Download - Informationsblatt Landschaft14934...Inf.bl. Landsch. 86, 2012 1 Informationsblatt Landschaft ISSN 1661-5824 2012 86 Eidg. Forschungsanstalt WSL Institut fédéral de recherches WSL

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  • Inf.bl. Landsch. 86, 2012 1

    Informationsblatt LandschaftISSN 1661-5824

    2012 86Eidg. Forschungsanstalt WSL Institut fédéral de recherches WSL Istituto federale di ricerca WSL Swiss Federal Research Institute WSLCH-8903 Birmensdorf

    Was für Muster finden sich im Naherholungsverhalten der Schweizer?Grundlagen für ein Stiefkind der Planung

    Matthias Buchecker, Barbara Degenhardt und Felix Kienast

    Oktober

    Mit der bewegungsarmen und oft Stress-belasteten Büroarbeit wird der Wunsch grösser, sich abends oder am Wochenende im Grünen zu erholen. Trotzdem ist Naherholung im periurbanen Raum, wo die Entwicklungsdyna-mik das siedlungsnahe Grün besonders bedroht, in Planung und Politik kaum ein Thema. Auch die Forschung hat sich wenig mit dem Phänomen Naherho-lung befasst. Insbesondere fehlten bisher Grundlagen zur räumlichen Naher-holungsnutzung. Ein vom BAFU unterstütztes WSL-Projekt hat Licht in die-ses Dunkel gebracht.

    nuss.» Damit meinte er nicht nur Som-meraufenthalte auf dem Lande, sondern auch die regelmässigen Ausflüge vor die Tore der Stadt (Schumacher 2002). Ungestört in der Wohnumgebung spa-zieren zu können und dort Natur zu erleben, sind auch heute zentrale Krite-rien für die Wohn- und Lebensqualität im periurbanen Raum (Frick und Buch-ecker 2005). Im Standort-Marketing hat die Qualität der Wohn umgebung für Erholungsaktivitäten einen erstrangigen Stellenwert erreicht. Naherholung, also die Freizeitnutzung von Grünräumen

    Abb. 1. Naherholung wird oft als etwas Selbstverständliches erachtet, wofür es einfach etwas Grün braucht. Foto: Barbara Degenhardt.Fig. 1. Nearby outdoor recreation is often considered as something given that just requires some green elements. Photo: Barbara Degenhardt.

    um das eigentliche Siedlungsgebiet he-rum, gilt jedoch im gesellschaftlichen Diskurs als etwas Selbstverständliches, über das man sich kaum Gedanken oder Sorgen macht (Wild-eck 2002). Entsprechend wird die Qualität von Naherholungsgebieten – abgesehen von kleineren Debatten über den Lei-nenzwang für Hunde oder die Rück-sichtslosigkeit von Bikern – selten zu einem politischen Thema. Auch in der

    Urban inhabitants’ wish for recreation in green areas around cities is increas ing, in particular, in highly dynamic peri-urban regions. However, these nearby outdoor recreation areas are un-der high pressure. All the same, nearby outdoor recreation is not an issue in planning and policy of Swiss peri-urban regions, and there was also little empiri-cal research on this subject so far. A recently accomplished series of projects at WSL addressed this research gap. Based on a qualitative pre-study repre-sentative surveys were conducted in small cities of three language regions in Switzerland. The data encompassed planning-relevant characteristics of in-habitants’ patterns of nearby outdoor re-creation behaviour. A comparative ana-lysis of these survey data revealed com-mon patterns of nearby outdoor re-creation behaviour across the language regions, but also some systematic language culture-specific variation. A psychological model combining qualita-tive findings of the study with theor-etical approaches highlighted inhabi-tants’ work demands and personal re-sources as main drivers for nearby out-door recreation behaviour. Finally, GIS modelling revealed that area characteri-stics predicted the inhabitants’ spatial nearby outdoor recreation behaviour in a high degree. By combining empirical data and expert knowledge, a spatial model of nearby outdoor recreation for the Swiss peri-urban regions could be developed. This model can be a valuable tool for the visualization of nearby out-door recreation in planning and policy.

    Schlafen und Sonntagsruhe galten im 19. Jahrhundert als die eigentlichen «Kraftstationen», um sich von den An-strengungen des Alltagslebens zu erho-len. Bereits kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert konstatierte jedoch der Hygieniker Max Rubner in einem Vor-trag: «Mit einer elementaren Macht hat sich allmählich bei dem Grossstädter der Zug nach dem Lande entwickelt; je mehr er sich im Laufe des Jahres seinem Beruf hingibt und seine Kräfte opfert, mit um so grösserer Sehnsucht erwacht bei ihm die Begierde nach dem Landge-

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    räumlichen Planung fristet die Nah-erholung ein Schattendasein (Junker und Buchecker 2008). In den grössten Städten der Schweiz wird sie aller-dings als relevante Nutzungsform in der Grünraum-, Nutzungs- und Entwick-lungsplanung berücksichtigt. In Zürich wurden in «grünen» Teilgebieten wie Zürich-Affoltern gezielt Landschafts-entwicklungskonzepte durchgeführt, um die Naherholung zu verbessern. In kleineren und mittleren Städten des Mittellandes beschränkt sich die Aus-einandersetzung mit der Naherholung jedoch häufig auf die Bezeichnung von Gebieten mit hoher Erholungseignung in Richtplänen. Gerade hier wäre der Steuerungsbedarf für Naherholung je-doch besonders dringlich. Wegen der Entwicklungsdynamik besteht ein ho-her Druck auf die bestehenden Grünflä-chen um die Siedlungen. Gleichzeitig steigern Faktoren wie der zunehmende Anteil an Kopfarbeit und allgemein Stress am Arbeitsplatz, die Überal-terung, die zunehmende Freizeit und nicht zuletzt die Bevölkerungszunahme die Nachfrage nach Naherholung. Tat-sächlich gibt es erste Hinweise darauf, dass die Übernutzung des verknappten Naherholungsangebots zu einer rück-läufigen Häufigkeit von Naherholungs-aktivitäten führt (OBerhOlzer-Wyler 1991; SHP 1999/20101; hunziker et al. 2012). Gleichzeitig wird eine massive Zunahme der Freizeitmobilität beo-bachtet (BFS und ARE 2012). Ähnlich wie Politik und Planung hat auch die Forschung dem Thema Naher-holung allgemein wenig Aufmerksam-keit geschenkt. International konzen-trierte sich die Forschung zu Freiraumer-holung auf die Nutzung von städtischen Pärken und Naturpärken, Barrieren der Erholungsnutzung, Nutzerkonflikten und dem Nutzen der Naturerholung für das Wohlbefinden der Besucher. In der Schweiz widmete sich die Erholungs-forschung traditionell interessanterweise schwergewichtig der Walderholung. Das Naherholungsverhalten städtischer Be-wohner und insbesondere deren räum-liche Erholungsansprüche blieben hin-gegen weitgehend unbearbeitet.Im Rahmen des COST E33 Projektes «Walderholung und Natur-Tourismus» und einem vom BAFU mitfinanzierten Folgeprojektes hat sich die WSL in den letzten Jahren mit der Frage befasst, welche Faktoren das Naherholungs-verhalten insgesamt und insbesondere das räumliche Naherholungsverhalten in periurbanen Gebieten beeinflussen

    1 Swiss household panel: www.swisspanel.ch

    sowie welche Gebiete die Bewohner dabei bevorzugt nutzen. In einem ersten Schritt wurden dabei Interviews mit ei-ner gezielten Auswahl von Erholungs-suchenden geführt. Darauf aufbauend wurden die Bewohner verschiedener kleinerer und mittlerer Städte aus drei Sprachregionen der Schweiz in standar-disierter Form über ihr Naherholungs-verhalten befragt. Schliesslich wurde aus diesen Daten ein räumliches GIS-Model der Naherholung entwickelt.

    Naherholung als gemeinsames Phänomen in der mehrsprachigen Schweiz

    In der Deutschschweiz ist Naherholung ein Begriff, den alle Leute problemlos verstehen und sich darunter wohl etwas Ähnliches vorstellen. In der französi-chen und italienischen Sprache fehlt ein entsprechender Ausdruck, so dass Naherholung mit einer ziemlich kom-plizierten Wortkombination umschrie-ben werden muss (z. B. loisir dans la nature proche de Delémont). Zudem unterscheidet sich die Konnotationen der verwendeten Ersatzbegriffe «loisir» (Freizeit) und «svago» (Vergnügen) deutlich von jener von Erholung. Es stellt sich also die Frage, ob das Phä-nomen Naherholung in der lateinischen Schweiz in ähnlicher Form wie in der deutschen Schweiz auftritt.Tatsächlich lässt sich in den Untersu-chungsgebieten der drei Sprachregi-onen (in der rätoromanischen Schweiz fehlen klassische periurbane Gebiete) ein gemeinsames Verhaltensmuster der

    Naherholung erkennen, wenn auch mit kulturspezifischen Abweichungen. Al-len ist gemein, dass die Bewohner einen deutlich grösseren Anteil ihrer Freizeit in Naherholungsgebieten verbringen als in Pärken und Anlagen innerhalb der Siedlungen sowie Erholungsgebieten ausserhalb der Region (Abb. 2). Über-all entfällt der zeitlich grösste Anteil der Freizeitaktivitäten im Grün auf jene direkt ums Wohnhaus (Balkon, Wiese). Gemeinsam sind allen kulturellen Gruppen die Motive für Naherholung: In systematischer Weise rangiert dabei Gesundheit vor Natur, Entspannung und Regeneration. Typisch ist zudem die Vielfalt der individuell angegebenen Motive für Naherholungsaktivitäten. Auffällig ähnlich ist auch die Präferenz für Gebietseigenschaften im Naherho-lungsgebiet unter den Sprachregionen. Stille, Fernsicht, natürliche Vielfalt und Wald werden in dieser Reihenfol-ge in allen Sprachregionen als beson-ders positiv, Gebäude und Verkehr als besonders negativ gewertet. Gleich-zeitig zeigt sich hier eine Deutsch-schweizer Eigenart, nämlich dass auch historische Gebäude, Nadelwald und Gärten als attraktive Bestandteile im Naherholungsgebiet wahrgenommen werden. Deutschschweizer scheinen das Naherholungsgebiet auch mit «Hei-mat» zu konnotieren, während in den lateinischen Sprachregionen die reine (im Französischen die wilde, im Italie-nischen die schöne) Natur gesucht wird (BrechBühl und rey 1998). Der Um-stand, dass der Einfluss der Kultur auf Gebietspräferenzen grösser ist als ande-re sozio-demographische Faktoren wie Alter oder Einkommen, macht deutlich,

    3,5

    3

    2,5

    2

    1,5

    1

    0,5

    0Ums Haus Im Naherholungs-

    gebietAusserhalbder Region

    In der Stadt

    Delémont (Französisch) Bellinzona (Italienisch)Langenthal (Deutsch)

    Abb. 2. Der Anteil der Freizeit, den die Befragten (N = 760) aus den drei kulturellen Gruppen in drei Freiraumbereichen verbringen. Skala: 1 = gar keine Zeit; 2 = wenig Zeit; 3 = halbe Freizeit; 4 = viel Zeit; 5 = ganze Freizeit).Fig. 2. Propotion of the free time that persons (N = 760) questioned in three cultural groups spend in three different types of green areas. Scale: 1 = no time; 2 = few time; 3 = half of free time; 4 = much time; 5 = whole free time).

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    wie stark sich unterschiedliche Natur-vorstellungen im Naherholungsverhal-ten niederschlagen.Ein besonders auffälliger Unterschied zwischen den Sprachregionen zeigte sich zudem bezüglich der benötigten Zeit für den Zugang zum Naherho-lungsgebiet. Während die meisten Nen-nungen in Delémont und Langenthal zwischen 10 und 15 Minuten lagen, ga-ben die Befragten in Bellinzona in der Mehrheit Zeiten über 20 Minuten an. Trotz gewisser kultureller Unterschiede und Eigenarten wird deutlich, dass sich in der Schweiz ein gemeinsames Verhaltensmuster der Naherholung er-kennen lässt, welches durch hohe Nut-zungskonzentration am Siedlungsrand, grosse Vielfalt der Nutzungsmotive mit einem Fokus auf Gesundheit und, was bisher noch unerwähnt blieb, durch be-tontes Routineverhalten mit Wahl häu-fig gleicher Routen charakterisiert ist.

    Naherholung als essenzielles Element für Arbeitsfähigkeit

    Aufenthalte in der Natur und Sicht auf Natur tragen wesentlich zum Wohlbe-finden der Menschen bei (Bauer und BernaScOni 2012). So vermindern sie nachweislich mentale Ermüdung, die bei längerer Konzentration auf gei-stige Arbeit eintritt. Kontakt mit Na-tur bewirkt bei Menschen auch, dass sie sich mehr bewegen und unterstützt Identitätsprozesse. Dient Naherholung also dazu, gezielt Defizite und Bela-stungen auszugleichen, oder sind dies nur Nebeneffekte von etwas, das die

    völkerung der Stadt Frauenfeld getestet und in wesentlichen Aspekten bestätigt, aber auch relativiert (degenhardt et al. 2010). Die Entspannung und Regene-ration von Belastungen der Arbeit sind zwar zentrale Motive der Naherholung (Abb. 3), aber besonders Belasteten scheint der Erholungsbedarf nicht be-sonders bewusst zu sein. So besteht ein nur mässiger Zusammenhang zwischen emotionalen und konzentrations-bezo-genen Arbeitsbelastungen und entspre-chend erwarteten Erholungsmotiven (degenhardt und Buchecker 2008). Deutlich schwächer noch als auf die Motive wirkt sich die individuelle Ar-beitsbelastung auf die Häufigkeit von Besuchen im Naherholungsgebiet aus. Zudem besteht nur bezüglich emotio-naler Belastung ein positiver Zusam-menhang, während hohe Konzentrati-onsbelastung die Naherholungsaktivität nicht stimuliert; wenig Bewegung am Arbeitsplatz vermindert gar die Häufig-keit von Naherholung. Als wesentlicher «Störeffekt» wirkt dabei wie erwartet die Verfügbarkeit von individuellen, so-zialen und umwelt-bezogenen Ressour-cen. Sie hat einen mehrfach stärkeren Einfluss auf das Naherholungsverhalten als die Arbeitsbelastung. Dabei steht nicht wie zu erwarten wäre die verfüg-bare Freizeit im Vordergrund. Rele-vant für die Häufigkeit der Besuche im Naherholungsgebiet sind gute Gebiets-kenntnisse, der Besitz eines Hundes, Kinder im Haushalt, die zeitliche Di-stanz von attraktiven Erholungsgebie-ten und auch die Verfügbarkeit an per-sönlicher Energie (degenhardt et al. 2011), d. h. Personen, die sich im Alltag bereits stark verausgabt haben, bringen

    Leute aus reiner Freude oder Gewohn-heit machen? Oder allgemeiner gefragt: Wie funktioniert Naherholung? Die-se scheinbar einfache Frage lässt sich nicht leicht beantworten.Die Wichtigkeit übergeordneter Motive deutet an, dass die Befragten Naherho-lung mehrheitlich zweckorientiert und insbesondere zum Ausgleich betreiben. Diese Ergebnisse standardisierter Be-fragungen geben an sich jedoch keinen gesicherten Aufschluss über mensch-liches Verhalten. Bisher fehlte zur Inter-pretation eine konsistente theoretische Grundlage. Im Rahmen unseres Projektes haben wir ein theoretisches Erklärungsmodell für Naherholung entwickelt (Abb. 3). Dabei wurden subjektive Erklärungs-modelle von gezielt ausgewählten Erholungssuchenden mit Handlungs- und stress-theoretischen Ansätzen ver-glichen (degenhardt und Buchecker im Druck). Dieses Erklärungsmodell sagt aus, dass es primär die Belastungen und Beanspruchungen in der alltäg-lichen Arbeit sind, welche Menschen zu (kompensatorischen) Naherholungs-aktivitäten motivieren. Ebenso wichtig ist aber eine zweite Aussage des Erklä-rungsmodells: Die Verfügbarkeit von individuellen, sozialen und umwelt-be-zogenen Ressourcen (Zugangsmöglich-keiten, Gebietsqualitäten, Infrastruktur) ist bestimmend dafür, ob, wo und wie sich die Individuen im Naherholungsge-biet erholen. Um sich zu erholen, müs-sen Individuen also zunächst Ressour-cen wie Zeit oder Energie einsetzen. Die Aussagen dieses Erklärungsmodell wurden in einer standardisierten Befra-gung einer Zufallsstichprobe der Be-

    Abb. 3. Nach einem empirisch und theoretisch begründeten Erklärungsmodell steuert die Verfügbarkeit von persönlichen, sozialen und um-weltbezogenen Ressourcen, ob, wo und wie Personen ihre Erholungsmotive umsetzen (degenhardt und Buchecker im Druck).Fig. 3. According to an data and theory based framework, the availability of personal, social and environmental ressources determines if, where and how a person realises his or her recreation motives (degenhardt and Buchecker in print).

    ArbeitsbelastungenMentaleEmotionalePhysiologische

    ArbeitsbeanspruchungenMentaleEmotionalePhysiologische

    ErholungsmotivePersönlicheSozialeUmweltbezogene

    NaherholungsverhaltenErholungszielePersönlicheSozialeUmweltbezogeBeobachtbares VerhaltenPersönlichesSozialesUmweltbezogenes

    RessourcenPersönlicheSozialeUmweltbezogene

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    Verteilungsmuster der Naherholung gekennzeichnet durch einen eng um die Siedlungen gelegten Gürtel hoher Nutzungsintensität. Die inhomogene Verteilung innerhalb des Gürtels macht jedoch deutlich, dass neben der zeit-lichen Erreichbarkeit weitere Faktoren Einfluss haben (Abb. 5).Tatsächlich hat neben dem klar domi-nanten Faktor der zeitlichen Erreich-barkeit eine ganze Reihe von Gebietsei-genschaften eine nachweisbar positive Wirkung auf die Naherholungsnutzung, insbesondere die Wegdichte, der Anteil an Hügeln, die Vielfalt der Landnut-zung, die Siedlungsnähe oder die Be-waldung. Negativ wirkt sich hingegen die Nähe zu Hauptstrassen. Zusätzlich wirken ortsspezifisch Gebietsquali-täten wie steile Wege, Fluss- und See-ufer oder Feuchtgebiete (kienaSt et al.

    Abb. 4. Hügel sind ein Anziehungspunkt für Naherholung, da sie die Besucher Fernsicht und Weite erleben lassen. Foto: M. Buchecker.Fig. 4. Hills are an attracting factor for nearby outdoor recreation as they allow visitors to experience views and sceneries. Photo: M. Buchecker.

    2012). GIS-Modellierungen ergaben, dass die Gebietseigenschaften je nach Untersuchungsgebiet und untersuchten Teilgruppen 40 bis 80 Prozent der Vari-ation in der räumlichen Naherholungs-nutzung voraussagen können. Dies ist ein Mehrfaches dessen, was sozio-psy-chologische Variablen hinsichtlich der Häufigkeit der Besuche im Naherho-lungsgebiet erklären (Abb. 6)Allgemein zeigte sich eine gute Über-einstimmung zwischen den Gebietsei-genschaften, die sich nachweisbar posi-tiv auf die Nutzung auswirken, und den von den Befragten bevorzugten Eigen-schaften der Naherholungsgebiete. Die Hot Spots der Naherholung liegen also im Prinzip dort, wo die Befragten die von ihnen gewünschten Gebietseigen-schaften antreffen. Allerdings trifft dies nur zu, wenn attraktive Gebiete für die

    oft die Kraft nicht auf, sich erholen zu gehen. Obschon alle in der Literatur er-wähnten, möglichen Einflussfaktoren zur Prüfung des Erklärungsmodells von Naherholung einbezogen wurden, konnte insgesamt nur 24 Prozent der Variation in der individuellen Häufig-keit von Besuchen im Naherholungsge-biet erklärt werden. Menschliches Ver-halten ist nur begrenzt bestimmt durch Bedürfnisse und Möglichkeiten. Es ist anzunehmen, dass das Naherholungs-verhalten wesentlich dadurch geprägt ist, ob und wie Individuen aufgrund ih-rer Biographie und ihrer Werthaltungen entsprechende gesellschaftliche Be-dürfnisse und Verhaltensweisen über-nommen haben.

    Wo sind die Hot Spots der Naherholung?

    In jeder Stadt oder Gemeinde gibt es eine Reihe von Orten, von denen ge-meinhin bekannt ist, dass sie von Er-holungssuchenden oft besucht werden. Empirische Daten darüber, wie das Verteilungsmuster der Naherholung aussieht und insbesondere, welche Fak-toren dafür bestimmend sind – Aspekte von planerischer Relevanz – fehlten jedoch bislang weitgehend. Eine syste-matische Erfassung der Naherholungs-nutzung ist ohne grossen Aufwand auch nicht zu leisten. Die Eignung von Ge-bieten zur Naherholung liesse sich im Prinzip relativ einfach auch durch die Erfassung von bevorzugten Qualitäten von Naherholungsgebieten erfassen (Abb. 4). Ob diese jedoch auch tat-sächlich entsprechend genutzt werden, bleibt dann aber unklar.Hingegen können Erholungssuchende relativ klar über ihr räumliches Erho-lungsverhalten Auskunft geben. Dies bestätigte sich in unserer Fragebogener-hebung, in der die Befragten die auf ihren Routen bevorzugt aufgesuchten Orte in einer Karte mit Kilometerraster eintragen konnten. So erwies sich bei-spielsweise das Verteilungsbild der von den Befragten während ihres letz-ten Ausflugs besuchten Orte mit dem Verteilungsbild der von den Befragten in den letzten drei Monaten bevorzugt im Naherholungsgebiet besuchten Orte als weitgehend deckungsgleich (irn-gartiner et al. 2010). Unerwarteter-weise fanden sich auch keine wirklich wesentlichen Unterschiede zwischen der räumlichen Naherholungsnutzung an Arbeitstagen und arbeitsfreien Ta-gen. Generell sind die räumlichen

    Abb. 5. Die Flächen der intensivsten Naherholungsnutzung konzentrieren sich sowohl in Delémont wie auch in Bellinzona auf die Siedlungsränder. Fig. 5. The zones with the highest intensity of nearby outdoor recreation concentrate in the city of Delémont as well as in the city of Bellinzona around the city fringes.

    AnzahldeklarierteBesuche

    AnzahldeklarierteBesuche

    FlussSiedlungSee

    Delémont Bellinzona

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    holung zu entwickeln. Dazu wurde für jede relevante Gebietseigenschaft – durch Verbinden von empirischen Ergebnissen und Expertenurteil – Be-wertungsklassen und deren Gewichtung definiert und schliesslich zu einem ge-nerischen GIS-Modell aggregiert. Die entsprechenden GIS-Karten der peri-urbanen Naherholungseignung und Nutzungsintensität sind unter www.wsl.ch/naherholungsmodelle zugäng-lich. Diese Karten haben nicht den Anspruch, die wirkliche Naherholungs-nutzung wiederzugeben: Die kontext-spezifischen Hot Spots der Naherho-lung, die es in jedem Naherholungsge-biet gibt, sind darin nicht enthalten. Die Karte kann aber als Grundlage für Re-flektion und Diskussion der lokalen und regionalen Naherholung dienen. Daraus kann sich ein Anstoss entwickeln, um Naherholung in Gesellschaft und Poli-tik eine gewichtigere Stimme zu geben.

    LiteraturBauer, n.; BernaScOni, a., 2012: Can

    a landscape be your doctor? Inf.bl. Landsch. 85: 1–3.

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    BrechBühl, u.; rey, l., 1998: Natur als kulturelle Leistung: Zur Entstehung des modernen Umweltdiskurses in der mehrsprachigen Schweiz. Zürich, Seis-mo Verlag. 236 S.

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    degenhardt, B.; Buchecker, m., im Druck: Determinants and patterns of nearby outdoor recreation behavior: a qualitative study. Leis. Sci.

    Frick, J.; Buchecker m., 2005: Erhebung der Wohnqualität und Erholungsnut-zung im Raum Hönggerberg-Affoltern. . Birmensdorf, Eidg. For-schungsanstalt WSL.

    hunziker, m.; vOn linden, e.; Bauer, n.; Frick, J. 2012: Das Verhältnis der Schweizer Bevölkerung zum Wald. Waldmonitoring soziokulturell: Weiterentwicklung und zweite Erhe-bung – WaMos 2. Birmensdorf, Eidg. Forschungsanstalt WSL. 178 S.

    irngartiner, ch.; degenhardt, B.; Buchecker, m., 2010: Naherholungs-verhalten und -ansprüche in Schweizer Agglomerationen. Ergebnisse einer Befragung der St. Galler Bevölkerung 2009. [published online December 2010]. Available from Internet Birmensdorf, Eidg. Forschungsan-stalt WSL. 55 S.

    Junker, B.; Buchecker, m., 2008: Sozial-verträgliche Flussrevitalisierungen. Ein Leitfaden. Birmensdorf, Eidg. For-schungsanstalt WSL. 58 S.

    kienaSt, F.; degenhardt, B.; Weilenman, B.; Wäger, y.; Buchecker, m., 2012: GIS-assisted mapping of landscape sui-tability for nearby recreation. Landsc. Urban Plan. 105: 385–399.

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    Wild-eck, S., 2002: Statt Wald – Lebens-qualität in der Stadt. Zürich, Seismo Verlag. 456 S.

    Bewohner leicht erreichbar sind. Dies gilt nicht für alle Bewohner in glei-chem Masse. Bewohner, die über viel freie Zeit verfügen, insbesondere Per-sonen im Pensionsalter, oder solche, die schnelle Transportmittel nutzen (Auto, ÖV, Velo), nutzen auch Erholungsge-biete mit gewünschten Eigenschaften, wenn diese erst in grösserer Distanz vom Wohnort anzutreffen sind. Junge Leute und insbesondere nicht mobile Bewohner erholen sich jedoch häufig in suboptimalen Räumen. Schlimmer noch, Bewohner mit wenig Zeit und insbesondere mit wenig Energiereser-ven dürften mangels leicht erreichbarer, attraktiver Erholungsgebiete ganz auf Naherholung verzichten und auf weni-ger aufwändige (aber tendenziell auch weniger erholungswirksame) Formen der Erholung wie Fernsehen oder Shop-ping ausweichen. Jene jedoch, die auf das Auto umsteigen, um gewünschte Erholungsgebiete zu erreichen, tendie-ren dazu, optimale Gebiete zu finden und dafür längere Anfahrten in Kauf zu nehmen. Naherholung stärken heisst deshalb in erster Linie, attraktive na-turnahe Gebiete in Siedlungsnähe zu erhalten, aufzuwerten und insbesondere auch zugänglich zu machen. Obschon sich aufgrund von lokalen empirischen Erhebungen lokale GIS-Prognosemodelle zur Naherholung mit recht hoher Güte entwickeln lassen, er-wies sich die Übertragbarkeit der Mo-delle auf andere Gebiete als begrenzt, da Naherholung aufgrund der topogra-phischen Verhältnisse und lokalen Ge-wohnheiten hohe kontext-spezifische Anteile aufweist. Trotzdem gelang es, ein für periurbane Gebiete der Schweiz gültiges Prognosemodell der Naher-

    Abb. 6. Die Gebietseigenschaften im Naherholungsgebiet von Langenthal können 62 % der Variation in der räumlichen Naherholungsnutzung der jungen Langenthaler voraussagen.Fig. 6. The landscape characteristics of nearby outdoor recreation area of Langenthal can predict 62 % of the variance in nearby outdoor recreation use of young people in Langenthal.

    AnzahldeklarierteBesuche

    adj. D2 = 0.62

    Deklariertes AuftretenLangenthal 18 bis 40 Jahre

    Modelliertes AuftretenLangenthal 18 bis 40 Jahre