Download - ifo Schnelldienst 12/2019 · 2021. 1. 17. · ifo Schnelldienst ISSN 0018-974 X (Druckversion) ISSN 2199-4455 (elektronische Version) Herausgeber: ifo Institut, Poschingerstraße

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  • ZUR DISKUSSION GESTELLT

    Zukunft der Mobilität: Welche Optionen sind tragfähig?Christian Leßmann und Arne Steinkraus, Manuel Frondel, Martin Stuchtey und Manuel Braun, Thomas Hamacher, Barbara Lenz, Daniel Krajzewicz, Gernot Liedtke und Christian Winkler, Karen Pittel

    12201927. Juni 201972. Jahrgang

    DATEN UND PROGNOSEN

    ifo Konjunkturprognose Sommer 2019: Deutsche Konjunktur ohne SchwungTimo Wollmershäuser, Marcell Göttert, Christian Grimme, Carla Krolage, Stefan Lautenbacher, Robert Lehmann, Sebastian Link, Wolfgang Nierhaus, Ann-Christin Rathje, Magnus Reif, Anna-Pauliina Sandqvist, Radek Šauer, Marc Stöckli, Klaus Wohlrabe und Anna Wolf

  • ifo SchnelldienstISSN 0018-974 X (Druckversion)ISSN 2199-4455 (elektronische Version)

    Herausgeber: ifo Institut, Poschingerstraße 5, 81679 München, Postfach 86 04 60, 81631 München,Telefon (089) 92 24-0, Telefax (089) 98 53 69, E-Mail: [email protected]: Dr. Marga Jennewein.Redaktionskomitee: Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Annette Marquardt, Prof. Dr. Chang Woon Nam.Vertrieb: ifo Institut.Erscheinungsweise: zweimal monatlich.Bezugspreis jährlich:Institutionen EUR 225,– Einzelpersonen EUR 96,–Studenten EUR 48,–Preis des Einzelheftes: EUR 10,–jeweils zuzüglich Versandkosten. Layout: Kochan & Partner GmbH.Satz: ifo Institut.Druck: Majer & Finckh, Stockdorf.Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise): nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplars.

    im Internet:http://www.ifo.de

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    Zukunft der Mobilität: Welche Optionen sind tragfähig? 3

    Der Autoverkehr ist in vielen Städten zu einer hohen Belastung geworden: Lärm, überfüllte Innenstädte, Staus, Feinstaub- und Stickoxidemissionen sorgen für massive negative externe Effekte und haben eine heftige und kontroverse Diskussion um die Zukunft der Mobilität angeregt. Fahrverbote und City-Maut, Elektromobilität und Carsharing oder die Abkehr vom eigenen Auto: Wie soll der Verkehr in Zukunft aussehen? Welche Mobilitätskon-zepte können den stetig wachsenden Anforderungen an Klimaschutz, Flexibilität und Kosten Rechnung tragen?

    Nahezu alle Automobilkonzerne verfolgen derzeit eine Elektromobilitätsstrategie. Unterstützt werden diese Anstrengungen in Deutschland wie auch in vielen anderen Ländern durch Subventionsprogramme. Christian Leß-mann und Arne Steinkraus, Technische Universität Braunschweig, kommen zu dem Ergebnis, dass Elektroautos zwar die lokale Luftqualität in Städten verbessern. Die Klimabilanz ist aber fraglich und unsicher. Aufgrund dieser erheblichen Unsicherheiten erscheint die direkte Förderung der speziellen Technologie kaum als ein probates Mittel zur Erreichung von Klimazielen. Hingegen würde eine Umweltsteuer auf klimaschädliche Emissionen direkt zu einer Verringerung des CO2-Ausstoßes beitragen, ohne dabei eine bestimmte Technologie zu favorisieren.

    Manuel Frondel, RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, Essen, hält eine entfernungs- und schadstoff-abhängige Städte-Maut, die zeitlich gestaffelt alle negativen externen Effekte wie Stau, Lärm und Luftschadstoffe berücksichtigt, für das ökonomisch am besten geeignete Instrument. Sie würde dazu beitragen, dass der öffent-liche Raum und die öffentliche Infrastruktur in Städten effizienter genutzt würden. Eine Städte-Maut sei Fahrver-boten überlegen, sie würde den Städten und Kommunen zusätzliche Einnahmen bescheren und nicht zuletzt den Menschen Wahlfreiheit lassen, ob ihnen die Fahrt ins Stadtzentrum mit dem eigenen Pkw die Gebühren wert sind.

    Für Martin R. Stuchtey und Manuel Braun, Universität Innsbruck, muss ein tragfähiges Zukunftsmodell der Mobilität ressourcenschonend und klimaneutral angeboten werden. Dabei sei eine umfangreiche Ressourcenentkopplung des Systems »Mobilität« erforderlich. In der Automobilindustrie seien Ressourcenströme heute weitestgehend linear und geprägt von struktureller Verschwendung, vor allem im Sinne der Materialauslastung, Energieeffizienz, und Landnutzung. »Circular Mobility« beschreibe dagegen die Idee einer Kreislaufwirtschaft im Mobilitätssektor, in der öffentliche Verkehrsmittel mit neuen Mobilitätslösungen nahtlos ineinandergreifen. Vor allem in urbanen Regionen müsse ein schneller und einfacher Wechsel zwischen Individualverkehr, öffentlichem Nahverkehr und Sharing-Diensten ermöglicht werden.

    Thomas Hamacher, Technische Universität München, entwirft eine Verkehrszukunft, in der »das Auto seine beson-dere Rolle als emotionales Produkt verliert und Mobilität von Dienstleistern bereitgestellt« werde. Die Kunden suchen aus einem Portfolio aus öffentlichen und individuellen Verkehrsmitteln einen optimalen Mix aus. Die Wahl der Verkehrsmittel richte sich ausschließlich nach Kosten, Reisezeit und Komfort.

    Barbara Lenz, Daniel Krajzewicz, Gernot Liedtke und Christian Winkler, Institut für Verkehrsforschung am Deut-schen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, fassen die Mobilitätsoption der Zukunft in der Formel »Weniger und effizientere Nutzung des (privaten) Pkw« zusammen. Dazu sei neben der »Wiederentdeckung der sog. aktiven Modi – Zu-Fuß-Gehen und Fahrrad« – der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und neue Formen von Mobilitäts-dienstleistungen, die ein Mobilitätsangebot von Tür zu Tür realisieren, notwendig.

    Karen Pittel, ifo Institut, sieht in der CO2-Bepreisung im Straßenverkehr einen ersten Schritt zur Erreichung der Klimaziele 2030. Aus volkswirtschaftlicher Sicht biete eine umfassende Einbeziehung des Verkehrs sektors in das europäische Emissionshandelssystem das höchste Effizienzsteigerungspotenzial. Da eine Einbeziehung der bis-her nicht erfassten Emissionen auf EU-Ebene allerdings eher mittelfristig realisierbar erscheine, seien nationale Lösungen zumindest in der kurzen Frist realistischer. Wie auch immer eine CO2-Bepreisung realisiert wird, wird sie ihre volle Lenkungswirkung nur dann entfalten, wenn das existierende System an Energiesteuern, -abgaben und -umlagen ebenfalls reformiert werde.

    12/2019SCHNELLDIENST

  • DATEN UND PROGNOSEN

    ifo Konjunkturprognose Sommer 2019: Deutsche Konjunktur ohne Schwung 25Timo Wollmershäuser, Marcell Göttert, Christian Grimme, Carla Krolage, Stefan Lautenbacher, Robert Lehmann, Sebastian Link, Wolfgang Nierhaus, Ann-Christin Rathje, Magnus Reif, Anna-Pauliina Sandqvist, Radek Šauer, Marc Stöckli, Klaus Wohlrabe und Anna Wolf

    Die deutsche Wirtschaft kühlt sich seit Anfang letzten Jahres spürbar ab. Allerdings ist die konjunkturelle Ent-wicklung gespalten. Das exportorientierte Verarbeitende Gewerbe, in dem etwa ein Viertel der Wertschöpfung erwirtschaftet wird, steckt in einer Rezession. Wirtschaftspolitiken, die über Abschottung, Sanktionen und Androhungen versuchen, die globalisierte Wirtschaftsordnung zu verändern, haben die Verunsicherung weltweit steigen, die Industriekonjunktur abkühlen und den Welthandel einbrechen lassen. Gleichzeitig verzeichnen die größtenteils binnenorientierten Dienstleistungsbereiche und die Bauwirtschaft robuste und teilweise kräftige Zuwächse. Allerdings mehren sich mittlerweile die Anzeichen, dass sich die industrielle Schwäche allmählich über den Arbeitsmarkt und tiefe Wertschöpfungsketten auch auf die Binnenkonjunktur überträgt.

    Im laufenden Jahr wird mit einer Zunahme des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts von 0,6% gerechnet. Unter der Annahme, dass die vielfältigen Abwärtsrisiken nicht eintreten, wird sich die Konjunktur im kommen-den Jahr wieder etwas beschleunigen. Der Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Leistung wird voraussichtlich 1,7% betragen, was aber durch einen Kalendereffekt in Höhe von 0,4 Prozentpunkten überzeichnet wird. Die konjunk-turelle Grunddynamik, ausgedrückt als Jahresverlaufsrate, fällt mit 1,4% relativ schwach aus, so dass die deut-sche Wirtschaft ohne Schwung in das kommende Jahr gehen dürfte.

    In Folge der deutlich weniger dynamischen Produktionsentwicklung dürfte sich der Beschäftigungsaufbau abschwächen. Insgesamt wird die Zahl der Erwerbstätigen im Jahresdurchschnitt 2019 mit voraussichtlich 433 000 Personen weniger stark zunehmen als im Vorjahr. Im Jahr 2020 dürfte der Zuwachs noch ca. 247 000 Per-sonen betragen. Die Zahl der Arbeitslosen wird im laufenden und im kommenden Jahr nur noch um 93 000 bzw. 59 000 zurückgehen. Die Arbeitslosenquote (in der Abgrenzung der Bundesagentur für Arbeit) wird im Prognose-zeitraum von voraussichtlich 4,9% auf 4,8% sinken.

    Die Verbraucherpreise dürften im Durchschnitt des laufenden Jahres um 1,5% steigen. Binnenwirtschaftlich dürf-ten die Unternehmen den Lohnkostenschub, der insbesondere durch die Wiedereinführung der paritätischen Finanzierung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgelöst wurde, nach und nach an die Verbraucher wei-tergeben. Zudem ist der gesetzliche Mindestlohn erhöht worden. Im nächsten Jahr dürfte sich die Inflationsrate, im Einklang mit der besseren Konjunktur, auf 1,8% beschleunigen.

    Die Finanzpolitik ist im laufenden Jahr expansiv ausgerichtet. Dazu tragen insbesondere die Senkung des Bei-tragssatzes zur Arbeitslosenversicherung, die Ausweitung der Mütterrente in der ersten Jahreshälfte und das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz bei. Es wird erwartet, dass sich der Finanzierungsüberschuss im Jahr 2019 auf rund 49 Mrd. Euro bzw. 1,4% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt beläuft und sich damit weiterhin Überschüsse in ähnlich hohem Niveau wie im Vorjahr realisieren. Der Expansionsgrad dürfte im Jahr 2020 zurückgehen und insgesamt schwächer ausfallen. Positive Impulse sind vor allem aus den Entlastungen bei der Einkommensteuer sowie durch die Ausweitung der investiven Ausgaben der Gebietskörperschaften zu erwarten. Der gesamtstaat-liche Finanzierungsüberschuss wird im Jahr 2020 voraussichtlich rund 32 Mrd. Euro bzw. 0,9% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt betragen.

    Die Risiken für die weltwirtschaftliche Entwicklung dominieren weiterhin die Chancen. Insbesondere ist eine Eskalation des Handelskonflikts zwischen den USA und China nach dem Scheitern der Handelsgespräche Anfang Mai wahrscheinlicher geworden. Aber auch andere Länder stehen nach wie vor im Visier der amerikanischen Handelspolitik.

    Auch der nach wie vor geplante Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ist ein Risiko für die Prognose. Nach der Verschiebung des Austrittsdatums sollte der Brexit spätestens bis Ende Oktober dieses Jahres stattfinden. Ein weiteres Risiko stellt die Haushaltslage Italiens dar. Wenn der Streit mit der Europäischen Kommission wieder aufflammen sollte, könnte dies negative Auswirkungen auf die ohnehin schwache konjunk-turelle Dynamik in dem südeuropäischen Land haben.

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    ifo Schnelldienst 12 / 2019 72. Jahrgang 27. Juni 2019

    * Prof. Dr. Christian Leßmann ist Leiter des Instituts für Volkswirt-schaftslehre an der Technischen Universität Braunschweig und ifo Forschungsprofessor.** Dr. Arne Steinkraus ist Lehrbeauftragter an der Technischen Universität Braunschweig.

    Christian Leßmann

    Arne Steinkraus

    Christian Leßmann* und Arne Steinkraus**»Zero Emission«? CO2-Emissi-onen von Elektroautos

    Aufgrund der stetig strikter werdenden Emissions-grenzwerte im Automobilsektor verfolgen nahezu alle Automobilkonzerne derzeit eine mehr oder min-der stark ausgeprägte Elektromobilitätsstrategie. Unterstützt werden diese Anstrengungen in Deutsch-land wie auch in vielen anderen Ländern durch Sub-ventionsprogramme, die unter anderem Steuerer-leichterungen, Forschungsförderungen, Umweltboni und öffentliche Beschaffungsprogramme beinhal-ten. Dietrich et al. (2016) haben in ihrem Artikel im ifo Schnelldienst (11/2016) dargelegt, dass deren Effektivität und Effizienz durchaus fraglich ist. Inzwi-schen hat die Zeit gezeigt, dass das selbstgesteckte Ziel der Bundesregierung von einer Million Zulassun-gen an Elektroautos auf Deutschlands Straßen bis 2020 unerreichbar ist. Die Politik hat so reagiert, dass sie das Ziel erst zwei Jahre später, 2022, erreichen will. Ende 2018 waren jedoch nur rund 90 000 rein elektrisch fahrende Pkw zugelassen, so dass auch die Erreichung dieses Ziels fraglich erscheint.

    In diesem Artikel wird diskutiert, ob das Ziel überhaupt aus umweltökonomischer Sicht gerecht-fertigt ist. Unumstritten sind positive Wirkungen von Elektroautos auf die lokale Luftqualität in Städ-ten. Rein elektrisch betriebene Fahrzeuge emittieren

    Zukunft der Mobilität: Welche Optionen sind tragfähig?

    Der Autoverkehr ist in vielen Städten zu einer hohen Belastung geworden: Lärm, über-füllte Innenstädte, Staus, Feinstaub- und Stickoxidemissionen sorgen für massive nega-tive externe Effekte und haben eine heftige und kontroverse Diskussion um die Zukunft der Mobilität angeregt. Fahrverbote und City-Maut, Elektromobilität und Carsharing oder die Abkehr vom eigenen Auto: Wie soll der Verkehr in Zukunft aussehen? Welche Mobilitäts-konzepte können den stetig wachsenden Anforderungen an Klimaschutz, Flexibilität und Kosten Rechnung tragen?

    keine gasförmigen Schadstoffe wie z.B. Stickoxide. Allein Feinstaubemissionen durch (Gummi-)Abrieb und Wiederaufwirbelungen sind auf vergleichbarem Niveau zu konventionellen Fahrzeugen. Bezogen auf das Treibhausgas CO2 besteht hinsichtlich der Klima-bilanz hingegen große Unsicherheit. Während bei-spielsweise Hawkins et al. (2013) und die Forschungs-stelle für Energiewirtschaft e.V. (FfE 2018) einen posi-tiven Klimaeffekt von Elektrofahrzeugen ab einer Laufleistung von etwa 50 000 km prognostizieren, stellen Autoren wie Ensslen et al. (2017) und Jochem et al. (2015) die positive Klimabilanz für Elektrofahr-zeuge zumindest teilweise in Frage. Buchal, Karl und Sinn (2019) sehen gar keinen positiven Klimaeffekt über die Lebensdauer eines Fahrzeugs. In jüngster Zeit beobachten wir eine teils ideologisch getriebene Diskussion in den Medien, die auf Studien mit erheb-lichen Unterschieden in den Resultaten basiert und in manchen Fällen um fallspezifisches »Schönrechnen« angereichert wird (vgl. Hajek 2019). Wir wollen daher in einem wertfreien, positiven Ansatz der Frage nach-gehen, wie die eklatanten Unterschiede zu Stande kommen. Dazu werden in einem ersten Schritt die unterschiedlichen Annahmen hinsichtlich der Emis-sionen bei der Stromerzeugung diskutiert, die zent-ral für die Klimabilanz von Elektrofahrzeugen sind. Anschließend führen wir auf Basis der kürzlich ver-öffentlichten Studie der Forschungsstelle für Ener-giewirtschaft e.V. (FfE 2018) eine Sensitivitätsanalyse der Schlüsselparameter durch.

    EMISSIONEN IM DEUTSCHEN STROMMIX

    Um die Klimabilanz von Elektrofahrzeugen im Ver-gleich zu Fahrzeugen mit konventionellem Antrieb zu erfassen, ist eine sogenannte Cradle-to-grave-Ana-

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    ifo Schnelldienst 12 / 2019 72. Jahrgang 27. Juni 2019

    lyse vonnöten. Das heißt, es müssen sämtliche Emissionen in die Betrachtung einbezogen und bi- lanziert werden, die beim Bau der Fahrzeuge, in Betrieb und Entsorgung anfallen. Hierzu zählen nicht nur die Emissionen, die bei der Produktion, Stromer-zeugung bzw. Verbrennung von Diesel oder Benzin entstehen, sondern ebenfalls sämtliche Vorketten-emissionen. Tatsächlich zeigt sich, dass die Vorket-tenemissionen einen erheblichen Teil der Unter-schiede zwischen den verschiedenen Studien erklä-ren können.

    Um ein Beispiel hierfür zu geben, betrachten wir die spezifischen Kohlendioxidemissionen der deut-schen Stromproduktion, da diese Kennzahl ent-scheidend für die Klimaeffektivität der E-Mobilität ist. So heißt es im Bericht des Umweltbundesamtes (UBA 2018) »Die durchschnittlichen Kohlendioxid- emissionen ohne Berücksichtigung des Stromhan-delssaldos einer Kilowattstunde Strom […] [beliefen sich im Jahr 2017 auf] 489 g CO2 […]«. An diese Zahl angelehnte Werte für die spezifischen Emissionen beim Betrieb eines Elektrofahrzeugs finden sich unter anderem in Finsterbusch (2019) oder ADAC (2018a). Bereits bei Betrachtung des tatsächlichen Stromin-landsverbrauchs, der maßgeblich für die Bewertung sein sollte, resultiert im betrachteten Zeitraum ein um 48 g CO2/kWh höherer Wert. Grund für die Diffe-renz ist laut UBA (2018) unter anderem der Handels-saldo. Weiterhin werden in den Zahlen nicht die Vor-kettenemissionen, das heißt, die bei Extraktion und Transport der Brennstoffe entstehenden Emissionen berücksichtigt. Dieser Wert entspricht laut ecoin-vent-Datenbank etwa 8–10% der geschätzten Strom-produktionsemissionen (vgl. FfE 2018). Fraglich ist ferner, wie die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien und Kernenergie bewertet werden muss. Das UBA (2018) unterstellt Vorkettenemissionen von null und nimmt damit implizit an, dass Solarmodule und Windparks ohne Verbrauch von CO2-intensiver Energie hergestellt, unterhalten und recycelt wer-den können. Evans et al. (2009) berechnen Cradle-to- grave-Emissionen von erneuerbaren Energiequellen. Diese liegen bei etwa 25 g CO2/kWh für Windenergie, 100 g CO2/kWh für Solarenergie und 170 g CO2/kWh für Geothermie. Dies sind durchaus bewertungsrele-vante Größenordnungen.

    WEITERE UNSICHERHEITEN

    Neben der Frage der spezifischen Emissionen des Energieverbrauchs bleibt in allen Studien unberück-sichtigt, dass für die volkswirtschaftliche Bewer-tung nicht Durchschnittsgrößen, sondern Grenzef-fekte relevant sind. Bei höheren Zulassungszahlen von Elektrofahrzeugen kommen zusätzliche Strom-verbraucher hinzu. In der kurzen Frist ist unklar, ob die zusätzliche elektrische Energie mit dem Durch-schnittswert angesetzt werden kann. Werden die Elektrofahrzeuge überwiegend nachts geladen

    (vgl. Ensslen et al. 2017), dann steht ohne effek-tive Speicher keine Solarenergie zur Verfügung. Bei Windkraft hängt es von der Höhe der Anlage und weiteren Geländeeigenschaften ab, ob die Wind-ausbeute eher tagsüber oder eher nachts höher ist. Leider liegen keine Berechnungen für die Grenz- emissionen vor. Jedoch erzeugt dieses Problem eine weitere Unsicherheit bei der Bewertung von Elektrofahrzeugen.

    Schließlich muss bei einer volkswirtschaftli-chen Betrachtung auch berücksichtigt werden, wie die Verbraucher auf die neue Technologie reagieren. Die Nachhaltigkeitsliteratur diskutiert in diesem Zusammenhang sogenannte Rebound-Effekte, die positiven Umweltwirkungen entgegenlaufen. Die Nutzung grüner Technologien hat beispielsweise zur Folge, dass die variablen Betriebskosten auf-grund des geringeren Energieverbrauchs sinken. So liegen die variablen Kosten bei einem e-Golf bei etwa 5,6 Cent/km, während sie bei einem vergleich-baren Verbrenner mit etwa 9,4 Cent/km fast 70% höher sind (vgl. ADAC 2018c). Zudem führen stei-gende Skalenerträge in der Produktion zu niedrige-ren Anschaffungskosten, was zu einer weiteren Ver-breitung der Technologie beiträgt. Dies kann zwar zu einer ggf. gewünschten Substitution von Verbrennern führen, jedoch auch den Gesamtfahrzeugbestand erhöhen. Weiterhin können sinkende Kosten der Elektromobilität Konsumenten zur Anschaffung grö-ßerer und schwererer Fahrzeuge mit höherem Strom-verbrauch veranlassen oder zu einer intensiveren Nutzung der Fahrzeuge beitragen. Solche Effekte können durchaus sehr groß sein. Für die Elektromobi-lität ermitteln Bjelle et al. (2018) Rebound-Effekte von durchschnittlich 48%. Das heißt, dass die durch die Elektromobilität zunächst eingesparten Emissionen nahezu zur Hälfte durch Verhaltensanpassungen wie-der freigesetzt werden. Ein Teil davon ist auf intensi-vere Nutzung zurückzuführen.

    SENSITIVITÄTSANALYSE

    Im Folgenden wollen wir untersuchen, welche Aus- wirkungen die verschiedenen Annahmen auf die Klimabilanz von Elektrofahrzeugen hat. Da die beschriebenen Annahmen allein keine Aussage über die Klimabilanz von Elektrofahrzeugen gegenüber Verbrennern zulassen, erfolgt an dieser Stelle eine Sensitivitätsanalyse der Break-even-Laufleistung im Hinblick auf die Emissionsintensität des getank-ten Stroms und der Produktionsemissionen der Fahr-zeuge. Die Break-even-Laufleistung beschreibt den Kilometerstand eines Fahrzeugs (seit Erstzulassung), ab dem ein Elektrofahrzeug eine bessere Umwelt-bilanz aufweist als ein vergleichbarer Verbrenner. Als Ausgangsbasis werden hierzu die Daten der For-schungsstelle für Energiewirtschaft e.V. (FfE 2018) genutzt. Die Ergebnisse der Berechnungen fasst Tabelle 1 zusammen.

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    ifo Schnelldienst 12 / 2019 72. Jahrgang 27. Juni 2019

    Im Basisszenario ergeben sich für das betrach-tete Fahrzeug der Golf-Klasse Produktionsemissio-nen i.H.v. 10 t CO2

    1 für den Elektroantrieb (3,2 t CO2 für die Batterie2 und 6,8 t CO2-Äq für das Fahrzeug) beziehungsweise 6,6 t CO2 für den Benziner. Aus-gangspunkt für die Emissionen bei der Batteriepro-duktion ist die derzeit effizienteste verfügbare Tech-nologie. Für den Betrieb werden die Energiebedarfe des VW Golf (1.5 TSI ACT DSG – 96 kW) und des eGolf (100 kW) gemäß ADAC EcoTests (ADAC 2018b) unter-stellt. Diese belaufen sich auf 5,9 l Super Benzin be- ziehungsweise 17,3 kWh elektrische Energie. Zur Bewertung der Emissionsintensität des Elektro-fahrzeugs wird der deutsche Strommix des Jah-res 2017 inklusive Vorkette mit 580 g CO2/kWh ange-setzt. Cradle-to-grave-Emissionen der erneuerba-ren Energien und der Kernenergie bleiben zunächst unberücksichtigt. Für den Verbrenner werden Cradle-to-grave-Emissionen in Höhe von 330 g CO2/kWh bei einem näherungsweisen Energiegehalt des Benzins von 8,8 kWh/l angenommen. Daraus resultie-ren kilometerspezifische Emissionen von 100 g/km (Elektrofahrzeug) beziehungsweise 171 g/km (Ben-ziner). Der klimatische Break-even-Point, an dem die Mehremissionen der Produktion des Elektroautos gerade ausgeglichen werden, ergibt sich somit nach einer Fahrleistung von knapp 50 000 km.

    Im optimistischen Szenario wird die vom UBA (2016) für das Jahr 2030 prognostizierte Emissionsin-tensität des Stroms von etwa 320 g CO2/kWh unter-stellt. Hieraus ergeben sich bei gleicher Batterieka-pazität betriebsbedingte Emissionen von 55 g/km. Nehmen wir für den Benziner keinerlei technologi-sche Änderungen an, reduziert sich der klimatische Break-even auf etwa 29 000 km. Wir unterstellen dabei weiterhin, dass Batterien mit der heute best-möglichen Technologie produziert werden.

    Im pessimistischen Szenario unterstellen wir heutige betriebsbedingte Emissionsintensitäten in Verbindung mit realitätsnäheren Ladezeitpunkten von insgesamt 700 g CO2/kWh

    3, einem um 50 kWh/1 Sämtliche CO2 Angaben sind als CO2-Äquivalente zu interpre-tieren.2 105,6 kg CO2-Äq/kWh Batteriekapazität bei einer Gesamtkapazität von 30 kWh.3 In Anlehnung an Ensslen et al. (2017).

    kWh4 höheren Strombedarf in der Batteriefertigung, der einer heutigen durchschnittlichen Anlage ent-spricht, sowie eine mit 15 kWh größere Batterie, die die Reichweitennachteile zumindest teilweise aus-gleichen kann. Daraus resultieren Produktionse-missionen von etwa 13,6 t CO2 sowie kilometerspe-zifische Emissionen von 121 g/km (vgl. UBA 2018; FfE 2018). Der sich in diesem Szenario ergebende Break-even beliefe sich dann auf ca. 140 000 km.

    Unsere Berechnungen konzentrieren sich allein auf die Break-even-Laufleistung in Kilometern, ab der Elektrofahrzeuge eine positive CO2-Bilanz aufweisen. Welche Lebenslaufleistung Elektrofahr-zeuge erreichen können, ist hingegen schwer zu prognostizieren. Im Vergleich zu herkömmlichen Pkw mit Benzin- und Dieselantrieb gibt es keine lang-fristigen Erfahrungswerte. Jedoch ist davon auszuge-hen, dass die Fahrzeugbatterie nach etwa 120 000 km ausgetauscht werden muss (vgl. Vallée et al. 2018). Diese Laufleistung markiert folglich den spätesten Break-even, bei dem das Elektrofahrzeug wenigstens klimaneutral im Vergleich zum Verbrenner ist. Legt man diese Werte zugrunde, ist ersichtlich, dass eine positive Klimabilanz zumindest im pessimistischen Szenario durchaus unsicher ist. Insgesamt zeigen unsere Berechnungen, dass die Ergebnisse für den Fall Deutschlands sehr sensibel gegenüber den zu treffenden Annahmen sind. Andere Länder mit bes-serem Energimix können freilich stärker von der Elek-tromobilität profitieren.

    FAZIT

    Der Werbeslogan »Zero Emission« ist bei Elektro- autos nur bezogen auf lokale Emissionen zutreffend. Die Klimabilanz ist hingegen fraglich und unsicher. Unsere Untersuchung zeigt, dass eigentlich jede gewünschte Aussage über die entsprechende Wahl der Annahmen belegt werden kann. Aufgrund der erheblichen Unsicherheiten bezüglich der Klimabi-lanz von Elektrofahrzeugen erscheint die direkte För-derung der speziellen Technologie kaum als ein pro-bates Mittel zur Erreichung von Klimazielen sein. Hin-4 »Kilowattstunde Energiebedarf für die Fertigung einer Kilowatt-stunde Batteriekapazität.«

    Tab. 1 Klima-Break-even-Point E-Auto vs. Benziner

    Klima-Break-Even-Point, E-Auto-Kompaktklasse

    Annahme Energiemix Spezifische Emissionen im Betrieb g CO2/kWh

    kleine Batterie- kapazität (10 t CO2)

    große Batterie- kapazität (13,6 t CO2)

    Jahr 2030 (UBA 2016) 320 29 000 km 61 000 km Jahr 2017 (UBA 2018) 537 44 000 km 90 000 km Jahr 2017 + Vorkette (UBA 2018, Berechnung der Autoren)

    580 48 000 km 99 000 km

    Jahr 2017 + Vorkette + realitätsnahen Lade-zeitpunkten + erneuerbare Energien (UBA 2018; Ensslen et al. 2017, Berechnung der Autoren)

    700 68 000 km 140 000 km

    Tab. 1

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    ifo Schnelldienst 12 / 2019 72. Jahrgang 27. Juni 2019

    gegen würde eine Umweltsteuer auf klimaschädliche Emissionen direkt zu einer Verringerung des CO2-Aus-stoßes beitragen, ohne dabei eine bestimmte Tech-nologie zu favorisieren. Es bliebe dem Verbraucher überlassen, ob er auf kleinere, emissionsarme Ver-brenner-Pkw umsteigt, den öffentlichen Personen-nahverkehr nutzt oder eben ein Elektroauto.

    LITERATUR

    ADAC (2018a), »Elektro, Gas, Benzin, Diesel & Hybrid: Die Ökobilanz unse-rer Autos«, adac.de, 20. März, verfügbar unter: https://www.adac.de/der-adac/motorwelt/reportagen-berichte/auto-innovation/studie-oekobi-lanz-pkw-antriebe-2018/, aufgerufen am 4. Februar 2019.

    ADAC (2018b): »ADAC Ecotest – über Stinker und Saubermänner«, adac.de, verfügbar unter: www.adac.de/infotestrat/tests/eco-test/, aufgerufen am 4. Februar 2019.

    ADAC (2018c), »ADAC – Autokosten Herbst/Winter 2018/2019«, adac.de, verfügbar unter: https://www.adac.de/_mmm/pdf/autokostenueber-sicht_47085.pdf, aufgerufen am 7. März 2019.

    Bjelle, E. L., K. Steen-Olsen und R. Wood (2018), »Climate change mitiga-tion potential of Norwegian households and the rebound effect«, Journal of Cleaner Production 172, 208–217.

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    Hajek, St. (2019), »Die Mythen der E-Auto-Kritiker«, WirtschaftsWoche, 24. Janaur, verfügbar unter: https://www.wiwo.de/unternehmen/auto/fal-sche-zahlen-steile-thesen-die-mythen-der-e-auto-kritiker/23906014.html, aufgerufen am 1. Februar 2019.

    Hawkins, T. R., B. Singh, G. Majeau-Bettez und A. H. Strømman (2013), »Comparative environmental life cycle assessment of conventional and electric vehicles«, Journal of Industrial Ecology 17(1), 53–64.

    Jochem, P., S. Babrowski und W. Fichtner (2015), »Assessing CO2 emissions of electric vehicles in Germany in 2030«, Transportation Research Part A: Policy and Practice 78, 68–83.

    KBA – Kraftfahrt-Bundesamt (2018), »Verkehr in Kilometern der deutschen Kraftfahrzeuge im Jahr 2017«, verfügbar unter: https://www.kba.de/DE/Statistik/Kraftverkehr/VerkehrKilometer/verkehr_in_kilometern_node.html, aufgerufen am 2. Februar 2019.

    KBA – Kraftfahrt-Bundesamt (2019), »Verkehr in Kilometern der deutschen Kraftfahrzeuge im Jahr 2017«, verfügbar unter: https://www.kba.de/DE/Statistik/Kraftverkehr/VerkehrKilometer/verkehr_in_kilometern_node.html, aufgerufen am 22. März 2019.

    Umweltbundesamt (2016), Weiterentwicklung und vertiefte Analyse der Umweltbilanz von Elektrofahrzeugen, verfügbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publi-kationen/texte_27_2016_umweltbilanz_von_elektrofahrzeugen.pdf, auf-gerufen am 7. März 2019.

    Umweltbundesamt (2018), Climate Change 11/2018. Entwicklung der spe-zifischen Kohlendioxid-Emissionen des deutschen Strommix in den Jah-ren 1990 bis 2017, verfügbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2018-05-04_climate-ch-ange_11-2018_strommix-2018_0.pdf, aufgerufen am 1. Februar 2019.

    Vallée, D., W. Brost, A. Schnettler, R. Kampker und M. Bartsch (2018), »In- frastruktur«, Elektromobilität, 87–131.

    Manuel Frondel*Plädoyer für eine Städte-Maut

    Der Autoverkehr ist in vielen Städten zu einer hohen Belastung geworden. Neben Lärm, durch parkende Autos überfüllte Innenstädte und durch Staus ver-stopfte Straßen sorgen Feinstaub- und Stickoxid- emissionen für massive negative externe Effekte. Mit diesem Begriff beschreiben die Wirtschaftswissen-schaften negative Auswirkungen auf Unbeteiligte, ohne dass der Verursacher dafür entsprechende Kos-ten tragen muss. Um die volkswirtschaftlichen Kos-ten der Autonutzung verursachergerecht zuzuord-nen, wäre eine nutzungsabhängige Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur sinnvoll.

    So wäre eine entfernungs- und schadstoffabhän-gige Straßennutzungsgebühr, die zeitlich fein gestaf-felt alle negativen externen Effekte wie Stau, Lärm und Luftschadstoffe berücksichtigt, das aus öko-nomischer Sicht dazu am besten geeignete Instru-ment. Darüber hinaus ist eine adäquate Bepreisung öffentlicher Parkplätze die aus ökonomischer Pers-pektive beste Möglichkeit, um die Überlastung von Parkflächen zu reduzieren. Und eine Städte-Maut, das heißt eine Gebühr für eine Fahrt mit dem Auto in eine Stadt, würde dazu beitragen, dass der öffentli-che Raum und die öffentliche Infrastruktur in Städten effizienter genutzt würden.

    Aufgrund der Zunahme der Zahl der Autos in Deutschland, die allein zwischen 2007 und 2018 um über 14% anstieg, von 41,2 auf 47,1 Mio. Pkw (KBA 2019), nehmen die durch den Autoverkehr ver-ursachten Probleme auch in Städten weiter zu. Mit der Einführung einer Städte-Maut können diese Pro-bleme, insbesondere die verkehrsbedingten lokalen Schadstoffemissionen, in effizienter Weise bekämpft werden (vgl. Achtnicht, Kesternich und Sturm 2018). Will ein Autofahrer innerstädtische Straßen benut-zen, ist bei jedem Mal die Maut zu entrichten. Der jeweilige Mautbetrag sollte dabei idealerweise streng nach dem Schadstoffausstoß des Pkws gestaffelt sein. Die negativen Auswirkungen des Autofahrens, unter denen die Stadtbewohner besonders zu leiden haben und deren Kosten bislang die Gesellschaft zu tragen hat, würden damit, so zeigt die vorhandene empirische Evidenz, verringert.

    EFFEKTE EINER STÄDTE-MAUT

    In Städten wie Oslo, Trondheim, Bergen, Stockholm, Göteborg, Mailand, Palermo, Bologna, London oder Singapur wird teils seit Jahrzehnten auf eine Städ-te-Maut gesetzt. In Stockholm etwa, wo – zunächst für eine Probezeit von sieben Monaten – seit dem Jahr

    * Prof. Dr. Manuel Frondel ist Leiter des Kompetenzbereichs »Um-welt und Ressourcen« am RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsfor-schung und außerplanmäßiger Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum.

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    Manuel Frondel

    2006 je Einfahrt in die Innenstadt eine uhrzeitabhän-gige Maut erhoben wird, ging der Autoverkehr in den Jahren 2006–2011 um 18 bis 21% gegenüber dem Jahr 2005 zurück (vgl. Börjesson et al. 2012). Die Maut wird in Stockholm von Montag bis Freitag in der Zeit von 6:30 bis 18:29 erhoben, in den Stoßzeiten von 7:30 bis 8:30 und 16:00 bis 17:30 sind 35 Kronen (ca. 3,3 Euro) zu zahlen, in den übrigen Stunden ist die Maut güns-tiger, der geringste Mautbetrag liegt bei 15 Kronen (ca. 1,4 Euro). Die Maut wird in beiden Richtungen fäl-lig, das heißt eine Fahrt in die Stadt und zurück kos-tet zu Stoßzeiten 70 Kronen (ca. 6,6 Euro); maximal sind jedoch nur 105 Kronen bzw. rund 9,9 Euro am Tag fällig. Die kumulierten Mautgebühren sind im Nach-hinein zu bezahlen und werden dem Fahrzeughalter am Ende des Folgemonats in Rechnung gestellt. Zur Registrierung wird das Fahrzeugkennzeichen beim Passieren einer Kontrollstation im Innenstadtbereich fotografiert und der Fahrzeughalter ermittelt.

    Die probeweise Einführung der Innenstadtmaut in Stockholm ab Januar 2006 ermöglichte der Wissen-schaft nahezu ideale Bedingungen zur Evaluierung der Auswirkungen der Maut. Während der siebenmo-natigen Testphase wurden von der Stadt Stockholm kontinuierlich die Verkehrsstärke, die Luftqualitäts-werte, die Reisezeit, die Einflüsse auf den Parkplatz-suchverkehr sowie den Radverkehr gemessen. Es ließ sich dadurch feststellen, dass die verkehrslenkende Wirkung mit der Maut zusammenhing (vgl. Beser Hugosson, Sjöberg und Byström 2006; Abschluss-bericht der Stadt Stockholm). Ein Indiz dafür ist, dass nach Ende der Testphase die Verkehrsmenge wieder auf den ursprünglichen Wert anstieg.

    In einem Diagramm des Evaluationsberichts der Stadt Stockholm sind die Veränderungen der Verkehrsmengen gut zu erkennen. Die Reduzie-rung des Verkehrsaufkommens war je nach Uhr-zeit verschieden und lag in der Mautzeit im Durch-schnitt bei 22% (vgl. Beser Hugosson, Sjöberg und Byström 2006, S. 6). Die morgendliche Spitze wurde um 16% re duziert, die abendliche Spitze um 24%. Über die gesamten 24 Stunden eines Tages war das Ver- kehrs aufkommen im April 2006 um 19% geringer als vor Einführung der Maut im April 2005. Dies ent-spricht einem Rückgang von rund 100 000 Fahrten pro Tag.

    Außerhalb der Mautzeiten blieb das Verkehrs- aufkommen weitgehend unverändert. Dies zeigt, dass Fahrten nicht in die mautfreien Zeiten verlagert wurden. Dass viele Autofahrer auf die finanziellen Anreize, die durch die Maut gesetzt werden, reagie-ren, sieht man besonders gut am Ende der Mautzeit um 18:29. Danach steigt das Verkehrsaufkommen sprunghaft an. Offenbar warten Autofahrer bis 18:30, bis sie die Stadt verlassen und arbeiten bis dahin oder nutzen die Zeit anderweitig, etwa zum Einkaufen.

    Der unterschiedliche Rückgang des Verkehrsauf-kommens in Stockholm zu verschiedenen Tageszei-ten zeigt, dass man mit einer auslastungsabhängi-

    gen Maut Verkehrsströme in gewissem Maße steu-ern kann. Mit technisch bereits heute verfügbaren automatischen Bezahlsystemen wäre es möglich, einerseits Erfassungsaufwand und -kosten deut-lich zu reduzieren, so dass die Nettoeinnahmen für die Städte höher ausfielen als mit den bestehenden Pkw-Kennzeichenerfassungssystemen. Andererseits würden es technisch versierte Systeme sogar erlau-ben, eine vom jeweiligen Fahrzeugtyp abhängige individuelle Maut zu erheben und so eine weitaus stärkere Differenzierung als bislang vorzunehmen, etwa nach Schadstoffklassen.

    Ein nach Uhrzeiten gestaffeltes Mautsystem wie in Stockholm gibt es seit dem Jahr 2013 auch in Göte-borg. Die Maut wird von Montag bis Freitag in der Zeit von 6:00–18:29 erhoben; mautfrei sind, ebenso wie in Stockholm, die Wochenenden, Feiertage, der Tag vor einem Feiertag sowie der Monat Juli. Zu den Hauptverkehrszeiten am Morgen und am Nachmittag wird ein höherer Betrag von 22 Kronen (ca. 2,1 Euro) erhoben. Der jeweils zu zahlende Betrag ist an den Mautstationen abgebildet. Der Höchstbetrag beim mehrmaligem Passieren von Mautstationen liegt bei 60 Kronen (ca. 5,7 Euro) pro Tag. Acht Monate nach Einführung der Maut pendelte sich die Reduktion des Pkw-Verkehrsaufkommens während der Mautzeiten bei 12% ein, wobei der Rückgang während der Stoß-zeiten am Morgen leicht höher ausfiel (vgl. Börjesson und Kristoffersson 2015). Außerhalb der Mautzeiten blieb das Verkehrsaufkommen hingegen weitgehend unverändert.

    In London wird seit Februar 2003 von Montag bis Freitag in den Zeiten von 7:00 bis 18:00 eine Maut erhoben. Anfänglich betrug sie 5 Pfund pro Tag, aktu-ell sind es 11,5 Pfund (vgl. Tfl 2019) bzw. rund 13 Euro. Wie in Göteborg und Stockholm werden die Kennzei-chen der Autos an den Einfahrtstraßen registriert. Regelmäßige Nutzer bezahlen per Kontoabbuchung oder durch verbilligte Vorauszahlung mit Mengen-rabatt. Bei Zahlungsverzug werden empfindliche Strafen in Höhe von 160 Pfund fällig. Diese Strafe reduziert sich auf die Hälfte, wenn man innerhalb einer bestimmten Frist bezahlt. Die Einnahmen aus der Londoner »Congestion Charge« mussten in den zehn Jahren nach ihrer Einführung von Gesetzes wegen in Verbesserungen der Nahverkehrsinfrastruk-tur investiert werden. Der Verkehrsgesellschaft Trans-port for London (Tfl) blieb nach Abzug der Betriebs-kosten regelmäßig ein dreistelliger Millionenbe- trag übrig.

    Bis Mitte 2005 sank die Zahl der Pkw-Fahrten um rund ein Drittel (vgl. Leape 2006). Im Gegenzug nahm die Zahl der Busfahrgäste um rund 38% zu, wobei die eine Hälfte dieses Anstieges auf die Maut und die andere Hälfte auf eine Verbesserung der Busver-kehrsdienstleistungen zurückgeführt wird. Allerdings hat der Pkw-Verkehr in den vergangenen Jahren wie-der sein Vor-Maut-Niveau erreicht und es ist die Frage, ob dies ein spezielles Phänomen für London darstellt

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    oder ob damit auch in anderen Städten zu rechnen sein wird.

    Aus einem anderen Motiv als in London wurde im Jahr 2008 eine Maut in Mailand eingeführt. Zwar lag dort auch ein Stauproblem vor, jedoch waren die Umweltprobleme ein größeres Übel, vor allem die hohe Luftverschmutzung. Daher wurde eine nach Abgasklassen gestaffelte Maut für die Zeit von 7:30 bis 19:30 eingeführt. Je schlechter die Abgaswerte, desto höher die Gebühr. Diese ist gestaffelt in fünf Klassen: von vollkommen freigestellten Fahrzeugen wie Bio-gas, Hybrid-, Elektroautos oder einigen Benzinern bis zu 10 Euro für einige Dieselfahrzeuge. Die Einführung des sogenannten Ecopass geschah vor dem Hinter-grund, dass der größte Ballungsraum Italiens, in dem rund 8 Mio. Menschen wohnen, mit 0,4 Autos pro Ein-wohner und 1,17 Autos pro Familie die höchste Auto-dichte weltweit aufweist. Neun Monate nach Einfüh-rung der Maut befand sich die Zahl der Fahrzeuge, die täglich in die Mautzone fuhren, 14,2% unter dem Niveau vor der Einführung (vgl. Rotaris et al. 2010). Die lokalen Schadstoffemissionen sanken beträcht-lich: bei Stickoxiden um 17% und bei Feinstaub um 18%. Die Kohlendioxidemissionen verringerten sich um 14%.

    STÄDTE-MAUT IST FAHRVERBOTEN ÜBERLEGEN

    Die Erfahrungen aus Stockholm, Göteborg, Oslo und anderen Städten zeigen, dass mit einer Städte-Maut das Pkw-Aufkommen deutlich sinkt. Damit verrin-gern sich sowohl die Emissionen als auch die Häufig-keit von Staus. Diese Wirkungen entfaltet eine Städ-te-Maut dadurch, dass die Kosten für eine Autofahrt in die Stadt im Vergleich zu den Alternativen stei-gen. Dies erhöht die Attraktivität der Nutzung ande-rer Verkehrsmittel und führt zu einem Umstieg auf Verkehrsmittel, mit denen weniger negative externe Effekte verbunden sind, etwa den öffentlichen Nah-verkehr (ÖPNV) oder das Fahrrad. Eine Städte-Maut regt zudem zu einer effizienteren Nutzung von Pkws an, etwa durch die Bildung von Fahrgemeinschaften.

    Eine Städte-Maut würde den Städten und Kom-munen zusätzliche Einnahmen bescheren, die zweck-gebunden in den Ausbau des ÖPNV und der Rad- und Fußwege sowie die Finanzierung von Sozial- tickets fließen könnten. Den Menschen würden somit mehr, bessere und günstigere Optionen für ihre täg-liche Mobilität geboten. Natürlich muss die Mobilität für alle gewährleistet bleiben. Niemand darf ausge-schlossen werden, weil er es sich nicht leisten kann, in die Stadt zu fahren. Wie bei allen Maßnahmen ist deswegen die Dosis entscheidend.

    Würde sich die Kommunalpolitik bei der Höhe der Städte-Maut an jenen Beträgen orientieren, die andernorts in Europa erhoben werden, dann würde es sich für jeden Autofahrer um wenige Euro zusätzlich pro Tag handeln. Dies liegt in der Größenordnung der Parkgebühren, die man üblicherweise in städtischen

    Parkhäusern zu entrichten hat. Eine Städte-Maut ist anderen Regulierungsinstrumenten, vor allem Fahr-verboten, deutlich überlegen, nicht zuletzt, weil Men-schen damit Wahlfreiheit genießen und selbst ent-scheiden können, ob ihnen die Fahrt ins Stadtzent-rum mit dem eigenen Pkw so viel wert ist, wie sie an Betriebskosten, vor allem für Sprit sowie an Park- und Mautgebühren, zu zahlen haben.

    Die in Deutschland diskutierten oder bereits erlassenen Fahrverbote lassen vielen Menschen hin-gegen nicht diese Wahlfreiheit. Vielmehr haben sie den Nachteil, dass sie bestimmte Fahrzeuge vom Ver-kehr ausschließen, ohne dabei die sozialen Folgen zu berücksichtigen oder Alternativen anzubieten. In der Tendenz würde eine Städte-Maut insbesondere Haus-halten mit niedrigeren Einkommen, die allein über einen älteren Diesel-Pkw verfügen, einen größeren Handlungsspielraum erlauben als Fahrverbote.

    FAZIT

    Die Einführung von Mautsystemen wurde in vielen Städten von großen Vorbehalten der Bürger beglei-tet. Eine hohe Akzeptanz einer Städte-Maut kann in deutschen Städten vor diesem Hintergrund voraus-sichtlich nur dann erreicht werden, wenn es gelingt zu vermitteln, dass eine Städte-Maut sowohl eine Antwort auf drohende Fahrverbote liefert als auch Wege aus dem Verkehrskollaps in den Städten auf-zeigt. Einerseits werden damit finanzielle Mittel ein-genommen, die Investitionen in den öffentlichen Verkehr und die Verkehrsinfrastruktur ermöglichen. Andererseits wird den Menschen ein Anreiz gege-ben, diese auch verstärkt zu nutzen, indem die Auto-nutzung unattraktiver gemacht wird. Wie das Bei-spiel London zeigt, müssen diese finanziellen Mittel jedoch intelligent und nachhaltig eingesetzt werden, um den Erfolg und die Akzeptanz einer Maut langfris-tig zu gewährleisten.

    Kurzfristig wäre es sinnvoll, Modellgebiete aus-zuweisen, in denen »regulative Experimente« mit Mautmodellen umgesetzt werden können, an deren Ausgestaltung die Bürger umfänglich und von Anfang an beteiligt sind. Gleichzeitig müssen Kommunen die für ambitionierte Modellversuche nötige Unter-stützung und nicht zuletzt die notwendige Rechts-sicherheit erhalten. Mit einer Erprobung in einzel-nen Modellgebieten, etwa im Rahmen der Real-La-bor-Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums, würde sich die Politik auf den Pfad einer modernen Verkehrspolitik begeben und könnte zugleich sozial ungerechte und ökologisch wenig zielführende Fahr-verbote umgehen.

    LITERATUR

    Achtnicht, M., M. Kesternich und B. Sturm (2018), »Die »Diesel-Debatte«: Ökonomische Handlungsempfehlungen an die Politik«, ZEW policy brief, No. 3.

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    Martin R. Stuchtey

    Manuel Braun

    Beser Hugosson, M., A. Sjöberg und C. Byström (2006), Facts and Results from the Stockholm Trial – Final version – December 2006, Congestion Charge Secretariat, City of Stockholm, verfügbar unter: http://www.stock-holmsforsoket.se/upload/Sammanfattningar/English/Final%20Report_The%20Stockholm%20Trial.pdf.

    Börjesson, M., J. Eliasson, M.B. Hugosson und K. Brundell-Freij (2012), »The Stockholm congestion charges – 5 years on. Effects, acceptability and lessons learnt«, Transport Policy 20, 1–12.

    Börjesson, M. und I. Kristoffersson (2015), »The Gothenburg congestion charge. Effects, design and politics«, Transportation Research Part A 75, 134-146.

    Gehlert, T. (2009), Straßenbenutzungsgebühren in Städten: Akzeptanz und Mobilitätsverhalten, Verkehrspsychologie, VS Research, 1.Aufl., Wiesbaden.

    KBA (2019), »Jahresbilanz des Fahrzeugbestandes am 1. Januar 2019«, Kraftfahrzeugbundesamt, verfügbar unter: https://www.kba.de/DE/Statis-tik/Fahrzeuge/Bestand/bestand_node.html.

    Leape, J. (2006), »The London Congestion Charge«, Journal of Economic Perspectives 20(4), 157–176.

    Rotaris, L., R. Danielis, E. Marcucci und J. Massiani (2010), »The urban road pricing scheme to curb pollution in Milan, Italy: Description, impacts and preliminary cost–benefit analysis assessment«, Transportation Research Part A 44, 359 -375.

    TfL (2019), »Transport for London«, verfügbar unter: http://www.tfl.gov.uk/roadusers/congestioncharging/6723.aspx.

    Martin R. Stuchtey* und Manuel Braun**Circular Mobility – Kreislauf-wirtschaft als Wegbereiter der Mobilitätswende

    Als Gesellschaft und Industrie beginnen wir zu verste-hen, dass ein tragfähiges Zukunftsmodell der Mobili-tät so schnell wie möglich, und schneller als von den heutigen Mobilitätslieferanten erwartet, ressour-censchonend und klimaneutral angeboten werden muss. Die derzeitige Diskussion fokussiert sich auf Antriebsart und -effizienz. Dabei ist eine umfangreiche Ressourcen entkopplung des Systems »Mobilität« erfor-derlich. Der Kerngedanke der Kreislaufwirtschaft – eine Ressourcen entkopplung in Verbindung mit maximaler wirtschaftlicher Nutzung aller Ressourcen – ist dabei ein essentieller, heute vernachlässigter Hebel und gleichzeitig ein attraktiver Weg, hochwertige Mobili-tätsangebote tatsächlich nachhaltig anzubieten. Dies erfordert eine Neudefinition des Lösungsraums – vom Auto zum integrierten System.

    Spaziert man entlang herrschaftlicher Häuser in Essen, Birmingham oder Pittsburgh, dann spürt man den Hauch einer untergegangenen Epoche: dem Koh-lezeitalter. Wie wird es sein, wenn wir heute in 20 Jah-ren durch München, Stuttgart oder Hannover spa-zieren. Bewundern wir den Wohlstand einer verflos-senen Epoche, oder befinden wir uns in einem vitalen Wirtschaftsraum, der eine radikale Wende gemeistert und den technologischen und ökologischen Wandel zum eigenen Vorteil genutzt hat. Um nichts weniger geht es beim Übergang der traditionellen Automo-bilindustrie in ein zukunftsfähiges Mobilitätssystem. Die deutsche Autoindustrie ist ein wesentlicher Trei-ber unseres gesamtwirtschaftlichen Wohlstands. Seit den 1970er Jahren übersetzt sich die kontinuierliche Innovationskraft in reales Wachstum und eine Tech-nologieführerschaft im Bereich der konventionellen Antriebe. Mehr als 80% der motorisierten Personen-kilometer werden durch Autos zurückgelegt, und ein typischer Haushalt gibt ca. 15% des Einkommens für den eigenen Pkw aus (vgl. Ellen MacArthur Founda-tion et al. 2015). Die Autoindustrie verarbeitet ca. 25% des Aluminiums, 12% des Stahls und 9% des Plastiks, das in Europa jährlich verbraucht wird (vgl. Material Economics 2018). Die zugrunde liegende Wertschöp-fungskette beschäftigt allein in Deutschland ca. 820 000 Personen, fast jeder siebte Arbeitsplatz im Verarbeitenden Gewerbe (vgl. VDA 2018; Statistisches Bundesamt 2018). Diese Zahlen unterstreichen die Bedeutung und Verantwortung der umsatzstärksten deutschen Industriebranche, die Zukunft der Mobili-tät erfolgreich mitzugestalten. Derzeit verschieben * Prof. Dr. Martin R. Stuchtey ist Professor für Ressourcenstrategie und -management an der Universität Innsbruck.** Dr. Manuel Braun ist Experte für neue Kreislauf-, Energie- und Mo-bilitätssysteme.

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    technologische, gesellschaftliche und regulatorische Trends die traditionellen Branchengrenzen. Die Auto-mobilindustrie verändert sich immer mehr in einen vernetzten Mobilitätssektor, und es zeichnet sich ein Wendepunkt ab (vgl. Dhawan et al. 2019).

    Digitale Geschäftsmodelle etablieren sich, wie z.B. Sharing-Konzepte für Autos oder Fahrräder, Parkplatzmanagement oder intermodale Mobili-tätsplattformen. Der Wechsel hin zur Elektromobi-lität beschleunigt sich und nimmt von Batteriebe-trieb bis Brennstoffzelle unterschiedliche Formen an, was technologische Exzellenz in neuen Dimensi-onen erfordert. Durch die stärkere Vernetzung zwi-schen Fahrern, Autos und der Umgebung entsteht ein neues Ökosystem, bei dem der Kundennutzen an Bedeutung gewinnt und die Grenzen im Mobilitäts-mix fließend werden. Autonomes Fahren wird mit-telfristig Realität werden und Mobilität grundlegend verändern (vgl. MCFM 2019). Zudem zeichnet sich aus Konsumentensicht ein Generationenwandel ab, bei dem der Zugang zu Produkten und Services eine wichtigere Rolle spielt als Eigentum (vgl. Francis und Hoefel 2018). Nicht zuletzt ist an den Ergebnissen der Europawahl 2019 ersichtlich, dass der Klimawandel und ein entsprechender Handlungsbedarf die Breite der Bevölkerung bewegen.

    Zusammen betrachtet haben diese Trends dis-ruptiven Charakter und sind für Autohersteller (OEM), Technologieunternehmen und junge Start-ups funda-mentale Herausforderungen, aber auch strategische Chancen. Natürlich werden Verbrennungsmotoren weiterhin eine Rolle spielen, doch sollte man einer inkrementellen Version der mobilen Zukunft eine radikalere gegenüberstellen: Was, wenn bis 2030 die großen IT-Dienstleister Mobilitätsplattformen diri-gieren, so effektiv wie die Medienplattformen heute. Und was, wenn bis 2030 die chinesischen OEMs Elek-trofahrzeuge in einer Stückzahl herstellen, die eine europäische Wettbewerbsfähigkeit unmöglich schei-nen lassen. Keine gänzlich abzuweisenden Annah-men. Wer die deutsche Innovationsführerschaft im Mobilitätssektor tatsächlich schützen und ausbauen will, muss sich radikaler auf nachhaltige Antriebslö-sungen ausrichten sowie den hohen Ressourcenein-satz und strukturelle Schwächen im derzeitigen Sys-tem reduzieren.

    STRUKTURELLE VERSCHWENDUNGEN IN DER AUTOMOBILINDUSTRIE

    In der Automobilindustrie sind Ressourcenströme heute weitestgehend linear und geprägt von struk-tureller Verschwendung – vor allem im Sinne der Materialauslastung, Energieeffizienz, und Landnut-zung. Basierend auf Analysen der Ellen MacArthur Foundation (2015), parkt ein typisches Fahrzeug 92% der Zeit und wird nur zu 8% aktiv genutzt, wovon wiederum ein substanzieller Teil auf Parkplatzsu-che oder im Stau verbracht wird. Pro Fahrt werden

    nur ca. 1,5 Plätze besetzt. Aus Energieperspektive besteht zudem die Herausforderung, dass nur ein geringer Teil der kinetischen Energie aus dem Tank effektiv für den Transport von Personen eingesetzt wird, denn mehr als 85% entfallen auf Energiever-luste des Motors, Aerodynamik, oder Rollwiderstand. Mit Blick auf die zugrunde liegende Flächennutzung muss zudem in Frage gestellt werden, ob bis zu 50% Straßen- und Parkplatzflächen in vielen Innenstäd-ten mittelfristig tragfähig sind. Aus gesellschaftlicher Sicht repräsentiert der Straßenverkehr mit jährlich mehr als 25 000 Toten in Europa zudem ein nicht zu verachtendes Risiko (vgl. Europäische Kommission 2018). Dies wird nicht zuletzt aus ökologischer Sicht verstärkt, denn die Luftverschmutzungswerte des gesamten Transportsektors erreichen für viele Stadt-bewohner Werte, die die WHO als kritisch einstuft, und verursachen ca. 27% der europäischen Treib-hausgasemissionen (vgl. EEA 2018; 2019).

    Am aktuellen Wendepunkt der Mobilität besteht nun die einmalige Chance, diese systeminhärente Ressourcenverschwendung nachhaltig zu optimie-ren. Zum einen zeigt allein die wirtschaftliche Größe des Mobilitätsektors, welches Potenzial die richti-gen Weichenstellungen für eine nachhaltige Mobilität haben können. Zum anderen verdeutlichen die dar-gestellten Trends den zeitkritischen Handlungsbe-darf. Im Gegensatz zur linearen Ressourcennutzung ermöglichen die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft einen höheren ökonomischen Nutzen aus den Pro-dukten und der Infrastruktur unserer größten Indust-riebranche zu ziehen – und so wichtige Impulse für ein langfristig tragfähiges Mobilitätssystem zu setzen.

    PRINZIPIEN DER KREISLAUFWIRTSCHAFT ALS WEGBEREITER NACHHALTIGER MOBILITÄT

    Circular Mobility beschreibt die Idee einer Kreislauf-wirtschaft (Circular Economy) im Mobilitätssektor und steht für einen Systemwandel, weg von einer linea-ren, hin zu einer zirkulären Wertschöpfung. Die Prin-zipien der Circular Mobility sind vielseitig und lassen sich in drei Kategorien betrachten:

    (1) Optimierung von Materialeinsatz und Pro-duktdesign – um bei Herstellung und Nutzung weni-ger Ressourcen zu verbrauchen, diese länger im Sys-tem zu halten und schließlich zu recyceln, so dass sie im nächsten Produktionszyklus bestmöglich wiederverwendet werden können und die Emissi-onsbilanz gesamthaft verbessern. Für ein nachhal-tiges Mobilitätssystem sind hier vor allem vier Ele-mente hervorzuheben. Erstens, Leichtbau-Werk-stoffe und Design, insbesondere hochqualitativer Stahl, Aluminium, Magnesium oder kohlefaserver-stärkter Kunststoff (CFK). Diese Materialien finden in der Fahrzeugproduktion zunehmend Anwendung, um neben Gewichtsersparnissen auch Vorteile in Aerodynamik, Lebensdauer und Energieverbrauch zu erzielen (z.B. CFK-Materialien im BMW i3 und i8).

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    Die relativ teuren Leichtbaumaterialien werden vor allem in einer zukünftigen Mobilitätswelt attraktiver, in der mit einer höheren Fahrzeugauslastung durch Sharing-Konzepte oder Autonomes Fahren zu rech-nen ist. Durch den Einsatz hochwertiger Materialien wird zudem, als zweiter Hebel, auch die Wiederauf-bereitung und -verwertung (Remanufacturing) von Bauteilen an Bedeutung gewinnen. Hierbei ist es für OEMs zunehmend relevant sich direkt zu engagieren, sowohl aus ökonomischer und umweltpolitischer Sicht, aber auch zur Absicherung der Wertschöp-fungskette im aktuell komplexen Ersatzteilmarkt. Als Vorreiter betreibt Renault schon seit einigen Jah-ren einen hochprofitablen Produktionsstandort zur Zerlegung und Wiederaufbereitung von Motoren und Getriebegehäuse (vgl. Renault 2014). Auch Volvo ach-tet im Produktdesign verstärkt auf eine höhere Wie-derverwertbarkeit (vgl. Volvo 2016).

    Als dritter Hebel befindet sich die Elektrifizie-rung von Fahrzeugen auf einem Wachstumspfad und verändert die Materialanforderungen und die Emis-sionsbilanz. Im Jahr 2017 wurden erstmals mehr als 1 Mio. Elektrofahrzeuge (EV) global verkauft, wobei China die Führungsposition einnimmt (vgl. Hertzke et al. 2018). Dies erstreckt sich über unterschiedli-che Technologien, insbesondere batteriebetriebene Elektrofahrzeuge (BEV), reine Hybridfahrzeuge (HEV) und Plug-in-Hybride (PHEV), sowie Brennstoffzel-len-basierte Fahrzeuge (FCEV). Trotz aktuell höheren Anschaffungskosten (im Vergleich zu konventionellen Antriebstechnologien) werden BEVs durch Skalen-effekte, Innovationen bei Batterietechnologien und niedrigere Betriebskosten zunehmend wettbewerbs-fähig. Führende OEMs wie VW haben angekündigt bis 2030 den E-Anteil in der Flotte auf mehr als 40% zu steigern (vgl. Volkswagen 2019). Im laufenden Betrieb zeigen batterieelektrische Motoren eine bessere CO2-Bilanz und Energieeffizienz als Verbrenner. Unter Beachtung der gesamten Prozesskette inklusive Bat-terieproduktion und Energiebereitstellung werden diese Vorteile zwar relativiert und kritisch diskutiert – jedoch werden technologische Weiterentwicklun-gen und Infrastrukturausbau die Vorteile der Elektro-mobilität nachhaltig stärken: Die Struktur der Strom-produktion wird sich planmäßig weiter in Richtung erneuerbare Energien verschieben (vgl. Umweltbun-desamt 2018). Des Weiteren können BEVs aus Sys-

    temsicht einen Beitrag als Zwischenspeicher leisten oder gezielt dezentral erzeugten Ökostrom nutzen. Da Lithium-Ionen-Batterien aufgrund des Rohstoff-einsatzes und der energieintensiven Herstellung eine zentrale Rolle für die Klimabilanz spielen, wird es entscheidend sein, die Emissionen in der Batterie-produktion gezielt zu optimieren, das Akku-Recycling zu fördern und für nicht mehr im EV-Bereich nutzbare Batterien einen Sekundäreinsatz als stationäre Ener-giespeicher zu entwickeln (vgl. Engel et al. 2019). An diesem Punkt wird auch deutlich, dass regulatorische Hilfestellungen (z.B. Recycling- & Design-Standards) für eine nachhaltige Elektromobilität von ebenso ent-scheidender Bedeutung sind wie der Infrastruktur-ausbau oder effektive Anreizsysteme. Entsprechende Steuerungsmechanismen sollten dabei nicht nur auf reine BEVs ausgerichtet sein, sondern auch Hybride und FCEVs berücksichtigen.

    Die Elektrifizierung ist kein Allheilmittel und muss immer mit der entsprechenden strategischen Differenzierung betrachtet werden (z.B. Energie-mix-Entwicklungen). Jedoch spielen EVs eine zent-rale Rolle als Wegbereiter des Wandels zur nachhal-tigen Mobilität. Das gemeinsame Ziel der Optimie-rung von Materialeinsatz und Produktdesign sollten Fahrzeuge sein, die im Sinne von »Circular Cars« eine Emissionsneutralität anstreben und auf einen hohen Wiederverwertungsgrad und lange Lebensdauer ausgelegt sind. Dies wird vor allem im Kontext neuer Geschäftsmodelle und dem Autonomen Fahren rele-vant, die den Fokus auf die Gesamtbetriebskosten über Lebenszeit und eine serviceorientierte Nutzung lenken.

    (2) Erhöhung der Ressourceneffizienz durch zir-kuläre Geschäftsmodelle. Die Digitalisierung treibt zunehmend die Entstehung neuer Geschäftsmodelle, die eine wichtige Rolle im Rahmen des Circular-Mo-bility-Gedankens spielen (vgl. Stuchtey et al. 2016). Hier befinden sich vor allem Sharing-Modelle euro-paweit auf Wachstumskurs. Allein in Deutschland sind bereits ca. 2,5 Millionen Autofahrer Kunden von Sharing-Dienstleistern (vgl. Bundesverband CarSha-ring 2019) – und Beispiele für Innovationen im Markt sind vielseitig: (a) Flottenbetreiber wie Share Now (BMW/Daimler) oder Flinkster (Dt. Bahn) haben eigene Fuhrparks mit zusammen mehr als 10 000 Autos in den größten deutschen Städten. (b) Ride-Hailing Ser-

    Abb. 1 Prinzipien der Kreislaufwirtschaft

    Optimierung von Materialeinsatz und Produktdesign

    Erhöhung der Ressourceneffizienz durch zirkuläre Geschäftsmodelle

    Verbesserung der System-basierten Integration

    • Leichtbau-Werkstoffe und Design • Remanufacturing • Elektrifizierung • Circular Cars

    • Sharing- und Pooling-Modelle • Konnektivität und Autonomes

    Fahren

    • Integration von öffentlichem Ver-kehr mit neuen Mobilitätslösun-gen

    • Smart Citys Quelle: Darstellung der Autoren.

    Abb. 1

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    vices wie Uber oder Lyft bieten virtuelle Plattformen an, über die nach Bedarf Kurzfahrten in Privatfahr-zeugen gebucht werden können. (c) Peer-to-Peer Car-Sharing-Netzwerke wie Drivy ermöglichen priva-ten Fahrzeugbesitzern ihr Auto in bestimmten Zeit-räumen zu vermieten, in denen sie es selbst nicht benötigen. (d) Car-Pooling-Dienstleister wie BlaBla-Car vermitteln unkompliziert Mitfahrgelegenheiten auch über größere Entfernungen.

    Aus Perspektive der Circular Mobility führen all diese Sharing-Modelle zu einem höheren Ressour-cennutzungsgrad, sowohl im Sinne der aktiven Nut-zungsdauer als auch der Platzbesetzung in den Fahr-zeugen, und bieten dem Nutzer eine grundsätzliche Alternative zur privaten Anschaffung. Sharing-ba-sierte Geschäftsmodelle erstrecken sich zudem erfolgreich auf weitere Mobilitätslösungen wie Fahr-räder (z.B. Call-a-Bike, NextBike) oder Roller (z.B. Emmy, Coup) und in Zukunft auch Tretroller (z.B. Lime, Voi).

    Technologischer Fortschritt rund um das Auto-nome Fahren und eine verbesserte Konnektivi-tät zwischen Fahrzeugen werden weitere zirkuläre Geschäftsmodellinnovationen ermöglichen. Zum Beispiel werden Robotaxis nach dem beschriebe-nen Prinzip die Ressourcenauslastung und Energie-effizienz im Fahrbetrieb deutlich erhöhen. Zudem wird erwartet, dass autonome Fahrzeuge das Stau-risiko um 50% senken und sich Gesundheitsvorteile durch 90% weniger Unfälle ergeben werden (vgl. Ellen MacArthur Foundation et al. 2015; 2017).

    (3) Verbesserung der System-basierten Integra-tion. Das Szenario einer kreislauforientierten Mobi-litätslandschaft geht über rein technologische und geschäftsmodellbasierte Verbesserungen hinaus und optimiert die Verflechtungen hin zu einem integrier-ten Mobilitätsystem, in dem öffentliche Verkehrsmit-tel mit neuen Mobilitätslösungen nahtlos ineinander-greifen (vgl. Ellen MacArthur Foundation et al. 2017). Vor allem in urbanen Regionen muss ein schneller und einfacher Wechsel zwischen Individualverkehr, öffent-lichem Nahverkehr, und Sharing-Diensten ermög-licht werden und sich gegenseitig verstärken. Digi-tale Schnittstellen können die multimodale Reisepla-nung gleichzeitig so steuern, dass z.B. Berufspendler schneller und einfacher als heute ihr Ziel erreichen. Städte nehmen hier eine Schlüsselrolle ein und müs-sen das Mobilitätssystem langfristig in ein vernetz-tes und intelligentes Stadtkonzept (Smart City) inte-grieren. Eine Kernherausforderung wird hier zusätz-lich sein, negative Systemeffekte zu verhindern (z.B. eine ungleichmäßige Verschiebung von öffentlichem Verkehr auf Individualverkehr). Deswegen muss der Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel in gleichem Maße vorangetrieben werden wie die Förderung neuer Mobilitätsformen, die multimodale Integration mit praktischen Lösungen für die letzte Meile, und eine intelligente Verkehrssteuerung (vgl. Stuchtey et al. 2016). In bestimmten Situationen können auch regu-

    latorische Eingriffe sinnvoll sein. Der Kapitalbedarf für Innovationen und Infrastrukturausbau ist signifi-kant, jedoch bieten sich hier attraktive Investitions-chancen für vielseitige Interessengruppen (vgl. Ellen MacArthur Foundation et al. 2017).

    Der Grundbaustein der Mobilitätswende sind Städte – von München über Shanghai bis Accra. In allen wird der Mobilitätsbedarf weiterhin zunehmen, in einigen explosionsartig. In diesen Städten müs-sen sich neue Technologien und Geschäftsmodelle zu neuen Plattformen zusammenfügen. Diese mitzuge-stalten, ist das Wettbewerbsfeld der Zukunft. Daher wird es entscheidend sein, frühzeitig die richtigen Koalitionen und Konsortien zu formen, die ein konse-quentes Umdenken nach den Prinzipien der Circular Mobility vorantreiben und beschleunigen. Die Politik kann helfen, indem sie diese neuen Partnerschaften fördert, Rahmenbedingungen setzt und denjenigen Anreize bietet, die viel Mobilität mit geringstem Res-sourceneinsatz verfügbar machen. Denn diese Fähig-keit, nicht der Bau des besten Autos, zeichnet die Gewinner der neuen Mobilitätswelt aus.

    LITERATUR

    Bundesverband CarSharing (2019), CarSharing-Statistik 2019, Pressemit-teilung, 20. Februar, verfügbar unter: https://carsharing.de/sites/default/files/uploads/pm_carsharing-statistik_2019_0.pdf.

    Dhawan, R., R. Hensley, A. Padhi und A. Tschiesner (2019), »Mobility’s second great inflection point«, McKinsey Quarterly (1), verfüpbar unter: https://www.mckinsey.com/~/media/McKinsey/Industries/Automo-tive%20and%20Assembly/Our%20Insights/Mobilitys%20second%20great%20inflection%20point/Mobilitys-second-great-inflection-point-vF.pdf.

    Ellen MacArthur Foundation, Stiftungsfonds für Umweltökonomie und Nachhaltigkeit (SUN) und McKinsey Center for Business and Environment (2015), Growth within: A circular economy vision for a competitive Europe, Juli, verfügbar unter: https://www.ellenmacarthurfoundation.org/assets/downloads/publications/EllenMacArthurFoundation_Growth-Within_July15.pdf.

    Ellen MacArthur Foundation, Stiftungsfonds für Umweltökonomie und Nachhaltigkeit (SUN) und SYSTEMIQ (2017), Achieving Growth within: €320-billion circular economy investment opportunity available to Europe up to 2025, Januar, verfügbar unter: https://www.ellenmacarthurfoun-dation.org/assets/downloads/publications/Achieving-Growth-Wit-hin-20-01-17.pdf.

    Engel, H., P. Hertzke und G. Siccardo (2019), Second-life EV batteries: The newest value pool in energy storage, McKinsey Center for Future Mobility, April, verfügbar unter: https://www.mckinsey.com/~/media/McKinsey/Industries/Automotive%20and%20Assembly/Our%20Insights/Second%20life%20EV%20batteries%20The%20newest%20value%20pool%20in%20energy%20storage/Second-life-EV-batteries-The-newest-value-pool-in-energy-storage.pdf.

    Europäische Kommission (2018), Sicherheit im Straßenverkehr, Pres-semitteilung, 10. April, verfügbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-2761_de.pdf.

    EEA – European Environment Agency (2018), Greenhouse gas emissi-ons from transport, verfügbar unter: https://www.eea.europa.eu/data-and-maps/indicators/transport-emissions-of-greenhouse-gases/trans-port-emissions-of-greenhouse-gases-11, aufgerufen am 30. Mai 2019.

    EEA – European Environment Agency (2019), Air quality in Europe – 2018 report, Januar, verfügbar unter: https://www.eea.europa.eu/publications/air-quality-in-europe-2018/download.

    Francis, T. und F. Hoefel (2018), True Gen: Generation Z and its implications for companies, McKinsey & Company Consumer Packaged Goods, Novem-ber, verfügbar unter: https://www.mckinsey.com/~/media/McKinsey/Industries/Consumer%20Packaged%20Goods/Our%20Insights/True%20Gen%20Generation%20Z%20and%20its%20implications%20for%20com-panies/Generation-Z-and-its-implication-for-companies.pdf.

    Hertzke, P., N. Müller, S. Schenk und T. Wu (2018), The global electric-ve-hicle market is amped up and on the rise, McKinsey Center for Future

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    Thomas Hamacher

    Mobility, April, verfügbar unter: https://www.mckinsey.com/~/media/McKinsey/Industries/Automotive%20and%20Assembly/Our%20Insights/The%20global%20electric%20vehicle%20market%20is%20amped%20up%20and%20on%20the%20rise/The-global-electric-vehicle-market-is-amped-up-and-on-the-rise-web-final.pdf.

    Material Economics (2018), The circular economy – a powerful force for climate mitigation, Juni, verfügbar unter: https://media.sitra.fi/2018/06/12132041/the-circular-economy-a-powerful-force-for-clima-te-mitigation.pdf.

    MCFM – McKinsey Center for Future Mobility (2019), Race 2050 – A vision for the European automotive industry, Januar, verfügbar unter: https://www.mckinsey.com/~/media/mckinsey/industries/automotive%20and%20assembly/our%20insights/a%20long%20term%20vision%20for%20the%20european%20automotive%20industry/race-2050-a-visi-on-for-the-european-automotive-industry.pdf.

    Renault (2014), Renault receives circular economy honor, Presse-mitteilung, 3. Juli, verfügbar unter: https://media.group.renault.com/global/en-gb/groupe-renault/media/pressreleases/59603/renault-recoit-le-trophee-de-leconomie-circulaire.

    Statistisches Bundesamt (2018), Beschäftigte im Verarbeitenden Gewerbe im Juli 2018, Pressemitteilung Nr. 348, 17. September, verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2018/09/PD18_348_421.html.

    Stuchtey, M. R., P.-A. Enkvist und K. Zumwinkel (2016), A good disruption – Redefining growth in the twenty-first century, Bloomsbury, London.

    Umweltbundesamt (2018), Erneuerbare Energien in Deutsch-land – Daten zur Entwicklung im Jahr 2017, März, verfügbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/180315_uba_hg_eeinzahlen_2018_bf.pdf.

    VDA (2018), Verband der Automobilindustrie Jahresbericht 2018 – Die Auto-mobilindustrie in Zahlen und Fakten, November, verfügbar unter: https://www.vda.de/dam/vda/publications/2018/VDA_JB_2018_DE.pdf.

    Volkswagen (2019), Jahrespressekonferenz 2019 – Reden, März, verfügbar unter: https://www.volkswagenag.com/presence/investorrelation/publi-cations/annual-media-conference/2019/reden_pr%C3%A4sentationen/Jahrespressekonferenz_2019_Reden_deutsch.pdf.

    Volvo (2016), Reassessing reman, Volvo Group Magazine (1), 34–41, verfüg-bar unter: https://www.volvogroup.com/content/dam/volvo/volvo-group/markets/global/en-en/news-and-media/volvo-group-magazine/news-and-media-vgm-1-2016-operations.pdf..

    Thomas Hamacher*Das Auto. Diagnose: Emotional auffällig Plädoyer für einen nüchternen Verkehr

    Die Diskussion um die Zukunft der Mobilität ist in vol-len Zügen entbrannt. Die Diskussion dreht sich dabei um neue Antriebskonzepte für Autos und dabei ins-besondere über die Sinnhaftigkeit der Elektromobili-tät und der weiteren Anwendung des Dieselantriebs. Diese Diskussion ist von großer Bedeutung und sollte insbesondere durch saubere Lebenszyklusanaly-sen beider Technologien für heutige und zukünftige Anwendungen geführt werden. Sie muss aber von einer viel breiteren Diskussion um die Gesamtent-wicklung der Mobilität begleitet werden. Insbeson-dere stellt sich die Frage, ob das eigene Auto lang-fristig durch die Leistungen von Mobilitätsdienstleis-tern ersetzt werden kann und ob der Flugverkehr in Europa weiter ausgebaut wird oder hier auch andere technische Lösungen denkbar sind. Die Diskussion kann aber nicht bei der Frage nach Technologien allein stehenbleiben, sondern muss die gesellschaft-liche Bedeutung des Autos insgesamt betrachten. Aus langfristigen Visionen eines sehr nüchternen Mobili-tätskonzepts lassen sich dann erste Schritte zu einer Transformation der Systeme ableiten bzw. sollte die Vision auch zur Triebkraft der Transformation werden.

    Die folgende Betrachtung ist als eine Anregung zu verstehen, die gesellschaftlichen mit den techni-schen Fragen gemeinsam zu betrachten. Sie ist mehr auf einem essayistischen als einem wissenschaftli-chen Niveau und sollte auch so gelesen werden. Der Güterverkehr wird hier nicht behandelt, muss aber in das Gesamtbild eingefügt werden.

    KURZE GESCHICHTE DES AUTOS

    Am 18. Mai 2019 titelte die FAZ einen Artikel mit »Krach zwischen BMW und FC-Bayern«. BMW hatte versucht den langjährigen Sponsor des FC-Bayern München, die Ingolstädter AUDI AG aus dem Ren-nen zu werfen und an ihre Stelle zu treten. Der Ein-kaufspreis beträgt laut FAZ 60 Mio. Euro im Jahr. Als Hochschullehrer rechnet man diese Summe gleich mal in Doktoranden um und kommt auf die stolze Zahl von etwa 800 Doktoranden. BMW und Audi könnten also, wenn sie zusammenlegen und auf das Sponsoring des Profifußballs verzichten, spielend gemeinsam ein Forschungszentrum mit 800 Dokto-randen und anderen Wissenschaftlern gründen und hätte dann noch mal 60 Mio. für Investitionen, um die Zukunft der Mobilität zu erforschen. Ein Anliegen, das dringender denn je scheint. Aber sie geben die-

    * Prof. Dr. Thomas Hamacher Professor für Energiesystemforschung an der Technischen Universität München.

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    ses Geld lieber für einen Profisport aus, der gelinde gesagt, im Geld ertrinkt und darüber immer mehr seine Schönheit verliert. Warum?

    Gehen wir dafür einmal zurück in die Geschichte der Automobilität, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts liegt. Bekanntlich ist das Auto mit Verbrennungsmotor eine deutsche Erfindung (vgl. König 1997) und hat bis heute das deutsche Wirt-schaftsleben so stark dominiert (vgl. Statistisches Bundesamt 2019) wie kein anderes Produkt.

    Seinen ersten Siegeszug feierte das Automobil aber in Frankreich (vgl. König 1997). Dies lag zum einen an der mondänen Hauptstadt Paris. Hier gab es genug Menschen mit der notwendigen Kaufkraft, aber auch dem Willen den Reichtum entsprechend zur Schau zu stellen. Dabei darf man davon ausgehen, dass die neu erworbenen Autos mehr am Sonntagnachmittag im Bois de Boulogne und den breiten Avenuen ausge-fahren wurden als im alltäglichen Einsatz, um schnell Strecken zu überbrücken. Auch die industrielle Basis in und um die Hauptstadt half der Produktion und der weiteren Entwicklung der neuen Technologie. Die Eisenbahnen waren in Frankreich nur sternförmig auf die Hauptstadt ausgerichtet. Damit bot sich als eine erste praktische Anwendung die Überbrückung von Tangentialverbindungen an. In Frankreich gab es aber auch die bis heute lebendige Tradition des Radspor-tes, die jetzt auch schnell auf Autorennen erweitert wurde. Das erste Autorennen fand am 22. Juli 1894 statt und führte von Paris nach Rouen. Daran waren aber auch alle möglichen anderen Antriebstechniken beteiligt wie das siegreiche Dampffahrzeug. Dane-ben entstanden Autosalons, auf denen die neusten Modelle bewundert werden konnten, und Autozeit-schriften unterhielten die interessierten Leser mit den neusten Entwicklungen, eben auch jene, die sich kein Auto leisten konnten. Damit war ein Produkt in der Welt, das für Reichtum und Sportlichkeit stand.

    Wer zu diesem Zeitpunkt eine Reise antreten wollte, verließ sich lieber auf die Eisenbahn, die mit deutlich höherer Geschwindigkeit und Zuverlässig-keit auch weitere Strecken überwand. Das Auto war ein Freizeitprodukt.

    Mit der Optimierung der Produktion und dem Bau des Ford T Modells ab 1908 (vgl. Braun 1999) wurde die Technik dann für eine breite Käuferschaft – erst nur in den USA, dann nach dem Zweiten Welt-krieg auch in Deutschland – erschwinglich. Die USA wur de in Ihrer Struktur noch mehr durch das Auto ver- ändert, da es die Erschließung des weiten Landes noch einmal auf eine ganz andere Weise unterstützte. Dies kann man an der Entwicklung der Städte am bes-ten verdeutlichen: Während Barcelona mit 1,6 Mio. Einwohnen eine Fläche von 101,1 km² hat, kommt Houston mit 2,3 Mio. Einwohnen auf eine Fläche von 1 733 km². Neben diesen sehr praktischen Aus-wirkungen wurde des Auto auch Teil einer eige-nen Kultur. Hierfür stehen Roadmovies, die quasi nur auf der Straße spielen, die Entwicklung von

    Autokinos und Restaurants mit eigenem Auto-schalter. In Deutschland entwickelten sich andere Rituale um das Auto wie z.B. das Autowaschen am Samstagnachmittag. Dabei ist bezeichnend, dass in den 1960er und 1970erer Jahren Haus- arbeiten vornehmlich von Frauen erledigt wurden. Nur die Pflege des Autos war eine Männerdomäne. In den letzten Jahrzehnten hat die Autoindustrie eigene Orte geschaffen, um z.B. den Käufer eines neuen Autos mit dem neuen Auto in einer beson- deren Atmosphäre zusammenzuführen. Die BMW-Welt in München ist hier ein prominentes Beispiel. Diese ist zu einem Tourismusmagneten geworden mit Millionen von Besuchern im Jahr. All dies wurde natürlich von der Autoindustrie gerne unterstützt, da es insgesamt den Wert ihres Produktes deutlich gesteigert hat.

    Darüber hinaus wurde mit dem rapiden Aufstieg Chinas gegen Anfang des neuen Jahrtausends ein ganz neuer Markt für die Produkte geschaffen. Die jährlichen Absatzzahlen für Pkw steigen von 2005 bis 2017 von 4 Mio. auf etwa 23. Mio. Fahrzeuge (vgl. OICA 2019). Deutsche Hersteller wie Audi, BMW und Daimler konnten jeweils im Jahr 2017 mehr als eine halbe Million Autos in China absetzen, was diesen Markt zu einem der bedeutendsten Markt für deutsche Autos gemacht hat (vgl. Statista 2019a; 2019b; Sta-tista 2019c). In Deutschland haben alle drei Hersteller deutlich weniger Fahrzeuge abgesetzt. In den Mega-städten Asiens wurde aber auch schnell klar, dass das Autos nicht die geeignete Lösung für dicht besiedelte Metropolen ist. Der Musterknabe der Region – Singa-pur – erließ dann auch strenge Gesetze, um die Zahl der Autos zu begrenzen. Heute will das Inselreich vor der Küste Malaysias sogar langfristig den Autover-kehr noch mal deutlich reduzieren (vgl. The Straits- times 2018). Trotzdem, oder gerade deswegen, gibt es in Singapur ein Hochhaus mit einem Autoaufzug, dass den Bewohnern erlaubt, ihr Auto direkt neben ihrem Wohnzimmer zu parken und sichtbar für die vorbeilau-fenden Passanten zu präsentieren.

    Die Vision eines Verkehrs ohne Emotionen mit elektrischen und autonomen Fahrzeugen – Ingeni-eure von BMW haben diese Technik einmal liebevoll »betreutes Fahren« genannt – scheint technisch denk-bar. Fahrzeuge, die sich harmonisch in einen effizien-ten öffentlichen Verkehr einreihen und ein idealer Zubringer zu einem neuen schnellen Zugverkehr sind. Sie bedeuten aber den Abschied von einem Familien-mitglied, das über fast ein Jahrhundert unseren gan-zen Stolz ausgemacht und nicht zuletzt die Grundlage des Wohlstandes für viele Menschen geworden ist, weil die Autoindustrie ein Grundpfeiler unserer Wirt-schaft ist.

    VISION DES ZUKÜNFTIGEN VERKEHRS

    Die hier dargestellte Vision soll nicht mehr als eine schnelle Bleistiftzeichnung sein. Die Entwicklungen

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    können natürlich auch ganz anders verlaufen. Die Vision des zukünftigen Verkehrs hängt von der Ent-wicklung technischer Innovationen ab, aber eben auch vom Lebensstil und der Bedeutung des Pro-duktes Auto. Die These hier ist, dass das Auto seine besondere Rolle als emotionales Produkt verliert und Mobilität von Dienstleistern bereitgestellt wird. Diese suchen aus einem Portfolio aus öffentlichen und indi-viduellen Verkehrsmitteln einen optimalen Mix aus. Bei der Wahl der Verkehrsmittel wird eine Gewichtung aus Kosten, Reisezeit und Komfort durchgeführt. Die Beziehung des Nutzers zum Fahrzeug werden jetzt von anderen Kriterien geprägt, wie Pünktlichkeit und Sau-berkeit. Eine solche Verkehrszukunft könnte zum Teil aus den folgenden Technologien aufgebaut werden:

    ‒ die Entwicklung von Informationsplattformen, die aus einem breiten Portfolio an Möglichkeiten eine unter Kosten, Zeitbudgets und Komfort opti-male Mischung aus Verkehrsmitteln präsentie-ren. Zugangsberichtigungen und Tickets werden automatisch ausgestellt und auch die Bezahlung erfolgt automatisch.

    ‒ die Entwicklung von Magnetschwebebahnen mit einer Höchstgeschwindigkeit von (500–600) km/h

    ‒ die Entwicklung des autonomen Fahrens und ‒ die Entwicklung einer Kleidung, die schnell an-

    und ausgezogen werden kann, aber quasi bei jeder Wetterbedingung Schutz vor der Witterung bietet.

    Die Entwicklung von entsprechenden Plattformen ist im vollen Gange und Mobilitätsdienstleister, wie die Bundesbahn, bieten heute schon entsprechende Elemente an. Andere Plattformbetreiber, allen voran Google, stellen einen Großteil der notwendigen Infor-mationen schon heute bereit. Entsprechende Bemü-hungen für den ÖPNV werden z.B. vom Bund und vom Land Bayern vorangetrieben. Die Entwicklung ent-sprechender nationaler bzw. europäischer Mobilitäts-plattformen ist auf alle Fälle notwendig.

    Die Magnetschwebebahn wird zum Rückgrat der Personenbeförderung ab einer Distanz von 200–300 km. Die großen Vorteile dieser Technik sind die bessere Beschleunigung gegenüber der norma-len Eisenbahn. Damit könnten a) höhere Steigun-gen befahren werden, was den Bau von Tunneln und Brücken vermeiden kann, und b) häufiger Haltestel-len angefahren werden, ohne die mittlere Reise-geschwindigkeit drastisch zu reduzieren. Die Tech-nik kann deutlich höhere Geschwindigkeiten als die klassische Eisenbahn erreichen, da das Rad-Schie-ne-System zu erheblichen Alterungserscheinungen führt. Und die Technik erlaubt den Bau auf Stelzen, da die Kraft viel gleichmäßiger auf die Schiene über-tragen wird. Und das System ist schon elektrifiziert, erlaubt also die Integration erneuerbaren Stroms als Fahrstrom. Mit diesem System können durch die hohe Geschwindigkeit Zeitverluste auf dem Weg zum und vom Bahnhof mehr als ausgeglichen werden.

    Dem stehen erheb liche wirtschaftliche Hindernisse gegenüber und die Notwendigkeit, eine ganz neue Infrastruktur auf zubauen. Trotzdem ist es das einzige System, das ganz Europa verbinden kann, aber auch die Anbindung von Mittelzentren erlaubt. Es ersetzt Straßenverkehr und Kurz- und Mittelstreckenflug-verkehr. Dies ist sicherlich für die weitere Siedlungs-entwicklung von er hebliche Bedeutung und kann die wirtschaftliche Konzentration an wenigen Orten zumindest dämpfen. Die prinzipielle Beherrschbarkeit dieser Technik hat schon der Transrapid unter Beweis gestellt. Die Forschung in diesem Bereich muss wie-deraufgenommen werden.

    Bei Strecken zwischen 20–200 km kommen je nach Siedlungsdichte verschiedene Technologien zur Anwendung. Autonome, meist elektrisch betriebene Fahrzeuge bilden hier aber eine zentrale Rolle, wobei sie in verschiedenen Versionen vorkommen, als Bus- und Sammeltaxi, aber auch als klassisches Auto im Besitz des Eigentümers. Die Einführung autonomer Fahrzeuge und die Elektrifizierung müssen zusam-men gedacht und entwickelt werden. Die Ladeinfra-struktur kann dezidiert für Flottenbetriebe entwickelt werden. Dies erlaubt zum einen eine viel bessere Aus-lastung der Infrastruktur und zum anderen durch eine Einbindung des Ladevorgangs in die Fahrpläne der Fahrzeuge eine optimalere Nutzung von erneuerba-ren Energien.

    Bei Distanzen kleiner als 20 Kilometer hängt es wieder stark von der Siedlungsdichte ab. Klassische Medien des ÖPNV werden durch autonome Busse und Zubringer ergänzt, die schlecht angebundene Regio-nen erreichen können und insbesondere wegen ihrer Kostenstruktur, hohe Investitionskosten, niedrige variable Kosten auch in den frühen Morgen- und Nacht-stunden eingesetzt werden. Daneben bildet sich aber mit elektrisch betriebenen Fahrrädern ein ganz neues Transportsegment aus. Heute zeigt sich schon, dass auch Menschen mit mittelmäßiger sportlicher Bega-bung Fahrstrecken von bis zu 20 km zurücklegen. Die Entkopplung von den Wettereinflüssen könnte dieser Technologie dann zu einem Durchbruch verhelfen. Die Entwicklung dieser Kleidung muss in unseren Breiten insbesondere Schutz gegen Nässe und Kälte bieten, in südlichen Regionen muss sie auch Schutz vor Sonne und Kühlung bieten. Neben der hohen Energieeffizi-enz beim Transport fördert diese Technologie auch die Gesundheit der Nutzer.

    DIE TRANSFORMATION

    Die Transformation wird zum einen durch Verände-rungen in anderen Weltteilen vorangetrieben. Elekt-rifizierung in China und Kalifornien und das Zurück-drängen der individuellen Mobilität in Singapur sind hier Beispiele. Insbesondere das Beispiel Singapurs könnte in ganz Asien Schule machen. Die Absatzzah-len der deutschen Autohersteller belegen die Bedeu-tung dieser Region für die deutsche Industrie.

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    Dann kommen die Herausforderungen von zuneh-mendem Verkehr bis zum Klimawandel, die nur durch neue Konzepte gelöst werden können.

    Trotzdem sollte die Transformation zu einem nüchternen Verkehrssystem der Zukunft durch die positive Vision eines Verkehrs, der schneller, siche-rer, umweltverträglicher und kostengünstiger ist als der heutige, vorangetrieben werden. Wenn man die Höhe der Steuern im Verkehrsbereich heute sieht, dann müssen hier ganz klar neue Treiber gefunden werden. Wenn man die Energiesteuer beim Auto als CO2-Steuer deuten würde, dann lägen wir heute schon bei einem Preis von 274 Euro/tCO2. Also ein Betrag, der massive Veränderungen in allen anderen Emissions-sektoren hervorgerufen hätte, aber im Verkehrsbe-reich akzeptiert wird. Um diese positive Vision mit mehr Leben zu füllen sind vier Schritte notwendig.

    Der erste Schritt ist eine viel intensivere Aus-einandersetzung mit den positiven Visionen der Mobi-lität und den erheblichen Möglichkeiten neuer und insbesondere vernetzter Technologien. Viele Kon-zepte können hier erst nur in Simulationen intensi-ver untersucht werden. Werkzeuge und Methoden stehen heute in den entsprechenden Forschungs-einrichtungen schon bereit, können aber noch erheblich aus geweitet werden z.B. durch eine stär-kere Kopplung von Simulationen auf verschiedenen Skalen oder auch der realistischen Abbildung von Extrem situationen wie ein Urlaubsbeginn. Die erheb-liche Steigerung der Rechenleistung erlaubt es dabei immer mehr, auch auf Mikrosimulationen zurückzu-greifen, die dann wieder um auch sehr unterschiedli-che individuelle Bedürfnisse abbilden können.

    Der zweite Schritt ist eine Ausweitung der indus-triellen und öffentlichen Forschung im Bereich der Mobilität. Die Autoindustrie hat ihre Aktivitäten in den Bereichen elektrisches und autonomes Fahren er heblich ausgeweitet. Dies muss durch entspre-chende staatliche Forschung flankiert werden. Die Weiterentwicklung schneller schienengebundener Verkehrsmittel muss schnell auf eine ganz andere Ebene gehoben werden. Der Misserfolg der Magnet-schwebetechnik im ersten Versuch muss noch einmal im Detail analysiert werden. Die bedeutende baye-rische Sportartikelindustrie könnte z.B. das Thema Kleidung für das Elektrofahrrad voranbringen.

    Der dritte Schritt besteht in einer deutlichen Aus-weitung von Experimenten und Feldtests. Experi-mentierklauseln müssen auch die Entwicklung neuer Regulierungskonzepte unterstützen.

    Der vierte Schritt besteht in der Analyse der Auswirkungen. Dabei muss die enorme Bedeutung der Autoindustrie für unsere Volkswirtschaft be- achtet werden. Selbst für Bereiche wie die Versiche-rungswirtschaft könnte ein solcher Übergang er- hebliche Auswirkungen haben. Die neuen Lösun-gen müssen darauf hin untersucht werden, welche gesamtwirtschaftliche Leistung sie langfristig spielen können.

    All dies wird Geld kosten, und nicht jede Inves-tition wird sich lohnen. Für Deutschland und Bayern gibt es aber keine Alternative. Wenn es Deutschland nicht gelingt, auch in Zukunft eine führende Rolle im Mobilitätsbereich einzunehmen, dann wäre dies für die deutsche Volkswirtschaft ein großer Rückschlag. Die Lösung muss aber nicht nur für Deutschland, son-dern auch für anderen Weltregionen anwendbar sein.

    ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

    Das Auto hatte immer mehr Bedeutung als die bloße Funktion des Transports. Mit dem Auto ist Status, Sportlichkeit und Prestige verbunden. Ein optimier-tes Verkehrssystem kann an diese Stelle nur die posi-tive Vision eines Systems stellen, das in Bezug auf die Aufgabe einen Menschen oder ein Gut von A nach B zu bringen in den Aspekten, Kosten, Geschwindigkeit, Umweltauswirkungen, Komfort und Sicherheit über-legen ist.

    Die Diskussion zerfasert heute in eine Vielzahl von Einzeldiskussionen über oftmals technische Details. Der Mut, ein neues Gesamtsystem zu entwi-ckeln, fehlt. Die Komponenten dieses Systems müs-sen an vielen Stellen noch entwickelt und optimiert werden. Ihre Vorteile und Auswirkungen in einem gro-ßen Bild diskutieren können wir aber schon heute. Wie kann eine optimale Synthese aus autonomen und elektrischen Autos aussehen? Wie kann ein optimier-ter ÖPNV mit autonomen Fahrzeugen schnelle Zug-verbindungen noch attraktiver machen?

    Das Thema Mobilität ist von entscheidender Bedeutung für die gesamte deutsche Volkswirtschaft. Anstrengungen dieses System zu optimieren, sollten deutlich ausgeweitet werden.

    LITERATUR

    Braun, H.-J. (1999), Konstruktion, Destruktion und der Ausbau Technischer Systeme zwischen 1914 und 1945, Propyläen Verlag, Berlin.

    OICA – International Organization of Motor Vehicle Manufacturers (2019), Statista 2019, http://www.oica.net/.

    König, W. (1997), Massenproduktion und Technikkonsum, Entwicklung und Triebkräfte der Technik zwischen 1880 und 1914, Propyläen Verlag, Berlin.

    Statist