Download - Insight September 2012

Transcript
Page 1: Insight September 2012

Liebe Leserinnen und Leser, haben Sie sich schon einmal gefragt, ob Sie Ihre chro-nisch entzündliche Darmkrankheit

(IBD) von Ihren Eltern geerbt haben oder an Ihre Kinder wei-tervererben können? In diesem Newsletter berichten wir, was Forscher Neues über die Verer-bung bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa herausgefunden haben. Zwar scheinen Veränderungen am Erbgut nicht allein für IBD verant-wortlich zu sein. Aber sie können das Ausbrechen der Krankheiten begünstigen. Leider gibt es kein einzelnes „IBD-Gen“. Wir kennen mittlerweile viele Gene, die bei einigen Crohn- und Colitis-Pati-enten verändert sein können. Die meisten beeinflussen vermutlich, wie sich das Immunsystems mit Bakterien auseinandersetzt. Ein Gentest, mit dem man die Genver-änderungen feststellen könnte, ist zurzeit aber noch aufwändig und teuer. Wir Ärzte empfehlen ihn im Moment daher nicht. Ich wünsche Ihnen viel Spass dabei, mehr über die Erforschung von IBD zu lesen. Halten Sie unse-rer Studie die Treue. Denn nur über Jahre erhobene Daten werden uns in der Erforschung von IBD wei-terbringen.

E iner von 250 Menschen in Europa erkrankt an Colitis ulcerosa oder

Morbus Crohn. Noch immer wissen Forscher noch nicht genau, warum einer die Krankheit bekommt und der andere nicht. Vermutlich reagiert das Immunsys-tem in der Darmschleimhaut bei Men-schen mit bestimmten Veränderungen am Erbgut überempfindlich auf die natürli-cherweise im Darm vorkommenden Bakterien. Bis vor kurzem kannten die Wissenschafter 18 Gene, die bei Men-

schen mit Colitis ulcerosa verändert sein können. Solche kranken Gene können Betroffene an ihre Kinder vererben. Das erhöht das Risiko, dass diese ebenfalls eine Colitis bekommen. Jetzt hat eine internationale Arbeitsgruppe 29 weitere Genveränderungen gefunden. Hierzu untersuchten sie das Erbmaterial von 6687 Patienten mit Colitis ulcerosa und verglichen es mit dem von 19718 ohne die Krankheit. «Jetzt kennen wir 47 Gene, die bei der Entstehung von Colitis

Gene bestimmen Risiko für Colitis ulcerosaForscher kennen etwa 100 Genveränderungen bei IBD. Sind diese vorhan-den, reagiert das Immunsystem im Darm empfindlicher und es kommt zu der chronischen Entzündung

Frank SeiboldProfessor für Gastroenterologie und Chefarzt am Spital Netz Bern

Informationen für Teilnehmende der Schweizer Kohortenstudie zu Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa

02 – September 2012

Page 2: Insight September 2012

Swiss IBD – insight – September 2012

Nicht nur Veränderungen in denGenen, sondern auch Faktoren in der Umwelt können IBD begünstigen. So scheinen Infektionen im Darm, die «Pille», Rauchen oder Antibiotika das Risiko für Morbus Crohn zu erhö-hen, während die Entfernung des Blinddarmes eher vor einer Colitis ulcerosa zu schützen scheint. (Gastroenterol Clin Biol 2009, Band 33, S. 145)

Dank Gentests können Ärzte viel besser erklären, warum das Immunsystem bei IBD überreagiert.

Crèmes mit hohem Lichtschutz-faktor sind besonders wichtig bei einer Therapie mit Methotrexat, Cyclosporin oder Azathioprin. Denn diese machen die Haut empfindli-cher für UV-Licht und man bekommt schneller einen Sonnenbrand.

Erkundigen Sie sich, ob Sie in Ihr Urlaubsland problemlos alle Me-dikamente einführen dürfen. Falls nicht, lassen Sie sich ein Zeugnis von Ihrem Arzt ausstellen, dass Sie die Arzneimittel dringend brauchen.

Bei Flugreisen nehmen Sie wichtige Medikamente im Handgepäck mit. Flüssigkeiten wie Einläufe können Sie problemlos im Koffer verpacken und aufgeben.

2.

3.

Keiner mit IBD braucht auf Reisen zu verzichten. Damit Ihr Darm Ihnen die

nächsten Ferien nicht vermiest:

Pupsen, ohne dass es peinlich ist? Unterwäsche mit einem Koh-

lefilter filtert unangenehmeGerüche heraus! www.smccv.ch

Keine Angst vor üblen Winden

1.

ulcerosa eine Rolle spielen könnten», sagt Frank Seibold, Professor für Gastroenterologie in Bern, der mit Kollegen aus der IBD Kohorte an der Studie beteiligt war. Anhand der Informationen aus den 47 Genen stellt der Körper Eiweisse her, die bei der Immunabwehr eine Rolle spielen. Das Gen TNFRSF14 beispielsweise produ-ziert Botenstoffe, die Entzündungsvor-gänge regulieren. Ist das Gen defekt, könnte dies zu mehr Entzündungen im Darm führen. Einige der Genverände-rungen finden sich sowohl bei Colitis ulcerosa als auch bei Morbus Crohn. «Das zeigt, wie nahe beide Erkrankun-gen beieinander liegen und es wundert nicht, warum sie manchmal so ähnliche Beschwerden machen, dass man sie

kaum unterscheiden kann», sagt Seibold. Insgesamt können Ärzte jetzt viel besser erklären, warum das Immunsystem bei IBD überreagiert. «Weil aber viele Gene verändert sein können und dies nur bei einem Teil der Patienten, hat ein Gentest für den einzelnen Patienten zum jetzigen Zeitpunkt noch keinen Sinn.»

Nature Genetics 2011, Band 43, Seite 246

Page 3: Insight September 2012

Swiss IBD – insight – September 2012

Alternativen, wenn Cortison nicht hilft

Dr. Stefan Müller Leiter der Durchflusszytometrie und Wis-senschaftlicher Mitarbeiter am Departement Klinische Forschung der Uni Bern

Häufig wird bei Gen-Untersuchun-gen das ganze Erbgut «durch-leuchtet». Dabei findet man Gen-veränderungen an «verstecktenStellen» vielleicht nicht. Es ist wichtig, gezielt Gene auszuwählenund auf Veränderungen zu unter-suchen. Ein Gen haben wir schon länger im Verdacht, es gehört zu den Lektin-Genen. Ist es verän-dert und funktioniert nicht mehr, kann dies eine Darmentzündung begünstigen – so unsere Theorie. Und tatsächlich fanden wir bei einigen Patienten Veränderungen in diesem Lektin-Gen. Das wollen wir nun an mehr Patienten unter-suchen.

Teilnehmende Patienten August 2012:

2’388

Beteiligte Kinder: 137

Ältester Teilnehmer: 89 Jahre

Mitwirkende Gastroenterologen: 70

Anzahl Projekte: 195

Warum ist es so schwie-rig, krankmachende IBD-Gene zu entdecken?

E ine schwere Colitis ulcerosa behandelt der Arzt häufig mit Kortison, um den

heftigen Entzündungsprozess zu stoppen. Bei jedem fünften wirkt die Therapie jedoch nicht oder nicht genügend. Als Alternative verschreibt der Arzt dann Tacrolimus, Infliximab oder Ciclosporin. Bis jetzt wurden die drei Medikamente nicht direkt miteinander verglichen. Man weiss, dass sie besser sind als Placebo, aber nicht wel-ches, von den dreien am besten wirkt. Tacrolimus verhindert, dass bestimmte weisse Blutkörperchen, die so genannten T-Helferzellen, aktiv werden und Immunre-aktionen anstossen können. So unter-drückt es den Entzündungsprozess im Darm. Tacrolimus wirkt ähnlich wie Ciclosporin, soll aber weniger Nebenwir-kungen hervorrufen und die Blutspiegel schwanken nicht so stark. In einer Studie mit relativ wenigen Patienten besserte sich die Entzündung im Darm mit Tacroli-mus bei mehr Patienten als mit Placebo (1). An Nebenwirkungen dokumentierten die Ärzte in den Studien einen Anstieg des Blutzuckerspiegels, Nierenschäden, Zittern, Gefühlsstörungen, Bluthochdruck, Schlaflosigkeit und Magen-Darm-Proble-me. Ob Tacrolimus auch dauerhaft hilft, ist nicht klar. Infliximab ist ein Antikörper, der an den so genannten Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) bindet und ihn neutralisiert. TNF hält den Entzündungsprozess aufrecht. In den zwei grossen Studien ACT 1 und 2 (2) mit insgesamt über 700 Patienten linderte Infliximab die Beschwerden und den Entzündungsprozess im Darm bei 70 Prozent der Patienten und Placebo bei 40 Prozent. Patienten, die Infliximab beka-men, brauchten seltener ins Spital und ihnen musste seltener der Dickdarm entfernt werden (3). Ob auch nach Jahren noch weniger Patienten der Infliximab-Gruppe operiert werden müssen, wissen die Forscher allerdings noch nicht.

Jetzt haben Forscher der IBD-Kohorte unter Leitung von Prof. Frank Seibold, Gastroenterologe am Spitalnetz Bern, eine

Studie gestartet, in der sie die drei Medikamente miteinander vergleichen wollen. Diese TOROS-Studie ist eine so genannte retrospektive Untersuchung. Das heisst die Wissenschafter analysieren im Rückblick anhand von Patientenakten, wie gut die Präparate wirkten. «Lieber hät-ten wir eine prospektive Studie durchfüh-ren wollen», sagt Seibold. Dabei entschei-det der Zufall, welche Patienten welches Medikament bekommen und man prüft nach einem bestimmten Zeitraum, wie es ihnen geht. «Leider fanden wir aber keine Sponsoren für eine solche Studie, denn diese hätte mehrere Millionen Franken gekostet», sagt Seibold. In die TOROS-Studie werden Patienten mit Colitis ulcerosa eingeschlossen, bei denen Kortison nicht wirkte. Aus den Akten entnehmen die Forscher, wer welches Medikament erhalten hatte und wie schlimm die Krankheit vor der Therapie und nach sechs, 26 und 52 Wochen war. «Wir brauchen etwa ein halbes Jahr, um die Daten zu sammeln und zu analyise-ren», sagt Seibold, «in spätestens einem Jahr hoffen wir, die Ergebnisse zu veröffentlichen.» Weitere Informationen erhalten Sie unter www.crohncolitis.ch oder www.ibdnet.ch.

(1) Gut 2006, Band 55, S. 1255(2) NEJM 2005; Band 353, S. 2462(3) Gut 2007, Band 56 (Suppl. III), S. A26

Page 4: Insight September 2012

Würden Sie bei Ihren Töchtern einen Gentest machen lassen, um zu wissen, ob Sie ein erhöhtes Risiko haben? Von diesen Tests halte ich nicht viel, sie sind zu ungenau. Und selbst wenn ich wüsste, dass ich die Krankheit vererben würde, ist es nicht sicher, dass sie bei meinen Töchtern auch zwangsläufig ausbricht.

Wissen Ihre Töchter von der Colitis?

Ja, Sie wissen, dass mein Darm nicht richtig funktioniert. Sie sind damit aufge-wachsen und wissen, dass Sie manchmal nicht so mit mir «herumtollen» oder auf mir herumklettern können, wenn ich Bauchschmerzen habe.

Stört die Krankheit die Familie?

Sicherlich finden sie es manchmal nicht gut, dass wir bestimmte Sachen nicht machen können. Zum Beispiel lange wandern oder zelten, weil ich zu oft zur Toilette muss. Aber ich versuche, meine Krankheit zu vergessen. Meine Familie hat viel Verständnis. Von meinen Arbeitskollegen wissen nur wenige davon. Ich will auch trotz Krankheit gut arbeiten können.

Wie war das damals mit 13, als sie die Colitis bekamen?

Ich dachte, nach einigen Tagen oder Wochen würde es mir wieder gut gehen. Die Mitschüler waren sehr nett, schickten mir Briefe ins Spital. Zum Glück hatte ich keine weiteren Schübe.

Wie geht es Ihnen jetzt?

Nach meinem letzten grossen Schub 2003 habe ich jetzt keine Beschwerden mehr. Ich habe ein- bis zweimal pro Tag Stuhlgang und arbeite hundert Pro-zent. Schade finde ich, dass noch zu wenig an der Ursache meiner Krankheit geforscht wird – wohl aus Geldgründen oder weil zu wenige darunter leiden.

Drei neue Studien beginnen demnächst in der Schweiz. Sie bieten Alternativen für Patienten, bei denen eine anti-TNF-Thera-pie nicht mehr hilft oder die sie nicht vertragen.

– Antikörper AMG 181 gegen Integrin bei Colitis ulcerosa. Das soll die Einwande-rung von Entzündungszellen ins Darmgewebe bremsen. ! http://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01164904

– Behandlung von Morbus Crohn mit GSK1605786A. Dadurch sollen weniger Entzündungszellen in den Darm gelangen. ! http://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01536418

– BMS-936557 bei Morbus Crohn, ein Antikörper gegen IP-10 (gamma interferon inducible protein). Das soll die Entzündung hemmen. ! http://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01466374

Veranstaltungen der Patientenvereinigung

18.10.2012: Lausanne– Öffentliche Info-Veranstaltung im CHUV mit Dr. Schoepfer und andern Referenten 27.10.2012: Wettingen– Eltern-Kinder-Treffen Erfahrungsaustausch von Eltern betroffener Kinder

13.11.2012: Konstanz– Öffentliche Info-Veranstaltung zum Thema Komplementärmedizin

22.11.2012: St. Gallen– Öffentliche Informationsveranstaltung mit begehbarem Darmmodell

! weitere Infos: www.smccv.ch («Events») oder unter [email protected]

Swiss IBD – insight – September 2012

«Meine Töchter wissen, dass mein Darm nicht so gut funktioniert»

Adrian Mühlemann leidet seit seinem 13. Lebensjahr unter Colitis ulcero-sa. Er ist der einzige in der Familie. Manchmal hat er Angst, er könne die Krankheit an seine Töchter, acht und elf Jahre alt, vererbt haben.

«Von den Gentests halte ich nicht viel»

Herausgeber: Studienleitung Erscheint: 3x jährlichAuflage: 5000Text und Konzept: Witte / Winkler.comDesign: Crafft Kommunikation AG, www.crafft.chDruck und Vertrieb: IUMSP, LausanneKontakt: [email protected]

NEUE STUDIEN