der objektivierenden Akte ge-bunden ist Nur Erlebnisse dieser Gattung lassen kategoriale Syn-fliesen zu und die Synthese verknüpft direkt die intentionalen Wesen.

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176 V/. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

Zumal im Falle adäquater synthetischer Anschauungen weIchein individuellen Anschauungen unmittelbar fundiert sind, mußman sich den täuschenden Schein fernhalten, als ob mindestensauf dieser untersten Stufe kategorialer Synthesis eine unmittelbarephänomenologische Verbindung von den sinnlichen Repräsentantendes einen fundierenden Aktes zu denjenigen der anderen fortlaufe.Vermöge der funktionellen Abhängigkeit der Adäquation (Evidenz)des Gesamtaktes von der Adäquation der fundierenden Anschau-ungen scheint sich die Sachlage hier ja folgendermaßen zu ge-stalten: da die fundierenden Akte adäquat sind, so fällt der repräsen-tierende Inhalt mit dem repräsentierten Gegenstand zusammen.Findet nun auf solch'. Grundlage die Anschauung einer Beziehungstatt, z. B. einer Beziehung zwischen Teil und Ganzem, so hatauch der beziehende Akt den Charakter der Evidenz; die Be-ziehung ist mit den wahrhaft gegebenen Inhalten selbst wahrhaftgegeben. Also verbindet hier das psychische Band des Beziehen;an den sinnlichen Inhalten und Objekten als Beziehung aufgefaßt,in der Weise eines direkten Bandes diese erlebten sinnlichen Inhalte.

Mit nichten, würden wir einwenden. Nicht die sinnlichenInhalte, sondern die adäquaten Anschauungen dieser Inhalte sindes, welche hier die Einheit des Beziehungsaktes fundieren. Wieüberall, so müssen wir hier auf die Gegenstände, jene zugleichrepräsentierenden und repräsentierten sinnlichen Inhalte, hin-blicken, um den beziehenden Akt vollziehen, um diesen Inhaltals Ganzes zu jenem Inhalt als Teil in Verhältnis setzen zu können.Verhältnisse können nur gegeben sein auf Grund gegebenerGegenstände ; gegeben sind uns Gegenstände aber nicht durchbloßes Erleben, das- in sich blind ist, sondern einzig und alleindurch Wahrnehmen, und hier im Beispielsfalle durch Wahrnehmender erlebten und nicht mehr über sich hinaus repräsentierendenInhalte.

Damit bewährt sich aber nur unsere ursprüngliche Einführungder kategorialen Akte als fundierter. Es ist diesen Akten, inwelchen sich alles Intellektuelle konstituiert, wesentlich, sich inStufen zu vollziehen- Objektivationen vollziehen sich auf Grund

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über kategoriak Repräsentation. 177

von Objektivationen und konstituieren Gegenstände, die als Gegen-stände im erweiterten, intellektuellen Sinne, als Gegenständehöherer Ordnung, nur in solchen fundierten Akten erscheinenkönnen. Dies aber schließt bei den synthetischen Akten Im-mittelbare Einheit der Repräsentation, wie sie alle Repräsentantender schlichten Anschauung einigt, aus. Die gesamte synthetischeAnschauung kommt dann (wenn die oben versuchte und sorg-samster Nachprüfung bedürftige Interpretation richtig ist) in derWeise zustande, daß der die fundierenden Akte verbindende psy-chische Inhalt aufgefaßt wird als objektive Einheit der fundiertenGegenstände als ihr Verhältnis der Identität des Teils zumGanzen usw.

§ 58. Das Verhältnis der ii Ghterseh''äußerer und innererSinn, sowie Sinn der Kategorie.

Von großer Wichtigkeit ist es, nun auch das Verhältnis jenerbeiden, gleich zu Anfang unserer jetzigen Überlegungen ebage-führten 1 Unterschiede zur letzten Klarheit zu bringen, nämlichder Unterschiede zwischen äußerer und innerer Sinnlichkeit aufder einen, und zwischen schlichten und kategorialen Akten aufder anderen Seite.

Die Vorstellung als psychisches Erlebnis gleichgültig, ob sieschlicht oder fundiert, also sinnlich oder kategorial ist, gehört indie Sphäre „des inneren Sinnes". Aber liegt hierin nicht einWiderspruch? Ist eine innere Wahrnehmung, die auf einen Aktund gar auf einen fundierten Akt „reflektierta, z. B. auf dasaktuelle Einsehen der Identität 2-F-1-1+2, nicht eo ipso fundiertealso nicht-sinnliche Wahrnehmung? Im Akte dieser Wahrnehmungist der fundierte Akt mitsamt den ihn fundierenden gegeben, undim strengsten Sinne gegeben. Er gehört mit zu dem reellen Bestandeder Wahrnehmung. Sofern sie sich auf ihn dabei richtet, ist sieauf ihn bezogen, sie ist also selbst fundierte Wahrnehmung.

Offenbar werden wir s en müssen: das Wahrnehmen eineswie immer beschaffenen Aktes oder Aktmomentes oder Aktkom-plexes heißt ein sinnliches Wahrnehmen, weil es ein. schlichtes

1 Oben § 43, S. 138 und § 46ff, 8. 144ff.Husserl, Log. unters. II. 12

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178 YL Elenzente einer pihänanzenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

Wahrnehmen ist. Und das ist es zweifellos weil die Beziehungdes wahrnehmenden Aktes auf einen wahrgenommenen keineFtmdierungsbeziehung ist und dazu selbst dann nicht wird, wenn.als wahrgenommener Akt ein fundierter angenommen wird. DasFundiertsein. eines Aktes besagt nicht, daß er, gleichgültig inwelchem Sinne, auf andere Akte gebaut ist, sondern d der fun-dierte Akt seiner Natur, d. i. seiner Gattung nach, nur als solchermöglich ist, der sich auf Akte von der Gattung der fundierendenaufbaut, und daß folglich das genständliche Korrelat des fun-dierten Aktes ein Allgemeines, eine Form hat, mit welcher einGegenstand überhaupt nur in einem fundierten Akte dieser Gattungintuitiv erscheinen kann. So kann das intuitive Allgemeinheits-bewußtsein nicht bestehen ohne unterliegende individuelle An-schauung, eine Identifikation nicht bestehen ohne unterliegendeAkte inbetreff der identifizierten Objekte usw.

Das Wahrnehmen aber, das auf einen fundierten Akt gerichtetist, kann genau ebenso auf einen nicht fundierten Akt und aufbeliebige Objekte äußerer Sinnlichkeit gerichtet sein, auf Pferde,Farben usw. In jedem Falle besteht dies Wahrnehmen in demschlichten Einblicken auf das Objekt. Die Materie des Wahr-.nehmens (sein Auffassungssinn steht in keinem Notwendigkeits-zusammenhang mit der Materie des wahrgenommenen Aktes; viel-mehr hat der gesamte phänomenologische Inhalt dieses Aktesden bloßen Charakter eines Repräsentanten, er wird gemi derAuffassungsform der Wahrnehmung gegenständlich deutetlieh als dieser Akt selbst.

Aus diesem Grunde ist auch jede Abstraktion, die sich aufinnerer Sinnlichkeit, etwa im Hinblick auf einen fundierten Aktaufbaut, eine sinnliche Abstraktion. Dagegen ist eine Abstraktiondie sich auf einem fundierten Akte selbst aufbaut, soferner selbst den Charakter einer Anschauung, obschon einer kate-gorialen, 1;esitzt, eine kategoriale Abstraktion. Blicken wirauf einen intuitiven Akt der Identifikation — d. i. einer An-schauung von Identität — hin, und abstrahieren wir hierbeidas Moment des Identifizierens, so haben wir eine sinn-

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Studie ah*

179

liehe Abstraktion vollzogen. Blicken wir aber in der Iden-tifikation lebend, auf die objektive Identität hin undmachen diese zur Grundlage einer Abstraktion, so haben wireine kategorial° Abstraktion vollzogen? Das objektive Moment„Identität" ist kein Akt und keine Aktform, es ist eine gegen-ständliche kategoriale Form. Andererseits ist, und im Gegensatzdazu, das Moment des Identifizierens, das die fundierten Aktephänomenologisch einigt, eine sinnliche und kategorialeAktform.Im Wesen derselbe Unterschied trennt auch sonst die Begriffedie auf Grund der Reflexion auf irgendwelche intuitiven Akteund die ganz anderen Begriffe, die auf Grund dieser intuitivenAkte selbst bildet werden. Ich nehme ein Haus wahr, undauf die ahrnehmung reflektierend, bilde ich den BegriffWahrnehmung. Blicke ich aber einfach 'auf das Haus hin, be-nütze ich also anstatt der Wahrnehmung von dieser Wahrneh-mung, vielmehr diese Wahrnehmung selbst zum fundierenden Aktder Abstraktion, so entsteht der Begriff Baus.

Danach hat es nichts Auffallendes, wenn wir sagen: Die-selben psychischen Momente, welche in innerer Wahr-nehmung sinnlich gegeben sind (in ihr somit als sinnlicheRepräsentanten fungierend), können in einem fundierten Aktevom Charakter der kategorialen Wahrnehmung, bzw.Imagination, eine kategoriale Form konstituiren, also"hierbei eine ganz andere, kategoriale Repräsentation tragen.

Die Unselbständigkeit der kategorialen Formen als Formenspiegelt sich in dem Gebiete innerer Sinnlichkeit darin, daß die

omente, in welchen sich eine kategoriale Form konstituieren kann(und diese u omente sind für jede Form so eng begrenzt, daßjeder Formspezies eine einzige Spezies solcher Momente entspricht),unselbständige psychische Inhalte darstellen, welche in Aktcharak-teren fundiert sind. Da aber alle Aktcharaktere letztlich in äußer-lich sinnlichen Inhalten fundiert sind 8, so bemerken wir, daß auf

1 V L die nähere Erörterung im § 60, S. 182.'Nach § 55, S. 170.

Neelieh nicht in besonderen Gattungen derselben, sondern in derGesamt gattung solcher Inhalte überhaupt (cf. folg. 8.).

12*

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180 V/ Elemente ein hänomenolog. Au

der Erkenntnis.

dem Gebiete der Sinnlichkeit eine wesentlich phänome-nologische Scheidung besteht. Zunächst bestimmen sich

1. die Rexionsinhalte, als diejenigen Inhalte, welche selbstAktcharaktere sind oder in Aktcharakteren fundiert sind,

2. die primären Inhalte, als diejenigen Inhalte, in welchenalle Reflexionsinhalte unmittelbar oder mittelbar fundiert sind.Dies wären die Inhalte der "äußeren" Sinnlichkeit, die hieraber durch keine Beziehung auf den Unterschied von Außen undInnen (als welcher ein metaphysischer ist) definiert erscheint,sondern durch die Natur ihrer Repräsentanten, als letztfundie-render phänomenologisch erlebter Inhalte. Die primären Inhaltebilden eine einzige, obschon in vielerlei Arten sich spaltendeoberste Gattung. Die Weise, in welcher die Reflexionsinhaltedurch primäre Inhalte Fundierung erfahren, ist offenbar die denk-bar loseste, nämlich eine solche, daß die Reflexionsinhalte niean eine engere Gattung der primären gebunden sind.

Es entspricht dann dem Unterschied zwischen rein sinnlichen.und rein kategorialen Objekten der Anschauung auch ein Unter-schied der repräsentierende Inhalte: als rein kategoriale Re-präsentanten können ausschließlich Reflexionsinhaltefungieren. —

Den Begriff der Kategorie könnte man nun auch versuchenso zu bestimmen, daß er alle gegenständlichen Formen insich begriffe, die aus den Auffassungsformen und nichtaus den Auffassungsstoffen herstammen. Allerdings er-wächst folgendes Bedenken. Hätte dann nicht auch die sinnlicheAnschauung den Charakter eines kategorialen Aktes, sofern siedie Form der Gegenständlichkeit konstituiert? In der 'Wahrnehmungist das Wahrgenommene nicht nur, sondern es ist in ihr alsGegenstand gegeben. Indessen konstituiert sich der Begriff Gegen-stand in Korrelation mit dem Begriff Wahrnehmung und setztalso nicht bloß einen Akt der Abstraktion, sondern auch Akteder Beziehung voraus. Insofern ist auch dieser Begriff einkategorialer in dem bisherigen Sinn.

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. Gesetze des ei

liehen und unei entliehen Denkens. 181"

Achtes Kapitel.

Die apriorischen Gesetze des eigentlichen und. uneigent.lichenDenkens.

§ 59. Komplikation zu immer Formen. Reine Formenlehremöglicher Anschauungen.

Die verschiedenen Formen fundierter Akte, in welchen sichstatt der schlichten, sinnlich-anschaulichen Gegenstände, vielmehrdie kategorial geformten und synthetisch verknüpften konstituieren,gestatten mannigfach° Komplikationen zu neuen Formen, sofernkategoriale Einheiten immer wieder (und zwar auf Grund gewisserkategorialer Gesetzmäßigkeiten apriorischer Art) zu Gegenständenneuer verknüpfender, beziehender oder ideierender Akte werden.können. So kann man z. B. allgemeine Gegenstände kollektiv ver-knüpfen, die so gebildeten Kollektionen wieder kollektiv mitanderen gleicher oder verschiedener Art verknüpfen, und so ininfinitum. Die Möglichkeit unbegrenzter Komplikation ist hierbeia priori und evident. Ebenso kann man Sachverhalte, obschonnur innerhalb gesetzlicher Schranken, zu neuen Sachverhalteneinigen, man kann überhaupt und ins Unbegrenzte zwischen allen.möglichen Einheiten die inneren oder äußeren Relationen auf-suchen, die Ergebnisse dieser Feststellung wieder als Objekteneuer Beziehungen benützen usw. Selbstverständlich vollziehtsich die Komplikation in fundierten Akten immer höherer Stufe.Die hier waltende Gesetzmäßigkeit ist das intuitive Gegenstück derrein logisch grammatischen Gesetzmäßigkeit. Auch hier handelt essich nicht um Gesetze, weiche das wahrhafte Sein der vorgestelltenGegenstände verschiedener Stufe judizieren wollen. Diese Gesetzesagen jedenfalls direkt nichts über idealeBedingungen der Möglich-keit adäquater Erfüllung. Der reinen Formenlehre der Bedeutungenentspricht hier eine reine Formenlehre der Anschauungen,in welcher die primitiven Typen von einfachen und komplexen.Anschauungen durch intuitive Generalisation als möglich auf-

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gezeigt, und die Gesetzmäßigkeiten ihrer sukzessiven Komplikationzu immer neuen und,. komplizierteren Anschauungen bestimmtwerden m ten. Sofern die adäquat» Anschauung selbst einen Typusvon Anschauungen a rstellt, umf Lt die reine Formenlehre derAnschauungen überhaupt auch all die Gese welche die Formen.adäquater Anschauungen betreffen: und diese haben dann be-sondere Beziehung zu den Gesetzen der adäquaten Erfüllungsignifikaüver oder bereits intuitiver Intentionen.

§ 60. Un d krie undSinnt' he

,

und en*

Mit der u üglichkeit, kategoriale Anschauun .n selbst wiederzu. Fundamenten neuer kategorialer Anschauungen zu machen und.dann auch in entsprechenden Ausdrücken, b w. Bedeutungen aus-zudrücken, - der relative, bloß funktionelle Unterschiedvon Stoff und Form zusammen. Wir haben ihn oben schonflüchtig angedeutet. Ira absoluten Sinne gibt eine fundierendeSinnlichkeit den Stoff für die darauf gebauten Akte kategorialerForm. Im relativen Sinn bilden die Objekte der fundieren-den Akte überhaupt den Stoff, nämlich relativ zu denihnen in den fundierten Akten n en erw hsend n kategorialenFormen. Setzen wir zwei, bereits kategor ale Objekte, z. B. zweiSachverhalte, in eine B *ehung so sind diese Sachverhalte derStoff, relativ zu der sie beide in Eins setzenden Bezieliungsform.Dieser Bestimmung der Begriffe Stoff und Form entspricht genaudie traditionelle Unterscheidung zwischen Materie und Formbei den Aussagen. Die Termini drücken eben die fundierendenAkte des ganzen „beziehenden Vorstellensa aus, oder w ; das-selbe, sie nennen die fundierenden Ge nstände, und darum.stellen sie auch den Ort dar, an welchem Beie • der Sinn-lichkeit allein gesucht werden können.' Die fundierenden Ge 0.-

1 Vgl. § 42, S. 136.2 Vgl. S. 135.

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t. e

Denkens. 183

stände können aber selbst schon kategorialer Art sein. Offen-bar vollzieht sich die Erfüllung dann in einer Kette vonAkten, die uns die Stufenfolge der Fundierungen hinab-führen; denn jedenfalls spielen hierbei indirekte Vorstellungeneine wesentliche Rolle deren genaue Erforschung eine für dieKlärung der komplizierten Formen des erkennenden Denkens sehrbedeutsame Aufgabe w

Die Akte schlichter Anschauung nannten wir sinnliche, diefundierten, unmittelbar oder mittelbar auf Sinnlichkeitzurüdführen-den Akte, kategoriale. Indessen ist es von Wichtigkeit innerhalbder Sphäre der kategorialen Akte zwischen rein kategorialenAkten, Akten des „reinen 'Verstandes" und gemischten,mit Sinnlichkeit „bemengten.a Verstandesakten zu unter-scheiden. Es liegt in der Natur der Sache, daß letztlich allesKategoriale auf sinnlicher Anschauung beruht, ja daß eine kate-goriale Anschauung, also eine Verstandeseinsicht, ein Denken imhöchsten Sinne, ohne fundierende Sinnlichkeit ein Widersinn ist.Die Idee eines "reinen Intellekts«, interpretiert als ein „Ver-mögen" reinen Denkens (hier: kategorialer Aktion) und völligabgelöst von jedem „ Vermögen der Sinnlichkeit", konnte nurkonzipiert werden vor einer Blementaranalyse der Erkenntnis nach.ihrem evident unaufhebbaren Best nde. Gleichwohl hat die an-gezeigte Unterscheidung, also der Begriff des rein kategorialenAktes, und wenn man will, der Begriff eines reinen Verstandes,einen guten Sinn. Betrachten wir nämlich die Eigentümlichkeitideierender Abstraktion, zwar notwendig auf individueller An-schauung zu beruhen, aber darum nicht das Individuelle dieserAnschauung zu meinen; beachten wir, daß sie vielmehr eineneue Auffassungsweise ist, welche statt Individualität vielmehrGeneralität konstituiert: so erwächst die Möglichkeit allgemeinerAnschauungen, welche nicht nur alles Individuelle,sondern alles Sinnliche aus ihrem intentionalen. Gehaltausschließen. u it anderen Worten, wir unterscheiden zwischensinnlicher Abstraktion die uns sinnliche Begriffe gibt —und zwar rein sinnliche oder mit kategorialen Formen vermischte —

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184 FL Elenente einer phänentenolog. Au nrZW,

und der rein kategorialen Abstraktion, welche uns reinkategoriale Begriffe gibt. Farbe, Haus, Urteil, Wunsch sindrein sinnliche Begriffe, Farbigkeit (Farbig-sein), Tugend, Paral-lelenaxiom u. dgl. sind k gorial vermischte, Einheit, MehrheitBeziehung, Begriff sind rein kategoriale. Wo wir schlechthinvon kategorialen Begriffen sprechen, sind immer r in kategorialegemeint. Die sinnlichen Begriffe finden ihre unmittelbare Grund-lage in Gegebenheiten sinnlicher Ansch uung, die kategorialenaber in solchen kategorialer Anschauung, und zwar mit reinerBeziehung auf die kategoriale Form des gesamten kategorial ge-formten Objekts. Liegt z. B. der Abstraktion eine Beziehungs-anschauung zugrunde, so richtet sich das Abstraktionsbewußtseinvielleicht auf die Beziehungsform inspecie, derart d alles Sinnlicheder Beziehungsfundaznente außer Spiel bleibt. So erwachsen dieKategorien, welcher Titel, im prägnanten Sinn verstanden aberbloß die primitiven hierhergehörigen Begriffe bef

Wir haben soeben, das lag im ganzen Sinne der vollzogenenErörterung, Begriff und 8pezies identifiziert. Versteht man je-docii. unter Begriffen die allgemeinen Vorstellungen anstattder allgemeinen Gegenstände, sei es die allgemeinen Anschau-ungen. oder die ihnen entsprechenden allgemeinen Bedeu-tungen, so überträgt sich die Unterscheidung ohne weiteres auchauf sie; desgleichen auf Vorstellungen der Form ein A, nämlichmit Rücksicht darauf, daß die Spezies A Sineches enthalten, oderhingegen ausschließen kann. Rein kategorial sind danach allelogischen Formen und Formeln, wie alle S sind I ). kein S istP, usw.; denn die Buchstaben S, P u. dgl. sind bloße indirekteAnzeigen für „gewisse", unbestimmte und „beliebige" Begriffe, alsoentspricht ihnen in der Gesamtbedeutung der Formel ein kom-plexer, aus lauter kategorialen Elementen gebauter Gedanke. Wiedie gesamte reine Logik, so ist die gesamte reine Arith-metik, die reine Mannigfaltigkeitslehre, kurz die reineMathesis im allerumfassendsten Sinne, rein in dem Sinne, daßsie in ihrem ganzen theoretischen Bestande keinen sinn-lichen Begriff enthält.

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. des eigeit t •

liehen Denkens. 185• ,..1••■•a„

§ 61. Die kate

Pl

Unigestaltung,nsandes.

Die Rede von der kategorialen Form verwenden wir, wiein der letzten Reihe von Betrachtungen sichtlich ist, in einem.natürlichen, und bei unserer konsequenten Unterscheidung zwi-schen Akt und Gegenstand unschädlichen Doppelsinn. Einer-seits verstehen wir darunter die fundierten Aktcharakterewelche den Akten schlichter, oder selbst schonfundierter Anschau-ung Form geben und sie in neue Obiektivationen umwandeln. Dieseletzteren konstituieren eine, im Vergleich mit den fundierendenAkten in eigentümlicher Weise modifizierte Gegenständlichkeit;die ursprünglichen Gegenstände stellen sich nun in gewissensie in neuer Weise fassenden und verknüpfenden Formen dar ,und dies sind die kategorialen Formen im zweiten, imgegenständlichen Sinn. Die konjunktive Verknüpfung A.

und .8, welche als einheitlicher Akt eine kategoriale Einheitvon Gegenslinden (den Inbegriff , das alle beide") meint, kannuns als Beispiel dienen.

Der Ausdruck A und B illustriert uns, und zwar in be-sonderem Hinblick auf die Bedeutung des „und", übrigens nocheinen weiteren Sinn der Rede von kategorialer Form, demzufolgeauch die signifikativen Formen, welche in den fundierten Akt-charakteren ihre mögliche Erfüllung finden, als kategoriale Formen,und vorsichtiger, als kategoriale Eormen im uneicrentlichenSinn bezeichnet werden.

Dies vorausgesetzt, wollen wir uns einen bereits ausgesproche-nen und im Hinblick auf unsere gesamte Darstellung eigentlich.selbstverständlichen Satz um seiner Wichtigkeit willen zu voll ent-falteter Klarheit bringen: nämlich daß die kategorialen Funktionen,indem sie den sinnliehen Gegenstand "formen', ihn in seinemrealen Wesen unberührt lassen. Der Gegenstand wird durch denIntellekt und speziell durch die Erkenntnis (die ja selbst eine kate-goriale Funktion ist) intelleküv gefaßt, aber nicht verfälscht. Dieszu verdeutlichen, erinnern wir uns an den schon im Vorbeigehenberührten Unterschied zwischen den im gegenständlichen Sinn

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186 ITL Elemente einer phänomenelog. Aufklärung der Erkenntn is,

verstandenen kategorialen Einheiten und den realen Einheiten, alsz. B. die Einheit der Teile eines Dinges, der Bäume einer Alleeu. dgl. Auch die Einheit der reellen Bestandstücke eines psychi-schen Erlebnisses und desgleichen er koexistenten Erlebnisse imindividuellen Bewußtsein gehört zu den realen Einheiten. Allediese Einheiten, als Ganze betrachtet, sind gleich ihren TeilenGegenstände im primären niul schlichten Sinn; sie sind in mög-lichen schlichten Anschauungen anschaubar. Sie sind eben nichtbloß kategorial geeinigt, sie konstituieren sich nicht in ir nd-einem bloßen Zusammenbetrachten durch Kolligieren, DisjungierenBeziehen u. dgl.; sondern sie sind „an sich" einig, sie haben eineEinheitsform, die am Ganzen in der Weise eines realen Einheits-moments, also einer realen Bestimmung wahrnehmbar ist; undwahrnehmbar im selben Sinn, wie irgendwelche der verknüpftenGlieder und ihre inneren Bestimmtheiten es sind.

Ganz anders verhält es sich mit den kategorialen Formen.Die neuen Gegenstände, die sie schaffen, sind nicht Gegenständeim primären und ursprünglichen Sinne. Die kategorialen Formenleimen, knüpfen, fügen die Teile nicht zusammen, daß darausein reales, ein sinnlich wahrnehmbares Ganzes würde. Sie formennicht in dem Sinn, in welchem der Töpfer formt. Sonst würdedas ursprünglich Ge: -bene der sinnlichen Wahrnehmung in seinereigenen Gegenständlichkeit modifiziert, das beziehende und ver-knüpfende Denken und Erkennen wäre nicht Denken und Er-kennen dessen, was ist, sondern fälschendes Umgestalten in ein.Anderes. Aber die kategorialen Formen lassen die primären Gegen-stände unberührt; und sie können ihnen auch nichts antun, könnensie in ihrem eigenen Sein nicht adern, weil das Ergebnis dannein neuer Gegenstand im primären und realen Sinn wäre, währendevidentermaßen das Ergebnis des kategorialen Aktes (etwa deskollektiven oder beziehenden) in einer objektiven Fassung desprimär Angeschauten besteht, die n ur in einem solchen fun-dierten Akte gegeben sein kann, so daß der Gedanke an eineschlichte Wahrnehmung des Geformten, oder an ein Gegebenseindesselben in einem sonstigen schlichten Anschauen Widersinn ist

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Die aprior. Gesetze entlic und umeigentlichen Denkens. 187

§ 62. Die Frea eit in der kategorialen Formung vorgegebenen Stoffesund ihre Schranken: die rein kategorialen Gesetze (Gesetze des

entliehen" Denkens).

Reale, äußerlich oder innerlich sinnliche Einheitsformensind durch die wesentliche Natur der zu verknüpfenden Teilegesetzlich bestimmt, und bei voll genommener Individuation dieserTeile absolut bestimmt. Alle Einheit weist auf Gesetzlichkeitreale Einheit auf reale Gesetzlichkeit. Was real eins ist, mußauch real geeinigt sein. Wo wir von der Freiheit zu einigenoder nicht zu einigen sprechen, da nehmen wir eben die Inhaltenicht in ihrer vollen Realität, zu welcher ja die räumlich-zeit-lichen Bestimmtheiten mitgehÖren. Während in dieser Art dasBewußtsein, und speziell das schlichte Anschauen der realen In-h Ate eo ipso Bewußtsein ihrer realen Verknüpfungen oder Formenist, verhält es sich nz anders hinsichtlich der kategorialenFormen. Mit den realen Inhalten ist keine der ihnen anzupassen-den kategorialen Formen notwendig gegeben, hier besteht imVerknüpfen und Beziehen, im Generalisieren und Subsumierenu. dgl. reichliche Freiheit. Wir können eine sinnlich einheitlicheGruppe willkürlich und auf vielfache Weise in Teilgruppen zer-legen; wir können die mannigfach unterscheidbaren Teilgruppenwillkürlich ordnen und gleichstufig aneinanderknüpfen, oder auchKollektionen zweiter, dritter... Stufe übereinander bauen. Soergeben sich viele Möglicbkeiten kollektiver Formung auf Grunddesselben sinnlichen Stoffes. Ebenso können wir jedes beliebigeGlied ein und derselben sinnlichen Komplexion mit diesen oderjenen unter den übrigen Gliedern vergleichen, oder von ihnenunterscheiden; wir können jedes hierbei zum Subjektglied, oderdurch willkürliche Umkehrung der betreffenden Verhältnisse zumObjektgliede machen; wir können diese Verhältnisse dann selbstzueinander in Beziehung setzen, miteinander kollektiv verknüpfen,klassifizieren usw.

Aber so groß diese Freiheit kategorialer Einigkeit undFormung ist, sie hat doch ihre gesetzlichen Schranken. Auchhier sind Einheit und Gesetz voneinander unabtrennbar. Schon

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L Elemente einer phänomenolog. _Aufklärung der Erkenntnis.

darin, daß die kategorialen Formen sich in fundierten Akt-charakteren, und nur in solchen, konstituieren, liegt ein gewisserNotwendigkeitszusammenhang beschlossen. Wie wäre auch sonstvon kategorialer Wahrnehmung und Anschauung die Redewenn sich jeder beliebige Stoff in jede beliebige Form bringen,also die fundierenden schlichten Anschauungen' mit den kategorialenCharakteren beliebig zusammenknüpfen ließen. Wo wir z. B. einVerhältnis zwischen Ganzem und Teil intuitiv vollziehen, könnenwir dieses Verhältnis zwar in der normalen Weise umkehren, abernicht etwa so, d wir nun den Teil, bei ungeändertem realenInhalt, als Ganzes und das Ganze als Teil anschauen könnten.Es steht uns auch nicht frei, dieses Verhältnis als ein solchestotaler Identität oder totaler Exklusion aufzufassen usw. Aller-dings „denken.a können wir uns jederlei Verhältnis zwischen jeder-lei Beziehungspunkten, und jederlei Form überhaupt auf Grundjedes Stoffes — nämlich denken im Sinne bloßer Signifikation. Aberwirklich vollziehen können wir die Fundierungen nicht aufjeder Grundlage, wir können den sinnlichen Stoff nicht in be-liebiger kategorialer Form anschauen; zumal nicht wahrneh-men, und vor allem . nicht adäquat wahrnehmen.

In der Prägung des erweiterten Wahrnehmungsbegriffes be-kundet sich eo ipso eine gewisse Gebundenheit. Nicht als ob derWahrnehmungscharakter an den sinnlichen Inhalt reell gebundenwäre. Das ist er nie; denn (las hieße, daß nichts ist, was nichtwahrgenommen ist und wahrgenommen sein muß. Aber sehrwohl ist nichts, was nicht wahrgenommen werden kann. Darinliegt aber: der aktuelle Vollzug der aktuellen Akte auf Grundgerade dieser Stoffe, oder, genauer, auf Grund gerade dieserschlichten Anschauungen, ist im idealen Sinne möglich. Unddiese Möglichkeiten sind, wie ideale Möglichkeiten überhaupt,gesetzlich begrenzt, sofern ihnen gewisse Unmöglichkeiten idealeUnverträglichkeiten, gesetzmäßig zur Seite treten.

Die Idealgesetze, welche den Zusammenhang dieser Mög-lichkeiten und Unmöglichkeiten regeln, gehören zu den katego-rialen Formen in specie, also zu den Kategorien im objek-

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Die aprior. Gesetze 'des eigenilkeen und uneigentlichen Denkens. 189

tiven Sinne. Sie bestimmen, welche Variationen irgend-welcher vorgegebenen kategorialen Formen, bei voraus-gesetzter Identität des bestimmten, aber beliebigenStoffes möglich sind; sie umgrenzen die ideal geschlosseneMannigfaltigkeit von Umordnungen und Umgestaltungen der kate-gorialen Formen auf Grund des identisch verbleibenden Stoffes.Der Stoff kommt hierbei nur insofern in e, als er intentionalin Identität mit sich selbst festgehalten sein muß. Insofern aberdie Spezies der Stoffe völlig flei variierbar sind und nur der selbst-verständlichen ideellen Bedingung unterstehen, daß sie als Trägerder jeweils vorangenommenen Formen funktionsfähig sind, sohaben die in Rede stehenden Gesetze den Charakter völlig reinerund analytischer Gesetze, sie sind von der Besonderheitder Stoffe völlig U12 bhängig. Ihr allgemeiner Ausdruck ent-hält daher nichts von stofflichen Spezies, vielmehr benützt er nuralgebraische Symbole als Träger unbestimmt-allgemeiner Vor-stellung n von gewissen, im übrigen beliebigen, aber mit sichidentisch zu erhaltenden Stoffen überhaupt.

Zur Einsicht in diese Gesetze bedarf es daher auch nicht desaktuellen Vollzugs einer kategorialen Anschauung, die ihre Stoffewirklich anschaulich macht; sondern es genügt irgendeine kate-goriale Anschauung, welche die Möglichkeit der betreffendenkategorialen Gestaltung vor Augen stellt. In der generalisie-renden Abstraktion der gesamten Möglichkeit vollzieht sich dieeinheitliche intuitive „Einsicht" in das Gesetz, und diese Ein-sieht hat im Sinne unserer Lehre den Charakter adäquatergen ereiler W h rn eh ro ung. Der allgemeine Gegenstand, derin ihr selbst gegeben ist, ist das kategoriale Gesetz. Wir dürfensagen: Die idealen Bedingungen der Möglichkeit kate-gorialer Anschauung überhaupt sind korrelativ die Be-dingungen der Möglichkeit der Gegenstände kategorialerAnschauung, und der Möglichkeit von kategorialen Gegen-ständen schlechthin. Eine kategorial so und so geformteGe nständLichkeit ist möglich, das steht ja in Wesenskorrelationdamit, daß eine kategoriale Anschauung — eine bloße Ein-

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190 171. einer phiinomenoke. Aufklärung der Erkenntnis.

bildung — eine derartige Gegenständlichkeit vollständig ange-messen vor Augen stellen kann; mit anderen Worten, daß die be-treffenden kategorialen Synthesen und die sonstigenkategorialen Akte auf Grund der betreffenden fundieren-den Anschauungen (sei es auch Einbildungen) wirklich voll-ziehbar sind-

-Welche kategoriale Formung aber ein beli bi r,, gleichgültigob perzeptiv oder imaginativ vorgegebener Stoff de facto zu-läßt, d. i. welche kategorialen Akte auf Grund der ihn konstituie-renden sinnlichen Anschauungen wirklich vollziehbar sind — da-rüber bes3 en die in Rede stehenden idealen Bedingungendie analytischen Gesetze, nichts. Daß hier kein Beliebenschrankenlos walten kann, und da die "wirklich& Vollziehbar ,-keit nicht den Charakter der empirischen Wirklichkeit, sondernder idealen Möglichkeit hat, lehren die obigen Beispiele. Und sielehren auch, daß die jeweilige Besonderheit des Stoffes es ist,welche die Möglichkeiten umgrenzt, so da;4 wirz.B. en könnenG ist wirklich ein Ganses von g, oder I ist wirklich eine Be-schaffenheit von 0 u. dgl. — wobei allerdings die kat. rüde Form,ungleich der realen, nicht auf die Inhaltsgattungen der G, 9, Iu. dgl. beschränkt ist, als ob sie für Inhalte anderer Gattungenüberhaupt nicht in Betracht käme. Im Gegenteil ist es evident,daß Inhalte aller Gattungen durch alle Kategorien ge-formt sein können. Die kategorial n Formen sind eben nichtin den stofflichen Inhalten fundiert — wie wir oben schon dar-gelegt haben. Jene reinen Gesetze können also nicht vorschreiben,welche Form ein gegebener Stoff annehmen kann; nur soviellehren, daß, wenn er, und ein beliebiger Stoff überhaupt, eine ge-wisse Form angenommen bat oder anzunehmen fähig ist, ein fest-umgrenzter Kreis weiterer Formen für diesen selben Stoff zuGebote steht; bzw. daß es einen ideal geschlossenen Kreisvon möglichen Umgestaltungen der jeweils statthaben-den Form in immer neue Formen gibt. Die ideale Mög-lichkeit der neuen Formen auf Grund desselben Stoffs währ-

Vgl. § 57 S. 174f.

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Die aprior. Gesetze des eigentlichen und uneigent ichen Denkens. 191.,,,„_„...-.„-- ... -....m...--....”= .7. -',..I.,.........=

leisten die besten alytischen" Gesetze unter dieser Voraus-setzung a priori.

Dies sind die reinen Gesetze des „eigentlichen Denkens",verstanden als Gesetze der kategorialen Anschauungen nachihren rein kategorialen Formen. Die kategorialen Anschau-ungen fungieren eben im theoretischen Denken als wirkliche odermögliche Bedeutungserfüllungen, bzw. -enttäuschungen, und ver-leihen je nach ihrer Funktion den Aussagen den logischen Wertder Wahrheit, bzw. Unwahrheit. Es hängt also die normativeRegelung des, sei es rein signitiven., sei es signitiv getrübtenDenkens von den eben erörterten Gesetzen ab.

Doch bedarf zur genaueren Darlegung des Sachverhaltsund zur Aufklärung der unterscheidenden Rede von Gesetzen des

»eigentlichen" Denkens eines näheren Hinblicks auf die Sphäreder Bedeutungen, resp. Bedeutungsintentionen.

§ 63. Die

Geltungsgesetze der signitiven und signitiv getrübtenAkte (Gesetze des uneigentlichen Denkens) .

Die kategorialen Akte dachten wir uns in den bisherigen Be-trachtungen von allem signifikativen Beiwerk frei, also vollzogenaber keinerlei Akte der Erkennung und Nennung fundierend. Undsicherlich wird jeder vorurteilsfreie Analyst zugestehen, daß wirz. B. Inbegriffe oder mancherlei primitive Sachverhalte anschauenkönnen, ohne sie zu nominalem oder propositionelern. Ausdruckzu bringen. Wir stellen nun dem Fall bloßer Anschauung denFall bloßer Signifikation gegenüber, wir achten darauf, daß allden Akten kategorialer Anschauung mit ihren kategorial geformtenGegenständen rein signifikative Akte entsprechen können. Diesist offenbar eine apriorische Möglichkeit. Es gibt keine hierher-gehörige Aktform, der Dicht eine mögliche Bedeutungsform ent-spräche; und jede Bedeutung kann ja ohne korrelate Anschauungvollzogen gedacht werden. Das Ideal der logisch angemessenenSprache ist dasjenige einer Sprache, welche allen möglichen Stoffenund allen möglichen kategorialen Formen eindeutigen Ausdruckverschaffen würde. Zu den Worten gehören dann eindeutig

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1 VL Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkennt144e.

gewisse signifikative Intentionen, die auch bei Abwesenheit der

',entsprechenden" (d. h. natürlich der erfüllenden) Anschauung auf-

leben können. Es läuft dann parallel zu allen möglichen primärenund fundierten Anschauungen das System der sie (möglicherweise)ausdrückenden primären und fundierten Bedeutungen.

Aber das Gebiet der Bedeutung ist sehr viel um-fassender als das der Anschauung, d. i. als das Gesamtgebietmöglicher Erfüllungen. Denn auf Seite der Bedeutungen trittnoch hinzu jene unbegrenzte Mannigfaltigkeit von komplexenBedeutungen, die der ‚Realität oder " öglichkeitu er-mangeln; es sind Gebilde von Bedeutungen, die sich zwar zueinheitlichen Bedeutungen zusammenschließen, ber zusolchen, denen kein mögliches einheitlich s Erfüllungs-korrelat entsprechen kann.

Demgemäß besteht auch kein voller Parallelismus zwi-schen den kategorialen Typen, bzw. den Typen kategorialerschauung, und den Typen der Bedeutung. Jedem kategorialenTypus niederer und höherer Stufe entspricht ein Bedeutungstypus;aber es entspricht, bei unserer Freiheit die Typen signifikativkomplexen Typen zu verknüpfen, nicht jedem so erwachsendenTypus ein Typus kategorialer Gegenständlichkeit Wir erinnernan die Typen analytischer Widersprüche, wie ein A, welches WehtA ist; alle A sind B und irgendein A ist nicht B; usw. Nurin Hinsicht auf die primitiven Typen kann und muß der Paral-lelismus bestehen, da alle primitiven Bedeutungen überhaupt ihren"Ursprung" haben in der Fülle korrelater Anschauung; oder um.es deutlicher auszudrücken: Da von Verträglichkeit und Unver-träglichkeit nur in der Sphäre des Zusammengesetzten oder Zu.-sammenzusetzenden die Rede ist, so kann auch die einfache Be-deutung, als Ausdruck eines Einfachen niemals imaginär" sein:und dies trifft somit auch jede einfache Bedeutungsform. Währendein zugleich A und nicht A Seiendes unmöglich ist ist 77‘ A und Bmöglich, die Und-Form hat als einfache einen „realen" Sinn.

Übertragen wir den Terminus kategorial auf das Bedeutungs-gehiet so entspricht jeder eigentlichen kategorialen Form, sei

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Die a rior. und uneigent ithen Denkens. 193

es einer solchen im gegenständlichen Sinn sei es der zugehörigenkategorialen Form der Anschauung (in welcher sich nämlich dukategorial Gegenständliche perzeptiv oder imaginativ kon-stituiert), eine eigene signifikative Form, bzw. auch eine eigeneBedeutungsform in specie. In dieser Form der Signifikation voll-zieht sich das signifikative Meinen eines Kollektivum oder Dis-junktivum, einer Identität oder Nicht-Identität u. dgl. Sprichtman vom Gegensatz eigentlicher und uneigentlicher Vor-stellung, so hat man gewöhnlich wohl den Gegensatz von in-tuitiv und signifikativ im Auge (wofern es nicht, was gelegentlich.auch vorkommt, auf den anderen Gegensatz von uat und in-

adäquat ab ehen ist). Demnach wären die jetzigen Fälle die-jenigen „uneigentli cher" Kollektion Dis unktion, Identifikation,Abstraktion usw.

Be .t man all dietegorialen Akte, durch welche sichdie Urteile als prädikative Signifikationen) ihre Fülle und schließ-lich ihren nzen Erkenntniswert zueignen, unter dem TitelDenkakte, so hätten wir zwischen eigentlichen und un.-eigentlichen Denkakten zu unterscheiden. Die uneigentlichenDenkakte wären die Bedeutungsintentionen der Aussagen und innaturgem erweiterter Fassung all die signifik-ativen Akte,welche möglicherweise als Teile solcher prädikativen Intentionendienen können: so aber können, wie von selbst einleuchtet, allesignifikativen Akte dienen. Die eigentlichen Denkakte wärendie entsprechenden Erfüllungen; somit die Sachverhaltsanschau-ungen und alle Anschauungen, die als mögliche Teile von Sach-verhaltsanschauung fungieren können: und das können wiederumalle Anschauungen überhaupt; es gibt zumal keine kategoriale Form,die nicht Bestandstück einer Sachverhaltsform werden könnte. DieallgerneineLehrevondenFormen der symbolischeulfeeile(der Aussagebedeutungen) befaßt diejenige von den Bedeutungs-formen überhaupt (den reinlogisch -grammatischen Formen);ebenso bei t die allgemeine Lehre von den reinen Formellder Sachverhaltsanschauungen (bzw. von den reinen Sach-verhaltsformen) diejenige von den kategorialen Formen der

EI «seri , Log. Untor.IJ. 13

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194 T2 Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

Anschauungen (bzw. von den objektiven kategorialen For menüberhaupt.

Identifiziert man, wie es öfters geschieht, Denken und Ur-teilen, so wäre zwischen eigentlichem und uneigentlichemUrteilen zu unterscheiden. Der Begriff des Urteils wäre danndurch das Gemeinsame der Au.ssageintention und der Aussage-erfüllung, also durch das inten.tionale Wesen als Einheit vonQualität und intentionaler Materie bestimmt. Als Denkakte imweiteren Sinn hätten naturgemäß nicht bloß die Urteilsaktesondern alle möglichen Teilakte von Urteilen zu gelten, so daßwir auf eine der vorigen Abgrenzung des Begriffs Denkakt gleich-wertige Abgrenzung zurückkämen.

In der Sphäre des uneigentlichen Denkens , der bloßen Signi-fikation, sind wir von allen Schranken der kategorialen Gesetzefrei. In ihr I" t sich Alles und Jedes zur Einheit bringen. Dochgenau besehen, unterliegt auch diese Freiheit gewissen Beschrän-kungen. Wir haben davon in der IV. Untersuchung gesprochenwir haben auf die „reinlogisch-grammatischen a Gesetze hin-gewiesen, welche als Gesetze der Komplikation und Modifikationdie Sphären des Sinns und Unsinns scheiden. In der uneigent-lichen kategorialen Formung und Umformung sind wir frei, so-fern wir nur nicht die Bedeutungen unsinnig konglomerieren.Wollen wir aber auch den formalen und r Ion Widersinn fern-halten, so engt sich die weiteste Sphäre des uneigentlichen Denkens,des signifikativ Verknüpfbaren, sehr ein. Es handelt sich nun umdie objektive Möglichkeit der komplexen Bedeutungen, alsoum die Möglichkeit ihrer Anpassung an eine sie als Ganze ein-heitlich erfüllende Anschauung. Die reinen Gesetze der Gül-tigkeit der Bedeutungen, der idealen Möglichkeit ihrerangemessenen Veranschaulichung, laufen offenbar den reinenGesetzen parallel, welche die Verknüpfung und Umwandlung dereigentlichen kategorialen Formen regeln.

In den reinen Gesetzen der Bedeutungsgeltung handelt es sichwieder nicht um Gesetze, in welchen die Gültigkeit beliebig vor-gegebener Bedeutungen abgelesen werden könnte sondern um

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t und uneigentlichen Denkens. 195

die rein kategorial bestimmten i öglichkeiten der Bedeutungsver-knüpfung und Bedeutungsverwandlung, die in jedem beliebig vor-g ebenen Falle vorgenommen werden dürfen salva veritate,d. h. ohne die Möglichkeit der Bedeutungserfüllung, wofern sie von

•vornherein er aupbestanden hatte, z nd zu schädigen. Istz. B. die Aussage, g ist ein Teil von 0, gültig, so ist auch eineAussage der Form 0 ist n Ganzes von g, gültig. Ist es wahr,daß es ein a gibt, welches # ist, so ist es auch wahr, daß eingewisses a fi ist, oder daß nicht alle a nicht 11 sind usw. Inderartigen Sätzen ist das Stoffliche schrankenlos variabel, daherwir alle stofflichen Bedeutungen durch indirekt und völlig un-bestimmt bedeutende algebrische Zeichen ersetzen. Hierdurchaber sind diese Sätze als analytische charakterisiert. Bei dieserSachlage kommt es wiederum nicht darauf an, ob sich der Stoffin ahrnehmungen oder Einbildungen konstituiert. Die Möglich-keiten und Unmöglichkeiten betreffen die Herstellung der dieBedeutungsform angemessen veranschaulichenden Akte auf einerbeliebigen stofflichen Unterlage; kurzum es handelt sich um diereinen Bedingungen der Möglichkeit vollständig ange-messener Signifikation überhaupt, die ihrerseits auf diereinen Bedingungen der Möglichkeit kategorialer An-schauung überhaupt zurückweisen. Natürlich sind also dieseGeltungsgesetze von Bedeutungen nicht identisch und selbst dieeigentlichen kategorialen Gesetze, aber sie folgen diesen, auf Grund.der Gesetzmäßigkeit, welche die Zusammenhänge von Bedeutungs-intention und Beeleutungserfültung regelt, getreulich nach.

Die ganze soeben durchgeführte Betrachtung verlangt nacheiner naturgemäßen und selbstverständlichen Erweiterung. Wirhaben die Sacht e dadurch vereinfacht, daß wir nur die beidenExtreme in die Erwi:ung zogen, wir stellten einander gegenüber:die durchaus intuitiv, also wirklich vollzogenen kategorialen Akt-gebilde auf der einen Seite, und die rein signitiv, also eigentlich"gar nicht vollzogenen und erst in Prozessen möglicher Erfüllungzu realisierenden Aktgebilde auf der anderen Seite. Die gewöhn-

13*

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196 VI. Elemente einer phänornenotog.

liehen Fälle sind aber Mischu das Denken verläuft in man-chen Strecken intuitiv, in manchen signitiv, hier wird eine kate-•orial° Synthesis, eine Prädikation, Generalisation u. dgl. wirklichvollzogen, dort heftet sich an die intuitiv oder nur verbal vor-stelligen Glieder eine bloß signitive Intention auf solch eine kate-goriale Synthesis. Die hierdurch erwachsenden komplexen Aktehaben, als Ganze genommen, den Charakter uneigentlicher kate-gorialer Anschauungen; ihr gesamtes gez, nständliches Korrelatwird nicht wirklich, sondern nur „uneigentlich« vorstellig gemacht;ihre „Möglichkeit«, bzw. die objektive ihres Korrelats, wird nichtgewährleistet Die Sphäre des "uneigentlichen Denkens« muß dem-nach so weit ge t werden, daß sie auch diese gemischten Akt-gebilde aufnehmen kann. Alles, was wir ausgeführt haben, giltdann tnutatis mutandis unter Voraussetzung dieser Erweiterung.Statt von, Geltungs setzen bloßer Bedeutungen, bloß symbolischerUrteile usw. haben wir dann von Geltun esetzen signitiv ge-ftebter Vorstellungen oder Urteile zu sprechen. Wo man vombloßen symbolischen Denken spricht hat man diese Mischungenzumeist auch im Auge.

§ 64. Die reinlogisch-grammatischen Gesetze als Gesebloß des menschlichen Verstandes '1' haupt. Ihre psyeho

und ihre normati Funktion hi Weh des inadä

tL

Selbstverständlich sind die einen wie die andern Gesetzeidealer Natur. Daß sich ein sinnliches Material nur ixt gewisseFormen fassen und nur nach gewissen Formen verknüpfen läßt,und daß die mögliche Verwandlung derselben reinen Gesetzenuntersteht, in welchen das Stoffliche frei variabel ist; d , somitauch die ausdrückenden Bedeutun n nur gewisse Formen an-nehmen, bzw. ihre Formen nur nach vorgeschriebenen Typen um-wandeln können, wenn sie ihre eigentliche Ausdrucksfähigkeitnicht einbüßen sollen: das alles liegt nicht an den empirischenZufälligkeiten des Bewußtseinsverlaufs, auch nicht an denjenigenunserer intellektuellen und sei es auch all mein-menschlichenOrganisation. Es liegt vielmehr an der spezifischen Natur derbezüglichen Aktarten an ihrem intentionalen und erkenntnis' -

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r des eigent und uneigent . 197

m" Wesen , es hört statt zur Natur gerade unserer (indi-viduellen oder all ein-menschlichen) Sinnlichkeit, bzw. zurNatur gerade unseres Verstandes, vielmehr zu den Ideen Sinn-lichkeit und Verstand überhaupt Ein Verstand mit anderenals den reinlogischen Gesetzen wäre ein Verstand ohne Verstand;definieren wir den Verstand im Gegensatz zur Sinnlichkeit alsd; Vennö n der kategorialen Akte, und dazu allenfalls als dasVermögen des sich nach diesen Akten richtenden und dann also

richtigen" Ausdrückens oder Bedeutens: so gehören die in denles dieser Akte gründenden generellen Gesetze zum d efini-oben Wesen des Verstandes. Andere Wesen mögen in

andere „Welten" hineinschauen, sie mögen auch mit anderen „Ver-mögen" au 'tatet sein als wir; sind sie überhaupt psychischeWesen und besitzen sie überhaupt intentionale Erlebnisse mitall den hier in F ; kommenden Unterschieden zwischen Wahr-nehmen und Einbilden, schlichtem Anschauen und kategorialemAnschauen, zwischen Bedeuten und Anschauen, zwischen ange-messenem und unangemessenem Erkennen — so haben sie so-wohl Sinnlichkeit als auch Verstand und unterstehen den zuge-hörigen Gesetzen.

,Natürlich hören also die Gesetze des eigentlichen Denkensauch mit zum Bestande des menschlichen Bewußtseins, zur all-

mein-menschlichen „psychischen Organisation“. Andererseitssind sie für diese Or nisation hinsichtlich ihrer Eigentümlich-keit nicht charakteristisch. Die Gesetze gründen, sagten wir,in dem rein Sp 'fischen wisser Akte; darin liegt: sie betreffendie Akte nicht bloß insofern, als diese sich gerade in einer mensch-lichen Organisation zusammenfinden; sie gehören vielmehr zuallen möglichen Organisationen überhaupt, welche aus so geartetenAkten zu erb nen sind. Die differenzi,erenden Eigentümlichkeitendes jeweiligen Typus einer psychischen Organisation, all das wasz. B. das menschliche Bewußtsein als solches, in der Weise_einer naturhistorischen Art, abgrenzt; wird durch reine Gesetzewie es die Denkgesetze sind nicht berührt.

Die Beziehung auf „unsere" psychische Organisation oderauf das Bewußtsein überhaupt' (verstanden als de allge-

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198 Vi. Elenuwzte einer phiinornenolog. Aufkliining der Erkenntnis.

mein Menschliche des Bewußtseins), definiert nicht das reineund echte, sondern ein gröblich verfälschtes Aprio7i. Der Be-griff der allgemeinen psychischen Or i isation hat doch, wie der-jenige der physischen Organisation, eine bloß „empirische" Be-deutung, die Bedeutung eines bloßen matter of fad. Die reinenGesetze aber sind rein eben vom matter of fad, sie besagennicht, was in dieser oder jener Provinz des Realen allgemeinerBrauch ist, sondern was schlechthin allem Brauch und allen Ab-grenzungen nach Realitätssphären entzogen ist, und es darum ist,weil es zur essentiellen Ausstattung des Seienden gehört. Undso betrifft das echte logische Apriori all das, was zum idealenWesen des Verstandes überhaupt /gehört, zu den Essenzen seiner.A.ktarten und Aktformen, zu dem also, was nicht aufgehobenwerden kann, so lange der Verstand, bzw. die ihn definierendenAkte sind, was sie sind: so und so geartet ihr begrifflichesWesen identisch erhaltend.

Inwiefern demnach die logischen Gesetze und in erster Liniedie Idealgesetze des „ei nfliehen" Denkens auch ein psycho-logische Bedeutung beanspruchen, und inwiefern auch sie denLauf des faktischen psychischen Geschehens regeln, ist ohneweiteres klar. Jedes echte „reine" Gesetz, das eine in derNatur gewisser Spezies gründende Vereinbarkeit oder Unverein-barkeit ausdrückt, schränkt, wenn es sich auf Spezies psychischrealisierbarer Inhalts- bezieht, die empirischen Möglichkeiten derpsychologischen (phänomenologischen) Koexistenz und Sukzessionein. Was in speie als unver lich eingesehen, ist, kann imempirischen Einzelfalle nicht vereint, also verträglich sein. Soferndas empirisch logische Denken sich zu unvergleichlich größtemTeile inadäquat und signitiv vollzieht, denken, vermeinen wirnun vieles, was in Wahrheit, d. h. in der Weise des eigentlichenDenkens, des wirklichen Vollzugs der bloß vermeinten Synthesen,gar nicht zu vereinen ist. Und eben darum werden die apriori-scheu Gesetze des eigentlichen Denkens und des eigent-lichen Ausdrückens zu Normen des bloß vermeinendenund uneigentlichen Denkens, bzw. Ausdrückens. Oderetwas anders gewendet: auf die „eigentlichen" Denkgesetze gründen

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. Gesetze ntliehen und une'igentliehen Denkens. 199

sich neue, auch als p tische Normen zu formulierende Gesetze,welche der Sphäre des signitiven oder signitiv getrübten Vor-stellens zugeeignet, die idealen Bedingungen einer möglichen Wahr-heit überhaupt (-----,Richtigkeit überhaupt) aussprechen, nämlichdie idealen Bedingungen „logischer"( eil auf mögliche Adäquationbezogener) Verträglichkeit innerhalb dieser Sphäre des signitivgetrübten Vermeinen& Psychologisch bewerten sich die Gesetze,uneigentlichen" Denkens wieder nicht als empirische Gesetze desWerdens und Wechseins solchen Denkens, sondern als rein idealfundierte Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten der Aequation vonso und so geformten Akten uneigentlichen Denkens an entspre-chende Akte eigentlichen Denkens.

§ 65. S widersinnige Problem der realen Bedeutung des Logischen.

Wir verstehen nun auch vollkommen warum der Gedanke,es könnte der eltlauf die logischen Gesetze — jene analytischenGesetze des eigentlichen Denkens, bzw. die darauf gebautenNormen unei ntiichen Denkens — je verleugnen, oder es müßteund könnte die Erfahrung der matter of fad der Sinnlichkeitdiese Gesetze allererst begründen *und ihnen die Grenzen ihrerGültigkeit vorschreiben, nichts als Widersinn ist. Wir sehen da-von ab, daß auch die Wahrscheinlichkeitsbegründung auf Tatsachenbin eben Begründung ist, die als .solche unter Idealgesetzen steht,Gesetzen, die (wie wir voraussehen) in den "eigentlichen« Wahr-scheinlichkeitserlebnissen nach ihrem spezifischen Bestande undals generelle Gesetze fundiert sind. Hier gilt es vielmehr, daraufhinzuweisen, daß das sozusagen Tatsächliche der Tatsache zurSinnlichkeit gehört, und daß der Gedanke, durch Hilfe der Sinn-lichkeit rein kategoriale Gesetze zu begründen — Gesetze, die ihremSinn nach alle Sinnlichkeit und Tatsächlichkeit ausschließen undbloß über kategoriale Formen, als Formen möglicher Richtigkeit,bzw. Wahrheit überhaupt, reine Wesensaussagen machen — dieklarste pardficmg eig (ZU° yivog darstellt Gesetze, die keine Tat-sache meinen, können durch keine Tatsache bestätigt oder widerlegtwerden. Das von großen Philosophen so ernsthaft und tiefsinnigbehandelte Problem der „realen oder formalen Bedeutung

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200 "FL Elemente einer phänomenolog. Aufkläru

des Logisch n ist also ein widersinniges Problem. Es be-darf keiner metaphysischen und sonstigen Theorien, umdie Zusammenstimmung des Laufes der Natur und derdem „Verstande" „eingeborenena Gesetzmäßigkeit zu.erklären; statt der Erklärung bedarf es der bloßen ph.äno-monologischen Aufklärung des Bedeutens, Denkens Erken-nens und der darin entspringenden Ideen und Gesetze.

Die Welt konstituiert sich als eine sinnliche Einheit; ihremSinne nach ist sie Einheit der wirklichen und möglichen schlichtenWahrnehmungen. Nach ihrem wahren Sein ist sie uns aber inkeinem ab schlossenen Wahrnehmungsprozesse je vorbehaltlosoder gar adäquat gegeben. Sie ist für uns jederzeit nur eineganz inadäquat, partiell durch schlichte und kategorial° Intuitionpartiell durch Signifikation vermeinte Einheit des theoretischenForschen.s. Je 'mehr unser Wissen fortschreitet, um so besserund reicher bestimmt sich die Idee der elt, um so mehr scheidensich auch Unverträglichkeiten aus ihr aus. Zweifeln, ob die Weltwirklich so ist, wie sie uns erscheint, oder als welche sie in derjeweiligen theoretischen Wissenschaft vermeint ist und ihr inbegründeter Überzeugung gilt, hat seinen guten Sinn; denn ad-äquat gestalten kann die induktive Wissenschaft die Weltvorstellungnie, wie weit sie uns auch bringen mag. Widersinnig ist es aberauch zu zweifeln, ob nicht der wirkliche Weltlauf, d r realeZusammenhang der Welt an sich mit den Formen des Denkensstreiten könnte. Denn darin I daß eine bestimmte, hypothetischsupponierte Sinnlichkeit nämlich diejenige welche (in einer ideellabgeschlossenen Mannigfaltigkeit endloser Wahrnehmungsprozesse)die Welt an sich zur adäquaten Selbstdarstellung bringen würde;zwar fähig wäre, die kategorialen Formen anzunehmen, aber diesenFormen Vereinigungen aufnötigen würde, die durch das allge-meine Wesen derselben Formen generell ausgeschlossen sind.Daß sie es aber sind, und d die Gesetze der Kategorien alsreine Gesetze gelten, die von allem Stoff der Sinnlichkeit ab-strahieren, also durch schrankenlose Variation desselben gar nichtbetroffen werden können, das meinen wir nicht bloß, das sehenwir ein das ist uns in vollster Adäquation gegeben. Die Ein-

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Die ayrior. Gesetze des eigentlichen und uneigentlichen Denkens. 201

sieht vollzieht sich subjektiv natürlich auf dem Grunde irgend-einer zufälligen empirischen Anschauung; aber sie ist generelleund rein auf die Form bezogene Einsicht; das Abstraktionsfun-dament birgt hier wie sonst keine Voraussetzung für die idealeMöglichkeit und Geltung der abstrahierten Idee.

Wir könnten zum Überfluß noch darauf hinweisen, welcheAbsurdität darin liegt, wenn man die Möglichkeit eines wider

logischen Weltlaufs im signitiven Denken ansetzt und damit denAnspruch erhebt, daß diese Möglichkeit statthaft sei, und wennman, sozusagen in einem Atem, die Gesetze aufhebt, welchedieser wie jeder Möglichkeit überhaupt Geltung verleihen.' Wirkönnten ferner darauf hinweisen, daß doch vom Sinne des Seinsüberhaupt die Korrelation zum Wahrgenommen-, Angeschaut-,Bedeutet-, Erkannt-werden-können unabtrennbar ist, und daßsomit die Idealgesetze, die zu diesen Möglichkeiten in speie ge-hören, nimmermehr aufzuheben sind durch den zufälligen Inhaltdes jeweilig Seienden selbst. Doch genug der Argumentationen,die schließlich nur Wendungen einer und derselben Sachlage sind,und die uns schon in den Prolegomena geleitet haben.

§ 66. Sonclerung der wichtigsten, in der üblichen Gegenüberstellungvon „Anschauen" und „Denken" sich vermengenden Unterschiede.

Durch die vorstehenden Untersuchungen dürfte dem Allge-meinen nach das so viel benützte und so wenig geklärte Verhält-nis zwischen Denken und Anschauen zu befriedigender Klarheitgebracht sein. Wir stellen hier folgende Gegensätze zusammen,deren Vermengung die erkenntnistheoretische Forschung in beson-derem Maße verwirrt hat, und deren Sonderung uns vollkommen

deutlich geworden ist:1. Der Gegensatz zwischen Intuition und Signifikation.

Die Anschauung als Perzeption oder Imagination (gleichgültigob sie kategorial oder sensual, ob sie adäquat oder inadäquat ist)wird in Gegensatz gebracht zum bloßen Denken, als dembloßen signifikativen Meinen. Die in Parenthese gestelltenUnterschiede werden allerdings im Gewöhnlichen übersehen; wirlegen auf sie das größte Gewicht und führen sie nun besonders auf:

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202 VI. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis........■......................!..

2. Der Gegensatz zwischen sensualer und kategorialerIntuition. •Wir stellen also gegenüber: das sinnliche An-schau.en, das Anschauen in dem gemeinen, schlichten Sinne,und das kategoriale Anschauen, das Anschauen im erweitertenSinne. Die fundierten Akte, die dasselbe charakterisieren, geltenjetzt als das die sinnliche Anschauung intellektuierende „Denken".

3. Der Gegensatz zwischen inadäquater und adäquaterAnschauung, oder allgemeiner, zwischen adäquater und inad-quater Vorstellung, indem wir nämlich intuitives und signi-fikatives Vorstellen zusammennehmen. In der inadäquaten Vor-stellung denken wir uns bloß, es sei so (es scheine so), in deradäquaten erschauen wir die Sachlage selbst und schauen siein ihrer vollen Selbstheit erst an.

4. Der Gegensatz zwischen individuellem Anschauen(gewöhnlich und in sichtlich unbegründeter Enge als sinnlichesAnschauen gefaßt) und allgemeinem Anschauen. Nach Maß-gabe dieses Gegensatzes bestimmt sich ein neuer Begriff von An-schauung; sie wird gegenübergesetzt der G-eneralisation, und danngleich weiter den kategorialen Akten, welche Generalisationen im-plizieren, und in unklarer Vermengung damit auch den signifika-tiven Gegenstücken eben dieser Akte. Das „Anschauen", soheißt es . jetzt, gibt bloße Einzelheit, das „Denken" geht.auf das Allgemeine, es vollzieht sich durch „Begriffe". Manspricht hier gewöhnlich von dem Gegensatz zwischen „Anschau-ung und Begriff". —

Wie groß die Neigung ist, diese Gegensätze ineinanderfließenzu lassen, würde eine Kritik der Erkenntnistheorie KANTS dar-tun, deren ganzes Gepräge durch den Mangel jeder festen Sonde-rung dieser Gegensätze bestimmt ist In KANTS Denken spielen zwardie kategorialen (logischen) Funktionen eine große Rolle: . aber ergelangt nicht - zu der fundamentalen , Erweiterung der BegriffeWahrnehmung und Anschauung über das kategoriale Gebiet; undzwar deshalb nicht, weil er den großen Unterschied zwischenIntuition und Signifikation, in ihrer möglichen Sonderung und.gewöhnlichen Verschmelzung, nicht würdigt und daher die Ana-lyse des Unterschiedes zwischen inadäquater und adäquater An-

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Die aprior. Gesetze des eigentlichen und uneigentlichen Denkens. 203

passung des Bedeutens an das Anschauen nicht vollführt. Erunterscheidet daher auch nicht zwischen Begriffen als allgemeinenWortbedeutungen, und Begriffen als Spezies des eigentlichenallgemeinen Vorstellens, und wieder Begriffen als allgemeinen Ge-genständen, nämlich als den intentionalen Korrelaten der allge-meinen Vorstellungen. KANT gerät von vornherein in das Fahr-wasser der metaphysischen Erkenntnistheorie dadurch, daß er aufdie kritische „Rettung" der Mathematik, Naturwissenschaft und.Metaphysik ausgeht, ehe er die Erkenntnis als solche, die Ge-samtsphäre der Akte, in denen sich das vorlogische Objektivierenund das logische Denken vollzieht, einer aufklärenden Wesens-analyse und Kritik unterworfen, und die primitiven logischenBegriffe und Gesetze auf ihren phänomenologischen Ursprungzurückgeführt hat Es war verhängnisvoll, daß KANT (dem wir unstrotz alledem sehr nah fühlen) das rein logische Gebiet im engstenSinne mit der Bemerkung für abgetan hielt, daß es unter deinPrinzip vom Widerspruch stehe. Nicht nur daß er nie bemerkthat, wie wenig die logischen Gesetze überall den Charakter ana-lytischer Sätze in dem Sinne besitzen, den er selbst definitorischfestgesetzt hatte; er sah nicht, wie wenig mit dem Hinweis aufein evidentes Prinzip analytischer Sätze für eine Aufklärung derLeistung des analytischen Denkens gewonnen sei.

Zusatz. Letztlich hängen all die prinzipiellen Unklarheiten der Kant'schenVernunftkritik damit zusammen, daß Kant sich das Eigentümliche der reinen.„Ideation", der adäquaten Erschauu.ng begrifflicher Wesen und wesensgesetz-licher Allgemeingültigkeiten nie klar gemacht, daß ihm also der phänomeno-logisch echte Begriff des Apriori gefehlt hat. Daher konnte er sich das einzigmögliche Ziel einer streng wissenschaftlichen Vernunftkritik nie zueignen, näm-lich das Ziel, die reinen Wesensgesetze zu erforschen., welche die Akteals in tenti onale Erlebnisse nach allen ihren Modis der objektivierenden Sinn-gebung und der erfüllenden Konstitution „wahren Seins" regeln. Nur durchdie einsichtige Erkenntnis dieser Wesensgesetze können alle Fragen des Ver-stehens, die an die „Möglichkeit der Erkenntnis" sinnvoll gestellt werden können,ihre absolut zureichende Antwort finden.

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204 VI Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

Dritter Abschnitt.Aufklärung des einleitenden Problems.

Neuntes Kapitel.

Nichtobjektivierende Akte als scheinbare Bedeutungs-erfüllungen.

§ 67. Daß nicht jedes Bedeuten ein Erkennen einschließt.

Nachdem wir im Zusammenhang mit viel allgemeineren Pro-blemen das Verhältnis zwischen Bedeutung und korrespondierenderAnschauung, und damit zugleich das Wesen des eigentlichen unduneigentlichen Au.sdrückens hinreichend erforscht haben; gelangendie schwierigen Fragen zu völliger Klärung', welche uns am Ein-ginge dieser Untersuchung beunruhigt, und welche für sie dieerste Anregung geboten haben.

Wir werden vor allem der Versuchung nicht mehr unter-liegen können, die ' ein obenl schon berührter und sich in wich-tigen erkenntnistheoretischen Zusammenhängen immer wieder auf-drängender Gedankengang in sich birgt, nämlich daß das Bedeutender Ausdrücke in gewisser. Weise als ein Erkennen, und sogarals ein Klassifizieren angesehen werden müsse. Man sagt: EinAusdruck muß doch irgen' deinem Akt des Sprechenden Ausdruckgeben; damit dieser Akt" aber die passende Redeform finde, mußer in einer zugehörigen Weise apperzipiert, erkannt sein, desNäheren, die Vorstellung als Vorstellung, die Attribution alsAttribution, die Negation als Negation usw.

Wir antworten: Die Rede von der Erkenntnis bezieht sichauf ein Verhältnis zwischen Denkakt und erfüllender Anschauung.Denkakte kommen aber in Aussage und Aussageteilen, z. B. inNamen, nicht dadurch zum Ausdruck, daß sie wiederum gedacht

'Vgl. § 1, 8.8.

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Nichtobjektivierende Akte als scheinbare Bedeutungserfüllungen. 205

und erkannt werden. Sonst wären diese neuen Denkakte dieBedeutungsträger, zunächst wären sie ausgedrückt, bedürften alsowieder neuer Denkakte und so in infinitum. Nenne ich diesenanschaulichen G-egenstand Uhr, so vollziehe ich im Nennen einenDenk- und Erkenntnisakt, aber ich erkenne die Uhr, und nichtdas Erkennen. So verhält es sich natürlich bei allen Iedeutung-verleihenden Akten. Sage ich im Zusammenhang der ausdrücken-den Rede oder, so vollziehe ich eine Disjunktion, aber das Denken(dessen Teil das Disju.ngieren ist) bezieht sich nicht auf das Dis-jungieren, sondern auf das Disjunktivum, so wie es zu der Ein-heit des Sachverhalts gehört. Dieses Disju.nktivum wird erkanntund gegenständlich bezeichnet. Demgemäß ist das Wörtchen oderkein Name und auch keine unselbständige Bezeichnung für dasDisjun.gieren, es gibt diesen Akt _nur kund. Natürlich gilt diesauch von ganzen Urteilen. Sage ,ich aus, so denke ich an dieSachen; daß sich die Sachen so und so verhalten: das drücke ichaus, und eventuell erkenne ich es auch. Nicht aber denke underkenne ich das Urteilen, als ob ich es ebenfalls zum Gegen-stande machen und nun gar als Urteil klassifizieren und durchdie Ausdrucksform nennen würde.

Aber weist nicht die grammatische Anpassung des Ausdrucksan den auszudrückenden Akt auf einen Akt des Erkennens hin,in dem sich diese Anpassung vollzieht? In gewisser Weise sicher-lieh, bzw. in gewissen Fällen, nämlich überall da, wo derjenigeSinn der Rede vom Ausdrücken Anwendung findet, der uns zuBeginn der vorliegenden Untersuchung beschäftigt hat. Nichtaber, wo es sich mit dem Ausdrücken um das bloße Kundgebenhandelt, wonach also jederlei bedeutunggebenden Akte als durchdie Worte — die Wortlaute — ausgedrückt gelten; und abermalsnicht, wo Ausdrücken soviel wie Bedeuten sagt und das Alis-gedrückte die identische Bedeutung ist. Im letzteren doppeltenSinne drückt jede, ob bloß sig.nifikative oder intuitiv erfüllteAussage etwas aus, nämlich das Urteil (die Überzeugung) oderden „Urteilsinhalt" (die identische Satzbedeutung). In dem zu-erst angezeigten Sinne drückt aber nur die intuitiv erfüllte

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206 V.I. Elemente einer phänomen,olog. _Aufklärung der Erkenntnis.

oder zu erfüllende Aussage etwas aus, wobei nicht der Wortlaut,sondern die schon sinnbelebte Rede den „Ausdruck" darstellt fürdie entsprechende Intuition. Die bedeutungverleihende Funktionübt in erster Linie und in jedem Falle die einheitliche Komplexionder an den Worten hängenden signitiven Intentionen. Diesemachen das bloße signitive Urteilen aus, wo es ihnen an jedererfüllenden Anschauung gebricht; die Synthesis der Überein-stimmung oder Nichtübereinstimmung, welche die signitive Ge-samtintention „ ausdrückt" (bzw. auszudrücken . prätendiert), wird.hier nicht „eigentlich" vollzogen, sondern eben nur signitiv ge-nieint. Kommt es andernfalls zu diesem eigentlichen Vollzugeder angezeigten Synthesis, dann deckt sich die „eigentliche" mitder uneigentlichen Synthesis (der Synthesis in der Signifikation):beide sind Eins im identischen intentionalen Wesen, welches dieeine und selbe Bedeutung darstellt, das eine und selbe Urteil,ob nun bloß signitiv oder intuitiv geurteilt wird. Offenbar giltdas Analoge für die Fälle', wo nur einzelne der Wortintentionenmit intuitiver Fülle versehen sind. Die signitiven Akte befassendieselbe Meinung, wie die intuitiven, ohne deren Fülle; sie„drücken" sie bloß „aus", und das Gleichnis paßt um so besser,als sie uns auch nach Wegfall der intuitiven Akte den Sinn derIntuition aufbewahren, als leere Hülle ohne den intuitiven Kern.Die Deckungseinheit ist nun zwar, im Falle intuitiven Urteilens,wirklich Erkenntniseinheit (wenn auch nicht Einheit des beziehen-den Erkennens), aber wir wissen, daß in der Erkenntniseinheitüberhaupt nicht der erfüllende Akt, hier also die „eigentliche"Urteilssynthesis, das Erkannte ist, sondern ihr objektives Korrelatder Sachverhalt. In der Anschauung der Sachen vollziehen wireine urteilende Synthesis, ein intuitives so ist es oder so ist esnicht; dadurch, daß sich diesem Akte der Sachverhaltsanschau-ung die ausdrückende Intention mit den assoziierten Wortlauten.(also der grammatische Ausdruck) anmißt, vollzieht sich das Er-kennen des angeschauten Sachverhalts.

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Nichtokjektivierenden Akte als scheinbare Bedeutungserfüllungen. 207

§ 68. Der Streit um die Interpretation der eigenartigen grammatischenFormen zum Ausdruck nichtobjektivierender Akte.

Wir wenden uns jetzt zur letzten Erwägung der unschein-baren, aber näher besehen, ebenso wichtigen wie schwierigenStreitfragel, ob die bekannten grammatischen Formen, welche dieSprache für Wünsche, Fragen, Willensmeinungen geprägt hat —allgemein zu reden, für Akte, die nicht zur Klasse der objektivie-renden gehören — als Urteile über diese Akte anzusehen sind,oder ob auch diese selbst, und nicht bloß objektivierende Akte,als "ausgedrückte«, d. i. als sinngebende, bzw. sinnerfüllende fungie-ren können. Es handelt sich also um Sätze, wie ist lt eine frans-szendente Zahl? Möge der Bimmel uns beistehen! u. dgl.

Die Verfänglichkeit der Frage zeigt sich darin, daß * die be-deutendsten Logiker seit ARISTOTELES in ihrer Entscheidung nichteinig werden konnten. Bekanntlich hat schon ARISTOTELES gegen.die Gleichstellung solcher Sätze mit den Aussagen Einspruch er-hoben. Aussagen sind Ausdrücke dafür, daß etwas ist oder nichtist, sie behaupten, sie urteilen über etwas. Nur bei ihnen istvon Wahr und Falsch die Rede. Ein Wunsch, eine Frage be-hauptet nichts. Dem Sprechenden kann hier nicht eingewendetwerden: was du sagst, ist falsch. Er würde die Einrede garnicht Verstehen.

BOLZANO wollte diese Argumentation nicht gelten lassen. Ersagte: „Eine Frage, z. B. in welchem Verhältnisse steht der Durch-messer eines Kreises zu seinem Umfange? sagt freilich über das,worüber sie fragt, nichts aus; darum sagt sie aber gleichwohlnoch etwas aus: unser Verlangen nämlich, über den Gegenstand,nach dem wir fragen, eine Belehrung zu erhalten. Sie kann ebenbeides, wahr und falsch sein. Das letztere ist sie, wenn jenesVerlangen durch sie unrichtig angegeben wird. 2

Es regt sich aber der Zweifel, ob BOLZANO hier nicht zweierleidurcheinander mengt, nämlich die Angemessenheit, bzw. Unange-

1 Vgl. oben § 1 ff.2 BoLuisro, Wissenschaftslehre I, § 22, S. 88.

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208 VI. Elementt eine phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

messenheit des Ausdrucks — d. h. hier des Wortlauts — an den Ge-danken, und die Wahrheit, bzw. Falschheit, welche den Inhalt desGedankens und seine Angemessenheit an die Sache betrifft. Vonder Unangemessenheit eines Ausdrucks (als Wortlautes) an den Ge-.danken kann in doppelten Sinne gesprochen werden; entweder im.Sinn der unpassenden Rede — der Redende wählt zum Aus-druck des erfüllenden Gedankens Worte, deren sprachübliche Be-deutung mit diesem streitet — oder im Sinne der unwahrhaftigen,d. i. absichtlich täuschenden, legenhaften Rede: der Redendewill gar nicht die Gedanken ausdrücken, die ihn aktuell erfüllen,sondern gewisse andere, mit diesen streitende und von ihm nurvorgestellte Gedanken; und zwar will er sie in der Weise aus-drücken, als ob sie ihn erfüllten. Die Rede von der Wahrheithat mit dergleichen nichts zu tun. Ein passender und wahrhaftigerAusdruck kann • noch beides, Wahrheit 31nd Falschheit aussagen,je nachdem er -nämlich durch seinen Sinn ausdrückt, was ist,bzvr nicht ist; oder was- dasselbe besagt, - j:e nachdem sein Sinndurch mögliche adäqttate Wahrnehmung adäquat zu erfüllen oderzu enttäuschen iit.

Man könnte BOLZANO nun entgegenhalten: Von Wahrhaftig-keit oder Unwahrhaftigkeit, und überhaupt von Angemessenheitund Unangemessenheit kann bei jedem Ausdruek gleichmäßigdie Rede sein. Von Wahrheit und Unwahrheit aber nur bei Aus-sagen. Dem Aussagenden kann man also Mehrfaches einwenden:Was du sagst, ist unwahr. — Dies ist die sachliche Einrede.Und: Du sprichst nicht wahrhaftig; oder auch: Du drückst dichunpassend 'aus. — Das ist der Einwurf der unwahrhaftigenund der inadäquaten Rede. Dem Fragenden kann man nurEinwände der letzteren Art machen. Er verstellt sich vielleichtoder gebraucht seine Worte unrichtig und sagt anderes, als erwirklich sagen will. Aber man wird ihm nicht die sachlicheEinrede machen, da er eben keine Sache vertritt. Wollte mandie auf Unangemessenheit des Ausdruckes bezügliche Einrede alsBeweis dafür gelten lassen, daß der Fragesatz ein Urteil aussage,nämlich das Urteil, welches sich vollständig in der Form aus-

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Nichtobjektivierende Akte als scheinbare Bedeutungserfüllungen. 209

drücken würde, ich frage ob . . ., so müßte man konsequenter-weise mit jedem Ausdruck überhaupt imgleichen verfahren, alsoauch bei jeder beliebigen Aussage als ihren eigentlichen Sinn denunterlegen, welcher in der Redeform, ich sage aus, daß.. . ., seinen.angemessenen Ausdruck fände. Dasselbe müßte aber für die um-gewandelten Reden gelten, und so kämen wir auf unendlicheRegresse; dabei ist leicht einzusehen, daß der Schwall immerneuer Aussagen kein bloßer Wortschwall ist, vielmehr modifizierteAussagen liefert, die mit den ursprünglichen nicht äquivalent, ge-schweige denn bedeatungsidentisch sind. — Zwingt uns die wider-sinnige Konsequenz also nicht, zwischen den einen und anderenSatzformen einen wesentlichen Unterschied anzuerkennen?'

Hier kann man aber noch eine doppelte Stellung einnehmen.Entweder man sagt: Die Frage nach der Wahrhaftigkeit trifft jedeRede; also gehört zu jeder Rede als solcher ein Urteil, nämlichdas auf das kundzugebende Erlebnis des Sprechenden bezügliche.Wer spricht, gibt etwas kund, und dein entspricht das kund-gebende Urteil. Aber was kundgegeben oder ausgedrückt wird,ist ein Verschiedenes; im Fragesratz die Frage, im Befehlsatz derBefehl, im Aussagesatz das Urteil. Jeder Aussagesatz impliziertdanach ein doppeltes Urteil, nämlich ein Urteil über diesenoder jenen Sachverhalt, und ein zweites Urteil, welches derRedende als solcher über dieses Urteil als sein Erlebnis fällt.

Dies scheint SIGWARTS Position zu sein. Wir lesen 2 „DerImperativ schließt allerdings auch eine Behauptung ein, nämlichdie, daß der Redende die von ihm geforderte Handlung jetzt eben •will, der Optativ, daß er das Ausgesprochene wünscht. DieseBehauptung liegt aber in der Tatsache des Redens, nicht indem Inhalt des Ausgesprochenen: ebenso enthält ja auch jederAussagesatz von der Form A ist B bloß durch die Tatsache desRedens die Behauptung, daß der Redende das denkt und glaubt,

1 Wie dieser Unterschied in Wahrheit zu fassen ist, darüber wird unsder nächste Paragraph (vgl. den Schlußabsatz) belehren.

2 SIGWÄRT, Logik, It ., 17f., Anm.14

Hu ss erl , Log. Unters. II.

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210 VI. Elemente einer phänornenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

was er sagt. Diese Behauptungen über den subjektivenZustand des Redenden, welche in der Tatsache seinesRedens liegen und unter Voraussetzung seiner Wahrhaftigkeitgültig sind, begleiten in gleicher Weise alles Reden undkönnen also keinen Unterschied der verschiedenen Sätze begründen."

Eine andere Auffassung wäre aber die, das man das kund-gebende Urteil und somit die Urteilsverdoppelung im Falle desAussagesatzes als eine zufällige, nur ausnahmsweise herein-spielende und im übrigen erst durch die deskriptive Reflexionhineingetragene Komplikation verwirft, und demgegenüber lehrt:in. jedem Falle angemessener und nicht gelegenheitlich verkürzterRede sei das Ausgedrückte wesentlich Eines, und zwar im Frage-satz die Frage, im Wunschsatz der Wunsch, im Aussagesatz dasUrteil. Diese Stellung hielt ich sellc;st vor der Durchführungdieser Untersuchungen für unvermeidlich, so schwer sie mitanderen phänomenologischen Tatsachen vereinbar erschien. Durch.folgende Argumentationen, die ich nun mit passender Kritik be-gleite, hielt ich mich für gebunden.

§ 69. Argumente für und wider die ARMTOTELISCHE Auffassung.

1. Nach der von ARISTOTELES sich abwendenden Lehre sollz. B., wer eine Frage äußert, dem andern seinen Wunsch, inbetreff iles fraglichen Sachverhaltes belehrt zu werden, mitteilen..Diese auf das aktuelle Erlebnis des Redenden bezügliche Mit-teijung ist, sagt man, wie jede Mitteilung eine Aussage. Nun istin der Frageform selbst allerdings nicht ausdrücklich gesagt: ichfrage, ob . . .; sie kennzeichnet nur die Frage als Frage. DieRede ist eben eine gelegenheitlich verkürzte. Die Umstände derÄußerung machen es ja ohne weiteres verständlich, daß derRedende selbst es ist, der da fragt Also liegt die volle Bedeu-tung des Satzes nicht .in dem, wa$ er selbst nach seinem Wort-laute bedeutet, sondern sie ist durch die Gelegenheit, nämlichdurch die Beziehung zur augenblicklich redenden Person bestimmt

Zugunsten der Aristotelischen Auffassung ließe sich nunMehrfaches erwidern.

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Nichtobjektivierende Akte als scheinbare Bedeutungserfüllungen. 211-

et) Das Argument würde doch nicht minder auf Aussagesätzepassen; also müßten wir den Ausdruck S ist P als gelegenheit-liehe Verkürzung für den neuen Ausdruck, ich urteile, daß S Pist, interpretieren, und so in infinitum.

/9) Das Argument stützt sich darauf, daß der ausdrücklicheSinn des Fragesatzes ein anderer ist als der wirkliche. Es kannja auch nicht geleugnet werden, daß sich im Frage- und Wunsch-satz selbst die Beziehung des Wunsches zum Wünschenden nichtnotwendig ausprägt, so wenig, wie im Aussagesatz die Beziehungdes Urteils zum Urteilenden. Liegt aber diese Beziehung nichtim ausdrücklichen Sinn des Satzes, sondern nur im gelegenheitlichwechselnden, so ist schon so viel zugestanden, als man wünschenkönnte. Unter Umständen kann sich die ausdrückliche Bedeutungmodifizieren, aber es wird doch auch Umstände geben, unterdenen die ausdrückliche Bedeutung genau die intendierte ist.Dann ist eben die bloße Frage (und ebenso die bloße Bitte, derbloße Befehl usw.) in vollständig angemessener Weise ausgedrückt.

y) Für die Aristotelische Auffassung spricht der genauer durch-geführte Vergleich mit den normalen Aussagesätzela. In kom-munikativer Rede gibt ein solcher Satz ein Urteilen kund, und.die grammatische Form des .Aussagesatzes ist es, welche das Ur-teil als solches zur Ausprägung bringt. Daher ist mit der .Äuße-rung einer Rede von solcher grammatischen Form ohne weiteresdie Wirkung v•erknüpft, daß der Angeredete den Redenden alsUrteilenden auffaßt. Aber diese Wirkung kann nicht die Bedeu-tung des Ausdrucks konstituieren, da er doch in der einsamenRede dasselbe bedeutet, wie in der kommunikativen. Die Be-deutung liegt vielmehr im Uiteilsakt als der identische Urteils-inhalt

Dasselbe wird nun von den Fragesätzen gelten können. DieBedeutung des Fragesatzes bleibt dieselbe, ob es sich um eineinnerliche Frage oder um eine Anfrage handelt. Die Beziehungzum Redenden und 'Angeredeten gehört hier, wie im Vergleichs-fall, zur bloß kommunikativen Funktion. Und wie dort der

»Urteilsin.halta, also ein gewisser spezifischer Charakter des in-14*

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212 VI Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

haltlich so und so bestimmten Urteils, so macht hier der Frage-inhalt die Bedeutung des Fragesatzes aus. In beiden Fällen kanndie normale Bedeutung gelegenheitliche Modifikation erfahren. Wirkönnen einen Aussagesatz aussprechen, während es nicht unsereprimäre Intention ist, den bezüglichen Sachverhalt, sondern dieTatsache, daß wir diese Überzeugung haben und zu vertretengedenken, zur Mitteilung zu bringen. Diese Intention mag, viel-leicht durch heterogrammatische Mittel (Betonung, Geste) unter-stützt, verstanden werden. Hier liegt ein auf das ausdrücklicheUrteil bezogenes Urteil zugrunde. Ebenso kann die primäre-In-tention im Falle eines Frage- oder Wunschsatzes statt im bloßenWunsch, vielmehr in der Tatsache, daß wir den Wunsch demHörenden zum Ausdruck bringen wollen, liegen. Natürlich wirddiese Interpretation nicht überall zutreffen können. Sie kannnicht zutreffen in Fällen, wo z. B. ein heißer Wunsch sich spontandem Herzen entringt. Der Ausdruck ist dann mit dem Wunschinnig eins, er schmiegt sich ihm schlicht und unmittelbar an.

Kritik. — Sehen wir näher zu, so ist durch diese Argumen-tationen nur erwiesen, daß nicht zum Sinn jedes Satzes ein Ge-danke gehören kann, der auf das kommunikative Verhältnis Be-ziehung hat. Das Gegenargument, das sich auf der falschenAnnahme aufbaut, jeder Ausdruck sei eine Mitteilung, und jedeMitteilung sei ein Urteil über die inneren (kundgegebenen) Er-lebnisse des Sprechenden, ist widerlegt. Nicht aber seine These —zum mindesten nicht bei passender Modifikation. Die Möglichkeitist nicht ausgeschlossen, daß die strittigen Sätze, die Wunsch-,Bitt-, Befehlsätze usw. darum doch Urteile über die betreffendenErlebnisse, die Akte des Wünschens, Bittens, Wollens sind undnur dadurch, daß sie es sind, die diesen Erlebnissen angemessenenAusdruck zu geben vermögen. Findet sich kein Raum für Ur-teile im engeren Sinne von Frädikationen (wofür ARISTOTELES diestrittigen Sätze allerdings ansah), so vielleicht für Urteile imweiteren Sinn von setzenden Objektivationen überhaupt.

Zu Punkt a) merken wir noch an, daß die Sachlage für Aus-sagen und z.B. Fragen denn doch nicht dieselbe ist. Bei der

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N-ichtobjektivierencle A.kte als scheinbare Bedeutungserfüllungen. 213

Umwandlung des Satzes S ist P in den Satz ich urteile, daßS .P ist, oder in irgendeinen verwandten Satz, der die Beziehungauf einen Urteilenden noch so unbestimmt ausdrückt, erhaltenwir nicht bloß geänderte Bedeutungen, sondern solche, die denursprünglichen nicht einmal äquivalent sind; denn der schlichteSatz kann wahr, der subjektivierte falsch sein, und umgekehrt.Ganz anders im Vergleichsfalle. Mag man in ihm von Wahr undFalsch zu reden ablehnen: man wird doch immer eine Aussagefinden, die » wesentlich dasselbe besagt", wie die ursprüng-liche Frage-, 'Wunschform u. dgl., z. B. Ist S P? ich wünscheoder fnan wünscht zu wissen, ob S P .sei usw. Sollte in der-artigen Satzformen also nicht doch eine Beziehung,. wenn. aucheine unbestimmte oder nur nebenbei mitbedeutete Beziehung zu.dem Redenden impliziert sein? Weist die Erhaltung der „wesent-lichen Meinung te bei den Umwandlungen in Aussagesätze nichtdarauf hin, daß die bedeutunggebenclen Akte mindestens zur selbenKlasse wie die Urteile gehören müssen? Und dadurch wird sichauch Punkt /3) erledigen; es wird eben nicht das bloße Wunsch-oder ViTillenserlebnis, sondern die innere Anschauung davon (unddie ihr angepaßte Signifikation) für die Bedeutung in Frage kom-men. — Doch eben diese Auffassung berührt das nächste Argument:

2. Noch in anderer Weise könnte man versuchen, die frag-lichen Ausdrucksformen als Urteile zu interpretieren. Indem wireinen Wunsch aussprechen, sei es auch in einsamer Rede, fassenwir ihn und den erwünschten Inhalt in Worte, stellen ihn undwas ihn konstituiert, also vor. Der Wunsch ist aber nicht einbeliebiger bloß vorgestellter, vielmehr der soeben wahrgenommene,der lebendige Wunsch. Und von ihm wollen wir als solchemKunde geben. Folglich kommt nicht die bloße Vorstellung, son-dern die innere Wahrnehmung — demnach wirklich ein Urteil— zum Ausdruck. Es ist freilich nicht ein Urteil von der Artder gewöhnlichen Aussagen, die prädikativ über irgendetwasaussagen. Im Wunschausdruck handelt es sich auch nur darum,in schlichter Setzung das innerlich wahrgenommene Erlebnis be-grifflich bedeutungsmäßig) zu fassen und sein schlichtes Dasein

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auszuprägen; nicht aber darum, eine beziehende Prädikation überdas Erlebnis zu vollziehen, welche es zum erlebenden Subjekt inBeziehung setzte. —

Gegen diese Auffassung erhebt sich der Einwand, daß dieSachlage für die ausgesagten Urteile genau dieselbe ist, wie füralle anderen ausdrücklichen Erlebnisse. Indem wir aussagen,urteilen wir; und in Worte fassen. wir nicht nur die dem Ur-teile zugrunde liegenden Vorstellungen, sondern auch das Urteilselbst (nämlich in der Form der Aussage). So müßten wir auchliier schließen: es sei das Urteil innerlich wahrgenommen, unddie Bedeutung der Aussage liege in dem schlicht setzenden Urteileüber dieses Wahrgenommene, das ist über das Urteil. Wirdniemand im Falle der Aussage diese Auffassung annehmbar finden,so kann sie auch nicht im Falle der übrigen selbständigen Sätzeernstlich in Frage kommen. Wir erinnern uns an das im letztenParagraphen Ausgeführte. Die Ausdrücke, welche sich an dieausgedrückten Erlebnisse anschliegen, können sich auf sie nichtals Namen, oder analog wie Namen beziehen: als ob die •Erleb-nisse erst gegenständlich vorgestellt und dann unter Begriffegebracht 'würden, als ob daher mit jedem neu eintretenden Wortauch eine Subsumption und Prädikation statthätte. Wer urteilt,daß Gold gelb ist, urteilt nicht, daß die Vorstellung, die er zu-sammen mit dem Worte Gold hat, Gold sei; er urteilt nicht, daßdie Urteilsweise, die er beim Wörtchen ist vollzieht, • unter denBegriff des ist falle usw. In Wahrheit ist das ist kein Wort-zeichen für das Urteil, sondern ein Zeichen des Seins, das zumSachverhalte gehört. Und 'wieder ist Gold kein Name für einVorstellungserlebnis, sondern Name für ein Metall. Ausdrückesind Namen für Erlebnisse nur da, wo die Erlebnisse in der Re-flexion zu Gegenständen der Vorstellung, bzw. Beurteilungwerden. Dasselbe gilt für alle, auch für die synkategorematisclien.Worte mit Beziehung auf das Gegenständliche, das sie nach ihrerArt zeichnen, wenn auch nicht als Namen nennen.

Also zu dem Akte, der uns jeweils ausfüllt, in dem wir leben,ohne ihn reflätiv zti beurteilen, tritt der Ausdruck nicht in der

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Richtobjektivierende Akte als scheinbare Bedeutungserfüllungen. 215 ................ _

Weise einer nominalen Signatur hinzu; vielmlir gehört der Aus-druck zum konkreten Bestande des Aktes selbst. Ausdrücklichurteilen ist urteilen, ausdrücklich wünschen ist wünschen. EinUrteil oder einen Wunsch nennen, ist nicht urteilen oder wünschen,sondern eben nennen. Das genannte Urteil braucht vom Nennen-den nie geurteilt, der genannte Wunsch von ihm nie gewünschtzu sein. Und auch im gegenteiligen Falle ist die Nennungnicht Ausdruck des Urteils, bzw. Wunsches, sondern Ausdruckeiner darauf bezüglichen Vorstellung.

Kritik. — Auch dieser Einwand legt die Schwäche der Tor-aueeschickten und zunächst so naheliegenden Argumentation bloß.Es ist nach demselben, wie schon nach unseren früheren Über-legungen sicher, daß nicht jeder Ausdruck als solcher ein Urteiloder einen sonstigen, das kundgegebene Erlebnis zum Gegenstand°machenden Akt voraussetzt. Aber wieder ist damit die Theseselbst nicht widerlegt, es ist nicht bewiesen, daß nicht gerade diestrittigen Satzformen doch Urteile über die jeweiligen Wunsch-,Frage-, Bitterlebnisse sind, bzw. Ausdrücke ihres schlichten Da-seins im Sprechenden. Gewiß, einen Wunsch nennen, ist darumnoch nicht wünschen; ist einen Wunsch erleben und in einsdamit ihn nennen, nicht doch auch wünschen? Also selbstwenn ausdrücklich wünschen notwendig ein nennendes oder aus-sagendes Wünschen ist, gilt der Satz, daß ausdrücklich wünscheneben wünschen und nicht bloßes nennen ist.

3. Die strittigen Ausdrücke haben die Form von Sätzen undunter Umständen auch die von kategorischen Sätzen mit Subjektund Prädikat. Schon daraus geht hervor, daß man sie auch in-haltlich als Prädikationen fassen kann, und zwar nicht gerade alsPrädikationen in bezug auf immer dasselbe, aber verschwiegeneSubjekt Ich. Z. B. Gott möge den Kaiser schützen. Franz solltesich schonen. Der Kutscher soll anspannen. Ein Mögen oderSollen wird ausgesagt, das betreffende Subjekt wird als untereiner Forderung oder Verpflichtung stehend aufgefaßt.

Man könnte hier erwidern: Wo das Sollen als objektives Prä-dikat gilt und als solches in der Tat beigelegt wird, da hat der

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216 VI. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

Sollensatz nicht die Bedeutung eines Wunsches oder Befehls,' oderer hat nicht dies allein. Eine objektive Verpflichtung kann ja alsgeltend ausgesagt werden, ohne daß der Aussagende selbst einenAkt von der Art zu erleben brauchte, welche das aktuelle Be-wußtsein der Verpflichtung ausmacht. Weiß ich den Willen einerPerson durch ihr Dienstverhältnis oder durch Sitte und Sitt-lichkeit gebunden, so kann ich urteilen, daß sie irgendetwastun soll und muß. Aber damit drücke ich kein lebendigesWünschen, Begehren oder Sollen aus. Freilich können Sollens-Aussagen in gelegenheitlicher Funktion auch dazu dienen, der-artige Akte auszudrücken, z. B. Johann soll anspannen! Es istklar, daß hier nicht bloß die objektive Verpflichtung, sondern meinWille ausgedrückt ist. In den Worten selbst kommt er nicht zum.Ausdruck, wohl aber durch den Ton und die Umstände. Un-zweifelhaft surrogiert die prädikative Form unter solchen Um-ständen sehr oft für die Wunsch- oder Befehlsform, d. h. die Sollens-Pridikation., die im Wortlaut liegt, wird gar nicht vollzogen oderwird zur Nebensache. Schließlich ist es auch unverkennbar, daßdie prädikative Interpretation auch nur in einigen Fällen einenAnschein hat. Sicher nicht bei Fragen, wie denn B. ERMANN,

der ihr sonst zuneigt, sie bei den Fragen nicht empfohlen hat.1

Kritik. — Es ist fraglich, ob diese Widerlegung überhauptausreicht. Daß das Sollenprädikat häufig einen objektiven Sinnund Wert hat, ist unzweifelhaft; daß aber, wo dies nicht statt-'hat, auch nichts prädiziert und jedenfalls nicht geurteilt werde,ist keineswegs erwiesen. Man könnte sagen: wenn wir an jeman-den einen Befehl richten, z. B. an den Kutscher Johann, daß eranspannen soll, so gilt er uns als ein unserem Willen Unter-stehender, als solcher wird er von uns aufgefaßt und demgemäßin der Ausdrucksform angesprochen. Wir sagen: Johann, spannean! Als Anspannen-Sollender ist er hier prädiziert, und natürlichist er es " in der Erwartung entsprechender praktischer Erfolge,und nicht in Absicht auf die bloße Feststellung dieser Tatsache,

1 Vgl. 13. ERDIUNIT, Logik P, § 45, S. 271ff.

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Nichtobjektivierende Akte als scheinbare Bedeutungserfüllungen. 217

daß er als ein solcher mir gilt. Der Ausdruck des Befehls istein relativer. Wir können niemanden als Befohlenen vorstellen,ohne einen Befehlenden, Sei es in bestimmter oder unbestimmterWeise mitvorzustellen.. Wo wir selbst befehlen, fassen wir unsals Befehlende auf. Es bedarf aber hierfür, als einer Selbstver-ständlichkeit, keines expliziten Ausdrucks. Statt der umständ-lichen Form ich befehle. gebrauchen wir den kurzen, durchseine Form auf das kommunikative Verhältnis hinweisenden Im-,perativ. Die Redeform mit Sollen (und Müssen) wird ursprüng-lich nicht vom Befehlenden in der aktuellen zu dem (ihm gegen-über stehenden) Befohlenen, sondern überall da gebraucht, woes auf einen mehr objektiven Ausdruck eigener oder fremderWillensmeinung ankommt; so z. B. von dritten, den Befehl über-mittelnden Personen, oder als Ausdruck des legislatorischenWillens im Gesetz. Außerhalb der Kommunikation zwischen Be-fehlshaber und Befehlsempfänger verliert eben der Imperativ,welcher dabei der Bewußtseinssituation der ersteren angepaßt ist,seine Anwendbarkeit. Diese Auffassung läßt sich überall durch-führen. Man wird sagen: im Optativ wird das Erwünschte alserwünscht voc rgestellt, genannt und dann jedenfalls ausgesagt.Ebenso in der Bittform das Erbetene ,als erbeten, in der Frageform.das Erfragte als erfragt usw. Diese Akte werden vorstellungs-mäßig zu ihren intentionalen Gegenständen in Beziehung gesetzt,und so als Reflexionsprädikate an ihnen selbst gegenständlich.

Im kommunikativen Verhältnis haben, wie die Befehle, somanche anderen der fraglichen Ausdrücke die Funktion, in derWeise wesentlich okkasioneller Ausdrücke dem Hörenden zusagen, daß der Redende die kundgegebenen Akte (der Bitte, desGlückwunsches, des Beileides usw.) in intentionaler Beziehungauf ihn, den Hörenden, vollziehe. Soweit auch jederlei Ausdrückevon dem Wunsche, sich mit ihnen dem anderen mitzuteilen, ihmvon den eigenen Überzeugungen, Zweifeln, Hoffnungen usw.Kenntnis zu geben, vollbewußt getragen sein können, sind sieev. alle von Akten der Reflexion auf diese inneren Erlebnissebegleitet und, näher, von. Akten ihrer, sie auf das Ich und auf

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218 71, Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis..,

die angeredete Person beziehenden Anschauung. Dies gilt alsoauch von kommunikativen Aussagen. Darum gehören diese Akteder Reflexion und Beziehung noch nicht zur Bedeutung der Aus-sage und aller sonstigen Ausdrücke überhaupt; aber sehr wohl istdies von den Ausdrücken der strittigen Klasse zu sagen, als welchesie durchaus auf innere Erlebnisse des Sprechenden gerichtet sind.

Im einsamen Seelenleben entfällt (von den Ausnahmsfällen.des zu sich selbst Redens, sich .selbst Fragens, Wünschens, Be-fehlens abzusehen) die Beziehung zum Angeredeten, und die be-treffenden subjektiven Ausdrücke, die dann noch anwendbar sind.,werden zu Ausdrücken des schlichten Seins der inneren Erleb-nisse mit mehr oder minder deutlicher Beziehung auf das Ich.Die monologische Frage besagt entweder: ich frage (mich) , ob . . :,

oder es entfällt die Rücksicht auf das Ich wohl ganz; der Frage-ausdruck wird bloßer Name, oder im Grunde genommen nichteinmal das. Denn die normale Funktion weist dem Namen eineStelle in einer prädikativen oder attributiven Beziehung an, wo-von hier aber keine Rede ist. Indem der Ausdrück 'sich in derWeise einer Erkenntnis mit dem angeschauten inneren Erlebnisin Eins setzt, erwächst eine Komplexion, die den Charakter einesin sich geschlossenen Phänomens hat. Sofern in dieser Kom-plexion die Frage der Akt ist, in dem wir vorzugsweise leben.,.während der Ausdruck sich ihm nur als besagender, ihn artiku-lierender anschmiegt, nennen wir die ganze Komplexion eineFrage. Die Erkenntnis fungiert hier nicht theoretisch — das tutsie nur in der Prädikation, ' während hier nicht prädiziert, dieFrage zwar erkannt und ausgedrückt, aber nicht subjiziert, nichtzum Subjekt oder Objekt von prädikativen Akten gemacht wird.Offenbar ist dieser direkt ausprägende Sinn des Fragesatzes Be-stan.dstück des prädikativen Fragesatzes, bzw. der den geändertenUmständen entsprechenden Bedeutung.

§ 70. Entscheidung.

Versteht man unter Urteilen Prädikationen., so sind, nachdiesen tTberlegun.gen, die strittigen Sätze nicht in allen Fällen

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.Nichtobjektivierende Akte als scheinbare Bedeutungserfüllungen. 219

Ausdrücke von Urteilen. Gleichwohl trennt uns auch indiesen Fällen eine unüberbrückbare Kluft von den sich anARISTOTELES anschließenden Logikern. Nach ihnen wären Namen,Aussagen, Wunschsätze, Fragesätze, Befehle usw. gleichgeord-nete Ausdrucksformen, und zwar in folgendem Sinne: Namengeben Vorstellungen Ausdruck, Aussagen Urteilen, WunschsätzeWünschen usw. Als bedeutungverleihende Akte können in ge-nau gleicher Weise Vorstellungen, Urteile, Wünsche, Fragen usw.fungieren, kurzum Akte jeder Art; denn Akten Ausdruck gebenheißt hier überall dasselbe, nämlich in diesen Akten seine Be-deutung finden. Wir hingegen finden im Vergleich der Namenund Aussagen mit den Ausdrücken der strittigen Gruppe einenfundamentalen Unterschied darin, daß die in Namen undAussagen „ausgedrückten" Akte des Vorstellens, bzw. Urteilens,zwar bedeutunggebend (bzw. bedeutungerfüllend), aber darum eben.nicht bedeutet, daß sie im Nennen und Prädizieren nicht gegen-ständlich, sondern Gegenstände konstituierend sind. Auf deranderen Seite und im geraden Gegensatz dazu finden wir bei allden umstrittenen Ausdrücken, daß uns die „ausgedrückten" Akte,obschon sie angeblich bedeutunggebend sind, gegenständlichwerden. Dies aber geschieht, wie wir erizann.ten, einerseits ver-möge innerer Anschauungen, die sich reflektiv auf diese Akterichten, und zumeist auch vermöge beziehender Akte, die indiesen Anschauungen fundiert sind; und andererseits vermögegewisser, eventuell nur teilweise ausgesprochener Signifikationen,welche sich den inneren Anschauungen und Beziehungen in derWeise des Erkennens anschmiegen, so daß deren Gegenstände,also die Akte des Fragens, Wünschens, Befehlens usw. zu ge-nannten und sonstwie besagten Gegenständen, eventuell zu Be-standstücken prädizierter Sachverhalte werden. In diesen objekti-vierenden Akten liegen nun die wahren Bedeutungen der strittigenAusdrücke. Nicht handelt es sich bei ihnen um bedeutungver-leihende Akte v on fundamental neuen Gattungen; vielmehr umzufällige Besonderungen der einen und einzigen Gattung Bedeu-tungsintention, Und ebenso gehören die bedeutungerfüllenden

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220 VI. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.

Akte nicht zu verschiedenen Gattungen, vielmehr zu der einenund einzigen Gattung Anschauung. Nicht sind die Wünsche,Befehle u. dgl. selbst durch die grammatischen Gebilde und ihreSignifikationen ausgedrückt, sondern die Anschauungen vondiesen Akten sind es, welche als Erfüllungen. dienen. Wenn wir.A.ussagesatz und 'Wunschsatz vergleichen, dürfen wir nicht Ur-teil und Wunsch einander koordinieren, sondern Sachverhaltund Wunsch.

Demnach ergibt sich das Resultat:Die angeblichen Ausdrücke nichtobjektivieren der

Akte sind praktisch, und zumal kommunikativ, überauswichtige, im übrigen zufällige Besonderungen von Aus-sagen oder sonstigen Ausdrücken objektivierender Akte.

Darin liegt aber die fundamentale Wichtigkeit der behandeltenStreitfrage, daß es von ihrer Entscheidung abhängt, ob man dieLehre vertreten könne: 4alles Bedeuten in Intention und Er-füllung sei von. Einer Gattung — nämlich von der Gattung oll= .

jektivierender Akte mit ihrer fundamentalen Sonderung in signi-likative und intuitive Akte — oder ob man sich vielmehr dazuentschließen müsse, Akte jeder Gattung als bedeutunggebende,bzw. -erfüllende zuzulassen. Und abermals wird diese Streitfragevon nicht geringer Bedeutung dadurch, daß sie zu allererst aufdie fundamentale Dreifältigkeit der äquivoken Rede von ausge-drückten Akten aufmerksam macht, mit deren Analyse die vor-liegende Untersuchung eingesetzt hat. 1 Danach können unter„ausgedrückten Akten" gemeint sein:

1. Die signifikativen. Akte, welche dem Ausdruck über 7

haupt Bedeutung verleihen und in ihrer signifikativen Weise eine-gewisse Gegenständlichkeit meinen.

2. Die intuitiven Akte, welche öfters die signifikative .Meinung des Ausdrucks erfüllen, also die signifikativ gemeintenGegenstände intuitiv, und zwar in einem gleichen intuitiven„Sinne" vergegenwärtigen.

1 Vgl. § 2, oben S. 101.

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Akte als scheinbare Bedeutungserfeillungen. 221

3. Die Akte, welche in jedem Falle wo ein Ausdruck dieeigenen momentanen Erlebnisse des Sprechenden aus-drückt (so. im zweiten Sinne), die Gegenstände der Signifikationund zugleich Intuition sind. Gehören diese Akte nicht zu denobjektivierenden, so können sie ihrer Natur nach niemals in densub. 1 und 2 bezeichneten Funktionen stehen.

Der Grund aller Schwierigkeit liegt aber darin, daß in derdirekten Anwendung der Ausdrücke, bzw. ausdrückenden Akte,auf die intuitiv erfaßten inneren Erlebnisse, die signifikativenAkte durch die ihnen zugehörigen inneren Anschauungen voll-ständig erfüllt, also die beiden aufs innigste verschmolzen sind,während zugleich die Anschauungen, als innere, in der schlichtenPräsentation der bedeuteten Akte aufgehen.

Schließlich sei noch angemerkt, daß der oben gegen BoLzirroangewendete Unterschied — ob nur die subjektive Einrede(die auf Wahrhaftigkeit oder Angemessenheit des Ausdrucks be-zügliche) gemacht werden könne, oder auch die sachlich-e Ein-rede (welche auf objektive Wahrheit und Falschheit seht) — ge-nau besehen mit der hier strittigen Frage nicht wesentlich zu-sammenhängt. Denn er betrifft ganz allgemein den Unterschiedzwischen Ausdrücken, die sich auf die eigenen, intuitiv erfaßtenAkterlebnisse beziehen, und solchen, die es nicht tun. Von denErsteren sind aber viele ganz unbestrittene Prädik -ationen. Soalle Aussagen der Form ich frage ob . . ., ich befehle oder wünsche,da ß . . u. dgl. Und wohlgemerkt: auch bei den so formuliertensubjektiven Urteilen kann keine sachliche Einrede gemacht werden.Sie sind zwar wahr oder falsch, aber -Wahrheit fällt hiermit Wahrhaftigkeit zusammen. Bei anderen Aussagen, dieauf "Objektives (' gehen (d. i. nicht auf das sich aussprechendeSubjekt und seine Erlebnisse), betrifft die sachliche Frage dieBedeutung; die Frage der Wahrhaftigkeit hängt aber mit derMöglichkeit scheinbaren Aussagens zusammen, -wobei der eigent-liche und normale Akt des Bedeutens fehlt. Es wird gar nichtgeurteilt, sondern die Aussagebedeutung im Zusammenhang einerTäuschungsintention vorgestellt.

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Beilage.

Äußere und innere Wahrnehmung. Physische undpsychische Phänomen.e.

1.

nie Begriffe äußere und Selbstwahrnehmung, sinnliche undinnere Wahrnehmung haben für den naiven Menschen folgendenGehalt. Äußere Wahrnehmung Ist die Wahrnehmung vonäußeren Dingen, ihren Beschaffenheiten und Verhältnissen, ihrenVeränderungen und Wechselwirkungen. Selbstwahrnehmungist die Wahrnehmung, die jeder von seinem eigenen Ich unddessen Eigenschaften, Zuständen, Betätigungen haben kann. Aufdie Frage, wer denn dieses wahrgenommene Ich sei, würde dernaive Mensch durch den Hinweis auf seine körperliche Erschei-nung, durch Aufzählung seiner vergangenen und gegenwärtigenErlebnisse antworten. Auf die weitere Frage, ob denn all dasin der Selbstwahrnehmung mitwahrgenommen sei, würde er natür-lich antworten, daß ganz so, wie das wahrgenommene Außendingviele Eigenschaften habe und im Flusse der Veränderungen ge-habt habe, die augenblicklich nicht "in die Wahrnehmung fallen",so auch für das wahrgenommene Ich das Entsprechende gelte.In die wechselnden Akte der Selbstwahrnehmung fielen vomIch je nach Umständen diese oder jene Vorstellungen, Gefühle,Wünsche, leibliche Betätigungen u. dgl., wie z. B. vom Hause balddas Äußere oder Innere, bald diese oder jene Seiten und Teilein die äußere Wahrnehmung fallen. Selbstverständlich-sei darum.doch das Ich im einen, das Haus im anderen Falle der wahr-genommene Gegenstand.

Page 236: Husserl Logische Untersuchungen 22 1921

Äui und innere Wahrnehmung usw. 223

Für den naiven Menschen koinzidiert das zweite Begriffspaar,das der sinnlichen und inneren Wahrnehmung nicht ganzmit dem eben erörterten, dem der äußeren und Selbstwahrnehmung.Sinnlich wahrgenommen ist, was durch Auge und Ohr, Geruchund Geschmack, kurz durch die Sinnesorgane wahrgenommen ist.In diesen Bereich gehören für jedermann nicht bloß die äußerenDinge, sondern auch der eigene Leib und die eigenen leiblichenBetätigungen, wie Gehen und Essen, Sehen und Hören. Anderer-seits werden als innerlich wahrgenommen hauptsächlich die »geisti-gen" Erlebnisse, wie Denken, Fühlen, Wollen bezeichnet, des-gleichen freilich auch alles, was wie diese, in das Innere desKörpers lokalisiert und nicht auf die Außenorgane bezogen wird.

Im philosophischen Sprachgebrauch geben beiderlei Termini —gewöhnlich bevorzugt man das Paar „innere und äußere Wahr-nehmung" — nur Einem Begriffspaare Ausdruck. NachdemDESCARTES mens und corpus schroff getrennt hatte, führte LOCKEunter dem Titel sensation, und reflexion die beiden entsprechendenWahrnehmungsklassen in die neuere Philosophie ein. DieseScheidung ist bis heute bestimmend geblieben. Die äußere Wahr-nehmung ist nach Loorz unsere Wahrnehmung von Körpern, dieinnere die Wahrnehmung, die unser »Geist" oder die „Seele" vonden eigenen Betätigungen (es sind die cogitationes im CARTESIANiSCIIEN

Sinn) besitzt. So ist eine Scheidung der Wahrnehmungenbestimmt durch die Scheidung der Wahrnehmungsobjekte.Ihr wird zugleich ein Unterschied in der Entstehungsweisezugeordnet Im einen Fall erwächst dite Wahrnehmung aus den.Wirkungen, welche die physischen Dinge mittelst der Sinnes-organe auf den Geist ausüben; im anderen Falle aus der Reflexionauf die Betätigungen, die der Geist auf Grund der bereits durchSensation gewonnenen „Ideen" vollzieht.

In der neuesten Zeit hat man sich um eine angemesseneModifikation und Vertiefung der sichtlich rohen und vagen Be-stimmungen LOCKES viel bemüht.

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224 Beilage: Äußere und innere Wahrnehmung.

Dazu trieben einerseits allgemeine erkenntnistheore-tischeInteressen. Wir erinnern an die althergebrachte Schätzungdes rejativen Erkenntniswertes der beiden Wahrnehmungsarten:die äußere Wahrnehmung ist trügerisch, die innereevident In dieser Evidenz liegt einer der Grundpfeiler der Er-kenntnis, an welchem die Skepsis nicht rütteln kann. Die innereWahrnehmung ist auch die einzige, in der dem Wahrnehmungs-akte sein Objekt, und wahrhaft, entspricht, ja ihm innewohnt Sieist also, prägnant gesprochen, die einzige Wahrnehmung, die ihrenNamen verdient — Im Interesse der Virahrnehmungstheorie mußtealso das Wesen der inneren im Unterschied von der äußerenWahrnehmung genauer erforscht werden.

Andererseits kamen psychologische Interessen in Be-tracht Es handelte sich um die vielumstrittene Fixierungder Domäne der empirischen Psychologie, zumal um denNachweis ihrer Eigenberechtigung gegenüber den Wissenschaften.von der Natur, durch Absteckung eines ihr eigentümlichen Ge-bietes von Phänomenen. Schon die erkenntnistheoretische Stellung,welche man der Psychologie als der philosophischen Fundamental-disziplin einzuräumen liebte, forderte hierbei eine Definition ihrerObjekte, die erkenntnistheoretisch möglichst unverbindlich war,also nicht transszendente Realitäten, zumal so umstrittener Artwie Seele und Körper, in der Weise selbstverständlicher Gegeben-.heiten behandelte. Eben diese Voraussetzung machte LOCKE%

Klassifikation der Wahrnehmungen, sie war also unmittelbar nichtgeeignet (freilich auch nicht dazu bestimmt), eine Definition derPsychologie' zu begründen und den berührten Interessen zu ge-nügen. Überdies ist es klar: wurde auf Grund des voraus-genommenen Unterschiedes zwischen körperlichen und geistigenDingen ein Unterschied der Wahrnehmungen statuiert, so konntedieser nicht dazu dienen, seinerseits zwischen der Wissenschaftvon den körperlichen und derjenigen von den geistigen Erschei-nungen einen Scheidungsgrund abzugeben. Anders lag die Sache,wenn es gelang, unter Beibehaltung der Klassenunifänge, rein de-skriptive Merkmale für die Sonderung der Wahrnehmungen,

Page 238: Husserl Logische Untersuchungen 22 1921

Physische und psychische Phänomene. 225

bzw. für die Sonderung der ihnen entsprechenden körperlichen undseelischen Phänomene zu gewinnen; also Merkmale, welchekeinerlei erkenntnistheoretische Voraussetzungen beanspruchten.

Einen gangbaren Weg schien hier die CARTESIANISCHE Zweifels-betrachtung zu eröffnen, vermöge des in ihr hervortretenden er-kenntnistheoretischen Charakters der inneren Wahrnehmung. Wirhaben ihn oben schon berührt. Der Gedanken ng der sich hieranspinnt, ist folgender:

Wie weit immer ich den erkenntniskritischen Zweifel aus-dehnen mag, daran, daß ich bin und zweifle, und wieder, daßich vorstelle, urteile, fühle, oder wie sonst die innerlich wahr-

nommenen Erscheinungen heißen mögen — daran kann ich,während ich sie eben erlebe, nicht zweifeln; ein Zweifel insolchem Falle wäre evident veidervernünftig. Also vom Bestand°der Gegenstände der inneren Wahrnehmung haben wir ‚.Evidenz",jene klarste Erkenntnis, jene unanfechtbare Gewißheit, welchedas Wissen im strengsten Sinne auszeichnet Ganz anders verhältes sich et äußeren Wahrnehmung. Ihr mangelt die Evidenzund tatsichlicla weist auch ein mannigfacher Widerstreit in denihr vertrauenden Aussagen darauf hin, d Sie f ig sei, unsTäuschungen vorzuspiegeln. Wir haben also von vornherein keinRecht zu glauben, daß die Gegens ide der äußeren Wahr-nehmungen, so wie sie uns erscheinen, wahrhaft und wirklichexistieren. Ja wir haben sogar manche Gründe anzunehmen, daßsie in Wirklichkeit überhaupt nicht existieren, also nur einephänomenale oder "intentionalea Existenz beanspruchen können.Rechnet man zum Begriff der Wahrnehmung das Wirklichseindes wahrgenommenen Objekts, so ist die äußere, in diesemstrengen Sinne, überhaupt nicht Wahrnehmung. Jedenfalls liefertuns der Charakter der Evidenz schon ein deskriptivesMerkmal, welches die einen und anderen Wahrnehmungen unter-scheidet und aller Voraussetzungen über metaphysische Realitätenledig ist. Es ist ein Charakter, der mit dem Wahrnehmungs-erlebnis selbst gegeben ist bzw. fehlt, und dies allein bestimmtdie Scheidung.

Husserl, Log. Unters. IL 15

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226 Beilage: Äußere und innere Wahrnehmung.

Betrachten wir nun auch die Phänomene, die uns in den.einen und anderen Wahrnehmungen dargeboten werden, so kon-stituieren sie unverkennbar wesentlich verschiedene Klassen.Damit will nicht gesagt sein, daß die Gegenstände an sich, diewir ihnen, ob mit Recht oder Unrecht, supponieren, also die Seelenund Körper wesentlich verschieden sind; sondern rein deskriptivbetrachtet, unter Absehen von aller Transszendenz, ist zwischen.den Phänomenen ein unüberbrückbarer Unterschied zu konsta-tieren. Auf der einen Seite finden wir die Sinnesqualitäten,die für sich schon eine deskriptiv geschlossene Einheit bilden,möge es nun so etwas wie Sinne und Sinnesorgane geben odernicht. Es ist eine Gattung im strengen Aristotelischen Sinne desWortes. Dazu treten die, sei es an Sinnesqualitäten überhaupt,sei es an einzelne Qualitätskreise (wieder strenge AristotelischeArten) notwendig geknüpften Momente, so wie umgekehrt Momente,die ihrerseits notwendig Qualitäten voraussetzen und nur mitihnen vereint konkretes Sein werden können. Hier kommen be-kannte Sätze in Betracht, z. B. kein Räumliches der Anschauungohne Qualität; nach Manchen soll auch die Umkehrung bestehen:keine Qualität ohne Räumliches. Andere lassen hier nur gewisseBosonderungen gelten: keine Farbe, keine taktile Qualität ohneRäumliches u. dgl. Weitere hierhergehörige Sätze wären: keineTonqualität ohne Intensität, keine Klangfarbe ohne Tonqualitäten,und so weiten'

Auf der anderen Seite finden wir Phänomene wie Vorstellen,Urteilen, Vermuten, Wünschen, Hoffen usw. Wir treten hiersozusagen in eine andere Welt. Die Phänomene mögen auf Sinn-liches Beziehung haben, aber sie selbst sind mit dem Sinnlichen

IIuP-vergleichbar"; genauer, sie sind nicht von ein und derselben

1 Es ist auffallend, daß man es nie versucht hat, auf diese anschaulichenZusammengehörigkeiten eine positive Bestimmung für die "physischen Phäno-mene" zu gründen. Indem ich auf sie hinweise, falle ich freilich aus der Rolletdes Referenten etwas heraus. Natürlich müßte man zum Zwecke ihrer ernst-lichen Verwendung auf den Doppelsinn der Rede von physischen Phänomenen,4den wir bald erörtern werden, passende Rücksicht nehmen.

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Physische und pechisehe Phänomene. 227

(echten) Gattung. Hat man sich zunächst an Beispielen die de-skriptive Einheit dieser Klasse zur Klarheit gebracht, so findetsich bei einiger Achtsamkeit auch ein positives Merkmal, welches siekennzeichnet; nämlich das Merkmal der „inten.tionalen Inexistene

Natürlich kann nun auch die obige deskriptive Unterscheidungder inneren und äußeren Wahrnehmungen zu einer ebensolchender beiderlei Klassen von Phänomenen dienen. Es ist jetzt einegute Definition zu sagen: die psychischen Phänomene sind diePhänomene der inneren die physischen diejenigen der äußerenWahrnehmung.'

Auf solche Weise scheint eine genauere Betrachtung derbeiden Arten von Wahrnehmungen nicht nur auf eine deskriptiveund erkenntnistheoretisch bedeutsame Charakteristik dieser selbst,sändern auch auf eine fundamentale und abermals deskriptiveScheidung der Phänomene in zwei Klassen, in die der physischenund psychischen Phänomene, hinzuführen. Zugleich erscheint dasZiel einer metaphysisch unverbindlichen, nicht durch die ver-meintlichen Gegebenheiten der transszen.denten. Welt, sondern durchdie wahrhaften Gegebenheiten der Phänomene orientierten De-finition für Psychologie und Naturwissenschaft erreicht.

Die physischen Phänomene sind nun nicht mehr als die Er-scheinungen definiert, welche aus der Einwirkung der Körper aufunsere Seele mittels der Sinnesorgane herrühren; die psychischenPhänomene nicht mehr als die Erscheinungen, welche wir in derWahrnehmung der Betätigungen unserer Seele vorfinden. Beider-seits ist jetzt einzig und allein der deskriptive Charakter der Phäno-mene, so wie wir sie erleben, maßgebend. Demnach kann diePsychologie nun als die Wissenschaft von den psychischen die

1 So bezeichnet es BRENTÄNO (Psychologie I, 118 u. f.) als ein „unter-scheidendes Merkmal" aller psychischen Phänomene, „daß sie nur in inneremBewußtsein wahrgenommen werden, während bei den physischen nur äußereWahrnehmung möglich ist." Ausdrücklich heißt es 8. 119, durch diese Be-stimmung seien die psychischen Phänomene ,,gen ügend charakterisiert.'‘Inneres Bewußtsein ist hierbei nur ein anderer Ausdruck für innere Wahr-nehmung.

15*

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228 Beilage: Äußere und innere Wahrnehmung.

Naturwissenschaft als diejenige von den physischen Erscheinungen

definiert werden.Diese Definitionen bedürfen aber, um dem Bestand° der ge-

gebenen Wissenschaften wirklich zu entsprechen, gewisser Ein-

schränkungen, welche auf die erklärenden Metaphysischen Hypo-thesen hinweisen; jedoch nur als erklärende Hypothesen, währendimmer noch die Phänomene in ihren deskriptiven Unterschieden-

heften als die wahren Ausgangspunkte und als die zu erklären-

den Objekte erscheinen.

„Vor allem bedarf 'die Definition der Naturwissenschaft ein-

schränkender Bestimmungen. Denn sie handelt nicht von allen phy-sischen Phänomenen; nicht von denen der Phantasie, sondern nur vondenen, welche in der Empfindung auftreten. Und auch für diesestellt sie die Gesetze nur insoweit, als sie von der physischen Reizung

der Sinnesorgane abhängen, fest. Man kannte die wissenschaftlicheAufgabe der Naturwissenschaft etwa so' -ausdrt1cken., d man sagte:die Naturwissenschaft sei 'die Wissenschaft, welche die Aufeinander-folge der physischen Phänomene normaler und reiner (durch keine be-sonderen physischen Zustände und Vorgänge beeinflußter) Sensationenauf Grund der Annahme der Einwirkung einer raum.ä,hnlich in dreiDimensionen ausgebreiteten und zeitähnlich in einer Dimension ver-

laufenden Welt auf unsere Sinnesorgane zu erklären suche. Ohne

über die absolute Beschaffenheit dieser Welt Aufschluß zu geben,begnüge sie sich damit, ihr-Kräfte zuzuschreiben, welche die Empfin.-

dungen hervorbringen und sich gegenseitig in ihrem Wirken beein-Rußen, und stelle für diese Kräfte die Gesetze der Koexistenz und

Sukzession fest. In ihnen gibt sie dann indirekt die Gesetze derAufeinanderfolge der physischen Phänomene der Empfindungen, wie

diese, durch wissenschaftliche Abstraktion von psychischen Mitbedin-gungen, als rein und bei unveränderlicher Empfindungsfähigkeit statt-findend gedacht werden. — In dieser etwas komplizierten Weise muß man

also den Ausdruck ‚Wissenschaft von den physischen Phänomenen' deuten,

wenn man ihn mit der Naturwissenschaft als gleichbedeutend setzt". 1

1 BRErrAieo, Psychologie 1, S. 127 und 128:

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Physische und psychische Phiinomene. 29

„Hinsichtlich der Begriffsbestimmung der Psychologie möchte es

zwar den Anschein haben, als ob der Begriff des psychischen Phäno-

mens eher zu erweitern als zu verengern sei, indem die physischen

Phänomene der Phantasie wenigstens ebenso wie die psychischen indem früher bestimmten Sinne ganz ihrer Betrachtung anheimfallen,

und auch diejenigen, welche in der Empfindung auftreten, in der

Lehre von der Sensation nicht unberücksichtigt bleiben können. Allein

es ist offenbar, daß sie nur als Inhalt psychischer Phänomene bei der

Beschreibung der Eigentümlichkeit derselben in Betracht kommen.

Und dasselbe gilt von allen psychischen Phänomenen, die ausschließ-

lich phänomenale Existenz haben. Als eigentlichen Gegenstand der

Psychologie werden wir nur die psychischen Phänomene in dem Sinne

von wirklichen Zuständen anzusehen haben. Und sie ausschließlich

sind es, in bezug auf welche wir sagen, die Psychologie sei die

Wissenschaft von den psychischen Phänomenen".1

3.

Die interessante Gedankenreihe, die ich soeben vorgetragenhabe, repräsentiert, wie schon aus den längeren Zitationen ersicht-lich ist, den Standpunkt BRENTANOS 2 und zugleich den einer ganzenReihe ihm wissenschaftlich nahestehender Forscher. Die innereWahrnehmung spielt übrigens, wie bekannt, auch weiterhin inBRENTANOS Psychologie eine bedeutsame Rolle. Ich weise hiernur auf seine Lehre vom inneren Bewußtsein hin. Jedes psychi-

sche Phänomen ist nicht nicht nur Bewußtsein, sondern selbstzugleich Inhalt eines Bewußtseins, und zwar auch bewußt imengeren Sinne der Wahrnehmung. Der Fluß der inneren Erleb-nisse ist also zugleich ein kontinuierlicher Fluß innerer Wahr-nehmungen, die aber mit den bezüglichen psychischen Erlebnissenin besonders inniger Weise Eins sind. Die innere Wahrnehmung

BRENTANO a. 8. 0. S. 129f.2 Bis auf das S. 226 angedeutete positive Merkmal für die physischen

Phänomene. Im übrigen hoffe ich bei der Herausarbeitung der leitenden Ge-sichtspunkte, die für die Lehren des von mir so hochgeschätzten Denkersnaaßgebend sein mochten, das Richtige getroffen zu haben.

Page 243: Husserl Logische Untersuchungen 22 1921

230 Beilage: Äußere und innere Wahrnehmung.

ist nämlich kein zweiter, selbständiger Akt, der zu dem bezüg-lichen psychischen Phänomen hinzutritt, sondern dieses enthältneben seiner Beziehung auf ein primäres Objekt, etwa den äußer-lich wahrgenommenen Inhalt, „sich selbst seiner Totalität nachals vorgestellt und erkannt". 1 Indem . der Akt direkt auf seinprimäres Objekt gerichtet ist, ist er nebenbei zugleich auf sichselbst gerichtet So wird die unendliche Verwicklung, zu welcherdas alle psychiichen. Phänomene begleitende Bewußtsein (dessenMehrfältigkeit gemäß den drei GTundklassen auch eine innereWahrnehmung enthält) zu drängen scheint, vermieden. Auch sollso die Evidenz und Untrüglichkeit der inneren Wahrnehmung er-möglicht werden.. 2 Im übrigen ist hier BRENTANO in einemHauptpunkte, in der Interpretation des Bewußtseins als kontinuier-licher innerer Wahrnehmung, mit großen älteren Denkern inHarmonie. Selbst LOCKE, ein treuer Schüler der Erfahrung, de-finiert das Bewußtsein als Wahrnehmung dessen, was im eigenenGeiste eines Menschen vor sich gehts

BRENTANOS Tljeorien habe* vielfachen Widerstand erfahren.Dieser richtet sich nicht nur gegen die zuletzt berührten Lehrenüber das innere Bewußtsein mit seiner feinsinnig konstruierten,aber jedenfalls phänomenologisch erst zu begründenden Mehr-fältigkeit, sondern schon gegen seine Scheidung der Wahrnehmungenund Phänomene, und zumal auch gegen die , darauf basierte Be-stimmung der Aufgaben von Psychologie und Naturwissenschaft. 4

1 A. a. 0. 182.2 A. a. 0. Buch II. 3. Kap. S. 182ff.3 Los= Essay II, 1, 19. Freilich ist Locint mit sich nicht ganz einig,

sofern er ausdrücklich die pereeption als Auffassung von Ideen bezeichnet, unddann doch die Auffassung der Ideen von psychischen Tätigkeiten, von beson-deren Akten der reflexion abhängig macht, die zu diesen Tätigkeiten nurgelegentlich hinzutreten. Dies hängt sichtlich mit dein unseligen. Zwitter-begriff idea zusammen, der promiseue die V orstellu.n gen von erlebbarenInhalten, und dann wieder die erlebten Inhalte selbst befaßt. Vgl. unsereUntersuchung II, § 10, S. 127.

4 In der Kritik pflegt man sich, wie mir auffällt, allein an die erstenund nur vorläufigen Bestimmungen BRENTANOS zu halten — der Psychologie

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Physische ‚und psychische Phänomene. 231

Die einschlägigen Fragen sind im letzten Jahrzehnt wiederholt zuGegenständen ernster Diskussion geworden, und es ist beklagens-wert, daß trotz ihrer fundamentalen Wichtigkeit für Psychologieund Erkenntnistheorie Einigung nicht erzielt werden konnte.

Im ganzen wird man urteilen müssen, daß die Kritik nichttief genug drang, um die entscheidenden Punkte zu treffen unddas unzweifelhaft Bedeutsame in BRENT1NOS Gedankenmotiven vondem Irrigen in ihrer Ausgestaltung zu sondern. Dies liegt daran,daß die in diesen Dimensionen umstrittenen Fundamentalfragender Psychologie und Erkenntnistheorie nicht genug geklärt sind,eine natürliche Folge der Mangelhaftigkeit der phänomenologischenAnalysen. Beiderseits blieben die Begriffe, mit denen man operierte,mehrdeutig, beiderseits verfiel man daher in trügerische Ver-wechslungen. Dies wird in der nachfolgenden Kritik der lehr-reichen Ansichten BRENTANOS hervortreten.

4.

Nach BRENTÄNO unterscheidet sich die innere von der äußerenWahrnehmung

1. durch die Evidenz und Untrüglichkeit und2 durch die wesentlich verschiedenen Phänomene. In der

inneren Wahrnehmung erfahren wir ausschließlich die psychischen,in' der äußeren die physischen Phänomene. Vermöge dieses ge-nauen Parallelismus kann ja der an erster Stelle genannte Evidenz-unterschied auch als charakteristisches Scheidungsmerkmal für,die wahrnehmbaren Phänomene dienen.

Demgegenüber will es mir scheinen, daß innere und äußereWahrnehmung, wofern man diese Termini naturgemäßversteht, von ganz gleichem erkenntnistheoretischenCharakter sind. Ausführlicher gesprochen: es gibt zwar einen

als Wissenschaft von den psychischen, der Naturwissenschaft als Wissenschaftvon den physischen Phänomenen — ohne der „stillschweigenden Beschränkungen'zu gedenken, die BRENTANO selbst mit der ihm eigenen Klarheit und Schärfevorgetragen hat. Um so lieber habe ich sie oben durch ausführliche Zitate inErinnerung gebracht.

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232 Beilage: .4.0 ere und innere Wahrnehmung.

wohlberechtigten Unterschied Zwischen evidenter und nicht-evidenter, untrüglicher und trüglicher Wahrnehmung. Verstehtman aber, wie es natürlich ist, und wie BRENTANO es wohl auch.tut, unter äußerer Wahrnehmung die Wahrnehmung von phy-sischen Dingen, Eigenschaften, Vorgängen usw., und danach unterinnerer Wahrnehmung alle übrigen Wahrnehmungen: dann koin-zidiert diese Einteilung durchaus nicht mit der vorigen. So ist jedeWahrnehmung des Ich, oder jede auf das Ich bezogene Wahr-neh-mung eines psychischen Zustandes gewiß nicht evident, wennunter Ich verstanden ist, was jedermann darunter versteht, undwas jedermann in der Ichwahrnehmung wahrzunehmen glaubt,nämlich die eigene empirische Persönlichkeit. Auch ist es klar,daß die meisten Wahrnehmungen psychischer Zustände nicht evi-dent sein können, da sie leiblich lokalisiert wahrgenommen werden.Daß die Angst mir die Kehle zuschnürt, daß der Schmerz imZahne bohrt, daß der Kummer im Herzen nagt, das nehme ichgenau in dem Sinne wahr, wie daß der Wind die Bäume schüttelt,daß diese Söhachtel quadratisch und braun gefärbt ist u. dgl. Hiersind freilich mit Jer inneren auch äußere Wahrnehmungen vor-handen: aber das ändert nichts daran, daß die wahrgenommenenpsychischen Phänomene, so wie sie wahrgenommen sind,nicht existieren. Ist es nicht klar, daß auch psychische Phäno-mene tränsszendent wahrgenommen sein können? Ja genau be-sehen, sind alle in der natürlichen und erfahrungswissenschaft-lichen Einstellung erfaßten psychischen Phänomene transszendentapperzipiert. Reine Erlebnisgegebenheit setzt die rein phänomeno-logische Einstellung voraus, die alle transszendenten Setzungeninhibiert.

Ich weiß wohl, was man hier einwenden wird: ob uns dennder Unterschied zwischen Wahrnehmung und Apperzeptionentgangen sei. Innere Wahrnehmung bedeute das schlicht-bewußteErleben der psychischen Akte, sie werden hier genommen als da;was sie sind, und nicht als das, als was sie aufgefaßt, apper-zipiert werden. Indessen sollte man denken, daß, was für dieinnere Wahrnehmung recht, auch für die äußere billig sein müsse.

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Physische und psychische Phänomene. 233

Liegt das Wesen der Wahrnehmung nicht in der Apperzeption,dann ist alles Reden von Wahrnehmung in Beziehung auf Äußeres,auf Berge, Wälder, Häuser u: dgl. verkehrt, der normale Sinndes Wortes Wahrnehmung, der sich doch vor allem in diesenFällen klar bekundet, wäre ganz aufgegeben. Äußere Wahr-nehmung i s t Apperzeption, also fordert die Einheit des Begriffs,daß es auch die innere sei. Zur Wahrnehmung gehört, daß etwasin ihr erscheine; aber die Apperzeption macht aus, waswir Erseheinen nennen, mag sie unrichtig sein oder nicht,mag sie sich getreu und adäquat an den Rahmen des unmittelbarGegebenen halten, oder ihn, künftige Wahrnehmung gleichsamantizipierend, überschreiten. Das Raus erscheint mir — wodurchanders, als daß ich die -wirklich erlebten Sinnesinhalte in ge-wisser Weise apperzipiere. Ich höre einen Leierkasten — dieempfundenen Töne deute ich eben als Leierkastentöne. 'Ebensonehme ich apperzipierend meine psychischen Erscheinungen wahr,die „mich" durchschauernde Seligkeit, den Kummer im Herzenusw. Sie heißen „Erscheinungen", °er besser erscheinende In-halte, ebeii als Inhalte der Apperzeption.

5.

Der Terminus Erscheinung ist freilich mit iquivokationenbeschwert, die sich gerade hier äußerst nachteilig erweisen. Eswird nicht unnütz sein, diese Äquivokationen, die wir schon imTexte der -vorstehenden Untersuchungen im Vorbeigehen berührthaben, hier explizite zusammenzustellen. Die Rede von Erschei-nung hat vorzugsweise Beziehung zu den Akten anschaulichenVorstellens, also einerseits zu den Akten der Wahrnehmung,und andererseits zu denjenigen der Vergegenwärtigung, z. B.der Erinnerung, der Phantasievorstellung oder der (mit Wahr-nehmung verwobenen) Bildvorstellung im gewöhnlichen Sinn.Erscheinung heißt dann:

1. das konkrete Erlebnis der Anschauung (das anschaulich-gegenwärtig- oder vergegenwärtigt-Haben eines gewissen Gegen-standes); also z. B. das konkrete Erlebnis, wenn wir die vor uns

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234 Beilage: Äußere und eiere Wahrnehmung.

stehende Lampe wahrnehmen. Sofern dabei der qualitative Cha-rakter des Aktes, ob wir den Gegenstand für seiend halten odernicht, keine Rolle spielt, können -wir von ihm auch ganz absehen,und dann fällt die Erscheinung mit dein zusammen, was wir inder letzten Untersuchung' als Repräsentation definiert haben.

2. Der angeschaute (erscheinende) Gegenstand, und zwar alsderjenige, welcher hie et nune erscheint; z. B. diese Lampe alsdas, was sie dieser eben vollzogenen Wahrnehmung gilt.

3. In beirrender Weise heißen aber auch die reellen Be-standstücke der Erscheinung .im ersten Sinne, in dem deskonkreten. Erscheinungs- oder Anschauungsaktes, selbstwieder Erscheinungen. Vor allem heißen Erscheinungen diepräsentierenden E m p f in dun gen, also die erlebten Momente vonFarbe, Form usw., welche nicht unterschieden werden von denihnen entsprechenden und im Akte ihrer "Deutung" erschei-nenden Eigenschaften des (farbigen, geformten) Gegen-standes. Daß es wicleig ist, zwischen beiden zu unterscheiden,daß es nicht angeht, die Farbenempfindung mit der erscheinendenkörperlictten Färbung, die Formempfindung mit der körperlichenForm usw. zu vermengen, haben wir mehrfach betont. Allerdings,die unkritische Erkenntnistheorie ignoriert diese Unterscheidung.Auch diejenigen, die es ablehnen würden, mit SCHOPENELAXER zusagen „die Welt ist meine Vorstellung", pflegen so zu sprechen,als ob die erscheinenden Dinge Komplexionen von Empfindungs-inhalten seien. Man mag allenfalls sagen, daß die erscheinen-den Dinge als solche, die bloßen Sinnendinge, aus analogem Stoffkonstituiert .sind, als Welchen wir als Empfindungen zum Be-wußtseinsinhalt rechnen. Aber das ändert nichts daran, daßdie erscheinenden Eigenschaften der Dinge nicht selbst Empfin-dungen sind, sondern nur als den Empfindungen analog erscheinen.Denn nicht sind sie wie Empfindungen im Bewußtsein vorhanden,vielmehr als erscheinende Eigenschaften in ihm bloß darge-stellt, transszendent vermeint. Und demgemäß sind auch die wahr-

1 Vgl. VI, § 26. S. 90.

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Physische und psychische Phänomene. 235

genommenen äußeren Dinge nicht Komplexionen von Empfin-dungen; sie sind vielmehr Gegenstände von Erscheinungen, welcheGegenstände als Komplexionen von Eigenschaften erscheinen,deren Gattungen in einem eigenen Sinne an alog sind denen,die bei Empfindungen bestehen. Etwas anders gewendet könntenwir das Gesagte auch so darlegen: Unter dem Titel Empfindungenbefassen wir gewisse Gattungen von sachlich so und so bestimm-ten Erlebnissen einer Bewußtseinseinheit. Kommt es nun vor,daß in einer Bewußtseinseinheit reale Eigenschaften analogerGattungen als ihr äußerliche, transszendente erscheinen, dannmag man sie nach den betreffenden Gattungen benennen, aberEmpfindungen sind sie nunmehr nicht. Und auf dieses äußer-lich, das selbstverständlich nicht räumlich zu verstehen ist, legenwir den Nachdruck. Wie immer die Frage der Existenz oderNichtexistenz der phänomenalen äußeren Dinge entschiedenwerden mag, darüber ist kein Zweifel, daß die Realität des je-weils wahrgenommenen Dinges nicht verstanden werden kann alsRealität einer wahrgenommenen Empfindungskomplexion in demwahrnehmenden Bewußtsein. Denn es ist offenbar, und an jedemBeispiel durch phänomenologische Analyse zu bewähren, daßdas Wahrnehmungsding, diese angebliche Ernpfindungskomplexion,nach den einzelnen Eigenschaftsmomenten, wie auch als Ganzesverschieden ist und unter allen Umständen verschieden ist TOD, der

der betreffenden Wahrnehmung faktisch erlebten Empfindungs-komplexion, deren objektive Apperzeption allererst den Wahrneh-mungssinn, also das erscheinende Ding intentional konstituiert.

Man darf wohl sagen, daß der ursprüngliche Begriff der Erschei-

nung der oben an zweiter Stelle angegebene ist: also der des Er-

scheinenden, bzw. des möglicherweise Erscheinenden, des Anschaulichen

als solchen. Mit Rücksicht darauf, daß auch jederlei Erlebnisse(darunter auch die Erlebnisse äußeren Anschauens, deren Gegenstände

dann ihrerseits äußere Erscheinungen heißen) zu Gegenständen reftek-

tiver, innerer Anschauungen werden können, heißen dann alle Erleb-

nisse in der Erlebniseinheit eines Ich „Phänomene": Phänomen o-

Page 249: Husserl Logische Untersuchungen 22 1921

236 Beilage: Äußere und innere Wahrnehmung.-

logie . besagt demgemäß die Lehre von den Erlebnissen überha -upt,

und, darin beschlossen, auch von allen in Erlebnissen evident ausweis-

baren, nicht nur reellen, sondern auch intentionalen Gegebenheiten.Die reine Phänomenologie ist dann die 'Wesenslehre von den „reinen

Phänomenen", denen des „reinen Bewußtseins" eines „reinenIch" — das ist, sie stellt sich nicht auf den durch transszendente .Apperzeption gegebenen Boden aer physischen und animalischen, also

psychophysischen Natur, sie vollzieht keinerlei Erfahrungssetzung und.

Urteilssetzung, die sich auf bewußtseinstransszendente Gegenstände be-

ziehen; sie stellt also keinerlei Wahrheiten über physische und psychischeNaturwirklichkeiten (also keinerlei psychologische im historischen Sinne)fest und nimmt keine als Prämissen, als Lehnsätze. Vielmehr nimmt

sie alle über die Gegebenheiten adäquater, rein immanenter Intuition(also über den reinen Erlebnisstrom) • hinausmeinenden, Apperzep-

tionen und Urteilssetzungen rein als die Erlebnisse, die sie in sieh

selbst sind, und unterzieht sie einer rein immanenten, rein „de-skriptiven" Wesenserforschung„ Ihre Wesensforschung ist dabei einereine noch in einem zweiten Sinne, in dem der „Ideation"; sie ist im.echten Sinne apriorische Forschung. So verstanden, waren alle Unter-suchungen des vorliegenden Werkes, soweit sie nicht ontologischeThemen hatten — soweit sie also nicht, wie in der III. und VI. Unter-

suchung apriorische Feststellungen für Gegenstände möglichen Be-

wußtseins erstrebten — rein phänomenologische. Sie sprachen vonkeinen psychologischen Tatsachen und Gesetzen einer „objektiven"Natur, sondern von reinen Möglichkeiten und Notwendigkeiten, diezu irgendeiner Gestalt des reinen „cogito" gehören: nach ihren reellenund intentionalen Gehalten oder nach ihren a priori' möglichen Zu-sammenhängen mit anderen solchen Gestalten in einem idealiter mög-lichen Bewußtseinszusammenhange überhaupt.

Wie der Terminus Erscheinung, so ist, und in seinem Ge-folge, auch der Terminus Wahrnehmung, und sind dann weiteralle anderen Termini, die im Zusammenhang mit Wahrnehmunggebraucht werden, vieldeutig. Diese Vieldeutigkeiten durchsetzendie Wahrnehmungstheorien. mit Irrtümern der Vermengung. Wahr-

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Physische und psychische Phänomene. 33i

genommen heißt z. B., was in der Wahrnehmung „erscheint", alsoihr Gegenstand (das Haus), und abermals der in ihr erlebteEmpfindungsinhalt, d. i. der Inbegriff der präsentierenden In-halte, die in ihrer Komplexion als das Haus und einzeln alsdessen Eigenschaften aufgefaßt" werden.

6.

Wie täuschend sich diese Vieideutigkeiten erweisen, das zeigtgerade BRENTANOS Theorie mit ihrer Scheidung von innerer undäußerer Wahrnehmung nach Evidenzcharakter und gesondertenPhänomengruppen. Wir hören:

Die äußere Wahrnehmung ist nicht evident und sogar trüge-risch. — Dies ist zweifellos, wenn wir unter den „physischenPhänomenen", welche sie wahrnimmt, die physischen Dinge, bzw.ihre Eigenschaften, Veränderungen usw. verstehen. Indem nunBRENTANO diesen eigentlichen und allein zuJässigen Sinn des Worteswahrgenommen mit dem uneigentlichen vertauscht, der statt aufdie äußeren Gegenstände, vielmehr auf die der Wahrnehmungreell angehörigen, präsentierenden Inhalte bezogen ist; und indemer, hierin konsequent, nicht nur jene äußeren Gegenstände, sondernauch diese Inhalte als „physische Phänomene" bezeichnet: er-scheinen nun auch diese letzteren durch die Trüglichkeit deräußeren Wahrnehmung betroffen. Ich möchte glauben, daß manhier doch strenger sondern muß. Ist ein äußerer Gegenstandwahrgenommen (das Haus), so sind in dieser Wahrnehmung diepräsentierenden Empfindungen erlebt, aber nicht wahrgenommen.Indem wir uns über die Existenz des Hauses täuschen, täuschenwir uns über die Existenz der erlebten sinnlichen Inhalte schondarum nicht, weil wir über sie gar nicht urteilen, bzw. Sie

in dieser Wahrnehmung nicht wahrnehmen. Achten wir nach-träglich auf diese Inhalte, und niemand wird unsere Fähigkeithierzu (sc. innerhalb gewisser Grenzen) leugnen können, abstrahie-ren wir von dem, was wir durch sie soeben und gewöhnlichmeinten, und nehmen wir sie einfach als das, was sie sind, dannnehmen wir sie allerdings wahr, aber nun nicht durch sie den

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238 Beilage: Äußere und innere *Wahrnehmung.

äußeren Gegenstand. Diese neue Wahrnehmung hat offenbar ge-nau 'denselben Anspruch auf Untrüglichkeit und Evidenz, wienur irgendwelche „innere" Wahrnehmung. Was immanent ist und.so gemeint ist, wie es ist, das zu bezweifeln wäre evident unver-nünftig. Ich mag zweifeln, ob je ein äußerer Gegenstand existiert,ob also irgendeine auf solche Gegenstände bezügliche Wahrneh-mung richtig sei: aber an dem jeweilig erlebten sinnlichenGehalt der Wahrnehmung kann ich nicht zweifeln — natürlichwo immer ich auf ihn „reflektiere" und ihn einfach anschaue,als was er ist. Es gibt also evidente Wahrnehmungen „phy-si§cher" Inhalte, genau wie solche „psychischer".

Wollte man einwenden, es seien sinnliche Inhalte immer undnotwendig gegenständlich aufgefaßt; sie seien immer Träger eineräußeren Anschauung, und wir könnten auf sie daher nur achten,indem wir sie als Inhalte einer solchen .A.nschau.ung beachten:so brauchen wir hierüber nicht zu streiten; es änderte nichts ander Sachlage. Die Evidenz des Daseins dieser Inhalte wäre nachwie vor unbestreitbar, und wäre auch nun keine Evidenz der„psychisöhen Phänomene" im Sinne der Akte. Die Seinsevidenzdes ganzen psychischen Phänomens impliziert zwar diejenige fürjeden seiner Teile; aber das Wahrnehmen des Teils ist eine neueWahrnehmung mit einer neuen Evidenz, die mit nichten diejenigedes ganzen Phänomens ist.

Ein analoger Doppelsinn, wie ihn der Begriff des physischenPhänomens 'trägt, muß sich bei konsequenter Fassung der Be-griffe auch im Begriff des psychischen Phänomens finden. BeiBREN'TANO ist dies nicht der Fall. Er versteht unter psychischemPhänomen ausschließlich ein wirklich vorhandenes .A.kterlebnis,und unter innerer Wahrnehmung die Wahrnehmung, welche diesesErlebnis einfach aufnimmt, wie es da ist. BRENTANO übersiehtaber, daß er sich unter dem Titel innerer Wahrnehmungen nur eineKlasse von Wahrnehmungen psychischer Phänomene zurechtgelegthat, und daß nun von einer Aufteilung aller Wahrnehmungen durchdie beiden Gruppen der äußeren und inneren Wahrnehmung keineBede sein kann. Er übersieht auch, wie nur mit dem Umstand,

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Physische und psychische Phänomene. 239

daß er sich bezüglich der inneren eines wesentlich abweichendenBegriffs von Wahrnehmung bedient, nicht aber mit der Besonderheitder innerlich wahrgenommenen „Phänomene", der Vorzug derEvidenz zusammenhängt, den er seiner inneren Wahrnehmung bei-mißt. Hätte er auch bei dem "physischen" Phänomen als eigent-liche Wahrnehmung von vorn. herein nur solche gegenständlicheAuffassung und Erfassung verstanden, die ihren Gegenstand adä-quat erschaut, so hätte er die bei ihm der äußeren Wahrnehmungzugerechnete Wahrnehmung sinnlicher Erlebnisse ebenfalls durchEvidenz auszeichnen, und hätte nicht von der inneren Wahr-nehmung in seinem Sinne sagen dürfen, sie sei "eigentlich dieeinzige Wahrnehmung im eigentlichen Sinne des Wortes."'

Es ist überhaupt sicher, daß die Begriffspaare innere undäußere, evidente und nicht- evidente Wahrnehmung nicht koin-zidieren können. Das erste Paar ist bestimmt durch die Begriffevon Physischem und Psychischem, wie immer man sie nun sondernmag; das zweite prägt den erkenntnistheoretisch fundamentalenGegensatz aus, An wir in der Untersuchung VI studiert haben:den Gegensatz zwischen adäquater Wahrnehmung (oder Anschau-ung im engsten Sinne), deren wahrnehmende Intention ausschließ-lich auf einen ihr wirklich präsenten Inhalt gerichtet ist, und derbloß vermeintlichen, inadäquaten Wahrnehmung, deren Inten-tion nicht im präsenten Inhalt ihre Erfüllung findet, vielmehrdurch ihn hindurch die leibhafte Gegebenheit eines Transszenden-ten, als immerfort einseitige und präsumptive konstituiert. Imersten Fall ist der empfundene Inhalt zugleich der Gegenstandder Wahrnehmung. Der Inhalt bedeutet nichts anderes, er stehtfür sich selbst. IM zweiten Fall treten Inhalt und Gegenstand aus-einander. Der Inhalt repräsentiert, was in ihm selbst nicht liegt,was in ihm aber sich „darstellt" und ihm also (wenn wir uns andas unmittelbar Anschauliche halten) in gewissem Sinne analogist, so wie etwa der Empfindungsfarbe die Körperfarbe.

In dieser Scheidung liegt das Wesen der erkenntnis-theoretischen Differenz, die man zwischen der inneren und

1 A. a. 0. 119.

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240 Beilage: Äußere und innere Wahrnehmung.

äußeren Wahrnehmung gesucht hat. ,Sie ist schon die bestim-mende in der CAMESIAMSWEN Zweifelsbetrachtung. An der Wahr-heit der inadäquaten, bloß abschattenden Wahrnehmung kann ichzweifeln; der intendierte, oder wenn man will, der intentionaleGegenstand ist dem erscheinenden Akte nicht immanent; die In-tention ist da, aber nicht in eins mit ihr der Gegenstand selbst,der sie letztlich zu erfüllen bestimmt ist Wie könnte mir evidentsein, daß er ist? An der adäquaten, rein immanenten Wahrneh-mung kann ich andererseits nicht zweifeln, eben weil in ihr keinRest von Intention übrig ist, der erst nach Elfüllung langenmüßte. Alle Intention, oder die Intention nach allen ihrenMomenten ist erfüllt. Oder, wie wir es auch ausdrückten: dasObjekt ist in der Wahrnehmung nicht bloß als daseiend ver-meint, sondern zugleich auch in ihr selbst und wirklich ge-geben und genau als das, als was es vermeint ist. Gehört es zumWesen adäquater Wahrnehmung, daß ihr das angeschaute Objektselbst wahr und wirklich einwohnt, so ist nur ein anderer Aus-druck zu sagen: unzweifelhaft, evident ist nur die Wahr-nehmung der eigenen wirklichen Erlebnisse. ,Nicht jedesolche Wahrnehmung ist evident. So ist in der Wahrnehmungvom Zahnschmerz ein wirkliches Erlebnis wahrgenommen, undgleichwohl ist die Wahrnehmung eine oft täuschende: der Schmerzerscheint als im gesunden Zahne bohrend. Die Möglichkeit derTäuschung ist klar. Der wahrgenommene Gegenstand ist nichtder Schmerz, so wie er erlebt, sondern der Schmerz, so wie ertransszendent gedeutet, und zwar dem Zahne zugedeutet ist. Zuder adäquaten Wahrnehmung gehört es aber, daß in ihr dasWahrgenommene, so wie es wahrgenommen ist (so wie die Wahr-nehmung es meint, auffaßt) erlebt sei. In diesem Sinn haben wirselbstverständlich nur von unseren Erlebnissen, aber von ihnenauch nur, so weit wir sie rein aufnehmen, statt apperzipierendüber sie hinauszugehen, eine evidente Wahrnehmung.

7.

Nun könnte man aber einwenden: Erlebnis ist doch wohldasselbe wie psychisches Phänomen, -wozu also der Streit? Ich

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Physische und psychische Phänomene._

antworte: Wenn man unter psychischen Phänomenen dierealen Bestandstücke unseres Bewußtseins versteht, die Erleb-nisse selbst, die jeweils da sind; und wenn man weiter unterWahrnehmungen psychischer Phänomene oder innerenWahrnehmungen adäquate Wahrnehmungen versteht, deren Inten-tion in den bezüglichen Erlebnissen immanente Erfüllung findet:dann deckt sich der Umfang der inneren Wahrnehmung;allerdings mit dem der adäquaten Wahrnehmung. Von Wichtig-keit ist es aber zu beachten, daß

1. die psychischen Phänomene in diesem Sinn nicht identischsind mit denjenigen im Sinne BRENTANOS, auch nicht mit dencogitationes DESCARTES' und mit den acfs 07" °perofions of minclbei LOCKE; denn in die Sphäre der Erlebnisse überhaupt gehörenauch die sämtlichen Sinnesinhalte, die Empfindungen.

2. Da dann die nicht-inneren Wahrnehmungen (die er-gänzende Klasse) nicht koinzidieren mit den äußeren Wahr-nehmungen im normalen Wortsinn, sondern mit dem viel weiterenUmfang der trau SUendeuten, inadäquaten Wahrnehmungen.Wird ein sinnlicher Inhalt, eine sinnliche Komplexion oder einVerlauf sinnlicher Inhalte aufgefaßt als ein dastehendes Ding,als eine Menge, eine vielgliedrige Verknüpfung von Dingen, oderals eine dingliche Veränderung, ein äußeres Ereignis u. dgl., soliegt eine äußere Wahrnehmung im gewöhnlichen Sinne vor. Eskann aber auch ein nichtsinnlicher Inhalt zum repräsentativenGehalt einer transszendenten Wahrnehmung gehören, zumal in Ver-bindung mit sinnlichen Inhalten. Als wahrgenommener Gegen-stand kann dann ebenso-wohl ein äußerer Gegenstand mit wahr-genommenen p sychischen Bestimmtheiten dastehen (wie ver-schiedentlich in der Auffassung eigener und fremder Leiblichkeitals „Mensch") oder '(wie ebenfalls in der psychophysischen Apper-zeption) ein innerer Gegenstand, ein subjektives Erlebnis, mit anihm wahrgenommenen physisehen Bestimmtheiten.

3. Wenn wir unter Wahrnehmungen psychischer Phänomeneoder unter inneren Wahrnehmungen, innerhalb der Psychologieals objektiver Wissenschaft vom animalischen Seelenleben, die

li tig J-;,or I, 1. Unter. il. 16

241

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242 Beilage: Äußere und innere Wahrnehmung._Wahrnehmungen von eigenen Erlebnissen verstehen, die derWahrnehmende als seine, dieses Menschen eigene Erlebnisse auf-faßt, so sind alle inneren Wahrnehmungen nicht weniger als dieäußeren transszendent apperzipierende. Es gibt dann unter ihnenzwar auch solche, die —in einer gewissen Abstraktion — als adä-quate gelten können, sofern sie die betreffenden eigenen Erleb-nisse in ihrer reinen Selbstheit nehmen; aber sofern auch der-artige „adäquaten" inneren Wahrnehmungen die in ihnen erfaßtenErlebnisse als solche des wahrnehmenden psychophysischen Men-schen-Ich (also auch als zugehörig zur gegebenen objektiven Welt)apperzipieren, sind sie nach dieser Richtung wesentlich mit einerInadäquatheit behaftet. Andererseits gibt es unter den innerenganz so, wie unter den äußeren Wahrnehmungen, solche, beiwelchen der wahrgenommene Gegenstand in dem ihm in der Wahr-nehmung zugeteilten Sinne nicht existiert. Der auch für diePsychologie fundamentale Unterschied zwischen deradäquaten und inadäquaten Wahrnehmung — wobei diepsychologische Adäquatholt mit der bezeichneten Ab

.

-straktion zu verstehen ist — kreuzt sich mit demUnter-schied der inneren und äußeren Wahrnehmung und durch-setzt dabei auch die Sphäre der ersteren.

8.

Die Äquivokationen des Wortes Phänomen, die es gestatten,bald die erscheinenden Gegenstände und Eigenschaften, bald dieden Erscheinungsakt konstituierenden Erlebnisse (zumal die In-halte im Sinne von Empfindungen) und schließlich alle Erlebnisseüberhaupt als Phänomene zu bezeichnen, erklären die nichtgeringe Versuchung, zwei wesentlich verschiedene psycho-logische Einteilungsarten der „Phänomene" durcheinanderzu mengen:

1. Einteilungen der Erlebnisse; z. B. die Einteilung der-selben in Akte und Nich takte. Solche Einteilungen fallennatürlich ganz in die Sphäre der Psychologie, als welche es jamit allen Erlebnissen — die in ihr natürlich transszendent als

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Ph>-iyche und leidtische Phi2nomene. c)43

Erlebnisse animalischer Naturwesen apperzipiert sind — zutun hat

2. Einteilung der phänomenalen Gegenstände; z. B.solche, die als zu einem Ichbewußtsein gehörig erscheinen, undin solche, die es nicht tun, m. a. W. die Einteilung in psychischeund physische Gegenstände (Inhalte, Eigenschaften, Relationenu. dgl.).

Bei BRIINT NO laufen die beiden Einteilungen in der Tatdurcheinander. Er stellt einfach gegenüber: physische und psy-chische Phänomene, und definiert sie unverkennbar als eine Ein-teilung der Erlebnisse in Akte und Nichtakte. Aber alsbald.verwechselt er unter dem Titel physisches Phänomen die emp-fundenen Inhaltel und die erscheinenden äußeren Gegenstände,bzw. ihre phänomenalen Beschaffenheiten, so daß die Einteilungnun zugleich als eine Einteilung der phänomehalen Objektein physische und psychische (nach dem gemeinen, oder einemihm verwandten Wortsinn) dasteht. wobei die letztere dann sogardie Namen hergibt.

In nahem Zusammenhang mit dieser Verwechslung steht dieirrige und von BRENTANO auch zur Seeidung der beiden Phäno-menklassen benutzte Bestimmung, daß die physischen Phäno-mene „nur phänomenal 'und intentional" existieren,während den psychischen Phänomenen „auZer der intentional enauch eine wirkliche Existenz« zukomme.2 Verstehen.wir unter

BRKNTANO versteht unter Empfindungen Akte des Empfindens und stelltihneir die empfundenen Inhalte gegenüber. In unserer Redeweise besteht einsolcher Unterschied nach früher Ausgeführtem nicht. Wir nennen Empfindendie bloße Tatsache, daß ein Sinnesinhalt und weiterhin ein Nichtakt über-haupt in der, Erlebnisk.omplexion präsent ist. In Relation oder in Entgegen-setzung zum Erscheinen könnte uns die Rede vom Empfinden allenfalls dienen,um die apperzeptive Funktion solcher Inhalte anzuzeigen (nämlich, da sie alsTräger derjenigen Auffassung fungieren, in welcher sich das betreffende Er-scheinen als Wahrnehmen oder Imaginieren vollzieht).

Vgl..BRENTANO, a. a. 0. § 7, S. 120. In Beispielen heißt es: Erkenntnis,Freude, Begierde bestehen wirklich, Farbe, Ton, Wärme nur phänomenal undintentional. A. a. 0. S. 104 wird unter den Beispielen für physische Phänomeneaufgeführt: Eine Figur, Landschaft, die ich sehe . . . Wärme, Kälte,Geruch, die ich empfind e.

16*

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den physischen Phänomenen die phänomenalen Dinge, so ist essicher, daß sie zum mindesten nicht . zu existieren brauchen.Die Gebilde der produktiven Phantasie, die meisten Objekte derkünstlerischen Darstellung in Gemälden, Statuen, Poesien usw.,die halluzinatorischen und illusorischen Objekte existieren nurphänomenal und intentional, d. h. sie existieren, eigentlich zureden, überhaupt nicht, sondern nur die betreffenden Erschei-nungsakte mit ihren reellen und batentonalen Gehalten. Ganzanders liegt die Sache in betreff der physischen Phänomene,verstanden im Sinne der empfundenen Inhalte. Die empfundenen(erlebten) Farbeninhalte, Gestaltinhalte usw., welche wir in unauf-hörlichem Wechsel bei der Bildanschauu.ng von BÖCKLINS „Gefildender Seligen" haben, und welche, durch den Aktcharakter der Ver-bildlichung beseelt, sich zum Bewußtsein vom Bildobjekte aus-gestalten, sind reelle Bestandstücke dieses Bewußtseins. lind sieexistieren dabei keineswegs bloß phänomenal und intentional (alserscheinende und bloß vermeinte Inhalte), sondern wirklich. Natür-lich wird man nicht übersehen dürfen, .daß wirklich nicht so vielbesagt wie au ßerbewu fitseiend sondern so viel wie nickt bloßvermeintlich.

Buchdruckerei deg Waisen haulies in Halle u. d. S.