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Page 1: Interview Walliser Boote

WALLISWalliser BoteFreitag, 8. Juni 201210

Fronleichnam | Ein junger Erwachsener engagierte sich am traditionellen Anlass – warum?

Frühstück beim Tageskommandanten GLIS | Die Fronleichnams-prozession wird traditio-nellerweise von einemTageskommandanten an-geführt. In Glis hatte die-ses Jahr Jérôme Jovano-vic die Ehre. Was das fürAufgaben mit sich bringt,hat er uns erzählt.

ELENA LYNCH

Als Tageskommandant startetman an Fronleichnam früh inden Tag. Bereits um vier Uhrmorgens bekommt man Haus-besuch. Die Tambouren desMilitärs machen «Tagwache».Am Herrgottstag ist esBrauch, dass man als Tages-und Ehren kommandant fürdie Tambouren und die Mu-sikgesellschaft «Glishorn» dasFrühstück offeriert.

GartenplauschProbleme mit den Anwohnern?Im Gegenteil. Jérômes Nach-barn freuten sich über den melodischen Weckruf in denfrühen Morgenstunden. «Es istherrlich, im Bett zu liegen undder lüpfigen Musik zu lau-schen», äusserte sich eine Nach-barin fröhlich. Zudem standeneinige von ihnen selber im Gar-ten der Familie Jovanovic. Dennneben den Musikern warenauch Nachbarn, Freunde undMitglieder der Ehrenkompaniezum «Zmorge» eingeladen.

Familie und TraditionFür den 26-Jährigen ist es eine«ehrenvolle Aufgabe» als Tages-kommandant an der Fronleich-namsprozession teilzunehmen.Mit Fronleichnam verbindet Jé-rôme Tradition. Es sei schön zusehen, wie diese Tradition Kir-che, Militär und Volk miteinan-der verschmelzen lässt.

Für Jovanovic ist es zugleichauch ein familiärer Anlass –seine ganze Familie war invol-viert. Bruder Joël läuft als seinStellvertreter in der Ehrenkom-panie mit und seine Eltern sindEhrengäste.

Tageskommandant werdenAls der damalige Gliser im Mi-litär zum Leutnant ernanntwurde, fragte ihn der ehema-lige Ehrenkommandant an, ober die Aufgabe als Tageskom-mandant gerne übernehmenmöchte. Da er als Offizier be-reits Erfahrungen als Zugfüh-rer gemacht hatte, sagte er zu.Beim Fronleichnams-«Trüch»im Pfarreiheim wurde er alsNachfolger vorgeschlagen. Mitdem Applaus der Anwesenden,war er gewählt. Nachdem er imvergangenen Jahr als Stellver-treter teilgenommen hatte,durfte er gestern den Zug an-führen. Denn so ist es üblich.

Ein Mehraufwand? AlsTageskommandant gilt es, dieentsprechenden Befehle für die Prozession zu lernen. Nebendem persönlichen Engagementbleibt noch die kleine fi -nanzielle Auslage, die das Frühstück mit sich bringt.Doch das ist für den zukünfti-gen Betriebsökonomen «Ehren-sache».

«Super Sache»Jovanovic besammelte undführte seine Kompanie gesterngekonnt und bestimmt an. Erwird auch in Zukunft an derProzession teilnehmen undhofft auf junge Nachkommen,die es ihm gleichtun werdenund sich genauso für diese«super Sache» begeistern kön-nen wie er.

Stillgestanden! Tageskommandant Jovanovic vor seiner Kompanie in Glis. FOTOS WB

Brüder. Jérôme Jovanovic beim Frühstück mitseinem Bruder und Nachfolger Joël.

Farbig. Die Tambouren und Pfeifer aus Briger-bad, gefolgt von Jungwacht und Blauring Glis.

Bei schönstem Wetter marschier-ten die Tambouren und PfeiferBrigerbads, Jungwacht, Blauringund die Gliser Turnvereine stolzhinter Jovanovics Militärkompa-nie durch Glis. Gefolgt von der MG «Glishorn», dem Pfarrer unterdem Baldachin, den Erstkommu-nikanten, dem St.-Barbara-Vereinund den Trachtenträgerinnen. Für Peter Zurbriggen, Dirigent der«Glishorn», sowie für Pfarrer AloisBregy war es gestern die letzteFronleichnamsprozession im Amt.Zurbriggen wird im Herbst anNachfolger Martig abgeben. UndPfarrer Alois Bregy darf sich aufden Ruhestand freuen.

SCHÖNWETTERZUG

SIDERS/BERN | Der SiderserEthnologe Philipp Eyergibt in seinem Film «Am-rit Nectar of Immortali-ty» Einblick in das gröss-te Pilgerfest der Welt.

Wie kamen Sie auf die Idee,einen Dokumentarfilmüber die Kumbh Mela zudrehen?«Bereits als 16-Jähriger hat michIndien inspiriert, weil Bekanntedas Land bereist hatten. Auchwährend meines Studiums wardie Region immer wieder The-ma, mehrere Reisen führtenmich dorthin. 2008 traf ich aufden Fotografen und Videokünst-ler Jonas Scheu. Zusammen wanderten wir zur Quelle des Ganges. Dort, auf 3500 mü.M.entstand die Idee, gemeinsamden Film zu reali sieren.»

Wie ging es weiter?«Lange Zeit blieb das Projekt inder Schwebe. Erst einen Monatvor Drehstart schrieben wir dasStoryboard. Im Frühjahr 2010gings dann nach Indien. DieDreharbeiten dauerten zweiMonate. Vieles wurde schliess-lich anders als geplant.»

Welches waren die Heraus-forderungen?«Es gab verschiedene. DieSchweizer Konzepte von Pünkt-

lichkeit und Genauigkeit funk-tionieren in Indien nicht – oderanders. Auch die Sprache wareine Hürde. Ich spreche zwarein wenig Hindi, aber eben nurein wenig. Wir mussten einenÜbersetzer engagieren. Auchdie klimatischen Bedingungenwaren anspruchsvoll: Es warsehr heiss, trocken und staubig.Das Equipment hat gelitten.Doch diese Herausforderungenhaben das Projekt auch span-nend gemacht.»

Wie haben die Leute auf dieKamera reagiert?«Sie hatten Freude und warenstolz, vor der Kamera posierenzu können. Hat man in Indieneine Kamera in der Hand, öffnetdas manche Tür und baut Hür-den ab.»

Gab es ein besonderes Erlebnis?«Eindrücklich war sicherlichder letzte Tag der Kumbh Mela.16,6 Millionen Menschen, ver-teilt auf vielleicht zehn Kilome-ter, haben im Ganges gebadet.Wir waren ‹mittendrin›. Wennman diese Menschenmassensieht, darunter alte und krankeMenschen, die kaum mehr gehen können, aber von ihremGlauben vollkommen erfülltsind, ist das sehr beeindru-ckend.»

Auch im Wallis wird derGlaube vielfach noch starkgelebt. Gibt es Parallelen?«Auf jeden Fall. Im Wallis wirdder Rosenkranz gebetet – dieHindus rezitieren Mantras. Mei-ne Grossmutter hat mich im-mer mit Lourdeswasser geseg-net – in Indien gilt das Ganges-wasser als heilbringend. Fürmich als Ethnologen und Religi-onswissenschafter gibt es sehrviele Parallelen.»

Die Botschaft des Films?«Es geht um Religion und Spi-ritualität und Menschen, dieeine tiefe Beziehung zur Naturhaben. Wir wollen zeigen, wieeine Kultur seit Jahrtausendenihre Ressourcen schützt, weildas Bewusstsein vorhandenist, dass diese lebensnotwen-dig sind. Andererseits wird die-se Haltung durch die Moderni-tät gefährdet. Diesen Konfliktversuchen wir – unter ande-rem – zu skizzieren. Aber derFilm ist vielseitig. Ich hoffe, je-der findet seine eigene Bot-schaft darin.»

Werden Sie wieder nach Indien reisen?«Ich denke fast jede Woche ein-mal daran, wieder nach Indienzu reisen.»

Interview: bra

Film | Was erlebt man, wenn fast 17 Millionen Menschen an den Ganges pilgern? Ethnologe Philipp Eyer im Gespräch

«Wir waren mittendrin»

Szenen: «Amrit Nectar of Immortality».FOTOS PHILIPP EYER/COUPDOEIL

Zur Person Philipp Eyerist in Sidersaufgewach-sen und stu-dierte in Frei-burg undBern Sozial-anthropolo-

gie. Eyer ist externer Eritrea-Berater beim Bundesamt fürMigration und betreibt zusam-men mit Stephan Hermann dieFirma Coupdoeil in Bern.

Zum Film«AMRIT Nektar der Unsterb-lichkeit» von Philipp Eyer undJonas Scheu wurde währenddes grössten Pilgerfestes derWelt – der Kumbh Mela – inHaridwar (Nordindien) ge-dreht. Der Film erzählt vonMenschen und deren Bezie-hung zum heiligen Fluss Gan-ges. Trailer: www.amritfilm.net.

Zur VorpremiereDie Vorpremiere von «AMRITNektar der Unsterblichkeit»findet am 15. Juni im BrigerClub Perron1 statt. Vorfüh-rung: 20.15 Uhr. Es folgt eineGesprächsrunde. MusikalischeUmrahmung: Tabla-SpielerStephan Montangero.