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Affekt Effekt Defekt Filmtechnik undals
Affektstoumlrung
Johannes Binotto
laquohellipllsquoaffect est deacuteplaceacuteraquo 1
laquohellipobwohl wir auch nicht wissen was ein Affekt istraquo 2
Beruumlhrung
Wenn das Blumenmaumldchen die Hand des Tramps ergreift um ihm eineBlume und eine Muumlnze zuzustecken wird sie ploumltzlich selbst ergriffenvon einer bestuumlrzenden Erkenntnis die Hand die sie da beruumlhrt kenntsie von fruumlher als sie noch blind war Dieser zerlumpte Clochard densie vor wenigen Augenblicken ausgelacht hatte wie er vor demSchaufenster des Blumenladens von Straszligenjungen gehaumlnselt wurde istin Wahrheit jener Wohltaumlter der ihr das Geld fuumlr jene Operation gab
dank der sie wieder sehen kann laquoYou can see nowraquo fragt sie derTramp laquoYes I can see nowraquo antwortet das Maumldchen mit traurigenAugen Der Tramp laumlchelt Dann Abblende The End Schwarzbild
Der Schriftsteller und Filmkritiker James Agee sah in diesemSchluss von Charles Chaplins Stumm1047297lm City Lights (1931) nichtsweniger als den Houmlhepunkt der Filmgeschichte erreicht laquothe greatestpiece of acting and the highest moment in moviesraquo Und auch spaumltere3
Kommentatoren haben dieses Verdikt verschiedentlich bestaumltigt DieWirkung von Chaplins Filmschluss ist denn auch bis heute
ungebrochen Und es scheint besonders sinnig dass in diesem Momentder zu den ergreifendsten der Filmgeschichte gezaumlhlt wird Beruumlhrung
Jacques Lacan Teacuteleacutevision Paris Seuil 1973 S 381
Sigmund Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo [1925] in Ders Gesammelte Werke Bd XIV 2
Frankfurt a M Fischer 1976 S 111-205 hier S 162
James Agee laquoComedylsquos Greatest Eraraquo [1949] in Daniel Talbot Film an Anthology Berkeley3
University of California Press 1959 S 130-147 hier S 138
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in RISS Zeitschrift fuumlr Psychoanalyse 81 (2014)
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im konkreten wie im uumlbertragenen Sinn zur Deckung kommen die
Beruumlhrung zwischen der Hand des Blumenmaumldchen und jener desTramps beruumlhrt auch den Zuschauer
Moving Pictures
lsaquoMoving Picturesrsaquo ndash so nennt man im Amerikanischen den Film eineBezeichnung die umso treffender ist als sie doppelt gelesen werdenkann laumlsst sich doch das englische laquomovingraquo bekantlich auf zwei Arten
uumlbersetzen sowohl als physische Bewegung wie auch als emotionaleBewegtheit Die lsaquoMoving Picturesrsaquo sind ebenso bewegte wie bewegendeBilder Und in der Tat ist es dem Film immer darum gegangen in derBewegtheit seiner Bilder nicht nur Affekte seiner Figuren darzustellensondern solche Affekte zugleich auch in den Zuschauern selbst zuerzeugen ndash eine Ambition fuumlr die das Ende von City Lights wohl dasexemplarische Beispiel ist
Doch droht der Betrachter ob seiner Ruumlhrung uumlber besagte Szenezu uumlbersehen mit welch technischer Praumlzision sie gestaltet ist und wie
diese technische Praumlzision in der Szene selbst thematisiert wird So istdieser Schluss naumlmlich auch Chaplins selbstre1047298exiver Kommentar uumlberdas eigene Medium und dessen Verfahrensweisen Wenn dasBlumenmaumldchen den Tramp zunaumlchst durch das Schaufenster erblicktnimmt sie damit unweigerlich die Rolle einer Kino-Zuschauerin einund der Tramp erscheint ihr als das was er auch fuumlr das Stumm-1047297lmpublikum ist Akteur auf einem Bildschirm ohne Ton DieHandlungen die der Tramp vor dem Schaufenster macht sind dennauch lauter Chaplinlsquosche Stereotypen die wir aus seinen anderen
Filmen kennen Was wir gemeinsam mit dem Blumenmaumldchen durchdas Schaufenster sehen ist nichts anderes als ein Chaplin-Film
Selbst wenn das Maumldchen ihren Zuschauersitz im Laden verlaumlsstum dem Tramp eine Rose entgegenzustrecken geschieht diese Aktionoffenbar in vollstem Wissen um die Beschaffenheit und Abmessungendes Mediums Die ausgestreckte Rose liegt wie sich auf Standbildernuumlberpruumlfen laumlsst auf den Zentimeter genau auf der Mittelachse des
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Filmbildes (vgl Abb 1 links) Die Rose markiert damit den
Beruumlhrungs- und Uumlbergangspunkt zweier symmetrischer Bildbereicheund mithin zweier sozialer Sphaumlren dem Bereich des Maumldchens undjenem des Tramps Daruumlber hinaus laumlsst sich diese Geste die von dereinen Bildhaumllfte in die andere hinuumlberreicht und schlieszliglich in jener alsGroszligaufnahme festgehaltenen Beruumlhrung der Haumlnde kulminiert (Abb1 rechts) aber auch als Sinnbild lesen fuumlr Chaplins Anspruch in dieserSzene auch die Barriere zwischen sich und dem Kinopublikum zuuumlberwinden und uns buchstaumlblich zu beruumlhren wie etwa derFilmtheoretiker William Rothman argumentiert hat laquoBy calling upon
us to imagine that the screen is not a barrier Chaplin calls upon us tore1047298ect on the limits of the medium of 1047297lm and to ask ourselves whetheror not we wish for those limits to be transcendedraquo 4
So erkennen wir dieses Filmende das uns so ganz unmittelbar zubewegen scheint als in Wahrheit Produkt einer aufwaumlndigen undselbstre1047298exiven medialen Konstruktion Was in uns Ruumlhrunghervorruft ist weniger die tragikomische Geschichte an sich als
vielmehr die praumlzise 1047297lmische Form in der sie erzaumlhlt wird Was unsergreift ist das praumlzise Arrangement von Figuren und Bewegungen imFilmbild uns ergreift die Wahl des Bildausschnitts die Musik dieMontage der Einsatz von Zwischentiteln und Groszligaufnahmen DerAffekt der uns in Chaplins Kino so schmerzlich ergreift entpuppt sich
William Rothman laquoThe Ending of City Lightsraquo in Ders The I of the Camera Essays in Film4
Criticism History and Aesthetics Cambridge University Press 2004 S 44-54 hier S 54
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somit nicht als etwas Natuumlrliches sondern vielmehr als ein Effekt von
Technik als genau das was man in der Filmsprache lsaquoSpecial EffectrsaquoheiszligtEntsprechend hat denn auch Chaplins Zeitgenosse Alfred
Hitchcock die Erzeugung von Emotionen als eine rein technischeAngelegenheit beschrieben In seinem legendaumlren Marathon-Gespraumlchmit Franccedilois Truffaut erklaumlrt Hitchcock im Zusammenhang mit seinemFilm Psycho worin fuumlr ihn der Reiz des Filmemachens besteht laquoWoraufes mir ankam war durch eine Anordnung von Filmstuumlcken FotografieTon lauter technische Sachen das Publikum zum Schreien zu bringen
Ich glaube darin liegt eine groszlige Befriedigung fuumlr uns die Filmkunst zugebrauchen um eine Massenemotion zu schaffenraquo Gerade die von5
Hitchcock selbst konstatierte laquoBelanglosigkeitraquo von Handlung undFiguren in einem Film wie Psycho dient ihm dazu nur noch staumlrkerherauszustellen dass nicht sie es sind welche die Affekte generierensondern vielmehr all jene laquotechnischen Sachenraquo die scheinbar so garnichts mit Emotionen zu tun zu haben scheinen Und doch waumlre esoffensichtlich falsch dem Affekt ob dieser Konstruiertheit jeglicheEchtheit anzusprechen Vielmehr zeigt sich der Affekt gerade in dieser
Technizitaumlt als das was er eigentlich ist Der Affekt ist immer Effekt
Affekt ist Effekthellip
Interessanterweise deckt sich diese im Kino zu beobachtende Para-doxie dass der Affekt bloszlig kuumlnstlich erzeugter Effekt dabei abergleichwohl authentisch ist mit der Erfahrung welche parallel zum Filmauch die Psychoanalyse macht So schreibt Freud in der Traumdeutung
und in Bezug auf den Wiener Pathologen Salomon Stricker
Eine scharfsinnige Bemerkung von Stricker hat uns aufmerksamgemacht dass die Affektaumluszligerungen des Traums nicht die gering-schaumltzige Art der Erledigung gestatten mit der wir erwacht den
Francois Truffaut Truffaut Hitchcock Vollstaumlndige Ausgabe Muumlnchen Diana 1999 S 2415
[Hervorhebung JB]
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Trauminhalt abzuschuumltteln p1047298egen lsaquoWenn ich mich im Traume vorRaumlubern fuumlrchte so sind die Raumluber zwar imaginaumlr aber die Furcht ist
realrsaquo und ebenso geht es wenn ich mich im Traume freue 6
Wissen schuumltzt offenbar vor Gefuumlhlen nicht So wie die Ruumlhrung amEnde von Chaplins City Lights oder die Schocks welche HitchcocksPsycho ausloumlst nicht vermindert werden durch die Einsicht dass essich dabei einzig um kuumlnstlich erzeugte Effekte handelt ist auch diedurch den Traum ausgeloumlste Angst durch das Erwachen nicht wenigerecht geworden
Und auch jene Lektion des Films dass es mitunter scheinbar
ganz unpassende Ausloumlser sind (die laquotechnischen Sachenraquo) welchediesen Affekt-Effekt generieren trifft sich mit den Beobachtungen die7
Freud anhand des Traumes macht Auch dort erweisen sich Ursacheund Affektwirkung als frappant inkongruent
An den Traumlumen hat immer Verwunderung erregt dass Vorstellungs-inhalte nicht die Affektwirkung mit sich bringen die wir als notwendigim wachen Denken erwarten wuumlrden [hellip] Ich bin im Traume in einergraumlszliglichen gefahrvollen ekelhaften Situation verspuumlre aber dabeinichts von Furcht oder Abscheu hingegen entsetze ich mich andereMale uumlber harmlose und freue mich uumlber kindische Dinge [hellip] DieAnalyse lehrt uns dass die Vorstellungsinhalte Verschiebungen undErsetzungen erfahren haben waumlhrend die Affekte unverruumlckt gebliebensind
Diese Diskrepanz zwischen Affekt und Ursache ist freilich auch daswas die Psychiatrie unter dem Stichwort der laquoIrradiationraquo und derlaquoAffektstoumlrungraquo beschreibt wie etwa in Eugen Bleulers Lehrbuch der
Psychiatrie von 1916 laquoBei der Irradiation verbindet sich ein Affekt mit
Vorstellungen denen er urspruumlnglich nicht angehoumlrt aber er bleibt
Sigmund Freud Die Traumdeutung [1900] Gesammelte Werke Bd IIIII FrankfurtM Fischer6
1976 S 462
Colette Soler zufolge bildet Lacan denn auch aus den Woumlrtern laquoaffectlaquo und laquoeffetraquo einen7
entsprechenden Neologismus laquoPour Freud comme pour Lacan llsquoaffect est un effet ndash effect diraLacan par neacuteologiosme calculeacuteraquo Colette Soler Les affects lacaniens Paris Presses Universitaires deFrance 2011 S VIII
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noch im Zusammenhang mit der ersten Vorstellung Er kann sich
jedoch auch davon ganz loumlsenraquo 8
Freud wie auch Bleuler sehen somit im Traum bzw in der Psychosejene scheinbar natuumlrliche Verbindung zerschnitten welche Affekte an diesie ausloumlsenden Vorstellungen heftet Doch beschraumlnkt sich dieseBeobachtung nicht auf besagte Sonderfaumllle So attestiert Bleuler denAffekten ganz allgemein eine laquoNeigung zur Ausbreitungraquo und laquoUumlber-tragungraquo Und auch Freud erklaumlrt in seinem Aufsatz zur laquoVerdraumlngungraquo9
das Auseinanderklaffen von Affekt und affektausloumlsender Vorstellungnicht mehr nur als Sonderfall des Traums sondern erhebt es vielmehr zur
allgemeinen Regel
Die klinische Beobachtung noumltigt uns nun zu zerlegen was wir bishereinheitlich aufgefasst hatten denn sie zeigt uns dass etwas anderes wasden Trieb repraumlsentiert neben der Vorstellung in Betracht kommt unddass dieses andere ein Verdraumlngungsschicksal erfaumlhrt welches von demder Vorstellung ganz verschieden sein kann Fuumlr dieses andere Elementder psychischen Repraumlsentanz hat sich der Name Affektbetrag eingebuumlrgert es entspricht dem Triebe insofern er sich von derVorstellung abgeloumlst hat und einen seiner Quantitaumlt gemaumlszligen Ausdruckin Vorgaumlngen 1047297ndet welche als Affekte der Emp1047297ndung bemerkbar
werden 10
Dabei ist die sich veraumlndernde Metaphorik in Freuds Beschreibungenbesonders hervorzuheben Praumlsentiert er in der Traumdeutung denAffekt als jenes Element welches laquounverruumlcktraquo bleibt so impliziert dieFormulierung in laquoDie Verdraumlngungraquo wo vom Affekt gesagt wird dasser laquosich von der Vorstellung abgeloumlst hatraquo das Bild eines gerade nichtunverruumlckten sondern vielmehr andauernd sich verschiebendengleichsam frei 1047298ottierenden Affektes der jegliche Verankerung verloren
hat Wenn Freud den Affekt mit dem Trieb selbst identi1047297ziert(laquoentspricht dem Trieberaquo) der sich ja gerade durch seine nie nicht mal
Eugen Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie Berlin Springer 1916 S 278
Ebd S 259
Sigmund Freud laquoDie Verdraumlngungraquo [1915] in Ders Gesammelte Werke Bd X FrankfurtM10
Fischer S 247-261 hier S 255
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im Tod zu Ende kommende Bewegung auszeichnet so erscheint der11
Affekt endguumlltig als durch andauernde Verlagerung charakterisiert Dalaquozielgehemmtraquo wie es Freud vom Trieb sagt muss auch der Affekt12
immer unterwegs bleiben Er ist Bewegtheit ndash nicht nur imuumlbertragenen sondern auch konkreten Sinne
hellip ist defekt
Affekt als im Bezug zu seiner Ursache immer schon auf Abwege
geratener Effekt kann fuumlr die Psychoanalyse somit auch nicht jenerMoment absoluter Selbstevidenz sein als der er offenbar von jenemnamenlosen Philosophen behauptet wird den Jacques Lacan in seinemVortrag laquoDie Wissenschaft und die Wahrheitraquo zitiert mit den WortenlaquoDie Wahrheit des Schmerzes ist der Schmerz selbstraquo13
Entgegen diesem Pathos einer laquounmittelbaren Wahrheitraquo desAffektiven als Erfuumlllung einer laquoSehnsucht nach dem UnmittelbarenDirekten Nicht-Mediatisierten Authentischen Objektivenraquo der aucheine Vielzahl der aktuellen Affekt-Diskurse umtreibt widerspricht fuumlr14
Lacan (wie auch fuumlr Freud) der Affekt gerade solchen Vorstellungeneines jeder Versprachlichung vorgaumlngigen Koumlrper-Seins Oder alsReplik auf den namenlosen Philosophen in Lacans Seminar formuliertDie Wahrheit des Affekts ist nicht er selbst sondern gerade sein Nicht-bei-sich-sein
Ich habe bei Gelegenheit zu sagen versucht was der Affekt nicht ist Erist nicht das in seiner Unmittelbarkeit gegebene Sein und auch nicht das
Gerade der Freudlsquosche Todestrieb ist wie Slavoj Žižek verschiedentlich insistiert hat nicht etwa11
ein Trieb zum Tode als vielmehr ein Trieb der keinen Tod kennt der noch uumlber den Todhinausgeht ins zombiehaft Untote Vgl Slavoj Žižek The Plague of Fantasies London Verso 1997S 89
Vgl Sigmund Freud laquoTriebe und Triebschicksaleraquo in Ders Gesammelte Werke Bd X 12
FrankfurtM Fischer S 209-232 hier S 215
Jacques Lacan laquoDie Wissenschaft und die Wahrheitraquo in Ders Schriften II Weinheim Quadriga13
1991 S 231-257 hier S 249
Marie-Luise Angerer Vom Begehren nach dem Affekt Zuumlrich Berlin Diaphanes 2007 S 9 Zur14
kritischen Bestandesaufnahme der aktuellen Affekt-Theorien siehe Ebd
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Subjekt in einer rohen Form [hellip] Umgekehrt habe ich uumlber den Affektgesagt dass er nicht verdraumlngt ist Dies sagt Freud genauso wie ich Er
ist aus seinen Vertaumluungen gerissen [deacutesarrimeacute ] er driftet ab Man1047297ndet ihn verschoben verruumlckt verkehrt und verwandelt wieder nurverdraumlngt ist er nicht Verdraumlngt sind die Signi1047297kanten die ihnvertaumluen 15
Der Affekt als aus seiner Vertaumluung gerissener Effekt ist immerdifferierend und mithin defekt in dem Sinne wie man in der Sprachedes Militaumlrs angesichts einer unerlaubten Entfernung von der Truppevon lsaquoDefektionrsaquo spricht Der Affekt welcher in den Worten von ColetteSoler von Repraumlsentation zu Repraumlsentation wandert ist nie wo er16
sein sollte Ein Wort wie Affektstoumlrung entpuppt sich somit auspsychoanalytischer Perspektive schlechterdings als Pleonasmus DerAffekt ist immer gestoumlrt Er passt nicht zu den Vorstellungen undRepraumlsentationen die ihn hervorrufen sondern erscheint immer undjedem Sinne unangebracht wie man lsaquodeacuteplaceacutersaquo das franzoumlsische Wortfuumlr lsaquoverschiebenrsaquo ja auch uumlbersetzen kann
Joan Copjec hat vorgeschlagen eben diese Deplatziertheit desAffekts im Bezug auf die Repraumlsentationen auf diese letztere selbst
zuruumlckzuwenden
While I began by wondering if Freudlsquos insistence that affect is alwaysdisplaced implied an out-of-phase relation between affect andrepresentation [hellip] this formulation suffers from an overly sharpseparation of the two terms a divison that antagonizes them Is notaffect rather [hellip] representationlsquos own essential lsaquoout-of-phasenessrsaquo withitself A marginal difference opens up separating the individualperception from itself ndash and it is this difference which is called affect 17
Diese af 1047297zierende laquoout-of-phasenessraquo der Repraumlsentation selbst ist esmithin was gerade das Medium des Films so besonders interessantmacht Denn es kann gezeigt werden wie sich auch hier Affekte gerade
Jacques Lacan Das Seminar Buch X Die Angst Wien Turia + Kant 2010 S 25 bzw Ders Le15
seacuteminaire livre X Llsquoangoisse Paris Seuil 2004 S 23
Vgl Colette Soler Les affects lacaniens Paris Presses Universitaires de France 2011 S 416
Joan Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo in Slavoj Žižek Lacan The Silent Partners17
London Verso 2006 S 90-114 hier S 94
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als Momente der laquoout-of-phasenessraquo bemerkbar machen als Wahr-
nehmungsstoumlrungen als Verrutschungen und Defekte der1047297lmischenTechnik selbst
Filmtechnik als Psychoanalyse und umgekehrt
Indes kann es hier nicht darum gehen den Film einfach zur bloszligenIllustration psychoanalytischer Affekt-Theorie zu degradieren JacquesRanciegravere hat uumlberzeugend argumentiert dass schon bei Freud dessen
zahlreiche Bezugnahmen auf die Literatur und die bildende Kunst nichtmissverstanden werden duumlrfen als bloszlige Exempel sondern dassvielmehr fuumlr Freud die Kunst und die Literatur eine laquoIdee desDenkensraquo bereitstellen auf deren Grundlage laquodas Freudrsquosche Denkendes Unbewusstenraquo uumlberhaupt erst moumlglich wird Und auch Shoshana18
Felman hat das Verhaumlltnis zwischen Psychoanalyse und Literatur alsdas einer gegenseitigen Implikation beschrieben
Literature is therefore not simply outside psychoanalysis since it
motivates and inhabits the very names of its concepts since it is theinherent reference by which psychoanalysis names its 1047297ndings [] Wewould like to suggest that in the same way that psychoanalysis pointsto the unconscious of literature literature in its turn is the unconsciousof psychoanalysis 19
Ist fuumlr Felman die Literatur das Unbewusste der Psychoanalyse istAnaloges mit Vehemenz auch fuumlr den Film einzufordern Es gilt zuzeigen dass sich der Film nicht nur zeitgleich mit der Psychoanalyseentwickelt sondern dass ihm mittels seiner technischen Praktiken
Entdeckungen gelingen welche gleichzeitig auch Freud in seiner Praxis
Vgl Jacques Ranciegravere Das aumlsthetische Unbewusste Zuumlrich Berlin Diaphanes 2006 S 1018
Soshana Felman laquoTo Open the Questionraquo in Yale French Studies 5556 1977 S 5ndash10 hier19
S 9ndash10
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machen wird Statt also Story und Figuren eines Films auf die Couch20
zu legen (wie es leider nach wie vor die meisten psychoanalytisch-inspirierten Filmlektuumlren tun) ergibt sich auf Ebene der Filmtechnik diefuumlr beide Seiten wirklich erhellende Korrespondenz zwischenPsychoanalyse und Kino Weniger in seinen Geschichten als vielmehr inseiner technischen Verfasstheit nimmt der Film ein psychoanalytischesDenken auf und vorweg So versteht sich auch die vorliegendeUntersuchung als weiterer Baustein einer noch zu vollendendenPsychoanalyse der Filmtechnik die unweigerlich auch eine Filmtechnik
der Psychoanalyse waumlre21
Dabei soll nicht nur gezeigt werde dass der Film in seinerInszenierung des Affekts immer schon dort war wo die psycho-analytische Theorie mit Lacan hinkommen wird sondern nochdaruumlberhinaus wie der Film in seiner Technik die psychoanalytischeKonzeption des Affekts praumlzisiert und erweitert Zeichnet sich fuumlrLacan der Affekt durch seine laquoVerrutschtheitraquo aus so nutzt umgekehrtder Film eben solche Verrutschungen der Repraumlsentation um dadurchAffekte der Figuren zeigen und zugleich auch im Zuschauer zugenerieren Affekt als immer schon gestoumlrter zeigt sich darum im Film
denn auch am uumlberzeugendsten da wo er als technische Stoumlrungauftaucht
Zu dieser laquoGleichzeitigkeitraquo von Film und Psychoanalyse und wie sich diese nicht nur auf eine20
historischen Koinzidenz beschraumlnkt sondern sich in analogen Entdeckungen zeigt gerade auch wasdie Auffassung von Zeit und Gleichzeitigkeit angeht siehe Johannes Binotto laquoJump Cut ZurChrono-Logik von Film und Psychoanalyseraquo in Christian Kiening Aleksandra Prica Benno Wirz(Hg) Wiederkehr und Verheiszligung Dynamiken der Medialitaumlt in der Zeitlichkeit Zuumlrich Chronos2011 S 253-268
Als weitere Bausteine dieses Projekts siehe Johannes Binotto laquoThere Are No Subbasements Zur21
Ober1047298aumlchlichkeit von Film Erinnerung und Unbewusstemraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg)Memoryscapes Filmformen der Erinnerung Zuumlrich-Berlin Diaphanes 2014 S 181-198 sowieDers laquoRuumlck-Sicht auf Darstellbarkeit Zur Aumlsthetik und Aussagekraft der Rear Projectionraquo inFilmbulletin 213 (2013) S 37ndash43 und Ders laquoHors-champ Vom psychoanalytischen Feld amRand des Filmsraquo in RISS Zeitschrift fuumlr Psychoanalyse 23 (7273 2009) S 77-96
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Sound-Defekte Hitchcock
Ein besonders eindruumlckliches Beispiel solch einer Affekt-Stoumlrung auf derEbene des Tons findet sich in Alfred Hitchcocks Blackmail von 1929Zunaumlchst als Stummfilm begonnen sah sich die Produktionsfirmaaufgrund des aufkommenden Tonfilms gezwungen den Film zumindestin Teilen als Tonfilm in die Kinos zu bringen Dabei ist besonders22
bemerkenswert auf welch originelle Art Hitchcock die neuen sich mitdem Ton eroumlffnenden Moumlglichkeit der Filmtechnik nutzen wird In einerSzene des Films sehen wir Alice die Protagonistin des Films mit ihrer
Familie am Fruumlhstuumlckstisch sitzen Die junge Frau ist zutiefst verstoumlrthat sie doch am Vortag einen zudringlichen Kuumlnstler in dessen Ateliererstochen um sich dessen Vergewaltigungsversuch zu erwehrenUumlberzeugt dass man ihr nicht glauben wuumlrde nur in Notwehr gehandeltzu haben hat Alice ihr schreckliches Geheimnis fuumlr sich behalten Dakommt noch waumlhrend des Fruumlhstuumlcks die geschwaumltzige Nachbarin dazuund beginnt laut uumlber den unaufgeklaumlrten Mord an dem Kuumlnstler imSpeziellen und uumlber Morde mit Messern im Allgemeinen zu lamentierenHitchcocks Kamera zeigt derweil die immer veraumlngstigter werdende
Alice in Groszligaufnahme das Geplapper aber der Nachbarin wirdallmaumlhlich immer dumpfer und schwieriger zu verstehen Einzig dasimmer wiederkehrende Wort laquokniferaquo (Messer) sticht noch aus demalsbald komplett unverstaumlndlich gewordenen Soundtrack heraus
Offensichtlich betreibt Hitchcock diese verbluumlffende Manipulationder Tonspur um Alices besonderen Affektzustand zu zeigen bzw houmlrbarzu machen Ihr obsessives Gedankenkreisen die unablaumlssigwiederkehrende Erinnerung an die schreckliche Tat macht sich akustischbemerkbar in einer Ausblendung aller anderen Woumlrter mit Ausnahme
In der Anfangszeit des Ton1047297lms war es durchaus uumlblich dass Filme nicht vollstaumlndig sondern nur22
in Teilen mit Ton ausgestattet waren Zu diesen sogenannten part-talkies zaumlhlte auch The JazzSinger von 1927 der gemeinhin als erster Ton1047297lm der Filmgeschichte gilt Zur Uumlbergangszeitzwischen Stumm- zum Ton1047297lm mit Fokus auf Hitchcocks Blackmail siehe John Belton laquoAwkwardTransitions Hitchcocks Blackmail and the Dynamics of Early Film Soundraquo in The MusicalQuarterly Vol 83 No 2 (Summer 1999) S 227-246
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jenes einen Signifikanten laquokniferaquo der fuumlr das Geschehene steht Der23
affektive Ausnahmezustand verschafft sich hier Gehoumlr als aus dem Lotgeratene TontechnikDieser brillante Einfall Hitchcocks ist umso bemerkenswerter
als er ihn bereits in seinem ersten Tonfilm entwickelt Statt wie24
man annehmen koumlnnte die Implementierung von Ton im Film alseinen Zuwachs an Naturalismus zu feiern nutzt Hitchcock dietechnische Innovation des Filmtons gerade nicht zu naturalistischensondern psychologischen Zwecken Hitchcock entspricht damit demgerade mal ein Jahr zuvor von Eisenstein Pudowkin und Alexandrow
veroumlffentlichten laquoManifest zum Tonfilmraquo in dem die Autoren dafuumlrplaumldieren den Filmton kontrapunktisch zum Bild und nicht als dessenbloszlige akustische Verdoppelung zu verwenden Entsprechend vermittelt25
auch der Ton in dieser Szene aus Blackmail keine objektive Realitaumlt alsvielmehr jenen laquoanderen Schauplatzraquo der Psyche wie er sich in derveraumlnderten Wahrnehmung der Protagonistin kundtut Zugleich laumlsst derFilmemacher dadurch den Zuschauer an dieser veraumlnderten Affektivitaumlt
Einem Hinweis Susanne Gottlobs folgend der ich an dieser Stelle Dank schulde lieszlige sich im23
Wort laquokniferaquo auch das (fast) homophone englische laquonaiveraquo houmlren Im Sinne eines uumlberdeter-minierten Verhoumlrers hinge am gehoumlrten laquoknifenaiveraquo nebem dem schlechten Gewissen wegen derbegangenen Toumltung demnach auch noch die Scham daruumlber sich so naiv auf die Avancen desVergewaltigers eingelassen zu haben Tatsaumlchlich handelt es sich dabei um ein zentrales Motiv beiHitchcock das besonders Eacuteric Rohmer und Claude Chabrol in ihrem Hitchcock-Buch betonthaben eine unschuldige Person wird faumllschlich eines Verbrechens verdaumlchtigt allmaumlhlich abererkennt die Figur dass sie tatsaumlchlich schuldig geworden war wenn auch weniger in einemjuristischen als vielmehr moralischen Sinne Vgl Eacuteric Rohmer Claude Chabrol Hitchcock [1957]Berlin Alexander Verlag 2013
Hitchcock wird spaumlter auf aumlhnliche komplexe Tonmanipulationen zuruumlckkommen am ein-24
druumlcklichsten in seinem spaumlten Film Frenzy von 1972 um einen Frauenmoumlrder in London Wenn
dort in einer Szene die Neben1047297gur Babs Milligan aus dem Pub tritt in dem sie als Kellneringearbeitet hat faumlllt fuumlr einen kurzen Moment der Filmton komplett aus ehe in dieser geradezuklaustrophobischen Stille die einzelne Stimme eines Bekannten aus dem Off zu houmlren ist der Babsfragt ob sie eine Unterkunft brauche Die derart auffaumlllig und irritierend praumlsentierte Stimme in derStille ist denn auch prompt die Stimme des Moumlrders Und auch spaumlter wenn der Moumlrder Babs zusich in seine Wohnung bringt und die Tuumlr hinter ihnen ins Schloss faumlllt wird der Filmton einerunnatuumlrlichen und bedruumlckenden buchstaumlblich toumldlichen Stille weichen waumlhrend sich die Kameraallmaumlhlich vom Schauplatz des Verbrechens zuruumlckzieht
Vgl Sergej M Eisenstein Wsewolod I Pudowkin Grigorij W Alexandrov laquoManifest zum25
Ton1047297lmraquo [1928] In Franz-Josef Albersmeier (Hg) Texte zur Theorie des Films Stuttgart Reclam1979 S 42-45
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der Figur partizipieren Nicht nur die Figur auch das Publikum houmlrt mit
anderen OhrenIm selben Zug aber ist diese von Figur und Betrachter geteilteWahrnehmungsstoumlrung auch einfach eine Stoumlrung der Filmtechnik derFilmton tut nicht wie er sollte Gerade das mit dem eben ersterfundenen Ton1047297lm noch unvertraute Publikum der spaumlten Zwanziger
Jahre duumlrfte darum besonders auf diese akustische Manipulationreagiert haben und es ist sehr wahrscheinlich dass viele die ploumltzlicheVeraumlnderung des Tons an dieser Stelle des Films zunaumlchst fuumlr einetechnische Stoumlrung waumlhrend der Vorfuumlhrung gehalten haben duumlrften
In eben diesem Uumlbergreifen aber von der Figur auf das Publikumund mithin auf das Medium selbst gelingt Hitchcock nicht nur einebesonders gegluumlckte Darstellung des Affektzustands einer Figursondern er liefert mit dieser Szene unter der Hand auch noch gleicheine avancierte Theorie des Affekts als technischem EffektDefekt DieKritik Michel Chions des groszligen Theoretikers des (Film-)Tons andiesem Experiment Hitchcocks und sein Vorwurf der Zuschaueremp1047297nde die Veraumlnderung des Tons in Blackmail bloszlig als technischesVerfahren nicht aber als subjektive Emp1047297ndung der Figur verpasst26
denn auch gerade dass in dieser beklagten Verschiebung dieeigentliche nicht zuletzt auch psychoanalytische Pointe dieser Szeneliegt So wie Lacan das Unbewusste nicht in einer subjektivenInnerlichkeit sondern als eine Extimitaumlt bestimmt und damit in27
aumluszligeren Phaumlnomen und im Diskurs des Anderen verortet ist auch bei28
Hitchcock der Affekt gerade nicht mehr bloss subjektive Emp1047297ndung
Vgl Michel Chion Audio-Vision Sound on Screen New York Columbia University Press 199426
S 181-182
Vgl Jacques Lacan Das Seminar Buch VII Die Ethik der Psychoanalyse Weinheim Quadriga27
1996 S 171 Zum Begriff der Extimitaumlt siehe auch Jacques-Alain Miller laquoExtimiteacuteraquo in MarkBracher (Hg) Lacanian Theory of Discourse Subject Structure and Society New York New YorkUniversity Press 1994 S 74ndash87
Jacques Lacan laquoDas Seminar uumlber EA Poes rsaquoDer entwendete Brieflsaquoraquo in Ders Schriften I 28
Weinheim Quadriga 1991 S 7ndash60 hier S 14
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von den Film1047297guren nicht wahrgenommen wird und bleibt zugleich
doch auch fuumlr alle Anwesenden houmlrbar So changiert die Mund-harmonika in Once Upon a Time in the West eigenartig zwischen denEbenen Als von auszligen kommender Klang werden die Toumlne im Verlaufder Szene mit der Mundharmonika des Namenlosen identi1047297ziert dochnur um diese Ruumlckfuumlhrung des Klangs auf eine Quelle innerhalb derDiegese sogleich wieder zu leugnen und den Klang sich ausbreiten zulassen zur nicht-diegetischen Filmmusik
laquoAcousmecirctreraquo so hat Michel Chion in seiner bahnbrechenden(nicht zuletzt auch an Lacans Uumlberlegungen zur Stimme angelehnten)
Studie La voix au cineacutema all jene geisterhaften Stimmen genannt diewir keinem Koumlrper innerhalb der 1047297lmischen Handlung zuordnenkoumlnnen und die gerade durch diese Autonomie und Losgeloumlstheit uumlberbesondere Macht zu verfuumlgen scheinen Merkwuumlrdig zwischen An-30
und Abwesenheit schwankend ist es laquoals wuumlrde die Stimme uumlber dieOber1047298aumlche wandern zugleich drinnen und drauszligen sich sehnend nacheinem Platz an dem sie sich niederlassen kann [hellip] weder drauszligennoch drinnen ndash das ist das Schicksal des bdquoacousmecirctreldquo im Kinoraquo Die31
Stimme der toten Mutter in Hitchcocks Psycho etwa ist solch ein
laquoacousmecirctreraquo und ein besonders paradigmatisches noch dazu weil dieStimme der Mutter ja ohnehin die akusmatische Stimme par excellencedarstellt jene Stimme die das noch ungeborene Kind zwar bereits imMutterleib houmlrt ihren Ursprung aber nicht sehen kann
Und natuumlrlich ist auch die Mundharmonika-Melodie aus Once
Upon a Time in the West ebenfalls eine laquoakusmatischeraquo Stimme undeine ganz besondere noch dazu auch wenn Chion Leones Film leidernur ganz am Rande erwaumlhnt Denn waumlhrend das laquoacousmecirctreraquo sichnormalerweise dadurch auszeichnet ohne Ursprungsort innerhalb des
diegetischen Raums zu sein stehen beim Klang der Mundharmonikaim Gegenteil zu viele Anknuumlpfungspunkte zur Verfuumlgung Wenn in derbesagten Szene die Mundharmonika erklingt zeigt die Kamera uns diezugleich erschrockenen wie auch in sich gekehrten Gesichter der
Vgl Michel Chion La voix au cineacutema Paris Editions de llsquoEtoile 1982 insb S 11-3330
Ebd S 2831
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verschiedenen Figuren so dass der Zuschauer unweigerlich raumltselt ob
sich dieser Klang nicht vielleicht im Kopf jedes einzelnen ereignet DerFilm laumlsst es offen ndash oder vielmehr er laumlsst Widersprechendes geltenDer Ton kommt aus einem radikalen Auszligen einem Jenseits derFilmhandlung und ist zugleich nur in der Wahrnehmung jedesEinzelnen praumlsent Die Mundharmonika spricht mit einer Stimme dieabsolut fremd und zugleich intim vertraut ist 32
Die zugleich aus dem uumlberall und nirgendwo hallendeMundharmonika erinnert dabei frappant an jenes im juumldischen Ritusverwendete Horn das Schofar welches Theodor Reik in seiner Studie
uumlber Das Ritual untersucht und welches Lacan in seinem Seminar33
uumlber die Angst als laquoexemplarische Formraquo der Stimme vorstellen wird34
Die Stimme bei Lacan macht sich bemerkbar als Objekt das man nichtbesitzt sondern das vielmehr umgekehrt von einem Besitz ergreift undentsprechend scheint auch die Stimme der Mundharmonika nicht ausdem namenlosen Helden sondern durch ihn und alle in seinerUmgebung hindurch zu gehen (Abb 2 links)
Lied Leid Atem
In seiner Beschreibung der laquoIrradiationraquo von Affekten erwaumlhnt EugenBleuler die Moumlglichkeit dass ein Affekt wie Trauer laquoan irgendeine an
Siehe dazu und zum Folgenden auch Mladen Dolar His Masterlsquos Voice Eine Theorie de Stimme32
Frankfurt a M Suhrkamp 2007
Vgl Theodor Reik Das Ritual Psychoanalytische Studien Leipzig Wien Zuumlrich Internatio-33
naler Psychoanalytischer Verlag 1928 S 206-330
Vgl Lacan Die Angst S 304-319 hier S 31234
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
1612015)
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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im konkreten wie im uumlbertragenen Sinn zur Deckung kommen die
Beruumlhrung zwischen der Hand des Blumenmaumldchen und jener desTramps beruumlhrt auch den Zuschauer
Moving Pictures
lsaquoMoving Picturesrsaquo ndash so nennt man im Amerikanischen den Film eineBezeichnung die umso treffender ist als sie doppelt gelesen werdenkann laumlsst sich doch das englische laquomovingraquo bekantlich auf zwei Arten
uumlbersetzen sowohl als physische Bewegung wie auch als emotionaleBewegtheit Die lsaquoMoving Picturesrsaquo sind ebenso bewegte wie bewegendeBilder Und in der Tat ist es dem Film immer darum gegangen in derBewegtheit seiner Bilder nicht nur Affekte seiner Figuren darzustellensondern solche Affekte zugleich auch in den Zuschauern selbst zuerzeugen ndash eine Ambition fuumlr die das Ende von City Lights wohl dasexemplarische Beispiel ist
Doch droht der Betrachter ob seiner Ruumlhrung uumlber besagte Szenezu uumlbersehen mit welch technischer Praumlzision sie gestaltet ist und wie
diese technische Praumlzision in der Szene selbst thematisiert wird So istdieser Schluss naumlmlich auch Chaplins selbstre1047298exiver Kommentar uumlberdas eigene Medium und dessen Verfahrensweisen Wenn dasBlumenmaumldchen den Tramp zunaumlchst durch das Schaufenster erblicktnimmt sie damit unweigerlich die Rolle einer Kino-Zuschauerin einund der Tramp erscheint ihr als das was er auch fuumlr das Stumm-1047297lmpublikum ist Akteur auf einem Bildschirm ohne Ton DieHandlungen die der Tramp vor dem Schaufenster macht sind dennauch lauter Chaplinlsquosche Stereotypen die wir aus seinen anderen
Filmen kennen Was wir gemeinsam mit dem Blumenmaumldchen durchdas Schaufenster sehen ist nichts anderes als ein Chaplin-Film
Selbst wenn das Maumldchen ihren Zuschauersitz im Laden verlaumlsstum dem Tramp eine Rose entgegenzustrecken geschieht diese Aktionoffenbar in vollstem Wissen um die Beschaffenheit und Abmessungendes Mediums Die ausgestreckte Rose liegt wie sich auf Standbildernuumlberpruumlfen laumlsst auf den Zentimeter genau auf der Mittelachse des
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Filmbildes (vgl Abb 1 links) Die Rose markiert damit den
Beruumlhrungs- und Uumlbergangspunkt zweier symmetrischer Bildbereicheund mithin zweier sozialer Sphaumlren dem Bereich des Maumldchens undjenem des Tramps Daruumlber hinaus laumlsst sich diese Geste die von dereinen Bildhaumllfte in die andere hinuumlberreicht und schlieszliglich in jener alsGroszligaufnahme festgehaltenen Beruumlhrung der Haumlnde kulminiert (Abb1 rechts) aber auch als Sinnbild lesen fuumlr Chaplins Anspruch in dieserSzene auch die Barriere zwischen sich und dem Kinopublikum zuuumlberwinden und uns buchstaumlblich zu beruumlhren wie etwa derFilmtheoretiker William Rothman argumentiert hat laquoBy calling upon
us to imagine that the screen is not a barrier Chaplin calls upon us tore1047298ect on the limits of the medium of 1047297lm and to ask ourselves whetheror not we wish for those limits to be transcendedraquo 4
So erkennen wir dieses Filmende das uns so ganz unmittelbar zubewegen scheint als in Wahrheit Produkt einer aufwaumlndigen undselbstre1047298exiven medialen Konstruktion Was in uns Ruumlhrunghervorruft ist weniger die tragikomische Geschichte an sich als
vielmehr die praumlzise 1047297lmische Form in der sie erzaumlhlt wird Was unsergreift ist das praumlzise Arrangement von Figuren und Bewegungen imFilmbild uns ergreift die Wahl des Bildausschnitts die Musik dieMontage der Einsatz von Zwischentiteln und Groszligaufnahmen DerAffekt der uns in Chaplins Kino so schmerzlich ergreift entpuppt sich
William Rothman laquoThe Ending of City Lightsraquo in Ders The I of the Camera Essays in Film4
Criticism History and Aesthetics Cambridge University Press 2004 S 44-54 hier S 54
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somit nicht als etwas Natuumlrliches sondern vielmehr als ein Effekt von
Technik als genau das was man in der Filmsprache lsaquoSpecial EffectrsaquoheiszligtEntsprechend hat denn auch Chaplins Zeitgenosse Alfred
Hitchcock die Erzeugung von Emotionen als eine rein technischeAngelegenheit beschrieben In seinem legendaumlren Marathon-Gespraumlchmit Franccedilois Truffaut erklaumlrt Hitchcock im Zusammenhang mit seinemFilm Psycho worin fuumlr ihn der Reiz des Filmemachens besteht laquoWoraufes mir ankam war durch eine Anordnung von Filmstuumlcken FotografieTon lauter technische Sachen das Publikum zum Schreien zu bringen
Ich glaube darin liegt eine groszlige Befriedigung fuumlr uns die Filmkunst zugebrauchen um eine Massenemotion zu schaffenraquo Gerade die von5
Hitchcock selbst konstatierte laquoBelanglosigkeitraquo von Handlung undFiguren in einem Film wie Psycho dient ihm dazu nur noch staumlrkerherauszustellen dass nicht sie es sind welche die Affekte generierensondern vielmehr all jene laquotechnischen Sachenraquo die scheinbar so garnichts mit Emotionen zu tun zu haben scheinen Und doch waumlre esoffensichtlich falsch dem Affekt ob dieser Konstruiertheit jeglicheEchtheit anzusprechen Vielmehr zeigt sich der Affekt gerade in dieser
Technizitaumlt als das was er eigentlich ist Der Affekt ist immer Effekt
Affekt ist Effekthellip
Interessanterweise deckt sich diese im Kino zu beobachtende Para-doxie dass der Affekt bloszlig kuumlnstlich erzeugter Effekt dabei abergleichwohl authentisch ist mit der Erfahrung welche parallel zum Filmauch die Psychoanalyse macht So schreibt Freud in der Traumdeutung
und in Bezug auf den Wiener Pathologen Salomon Stricker
Eine scharfsinnige Bemerkung von Stricker hat uns aufmerksamgemacht dass die Affektaumluszligerungen des Traums nicht die gering-schaumltzige Art der Erledigung gestatten mit der wir erwacht den
Francois Truffaut Truffaut Hitchcock Vollstaumlndige Ausgabe Muumlnchen Diana 1999 S 2415
[Hervorhebung JB]
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Trauminhalt abzuschuumltteln p1047298egen lsaquoWenn ich mich im Traume vorRaumlubern fuumlrchte so sind die Raumluber zwar imaginaumlr aber die Furcht ist
realrsaquo und ebenso geht es wenn ich mich im Traume freue 6
Wissen schuumltzt offenbar vor Gefuumlhlen nicht So wie die Ruumlhrung amEnde von Chaplins City Lights oder die Schocks welche HitchcocksPsycho ausloumlst nicht vermindert werden durch die Einsicht dass essich dabei einzig um kuumlnstlich erzeugte Effekte handelt ist auch diedurch den Traum ausgeloumlste Angst durch das Erwachen nicht wenigerecht geworden
Und auch jene Lektion des Films dass es mitunter scheinbar
ganz unpassende Ausloumlser sind (die laquotechnischen Sachenraquo) welchediesen Affekt-Effekt generieren trifft sich mit den Beobachtungen die7
Freud anhand des Traumes macht Auch dort erweisen sich Ursacheund Affektwirkung als frappant inkongruent
An den Traumlumen hat immer Verwunderung erregt dass Vorstellungs-inhalte nicht die Affektwirkung mit sich bringen die wir als notwendigim wachen Denken erwarten wuumlrden [hellip] Ich bin im Traume in einergraumlszliglichen gefahrvollen ekelhaften Situation verspuumlre aber dabeinichts von Furcht oder Abscheu hingegen entsetze ich mich andereMale uumlber harmlose und freue mich uumlber kindische Dinge [hellip] DieAnalyse lehrt uns dass die Vorstellungsinhalte Verschiebungen undErsetzungen erfahren haben waumlhrend die Affekte unverruumlckt gebliebensind
Diese Diskrepanz zwischen Affekt und Ursache ist freilich auch daswas die Psychiatrie unter dem Stichwort der laquoIrradiationraquo und derlaquoAffektstoumlrungraquo beschreibt wie etwa in Eugen Bleulers Lehrbuch der
Psychiatrie von 1916 laquoBei der Irradiation verbindet sich ein Affekt mit
Vorstellungen denen er urspruumlnglich nicht angehoumlrt aber er bleibt
Sigmund Freud Die Traumdeutung [1900] Gesammelte Werke Bd IIIII FrankfurtM Fischer6
1976 S 462
Colette Soler zufolge bildet Lacan denn auch aus den Woumlrtern laquoaffectlaquo und laquoeffetraquo einen7
entsprechenden Neologismus laquoPour Freud comme pour Lacan llsquoaffect est un effet ndash effect diraLacan par neacuteologiosme calculeacuteraquo Colette Soler Les affects lacaniens Paris Presses Universitaires deFrance 2011 S VIII
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noch im Zusammenhang mit der ersten Vorstellung Er kann sich
jedoch auch davon ganz loumlsenraquo 8
Freud wie auch Bleuler sehen somit im Traum bzw in der Psychosejene scheinbar natuumlrliche Verbindung zerschnitten welche Affekte an diesie ausloumlsenden Vorstellungen heftet Doch beschraumlnkt sich dieseBeobachtung nicht auf besagte Sonderfaumllle So attestiert Bleuler denAffekten ganz allgemein eine laquoNeigung zur Ausbreitungraquo und laquoUumlber-tragungraquo Und auch Freud erklaumlrt in seinem Aufsatz zur laquoVerdraumlngungraquo9
das Auseinanderklaffen von Affekt und affektausloumlsender Vorstellungnicht mehr nur als Sonderfall des Traums sondern erhebt es vielmehr zur
allgemeinen Regel
Die klinische Beobachtung noumltigt uns nun zu zerlegen was wir bishereinheitlich aufgefasst hatten denn sie zeigt uns dass etwas anderes wasden Trieb repraumlsentiert neben der Vorstellung in Betracht kommt unddass dieses andere ein Verdraumlngungsschicksal erfaumlhrt welches von demder Vorstellung ganz verschieden sein kann Fuumlr dieses andere Elementder psychischen Repraumlsentanz hat sich der Name Affektbetrag eingebuumlrgert es entspricht dem Triebe insofern er sich von derVorstellung abgeloumlst hat und einen seiner Quantitaumlt gemaumlszligen Ausdruckin Vorgaumlngen 1047297ndet welche als Affekte der Emp1047297ndung bemerkbar
werden 10
Dabei ist die sich veraumlndernde Metaphorik in Freuds Beschreibungenbesonders hervorzuheben Praumlsentiert er in der Traumdeutung denAffekt als jenes Element welches laquounverruumlcktraquo bleibt so impliziert dieFormulierung in laquoDie Verdraumlngungraquo wo vom Affekt gesagt wird dasser laquosich von der Vorstellung abgeloumlst hatraquo das Bild eines gerade nichtunverruumlckten sondern vielmehr andauernd sich verschiebendengleichsam frei 1047298ottierenden Affektes der jegliche Verankerung verloren
hat Wenn Freud den Affekt mit dem Trieb selbst identi1047297ziert(laquoentspricht dem Trieberaquo) der sich ja gerade durch seine nie nicht mal
Eugen Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie Berlin Springer 1916 S 278
Ebd S 259
Sigmund Freud laquoDie Verdraumlngungraquo [1915] in Ders Gesammelte Werke Bd X FrankfurtM10
Fischer S 247-261 hier S 255
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im Tod zu Ende kommende Bewegung auszeichnet so erscheint der11
Affekt endguumlltig als durch andauernde Verlagerung charakterisiert Dalaquozielgehemmtraquo wie es Freud vom Trieb sagt muss auch der Affekt12
immer unterwegs bleiben Er ist Bewegtheit ndash nicht nur imuumlbertragenen sondern auch konkreten Sinne
hellip ist defekt
Affekt als im Bezug zu seiner Ursache immer schon auf Abwege
geratener Effekt kann fuumlr die Psychoanalyse somit auch nicht jenerMoment absoluter Selbstevidenz sein als der er offenbar von jenemnamenlosen Philosophen behauptet wird den Jacques Lacan in seinemVortrag laquoDie Wissenschaft und die Wahrheitraquo zitiert mit den WortenlaquoDie Wahrheit des Schmerzes ist der Schmerz selbstraquo13
Entgegen diesem Pathos einer laquounmittelbaren Wahrheitraquo desAffektiven als Erfuumlllung einer laquoSehnsucht nach dem UnmittelbarenDirekten Nicht-Mediatisierten Authentischen Objektivenraquo der aucheine Vielzahl der aktuellen Affekt-Diskurse umtreibt widerspricht fuumlr14
Lacan (wie auch fuumlr Freud) der Affekt gerade solchen Vorstellungeneines jeder Versprachlichung vorgaumlngigen Koumlrper-Seins Oder alsReplik auf den namenlosen Philosophen in Lacans Seminar formuliertDie Wahrheit des Affekts ist nicht er selbst sondern gerade sein Nicht-bei-sich-sein
Ich habe bei Gelegenheit zu sagen versucht was der Affekt nicht ist Erist nicht das in seiner Unmittelbarkeit gegebene Sein und auch nicht das
Gerade der Freudlsquosche Todestrieb ist wie Slavoj Žižek verschiedentlich insistiert hat nicht etwa11
ein Trieb zum Tode als vielmehr ein Trieb der keinen Tod kennt der noch uumlber den Todhinausgeht ins zombiehaft Untote Vgl Slavoj Žižek The Plague of Fantasies London Verso 1997S 89
Vgl Sigmund Freud laquoTriebe und Triebschicksaleraquo in Ders Gesammelte Werke Bd X 12
FrankfurtM Fischer S 209-232 hier S 215
Jacques Lacan laquoDie Wissenschaft und die Wahrheitraquo in Ders Schriften II Weinheim Quadriga13
1991 S 231-257 hier S 249
Marie-Luise Angerer Vom Begehren nach dem Affekt Zuumlrich Berlin Diaphanes 2007 S 9 Zur14
kritischen Bestandesaufnahme der aktuellen Affekt-Theorien siehe Ebd
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Subjekt in einer rohen Form [hellip] Umgekehrt habe ich uumlber den Affektgesagt dass er nicht verdraumlngt ist Dies sagt Freud genauso wie ich Er
ist aus seinen Vertaumluungen gerissen [deacutesarrimeacute ] er driftet ab Man1047297ndet ihn verschoben verruumlckt verkehrt und verwandelt wieder nurverdraumlngt ist er nicht Verdraumlngt sind die Signi1047297kanten die ihnvertaumluen 15
Der Affekt als aus seiner Vertaumluung gerissener Effekt ist immerdifferierend und mithin defekt in dem Sinne wie man in der Sprachedes Militaumlrs angesichts einer unerlaubten Entfernung von der Truppevon lsaquoDefektionrsaquo spricht Der Affekt welcher in den Worten von ColetteSoler von Repraumlsentation zu Repraumlsentation wandert ist nie wo er16
sein sollte Ein Wort wie Affektstoumlrung entpuppt sich somit auspsychoanalytischer Perspektive schlechterdings als Pleonasmus DerAffekt ist immer gestoumlrt Er passt nicht zu den Vorstellungen undRepraumlsentationen die ihn hervorrufen sondern erscheint immer undjedem Sinne unangebracht wie man lsaquodeacuteplaceacutersaquo das franzoumlsische Wortfuumlr lsaquoverschiebenrsaquo ja auch uumlbersetzen kann
Joan Copjec hat vorgeschlagen eben diese Deplatziertheit desAffekts im Bezug auf die Repraumlsentationen auf diese letztere selbst
zuruumlckzuwenden
While I began by wondering if Freudlsquos insistence that affect is alwaysdisplaced implied an out-of-phase relation between affect andrepresentation [hellip] this formulation suffers from an overly sharpseparation of the two terms a divison that antagonizes them Is notaffect rather [hellip] representationlsquos own essential lsaquoout-of-phasenessrsaquo withitself A marginal difference opens up separating the individualperception from itself ndash and it is this difference which is called affect 17
Diese af 1047297zierende laquoout-of-phasenessraquo der Repraumlsentation selbst ist esmithin was gerade das Medium des Films so besonders interessantmacht Denn es kann gezeigt werden wie sich auch hier Affekte gerade
Jacques Lacan Das Seminar Buch X Die Angst Wien Turia + Kant 2010 S 25 bzw Ders Le15
seacuteminaire livre X Llsquoangoisse Paris Seuil 2004 S 23
Vgl Colette Soler Les affects lacaniens Paris Presses Universitaires de France 2011 S 416
Joan Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo in Slavoj Žižek Lacan The Silent Partners17
London Verso 2006 S 90-114 hier S 94
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als Momente der laquoout-of-phasenessraquo bemerkbar machen als Wahr-
nehmungsstoumlrungen als Verrutschungen und Defekte der1047297lmischenTechnik selbst
Filmtechnik als Psychoanalyse und umgekehrt
Indes kann es hier nicht darum gehen den Film einfach zur bloszligenIllustration psychoanalytischer Affekt-Theorie zu degradieren JacquesRanciegravere hat uumlberzeugend argumentiert dass schon bei Freud dessen
zahlreiche Bezugnahmen auf die Literatur und die bildende Kunst nichtmissverstanden werden duumlrfen als bloszlige Exempel sondern dassvielmehr fuumlr Freud die Kunst und die Literatur eine laquoIdee desDenkensraquo bereitstellen auf deren Grundlage laquodas Freudrsquosche Denkendes Unbewusstenraquo uumlberhaupt erst moumlglich wird Und auch Shoshana18
Felman hat das Verhaumlltnis zwischen Psychoanalyse und Literatur alsdas einer gegenseitigen Implikation beschrieben
Literature is therefore not simply outside psychoanalysis since it
motivates and inhabits the very names of its concepts since it is theinherent reference by which psychoanalysis names its 1047297ndings [] Wewould like to suggest that in the same way that psychoanalysis pointsto the unconscious of literature literature in its turn is the unconsciousof psychoanalysis 19
Ist fuumlr Felman die Literatur das Unbewusste der Psychoanalyse istAnaloges mit Vehemenz auch fuumlr den Film einzufordern Es gilt zuzeigen dass sich der Film nicht nur zeitgleich mit der Psychoanalyseentwickelt sondern dass ihm mittels seiner technischen Praktiken
Entdeckungen gelingen welche gleichzeitig auch Freud in seiner Praxis
Vgl Jacques Ranciegravere Das aumlsthetische Unbewusste Zuumlrich Berlin Diaphanes 2006 S 1018
Soshana Felman laquoTo Open the Questionraquo in Yale French Studies 5556 1977 S 5ndash10 hier19
S 9ndash10
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machen wird Statt also Story und Figuren eines Films auf die Couch20
zu legen (wie es leider nach wie vor die meisten psychoanalytisch-inspirierten Filmlektuumlren tun) ergibt sich auf Ebene der Filmtechnik diefuumlr beide Seiten wirklich erhellende Korrespondenz zwischenPsychoanalyse und Kino Weniger in seinen Geschichten als vielmehr inseiner technischen Verfasstheit nimmt der Film ein psychoanalytischesDenken auf und vorweg So versteht sich auch die vorliegendeUntersuchung als weiterer Baustein einer noch zu vollendendenPsychoanalyse der Filmtechnik die unweigerlich auch eine Filmtechnik
der Psychoanalyse waumlre21
Dabei soll nicht nur gezeigt werde dass der Film in seinerInszenierung des Affekts immer schon dort war wo die psycho-analytische Theorie mit Lacan hinkommen wird sondern nochdaruumlberhinaus wie der Film in seiner Technik die psychoanalytischeKonzeption des Affekts praumlzisiert und erweitert Zeichnet sich fuumlrLacan der Affekt durch seine laquoVerrutschtheitraquo aus so nutzt umgekehrtder Film eben solche Verrutschungen der Repraumlsentation um dadurchAffekte der Figuren zeigen und zugleich auch im Zuschauer zugenerieren Affekt als immer schon gestoumlrter zeigt sich darum im Film
denn auch am uumlberzeugendsten da wo er als technische Stoumlrungauftaucht
Zu dieser laquoGleichzeitigkeitraquo von Film und Psychoanalyse und wie sich diese nicht nur auf eine20
historischen Koinzidenz beschraumlnkt sondern sich in analogen Entdeckungen zeigt gerade auch wasdie Auffassung von Zeit und Gleichzeitigkeit angeht siehe Johannes Binotto laquoJump Cut ZurChrono-Logik von Film und Psychoanalyseraquo in Christian Kiening Aleksandra Prica Benno Wirz(Hg) Wiederkehr und Verheiszligung Dynamiken der Medialitaumlt in der Zeitlichkeit Zuumlrich Chronos2011 S 253-268
Als weitere Bausteine dieses Projekts siehe Johannes Binotto laquoThere Are No Subbasements Zur21
Ober1047298aumlchlichkeit von Film Erinnerung und Unbewusstemraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg)Memoryscapes Filmformen der Erinnerung Zuumlrich-Berlin Diaphanes 2014 S 181-198 sowieDers laquoRuumlck-Sicht auf Darstellbarkeit Zur Aumlsthetik und Aussagekraft der Rear Projectionraquo inFilmbulletin 213 (2013) S 37ndash43 und Ders laquoHors-champ Vom psychoanalytischen Feld amRand des Filmsraquo in RISS Zeitschrift fuumlr Psychoanalyse 23 (7273 2009) S 77-96
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Sound-Defekte Hitchcock
Ein besonders eindruumlckliches Beispiel solch einer Affekt-Stoumlrung auf derEbene des Tons findet sich in Alfred Hitchcocks Blackmail von 1929Zunaumlchst als Stummfilm begonnen sah sich die Produktionsfirmaaufgrund des aufkommenden Tonfilms gezwungen den Film zumindestin Teilen als Tonfilm in die Kinos zu bringen Dabei ist besonders22
bemerkenswert auf welch originelle Art Hitchcock die neuen sich mitdem Ton eroumlffnenden Moumlglichkeit der Filmtechnik nutzen wird In einerSzene des Films sehen wir Alice die Protagonistin des Films mit ihrer
Familie am Fruumlhstuumlckstisch sitzen Die junge Frau ist zutiefst verstoumlrthat sie doch am Vortag einen zudringlichen Kuumlnstler in dessen Ateliererstochen um sich dessen Vergewaltigungsversuch zu erwehrenUumlberzeugt dass man ihr nicht glauben wuumlrde nur in Notwehr gehandeltzu haben hat Alice ihr schreckliches Geheimnis fuumlr sich behalten Dakommt noch waumlhrend des Fruumlhstuumlcks die geschwaumltzige Nachbarin dazuund beginnt laut uumlber den unaufgeklaumlrten Mord an dem Kuumlnstler imSpeziellen und uumlber Morde mit Messern im Allgemeinen zu lamentierenHitchcocks Kamera zeigt derweil die immer veraumlngstigter werdende
Alice in Groszligaufnahme das Geplapper aber der Nachbarin wirdallmaumlhlich immer dumpfer und schwieriger zu verstehen Einzig dasimmer wiederkehrende Wort laquokniferaquo (Messer) sticht noch aus demalsbald komplett unverstaumlndlich gewordenen Soundtrack heraus
Offensichtlich betreibt Hitchcock diese verbluumlffende Manipulationder Tonspur um Alices besonderen Affektzustand zu zeigen bzw houmlrbarzu machen Ihr obsessives Gedankenkreisen die unablaumlssigwiederkehrende Erinnerung an die schreckliche Tat macht sich akustischbemerkbar in einer Ausblendung aller anderen Woumlrter mit Ausnahme
In der Anfangszeit des Ton1047297lms war es durchaus uumlblich dass Filme nicht vollstaumlndig sondern nur22
in Teilen mit Ton ausgestattet waren Zu diesen sogenannten part-talkies zaumlhlte auch The JazzSinger von 1927 der gemeinhin als erster Ton1047297lm der Filmgeschichte gilt Zur Uumlbergangszeitzwischen Stumm- zum Ton1047297lm mit Fokus auf Hitchcocks Blackmail siehe John Belton laquoAwkwardTransitions Hitchcocks Blackmail and the Dynamics of Early Film Soundraquo in The MusicalQuarterly Vol 83 No 2 (Summer 1999) S 227-246
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jenes einen Signifikanten laquokniferaquo der fuumlr das Geschehene steht Der23
affektive Ausnahmezustand verschafft sich hier Gehoumlr als aus dem Lotgeratene TontechnikDieser brillante Einfall Hitchcocks ist umso bemerkenswerter
als er ihn bereits in seinem ersten Tonfilm entwickelt Statt wie24
man annehmen koumlnnte die Implementierung von Ton im Film alseinen Zuwachs an Naturalismus zu feiern nutzt Hitchcock dietechnische Innovation des Filmtons gerade nicht zu naturalistischensondern psychologischen Zwecken Hitchcock entspricht damit demgerade mal ein Jahr zuvor von Eisenstein Pudowkin und Alexandrow
veroumlffentlichten laquoManifest zum Tonfilmraquo in dem die Autoren dafuumlrplaumldieren den Filmton kontrapunktisch zum Bild und nicht als dessenbloszlige akustische Verdoppelung zu verwenden Entsprechend vermittelt25
auch der Ton in dieser Szene aus Blackmail keine objektive Realitaumlt alsvielmehr jenen laquoanderen Schauplatzraquo der Psyche wie er sich in derveraumlnderten Wahrnehmung der Protagonistin kundtut Zugleich laumlsst derFilmemacher dadurch den Zuschauer an dieser veraumlnderten Affektivitaumlt
Einem Hinweis Susanne Gottlobs folgend der ich an dieser Stelle Dank schulde lieszlige sich im23
Wort laquokniferaquo auch das (fast) homophone englische laquonaiveraquo houmlren Im Sinne eines uumlberdeter-minierten Verhoumlrers hinge am gehoumlrten laquoknifenaiveraquo nebem dem schlechten Gewissen wegen derbegangenen Toumltung demnach auch noch die Scham daruumlber sich so naiv auf die Avancen desVergewaltigers eingelassen zu haben Tatsaumlchlich handelt es sich dabei um ein zentrales Motiv beiHitchcock das besonders Eacuteric Rohmer und Claude Chabrol in ihrem Hitchcock-Buch betonthaben eine unschuldige Person wird faumllschlich eines Verbrechens verdaumlchtigt allmaumlhlich abererkennt die Figur dass sie tatsaumlchlich schuldig geworden war wenn auch weniger in einemjuristischen als vielmehr moralischen Sinne Vgl Eacuteric Rohmer Claude Chabrol Hitchcock [1957]Berlin Alexander Verlag 2013
Hitchcock wird spaumlter auf aumlhnliche komplexe Tonmanipulationen zuruumlckkommen am ein-24
druumlcklichsten in seinem spaumlten Film Frenzy von 1972 um einen Frauenmoumlrder in London Wenn
dort in einer Szene die Neben1047297gur Babs Milligan aus dem Pub tritt in dem sie als Kellneringearbeitet hat faumlllt fuumlr einen kurzen Moment der Filmton komplett aus ehe in dieser geradezuklaustrophobischen Stille die einzelne Stimme eines Bekannten aus dem Off zu houmlren ist der Babsfragt ob sie eine Unterkunft brauche Die derart auffaumlllig und irritierend praumlsentierte Stimme in derStille ist denn auch prompt die Stimme des Moumlrders Und auch spaumlter wenn der Moumlrder Babs zusich in seine Wohnung bringt und die Tuumlr hinter ihnen ins Schloss faumlllt wird der Filmton einerunnatuumlrlichen und bedruumlckenden buchstaumlblich toumldlichen Stille weichen waumlhrend sich die Kameraallmaumlhlich vom Schauplatz des Verbrechens zuruumlckzieht
Vgl Sergej M Eisenstein Wsewolod I Pudowkin Grigorij W Alexandrov laquoManifest zum25
Ton1047297lmraquo [1928] In Franz-Josef Albersmeier (Hg) Texte zur Theorie des Films Stuttgart Reclam1979 S 42-45
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der Figur partizipieren Nicht nur die Figur auch das Publikum houmlrt mit
anderen OhrenIm selben Zug aber ist diese von Figur und Betrachter geteilteWahrnehmungsstoumlrung auch einfach eine Stoumlrung der Filmtechnik derFilmton tut nicht wie er sollte Gerade das mit dem eben ersterfundenen Ton1047297lm noch unvertraute Publikum der spaumlten Zwanziger
Jahre duumlrfte darum besonders auf diese akustische Manipulationreagiert haben und es ist sehr wahrscheinlich dass viele die ploumltzlicheVeraumlnderung des Tons an dieser Stelle des Films zunaumlchst fuumlr einetechnische Stoumlrung waumlhrend der Vorfuumlhrung gehalten haben duumlrften
In eben diesem Uumlbergreifen aber von der Figur auf das Publikumund mithin auf das Medium selbst gelingt Hitchcock nicht nur einebesonders gegluumlckte Darstellung des Affektzustands einer Figursondern er liefert mit dieser Szene unter der Hand auch noch gleicheine avancierte Theorie des Affekts als technischem EffektDefekt DieKritik Michel Chions des groszligen Theoretikers des (Film-)Tons andiesem Experiment Hitchcocks und sein Vorwurf der Zuschaueremp1047297nde die Veraumlnderung des Tons in Blackmail bloszlig als technischesVerfahren nicht aber als subjektive Emp1047297ndung der Figur verpasst26
denn auch gerade dass in dieser beklagten Verschiebung dieeigentliche nicht zuletzt auch psychoanalytische Pointe dieser Szeneliegt So wie Lacan das Unbewusste nicht in einer subjektivenInnerlichkeit sondern als eine Extimitaumlt bestimmt und damit in27
aumluszligeren Phaumlnomen und im Diskurs des Anderen verortet ist auch bei28
Hitchcock der Affekt gerade nicht mehr bloss subjektive Emp1047297ndung
Vgl Michel Chion Audio-Vision Sound on Screen New York Columbia University Press 199426
S 181-182
Vgl Jacques Lacan Das Seminar Buch VII Die Ethik der Psychoanalyse Weinheim Quadriga27
1996 S 171 Zum Begriff der Extimitaumlt siehe auch Jacques-Alain Miller laquoExtimiteacuteraquo in MarkBracher (Hg) Lacanian Theory of Discourse Subject Structure and Society New York New YorkUniversity Press 1994 S 74ndash87
Jacques Lacan laquoDas Seminar uumlber EA Poes rsaquoDer entwendete Brieflsaquoraquo in Ders Schriften I 28
Weinheim Quadriga 1991 S 7ndash60 hier S 14
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von den Film1047297guren nicht wahrgenommen wird und bleibt zugleich
doch auch fuumlr alle Anwesenden houmlrbar So changiert die Mund-harmonika in Once Upon a Time in the West eigenartig zwischen denEbenen Als von auszligen kommender Klang werden die Toumlne im Verlaufder Szene mit der Mundharmonika des Namenlosen identi1047297ziert dochnur um diese Ruumlckfuumlhrung des Klangs auf eine Quelle innerhalb derDiegese sogleich wieder zu leugnen und den Klang sich ausbreiten zulassen zur nicht-diegetischen Filmmusik
laquoAcousmecirctreraquo so hat Michel Chion in seiner bahnbrechenden(nicht zuletzt auch an Lacans Uumlberlegungen zur Stimme angelehnten)
Studie La voix au cineacutema all jene geisterhaften Stimmen genannt diewir keinem Koumlrper innerhalb der 1047297lmischen Handlung zuordnenkoumlnnen und die gerade durch diese Autonomie und Losgeloumlstheit uumlberbesondere Macht zu verfuumlgen scheinen Merkwuumlrdig zwischen An-30
und Abwesenheit schwankend ist es laquoals wuumlrde die Stimme uumlber dieOber1047298aumlche wandern zugleich drinnen und drauszligen sich sehnend nacheinem Platz an dem sie sich niederlassen kann [hellip] weder drauszligennoch drinnen ndash das ist das Schicksal des bdquoacousmecirctreldquo im Kinoraquo Die31
Stimme der toten Mutter in Hitchcocks Psycho etwa ist solch ein
laquoacousmecirctreraquo und ein besonders paradigmatisches noch dazu weil dieStimme der Mutter ja ohnehin die akusmatische Stimme par excellencedarstellt jene Stimme die das noch ungeborene Kind zwar bereits imMutterleib houmlrt ihren Ursprung aber nicht sehen kann
Und natuumlrlich ist auch die Mundharmonika-Melodie aus Once
Upon a Time in the West ebenfalls eine laquoakusmatischeraquo Stimme undeine ganz besondere noch dazu auch wenn Chion Leones Film leidernur ganz am Rande erwaumlhnt Denn waumlhrend das laquoacousmecirctreraquo sichnormalerweise dadurch auszeichnet ohne Ursprungsort innerhalb des
diegetischen Raums zu sein stehen beim Klang der Mundharmonikaim Gegenteil zu viele Anknuumlpfungspunkte zur Verfuumlgung Wenn in derbesagten Szene die Mundharmonika erklingt zeigt die Kamera uns diezugleich erschrockenen wie auch in sich gekehrten Gesichter der
Vgl Michel Chion La voix au cineacutema Paris Editions de llsquoEtoile 1982 insb S 11-3330
Ebd S 2831
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verschiedenen Figuren so dass der Zuschauer unweigerlich raumltselt ob
sich dieser Klang nicht vielleicht im Kopf jedes einzelnen ereignet DerFilm laumlsst es offen ndash oder vielmehr er laumlsst Widersprechendes geltenDer Ton kommt aus einem radikalen Auszligen einem Jenseits derFilmhandlung und ist zugleich nur in der Wahrnehmung jedesEinzelnen praumlsent Die Mundharmonika spricht mit einer Stimme dieabsolut fremd und zugleich intim vertraut ist 32
Die zugleich aus dem uumlberall und nirgendwo hallendeMundharmonika erinnert dabei frappant an jenes im juumldischen Ritusverwendete Horn das Schofar welches Theodor Reik in seiner Studie
uumlber Das Ritual untersucht und welches Lacan in seinem Seminar33
uumlber die Angst als laquoexemplarische Formraquo der Stimme vorstellen wird34
Die Stimme bei Lacan macht sich bemerkbar als Objekt das man nichtbesitzt sondern das vielmehr umgekehrt von einem Besitz ergreift undentsprechend scheint auch die Stimme der Mundharmonika nicht ausdem namenlosen Helden sondern durch ihn und alle in seinerUmgebung hindurch zu gehen (Abb 2 links)
Lied Leid Atem
In seiner Beschreibung der laquoIrradiationraquo von Affekten erwaumlhnt EugenBleuler die Moumlglichkeit dass ein Affekt wie Trauer laquoan irgendeine an
Siehe dazu und zum Folgenden auch Mladen Dolar His Masterlsquos Voice Eine Theorie de Stimme32
Frankfurt a M Suhrkamp 2007
Vgl Theodor Reik Das Ritual Psychoanalytische Studien Leipzig Wien Zuumlrich Internatio-33
naler Psychoanalytischer Verlag 1928 S 206-330
Vgl Lacan Die Angst S 304-319 hier S 31234
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
1612015)
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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Filmbildes (vgl Abb 1 links) Die Rose markiert damit den
Beruumlhrungs- und Uumlbergangspunkt zweier symmetrischer Bildbereicheund mithin zweier sozialer Sphaumlren dem Bereich des Maumldchens undjenem des Tramps Daruumlber hinaus laumlsst sich diese Geste die von dereinen Bildhaumllfte in die andere hinuumlberreicht und schlieszliglich in jener alsGroszligaufnahme festgehaltenen Beruumlhrung der Haumlnde kulminiert (Abb1 rechts) aber auch als Sinnbild lesen fuumlr Chaplins Anspruch in dieserSzene auch die Barriere zwischen sich und dem Kinopublikum zuuumlberwinden und uns buchstaumlblich zu beruumlhren wie etwa derFilmtheoretiker William Rothman argumentiert hat laquoBy calling upon
us to imagine that the screen is not a barrier Chaplin calls upon us tore1047298ect on the limits of the medium of 1047297lm and to ask ourselves whetheror not we wish for those limits to be transcendedraquo 4
So erkennen wir dieses Filmende das uns so ganz unmittelbar zubewegen scheint als in Wahrheit Produkt einer aufwaumlndigen undselbstre1047298exiven medialen Konstruktion Was in uns Ruumlhrunghervorruft ist weniger die tragikomische Geschichte an sich als
vielmehr die praumlzise 1047297lmische Form in der sie erzaumlhlt wird Was unsergreift ist das praumlzise Arrangement von Figuren und Bewegungen imFilmbild uns ergreift die Wahl des Bildausschnitts die Musik dieMontage der Einsatz von Zwischentiteln und Groszligaufnahmen DerAffekt der uns in Chaplins Kino so schmerzlich ergreift entpuppt sich
William Rothman laquoThe Ending of City Lightsraquo in Ders The I of the Camera Essays in Film4
Criticism History and Aesthetics Cambridge University Press 2004 S 44-54 hier S 54
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somit nicht als etwas Natuumlrliches sondern vielmehr als ein Effekt von
Technik als genau das was man in der Filmsprache lsaquoSpecial EffectrsaquoheiszligtEntsprechend hat denn auch Chaplins Zeitgenosse Alfred
Hitchcock die Erzeugung von Emotionen als eine rein technischeAngelegenheit beschrieben In seinem legendaumlren Marathon-Gespraumlchmit Franccedilois Truffaut erklaumlrt Hitchcock im Zusammenhang mit seinemFilm Psycho worin fuumlr ihn der Reiz des Filmemachens besteht laquoWoraufes mir ankam war durch eine Anordnung von Filmstuumlcken FotografieTon lauter technische Sachen das Publikum zum Schreien zu bringen
Ich glaube darin liegt eine groszlige Befriedigung fuumlr uns die Filmkunst zugebrauchen um eine Massenemotion zu schaffenraquo Gerade die von5
Hitchcock selbst konstatierte laquoBelanglosigkeitraquo von Handlung undFiguren in einem Film wie Psycho dient ihm dazu nur noch staumlrkerherauszustellen dass nicht sie es sind welche die Affekte generierensondern vielmehr all jene laquotechnischen Sachenraquo die scheinbar so garnichts mit Emotionen zu tun zu haben scheinen Und doch waumlre esoffensichtlich falsch dem Affekt ob dieser Konstruiertheit jeglicheEchtheit anzusprechen Vielmehr zeigt sich der Affekt gerade in dieser
Technizitaumlt als das was er eigentlich ist Der Affekt ist immer Effekt
Affekt ist Effekthellip
Interessanterweise deckt sich diese im Kino zu beobachtende Para-doxie dass der Affekt bloszlig kuumlnstlich erzeugter Effekt dabei abergleichwohl authentisch ist mit der Erfahrung welche parallel zum Filmauch die Psychoanalyse macht So schreibt Freud in der Traumdeutung
und in Bezug auf den Wiener Pathologen Salomon Stricker
Eine scharfsinnige Bemerkung von Stricker hat uns aufmerksamgemacht dass die Affektaumluszligerungen des Traums nicht die gering-schaumltzige Art der Erledigung gestatten mit der wir erwacht den
Francois Truffaut Truffaut Hitchcock Vollstaumlndige Ausgabe Muumlnchen Diana 1999 S 2415
[Hervorhebung JB]
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Trauminhalt abzuschuumltteln p1047298egen lsaquoWenn ich mich im Traume vorRaumlubern fuumlrchte so sind die Raumluber zwar imaginaumlr aber die Furcht ist
realrsaquo und ebenso geht es wenn ich mich im Traume freue 6
Wissen schuumltzt offenbar vor Gefuumlhlen nicht So wie die Ruumlhrung amEnde von Chaplins City Lights oder die Schocks welche HitchcocksPsycho ausloumlst nicht vermindert werden durch die Einsicht dass essich dabei einzig um kuumlnstlich erzeugte Effekte handelt ist auch diedurch den Traum ausgeloumlste Angst durch das Erwachen nicht wenigerecht geworden
Und auch jene Lektion des Films dass es mitunter scheinbar
ganz unpassende Ausloumlser sind (die laquotechnischen Sachenraquo) welchediesen Affekt-Effekt generieren trifft sich mit den Beobachtungen die7
Freud anhand des Traumes macht Auch dort erweisen sich Ursacheund Affektwirkung als frappant inkongruent
An den Traumlumen hat immer Verwunderung erregt dass Vorstellungs-inhalte nicht die Affektwirkung mit sich bringen die wir als notwendigim wachen Denken erwarten wuumlrden [hellip] Ich bin im Traume in einergraumlszliglichen gefahrvollen ekelhaften Situation verspuumlre aber dabeinichts von Furcht oder Abscheu hingegen entsetze ich mich andereMale uumlber harmlose und freue mich uumlber kindische Dinge [hellip] DieAnalyse lehrt uns dass die Vorstellungsinhalte Verschiebungen undErsetzungen erfahren haben waumlhrend die Affekte unverruumlckt gebliebensind
Diese Diskrepanz zwischen Affekt und Ursache ist freilich auch daswas die Psychiatrie unter dem Stichwort der laquoIrradiationraquo und derlaquoAffektstoumlrungraquo beschreibt wie etwa in Eugen Bleulers Lehrbuch der
Psychiatrie von 1916 laquoBei der Irradiation verbindet sich ein Affekt mit
Vorstellungen denen er urspruumlnglich nicht angehoumlrt aber er bleibt
Sigmund Freud Die Traumdeutung [1900] Gesammelte Werke Bd IIIII FrankfurtM Fischer6
1976 S 462
Colette Soler zufolge bildet Lacan denn auch aus den Woumlrtern laquoaffectlaquo und laquoeffetraquo einen7
entsprechenden Neologismus laquoPour Freud comme pour Lacan llsquoaffect est un effet ndash effect diraLacan par neacuteologiosme calculeacuteraquo Colette Soler Les affects lacaniens Paris Presses Universitaires deFrance 2011 S VIII
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noch im Zusammenhang mit der ersten Vorstellung Er kann sich
jedoch auch davon ganz loumlsenraquo 8
Freud wie auch Bleuler sehen somit im Traum bzw in der Psychosejene scheinbar natuumlrliche Verbindung zerschnitten welche Affekte an diesie ausloumlsenden Vorstellungen heftet Doch beschraumlnkt sich dieseBeobachtung nicht auf besagte Sonderfaumllle So attestiert Bleuler denAffekten ganz allgemein eine laquoNeigung zur Ausbreitungraquo und laquoUumlber-tragungraquo Und auch Freud erklaumlrt in seinem Aufsatz zur laquoVerdraumlngungraquo9
das Auseinanderklaffen von Affekt und affektausloumlsender Vorstellungnicht mehr nur als Sonderfall des Traums sondern erhebt es vielmehr zur
allgemeinen Regel
Die klinische Beobachtung noumltigt uns nun zu zerlegen was wir bishereinheitlich aufgefasst hatten denn sie zeigt uns dass etwas anderes wasden Trieb repraumlsentiert neben der Vorstellung in Betracht kommt unddass dieses andere ein Verdraumlngungsschicksal erfaumlhrt welches von demder Vorstellung ganz verschieden sein kann Fuumlr dieses andere Elementder psychischen Repraumlsentanz hat sich der Name Affektbetrag eingebuumlrgert es entspricht dem Triebe insofern er sich von derVorstellung abgeloumlst hat und einen seiner Quantitaumlt gemaumlszligen Ausdruckin Vorgaumlngen 1047297ndet welche als Affekte der Emp1047297ndung bemerkbar
werden 10
Dabei ist die sich veraumlndernde Metaphorik in Freuds Beschreibungenbesonders hervorzuheben Praumlsentiert er in der Traumdeutung denAffekt als jenes Element welches laquounverruumlcktraquo bleibt so impliziert dieFormulierung in laquoDie Verdraumlngungraquo wo vom Affekt gesagt wird dasser laquosich von der Vorstellung abgeloumlst hatraquo das Bild eines gerade nichtunverruumlckten sondern vielmehr andauernd sich verschiebendengleichsam frei 1047298ottierenden Affektes der jegliche Verankerung verloren
hat Wenn Freud den Affekt mit dem Trieb selbst identi1047297ziert(laquoentspricht dem Trieberaquo) der sich ja gerade durch seine nie nicht mal
Eugen Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie Berlin Springer 1916 S 278
Ebd S 259
Sigmund Freud laquoDie Verdraumlngungraquo [1915] in Ders Gesammelte Werke Bd X FrankfurtM10
Fischer S 247-261 hier S 255
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im Tod zu Ende kommende Bewegung auszeichnet so erscheint der11
Affekt endguumlltig als durch andauernde Verlagerung charakterisiert Dalaquozielgehemmtraquo wie es Freud vom Trieb sagt muss auch der Affekt12
immer unterwegs bleiben Er ist Bewegtheit ndash nicht nur imuumlbertragenen sondern auch konkreten Sinne
hellip ist defekt
Affekt als im Bezug zu seiner Ursache immer schon auf Abwege
geratener Effekt kann fuumlr die Psychoanalyse somit auch nicht jenerMoment absoluter Selbstevidenz sein als der er offenbar von jenemnamenlosen Philosophen behauptet wird den Jacques Lacan in seinemVortrag laquoDie Wissenschaft und die Wahrheitraquo zitiert mit den WortenlaquoDie Wahrheit des Schmerzes ist der Schmerz selbstraquo13
Entgegen diesem Pathos einer laquounmittelbaren Wahrheitraquo desAffektiven als Erfuumlllung einer laquoSehnsucht nach dem UnmittelbarenDirekten Nicht-Mediatisierten Authentischen Objektivenraquo der aucheine Vielzahl der aktuellen Affekt-Diskurse umtreibt widerspricht fuumlr14
Lacan (wie auch fuumlr Freud) der Affekt gerade solchen Vorstellungeneines jeder Versprachlichung vorgaumlngigen Koumlrper-Seins Oder alsReplik auf den namenlosen Philosophen in Lacans Seminar formuliertDie Wahrheit des Affekts ist nicht er selbst sondern gerade sein Nicht-bei-sich-sein
Ich habe bei Gelegenheit zu sagen versucht was der Affekt nicht ist Erist nicht das in seiner Unmittelbarkeit gegebene Sein und auch nicht das
Gerade der Freudlsquosche Todestrieb ist wie Slavoj Žižek verschiedentlich insistiert hat nicht etwa11
ein Trieb zum Tode als vielmehr ein Trieb der keinen Tod kennt der noch uumlber den Todhinausgeht ins zombiehaft Untote Vgl Slavoj Žižek The Plague of Fantasies London Verso 1997S 89
Vgl Sigmund Freud laquoTriebe und Triebschicksaleraquo in Ders Gesammelte Werke Bd X 12
FrankfurtM Fischer S 209-232 hier S 215
Jacques Lacan laquoDie Wissenschaft und die Wahrheitraquo in Ders Schriften II Weinheim Quadriga13
1991 S 231-257 hier S 249
Marie-Luise Angerer Vom Begehren nach dem Affekt Zuumlrich Berlin Diaphanes 2007 S 9 Zur14
kritischen Bestandesaufnahme der aktuellen Affekt-Theorien siehe Ebd
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Subjekt in einer rohen Form [hellip] Umgekehrt habe ich uumlber den Affektgesagt dass er nicht verdraumlngt ist Dies sagt Freud genauso wie ich Er
ist aus seinen Vertaumluungen gerissen [deacutesarrimeacute ] er driftet ab Man1047297ndet ihn verschoben verruumlckt verkehrt und verwandelt wieder nurverdraumlngt ist er nicht Verdraumlngt sind die Signi1047297kanten die ihnvertaumluen 15
Der Affekt als aus seiner Vertaumluung gerissener Effekt ist immerdifferierend und mithin defekt in dem Sinne wie man in der Sprachedes Militaumlrs angesichts einer unerlaubten Entfernung von der Truppevon lsaquoDefektionrsaquo spricht Der Affekt welcher in den Worten von ColetteSoler von Repraumlsentation zu Repraumlsentation wandert ist nie wo er16
sein sollte Ein Wort wie Affektstoumlrung entpuppt sich somit auspsychoanalytischer Perspektive schlechterdings als Pleonasmus DerAffekt ist immer gestoumlrt Er passt nicht zu den Vorstellungen undRepraumlsentationen die ihn hervorrufen sondern erscheint immer undjedem Sinne unangebracht wie man lsaquodeacuteplaceacutersaquo das franzoumlsische Wortfuumlr lsaquoverschiebenrsaquo ja auch uumlbersetzen kann
Joan Copjec hat vorgeschlagen eben diese Deplatziertheit desAffekts im Bezug auf die Repraumlsentationen auf diese letztere selbst
zuruumlckzuwenden
While I began by wondering if Freudlsquos insistence that affect is alwaysdisplaced implied an out-of-phase relation between affect andrepresentation [hellip] this formulation suffers from an overly sharpseparation of the two terms a divison that antagonizes them Is notaffect rather [hellip] representationlsquos own essential lsaquoout-of-phasenessrsaquo withitself A marginal difference opens up separating the individualperception from itself ndash and it is this difference which is called affect 17
Diese af 1047297zierende laquoout-of-phasenessraquo der Repraumlsentation selbst ist esmithin was gerade das Medium des Films so besonders interessantmacht Denn es kann gezeigt werden wie sich auch hier Affekte gerade
Jacques Lacan Das Seminar Buch X Die Angst Wien Turia + Kant 2010 S 25 bzw Ders Le15
seacuteminaire livre X Llsquoangoisse Paris Seuil 2004 S 23
Vgl Colette Soler Les affects lacaniens Paris Presses Universitaires de France 2011 S 416
Joan Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo in Slavoj Žižek Lacan The Silent Partners17
London Verso 2006 S 90-114 hier S 94
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als Momente der laquoout-of-phasenessraquo bemerkbar machen als Wahr-
nehmungsstoumlrungen als Verrutschungen und Defekte der1047297lmischenTechnik selbst
Filmtechnik als Psychoanalyse und umgekehrt
Indes kann es hier nicht darum gehen den Film einfach zur bloszligenIllustration psychoanalytischer Affekt-Theorie zu degradieren JacquesRanciegravere hat uumlberzeugend argumentiert dass schon bei Freud dessen
zahlreiche Bezugnahmen auf die Literatur und die bildende Kunst nichtmissverstanden werden duumlrfen als bloszlige Exempel sondern dassvielmehr fuumlr Freud die Kunst und die Literatur eine laquoIdee desDenkensraquo bereitstellen auf deren Grundlage laquodas Freudrsquosche Denkendes Unbewusstenraquo uumlberhaupt erst moumlglich wird Und auch Shoshana18
Felman hat das Verhaumlltnis zwischen Psychoanalyse und Literatur alsdas einer gegenseitigen Implikation beschrieben
Literature is therefore not simply outside psychoanalysis since it
motivates and inhabits the very names of its concepts since it is theinherent reference by which psychoanalysis names its 1047297ndings [] Wewould like to suggest that in the same way that psychoanalysis pointsto the unconscious of literature literature in its turn is the unconsciousof psychoanalysis 19
Ist fuumlr Felman die Literatur das Unbewusste der Psychoanalyse istAnaloges mit Vehemenz auch fuumlr den Film einzufordern Es gilt zuzeigen dass sich der Film nicht nur zeitgleich mit der Psychoanalyseentwickelt sondern dass ihm mittels seiner technischen Praktiken
Entdeckungen gelingen welche gleichzeitig auch Freud in seiner Praxis
Vgl Jacques Ranciegravere Das aumlsthetische Unbewusste Zuumlrich Berlin Diaphanes 2006 S 1018
Soshana Felman laquoTo Open the Questionraquo in Yale French Studies 5556 1977 S 5ndash10 hier19
S 9ndash10
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machen wird Statt also Story und Figuren eines Films auf die Couch20
zu legen (wie es leider nach wie vor die meisten psychoanalytisch-inspirierten Filmlektuumlren tun) ergibt sich auf Ebene der Filmtechnik diefuumlr beide Seiten wirklich erhellende Korrespondenz zwischenPsychoanalyse und Kino Weniger in seinen Geschichten als vielmehr inseiner technischen Verfasstheit nimmt der Film ein psychoanalytischesDenken auf und vorweg So versteht sich auch die vorliegendeUntersuchung als weiterer Baustein einer noch zu vollendendenPsychoanalyse der Filmtechnik die unweigerlich auch eine Filmtechnik
der Psychoanalyse waumlre21
Dabei soll nicht nur gezeigt werde dass der Film in seinerInszenierung des Affekts immer schon dort war wo die psycho-analytische Theorie mit Lacan hinkommen wird sondern nochdaruumlberhinaus wie der Film in seiner Technik die psychoanalytischeKonzeption des Affekts praumlzisiert und erweitert Zeichnet sich fuumlrLacan der Affekt durch seine laquoVerrutschtheitraquo aus so nutzt umgekehrtder Film eben solche Verrutschungen der Repraumlsentation um dadurchAffekte der Figuren zeigen und zugleich auch im Zuschauer zugenerieren Affekt als immer schon gestoumlrter zeigt sich darum im Film
denn auch am uumlberzeugendsten da wo er als technische Stoumlrungauftaucht
Zu dieser laquoGleichzeitigkeitraquo von Film und Psychoanalyse und wie sich diese nicht nur auf eine20
historischen Koinzidenz beschraumlnkt sondern sich in analogen Entdeckungen zeigt gerade auch wasdie Auffassung von Zeit und Gleichzeitigkeit angeht siehe Johannes Binotto laquoJump Cut ZurChrono-Logik von Film und Psychoanalyseraquo in Christian Kiening Aleksandra Prica Benno Wirz(Hg) Wiederkehr und Verheiszligung Dynamiken der Medialitaumlt in der Zeitlichkeit Zuumlrich Chronos2011 S 253-268
Als weitere Bausteine dieses Projekts siehe Johannes Binotto laquoThere Are No Subbasements Zur21
Ober1047298aumlchlichkeit von Film Erinnerung und Unbewusstemraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg)Memoryscapes Filmformen der Erinnerung Zuumlrich-Berlin Diaphanes 2014 S 181-198 sowieDers laquoRuumlck-Sicht auf Darstellbarkeit Zur Aumlsthetik und Aussagekraft der Rear Projectionraquo inFilmbulletin 213 (2013) S 37ndash43 und Ders laquoHors-champ Vom psychoanalytischen Feld amRand des Filmsraquo in RISS Zeitschrift fuumlr Psychoanalyse 23 (7273 2009) S 77-96
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Sound-Defekte Hitchcock
Ein besonders eindruumlckliches Beispiel solch einer Affekt-Stoumlrung auf derEbene des Tons findet sich in Alfred Hitchcocks Blackmail von 1929Zunaumlchst als Stummfilm begonnen sah sich die Produktionsfirmaaufgrund des aufkommenden Tonfilms gezwungen den Film zumindestin Teilen als Tonfilm in die Kinos zu bringen Dabei ist besonders22
bemerkenswert auf welch originelle Art Hitchcock die neuen sich mitdem Ton eroumlffnenden Moumlglichkeit der Filmtechnik nutzen wird In einerSzene des Films sehen wir Alice die Protagonistin des Films mit ihrer
Familie am Fruumlhstuumlckstisch sitzen Die junge Frau ist zutiefst verstoumlrthat sie doch am Vortag einen zudringlichen Kuumlnstler in dessen Ateliererstochen um sich dessen Vergewaltigungsversuch zu erwehrenUumlberzeugt dass man ihr nicht glauben wuumlrde nur in Notwehr gehandeltzu haben hat Alice ihr schreckliches Geheimnis fuumlr sich behalten Dakommt noch waumlhrend des Fruumlhstuumlcks die geschwaumltzige Nachbarin dazuund beginnt laut uumlber den unaufgeklaumlrten Mord an dem Kuumlnstler imSpeziellen und uumlber Morde mit Messern im Allgemeinen zu lamentierenHitchcocks Kamera zeigt derweil die immer veraumlngstigter werdende
Alice in Groszligaufnahme das Geplapper aber der Nachbarin wirdallmaumlhlich immer dumpfer und schwieriger zu verstehen Einzig dasimmer wiederkehrende Wort laquokniferaquo (Messer) sticht noch aus demalsbald komplett unverstaumlndlich gewordenen Soundtrack heraus
Offensichtlich betreibt Hitchcock diese verbluumlffende Manipulationder Tonspur um Alices besonderen Affektzustand zu zeigen bzw houmlrbarzu machen Ihr obsessives Gedankenkreisen die unablaumlssigwiederkehrende Erinnerung an die schreckliche Tat macht sich akustischbemerkbar in einer Ausblendung aller anderen Woumlrter mit Ausnahme
In der Anfangszeit des Ton1047297lms war es durchaus uumlblich dass Filme nicht vollstaumlndig sondern nur22
in Teilen mit Ton ausgestattet waren Zu diesen sogenannten part-talkies zaumlhlte auch The JazzSinger von 1927 der gemeinhin als erster Ton1047297lm der Filmgeschichte gilt Zur Uumlbergangszeitzwischen Stumm- zum Ton1047297lm mit Fokus auf Hitchcocks Blackmail siehe John Belton laquoAwkwardTransitions Hitchcocks Blackmail and the Dynamics of Early Film Soundraquo in The MusicalQuarterly Vol 83 No 2 (Summer 1999) S 227-246
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jenes einen Signifikanten laquokniferaquo der fuumlr das Geschehene steht Der23
affektive Ausnahmezustand verschafft sich hier Gehoumlr als aus dem Lotgeratene TontechnikDieser brillante Einfall Hitchcocks ist umso bemerkenswerter
als er ihn bereits in seinem ersten Tonfilm entwickelt Statt wie24
man annehmen koumlnnte die Implementierung von Ton im Film alseinen Zuwachs an Naturalismus zu feiern nutzt Hitchcock dietechnische Innovation des Filmtons gerade nicht zu naturalistischensondern psychologischen Zwecken Hitchcock entspricht damit demgerade mal ein Jahr zuvor von Eisenstein Pudowkin und Alexandrow
veroumlffentlichten laquoManifest zum Tonfilmraquo in dem die Autoren dafuumlrplaumldieren den Filmton kontrapunktisch zum Bild und nicht als dessenbloszlige akustische Verdoppelung zu verwenden Entsprechend vermittelt25
auch der Ton in dieser Szene aus Blackmail keine objektive Realitaumlt alsvielmehr jenen laquoanderen Schauplatzraquo der Psyche wie er sich in derveraumlnderten Wahrnehmung der Protagonistin kundtut Zugleich laumlsst derFilmemacher dadurch den Zuschauer an dieser veraumlnderten Affektivitaumlt
Einem Hinweis Susanne Gottlobs folgend der ich an dieser Stelle Dank schulde lieszlige sich im23
Wort laquokniferaquo auch das (fast) homophone englische laquonaiveraquo houmlren Im Sinne eines uumlberdeter-minierten Verhoumlrers hinge am gehoumlrten laquoknifenaiveraquo nebem dem schlechten Gewissen wegen derbegangenen Toumltung demnach auch noch die Scham daruumlber sich so naiv auf die Avancen desVergewaltigers eingelassen zu haben Tatsaumlchlich handelt es sich dabei um ein zentrales Motiv beiHitchcock das besonders Eacuteric Rohmer und Claude Chabrol in ihrem Hitchcock-Buch betonthaben eine unschuldige Person wird faumllschlich eines Verbrechens verdaumlchtigt allmaumlhlich abererkennt die Figur dass sie tatsaumlchlich schuldig geworden war wenn auch weniger in einemjuristischen als vielmehr moralischen Sinne Vgl Eacuteric Rohmer Claude Chabrol Hitchcock [1957]Berlin Alexander Verlag 2013
Hitchcock wird spaumlter auf aumlhnliche komplexe Tonmanipulationen zuruumlckkommen am ein-24
druumlcklichsten in seinem spaumlten Film Frenzy von 1972 um einen Frauenmoumlrder in London Wenn
dort in einer Szene die Neben1047297gur Babs Milligan aus dem Pub tritt in dem sie als Kellneringearbeitet hat faumlllt fuumlr einen kurzen Moment der Filmton komplett aus ehe in dieser geradezuklaustrophobischen Stille die einzelne Stimme eines Bekannten aus dem Off zu houmlren ist der Babsfragt ob sie eine Unterkunft brauche Die derart auffaumlllig und irritierend praumlsentierte Stimme in derStille ist denn auch prompt die Stimme des Moumlrders Und auch spaumlter wenn der Moumlrder Babs zusich in seine Wohnung bringt und die Tuumlr hinter ihnen ins Schloss faumlllt wird der Filmton einerunnatuumlrlichen und bedruumlckenden buchstaumlblich toumldlichen Stille weichen waumlhrend sich die Kameraallmaumlhlich vom Schauplatz des Verbrechens zuruumlckzieht
Vgl Sergej M Eisenstein Wsewolod I Pudowkin Grigorij W Alexandrov laquoManifest zum25
Ton1047297lmraquo [1928] In Franz-Josef Albersmeier (Hg) Texte zur Theorie des Films Stuttgart Reclam1979 S 42-45
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der Figur partizipieren Nicht nur die Figur auch das Publikum houmlrt mit
anderen OhrenIm selben Zug aber ist diese von Figur und Betrachter geteilteWahrnehmungsstoumlrung auch einfach eine Stoumlrung der Filmtechnik derFilmton tut nicht wie er sollte Gerade das mit dem eben ersterfundenen Ton1047297lm noch unvertraute Publikum der spaumlten Zwanziger
Jahre duumlrfte darum besonders auf diese akustische Manipulationreagiert haben und es ist sehr wahrscheinlich dass viele die ploumltzlicheVeraumlnderung des Tons an dieser Stelle des Films zunaumlchst fuumlr einetechnische Stoumlrung waumlhrend der Vorfuumlhrung gehalten haben duumlrften
In eben diesem Uumlbergreifen aber von der Figur auf das Publikumund mithin auf das Medium selbst gelingt Hitchcock nicht nur einebesonders gegluumlckte Darstellung des Affektzustands einer Figursondern er liefert mit dieser Szene unter der Hand auch noch gleicheine avancierte Theorie des Affekts als technischem EffektDefekt DieKritik Michel Chions des groszligen Theoretikers des (Film-)Tons andiesem Experiment Hitchcocks und sein Vorwurf der Zuschaueremp1047297nde die Veraumlnderung des Tons in Blackmail bloszlig als technischesVerfahren nicht aber als subjektive Emp1047297ndung der Figur verpasst26
denn auch gerade dass in dieser beklagten Verschiebung dieeigentliche nicht zuletzt auch psychoanalytische Pointe dieser Szeneliegt So wie Lacan das Unbewusste nicht in einer subjektivenInnerlichkeit sondern als eine Extimitaumlt bestimmt und damit in27
aumluszligeren Phaumlnomen und im Diskurs des Anderen verortet ist auch bei28
Hitchcock der Affekt gerade nicht mehr bloss subjektive Emp1047297ndung
Vgl Michel Chion Audio-Vision Sound on Screen New York Columbia University Press 199426
S 181-182
Vgl Jacques Lacan Das Seminar Buch VII Die Ethik der Psychoanalyse Weinheim Quadriga27
1996 S 171 Zum Begriff der Extimitaumlt siehe auch Jacques-Alain Miller laquoExtimiteacuteraquo in MarkBracher (Hg) Lacanian Theory of Discourse Subject Structure and Society New York New YorkUniversity Press 1994 S 74ndash87
Jacques Lacan laquoDas Seminar uumlber EA Poes rsaquoDer entwendete Brieflsaquoraquo in Ders Schriften I 28
Weinheim Quadriga 1991 S 7ndash60 hier S 14
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von den Film1047297guren nicht wahrgenommen wird und bleibt zugleich
doch auch fuumlr alle Anwesenden houmlrbar So changiert die Mund-harmonika in Once Upon a Time in the West eigenartig zwischen denEbenen Als von auszligen kommender Klang werden die Toumlne im Verlaufder Szene mit der Mundharmonika des Namenlosen identi1047297ziert dochnur um diese Ruumlckfuumlhrung des Klangs auf eine Quelle innerhalb derDiegese sogleich wieder zu leugnen und den Klang sich ausbreiten zulassen zur nicht-diegetischen Filmmusik
laquoAcousmecirctreraquo so hat Michel Chion in seiner bahnbrechenden(nicht zuletzt auch an Lacans Uumlberlegungen zur Stimme angelehnten)
Studie La voix au cineacutema all jene geisterhaften Stimmen genannt diewir keinem Koumlrper innerhalb der 1047297lmischen Handlung zuordnenkoumlnnen und die gerade durch diese Autonomie und Losgeloumlstheit uumlberbesondere Macht zu verfuumlgen scheinen Merkwuumlrdig zwischen An-30
und Abwesenheit schwankend ist es laquoals wuumlrde die Stimme uumlber dieOber1047298aumlche wandern zugleich drinnen und drauszligen sich sehnend nacheinem Platz an dem sie sich niederlassen kann [hellip] weder drauszligennoch drinnen ndash das ist das Schicksal des bdquoacousmecirctreldquo im Kinoraquo Die31
Stimme der toten Mutter in Hitchcocks Psycho etwa ist solch ein
laquoacousmecirctreraquo und ein besonders paradigmatisches noch dazu weil dieStimme der Mutter ja ohnehin die akusmatische Stimme par excellencedarstellt jene Stimme die das noch ungeborene Kind zwar bereits imMutterleib houmlrt ihren Ursprung aber nicht sehen kann
Und natuumlrlich ist auch die Mundharmonika-Melodie aus Once
Upon a Time in the West ebenfalls eine laquoakusmatischeraquo Stimme undeine ganz besondere noch dazu auch wenn Chion Leones Film leidernur ganz am Rande erwaumlhnt Denn waumlhrend das laquoacousmecirctreraquo sichnormalerweise dadurch auszeichnet ohne Ursprungsort innerhalb des
diegetischen Raums zu sein stehen beim Klang der Mundharmonikaim Gegenteil zu viele Anknuumlpfungspunkte zur Verfuumlgung Wenn in derbesagten Szene die Mundharmonika erklingt zeigt die Kamera uns diezugleich erschrockenen wie auch in sich gekehrten Gesichter der
Vgl Michel Chion La voix au cineacutema Paris Editions de llsquoEtoile 1982 insb S 11-3330
Ebd S 2831
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verschiedenen Figuren so dass der Zuschauer unweigerlich raumltselt ob
sich dieser Klang nicht vielleicht im Kopf jedes einzelnen ereignet DerFilm laumlsst es offen ndash oder vielmehr er laumlsst Widersprechendes geltenDer Ton kommt aus einem radikalen Auszligen einem Jenseits derFilmhandlung und ist zugleich nur in der Wahrnehmung jedesEinzelnen praumlsent Die Mundharmonika spricht mit einer Stimme dieabsolut fremd und zugleich intim vertraut ist 32
Die zugleich aus dem uumlberall und nirgendwo hallendeMundharmonika erinnert dabei frappant an jenes im juumldischen Ritusverwendete Horn das Schofar welches Theodor Reik in seiner Studie
uumlber Das Ritual untersucht und welches Lacan in seinem Seminar33
uumlber die Angst als laquoexemplarische Formraquo der Stimme vorstellen wird34
Die Stimme bei Lacan macht sich bemerkbar als Objekt das man nichtbesitzt sondern das vielmehr umgekehrt von einem Besitz ergreift undentsprechend scheint auch die Stimme der Mundharmonika nicht ausdem namenlosen Helden sondern durch ihn und alle in seinerUmgebung hindurch zu gehen (Abb 2 links)
Lied Leid Atem
In seiner Beschreibung der laquoIrradiationraquo von Affekten erwaumlhnt EugenBleuler die Moumlglichkeit dass ein Affekt wie Trauer laquoan irgendeine an
Siehe dazu und zum Folgenden auch Mladen Dolar His Masterlsquos Voice Eine Theorie de Stimme32
Frankfurt a M Suhrkamp 2007
Vgl Theodor Reik Das Ritual Psychoanalytische Studien Leipzig Wien Zuumlrich Internatio-33
naler Psychoanalytischer Verlag 1928 S 206-330
Vgl Lacan Die Angst S 304-319 hier S 31234
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
1612015)
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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somit nicht als etwas Natuumlrliches sondern vielmehr als ein Effekt von
Technik als genau das was man in der Filmsprache lsaquoSpecial EffectrsaquoheiszligtEntsprechend hat denn auch Chaplins Zeitgenosse Alfred
Hitchcock die Erzeugung von Emotionen als eine rein technischeAngelegenheit beschrieben In seinem legendaumlren Marathon-Gespraumlchmit Franccedilois Truffaut erklaumlrt Hitchcock im Zusammenhang mit seinemFilm Psycho worin fuumlr ihn der Reiz des Filmemachens besteht laquoWoraufes mir ankam war durch eine Anordnung von Filmstuumlcken FotografieTon lauter technische Sachen das Publikum zum Schreien zu bringen
Ich glaube darin liegt eine groszlige Befriedigung fuumlr uns die Filmkunst zugebrauchen um eine Massenemotion zu schaffenraquo Gerade die von5
Hitchcock selbst konstatierte laquoBelanglosigkeitraquo von Handlung undFiguren in einem Film wie Psycho dient ihm dazu nur noch staumlrkerherauszustellen dass nicht sie es sind welche die Affekte generierensondern vielmehr all jene laquotechnischen Sachenraquo die scheinbar so garnichts mit Emotionen zu tun zu haben scheinen Und doch waumlre esoffensichtlich falsch dem Affekt ob dieser Konstruiertheit jeglicheEchtheit anzusprechen Vielmehr zeigt sich der Affekt gerade in dieser
Technizitaumlt als das was er eigentlich ist Der Affekt ist immer Effekt
Affekt ist Effekthellip
Interessanterweise deckt sich diese im Kino zu beobachtende Para-doxie dass der Affekt bloszlig kuumlnstlich erzeugter Effekt dabei abergleichwohl authentisch ist mit der Erfahrung welche parallel zum Filmauch die Psychoanalyse macht So schreibt Freud in der Traumdeutung
und in Bezug auf den Wiener Pathologen Salomon Stricker
Eine scharfsinnige Bemerkung von Stricker hat uns aufmerksamgemacht dass die Affektaumluszligerungen des Traums nicht die gering-schaumltzige Art der Erledigung gestatten mit der wir erwacht den
Francois Truffaut Truffaut Hitchcock Vollstaumlndige Ausgabe Muumlnchen Diana 1999 S 2415
[Hervorhebung JB]
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Trauminhalt abzuschuumltteln p1047298egen lsaquoWenn ich mich im Traume vorRaumlubern fuumlrchte so sind die Raumluber zwar imaginaumlr aber die Furcht ist
realrsaquo und ebenso geht es wenn ich mich im Traume freue 6
Wissen schuumltzt offenbar vor Gefuumlhlen nicht So wie die Ruumlhrung amEnde von Chaplins City Lights oder die Schocks welche HitchcocksPsycho ausloumlst nicht vermindert werden durch die Einsicht dass essich dabei einzig um kuumlnstlich erzeugte Effekte handelt ist auch diedurch den Traum ausgeloumlste Angst durch das Erwachen nicht wenigerecht geworden
Und auch jene Lektion des Films dass es mitunter scheinbar
ganz unpassende Ausloumlser sind (die laquotechnischen Sachenraquo) welchediesen Affekt-Effekt generieren trifft sich mit den Beobachtungen die7
Freud anhand des Traumes macht Auch dort erweisen sich Ursacheund Affektwirkung als frappant inkongruent
An den Traumlumen hat immer Verwunderung erregt dass Vorstellungs-inhalte nicht die Affektwirkung mit sich bringen die wir als notwendigim wachen Denken erwarten wuumlrden [hellip] Ich bin im Traume in einergraumlszliglichen gefahrvollen ekelhaften Situation verspuumlre aber dabeinichts von Furcht oder Abscheu hingegen entsetze ich mich andereMale uumlber harmlose und freue mich uumlber kindische Dinge [hellip] DieAnalyse lehrt uns dass die Vorstellungsinhalte Verschiebungen undErsetzungen erfahren haben waumlhrend die Affekte unverruumlckt gebliebensind
Diese Diskrepanz zwischen Affekt und Ursache ist freilich auch daswas die Psychiatrie unter dem Stichwort der laquoIrradiationraquo und derlaquoAffektstoumlrungraquo beschreibt wie etwa in Eugen Bleulers Lehrbuch der
Psychiatrie von 1916 laquoBei der Irradiation verbindet sich ein Affekt mit
Vorstellungen denen er urspruumlnglich nicht angehoumlrt aber er bleibt
Sigmund Freud Die Traumdeutung [1900] Gesammelte Werke Bd IIIII FrankfurtM Fischer6
1976 S 462
Colette Soler zufolge bildet Lacan denn auch aus den Woumlrtern laquoaffectlaquo und laquoeffetraquo einen7
entsprechenden Neologismus laquoPour Freud comme pour Lacan llsquoaffect est un effet ndash effect diraLacan par neacuteologiosme calculeacuteraquo Colette Soler Les affects lacaniens Paris Presses Universitaires deFrance 2011 S VIII
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noch im Zusammenhang mit der ersten Vorstellung Er kann sich
jedoch auch davon ganz loumlsenraquo 8
Freud wie auch Bleuler sehen somit im Traum bzw in der Psychosejene scheinbar natuumlrliche Verbindung zerschnitten welche Affekte an diesie ausloumlsenden Vorstellungen heftet Doch beschraumlnkt sich dieseBeobachtung nicht auf besagte Sonderfaumllle So attestiert Bleuler denAffekten ganz allgemein eine laquoNeigung zur Ausbreitungraquo und laquoUumlber-tragungraquo Und auch Freud erklaumlrt in seinem Aufsatz zur laquoVerdraumlngungraquo9
das Auseinanderklaffen von Affekt und affektausloumlsender Vorstellungnicht mehr nur als Sonderfall des Traums sondern erhebt es vielmehr zur
allgemeinen Regel
Die klinische Beobachtung noumltigt uns nun zu zerlegen was wir bishereinheitlich aufgefasst hatten denn sie zeigt uns dass etwas anderes wasden Trieb repraumlsentiert neben der Vorstellung in Betracht kommt unddass dieses andere ein Verdraumlngungsschicksal erfaumlhrt welches von demder Vorstellung ganz verschieden sein kann Fuumlr dieses andere Elementder psychischen Repraumlsentanz hat sich der Name Affektbetrag eingebuumlrgert es entspricht dem Triebe insofern er sich von derVorstellung abgeloumlst hat und einen seiner Quantitaumlt gemaumlszligen Ausdruckin Vorgaumlngen 1047297ndet welche als Affekte der Emp1047297ndung bemerkbar
werden 10
Dabei ist die sich veraumlndernde Metaphorik in Freuds Beschreibungenbesonders hervorzuheben Praumlsentiert er in der Traumdeutung denAffekt als jenes Element welches laquounverruumlcktraquo bleibt so impliziert dieFormulierung in laquoDie Verdraumlngungraquo wo vom Affekt gesagt wird dasser laquosich von der Vorstellung abgeloumlst hatraquo das Bild eines gerade nichtunverruumlckten sondern vielmehr andauernd sich verschiebendengleichsam frei 1047298ottierenden Affektes der jegliche Verankerung verloren
hat Wenn Freud den Affekt mit dem Trieb selbst identi1047297ziert(laquoentspricht dem Trieberaquo) der sich ja gerade durch seine nie nicht mal
Eugen Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie Berlin Springer 1916 S 278
Ebd S 259
Sigmund Freud laquoDie Verdraumlngungraquo [1915] in Ders Gesammelte Werke Bd X FrankfurtM10
Fischer S 247-261 hier S 255
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im Tod zu Ende kommende Bewegung auszeichnet so erscheint der11
Affekt endguumlltig als durch andauernde Verlagerung charakterisiert Dalaquozielgehemmtraquo wie es Freud vom Trieb sagt muss auch der Affekt12
immer unterwegs bleiben Er ist Bewegtheit ndash nicht nur imuumlbertragenen sondern auch konkreten Sinne
hellip ist defekt
Affekt als im Bezug zu seiner Ursache immer schon auf Abwege
geratener Effekt kann fuumlr die Psychoanalyse somit auch nicht jenerMoment absoluter Selbstevidenz sein als der er offenbar von jenemnamenlosen Philosophen behauptet wird den Jacques Lacan in seinemVortrag laquoDie Wissenschaft und die Wahrheitraquo zitiert mit den WortenlaquoDie Wahrheit des Schmerzes ist der Schmerz selbstraquo13
Entgegen diesem Pathos einer laquounmittelbaren Wahrheitraquo desAffektiven als Erfuumlllung einer laquoSehnsucht nach dem UnmittelbarenDirekten Nicht-Mediatisierten Authentischen Objektivenraquo der aucheine Vielzahl der aktuellen Affekt-Diskurse umtreibt widerspricht fuumlr14
Lacan (wie auch fuumlr Freud) der Affekt gerade solchen Vorstellungeneines jeder Versprachlichung vorgaumlngigen Koumlrper-Seins Oder alsReplik auf den namenlosen Philosophen in Lacans Seminar formuliertDie Wahrheit des Affekts ist nicht er selbst sondern gerade sein Nicht-bei-sich-sein
Ich habe bei Gelegenheit zu sagen versucht was der Affekt nicht ist Erist nicht das in seiner Unmittelbarkeit gegebene Sein und auch nicht das
Gerade der Freudlsquosche Todestrieb ist wie Slavoj Žižek verschiedentlich insistiert hat nicht etwa11
ein Trieb zum Tode als vielmehr ein Trieb der keinen Tod kennt der noch uumlber den Todhinausgeht ins zombiehaft Untote Vgl Slavoj Žižek The Plague of Fantasies London Verso 1997S 89
Vgl Sigmund Freud laquoTriebe und Triebschicksaleraquo in Ders Gesammelte Werke Bd X 12
FrankfurtM Fischer S 209-232 hier S 215
Jacques Lacan laquoDie Wissenschaft und die Wahrheitraquo in Ders Schriften II Weinheim Quadriga13
1991 S 231-257 hier S 249
Marie-Luise Angerer Vom Begehren nach dem Affekt Zuumlrich Berlin Diaphanes 2007 S 9 Zur14
kritischen Bestandesaufnahme der aktuellen Affekt-Theorien siehe Ebd
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Subjekt in einer rohen Form [hellip] Umgekehrt habe ich uumlber den Affektgesagt dass er nicht verdraumlngt ist Dies sagt Freud genauso wie ich Er
ist aus seinen Vertaumluungen gerissen [deacutesarrimeacute ] er driftet ab Man1047297ndet ihn verschoben verruumlckt verkehrt und verwandelt wieder nurverdraumlngt ist er nicht Verdraumlngt sind die Signi1047297kanten die ihnvertaumluen 15
Der Affekt als aus seiner Vertaumluung gerissener Effekt ist immerdifferierend und mithin defekt in dem Sinne wie man in der Sprachedes Militaumlrs angesichts einer unerlaubten Entfernung von der Truppevon lsaquoDefektionrsaquo spricht Der Affekt welcher in den Worten von ColetteSoler von Repraumlsentation zu Repraumlsentation wandert ist nie wo er16
sein sollte Ein Wort wie Affektstoumlrung entpuppt sich somit auspsychoanalytischer Perspektive schlechterdings als Pleonasmus DerAffekt ist immer gestoumlrt Er passt nicht zu den Vorstellungen undRepraumlsentationen die ihn hervorrufen sondern erscheint immer undjedem Sinne unangebracht wie man lsaquodeacuteplaceacutersaquo das franzoumlsische Wortfuumlr lsaquoverschiebenrsaquo ja auch uumlbersetzen kann
Joan Copjec hat vorgeschlagen eben diese Deplatziertheit desAffekts im Bezug auf die Repraumlsentationen auf diese letztere selbst
zuruumlckzuwenden
While I began by wondering if Freudlsquos insistence that affect is alwaysdisplaced implied an out-of-phase relation between affect andrepresentation [hellip] this formulation suffers from an overly sharpseparation of the two terms a divison that antagonizes them Is notaffect rather [hellip] representationlsquos own essential lsaquoout-of-phasenessrsaquo withitself A marginal difference opens up separating the individualperception from itself ndash and it is this difference which is called affect 17
Diese af 1047297zierende laquoout-of-phasenessraquo der Repraumlsentation selbst ist esmithin was gerade das Medium des Films so besonders interessantmacht Denn es kann gezeigt werden wie sich auch hier Affekte gerade
Jacques Lacan Das Seminar Buch X Die Angst Wien Turia + Kant 2010 S 25 bzw Ders Le15
seacuteminaire livre X Llsquoangoisse Paris Seuil 2004 S 23
Vgl Colette Soler Les affects lacaniens Paris Presses Universitaires de France 2011 S 416
Joan Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo in Slavoj Žižek Lacan The Silent Partners17
London Verso 2006 S 90-114 hier S 94
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als Momente der laquoout-of-phasenessraquo bemerkbar machen als Wahr-
nehmungsstoumlrungen als Verrutschungen und Defekte der1047297lmischenTechnik selbst
Filmtechnik als Psychoanalyse und umgekehrt
Indes kann es hier nicht darum gehen den Film einfach zur bloszligenIllustration psychoanalytischer Affekt-Theorie zu degradieren JacquesRanciegravere hat uumlberzeugend argumentiert dass schon bei Freud dessen
zahlreiche Bezugnahmen auf die Literatur und die bildende Kunst nichtmissverstanden werden duumlrfen als bloszlige Exempel sondern dassvielmehr fuumlr Freud die Kunst und die Literatur eine laquoIdee desDenkensraquo bereitstellen auf deren Grundlage laquodas Freudrsquosche Denkendes Unbewusstenraquo uumlberhaupt erst moumlglich wird Und auch Shoshana18
Felman hat das Verhaumlltnis zwischen Psychoanalyse und Literatur alsdas einer gegenseitigen Implikation beschrieben
Literature is therefore not simply outside psychoanalysis since it
motivates and inhabits the very names of its concepts since it is theinherent reference by which psychoanalysis names its 1047297ndings [] Wewould like to suggest that in the same way that psychoanalysis pointsto the unconscious of literature literature in its turn is the unconsciousof psychoanalysis 19
Ist fuumlr Felman die Literatur das Unbewusste der Psychoanalyse istAnaloges mit Vehemenz auch fuumlr den Film einzufordern Es gilt zuzeigen dass sich der Film nicht nur zeitgleich mit der Psychoanalyseentwickelt sondern dass ihm mittels seiner technischen Praktiken
Entdeckungen gelingen welche gleichzeitig auch Freud in seiner Praxis
Vgl Jacques Ranciegravere Das aumlsthetische Unbewusste Zuumlrich Berlin Diaphanes 2006 S 1018
Soshana Felman laquoTo Open the Questionraquo in Yale French Studies 5556 1977 S 5ndash10 hier19
S 9ndash10
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machen wird Statt also Story und Figuren eines Films auf die Couch20
zu legen (wie es leider nach wie vor die meisten psychoanalytisch-inspirierten Filmlektuumlren tun) ergibt sich auf Ebene der Filmtechnik diefuumlr beide Seiten wirklich erhellende Korrespondenz zwischenPsychoanalyse und Kino Weniger in seinen Geschichten als vielmehr inseiner technischen Verfasstheit nimmt der Film ein psychoanalytischesDenken auf und vorweg So versteht sich auch die vorliegendeUntersuchung als weiterer Baustein einer noch zu vollendendenPsychoanalyse der Filmtechnik die unweigerlich auch eine Filmtechnik
der Psychoanalyse waumlre21
Dabei soll nicht nur gezeigt werde dass der Film in seinerInszenierung des Affekts immer schon dort war wo die psycho-analytische Theorie mit Lacan hinkommen wird sondern nochdaruumlberhinaus wie der Film in seiner Technik die psychoanalytischeKonzeption des Affekts praumlzisiert und erweitert Zeichnet sich fuumlrLacan der Affekt durch seine laquoVerrutschtheitraquo aus so nutzt umgekehrtder Film eben solche Verrutschungen der Repraumlsentation um dadurchAffekte der Figuren zeigen und zugleich auch im Zuschauer zugenerieren Affekt als immer schon gestoumlrter zeigt sich darum im Film
denn auch am uumlberzeugendsten da wo er als technische Stoumlrungauftaucht
Zu dieser laquoGleichzeitigkeitraquo von Film und Psychoanalyse und wie sich diese nicht nur auf eine20
historischen Koinzidenz beschraumlnkt sondern sich in analogen Entdeckungen zeigt gerade auch wasdie Auffassung von Zeit und Gleichzeitigkeit angeht siehe Johannes Binotto laquoJump Cut ZurChrono-Logik von Film und Psychoanalyseraquo in Christian Kiening Aleksandra Prica Benno Wirz(Hg) Wiederkehr und Verheiszligung Dynamiken der Medialitaumlt in der Zeitlichkeit Zuumlrich Chronos2011 S 253-268
Als weitere Bausteine dieses Projekts siehe Johannes Binotto laquoThere Are No Subbasements Zur21
Ober1047298aumlchlichkeit von Film Erinnerung und Unbewusstemraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg)Memoryscapes Filmformen der Erinnerung Zuumlrich-Berlin Diaphanes 2014 S 181-198 sowieDers laquoRuumlck-Sicht auf Darstellbarkeit Zur Aumlsthetik und Aussagekraft der Rear Projectionraquo inFilmbulletin 213 (2013) S 37ndash43 und Ders laquoHors-champ Vom psychoanalytischen Feld amRand des Filmsraquo in RISS Zeitschrift fuumlr Psychoanalyse 23 (7273 2009) S 77-96
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Sound-Defekte Hitchcock
Ein besonders eindruumlckliches Beispiel solch einer Affekt-Stoumlrung auf derEbene des Tons findet sich in Alfred Hitchcocks Blackmail von 1929Zunaumlchst als Stummfilm begonnen sah sich die Produktionsfirmaaufgrund des aufkommenden Tonfilms gezwungen den Film zumindestin Teilen als Tonfilm in die Kinos zu bringen Dabei ist besonders22
bemerkenswert auf welch originelle Art Hitchcock die neuen sich mitdem Ton eroumlffnenden Moumlglichkeit der Filmtechnik nutzen wird In einerSzene des Films sehen wir Alice die Protagonistin des Films mit ihrer
Familie am Fruumlhstuumlckstisch sitzen Die junge Frau ist zutiefst verstoumlrthat sie doch am Vortag einen zudringlichen Kuumlnstler in dessen Ateliererstochen um sich dessen Vergewaltigungsversuch zu erwehrenUumlberzeugt dass man ihr nicht glauben wuumlrde nur in Notwehr gehandeltzu haben hat Alice ihr schreckliches Geheimnis fuumlr sich behalten Dakommt noch waumlhrend des Fruumlhstuumlcks die geschwaumltzige Nachbarin dazuund beginnt laut uumlber den unaufgeklaumlrten Mord an dem Kuumlnstler imSpeziellen und uumlber Morde mit Messern im Allgemeinen zu lamentierenHitchcocks Kamera zeigt derweil die immer veraumlngstigter werdende
Alice in Groszligaufnahme das Geplapper aber der Nachbarin wirdallmaumlhlich immer dumpfer und schwieriger zu verstehen Einzig dasimmer wiederkehrende Wort laquokniferaquo (Messer) sticht noch aus demalsbald komplett unverstaumlndlich gewordenen Soundtrack heraus
Offensichtlich betreibt Hitchcock diese verbluumlffende Manipulationder Tonspur um Alices besonderen Affektzustand zu zeigen bzw houmlrbarzu machen Ihr obsessives Gedankenkreisen die unablaumlssigwiederkehrende Erinnerung an die schreckliche Tat macht sich akustischbemerkbar in einer Ausblendung aller anderen Woumlrter mit Ausnahme
In der Anfangszeit des Ton1047297lms war es durchaus uumlblich dass Filme nicht vollstaumlndig sondern nur22
in Teilen mit Ton ausgestattet waren Zu diesen sogenannten part-talkies zaumlhlte auch The JazzSinger von 1927 der gemeinhin als erster Ton1047297lm der Filmgeschichte gilt Zur Uumlbergangszeitzwischen Stumm- zum Ton1047297lm mit Fokus auf Hitchcocks Blackmail siehe John Belton laquoAwkwardTransitions Hitchcocks Blackmail and the Dynamics of Early Film Soundraquo in The MusicalQuarterly Vol 83 No 2 (Summer 1999) S 227-246
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jenes einen Signifikanten laquokniferaquo der fuumlr das Geschehene steht Der23
affektive Ausnahmezustand verschafft sich hier Gehoumlr als aus dem Lotgeratene TontechnikDieser brillante Einfall Hitchcocks ist umso bemerkenswerter
als er ihn bereits in seinem ersten Tonfilm entwickelt Statt wie24
man annehmen koumlnnte die Implementierung von Ton im Film alseinen Zuwachs an Naturalismus zu feiern nutzt Hitchcock dietechnische Innovation des Filmtons gerade nicht zu naturalistischensondern psychologischen Zwecken Hitchcock entspricht damit demgerade mal ein Jahr zuvor von Eisenstein Pudowkin und Alexandrow
veroumlffentlichten laquoManifest zum Tonfilmraquo in dem die Autoren dafuumlrplaumldieren den Filmton kontrapunktisch zum Bild und nicht als dessenbloszlige akustische Verdoppelung zu verwenden Entsprechend vermittelt25
auch der Ton in dieser Szene aus Blackmail keine objektive Realitaumlt alsvielmehr jenen laquoanderen Schauplatzraquo der Psyche wie er sich in derveraumlnderten Wahrnehmung der Protagonistin kundtut Zugleich laumlsst derFilmemacher dadurch den Zuschauer an dieser veraumlnderten Affektivitaumlt
Einem Hinweis Susanne Gottlobs folgend der ich an dieser Stelle Dank schulde lieszlige sich im23
Wort laquokniferaquo auch das (fast) homophone englische laquonaiveraquo houmlren Im Sinne eines uumlberdeter-minierten Verhoumlrers hinge am gehoumlrten laquoknifenaiveraquo nebem dem schlechten Gewissen wegen derbegangenen Toumltung demnach auch noch die Scham daruumlber sich so naiv auf die Avancen desVergewaltigers eingelassen zu haben Tatsaumlchlich handelt es sich dabei um ein zentrales Motiv beiHitchcock das besonders Eacuteric Rohmer und Claude Chabrol in ihrem Hitchcock-Buch betonthaben eine unschuldige Person wird faumllschlich eines Verbrechens verdaumlchtigt allmaumlhlich abererkennt die Figur dass sie tatsaumlchlich schuldig geworden war wenn auch weniger in einemjuristischen als vielmehr moralischen Sinne Vgl Eacuteric Rohmer Claude Chabrol Hitchcock [1957]Berlin Alexander Verlag 2013
Hitchcock wird spaumlter auf aumlhnliche komplexe Tonmanipulationen zuruumlckkommen am ein-24
druumlcklichsten in seinem spaumlten Film Frenzy von 1972 um einen Frauenmoumlrder in London Wenn
dort in einer Szene die Neben1047297gur Babs Milligan aus dem Pub tritt in dem sie als Kellneringearbeitet hat faumlllt fuumlr einen kurzen Moment der Filmton komplett aus ehe in dieser geradezuklaustrophobischen Stille die einzelne Stimme eines Bekannten aus dem Off zu houmlren ist der Babsfragt ob sie eine Unterkunft brauche Die derart auffaumlllig und irritierend praumlsentierte Stimme in derStille ist denn auch prompt die Stimme des Moumlrders Und auch spaumlter wenn der Moumlrder Babs zusich in seine Wohnung bringt und die Tuumlr hinter ihnen ins Schloss faumlllt wird der Filmton einerunnatuumlrlichen und bedruumlckenden buchstaumlblich toumldlichen Stille weichen waumlhrend sich die Kameraallmaumlhlich vom Schauplatz des Verbrechens zuruumlckzieht
Vgl Sergej M Eisenstein Wsewolod I Pudowkin Grigorij W Alexandrov laquoManifest zum25
Ton1047297lmraquo [1928] In Franz-Josef Albersmeier (Hg) Texte zur Theorie des Films Stuttgart Reclam1979 S 42-45
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der Figur partizipieren Nicht nur die Figur auch das Publikum houmlrt mit
anderen OhrenIm selben Zug aber ist diese von Figur und Betrachter geteilteWahrnehmungsstoumlrung auch einfach eine Stoumlrung der Filmtechnik derFilmton tut nicht wie er sollte Gerade das mit dem eben ersterfundenen Ton1047297lm noch unvertraute Publikum der spaumlten Zwanziger
Jahre duumlrfte darum besonders auf diese akustische Manipulationreagiert haben und es ist sehr wahrscheinlich dass viele die ploumltzlicheVeraumlnderung des Tons an dieser Stelle des Films zunaumlchst fuumlr einetechnische Stoumlrung waumlhrend der Vorfuumlhrung gehalten haben duumlrften
In eben diesem Uumlbergreifen aber von der Figur auf das Publikumund mithin auf das Medium selbst gelingt Hitchcock nicht nur einebesonders gegluumlckte Darstellung des Affektzustands einer Figursondern er liefert mit dieser Szene unter der Hand auch noch gleicheine avancierte Theorie des Affekts als technischem EffektDefekt DieKritik Michel Chions des groszligen Theoretikers des (Film-)Tons andiesem Experiment Hitchcocks und sein Vorwurf der Zuschaueremp1047297nde die Veraumlnderung des Tons in Blackmail bloszlig als technischesVerfahren nicht aber als subjektive Emp1047297ndung der Figur verpasst26
denn auch gerade dass in dieser beklagten Verschiebung dieeigentliche nicht zuletzt auch psychoanalytische Pointe dieser Szeneliegt So wie Lacan das Unbewusste nicht in einer subjektivenInnerlichkeit sondern als eine Extimitaumlt bestimmt und damit in27
aumluszligeren Phaumlnomen und im Diskurs des Anderen verortet ist auch bei28
Hitchcock der Affekt gerade nicht mehr bloss subjektive Emp1047297ndung
Vgl Michel Chion Audio-Vision Sound on Screen New York Columbia University Press 199426
S 181-182
Vgl Jacques Lacan Das Seminar Buch VII Die Ethik der Psychoanalyse Weinheim Quadriga27
1996 S 171 Zum Begriff der Extimitaumlt siehe auch Jacques-Alain Miller laquoExtimiteacuteraquo in MarkBracher (Hg) Lacanian Theory of Discourse Subject Structure and Society New York New YorkUniversity Press 1994 S 74ndash87
Jacques Lacan laquoDas Seminar uumlber EA Poes rsaquoDer entwendete Brieflsaquoraquo in Ders Schriften I 28
Weinheim Quadriga 1991 S 7ndash60 hier S 14
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von den Film1047297guren nicht wahrgenommen wird und bleibt zugleich
doch auch fuumlr alle Anwesenden houmlrbar So changiert die Mund-harmonika in Once Upon a Time in the West eigenartig zwischen denEbenen Als von auszligen kommender Klang werden die Toumlne im Verlaufder Szene mit der Mundharmonika des Namenlosen identi1047297ziert dochnur um diese Ruumlckfuumlhrung des Klangs auf eine Quelle innerhalb derDiegese sogleich wieder zu leugnen und den Klang sich ausbreiten zulassen zur nicht-diegetischen Filmmusik
laquoAcousmecirctreraquo so hat Michel Chion in seiner bahnbrechenden(nicht zuletzt auch an Lacans Uumlberlegungen zur Stimme angelehnten)
Studie La voix au cineacutema all jene geisterhaften Stimmen genannt diewir keinem Koumlrper innerhalb der 1047297lmischen Handlung zuordnenkoumlnnen und die gerade durch diese Autonomie und Losgeloumlstheit uumlberbesondere Macht zu verfuumlgen scheinen Merkwuumlrdig zwischen An-30
und Abwesenheit schwankend ist es laquoals wuumlrde die Stimme uumlber dieOber1047298aumlche wandern zugleich drinnen und drauszligen sich sehnend nacheinem Platz an dem sie sich niederlassen kann [hellip] weder drauszligennoch drinnen ndash das ist das Schicksal des bdquoacousmecirctreldquo im Kinoraquo Die31
Stimme der toten Mutter in Hitchcocks Psycho etwa ist solch ein
laquoacousmecirctreraquo und ein besonders paradigmatisches noch dazu weil dieStimme der Mutter ja ohnehin die akusmatische Stimme par excellencedarstellt jene Stimme die das noch ungeborene Kind zwar bereits imMutterleib houmlrt ihren Ursprung aber nicht sehen kann
Und natuumlrlich ist auch die Mundharmonika-Melodie aus Once
Upon a Time in the West ebenfalls eine laquoakusmatischeraquo Stimme undeine ganz besondere noch dazu auch wenn Chion Leones Film leidernur ganz am Rande erwaumlhnt Denn waumlhrend das laquoacousmecirctreraquo sichnormalerweise dadurch auszeichnet ohne Ursprungsort innerhalb des
diegetischen Raums zu sein stehen beim Klang der Mundharmonikaim Gegenteil zu viele Anknuumlpfungspunkte zur Verfuumlgung Wenn in derbesagten Szene die Mundharmonika erklingt zeigt die Kamera uns diezugleich erschrockenen wie auch in sich gekehrten Gesichter der
Vgl Michel Chion La voix au cineacutema Paris Editions de llsquoEtoile 1982 insb S 11-3330
Ebd S 2831
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verschiedenen Figuren so dass der Zuschauer unweigerlich raumltselt ob
sich dieser Klang nicht vielleicht im Kopf jedes einzelnen ereignet DerFilm laumlsst es offen ndash oder vielmehr er laumlsst Widersprechendes geltenDer Ton kommt aus einem radikalen Auszligen einem Jenseits derFilmhandlung und ist zugleich nur in der Wahrnehmung jedesEinzelnen praumlsent Die Mundharmonika spricht mit einer Stimme dieabsolut fremd und zugleich intim vertraut ist 32
Die zugleich aus dem uumlberall und nirgendwo hallendeMundharmonika erinnert dabei frappant an jenes im juumldischen Ritusverwendete Horn das Schofar welches Theodor Reik in seiner Studie
uumlber Das Ritual untersucht und welches Lacan in seinem Seminar33
uumlber die Angst als laquoexemplarische Formraquo der Stimme vorstellen wird34
Die Stimme bei Lacan macht sich bemerkbar als Objekt das man nichtbesitzt sondern das vielmehr umgekehrt von einem Besitz ergreift undentsprechend scheint auch die Stimme der Mundharmonika nicht ausdem namenlosen Helden sondern durch ihn und alle in seinerUmgebung hindurch zu gehen (Abb 2 links)
Lied Leid Atem
In seiner Beschreibung der laquoIrradiationraquo von Affekten erwaumlhnt EugenBleuler die Moumlglichkeit dass ein Affekt wie Trauer laquoan irgendeine an
Siehe dazu und zum Folgenden auch Mladen Dolar His Masterlsquos Voice Eine Theorie de Stimme32
Frankfurt a M Suhrkamp 2007
Vgl Theodor Reik Das Ritual Psychoanalytische Studien Leipzig Wien Zuumlrich Internatio-33
naler Psychoanalytischer Verlag 1928 S 206-330
Vgl Lacan Die Angst S 304-319 hier S 31234
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
1612015)
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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Trauminhalt abzuschuumltteln p1047298egen lsaquoWenn ich mich im Traume vorRaumlubern fuumlrchte so sind die Raumluber zwar imaginaumlr aber die Furcht ist
realrsaquo und ebenso geht es wenn ich mich im Traume freue 6
Wissen schuumltzt offenbar vor Gefuumlhlen nicht So wie die Ruumlhrung amEnde von Chaplins City Lights oder die Schocks welche HitchcocksPsycho ausloumlst nicht vermindert werden durch die Einsicht dass essich dabei einzig um kuumlnstlich erzeugte Effekte handelt ist auch diedurch den Traum ausgeloumlste Angst durch das Erwachen nicht wenigerecht geworden
Und auch jene Lektion des Films dass es mitunter scheinbar
ganz unpassende Ausloumlser sind (die laquotechnischen Sachenraquo) welchediesen Affekt-Effekt generieren trifft sich mit den Beobachtungen die7
Freud anhand des Traumes macht Auch dort erweisen sich Ursacheund Affektwirkung als frappant inkongruent
An den Traumlumen hat immer Verwunderung erregt dass Vorstellungs-inhalte nicht die Affektwirkung mit sich bringen die wir als notwendigim wachen Denken erwarten wuumlrden [hellip] Ich bin im Traume in einergraumlszliglichen gefahrvollen ekelhaften Situation verspuumlre aber dabeinichts von Furcht oder Abscheu hingegen entsetze ich mich andereMale uumlber harmlose und freue mich uumlber kindische Dinge [hellip] DieAnalyse lehrt uns dass die Vorstellungsinhalte Verschiebungen undErsetzungen erfahren haben waumlhrend die Affekte unverruumlckt gebliebensind
Diese Diskrepanz zwischen Affekt und Ursache ist freilich auch daswas die Psychiatrie unter dem Stichwort der laquoIrradiationraquo und derlaquoAffektstoumlrungraquo beschreibt wie etwa in Eugen Bleulers Lehrbuch der
Psychiatrie von 1916 laquoBei der Irradiation verbindet sich ein Affekt mit
Vorstellungen denen er urspruumlnglich nicht angehoumlrt aber er bleibt
Sigmund Freud Die Traumdeutung [1900] Gesammelte Werke Bd IIIII FrankfurtM Fischer6
1976 S 462
Colette Soler zufolge bildet Lacan denn auch aus den Woumlrtern laquoaffectlaquo und laquoeffetraquo einen7
entsprechenden Neologismus laquoPour Freud comme pour Lacan llsquoaffect est un effet ndash effect diraLacan par neacuteologiosme calculeacuteraquo Colette Soler Les affects lacaniens Paris Presses Universitaires deFrance 2011 S VIII
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noch im Zusammenhang mit der ersten Vorstellung Er kann sich
jedoch auch davon ganz loumlsenraquo 8
Freud wie auch Bleuler sehen somit im Traum bzw in der Psychosejene scheinbar natuumlrliche Verbindung zerschnitten welche Affekte an diesie ausloumlsenden Vorstellungen heftet Doch beschraumlnkt sich dieseBeobachtung nicht auf besagte Sonderfaumllle So attestiert Bleuler denAffekten ganz allgemein eine laquoNeigung zur Ausbreitungraquo und laquoUumlber-tragungraquo Und auch Freud erklaumlrt in seinem Aufsatz zur laquoVerdraumlngungraquo9
das Auseinanderklaffen von Affekt und affektausloumlsender Vorstellungnicht mehr nur als Sonderfall des Traums sondern erhebt es vielmehr zur
allgemeinen Regel
Die klinische Beobachtung noumltigt uns nun zu zerlegen was wir bishereinheitlich aufgefasst hatten denn sie zeigt uns dass etwas anderes wasden Trieb repraumlsentiert neben der Vorstellung in Betracht kommt unddass dieses andere ein Verdraumlngungsschicksal erfaumlhrt welches von demder Vorstellung ganz verschieden sein kann Fuumlr dieses andere Elementder psychischen Repraumlsentanz hat sich der Name Affektbetrag eingebuumlrgert es entspricht dem Triebe insofern er sich von derVorstellung abgeloumlst hat und einen seiner Quantitaumlt gemaumlszligen Ausdruckin Vorgaumlngen 1047297ndet welche als Affekte der Emp1047297ndung bemerkbar
werden 10
Dabei ist die sich veraumlndernde Metaphorik in Freuds Beschreibungenbesonders hervorzuheben Praumlsentiert er in der Traumdeutung denAffekt als jenes Element welches laquounverruumlcktraquo bleibt so impliziert dieFormulierung in laquoDie Verdraumlngungraquo wo vom Affekt gesagt wird dasser laquosich von der Vorstellung abgeloumlst hatraquo das Bild eines gerade nichtunverruumlckten sondern vielmehr andauernd sich verschiebendengleichsam frei 1047298ottierenden Affektes der jegliche Verankerung verloren
hat Wenn Freud den Affekt mit dem Trieb selbst identi1047297ziert(laquoentspricht dem Trieberaquo) der sich ja gerade durch seine nie nicht mal
Eugen Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie Berlin Springer 1916 S 278
Ebd S 259
Sigmund Freud laquoDie Verdraumlngungraquo [1915] in Ders Gesammelte Werke Bd X FrankfurtM10
Fischer S 247-261 hier S 255
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im Tod zu Ende kommende Bewegung auszeichnet so erscheint der11
Affekt endguumlltig als durch andauernde Verlagerung charakterisiert Dalaquozielgehemmtraquo wie es Freud vom Trieb sagt muss auch der Affekt12
immer unterwegs bleiben Er ist Bewegtheit ndash nicht nur imuumlbertragenen sondern auch konkreten Sinne
hellip ist defekt
Affekt als im Bezug zu seiner Ursache immer schon auf Abwege
geratener Effekt kann fuumlr die Psychoanalyse somit auch nicht jenerMoment absoluter Selbstevidenz sein als der er offenbar von jenemnamenlosen Philosophen behauptet wird den Jacques Lacan in seinemVortrag laquoDie Wissenschaft und die Wahrheitraquo zitiert mit den WortenlaquoDie Wahrheit des Schmerzes ist der Schmerz selbstraquo13
Entgegen diesem Pathos einer laquounmittelbaren Wahrheitraquo desAffektiven als Erfuumlllung einer laquoSehnsucht nach dem UnmittelbarenDirekten Nicht-Mediatisierten Authentischen Objektivenraquo der aucheine Vielzahl der aktuellen Affekt-Diskurse umtreibt widerspricht fuumlr14
Lacan (wie auch fuumlr Freud) der Affekt gerade solchen Vorstellungeneines jeder Versprachlichung vorgaumlngigen Koumlrper-Seins Oder alsReplik auf den namenlosen Philosophen in Lacans Seminar formuliertDie Wahrheit des Affekts ist nicht er selbst sondern gerade sein Nicht-bei-sich-sein
Ich habe bei Gelegenheit zu sagen versucht was der Affekt nicht ist Erist nicht das in seiner Unmittelbarkeit gegebene Sein und auch nicht das
Gerade der Freudlsquosche Todestrieb ist wie Slavoj Žižek verschiedentlich insistiert hat nicht etwa11
ein Trieb zum Tode als vielmehr ein Trieb der keinen Tod kennt der noch uumlber den Todhinausgeht ins zombiehaft Untote Vgl Slavoj Žižek The Plague of Fantasies London Verso 1997S 89
Vgl Sigmund Freud laquoTriebe und Triebschicksaleraquo in Ders Gesammelte Werke Bd X 12
FrankfurtM Fischer S 209-232 hier S 215
Jacques Lacan laquoDie Wissenschaft und die Wahrheitraquo in Ders Schriften II Weinheim Quadriga13
1991 S 231-257 hier S 249
Marie-Luise Angerer Vom Begehren nach dem Affekt Zuumlrich Berlin Diaphanes 2007 S 9 Zur14
kritischen Bestandesaufnahme der aktuellen Affekt-Theorien siehe Ebd
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Subjekt in einer rohen Form [hellip] Umgekehrt habe ich uumlber den Affektgesagt dass er nicht verdraumlngt ist Dies sagt Freud genauso wie ich Er
ist aus seinen Vertaumluungen gerissen [deacutesarrimeacute ] er driftet ab Man1047297ndet ihn verschoben verruumlckt verkehrt und verwandelt wieder nurverdraumlngt ist er nicht Verdraumlngt sind die Signi1047297kanten die ihnvertaumluen 15
Der Affekt als aus seiner Vertaumluung gerissener Effekt ist immerdifferierend und mithin defekt in dem Sinne wie man in der Sprachedes Militaumlrs angesichts einer unerlaubten Entfernung von der Truppevon lsaquoDefektionrsaquo spricht Der Affekt welcher in den Worten von ColetteSoler von Repraumlsentation zu Repraumlsentation wandert ist nie wo er16
sein sollte Ein Wort wie Affektstoumlrung entpuppt sich somit auspsychoanalytischer Perspektive schlechterdings als Pleonasmus DerAffekt ist immer gestoumlrt Er passt nicht zu den Vorstellungen undRepraumlsentationen die ihn hervorrufen sondern erscheint immer undjedem Sinne unangebracht wie man lsaquodeacuteplaceacutersaquo das franzoumlsische Wortfuumlr lsaquoverschiebenrsaquo ja auch uumlbersetzen kann
Joan Copjec hat vorgeschlagen eben diese Deplatziertheit desAffekts im Bezug auf die Repraumlsentationen auf diese letztere selbst
zuruumlckzuwenden
While I began by wondering if Freudlsquos insistence that affect is alwaysdisplaced implied an out-of-phase relation between affect andrepresentation [hellip] this formulation suffers from an overly sharpseparation of the two terms a divison that antagonizes them Is notaffect rather [hellip] representationlsquos own essential lsaquoout-of-phasenessrsaquo withitself A marginal difference opens up separating the individualperception from itself ndash and it is this difference which is called affect 17
Diese af 1047297zierende laquoout-of-phasenessraquo der Repraumlsentation selbst ist esmithin was gerade das Medium des Films so besonders interessantmacht Denn es kann gezeigt werden wie sich auch hier Affekte gerade
Jacques Lacan Das Seminar Buch X Die Angst Wien Turia + Kant 2010 S 25 bzw Ders Le15
seacuteminaire livre X Llsquoangoisse Paris Seuil 2004 S 23
Vgl Colette Soler Les affects lacaniens Paris Presses Universitaires de France 2011 S 416
Joan Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo in Slavoj Žižek Lacan The Silent Partners17
London Verso 2006 S 90-114 hier S 94
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als Momente der laquoout-of-phasenessraquo bemerkbar machen als Wahr-
nehmungsstoumlrungen als Verrutschungen und Defekte der1047297lmischenTechnik selbst
Filmtechnik als Psychoanalyse und umgekehrt
Indes kann es hier nicht darum gehen den Film einfach zur bloszligenIllustration psychoanalytischer Affekt-Theorie zu degradieren JacquesRanciegravere hat uumlberzeugend argumentiert dass schon bei Freud dessen
zahlreiche Bezugnahmen auf die Literatur und die bildende Kunst nichtmissverstanden werden duumlrfen als bloszlige Exempel sondern dassvielmehr fuumlr Freud die Kunst und die Literatur eine laquoIdee desDenkensraquo bereitstellen auf deren Grundlage laquodas Freudrsquosche Denkendes Unbewusstenraquo uumlberhaupt erst moumlglich wird Und auch Shoshana18
Felman hat das Verhaumlltnis zwischen Psychoanalyse und Literatur alsdas einer gegenseitigen Implikation beschrieben
Literature is therefore not simply outside psychoanalysis since it
motivates and inhabits the very names of its concepts since it is theinherent reference by which psychoanalysis names its 1047297ndings [] Wewould like to suggest that in the same way that psychoanalysis pointsto the unconscious of literature literature in its turn is the unconsciousof psychoanalysis 19
Ist fuumlr Felman die Literatur das Unbewusste der Psychoanalyse istAnaloges mit Vehemenz auch fuumlr den Film einzufordern Es gilt zuzeigen dass sich der Film nicht nur zeitgleich mit der Psychoanalyseentwickelt sondern dass ihm mittels seiner technischen Praktiken
Entdeckungen gelingen welche gleichzeitig auch Freud in seiner Praxis
Vgl Jacques Ranciegravere Das aumlsthetische Unbewusste Zuumlrich Berlin Diaphanes 2006 S 1018
Soshana Felman laquoTo Open the Questionraquo in Yale French Studies 5556 1977 S 5ndash10 hier19
S 9ndash10
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machen wird Statt also Story und Figuren eines Films auf die Couch20
zu legen (wie es leider nach wie vor die meisten psychoanalytisch-inspirierten Filmlektuumlren tun) ergibt sich auf Ebene der Filmtechnik diefuumlr beide Seiten wirklich erhellende Korrespondenz zwischenPsychoanalyse und Kino Weniger in seinen Geschichten als vielmehr inseiner technischen Verfasstheit nimmt der Film ein psychoanalytischesDenken auf und vorweg So versteht sich auch die vorliegendeUntersuchung als weiterer Baustein einer noch zu vollendendenPsychoanalyse der Filmtechnik die unweigerlich auch eine Filmtechnik
der Psychoanalyse waumlre21
Dabei soll nicht nur gezeigt werde dass der Film in seinerInszenierung des Affekts immer schon dort war wo die psycho-analytische Theorie mit Lacan hinkommen wird sondern nochdaruumlberhinaus wie der Film in seiner Technik die psychoanalytischeKonzeption des Affekts praumlzisiert und erweitert Zeichnet sich fuumlrLacan der Affekt durch seine laquoVerrutschtheitraquo aus so nutzt umgekehrtder Film eben solche Verrutschungen der Repraumlsentation um dadurchAffekte der Figuren zeigen und zugleich auch im Zuschauer zugenerieren Affekt als immer schon gestoumlrter zeigt sich darum im Film
denn auch am uumlberzeugendsten da wo er als technische Stoumlrungauftaucht
Zu dieser laquoGleichzeitigkeitraquo von Film und Psychoanalyse und wie sich diese nicht nur auf eine20
historischen Koinzidenz beschraumlnkt sondern sich in analogen Entdeckungen zeigt gerade auch wasdie Auffassung von Zeit und Gleichzeitigkeit angeht siehe Johannes Binotto laquoJump Cut ZurChrono-Logik von Film und Psychoanalyseraquo in Christian Kiening Aleksandra Prica Benno Wirz(Hg) Wiederkehr und Verheiszligung Dynamiken der Medialitaumlt in der Zeitlichkeit Zuumlrich Chronos2011 S 253-268
Als weitere Bausteine dieses Projekts siehe Johannes Binotto laquoThere Are No Subbasements Zur21
Ober1047298aumlchlichkeit von Film Erinnerung und Unbewusstemraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg)Memoryscapes Filmformen der Erinnerung Zuumlrich-Berlin Diaphanes 2014 S 181-198 sowieDers laquoRuumlck-Sicht auf Darstellbarkeit Zur Aumlsthetik und Aussagekraft der Rear Projectionraquo inFilmbulletin 213 (2013) S 37ndash43 und Ders laquoHors-champ Vom psychoanalytischen Feld amRand des Filmsraquo in RISS Zeitschrift fuumlr Psychoanalyse 23 (7273 2009) S 77-96
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Sound-Defekte Hitchcock
Ein besonders eindruumlckliches Beispiel solch einer Affekt-Stoumlrung auf derEbene des Tons findet sich in Alfred Hitchcocks Blackmail von 1929Zunaumlchst als Stummfilm begonnen sah sich die Produktionsfirmaaufgrund des aufkommenden Tonfilms gezwungen den Film zumindestin Teilen als Tonfilm in die Kinos zu bringen Dabei ist besonders22
bemerkenswert auf welch originelle Art Hitchcock die neuen sich mitdem Ton eroumlffnenden Moumlglichkeit der Filmtechnik nutzen wird In einerSzene des Films sehen wir Alice die Protagonistin des Films mit ihrer
Familie am Fruumlhstuumlckstisch sitzen Die junge Frau ist zutiefst verstoumlrthat sie doch am Vortag einen zudringlichen Kuumlnstler in dessen Ateliererstochen um sich dessen Vergewaltigungsversuch zu erwehrenUumlberzeugt dass man ihr nicht glauben wuumlrde nur in Notwehr gehandeltzu haben hat Alice ihr schreckliches Geheimnis fuumlr sich behalten Dakommt noch waumlhrend des Fruumlhstuumlcks die geschwaumltzige Nachbarin dazuund beginnt laut uumlber den unaufgeklaumlrten Mord an dem Kuumlnstler imSpeziellen und uumlber Morde mit Messern im Allgemeinen zu lamentierenHitchcocks Kamera zeigt derweil die immer veraumlngstigter werdende
Alice in Groszligaufnahme das Geplapper aber der Nachbarin wirdallmaumlhlich immer dumpfer und schwieriger zu verstehen Einzig dasimmer wiederkehrende Wort laquokniferaquo (Messer) sticht noch aus demalsbald komplett unverstaumlndlich gewordenen Soundtrack heraus
Offensichtlich betreibt Hitchcock diese verbluumlffende Manipulationder Tonspur um Alices besonderen Affektzustand zu zeigen bzw houmlrbarzu machen Ihr obsessives Gedankenkreisen die unablaumlssigwiederkehrende Erinnerung an die schreckliche Tat macht sich akustischbemerkbar in einer Ausblendung aller anderen Woumlrter mit Ausnahme
In der Anfangszeit des Ton1047297lms war es durchaus uumlblich dass Filme nicht vollstaumlndig sondern nur22
in Teilen mit Ton ausgestattet waren Zu diesen sogenannten part-talkies zaumlhlte auch The JazzSinger von 1927 der gemeinhin als erster Ton1047297lm der Filmgeschichte gilt Zur Uumlbergangszeitzwischen Stumm- zum Ton1047297lm mit Fokus auf Hitchcocks Blackmail siehe John Belton laquoAwkwardTransitions Hitchcocks Blackmail and the Dynamics of Early Film Soundraquo in The MusicalQuarterly Vol 83 No 2 (Summer 1999) S 227-246
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jenes einen Signifikanten laquokniferaquo der fuumlr das Geschehene steht Der23
affektive Ausnahmezustand verschafft sich hier Gehoumlr als aus dem Lotgeratene TontechnikDieser brillante Einfall Hitchcocks ist umso bemerkenswerter
als er ihn bereits in seinem ersten Tonfilm entwickelt Statt wie24
man annehmen koumlnnte die Implementierung von Ton im Film alseinen Zuwachs an Naturalismus zu feiern nutzt Hitchcock dietechnische Innovation des Filmtons gerade nicht zu naturalistischensondern psychologischen Zwecken Hitchcock entspricht damit demgerade mal ein Jahr zuvor von Eisenstein Pudowkin und Alexandrow
veroumlffentlichten laquoManifest zum Tonfilmraquo in dem die Autoren dafuumlrplaumldieren den Filmton kontrapunktisch zum Bild und nicht als dessenbloszlige akustische Verdoppelung zu verwenden Entsprechend vermittelt25
auch der Ton in dieser Szene aus Blackmail keine objektive Realitaumlt alsvielmehr jenen laquoanderen Schauplatzraquo der Psyche wie er sich in derveraumlnderten Wahrnehmung der Protagonistin kundtut Zugleich laumlsst derFilmemacher dadurch den Zuschauer an dieser veraumlnderten Affektivitaumlt
Einem Hinweis Susanne Gottlobs folgend der ich an dieser Stelle Dank schulde lieszlige sich im23
Wort laquokniferaquo auch das (fast) homophone englische laquonaiveraquo houmlren Im Sinne eines uumlberdeter-minierten Verhoumlrers hinge am gehoumlrten laquoknifenaiveraquo nebem dem schlechten Gewissen wegen derbegangenen Toumltung demnach auch noch die Scham daruumlber sich so naiv auf die Avancen desVergewaltigers eingelassen zu haben Tatsaumlchlich handelt es sich dabei um ein zentrales Motiv beiHitchcock das besonders Eacuteric Rohmer und Claude Chabrol in ihrem Hitchcock-Buch betonthaben eine unschuldige Person wird faumllschlich eines Verbrechens verdaumlchtigt allmaumlhlich abererkennt die Figur dass sie tatsaumlchlich schuldig geworden war wenn auch weniger in einemjuristischen als vielmehr moralischen Sinne Vgl Eacuteric Rohmer Claude Chabrol Hitchcock [1957]Berlin Alexander Verlag 2013
Hitchcock wird spaumlter auf aumlhnliche komplexe Tonmanipulationen zuruumlckkommen am ein-24
druumlcklichsten in seinem spaumlten Film Frenzy von 1972 um einen Frauenmoumlrder in London Wenn
dort in einer Szene die Neben1047297gur Babs Milligan aus dem Pub tritt in dem sie als Kellneringearbeitet hat faumlllt fuumlr einen kurzen Moment der Filmton komplett aus ehe in dieser geradezuklaustrophobischen Stille die einzelne Stimme eines Bekannten aus dem Off zu houmlren ist der Babsfragt ob sie eine Unterkunft brauche Die derart auffaumlllig und irritierend praumlsentierte Stimme in derStille ist denn auch prompt die Stimme des Moumlrders Und auch spaumlter wenn der Moumlrder Babs zusich in seine Wohnung bringt und die Tuumlr hinter ihnen ins Schloss faumlllt wird der Filmton einerunnatuumlrlichen und bedruumlckenden buchstaumlblich toumldlichen Stille weichen waumlhrend sich die Kameraallmaumlhlich vom Schauplatz des Verbrechens zuruumlckzieht
Vgl Sergej M Eisenstein Wsewolod I Pudowkin Grigorij W Alexandrov laquoManifest zum25
Ton1047297lmraquo [1928] In Franz-Josef Albersmeier (Hg) Texte zur Theorie des Films Stuttgart Reclam1979 S 42-45
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der Figur partizipieren Nicht nur die Figur auch das Publikum houmlrt mit
anderen OhrenIm selben Zug aber ist diese von Figur und Betrachter geteilteWahrnehmungsstoumlrung auch einfach eine Stoumlrung der Filmtechnik derFilmton tut nicht wie er sollte Gerade das mit dem eben ersterfundenen Ton1047297lm noch unvertraute Publikum der spaumlten Zwanziger
Jahre duumlrfte darum besonders auf diese akustische Manipulationreagiert haben und es ist sehr wahrscheinlich dass viele die ploumltzlicheVeraumlnderung des Tons an dieser Stelle des Films zunaumlchst fuumlr einetechnische Stoumlrung waumlhrend der Vorfuumlhrung gehalten haben duumlrften
In eben diesem Uumlbergreifen aber von der Figur auf das Publikumund mithin auf das Medium selbst gelingt Hitchcock nicht nur einebesonders gegluumlckte Darstellung des Affektzustands einer Figursondern er liefert mit dieser Szene unter der Hand auch noch gleicheine avancierte Theorie des Affekts als technischem EffektDefekt DieKritik Michel Chions des groszligen Theoretikers des (Film-)Tons andiesem Experiment Hitchcocks und sein Vorwurf der Zuschaueremp1047297nde die Veraumlnderung des Tons in Blackmail bloszlig als technischesVerfahren nicht aber als subjektive Emp1047297ndung der Figur verpasst26
denn auch gerade dass in dieser beklagten Verschiebung dieeigentliche nicht zuletzt auch psychoanalytische Pointe dieser Szeneliegt So wie Lacan das Unbewusste nicht in einer subjektivenInnerlichkeit sondern als eine Extimitaumlt bestimmt und damit in27
aumluszligeren Phaumlnomen und im Diskurs des Anderen verortet ist auch bei28
Hitchcock der Affekt gerade nicht mehr bloss subjektive Emp1047297ndung
Vgl Michel Chion Audio-Vision Sound on Screen New York Columbia University Press 199426
S 181-182
Vgl Jacques Lacan Das Seminar Buch VII Die Ethik der Psychoanalyse Weinheim Quadriga27
1996 S 171 Zum Begriff der Extimitaumlt siehe auch Jacques-Alain Miller laquoExtimiteacuteraquo in MarkBracher (Hg) Lacanian Theory of Discourse Subject Structure and Society New York New YorkUniversity Press 1994 S 74ndash87
Jacques Lacan laquoDas Seminar uumlber EA Poes rsaquoDer entwendete Brieflsaquoraquo in Ders Schriften I 28
Weinheim Quadriga 1991 S 7ndash60 hier S 14
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von den Film1047297guren nicht wahrgenommen wird und bleibt zugleich
doch auch fuumlr alle Anwesenden houmlrbar So changiert die Mund-harmonika in Once Upon a Time in the West eigenartig zwischen denEbenen Als von auszligen kommender Klang werden die Toumlne im Verlaufder Szene mit der Mundharmonika des Namenlosen identi1047297ziert dochnur um diese Ruumlckfuumlhrung des Klangs auf eine Quelle innerhalb derDiegese sogleich wieder zu leugnen und den Klang sich ausbreiten zulassen zur nicht-diegetischen Filmmusik
laquoAcousmecirctreraquo so hat Michel Chion in seiner bahnbrechenden(nicht zuletzt auch an Lacans Uumlberlegungen zur Stimme angelehnten)
Studie La voix au cineacutema all jene geisterhaften Stimmen genannt diewir keinem Koumlrper innerhalb der 1047297lmischen Handlung zuordnenkoumlnnen und die gerade durch diese Autonomie und Losgeloumlstheit uumlberbesondere Macht zu verfuumlgen scheinen Merkwuumlrdig zwischen An-30
und Abwesenheit schwankend ist es laquoals wuumlrde die Stimme uumlber dieOber1047298aumlche wandern zugleich drinnen und drauszligen sich sehnend nacheinem Platz an dem sie sich niederlassen kann [hellip] weder drauszligennoch drinnen ndash das ist das Schicksal des bdquoacousmecirctreldquo im Kinoraquo Die31
Stimme der toten Mutter in Hitchcocks Psycho etwa ist solch ein
laquoacousmecirctreraquo und ein besonders paradigmatisches noch dazu weil dieStimme der Mutter ja ohnehin die akusmatische Stimme par excellencedarstellt jene Stimme die das noch ungeborene Kind zwar bereits imMutterleib houmlrt ihren Ursprung aber nicht sehen kann
Und natuumlrlich ist auch die Mundharmonika-Melodie aus Once
Upon a Time in the West ebenfalls eine laquoakusmatischeraquo Stimme undeine ganz besondere noch dazu auch wenn Chion Leones Film leidernur ganz am Rande erwaumlhnt Denn waumlhrend das laquoacousmecirctreraquo sichnormalerweise dadurch auszeichnet ohne Ursprungsort innerhalb des
diegetischen Raums zu sein stehen beim Klang der Mundharmonikaim Gegenteil zu viele Anknuumlpfungspunkte zur Verfuumlgung Wenn in derbesagten Szene die Mundharmonika erklingt zeigt die Kamera uns diezugleich erschrockenen wie auch in sich gekehrten Gesichter der
Vgl Michel Chion La voix au cineacutema Paris Editions de llsquoEtoile 1982 insb S 11-3330
Ebd S 2831
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verschiedenen Figuren so dass der Zuschauer unweigerlich raumltselt ob
sich dieser Klang nicht vielleicht im Kopf jedes einzelnen ereignet DerFilm laumlsst es offen ndash oder vielmehr er laumlsst Widersprechendes geltenDer Ton kommt aus einem radikalen Auszligen einem Jenseits derFilmhandlung und ist zugleich nur in der Wahrnehmung jedesEinzelnen praumlsent Die Mundharmonika spricht mit einer Stimme dieabsolut fremd und zugleich intim vertraut ist 32
Die zugleich aus dem uumlberall und nirgendwo hallendeMundharmonika erinnert dabei frappant an jenes im juumldischen Ritusverwendete Horn das Schofar welches Theodor Reik in seiner Studie
uumlber Das Ritual untersucht und welches Lacan in seinem Seminar33
uumlber die Angst als laquoexemplarische Formraquo der Stimme vorstellen wird34
Die Stimme bei Lacan macht sich bemerkbar als Objekt das man nichtbesitzt sondern das vielmehr umgekehrt von einem Besitz ergreift undentsprechend scheint auch die Stimme der Mundharmonika nicht ausdem namenlosen Helden sondern durch ihn und alle in seinerUmgebung hindurch zu gehen (Abb 2 links)
Lied Leid Atem
In seiner Beschreibung der laquoIrradiationraquo von Affekten erwaumlhnt EugenBleuler die Moumlglichkeit dass ein Affekt wie Trauer laquoan irgendeine an
Siehe dazu und zum Folgenden auch Mladen Dolar His Masterlsquos Voice Eine Theorie de Stimme32
Frankfurt a M Suhrkamp 2007
Vgl Theodor Reik Das Ritual Psychoanalytische Studien Leipzig Wien Zuumlrich Internatio-33
naler Psychoanalytischer Verlag 1928 S 206-330
Vgl Lacan Die Angst S 304-319 hier S 31234
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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noch im Zusammenhang mit der ersten Vorstellung Er kann sich
jedoch auch davon ganz loumlsenraquo 8
Freud wie auch Bleuler sehen somit im Traum bzw in der Psychosejene scheinbar natuumlrliche Verbindung zerschnitten welche Affekte an diesie ausloumlsenden Vorstellungen heftet Doch beschraumlnkt sich dieseBeobachtung nicht auf besagte Sonderfaumllle So attestiert Bleuler denAffekten ganz allgemein eine laquoNeigung zur Ausbreitungraquo und laquoUumlber-tragungraquo Und auch Freud erklaumlrt in seinem Aufsatz zur laquoVerdraumlngungraquo9
das Auseinanderklaffen von Affekt und affektausloumlsender Vorstellungnicht mehr nur als Sonderfall des Traums sondern erhebt es vielmehr zur
allgemeinen Regel
Die klinische Beobachtung noumltigt uns nun zu zerlegen was wir bishereinheitlich aufgefasst hatten denn sie zeigt uns dass etwas anderes wasden Trieb repraumlsentiert neben der Vorstellung in Betracht kommt unddass dieses andere ein Verdraumlngungsschicksal erfaumlhrt welches von demder Vorstellung ganz verschieden sein kann Fuumlr dieses andere Elementder psychischen Repraumlsentanz hat sich der Name Affektbetrag eingebuumlrgert es entspricht dem Triebe insofern er sich von derVorstellung abgeloumlst hat und einen seiner Quantitaumlt gemaumlszligen Ausdruckin Vorgaumlngen 1047297ndet welche als Affekte der Emp1047297ndung bemerkbar
werden 10
Dabei ist die sich veraumlndernde Metaphorik in Freuds Beschreibungenbesonders hervorzuheben Praumlsentiert er in der Traumdeutung denAffekt als jenes Element welches laquounverruumlcktraquo bleibt so impliziert dieFormulierung in laquoDie Verdraumlngungraquo wo vom Affekt gesagt wird dasser laquosich von der Vorstellung abgeloumlst hatraquo das Bild eines gerade nichtunverruumlckten sondern vielmehr andauernd sich verschiebendengleichsam frei 1047298ottierenden Affektes der jegliche Verankerung verloren
hat Wenn Freud den Affekt mit dem Trieb selbst identi1047297ziert(laquoentspricht dem Trieberaquo) der sich ja gerade durch seine nie nicht mal
Eugen Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie Berlin Springer 1916 S 278
Ebd S 259
Sigmund Freud laquoDie Verdraumlngungraquo [1915] in Ders Gesammelte Werke Bd X FrankfurtM10
Fischer S 247-261 hier S 255
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im Tod zu Ende kommende Bewegung auszeichnet so erscheint der11
Affekt endguumlltig als durch andauernde Verlagerung charakterisiert Dalaquozielgehemmtraquo wie es Freud vom Trieb sagt muss auch der Affekt12
immer unterwegs bleiben Er ist Bewegtheit ndash nicht nur imuumlbertragenen sondern auch konkreten Sinne
hellip ist defekt
Affekt als im Bezug zu seiner Ursache immer schon auf Abwege
geratener Effekt kann fuumlr die Psychoanalyse somit auch nicht jenerMoment absoluter Selbstevidenz sein als der er offenbar von jenemnamenlosen Philosophen behauptet wird den Jacques Lacan in seinemVortrag laquoDie Wissenschaft und die Wahrheitraquo zitiert mit den WortenlaquoDie Wahrheit des Schmerzes ist der Schmerz selbstraquo13
Entgegen diesem Pathos einer laquounmittelbaren Wahrheitraquo desAffektiven als Erfuumlllung einer laquoSehnsucht nach dem UnmittelbarenDirekten Nicht-Mediatisierten Authentischen Objektivenraquo der aucheine Vielzahl der aktuellen Affekt-Diskurse umtreibt widerspricht fuumlr14
Lacan (wie auch fuumlr Freud) der Affekt gerade solchen Vorstellungeneines jeder Versprachlichung vorgaumlngigen Koumlrper-Seins Oder alsReplik auf den namenlosen Philosophen in Lacans Seminar formuliertDie Wahrheit des Affekts ist nicht er selbst sondern gerade sein Nicht-bei-sich-sein
Ich habe bei Gelegenheit zu sagen versucht was der Affekt nicht ist Erist nicht das in seiner Unmittelbarkeit gegebene Sein und auch nicht das
Gerade der Freudlsquosche Todestrieb ist wie Slavoj Žižek verschiedentlich insistiert hat nicht etwa11
ein Trieb zum Tode als vielmehr ein Trieb der keinen Tod kennt der noch uumlber den Todhinausgeht ins zombiehaft Untote Vgl Slavoj Žižek The Plague of Fantasies London Verso 1997S 89
Vgl Sigmund Freud laquoTriebe und Triebschicksaleraquo in Ders Gesammelte Werke Bd X 12
FrankfurtM Fischer S 209-232 hier S 215
Jacques Lacan laquoDie Wissenschaft und die Wahrheitraquo in Ders Schriften II Weinheim Quadriga13
1991 S 231-257 hier S 249
Marie-Luise Angerer Vom Begehren nach dem Affekt Zuumlrich Berlin Diaphanes 2007 S 9 Zur14
kritischen Bestandesaufnahme der aktuellen Affekt-Theorien siehe Ebd
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Subjekt in einer rohen Form [hellip] Umgekehrt habe ich uumlber den Affektgesagt dass er nicht verdraumlngt ist Dies sagt Freud genauso wie ich Er
ist aus seinen Vertaumluungen gerissen [deacutesarrimeacute ] er driftet ab Man1047297ndet ihn verschoben verruumlckt verkehrt und verwandelt wieder nurverdraumlngt ist er nicht Verdraumlngt sind die Signi1047297kanten die ihnvertaumluen 15
Der Affekt als aus seiner Vertaumluung gerissener Effekt ist immerdifferierend und mithin defekt in dem Sinne wie man in der Sprachedes Militaumlrs angesichts einer unerlaubten Entfernung von der Truppevon lsaquoDefektionrsaquo spricht Der Affekt welcher in den Worten von ColetteSoler von Repraumlsentation zu Repraumlsentation wandert ist nie wo er16
sein sollte Ein Wort wie Affektstoumlrung entpuppt sich somit auspsychoanalytischer Perspektive schlechterdings als Pleonasmus DerAffekt ist immer gestoumlrt Er passt nicht zu den Vorstellungen undRepraumlsentationen die ihn hervorrufen sondern erscheint immer undjedem Sinne unangebracht wie man lsaquodeacuteplaceacutersaquo das franzoumlsische Wortfuumlr lsaquoverschiebenrsaquo ja auch uumlbersetzen kann
Joan Copjec hat vorgeschlagen eben diese Deplatziertheit desAffekts im Bezug auf die Repraumlsentationen auf diese letztere selbst
zuruumlckzuwenden
While I began by wondering if Freudlsquos insistence that affect is alwaysdisplaced implied an out-of-phase relation between affect andrepresentation [hellip] this formulation suffers from an overly sharpseparation of the two terms a divison that antagonizes them Is notaffect rather [hellip] representationlsquos own essential lsaquoout-of-phasenessrsaquo withitself A marginal difference opens up separating the individualperception from itself ndash and it is this difference which is called affect 17
Diese af 1047297zierende laquoout-of-phasenessraquo der Repraumlsentation selbst ist esmithin was gerade das Medium des Films so besonders interessantmacht Denn es kann gezeigt werden wie sich auch hier Affekte gerade
Jacques Lacan Das Seminar Buch X Die Angst Wien Turia + Kant 2010 S 25 bzw Ders Le15
seacuteminaire livre X Llsquoangoisse Paris Seuil 2004 S 23
Vgl Colette Soler Les affects lacaniens Paris Presses Universitaires de France 2011 S 416
Joan Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo in Slavoj Žižek Lacan The Silent Partners17
London Verso 2006 S 90-114 hier S 94
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als Momente der laquoout-of-phasenessraquo bemerkbar machen als Wahr-
nehmungsstoumlrungen als Verrutschungen und Defekte der1047297lmischenTechnik selbst
Filmtechnik als Psychoanalyse und umgekehrt
Indes kann es hier nicht darum gehen den Film einfach zur bloszligenIllustration psychoanalytischer Affekt-Theorie zu degradieren JacquesRanciegravere hat uumlberzeugend argumentiert dass schon bei Freud dessen
zahlreiche Bezugnahmen auf die Literatur und die bildende Kunst nichtmissverstanden werden duumlrfen als bloszlige Exempel sondern dassvielmehr fuumlr Freud die Kunst und die Literatur eine laquoIdee desDenkensraquo bereitstellen auf deren Grundlage laquodas Freudrsquosche Denkendes Unbewusstenraquo uumlberhaupt erst moumlglich wird Und auch Shoshana18
Felman hat das Verhaumlltnis zwischen Psychoanalyse und Literatur alsdas einer gegenseitigen Implikation beschrieben
Literature is therefore not simply outside psychoanalysis since it
motivates and inhabits the very names of its concepts since it is theinherent reference by which psychoanalysis names its 1047297ndings [] Wewould like to suggest that in the same way that psychoanalysis pointsto the unconscious of literature literature in its turn is the unconsciousof psychoanalysis 19
Ist fuumlr Felman die Literatur das Unbewusste der Psychoanalyse istAnaloges mit Vehemenz auch fuumlr den Film einzufordern Es gilt zuzeigen dass sich der Film nicht nur zeitgleich mit der Psychoanalyseentwickelt sondern dass ihm mittels seiner technischen Praktiken
Entdeckungen gelingen welche gleichzeitig auch Freud in seiner Praxis
Vgl Jacques Ranciegravere Das aumlsthetische Unbewusste Zuumlrich Berlin Diaphanes 2006 S 1018
Soshana Felman laquoTo Open the Questionraquo in Yale French Studies 5556 1977 S 5ndash10 hier19
S 9ndash10
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machen wird Statt also Story und Figuren eines Films auf die Couch20
zu legen (wie es leider nach wie vor die meisten psychoanalytisch-inspirierten Filmlektuumlren tun) ergibt sich auf Ebene der Filmtechnik diefuumlr beide Seiten wirklich erhellende Korrespondenz zwischenPsychoanalyse und Kino Weniger in seinen Geschichten als vielmehr inseiner technischen Verfasstheit nimmt der Film ein psychoanalytischesDenken auf und vorweg So versteht sich auch die vorliegendeUntersuchung als weiterer Baustein einer noch zu vollendendenPsychoanalyse der Filmtechnik die unweigerlich auch eine Filmtechnik
der Psychoanalyse waumlre21
Dabei soll nicht nur gezeigt werde dass der Film in seinerInszenierung des Affekts immer schon dort war wo die psycho-analytische Theorie mit Lacan hinkommen wird sondern nochdaruumlberhinaus wie der Film in seiner Technik die psychoanalytischeKonzeption des Affekts praumlzisiert und erweitert Zeichnet sich fuumlrLacan der Affekt durch seine laquoVerrutschtheitraquo aus so nutzt umgekehrtder Film eben solche Verrutschungen der Repraumlsentation um dadurchAffekte der Figuren zeigen und zugleich auch im Zuschauer zugenerieren Affekt als immer schon gestoumlrter zeigt sich darum im Film
denn auch am uumlberzeugendsten da wo er als technische Stoumlrungauftaucht
Zu dieser laquoGleichzeitigkeitraquo von Film und Psychoanalyse und wie sich diese nicht nur auf eine20
historischen Koinzidenz beschraumlnkt sondern sich in analogen Entdeckungen zeigt gerade auch wasdie Auffassung von Zeit und Gleichzeitigkeit angeht siehe Johannes Binotto laquoJump Cut ZurChrono-Logik von Film und Psychoanalyseraquo in Christian Kiening Aleksandra Prica Benno Wirz(Hg) Wiederkehr und Verheiszligung Dynamiken der Medialitaumlt in der Zeitlichkeit Zuumlrich Chronos2011 S 253-268
Als weitere Bausteine dieses Projekts siehe Johannes Binotto laquoThere Are No Subbasements Zur21
Ober1047298aumlchlichkeit von Film Erinnerung und Unbewusstemraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg)Memoryscapes Filmformen der Erinnerung Zuumlrich-Berlin Diaphanes 2014 S 181-198 sowieDers laquoRuumlck-Sicht auf Darstellbarkeit Zur Aumlsthetik und Aussagekraft der Rear Projectionraquo inFilmbulletin 213 (2013) S 37ndash43 und Ders laquoHors-champ Vom psychoanalytischen Feld amRand des Filmsraquo in RISS Zeitschrift fuumlr Psychoanalyse 23 (7273 2009) S 77-96
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Sound-Defekte Hitchcock
Ein besonders eindruumlckliches Beispiel solch einer Affekt-Stoumlrung auf derEbene des Tons findet sich in Alfred Hitchcocks Blackmail von 1929Zunaumlchst als Stummfilm begonnen sah sich die Produktionsfirmaaufgrund des aufkommenden Tonfilms gezwungen den Film zumindestin Teilen als Tonfilm in die Kinos zu bringen Dabei ist besonders22
bemerkenswert auf welch originelle Art Hitchcock die neuen sich mitdem Ton eroumlffnenden Moumlglichkeit der Filmtechnik nutzen wird In einerSzene des Films sehen wir Alice die Protagonistin des Films mit ihrer
Familie am Fruumlhstuumlckstisch sitzen Die junge Frau ist zutiefst verstoumlrthat sie doch am Vortag einen zudringlichen Kuumlnstler in dessen Ateliererstochen um sich dessen Vergewaltigungsversuch zu erwehrenUumlberzeugt dass man ihr nicht glauben wuumlrde nur in Notwehr gehandeltzu haben hat Alice ihr schreckliches Geheimnis fuumlr sich behalten Dakommt noch waumlhrend des Fruumlhstuumlcks die geschwaumltzige Nachbarin dazuund beginnt laut uumlber den unaufgeklaumlrten Mord an dem Kuumlnstler imSpeziellen und uumlber Morde mit Messern im Allgemeinen zu lamentierenHitchcocks Kamera zeigt derweil die immer veraumlngstigter werdende
Alice in Groszligaufnahme das Geplapper aber der Nachbarin wirdallmaumlhlich immer dumpfer und schwieriger zu verstehen Einzig dasimmer wiederkehrende Wort laquokniferaquo (Messer) sticht noch aus demalsbald komplett unverstaumlndlich gewordenen Soundtrack heraus
Offensichtlich betreibt Hitchcock diese verbluumlffende Manipulationder Tonspur um Alices besonderen Affektzustand zu zeigen bzw houmlrbarzu machen Ihr obsessives Gedankenkreisen die unablaumlssigwiederkehrende Erinnerung an die schreckliche Tat macht sich akustischbemerkbar in einer Ausblendung aller anderen Woumlrter mit Ausnahme
In der Anfangszeit des Ton1047297lms war es durchaus uumlblich dass Filme nicht vollstaumlndig sondern nur22
in Teilen mit Ton ausgestattet waren Zu diesen sogenannten part-talkies zaumlhlte auch The JazzSinger von 1927 der gemeinhin als erster Ton1047297lm der Filmgeschichte gilt Zur Uumlbergangszeitzwischen Stumm- zum Ton1047297lm mit Fokus auf Hitchcocks Blackmail siehe John Belton laquoAwkwardTransitions Hitchcocks Blackmail and the Dynamics of Early Film Soundraquo in The MusicalQuarterly Vol 83 No 2 (Summer 1999) S 227-246
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jenes einen Signifikanten laquokniferaquo der fuumlr das Geschehene steht Der23
affektive Ausnahmezustand verschafft sich hier Gehoumlr als aus dem Lotgeratene TontechnikDieser brillante Einfall Hitchcocks ist umso bemerkenswerter
als er ihn bereits in seinem ersten Tonfilm entwickelt Statt wie24
man annehmen koumlnnte die Implementierung von Ton im Film alseinen Zuwachs an Naturalismus zu feiern nutzt Hitchcock dietechnische Innovation des Filmtons gerade nicht zu naturalistischensondern psychologischen Zwecken Hitchcock entspricht damit demgerade mal ein Jahr zuvor von Eisenstein Pudowkin und Alexandrow
veroumlffentlichten laquoManifest zum Tonfilmraquo in dem die Autoren dafuumlrplaumldieren den Filmton kontrapunktisch zum Bild und nicht als dessenbloszlige akustische Verdoppelung zu verwenden Entsprechend vermittelt25
auch der Ton in dieser Szene aus Blackmail keine objektive Realitaumlt alsvielmehr jenen laquoanderen Schauplatzraquo der Psyche wie er sich in derveraumlnderten Wahrnehmung der Protagonistin kundtut Zugleich laumlsst derFilmemacher dadurch den Zuschauer an dieser veraumlnderten Affektivitaumlt
Einem Hinweis Susanne Gottlobs folgend der ich an dieser Stelle Dank schulde lieszlige sich im23
Wort laquokniferaquo auch das (fast) homophone englische laquonaiveraquo houmlren Im Sinne eines uumlberdeter-minierten Verhoumlrers hinge am gehoumlrten laquoknifenaiveraquo nebem dem schlechten Gewissen wegen derbegangenen Toumltung demnach auch noch die Scham daruumlber sich so naiv auf die Avancen desVergewaltigers eingelassen zu haben Tatsaumlchlich handelt es sich dabei um ein zentrales Motiv beiHitchcock das besonders Eacuteric Rohmer und Claude Chabrol in ihrem Hitchcock-Buch betonthaben eine unschuldige Person wird faumllschlich eines Verbrechens verdaumlchtigt allmaumlhlich abererkennt die Figur dass sie tatsaumlchlich schuldig geworden war wenn auch weniger in einemjuristischen als vielmehr moralischen Sinne Vgl Eacuteric Rohmer Claude Chabrol Hitchcock [1957]Berlin Alexander Verlag 2013
Hitchcock wird spaumlter auf aumlhnliche komplexe Tonmanipulationen zuruumlckkommen am ein-24
druumlcklichsten in seinem spaumlten Film Frenzy von 1972 um einen Frauenmoumlrder in London Wenn
dort in einer Szene die Neben1047297gur Babs Milligan aus dem Pub tritt in dem sie als Kellneringearbeitet hat faumlllt fuumlr einen kurzen Moment der Filmton komplett aus ehe in dieser geradezuklaustrophobischen Stille die einzelne Stimme eines Bekannten aus dem Off zu houmlren ist der Babsfragt ob sie eine Unterkunft brauche Die derart auffaumlllig und irritierend praumlsentierte Stimme in derStille ist denn auch prompt die Stimme des Moumlrders Und auch spaumlter wenn der Moumlrder Babs zusich in seine Wohnung bringt und die Tuumlr hinter ihnen ins Schloss faumlllt wird der Filmton einerunnatuumlrlichen und bedruumlckenden buchstaumlblich toumldlichen Stille weichen waumlhrend sich die Kameraallmaumlhlich vom Schauplatz des Verbrechens zuruumlckzieht
Vgl Sergej M Eisenstein Wsewolod I Pudowkin Grigorij W Alexandrov laquoManifest zum25
Ton1047297lmraquo [1928] In Franz-Josef Albersmeier (Hg) Texte zur Theorie des Films Stuttgart Reclam1979 S 42-45
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der Figur partizipieren Nicht nur die Figur auch das Publikum houmlrt mit
anderen OhrenIm selben Zug aber ist diese von Figur und Betrachter geteilteWahrnehmungsstoumlrung auch einfach eine Stoumlrung der Filmtechnik derFilmton tut nicht wie er sollte Gerade das mit dem eben ersterfundenen Ton1047297lm noch unvertraute Publikum der spaumlten Zwanziger
Jahre duumlrfte darum besonders auf diese akustische Manipulationreagiert haben und es ist sehr wahrscheinlich dass viele die ploumltzlicheVeraumlnderung des Tons an dieser Stelle des Films zunaumlchst fuumlr einetechnische Stoumlrung waumlhrend der Vorfuumlhrung gehalten haben duumlrften
In eben diesem Uumlbergreifen aber von der Figur auf das Publikumund mithin auf das Medium selbst gelingt Hitchcock nicht nur einebesonders gegluumlckte Darstellung des Affektzustands einer Figursondern er liefert mit dieser Szene unter der Hand auch noch gleicheine avancierte Theorie des Affekts als technischem EffektDefekt DieKritik Michel Chions des groszligen Theoretikers des (Film-)Tons andiesem Experiment Hitchcocks und sein Vorwurf der Zuschaueremp1047297nde die Veraumlnderung des Tons in Blackmail bloszlig als technischesVerfahren nicht aber als subjektive Emp1047297ndung der Figur verpasst26
denn auch gerade dass in dieser beklagten Verschiebung dieeigentliche nicht zuletzt auch psychoanalytische Pointe dieser Szeneliegt So wie Lacan das Unbewusste nicht in einer subjektivenInnerlichkeit sondern als eine Extimitaumlt bestimmt und damit in27
aumluszligeren Phaumlnomen und im Diskurs des Anderen verortet ist auch bei28
Hitchcock der Affekt gerade nicht mehr bloss subjektive Emp1047297ndung
Vgl Michel Chion Audio-Vision Sound on Screen New York Columbia University Press 199426
S 181-182
Vgl Jacques Lacan Das Seminar Buch VII Die Ethik der Psychoanalyse Weinheim Quadriga27
1996 S 171 Zum Begriff der Extimitaumlt siehe auch Jacques-Alain Miller laquoExtimiteacuteraquo in MarkBracher (Hg) Lacanian Theory of Discourse Subject Structure and Society New York New YorkUniversity Press 1994 S 74ndash87
Jacques Lacan laquoDas Seminar uumlber EA Poes rsaquoDer entwendete Brieflsaquoraquo in Ders Schriften I 28
Weinheim Quadriga 1991 S 7ndash60 hier S 14
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von den Film1047297guren nicht wahrgenommen wird und bleibt zugleich
doch auch fuumlr alle Anwesenden houmlrbar So changiert die Mund-harmonika in Once Upon a Time in the West eigenartig zwischen denEbenen Als von auszligen kommender Klang werden die Toumlne im Verlaufder Szene mit der Mundharmonika des Namenlosen identi1047297ziert dochnur um diese Ruumlckfuumlhrung des Klangs auf eine Quelle innerhalb derDiegese sogleich wieder zu leugnen und den Klang sich ausbreiten zulassen zur nicht-diegetischen Filmmusik
laquoAcousmecirctreraquo so hat Michel Chion in seiner bahnbrechenden(nicht zuletzt auch an Lacans Uumlberlegungen zur Stimme angelehnten)
Studie La voix au cineacutema all jene geisterhaften Stimmen genannt diewir keinem Koumlrper innerhalb der 1047297lmischen Handlung zuordnenkoumlnnen und die gerade durch diese Autonomie und Losgeloumlstheit uumlberbesondere Macht zu verfuumlgen scheinen Merkwuumlrdig zwischen An-30
und Abwesenheit schwankend ist es laquoals wuumlrde die Stimme uumlber dieOber1047298aumlche wandern zugleich drinnen und drauszligen sich sehnend nacheinem Platz an dem sie sich niederlassen kann [hellip] weder drauszligennoch drinnen ndash das ist das Schicksal des bdquoacousmecirctreldquo im Kinoraquo Die31
Stimme der toten Mutter in Hitchcocks Psycho etwa ist solch ein
laquoacousmecirctreraquo und ein besonders paradigmatisches noch dazu weil dieStimme der Mutter ja ohnehin die akusmatische Stimme par excellencedarstellt jene Stimme die das noch ungeborene Kind zwar bereits imMutterleib houmlrt ihren Ursprung aber nicht sehen kann
Und natuumlrlich ist auch die Mundharmonika-Melodie aus Once
Upon a Time in the West ebenfalls eine laquoakusmatischeraquo Stimme undeine ganz besondere noch dazu auch wenn Chion Leones Film leidernur ganz am Rande erwaumlhnt Denn waumlhrend das laquoacousmecirctreraquo sichnormalerweise dadurch auszeichnet ohne Ursprungsort innerhalb des
diegetischen Raums zu sein stehen beim Klang der Mundharmonikaim Gegenteil zu viele Anknuumlpfungspunkte zur Verfuumlgung Wenn in derbesagten Szene die Mundharmonika erklingt zeigt die Kamera uns diezugleich erschrockenen wie auch in sich gekehrten Gesichter der
Vgl Michel Chion La voix au cineacutema Paris Editions de llsquoEtoile 1982 insb S 11-3330
Ebd S 2831
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verschiedenen Figuren so dass der Zuschauer unweigerlich raumltselt ob
sich dieser Klang nicht vielleicht im Kopf jedes einzelnen ereignet DerFilm laumlsst es offen ndash oder vielmehr er laumlsst Widersprechendes geltenDer Ton kommt aus einem radikalen Auszligen einem Jenseits derFilmhandlung und ist zugleich nur in der Wahrnehmung jedesEinzelnen praumlsent Die Mundharmonika spricht mit einer Stimme dieabsolut fremd und zugleich intim vertraut ist 32
Die zugleich aus dem uumlberall und nirgendwo hallendeMundharmonika erinnert dabei frappant an jenes im juumldischen Ritusverwendete Horn das Schofar welches Theodor Reik in seiner Studie
uumlber Das Ritual untersucht und welches Lacan in seinem Seminar33
uumlber die Angst als laquoexemplarische Formraquo der Stimme vorstellen wird34
Die Stimme bei Lacan macht sich bemerkbar als Objekt das man nichtbesitzt sondern das vielmehr umgekehrt von einem Besitz ergreift undentsprechend scheint auch die Stimme der Mundharmonika nicht ausdem namenlosen Helden sondern durch ihn und alle in seinerUmgebung hindurch zu gehen (Abb 2 links)
Lied Leid Atem
In seiner Beschreibung der laquoIrradiationraquo von Affekten erwaumlhnt EugenBleuler die Moumlglichkeit dass ein Affekt wie Trauer laquoan irgendeine an
Siehe dazu und zum Folgenden auch Mladen Dolar His Masterlsquos Voice Eine Theorie de Stimme32
Frankfurt a M Suhrkamp 2007
Vgl Theodor Reik Das Ritual Psychoanalytische Studien Leipzig Wien Zuumlrich Internatio-33
naler Psychoanalytischer Verlag 1928 S 206-330
Vgl Lacan Die Angst S 304-319 hier S 31234
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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im Tod zu Ende kommende Bewegung auszeichnet so erscheint der11
Affekt endguumlltig als durch andauernde Verlagerung charakterisiert Dalaquozielgehemmtraquo wie es Freud vom Trieb sagt muss auch der Affekt12
immer unterwegs bleiben Er ist Bewegtheit ndash nicht nur imuumlbertragenen sondern auch konkreten Sinne
hellip ist defekt
Affekt als im Bezug zu seiner Ursache immer schon auf Abwege
geratener Effekt kann fuumlr die Psychoanalyse somit auch nicht jenerMoment absoluter Selbstevidenz sein als der er offenbar von jenemnamenlosen Philosophen behauptet wird den Jacques Lacan in seinemVortrag laquoDie Wissenschaft und die Wahrheitraquo zitiert mit den WortenlaquoDie Wahrheit des Schmerzes ist der Schmerz selbstraquo13
Entgegen diesem Pathos einer laquounmittelbaren Wahrheitraquo desAffektiven als Erfuumlllung einer laquoSehnsucht nach dem UnmittelbarenDirekten Nicht-Mediatisierten Authentischen Objektivenraquo der aucheine Vielzahl der aktuellen Affekt-Diskurse umtreibt widerspricht fuumlr14
Lacan (wie auch fuumlr Freud) der Affekt gerade solchen Vorstellungeneines jeder Versprachlichung vorgaumlngigen Koumlrper-Seins Oder alsReplik auf den namenlosen Philosophen in Lacans Seminar formuliertDie Wahrheit des Affekts ist nicht er selbst sondern gerade sein Nicht-bei-sich-sein
Ich habe bei Gelegenheit zu sagen versucht was der Affekt nicht ist Erist nicht das in seiner Unmittelbarkeit gegebene Sein und auch nicht das
Gerade der Freudlsquosche Todestrieb ist wie Slavoj Žižek verschiedentlich insistiert hat nicht etwa11
ein Trieb zum Tode als vielmehr ein Trieb der keinen Tod kennt der noch uumlber den Todhinausgeht ins zombiehaft Untote Vgl Slavoj Žižek The Plague of Fantasies London Verso 1997S 89
Vgl Sigmund Freud laquoTriebe und Triebschicksaleraquo in Ders Gesammelte Werke Bd X 12
FrankfurtM Fischer S 209-232 hier S 215
Jacques Lacan laquoDie Wissenschaft und die Wahrheitraquo in Ders Schriften II Weinheim Quadriga13
1991 S 231-257 hier S 249
Marie-Luise Angerer Vom Begehren nach dem Affekt Zuumlrich Berlin Diaphanes 2007 S 9 Zur14
kritischen Bestandesaufnahme der aktuellen Affekt-Theorien siehe Ebd
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Subjekt in einer rohen Form [hellip] Umgekehrt habe ich uumlber den Affektgesagt dass er nicht verdraumlngt ist Dies sagt Freud genauso wie ich Er
ist aus seinen Vertaumluungen gerissen [deacutesarrimeacute ] er driftet ab Man1047297ndet ihn verschoben verruumlckt verkehrt und verwandelt wieder nurverdraumlngt ist er nicht Verdraumlngt sind die Signi1047297kanten die ihnvertaumluen 15
Der Affekt als aus seiner Vertaumluung gerissener Effekt ist immerdifferierend und mithin defekt in dem Sinne wie man in der Sprachedes Militaumlrs angesichts einer unerlaubten Entfernung von der Truppevon lsaquoDefektionrsaquo spricht Der Affekt welcher in den Worten von ColetteSoler von Repraumlsentation zu Repraumlsentation wandert ist nie wo er16
sein sollte Ein Wort wie Affektstoumlrung entpuppt sich somit auspsychoanalytischer Perspektive schlechterdings als Pleonasmus DerAffekt ist immer gestoumlrt Er passt nicht zu den Vorstellungen undRepraumlsentationen die ihn hervorrufen sondern erscheint immer undjedem Sinne unangebracht wie man lsaquodeacuteplaceacutersaquo das franzoumlsische Wortfuumlr lsaquoverschiebenrsaquo ja auch uumlbersetzen kann
Joan Copjec hat vorgeschlagen eben diese Deplatziertheit desAffekts im Bezug auf die Repraumlsentationen auf diese letztere selbst
zuruumlckzuwenden
While I began by wondering if Freudlsquos insistence that affect is alwaysdisplaced implied an out-of-phase relation between affect andrepresentation [hellip] this formulation suffers from an overly sharpseparation of the two terms a divison that antagonizes them Is notaffect rather [hellip] representationlsquos own essential lsaquoout-of-phasenessrsaquo withitself A marginal difference opens up separating the individualperception from itself ndash and it is this difference which is called affect 17
Diese af 1047297zierende laquoout-of-phasenessraquo der Repraumlsentation selbst ist esmithin was gerade das Medium des Films so besonders interessantmacht Denn es kann gezeigt werden wie sich auch hier Affekte gerade
Jacques Lacan Das Seminar Buch X Die Angst Wien Turia + Kant 2010 S 25 bzw Ders Le15
seacuteminaire livre X Llsquoangoisse Paris Seuil 2004 S 23
Vgl Colette Soler Les affects lacaniens Paris Presses Universitaires de France 2011 S 416
Joan Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo in Slavoj Žižek Lacan The Silent Partners17
London Verso 2006 S 90-114 hier S 94
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als Momente der laquoout-of-phasenessraquo bemerkbar machen als Wahr-
nehmungsstoumlrungen als Verrutschungen und Defekte der1047297lmischenTechnik selbst
Filmtechnik als Psychoanalyse und umgekehrt
Indes kann es hier nicht darum gehen den Film einfach zur bloszligenIllustration psychoanalytischer Affekt-Theorie zu degradieren JacquesRanciegravere hat uumlberzeugend argumentiert dass schon bei Freud dessen
zahlreiche Bezugnahmen auf die Literatur und die bildende Kunst nichtmissverstanden werden duumlrfen als bloszlige Exempel sondern dassvielmehr fuumlr Freud die Kunst und die Literatur eine laquoIdee desDenkensraquo bereitstellen auf deren Grundlage laquodas Freudrsquosche Denkendes Unbewusstenraquo uumlberhaupt erst moumlglich wird Und auch Shoshana18
Felman hat das Verhaumlltnis zwischen Psychoanalyse und Literatur alsdas einer gegenseitigen Implikation beschrieben
Literature is therefore not simply outside psychoanalysis since it
motivates and inhabits the very names of its concepts since it is theinherent reference by which psychoanalysis names its 1047297ndings [] Wewould like to suggest that in the same way that psychoanalysis pointsto the unconscious of literature literature in its turn is the unconsciousof psychoanalysis 19
Ist fuumlr Felman die Literatur das Unbewusste der Psychoanalyse istAnaloges mit Vehemenz auch fuumlr den Film einzufordern Es gilt zuzeigen dass sich der Film nicht nur zeitgleich mit der Psychoanalyseentwickelt sondern dass ihm mittels seiner technischen Praktiken
Entdeckungen gelingen welche gleichzeitig auch Freud in seiner Praxis
Vgl Jacques Ranciegravere Das aumlsthetische Unbewusste Zuumlrich Berlin Diaphanes 2006 S 1018
Soshana Felman laquoTo Open the Questionraquo in Yale French Studies 5556 1977 S 5ndash10 hier19
S 9ndash10
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machen wird Statt also Story und Figuren eines Films auf die Couch20
zu legen (wie es leider nach wie vor die meisten psychoanalytisch-inspirierten Filmlektuumlren tun) ergibt sich auf Ebene der Filmtechnik diefuumlr beide Seiten wirklich erhellende Korrespondenz zwischenPsychoanalyse und Kino Weniger in seinen Geschichten als vielmehr inseiner technischen Verfasstheit nimmt der Film ein psychoanalytischesDenken auf und vorweg So versteht sich auch die vorliegendeUntersuchung als weiterer Baustein einer noch zu vollendendenPsychoanalyse der Filmtechnik die unweigerlich auch eine Filmtechnik
der Psychoanalyse waumlre21
Dabei soll nicht nur gezeigt werde dass der Film in seinerInszenierung des Affekts immer schon dort war wo die psycho-analytische Theorie mit Lacan hinkommen wird sondern nochdaruumlberhinaus wie der Film in seiner Technik die psychoanalytischeKonzeption des Affekts praumlzisiert und erweitert Zeichnet sich fuumlrLacan der Affekt durch seine laquoVerrutschtheitraquo aus so nutzt umgekehrtder Film eben solche Verrutschungen der Repraumlsentation um dadurchAffekte der Figuren zeigen und zugleich auch im Zuschauer zugenerieren Affekt als immer schon gestoumlrter zeigt sich darum im Film
denn auch am uumlberzeugendsten da wo er als technische Stoumlrungauftaucht
Zu dieser laquoGleichzeitigkeitraquo von Film und Psychoanalyse und wie sich diese nicht nur auf eine20
historischen Koinzidenz beschraumlnkt sondern sich in analogen Entdeckungen zeigt gerade auch wasdie Auffassung von Zeit und Gleichzeitigkeit angeht siehe Johannes Binotto laquoJump Cut ZurChrono-Logik von Film und Psychoanalyseraquo in Christian Kiening Aleksandra Prica Benno Wirz(Hg) Wiederkehr und Verheiszligung Dynamiken der Medialitaumlt in der Zeitlichkeit Zuumlrich Chronos2011 S 253-268
Als weitere Bausteine dieses Projekts siehe Johannes Binotto laquoThere Are No Subbasements Zur21
Ober1047298aumlchlichkeit von Film Erinnerung und Unbewusstemraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg)Memoryscapes Filmformen der Erinnerung Zuumlrich-Berlin Diaphanes 2014 S 181-198 sowieDers laquoRuumlck-Sicht auf Darstellbarkeit Zur Aumlsthetik und Aussagekraft der Rear Projectionraquo inFilmbulletin 213 (2013) S 37ndash43 und Ders laquoHors-champ Vom psychoanalytischen Feld amRand des Filmsraquo in RISS Zeitschrift fuumlr Psychoanalyse 23 (7273 2009) S 77-96
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Sound-Defekte Hitchcock
Ein besonders eindruumlckliches Beispiel solch einer Affekt-Stoumlrung auf derEbene des Tons findet sich in Alfred Hitchcocks Blackmail von 1929Zunaumlchst als Stummfilm begonnen sah sich die Produktionsfirmaaufgrund des aufkommenden Tonfilms gezwungen den Film zumindestin Teilen als Tonfilm in die Kinos zu bringen Dabei ist besonders22
bemerkenswert auf welch originelle Art Hitchcock die neuen sich mitdem Ton eroumlffnenden Moumlglichkeit der Filmtechnik nutzen wird In einerSzene des Films sehen wir Alice die Protagonistin des Films mit ihrer
Familie am Fruumlhstuumlckstisch sitzen Die junge Frau ist zutiefst verstoumlrthat sie doch am Vortag einen zudringlichen Kuumlnstler in dessen Ateliererstochen um sich dessen Vergewaltigungsversuch zu erwehrenUumlberzeugt dass man ihr nicht glauben wuumlrde nur in Notwehr gehandeltzu haben hat Alice ihr schreckliches Geheimnis fuumlr sich behalten Dakommt noch waumlhrend des Fruumlhstuumlcks die geschwaumltzige Nachbarin dazuund beginnt laut uumlber den unaufgeklaumlrten Mord an dem Kuumlnstler imSpeziellen und uumlber Morde mit Messern im Allgemeinen zu lamentierenHitchcocks Kamera zeigt derweil die immer veraumlngstigter werdende
Alice in Groszligaufnahme das Geplapper aber der Nachbarin wirdallmaumlhlich immer dumpfer und schwieriger zu verstehen Einzig dasimmer wiederkehrende Wort laquokniferaquo (Messer) sticht noch aus demalsbald komplett unverstaumlndlich gewordenen Soundtrack heraus
Offensichtlich betreibt Hitchcock diese verbluumlffende Manipulationder Tonspur um Alices besonderen Affektzustand zu zeigen bzw houmlrbarzu machen Ihr obsessives Gedankenkreisen die unablaumlssigwiederkehrende Erinnerung an die schreckliche Tat macht sich akustischbemerkbar in einer Ausblendung aller anderen Woumlrter mit Ausnahme
In der Anfangszeit des Ton1047297lms war es durchaus uumlblich dass Filme nicht vollstaumlndig sondern nur22
in Teilen mit Ton ausgestattet waren Zu diesen sogenannten part-talkies zaumlhlte auch The JazzSinger von 1927 der gemeinhin als erster Ton1047297lm der Filmgeschichte gilt Zur Uumlbergangszeitzwischen Stumm- zum Ton1047297lm mit Fokus auf Hitchcocks Blackmail siehe John Belton laquoAwkwardTransitions Hitchcocks Blackmail and the Dynamics of Early Film Soundraquo in The MusicalQuarterly Vol 83 No 2 (Summer 1999) S 227-246
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jenes einen Signifikanten laquokniferaquo der fuumlr das Geschehene steht Der23
affektive Ausnahmezustand verschafft sich hier Gehoumlr als aus dem Lotgeratene TontechnikDieser brillante Einfall Hitchcocks ist umso bemerkenswerter
als er ihn bereits in seinem ersten Tonfilm entwickelt Statt wie24
man annehmen koumlnnte die Implementierung von Ton im Film alseinen Zuwachs an Naturalismus zu feiern nutzt Hitchcock dietechnische Innovation des Filmtons gerade nicht zu naturalistischensondern psychologischen Zwecken Hitchcock entspricht damit demgerade mal ein Jahr zuvor von Eisenstein Pudowkin und Alexandrow
veroumlffentlichten laquoManifest zum Tonfilmraquo in dem die Autoren dafuumlrplaumldieren den Filmton kontrapunktisch zum Bild und nicht als dessenbloszlige akustische Verdoppelung zu verwenden Entsprechend vermittelt25
auch der Ton in dieser Szene aus Blackmail keine objektive Realitaumlt alsvielmehr jenen laquoanderen Schauplatzraquo der Psyche wie er sich in derveraumlnderten Wahrnehmung der Protagonistin kundtut Zugleich laumlsst derFilmemacher dadurch den Zuschauer an dieser veraumlnderten Affektivitaumlt
Einem Hinweis Susanne Gottlobs folgend der ich an dieser Stelle Dank schulde lieszlige sich im23
Wort laquokniferaquo auch das (fast) homophone englische laquonaiveraquo houmlren Im Sinne eines uumlberdeter-minierten Verhoumlrers hinge am gehoumlrten laquoknifenaiveraquo nebem dem schlechten Gewissen wegen derbegangenen Toumltung demnach auch noch die Scham daruumlber sich so naiv auf die Avancen desVergewaltigers eingelassen zu haben Tatsaumlchlich handelt es sich dabei um ein zentrales Motiv beiHitchcock das besonders Eacuteric Rohmer und Claude Chabrol in ihrem Hitchcock-Buch betonthaben eine unschuldige Person wird faumllschlich eines Verbrechens verdaumlchtigt allmaumlhlich abererkennt die Figur dass sie tatsaumlchlich schuldig geworden war wenn auch weniger in einemjuristischen als vielmehr moralischen Sinne Vgl Eacuteric Rohmer Claude Chabrol Hitchcock [1957]Berlin Alexander Verlag 2013
Hitchcock wird spaumlter auf aumlhnliche komplexe Tonmanipulationen zuruumlckkommen am ein-24
druumlcklichsten in seinem spaumlten Film Frenzy von 1972 um einen Frauenmoumlrder in London Wenn
dort in einer Szene die Neben1047297gur Babs Milligan aus dem Pub tritt in dem sie als Kellneringearbeitet hat faumlllt fuumlr einen kurzen Moment der Filmton komplett aus ehe in dieser geradezuklaustrophobischen Stille die einzelne Stimme eines Bekannten aus dem Off zu houmlren ist der Babsfragt ob sie eine Unterkunft brauche Die derart auffaumlllig und irritierend praumlsentierte Stimme in derStille ist denn auch prompt die Stimme des Moumlrders Und auch spaumlter wenn der Moumlrder Babs zusich in seine Wohnung bringt und die Tuumlr hinter ihnen ins Schloss faumlllt wird der Filmton einerunnatuumlrlichen und bedruumlckenden buchstaumlblich toumldlichen Stille weichen waumlhrend sich die Kameraallmaumlhlich vom Schauplatz des Verbrechens zuruumlckzieht
Vgl Sergej M Eisenstein Wsewolod I Pudowkin Grigorij W Alexandrov laquoManifest zum25
Ton1047297lmraquo [1928] In Franz-Josef Albersmeier (Hg) Texte zur Theorie des Films Stuttgart Reclam1979 S 42-45
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der Figur partizipieren Nicht nur die Figur auch das Publikum houmlrt mit
anderen OhrenIm selben Zug aber ist diese von Figur und Betrachter geteilteWahrnehmungsstoumlrung auch einfach eine Stoumlrung der Filmtechnik derFilmton tut nicht wie er sollte Gerade das mit dem eben ersterfundenen Ton1047297lm noch unvertraute Publikum der spaumlten Zwanziger
Jahre duumlrfte darum besonders auf diese akustische Manipulationreagiert haben und es ist sehr wahrscheinlich dass viele die ploumltzlicheVeraumlnderung des Tons an dieser Stelle des Films zunaumlchst fuumlr einetechnische Stoumlrung waumlhrend der Vorfuumlhrung gehalten haben duumlrften
In eben diesem Uumlbergreifen aber von der Figur auf das Publikumund mithin auf das Medium selbst gelingt Hitchcock nicht nur einebesonders gegluumlckte Darstellung des Affektzustands einer Figursondern er liefert mit dieser Szene unter der Hand auch noch gleicheine avancierte Theorie des Affekts als technischem EffektDefekt DieKritik Michel Chions des groszligen Theoretikers des (Film-)Tons andiesem Experiment Hitchcocks und sein Vorwurf der Zuschaueremp1047297nde die Veraumlnderung des Tons in Blackmail bloszlig als technischesVerfahren nicht aber als subjektive Emp1047297ndung der Figur verpasst26
denn auch gerade dass in dieser beklagten Verschiebung dieeigentliche nicht zuletzt auch psychoanalytische Pointe dieser Szeneliegt So wie Lacan das Unbewusste nicht in einer subjektivenInnerlichkeit sondern als eine Extimitaumlt bestimmt und damit in27
aumluszligeren Phaumlnomen und im Diskurs des Anderen verortet ist auch bei28
Hitchcock der Affekt gerade nicht mehr bloss subjektive Emp1047297ndung
Vgl Michel Chion Audio-Vision Sound on Screen New York Columbia University Press 199426
S 181-182
Vgl Jacques Lacan Das Seminar Buch VII Die Ethik der Psychoanalyse Weinheim Quadriga27
1996 S 171 Zum Begriff der Extimitaumlt siehe auch Jacques-Alain Miller laquoExtimiteacuteraquo in MarkBracher (Hg) Lacanian Theory of Discourse Subject Structure and Society New York New YorkUniversity Press 1994 S 74ndash87
Jacques Lacan laquoDas Seminar uumlber EA Poes rsaquoDer entwendete Brieflsaquoraquo in Ders Schriften I 28
Weinheim Quadriga 1991 S 7ndash60 hier S 14
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von den Film1047297guren nicht wahrgenommen wird und bleibt zugleich
doch auch fuumlr alle Anwesenden houmlrbar So changiert die Mund-harmonika in Once Upon a Time in the West eigenartig zwischen denEbenen Als von auszligen kommender Klang werden die Toumlne im Verlaufder Szene mit der Mundharmonika des Namenlosen identi1047297ziert dochnur um diese Ruumlckfuumlhrung des Klangs auf eine Quelle innerhalb derDiegese sogleich wieder zu leugnen und den Klang sich ausbreiten zulassen zur nicht-diegetischen Filmmusik
laquoAcousmecirctreraquo so hat Michel Chion in seiner bahnbrechenden(nicht zuletzt auch an Lacans Uumlberlegungen zur Stimme angelehnten)
Studie La voix au cineacutema all jene geisterhaften Stimmen genannt diewir keinem Koumlrper innerhalb der 1047297lmischen Handlung zuordnenkoumlnnen und die gerade durch diese Autonomie und Losgeloumlstheit uumlberbesondere Macht zu verfuumlgen scheinen Merkwuumlrdig zwischen An-30
und Abwesenheit schwankend ist es laquoals wuumlrde die Stimme uumlber dieOber1047298aumlche wandern zugleich drinnen und drauszligen sich sehnend nacheinem Platz an dem sie sich niederlassen kann [hellip] weder drauszligennoch drinnen ndash das ist das Schicksal des bdquoacousmecirctreldquo im Kinoraquo Die31
Stimme der toten Mutter in Hitchcocks Psycho etwa ist solch ein
laquoacousmecirctreraquo und ein besonders paradigmatisches noch dazu weil dieStimme der Mutter ja ohnehin die akusmatische Stimme par excellencedarstellt jene Stimme die das noch ungeborene Kind zwar bereits imMutterleib houmlrt ihren Ursprung aber nicht sehen kann
Und natuumlrlich ist auch die Mundharmonika-Melodie aus Once
Upon a Time in the West ebenfalls eine laquoakusmatischeraquo Stimme undeine ganz besondere noch dazu auch wenn Chion Leones Film leidernur ganz am Rande erwaumlhnt Denn waumlhrend das laquoacousmecirctreraquo sichnormalerweise dadurch auszeichnet ohne Ursprungsort innerhalb des
diegetischen Raums zu sein stehen beim Klang der Mundharmonikaim Gegenteil zu viele Anknuumlpfungspunkte zur Verfuumlgung Wenn in derbesagten Szene die Mundharmonika erklingt zeigt die Kamera uns diezugleich erschrockenen wie auch in sich gekehrten Gesichter der
Vgl Michel Chion La voix au cineacutema Paris Editions de llsquoEtoile 1982 insb S 11-3330
Ebd S 2831
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verschiedenen Figuren so dass der Zuschauer unweigerlich raumltselt ob
sich dieser Klang nicht vielleicht im Kopf jedes einzelnen ereignet DerFilm laumlsst es offen ndash oder vielmehr er laumlsst Widersprechendes geltenDer Ton kommt aus einem radikalen Auszligen einem Jenseits derFilmhandlung und ist zugleich nur in der Wahrnehmung jedesEinzelnen praumlsent Die Mundharmonika spricht mit einer Stimme dieabsolut fremd und zugleich intim vertraut ist 32
Die zugleich aus dem uumlberall und nirgendwo hallendeMundharmonika erinnert dabei frappant an jenes im juumldischen Ritusverwendete Horn das Schofar welches Theodor Reik in seiner Studie
uumlber Das Ritual untersucht und welches Lacan in seinem Seminar33
uumlber die Angst als laquoexemplarische Formraquo der Stimme vorstellen wird34
Die Stimme bei Lacan macht sich bemerkbar als Objekt das man nichtbesitzt sondern das vielmehr umgekehrt von einem Besitz ergreift undentsprechend scheint auch die Stimme der Mundharmonika nicht ausdem namenlosen Helden sondern durch ihn und alle in seinerUmgebung hindurch zu gehen (Abb 2 links)
Lied Leid Atem
In seiner Beschreibung der laquoIrradiationraquo von Affekten erwaumlhnt EugenBleuler die Moumlglichkeit dass ein Affekt wie Trauer laquoan irgendeine an
Siehe dazu und zum Folgenden auch Mladen Dolar His Masterlsquos Voice Eine Theorie de Stimme32
Frankfurt a M Suhrkamp 2007
Vgl Theodor Reik Das Ritual Psychoanalytische Studien Leipzig Wien Zuumlrich Internatio-33
naler Psychoanalytischer Verlag 1928 S 206-330
Vgl Lacan Die Angst S 304-319 hier S 31234
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
1612015)
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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Subjekt in einer rohen Form [hellip] Umgekehrt habe ich uumlber den Affektgesagt dass er nicht verdraumlngt ist Dies sagt Freud genauso wie ich Er
ist aus seinen Vertaumluungen gerissen [deacutesarrimeacute ] er driftet ab Man1047297ndet ihn verschoben verruumlckt verkehrt und verwandelt wieder nurverdraumlngt ist er nicht Verdraumlngt sind die Signi1047297kanten die ihnvertaumluen 15
Der Affekt als aus seiner Vertaumluung gerissener Effekt ist immerdifferierend und mithin defekt in dem Sinne wie man in der Sprachedes Militaumlrs angesichts einer unerlaubten Entfernung von der Truppevon lsaquoDefektionrsaquo spricht Der Affekt welcher in den Worten von ColetteSoler von Repraumlsentation zu Repraumlsentation wandert ist nie wo er16
sein sollte Ein Wort wie Affektstoumlrung entpuppt sich somit auspsychoanalytischer Perspektive schlechterdings als Pleonasmus DerAffekt ist immer gestoumlrt Er passt nicht zu den Vorstellungen undRepraumlsentationen die ihn hervorrufen sondern erscheint immer undjedem Sinne unangebracht wie man lsaquodeacuteplaceacutersaquo das franzoumlsische Wortfuumlr lsaquoverschiebenrsaquo ja auch uumlbersetzen kann
Joan Copjec hat vorgeschlagen eben diese Deplatziertheit desAffekts im Bezug auf die Repraumlsentationen auf diese letztere selbst
zuruumlckzuwenden
While I began by wondering if Freudlsquos insistence that affect is alwaysdisplaced implied an out-of-phase relation between affect andrepresentation [hellip] this formulation suffers from an overly sharpseparation of the two terms a divison that antagonizes them Is notaffect rather [hellip] representationlsquos own essential lsaquoout-of-phasenessrsaquo withitself A marginal difference opens up separating the individualperception from itself ndash and it is this difference which is called affect 17
Diese af 1047297zierende laquoout-of-phasenessraquo der Repraumlsentation selbst ist esmithin was gerade das Medium des Films so besonders interessantmacht Denn es kann gezeigt werden wie sich auch hier Affekte gerade
Jacques Lacan Das Seminar Buch X Die Angst Wien Turia + Kant 2010 S 25 bzw Ders Le15
seacuteminaire livre X Llsquoangoisse Paris Seuil 2004 S 23
Vgl Colette Soler Les affects lacaniens Paris Presses Universitaires de France 2011 S 416
Joan Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo in Slavoj Žižek Lacan The Silent Partners17
London Verso 2006 S 90-114 hier S 94
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als Momente der laquoout-of-phasenessraquo bemerkbar machen als Wahr-
nehmungsstoumlrungen als Verrutschungen und Defekte der1047297lmischenTechnik selbst
Filmtechnik als Psychoanalyse und umgekehrt
Indes kann es hier nicht darum gehen den Film einfach zur bloszligenIllustration psychoanalytischer Affekt-Theorie zu degradieren JacquesRanciegravere hat uumlberzeugend argumentiert dass schon bei Freud dessen
zahlreiche Bezugnahmen auf die Literatur und die bildende Kunst nichtmissverstanden werden duumlrfen als bloszlige Exempel sondern dassvielmehr fuumlr Freud die Kunst und die Literatur eine laquoIdee desDenkensraquo bereitstellen auf deren Grundlage laquodas Freudrsquosche Denkendes Unbewusstenraquo uumlberhaupt erst moumlglich wird Und auch Shoshana18
Felman hat das Verhaumlltnis zwischen Psychoanalyse und Literatur alsdas einer gegenseitigen Implikation beschrieben
Literature is therefore not simply outside psychoanalysis since it
motivates and inhabits the very names of its concepts since it is theinherent reference by which psychoanalysis names its 1047297ndings [] Wewould like to suggest that in the same way that psychoanalysis pointsto the unconscious of literature literature in its turn is the unconsciousof psychoanalysis 19
Ist fuumlr Felman die Literatur das Unbewusste der Psychoanalyse istAnaloges mit Vehemenz auch fuumlr den Film einzufordern Es gilt zuzeigen dass sich der Film nicht nur zeitgleich mit der Psychoanalyseentwickelt sondern dass ihm mittels seiner technischen Praktiken
Entdeckungen gelingen welche gleichzeitig auch Freud in seiner Praxis
Vgl Jacques Ranciegravere Das aumlsthetische Unbewusste Zuumlrich Berlin Diaphanes 2006 S 1018
Soshana Felman laquoTo Open the Questionraquo in Yale French Studies 5556 1977 S 5ndash10 hier19
S 9ndash10
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machen wird Statt also Story und Figuren eines Films auf die Couch20
zu legen (wie es leider nach wie vor die meisten psychoanalytisch-inspirierten Filmlektuumlren tun) ergibt sich auf Ebene der Filmtechnik diefuumlr beide Seiten wirklich erhellende Korrespondenz zwischenPsychoanalyse und Kino Weniger in seinen Geschichten als vielmehr inseiner technischen Verfasstheit nimmt der Film ein psychoanalytischesDenken auf und vorweg So versteht sich auch die vorliegendeUntersuchung als weiterer Baustein einer noch zu vollendendenPsychoanalyse der Filmtechnik die unweigerlich auch eine Filmtechnik
der Psychoanalyse waumlre21
Dabei soll nicht nur gezeigt werde dass der Film in seinerInszenierung des Affekts immer schon dort war wo die psycho-analytische Theorie mit Lacan hinkommen wird sondern nochdaruumlberhinaus wie der Film in seiner Technik die psychoanalytischeKonzeption des Affekts praumlzisiert und erweitert Zeichnet sich fuumlrLacan der Affekt durch seine laquoVerrutschtheitraquo aus so nutzt umgekehrtder Film eben solche Verrutschungen der Repraumlsentation um dadurchAffekte der Figuren zeigen und zugleich auch im Zuschauer zugenerieren Affekt als immer schon gestoumlrter zeigt sich darum im Film
denn auch am uumlberzeugendsten da wo er als technische Stoumlrungauftaucht
Zu dieser laquoGleichzeitigkeitraquo von Film und Psychoanalyse und wie sich diese nicht nur auf eine20
historischen Koinzidenz beschraumlnkt sondern sich in analogen Entdeckungen zeigt gerade auch wasdie Auffassung von Zeit und Gleichzeitigkeit angeht siehe Johannes Binotto laquoJump Cut ZurChrono-Logik von Film und Psychoanalyseraquo in Christian Kiening Aleksandra Prica Benno Wirz(Hg) Wiederkehr und Verheiszligung Dynamiken der Medialitaumlt in der Zeitlichkeit Zuumlrich Chronos2011 S 253-268
Als weitere Bausteine dieses Projekts siehe Johannes Binotto laquoThere Are No Subbasements Zur21
Ober1047298aumlchlichkeit von Film Erinnerung und Unbewusstemraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg)Memoryscapes Filmformen der Erinnerung Zuumlrich-Berlin Diaphanes 2014 S 181-198 sowieDers laquoRuumlck-Sicht auf Darstellbarkeit Zur Aumlsthetik und Aussagekraft der Rear Projectionraquo inFilmbulletin 213 (2013) S 37ndash43 und Ders laquoHors-champ Vom psychoanalytischen Feld amRand des Filmsraquo in RISS Zeitschrift fuumlr Psychoanalyse 23 (7273 2009) S 77-96
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Sound-Defekte Hitchcock
Ein besonders eindruumlckliches Beispiel solch einer Affekt-Stoumlrung auf derEbene des Tons findet sich in Alfred Hitchcocks Blackmail von 1929Zunaumlchst als Stummfilm begonnen sah sich die Produktionsfirmaaufgrund des aufkommenden Tonfilms gezwungen den Film zumindestin Teilen als Tonfilm in die Kinos zu bringen Dabei ist besonders22
bemerkenswert auf welch originelle Art Hitchcock die neuen sich mitdem Ton eroumlffnenden Moumlglichkeit der Filmtechnik nutzen wird In einerSzene des Films sehen wir Alice die Protagonistin des Films mit ihrer
Familie am Fruumlhstuumlckstisch sitzen Die junge Frau ist zutiefst verstoumlrthat sie doch am Vortag einen zudringlichen Kuumlnstler in dessen Ateliererstochen um sich dessen Vergewaltigungsversuch zu erwehrenUumlberzeugt dass man ihr nicht glauben wuumlrde nur in Notwehr gehandeltzu haben hat Alice ihr schreckliches Geheimnis fuumlr sich behalten Dakommt noch waumlhrend des Fruumlhstuumlcks die geschwaumltzige Nachbarin dazuund beginnt laut uumlber den unaufgeklaumlrten Mord an dem Kuumlnstler imSpeziellen und uumlber Morde mit Messern im Allgemeinen zu lamentierenHitchcocks Kamera zeigt derweil die immer veraumlngstigter werdende
Alice in Groszligaufnahme das Geplapper aber der Nachbarin wirdallmaumlhlich immer dumpfer und schwieriger zu verstehen Einzig dasimmer wiederkehrende Wort laquokniferaquo (Messer) sticht noch aus demalsbald komplett unverstaumlndlich gewordenen Soundtrack heraus
Offensichtlich betreibt Hitchcock diese verbluumlffende Manipulationder Tonspur um Alices besonderen Affektzustand zu zeigen bzw houmlrbarzu machen Ihr obsessives Gedankenkreisen die unablaumlssigwiederkehrende Erinnerung an die schreckliche Tat macht sich akustischbemerkbar in einer Ausblendung aller anderen Woumlrter mit Ausnahme
In der Anfangszeit des Ton1047297lms war es durchaus uumlblich dass Filme nicht vollstaumlndig sondern nur22
in Teilen mit Ton ausgestattet waren Zu diesen sogenannten part-talkies zaumlhlte auch The JazzSinger von 1927 der gemeinhin als erster Ton1047297lm der Filmgeschichte gilt Zur Uumlbergangszeitzwischen Stumm- zum Ton1047297lm mit Fokus auf Hitchcocks Blackmail siehe John Belton laquoAwkwardTransitions Hitchcocks Blackmail and the Dynamics of Early Film Soundraquo in The MusicalQuarterly Vol 83 No 2 (Summer 1999) S 227-246
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jenes einen Signifikanten laquokniferaquo der fuumlr das Geschehene steht Der23
affektive Ausnahmezustand verschafft sich hier Gehoumlr als aus dem Lotgeratene TontechnikDieser brillante Einfall Hitchcocks ist umso bemerkenswerter
als er ihn bereits in seinem ersten Tonfilm entwickelt Statt wie24
man annehmen koumlnnte die Implementierung von Ton im Film alseinen Zuwachs an Naturalismus zu feiern nutzt Hitchcock dietechnische Innovation des Filmtons gerade nicht zu naturalistischensondern psychologischen Zwecken Hitchcock entspricht damit demgerade mal ein Jahr zuvor von Eisenstein Pudowkin und Alexandrow
veroumlffentlichten laquoManifest zum Tonfilmraquo in dem die Autoren dafuumlrplaumldieren den Filmton kontrapunktisch zum Bild und nicht als dessenbloszlige akustische Verdoppelung zu verwenden Entsprechend vermittelt25
auch der Ton in dieser Szene aus Blackmail keine objektive Realitaumlt alsvielmehr jenen laquoanderen Schauplatzraquo der Psyche wie er sich in derveraumlnderten Wahrnehmung der Protagonistin kundtut Zugleich laumlsst derFilmemacher dadurch den Zuschauer an dieser veraumlnderten Affektivitaumlt
Einem Hinweis Susanne Gottlobs folgend der ich an dieser Stelle Dank schulde lieszlige sich im23
Wort laquokniferaquo auch das (fast) homophone englische laquonaiveraquo houmlren Im Sinne eines uumlberdeter-minierten Verhoumlrers hinge am gehoumlrten laquoknifenaiveraquo nebem dem schlechten Gewissen wegen derbegangenen Toumltung demnach auch noch die Scham daruumlber sich so naiv auf die Avancen desVergewaltigers eingelassen zu haben Tatsaumlchlich handelt es sich dabei um ein zentrales Motiv beiHitchcock das besonders Eacuteric Rohmer und Claude Chabrol in ihrem Hitchcock-Buch betonthaben eine unschuldige Person wird faumllschlich eines Verbrechens verdaumlchtigt allmaumlhlich abererkennt die Figur dass sie tatsaumlchlich schuldig geworden war wenn auch weniger in einemjuristischen als vielmehr moralischen Sinne Vgl Eacuteric Rohmer Claude Chabrol Hitchcock [1957]Berlin Alexander Verlag 2013
Hitchcock wird spaumlter auf aumlhnliche komplexe Tonmanipulationen zuruumlckkommen am ein-24
druumlcklichsten in seinem spaumlten Film Frenzy von 1972 um einen Frauenmoumlrder in London Wenn
dort in einer Szene die Neben1047297gur Babs Milligan aus dem Pub tritt in dem sie als Kellneringearbeitet hat faumlllt fuumlr einen kurzen Moment der Filmton komplett aus ehe in dieser geradezuklaustrophobischen Stille die einzelne Stimme eines Bekannten aus dem Off zu houmlren ist der Babsfragt ob sie eine Unterkunft brauche Die derart auffaumlllig und irritierend praumlsentierte Stimme in derStille ist denn auch prompt die Stimme des Moumlrders Und auch spaumlter wenn der Moumlrder Babs zusich in seine Wohnung bringt und die Tuumlr hinter ihnen ins Schloss faumlllt wird der Filmton einerunnatuumlrlichen und bedruumlckenden buchstaumlblich toumldlichen Stille weichen waumlhrend sich die Kameraallmaumlhlich vom Schauplatz des Verbrechens zuruumlckzieht
Vgl Sergej M Eisenstein Wsewolod I Pudowkin Grigorij W Alexandrov laquoManifest zum25
Ton1047297lmraquo [1928] In Franz-Josef Albersmeier (Hg) Texte zur Theorie des Films Stuttgart Reclam1979 S 42-45
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der Figur partizipieren Nicht nur die Figur auch das Publikum houmlrt mit
anderen OhrenIm selben Zug aber ist diese von Figur und Betrachter geteilteWahrnehmungsstoumlrung auch einfach eine Stoumlrung der Filmtechnik derFilmton tut nicht wie er sollte Gerade das mit dem eben ersterfundenen Ton1047297lm noch unvertraute Publikum der spaumlten Zwanziger
Jahre duumlrfte darum besonders auf diese akustische Manipulationreagiert haben und es ist sehr wahrscheinlich dass viele die ploumltzlicheVeraumlnderung des Tons an dieser Stelle des Films zunaumlchst fuumlr einetechnische Stoumlrung waumlhrend der Vorfuumlhrung gehalten haben duumlrften
In eben diesem Uumlbergreifen aber von der Figur auf das Publikumund mithin auf das Medium selbst gelingt Hitchcock nicht nur einebesonders gegluumlckte Darstellung des Affektzustands einer Figursondern er liefert mit dieser Szene unter der Hand auch noch gleicheine avancierte Theorie des Affekts als technischem EffektDefekt DieKritik Michel Chions des groszligen Theoretikers des (Film-)Tons andiesem Experiment Hitchcocks und sein Vorwurf der Zuschaueremp1047297nde die Veraumlnderung des Tons in Blackmail bloszlig als technischesVerfahren nicht aber als subjektive Emp1047297ndung der Figur verpasst26
denn auch gerade dass in dieser beklagten Verschiebung dieeigentliche nicht zuletzt auch psychoanalytische Pointe dieser Szeneliegt So wie Lacan das Unbewusste nicht in einer subjektivenInnerlichkeit sondern als eine Extimitaumlt bestimmt und damit in27
aumluszligeren Phaumlnomen und im Diskurs des Anderen verortet ist auch bei28
Hitchcock der Affekt gerade nicht mehr bloss subjektive Emp1047297ndung
Vgl Michel Chion Audio-Vision Sound on Screen New York Columbia University Press 199426
S 181-182
Vgl Jacques Lacan Das Seminar Buch VII Die Ethik der Psychoanalyse Weinheim Quadriga27
1996 S 171 Zum Begriff der Extimitaumlt siehe auch Jacques-Alain Miller laquoExtimiteacuteraquo in MarkBracher (Hg) Lacanian Theory of Discourse Subject Structure and Society New York New YorkUniversity Press 1994 S 74ndash87
Jacques Lacan laquoDas Seminar uumlber EA Poes rsaquoDer entwendete Brieflsaquoraquo in Ders Schriften I 28
Weinheim Quadriga 1991 S 7ndash60 hier S 14
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von den Film1047297guren nicht wahrgenommen wird und bleibt zugleich
doch auch fuumlr alle Anwesenden houmlrbar So changiert die Mund-harmonika in Once Upon a Time in the West eigenartig zwischen denEbenen Als von auszligen kommender Klang werden die Toumlne im Verlaufder Szene mit der Mundharmonika des Namenlosen identi1047297ziert dochnur um diese Ruumlckfuumlhrung des Klangs auf eine Quelle innerhalb derDiegese sogleich wieder zu leugnen und den Klang sich ausbreiten zulassen zur nicht-diegetischen Filmmusik
laquoAcousmecirctreraquo so hat Michel Chion in seiner bahnbrechenden(nicht zuletzt auch an Lacans Uumlberlegungen zur Stimme angelehnten)
Studie La voix au cineacutema all jene geisterhaften Stimmen genannt diewir keinem Koumlrper innerhalb der 1047297lmischen Handlung zuordnenkoumlnnen und die gerade durch diese Autonomie und Losgeloumlstheit uumlberbesondere Macht zu verfuumlgen scheinen Merkwuumlrdig zwischen An-30
und Abwesenheit schwankend ist es laquoals wuumlrde die Stimme uumlber dieOber1047298aumlche wandern zugleich drinnen und drauszligen sich sehnend nacheinem Platz an dem sie sich niederlassen kann [hellip] weder drauszligennoch drinnen ndash das ist das Schicksal des bdquoacousmecirctreldquo im Kinoraquo Die31
Stimme der toten Mutter in Hitchcocks Psycho etwa ist solch ein
laquoacousmecirctreraquo und ein besonders paradigmatisches noch dazu weil dieStimme der Mutter ja ohnehin die akusmatische Stimme par excellencedarstellt jene Stimme die das noch ungeborene Kind zwar bereits imMutterleib houmlrt ihren Ursprung aber nicht sehen kann
Und natuumlrlich ist auch die Mundharmonika-Melodie aus Once
Upon a Time in the West ebenfalls eine laquoakusmatischeraquo Stimme undeine ganz besondere noch dazu auch wenn Chion Leones Film leidernur ganz am Rande erwaumlhnt Denn waumlhrend das laquoacousmecirctreraquo sichnormalerweise dadurch auszeichnet ohne Ursprungsort innerhalb des
diegetischen Raums zu sein stehen beim Klang der Mundharmonikaim Gegenteil zu viele Anknuumlpfungspunkte zur Verfuumlgung Wenn in derbesagten Szene die Mundharmonika erklingt zeigt die Kamera uns diezugleich erschrockenen wie auch in sich gekehrten Gesichter der
Vgl Michel Chion La voix au cineacutema Paris Editions de llsquoEtoile 1982 insb S 11-3330
Ebd S 2831
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verschiedenen Figuren so dass der Zuschauer unweigerlich raumltselt ob
sich dieser Klang nicht vielleicht im Kopf jedes einzelnen ereignet DerFilm laumlsst es offen ndash oder vielmehr er laumlsst Widersprechendes geltenDer Ton kommt aus einem radikalen Auszligen einem Jenseits derFilmhandlung und ist zugleich nur in der Wahrnehmung jedesEinzelnen praumlsent Die Mundharmonika spricht mit einer Stimme dieabsolut fremd und zugleich intim vertraut ist 32
Die zugleich aus dem uumlberall und nirgendwo hallendeMundharmonika erinnert dabei frappant an jenes im juumldischen Ritusverwendete Horn das Schofar welches Theodor Reik in seiner Studie
uumlber Das Ritual untersucht und welches Lacan in seinem Seminar33
uumlber die Angst als laquoexemplarische Formraquo der Stimme vorstellen wird34
Die Stimme bei Lacan macht sich bemerkbar als Objekt das man nichtbesitzt sondern das vielmehr umgekehrt von einem Besitz ergreift undentsprechend scheint auch die Stimme der Mundharmonika nicht ausdem namenlosen Helden sondern durch ihn und alle in seinerUmgebung hindurch zu gehen (Abb 2 links)
Lied Leid Atem
In seiner Beschreibung der laquoIrradiationraquo von Affekten erwaumlhnt EugenBleuler die Moumlglichkeit dass ein Affekt wie Trauer laquoan irgendeine an
Siehe dazu und zum Folgenden auch Mladen Dolar His Masterlsquos Voice Eine Theorie de Stimme32
Frankfurt a M Suhrkamp 2007
Vgl Theodor Reik Das Ritual Psychoanalytische Studien Leipzig Wien Zuumlrich Internatio-33
naler Psychoanalytischer Verlag 1928 S 206-330
Vgl Lacan Die Angst S 304-319 hier S 31234
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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als Momente der laquoout-of-phasenessraquo bemerkbar machen als Wahr-
nehmungsstoumlrungen als Verrutschungen und Defekte der1047297lmischenTechnik selbst
Filmtechnik als Psychoanalyse und umgekehrt
Indes kann es hier nicht darum gehen den Film einfach zur bloszligenIllustration psychoanalytischer Affekt-Theorie zu degradieren JacquesRanciegravere hat uumlberzeugend argumentiert dass schon bei Freud dessen
zahlreiche Bezugnahmen auf die Literatur und die bildende Kunst nichtmissverstanden werden duumlrfen als bloszlige Exempel sondern dassvielmehr fuumlr Freud die Kunst und die Literatur eine laquoIdee desDenkensraquo bereitstellen auf deren Grundlage laquodas Freudrsquosche Denkendes Unbewusstenraquo uumlberhaupt erst moumlglich wird Und auch Shoshana18
Felman hat das Verhaumlltnis zwischen Psychoanalyse und Literatur alsdas einer gegenseitigen Implikation beschrieben
Literature is therefore not simply outside psychoanalysis since it
motivates and inhabits the very names of its concepts since it is theinherent reference by which psychoanalysis names its 1047297ndings [] Wewould like to suggest that in the same way that psychoanalysis pointsto the unconscious of literature literature in its turn is the unconsciousof psychoanalysis 19
Ist fuumlr Felman die Literatur das Unbewusste der Psychoanalyse istAnaloges mit Vehemenz auch fuumlr den Film einzufordern Es gilt zuzeigen dass sich der Film nicht nur zeitgleich mit der Psychoanalyseentwickelt sondern dass ihm mittels seiner technischen Praktiken
Entdeckungen gelingen welche gleichzeitig auch Freud in seiner Praxis
Vgl Jacques Ranciegravere Das aumlsthetische Unbewusste Zuumlrich Berlin Diaphanes 2006 S 1018
Soshana Felman laquoTo Open the Questionraquo in Yale French Studies 5556 1977 S 5ndash10 hier19
S 9ndash10
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machen wird Statt also Story und Figuren eines Films auf die Couch20
zu legen (wie es leider nach wie vor die meisten psychoanalytisch-inspirierten Filmlektuumlren tun) ergibt sich auf Ebene der Filmtechnik diefuumlr beide Seiten wirklich erhellende Korrespondenz zwischenPsychoanalyse und Kino Weniger in seinen Geschichten als vielmehr inseiner technischen Verfasstheit nimmt der Film ein psychoanalytischesDenken auf und vorweg So versteht sich auch die vorliegendeUntersuchung als weiterer Baustein einer noch zu vollendendenPsychoanalyse der Filmtechnik die unweigerlich auch eine Filmtechnik
der Psychoanalyse waumlre21
Dabei soll nicht nur gezeigt werde dass der Film in seinerInszenierung des Affekts immer schon dort war wo die psycho-analytische Theorie mit Lacan hinkommen wird sondern nochdaruumlberhinaus wie der Film in seiner Technik die psychoanalytischeKonzeption des Affekts praumlzisiert und erweitert Zeichnet sich fuumlrLacan der Affekt durch seine laquoVerrutschtheitraquo aus so nutzt umgekehrtder Film eben solche Verrutschungen der Repraumlsentation um dadurchAffekte der Figuren zeigen und zugleich auch im Zuschauer zugenerieren Affekt als immer schon gestoumlrter zeigt sich darum im Film
denn auch am uumlberzeugendsten da wo er als technische Stoumlrungauftaucht
Zu dieser laquoGleichzeitigkeitraquo von Film und Psychoanalyse und wie sich diese nicht nur auf eine20
historischen Koinzidenz beschraumlnkt sondern sich in analogen Entdeckungen zeigt gerade auch wasdie Auffassung von Zeit und Gleichzeitigkeit angeht siehe Johannes Binotto laquoJump Cut ZurChrono-Logik von Film und Psychoanalyseraquo in Christian Kiening Aleksandra Prica Benno Wirz(Hg) Wiederkehr und Verheiszligung Dynamiken der Medialitaumlt in der Zeitlichkeit Zuumlrich Chronos2011 S 253-268
Als weitere Bausteine dieses Projekts siehe Johannes Binotto laquoThere Are No Subbasements Zur21
Ober1047298aumlchlichkeit von Film Erinnerung und Unbewusstemraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg)Memoryscapes Filmformen der Erinnerung Zuumlrich-Berlin Diaphanes 2014 S 181-198 sowieDers laquoRuumlck-Sicht auf Darstellbarkeit Zur Aumlsthetik und Aussagekraft der Rear Projectionraquo inFilmbulletin 213 (2013) S 37ndash43 und Ders laquoHors-champ Vom psychoanalytischen Feld amRand des Filmsraquo in RISS Zeitschrift fuumlr Psychoanalyse 23 (7273 2009) S 77-96
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Sound-Defekte Hitchcock
Ein besonders eindruumlckliches Beispiel solch einer Affekt-Stoumlrung auf derEbene des Tons findet sich in Alfred Hitchcocks Blackmail von 1929Zunaumlchst als Stummfilm begonnen sah sich die Produktionsfirmaaufgrund des aufkommenden Tonfilms gezwungen den Film zumindestin Teilen als Tonfilm in die Kinos zu bringen Dabei ist besonders22
bemerkenswert auf welch originelle Art Hitchcock die neuen sich mitdem Ton eroumlffnenden Moumlglichkeit der Filmtechnik nutzen wird In einerSzene des Films sehen wir Alice die Protagonistin des Films mit ihrer
Familie am Fruumlhstuumlckstisch sitzen Die junge Frau ist zutiefst verstoumlrthat sie doch am Vortag einen zudringlichen Kuumlnstler in dessen Ateliererstochen um sich dessen Vergewaltigungsversuch zu erwehrenUumlberzeugt dass man ihr nicht glauben wuumlrde nur in Notwehr gehandeltzu haben hat Alice ihr schreckliches Geheimnis fuumlr sich behalten Dakommt noch waumlhrend des Fruumlhstuumlcks die geschwaumltzige Nachbarin dazuund beginnt laut uumlber den unaufgeklaumlrten Mord an dem Kuumlnstler imSpeziellen und uumlber Morde mit Messern im Allgemeinen zu lamentierenHitchcocks Kamera zeigt derweil die immer veraumlngstigter werdende
Alice in Groszligaufnahme das Geplapper aber der Nachbarin wirdallmaumlhlich immer dumpfer und schwieriger zu verstehen Einzig dasimmer wiederkehrende Wort laquokniferaquo (Messer) sticht noch aus demalsbald komplett unverstaumlndlich gewordenen Soundtrack heraus
Offensichtlich betreibt Hitchcock diese verbluumlffende Manipulationder Tonspur um Alices besonderen Affektzustand zu zeigen bzw houmlrbarzu machen Ihr obsessives Gedankenkreisen die unablaumlssigwiederkehrende Erinnerung an die schreckliche Tat macht sich akustischbemerkbar in einer Ausblendung aller anderen Woumlrter mit Ausnahme
In der Anfangszeit des Ton1047297lms war es durchaus uumlblich dass Filme nicht vollstaumlndig sondern nur22
in Teilen mit Ton ausgestattet waren Zu diesen sogenannten part-talkies zaumlhlte auch The JazzSinger von 1927 der gemeinhin als erster Ton1047297lm der Filmgeschichte gilt Zur Uumlbergangszeitzwischen Stumm- zum Ton1047297lm mit Fokus auf Hitchcocks Blackmail siehe John Belton laquoAwkwardTransitions Hitchcocks Blackmail and the Dynamics of Early Film Soundraquo in The MusicalQuarterly Vol 83 No 2 (Summer 1999) S 227-246
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jenes einen Signifikanten laquokniferaquo der fuumlr das Geschehene steht Der23
affektive Ausnahmezustand verschafft sich hier Gehoumlr als aus dem Lotgeratene TontechnikDieser brillante Einfall Hitchcocks ist umso bemerkenswerter
als er ihn bereits in seinem ersten Tonfilm entwickelt Statt wie24
man annehmen koumlnnte die Implementierung von Ton im Film alseinen Zuwachs an Naturalismus zu feiern nutzt Hitchcock dietechnische Innovation des Filmtons gerade nicht zu naturalistischensondern psychologischen Zwecken Hitchcock entspricht damit demgerade mal ein Jahr zuvor von Eisenstein Pudowkin und Alexandrow
veroumlffentlichten laquoManifest zum Tonfilmraquo in dem die Autoren dafuumlrplaumldieren den Filmton kontrapunktisch zum Bild und nicht als dessenbloszlige akustische Verdoppelung zu verwenden Entsprechend vermittelt25
auch der Ton in dieser Szene aus Blackmail keine objektive Realitaumlt alsvielmehr jenen laquoanderen Schauplatzraquo der Psyche wie er sich in derveraumlnderten Wahrnehmung der Protagonistin kundtut Zugleich laumlsst derFilmemacher dadurch den Zuschauer an dieser veraumlnderten Affektivitaumlt
Einem Hinweis Susanne Gottlobs folgend der ich an dieser Stelle Dank schulde lieszlige sich im23
Wort laquokniferaquo auch das (fast) homophone englische laquonaiveraquo houmlren Im Sinne eines uumlberdeter-minierten Verhoumlrers hinge am gehoumlrten laquoknifenaiveraquo nebem dem schlechten Gewissen wegen derbegangenen Toumltung demnach auch noch die Scham daruumlber sich so naiv auf die Avancen desVergewaltigers eingelassen zu haben Tatsaumlchlich handelt es sich dabei um ein zentrales Motiv beiHitchcock das besonders Eacuteric Rohmer und Claude Chabrol in ihrem Hitchcock-Buch betonthaben eine unschuldige Person wird faumllschlich eines Verbrechens verdaumlchtigt allmaumlhlich abererkennt die Figur dass sie tatsaumlchlich schuldig geworden war wenn auch weniger in einemjuristischen als vielmehr moralischen Sinne Vgl Eacuteric Rohmer Claude Chabrol Hitchcock [1957]Berlin Alexander Verlag 2013
Hitchcock wird spaumlter auf aumlhnliche komplexe Tonmanipulationen zuruumlckkommen am ein-24
druumlcklichsten in seinem spaumlten Film Frenzy von 1972 um einen Frauenmoumlrder in London Wenn
dort in einer Szene die Neben1047297gur Babs Milligan aus dem Pub tritt in dem sie als Kellneringearbeitet hat faumlllt fuumlr einen kurzen Moment der Filmton komplett aus ehe in dieser geradezuklaustrophobischen Stille die einzelne Stimme eines Bekannten aus dem Off zu houmlren ist der Babsfragt ob sie eine Unterkunft brauche Die derart auffaumlllig und irritierend praumlsentierte Stimme in derStille ist denn auch prompt die Stimme des Moumlrders Und auch spaumlter wenn der Moumlrder Babs zusich in seine Wohnung bringt und die Tuumlr hinter ihnen ins Schloss faumlllt wird der Filmton einerunnatuumlrlichen und bedruumlckenden buchstaumlblich toumldlichen Stille weichen waumlhrend sich die Kameraallmaumlhlich vom Schauplatz des Verbrechens zuruumlckzieht
Vgl Sergej M Eisenstein Wsewolod I Pudowkin Grigorij W Alexandrov laquoManifest zum25
Ton1047297lmraquo [1928] In Franz-Josef Albersmeier (Hg) Texte zur Theorie des Films Stuttgart Reclam1979 S 42-45
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der Figur partizipieren Nicht nur die Figur auch das Publikum houmlrt mit
anderen OhrenIm selben Zug aber ist diese von Figur und Betrachter geteilteWahrnehmungsstoumlrung auch einfach eine Stoumlrung der Filmtechnik derFilmton tut nicht wie er sollte Gerade das mit dem eben ersterfundenen Ton1047297lm noch unvertraute Publikum der spaumlten Zwanziger
Jahre duumlrfte darum besonders auf diese akustische Manipulationreagiert haben und es ist sehr wahrscheinlich dass viele die ploumltzlicheVeraumlnderung des Tons an dieser Stelle des Films zunaumlchst fuumlr einetechnische Stoumlrung waumlhrend der Vorfuumlhrung gehalten haben duumlrften
In eben diesem Uumlbergreifen aber von der Figur auf das Publikumund mithin auf das Medium selbst gelingt Hitchcock nicht nur einebesonders gegluumlckte Darstellung des Affektzustands einer Figursondern er liefert mit dieser Szene unter der Hand auch noch gleicheine avancierte Theorie des Affekts als technischem EffektDefekt DieKritik Michel Chions des groszligen Theoretikers des (Film-)Tons andiesem Experiment Hitchcocks und sein Vorwurf der Zuschaueremp1047297nde die Veraumlnderung des Tons in Blackmail bloszlig als technischesVerfahren nicht aber als subjektive Emp1047297ndung der Figur verpasst26
denn auch gerade dass in dieser beklagten Verschiebung dieeigentliche nicht zuletzt auch psychoanalytische Pointe dieser Szeneliegt So wie Lacan das Unbewusste nicht in einer subjektivenInnerlichkeit sondern als eine Extimitaumlt bestimmt und damit in27
aumluszligeren Phaumlnomen und im Diskurs des Anderen verortet ist auch bei28
Hitchcock der Affekt gerade nicht mehr bloss subjektive Emp1047297ndung
Vgl Michel Chion Audio-Vision Sound on Screen New York Columbia University Press 199426
S 181-182
Vgl Jacques Lacan Das Seminar Buch VII Die Ethik der Psychoanalyse Weinheim Quadriga27
1996 S 171 Zum Begriff der Extimitaumlt siehe auch Jacques-Alain Miller laquoExtimiteacuteraquo in MarkBracher (Hg) Lacanian Theory of Discourse Subject Structure and Society New York New YorkUniversity Press 1994 S 74ndash87
Jacques Lacan laquoDas Seminar uumlber EA Poes rsaquoDer entwendete Brieflsaquoraquo in Ders Schriften I 28
Weinheim Quadriga 1991 S 7ndash60 hier S 14
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von den Film1047297guren nicht wahrgenommen wird und bleibt zugleich
doch auch fuumlr alle Anwesenden houmlrbar So changiert die Mund-harmonika in Once Upon a Time in the West eigenartig zwischen denEbenen Als von auszligen kommender Klang werden die Toumlne im Verlaufder Szene mit der Mundharmonika des Namenlosen identi1047297ziert dochnur um diese Ruumlckfuumlhrung des Klangs auf eine Quelle innerhalb derDiegese sogleich wieder zu leugnen und den Klang sich ausbreiten zulassen zur nicht-diegetischen Filmmusik
laquoAcousmecirctreraquo so hat Michel Chion in seiner bahnbrechenden(nicht zuletzt auch an Lacans Uumlberlegungen zur Stimme angelehnten)
Studie La voix au cineacutema all jene geisterhaften Stimmen genannt diewir keinem Koumlrper innerhalb der 1047297lmischen Handlung zuordnenkoumlnnen und die gerade durch diese Autonomie und Losgeloumlstheit uumlberbesondere Macht zu verfuumlgen scheinen Merkwuumlrdig zwischen An-30
und Abwesenheit schwankend ist es laquoals wuumlrde die Stimme uumlber dieOber1047298aumlche wandern zugleich drinnen und drauszligen sich sehnend nacheinem Platz an dem sie sich niederlassen kann [hellip] weder drauszligennoch drinnen ndash das ist das Schicksal des bdquoacousmecirctreldquo im Kinoraquo Die31
Stimme der toten Mutter in Hitchcocks Psycho etwa ist solch ein
laquoacousmecirctreraquo und ein besonders paradigmatisches noch dazu weil dieStimme der Mutter ja ohnehin die akusmatische Stimme par excellencedarstellt jene Stimme die das noch ungeborene Kind zwar bereits imMutterleib houmlrt ihren Ursprung aber nicht sehen kann
Und natuumlrlich ist auch die Mundharmonika-Melodie aus Once
Upon a Time in the West ebenfalls eine laquoakusmatischeraquo Stimme undeine ganz besondere noch dazu auch wenn Chion Leones Film leidernur ganz am Rande erwaumlhnt Denn waumlhrend das laquoacousmecirctreraquo sichnormalerweise dadurch auszeichnet ohne Ursprungsort innerhalb des
diegetischen Raums zu sein stehen beim Klang der Mundharmonikaim Gegenteil zu viele Anknuumlpfungspunkte zur Verfuumlgung Wenn in derbesagten Szene die Mundharmonika erklingt zeigt die Kamera uns diezugleich erschrockenen wie auch in sich gekehrten Gesichter der
Vgl Michel Chion La voix au cineacutema Paris Editions de llsquoEtoile 1982 insb S 11-3330
Ebd S 2831
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verschiedenen Figuren so dass der Zuschauer unweigerlich raumltselt ob
sich dieser Klang nicht vielleicht im Kopf jedes einzelnen ereignet DerFilm laumlsst es offen ndash oder vielmehr er laumlsst Widersprechendes geltenDer Ton kommt aus einem radikalen Auszligen einem Jenseits derFilmhandlung und ist zugleich nur in der Wahrnehmung jedesEinzelnen praumlsent Die Mundharmonika spricht mit einer Stimme dieabsolut fremd und zugleich intim vertraut ist 32
Die zugleich aus dem uumlberall und nirgendwo hallendeMundharmonika erinnert dabei frappant an jenes im juumldischen Ritusverwendete Horn das Schofar welches Theodor Reik in seiner Studie
uumlber Das Ritual untersucht und welches Lacan in seinem Seminar33
uumlber die Angst als laquoexemplarische Formraquo der Stimme vorstellen wird34
Die Stimme bei Lacan macht sich bemerkbar als Objekt das man nichtbesitzt sondern das vielmehr umgekehrt von einem Besitz ergreift undentsprechend scheint auch die Stimme der Mundharmonika nicht ausdem namenlosen Helden sondern durch ihn und alle in seinerUmgebung hindurch zu gehen (Abb 2 links)
Lied Leid Atem
In seiner Beschreibung der laquoIrradiationraquo von Affekten erwaumlhnt EugenBleuler die Moumlglichkeit dass ein Affekt wie Trauer laquoan irgendeine an
Siehe dazu und zum Folgenden auch Mladen Dolar His Masterlsquos Voice Eine Theorie de Stimme32
Frankfurt a M Suhrkamp 2007
Vgl Theodor Reik Das Ritual Psychoanalytische Studien Leipzig Wien Zuumlrich Internatio-33
naler Psychoanalytischer Verlag 1928 S 206-330
Vgl Lacan Die Angst S 304-319 hier S 31234
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
1612015)
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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machen wird Statt also Story und Figuren eines Films auf die Couch20
zu legen (wie es leider nach wie vor die meisten psychoanalytisch-inspirierten Filmlektuumlren tun) ergibt sich auf Ebene der Filmtechnik diefuumlr beide Seiten wirklich erhellende Korrespondenz zwischenPsychoanalyse und Kino Weniger in seinen Geschichten als vielmehr inseiner technischen Verfasstheit nimmt der Film ein psychoanalytischesDenken auf und vorweg So versteht sich auch die vorliegendeUntersuchung als weiterer Baustein einer noch zu vollendendenPsychoanalyse der Filmtechnik die unweigerlich auch eine Filmtechnik
der Psychoanalyse waumlre21
Dabei soll nicht nur gezeigt werde dass der Film in seinerInszenierung des Affekts immer schon dort war wo die psycho-analytische Theorie mit Lacan hinkommen wird sondern nochdaruumlberhinaus wie der Film in seiner Technik die psychoanalytischeKonzeption des Affekts praumlzisiert und erweitert Zeichnet sich fuumlrLacan der Affekt durch seine laquoVerrutschtheitraquo aus so nutzt umgekehrtder Film eben solche Verrutschungen der Repraumlsentation um dadurchAffekte der Figuren zeigen und zugleich auch im Zuschauer zugenerieren Affekt als immer schon gestoumlrter zeigt sich darum im Film
denn auch am uumlberzeugendsten da wo er als technische Stoumlrungauftaucht
Zu dieser laquoGleichzeitigkeitraquo von Film und Psychoanalyse und wie sich diese nicht nur auf eine20
historischen Koinzidenz beschraumlnkt sondern sich in analogen Entdeckungen zeigt gerade auch wasdie Auffassung von Zeit und Gleichzeitigkeit angeht siehe Johannes Binotto laquoJump Cut ZurChrono-Logik von Film und Psychoanalyseraquo in Christian Kiening Aleksandra Prica Benno Wirz(Hg) Wiederkehr und Verheiszligung Dynamiken der Medialitaumlt in der Zeitlichkeit Zuumlrich Chronos2011 S 253-268
Als weitere Bausteine dieses Projekts siehe Johannes Binotto laquoThere Are No Subbasements Zur21
Ober1047298aumlchlichkeit von Film Erinnerung und Unbewusstemraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg)Memoryscapes Filmformen der Erinnerung Zuumlrich-Berlin Diaphanes 2014 S 181-198 sowieDers laquoRuumlck-Sicht auf Darstellbarkeit Zur Aumlsthetik und Aussagekraft der Rear Projectionraquo inFilmbulletin 213 (2013) S 37ndash43 und Ders laquoHors-champ Vom psychoanalytischen Feld amRand des Filmsraquo in RISS Zeitschrift fuumlr Psychoanalyse 23 (7273 2009) S 77-96
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Sound-Defekte Hitchcock
Ein besonders eindruumlckliches Beispiel solch einer Affekt-Stoumlrung auf derEbene des Tons findet sich in Alfred Hitchcocks Blackmail von 1929Zunaumlchst als Stummfilm begonnen sah sich die Produktionsfirmaaufgrund des aufkommenden Tonfilms gezwungen den Film zumindestin Teilen als Tonfilm in die Kinos zu bringen Dabei ist besonders22
bemerkenswert auf welch originelle Art Hitchcock die neuen sich mitdem Ton eroumlffnenden Moumlglichkeit der Filmtechnik nutzen wird In einerSzene des Films sehen wir Alice die Protagonistin des Films mit ihrer
Familie am Fruumlhstuumlckstisch sitzen Die junge Frau ist zutiefst verstoumlrthat sie doch am Vortag einen zudringlichen Kuumlnstler in dessen Ateliererstochen um sich dessen Vergewaltigungsversuch zu erwehrenUumlberzeugt dass man ihr nicht glauben wuumlrde nur in Notwehr gehandeltzu haben hat Alice ihr schreckliches Geheimnis fuumlr sich behalten Dakommt noch waumlhrend des Fruumlhstuumlcks die geschwaumltzige Nachbarin dazuund beginnt laut uumlber den unaufgeklaumlrten Mord an dem Kuumlnstler imSpeziellen und uumlber Morde mit Messern im Allgemeinen zu lamentierenHitchcocks Kamera zeigt derweil die immer veraumlngstigter werdende
Alice in Groszligaufnahme das Geplapper aber der Nachbarin wirdallmaumlhlich immer dumpfer und schwieriger zu verstehen Einzig dasimmer wiederkehrende Wort laquokniferaquo (Messer) sticht noch aus demalsbald komplett unverstaumlndlich gewordenen Soundtrack heraus
Offensichtlich betreibt Hitchcock diese verbluumlffende Manipulationder Tonspur um Alices besonderen Affektzustand zu zeigen bzw houmlrbarzu machen Ihr obsessives Gedankenkreisen die unablaumlssigwiederkehrende Erinnerung an die schreckliche Tat macht sich akustischbemerkbar in einer Ausblendung aller anderen Woumlrter mit Ausnahme
In der Anfangszeit des Ton1047297lms war es durchaus uumlblich dass Filme nicht vollstaumlndig sondern nur22
in Teilen mit Ton ausgestattet waren Zu diesen sogenannten part-talkies zaumlhlte auch The JazzSinger von 1927 der gemeinhin als erster Ton1047297lm der Filmgeschichte gilt Zur Uumlbergangszeitzwischen Stumm- zum Ton1047297lm mit Fokus auf Hitchcocks Blackmail siehe John Belton laquoAwkwardTransitions Hitchcocks Blackmail and the Dynamics of Early Film Soundraquo in The MusicalQuarterly Vol 83 No 2 (Summer 1999) S 227-246
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jenes einen Signifikanten laquokniferaquo der fuumlr das Geschehene steht Der23
affektive Ausnahmezustand verschafft sich hier Gehoumlr als aus dem Lotgeratene TontechnikDieser brillante Einfall Hitchcocks ist umso bemerkenswerter
als er ihn bereits in seinem ersten Tonfilm entwickelt Statt wie24
man annehmen koumlnnte die Implementierung von Ton im Film alseinen Zuwachs an Naturalismus zu feiern nutzt Hitchcock dietechnische Innovation des Filmtons gerade nicht zu naturalistischensondern psychologischen Zwecken Hitchcock entspricht damit demgerade mal ein Jahr zuvor von Eisenstein Pudowkin und Alexandrow
veroumlffentlichten laquoManifest zum Tonfilmraquo in dem die Autoren dafuumlrplaumldieren den Filmton kontrapunktisch zum Bild und nicht als dessenbloszlige akustische Verdoppelung zu verwenden Entsprechend vermittelt25
auch der Ton in dieser Szene aus Blackmail keine objektive Realitaumlt alsvielmehr jenen laquoanderen Schauplatzraquo der Psyche wie er sich in derveraumlnderten Wahrnehmung der Protagonistin kundtut Zugleich laumlsst derFilmemacher dadurch den Zuschauer an dieser veraumlnderten Affektivitaumlt
Einem Hinweis Susanne Gottlobs folgend der ich an dieser Stelle Dank schulde lieszlige sich im23
Wort laquokniferaquo auch das (fast) homophone englische laquonaiveraquo houmlren Im Sinne eines uumlberdeter-minierten Verhoumlrers hinge am gehoumlrten laquoknifenaiveraquo nebem dem schlechten Gewissen wegen derbegangenen Toumltung demnach auch noch die Scham daruumlber sich so naiv auf die Avancen desVergewaltigers eingelassen zu haben Tatsaumlchlich handelt es sich dabei um ein zentrales Motiv beiHitchcock das besonders Eacuteric Rohmer und Claude Chabrol in ihrem Hitchcock-Buch betonthaben eine unschuldige Person wird faumllschlich eines Verbrechens verdaumlchtigt allmaumlhlich abererkennt die Figur dass sie tatsaumlchlich schuldig geworden war wenn auch weniger in einemjuristischen als vielmehr moralischen Sinne Vgl Eacuteric Rohmer Claude Chabrol Hitchcock [1957]Berlin Alexander Verlag 2013
Hitchcock wird spaumlter auf aumlhnliche komplexe Tonmanipulationen zuruumlckkommen am ein-24
druumlcklichsten in seinem spaumlten Film Frenzy von 1972 um einen Frauenmoumlrder in London Wenn
dort in einer Szene die Neben1047297gur Babs Milligan aus dem Pub tritt in dem sie als Kellneringearbeitet hat faumlllt fuumlr einen kurzen Moment der Filmton komplett aus ehe in dieser geradezuklaustrophobischen Stille die einzelne Stimme eines Bekannten aus dem Off zu houmlren ist der Babsfragt ob sie eine Unterkunft brauche Die derart auffaumlllig und irritierend praumlsentierte Stimme in derStille ist denn auch prompt die Stimme des Moumlrders Und auch spaumlter wenn der Moumlrder Babs zusich in seine Wohnung bringt und die Tuumlr hinter ihnen ins Schloss faumlllt wird der Filmton einerunnatuumlrlichen und bedruumlckenden buchstaumlblich toumldlichen Stille weichen waumlhrend sich die Kameraallmaumlhlich vom Schauplatz des Verbrechens zuruumlckzieht
Vgl Sergej M Eisenstein Wsewolod I Pudowkin Grigorij W Alexandrov laquoManifest zum25
Ton1047297lmraquo [1928] In Franz-Josef Albersmeier (Hg) Texte zur Theorie des Films Stuttgart Reclam1979 S 42-45
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der Figur partizipieren Nicht nur die Figur auch das Publikum houmlrt mit
anderen OhrenIm selben Zug aber ist diese von Figur und Betrachter geteilteWahrnehmungsstoumlrung auch einfach eine Stoumlrung der Filmtechnik derFilmton tut nicht wie er sollte Gerade das mit dem eben ersterfundenen Ton1047297lm noch unvertraute Publikum der spaumlten Zwanziger
Jahre duumlrfte darum besonders auf diese akustische Manipulationreagiert haben und es ist sehr wahrscheinlich dass viele die ploumltzlicheVeraumlnderung des Tons an dieser Stelle des Films zunaumlchst fuumlr einetechnische Stoumlrung waumlhrend der Vorfuumlhrung gehalten haben duumlrften
In eben diesem Uumlbergreifen aber von der Figur auf das Publikumund mithin auf das Medium selbst gelingt Hitchcock nicht nur einebesonders gegluumlckte Darstellung des Affektzustands einer Figursondern er liefert mit dieser Szene unter der Hand auch noch gleicheine avancierte Theorie des Affekts als technischem EffektDefekt DieKritik Michel Chions des groszligen Theoretikers des (Film-)Tons andiesem Experiment Hitchcocks und sein Vorwurf der Zuschaueremp1047297nde die Veraumlnderung des Tons in Blackmail bloszlig als technischesVerfahren nicht aber als subjektive Emp1047297ndung der Figur verpasst26
denn auch gerade dass in dieser beklagten Verschiebung dieeigentliche nicht zuletzt auch psychoanalytische Pointe dieser Szeneliegt So wie Lacan das Unbewusste nicht in einer subjektivenInnerlichkeit sondern als eine Extimitaumlt bestimmt und damit in27
aumluszligeren Phaumlnomen und im Diskurs des Anderen verortet ist auch bei28
Hitchcock der Affekt gerade nicht mehr bloss subjektive Emp1047297ndung
Vgl Michel Chion Audio-Vision Sound on Screen New York Columbia University Press 199426
S 181-182
Vgl Jacques Lacan Das Seminar Buch VII Die Ethik der Psychoanalyse Weinheim Quadriga27
1996 S 171 Zum Begriff der Extimitaumlt siehe auch Jacques-Alain Miller laquoExtimiteacuteraquo in MarkBracher (Hg) Lacanian Theory of Discourse Subject Structure and Society New York New YorkUniversity Press 1994 S 74ndash87
Jacques Lacan laquoDas Seminar uumlber EA Poes rsaquoDer entwendete Brieflsaquoraquo in Ders Schriften I 28
Weinheim Quadriga 1991 S 7ndash60 hier S 14
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von den Film1047297guren nicht wahrgenommen wird und bleibt zugleich
doch auch fuumlr alle Anwesenden houmlrbar So changiert die Mund-harmonika in Once Upon a Time in the West eigenartig zwischen denEbenen Als von auszligen kommender Klang werden die Toumlne im Verlaufder Szene mit der Mundharmonika des Namenlosen identi1047297ziert dochnur um diese Ruumlckfuumlhrung des Klangs auf eine Quelle innerhalb derDiegese sogleich wieder zu leugnen und den Klang sich ausbreiten zulassen zur nicht-diegetischen Filmmusik
laquoAcousmecirctreraquo so hat Michel Chion in seiner bahnbrechenden(nicht zuletzt auch an Lacans Uumlberlegungen zur Stimme angelehnten)
Studie La voix au cineacutema all jene geisterhaften Stimmen genannt diewir keinem Koumlrper innerhalb der 1047297lmischen Handlung zuordnenkoumlnnen und die gerade durch diese Autonomie und Losgeloumlstheit uumlberbesondere Macht zu verfuumlgen scheinen Merkwuumlrdig zwischen An-30
und Abwesenheit schwankend ist es laquoals wuumlrde die Stimme uumlber dieOber1047298aumlche wandern zugleich drinnen und drauszligen sich sehnend nacheinem Platz an dem sie sich niederlassen kann [hellip] weder drauszligennoch drinnen ndash das ist das Schicksal des bdquoacousmecirctreldquo im Kinoraquo Die31
Stimme der toten Mutter in Hitchcocks Psycho etwa ist solch ein
laquoacousmecirctreraquo und ein besonders paradigmatisches noch dazu weil dieStimme der Mutter ja ohnehin die akusmatische Stimme par excellencedarstellt jene Stimme die das noch ungeborene Kind zwar bereits imMutterleib houmlrt ihren Ursprung aber nicht sehen kann
Und natuumlrlich ist auch die Mundharmonika-Melodie aus Once
Upon a Time in the West ebenfalls eine laquoakusmatischeraquo Stimme undeine ganz besondere noch dazu auch wenn Chion Leones Film leidernur ganz am Rande erwaumlhnt Denn waumlhrend das laquoacousmecirctreraquo sichnormalerweise dadurch auszeichnet ohne Ursprungsort innerhalb des
diegetischen Raums zu sein stehen beim Klang der Mundharmonikaim Gegenteil zu viele Anknuumlpfungspunkte zur Verfuumlgung Wenn in derbesagten Szene die Mundharmonika erklingt zeigt die Kamera uns diezugleich erschrockenen wie auch in sich gekehrten Gesichter der
Vgl Michel Chion La voix au cineacutema Paris Editions de llsquoEtoile 1982 insb S 11-3330
Ebd S 2831
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verschiedenen Figuren so dass der Zuschauer unweigerlich raumltselt ob
sich dieser Klang nicht vielleicht im Kopf jedes einzelnen ereignet DerFilm laumlsst es offen ndash oder vielmehr er laumlsst Widersprechendes geltenDer Ton kommt aus einem radikalen Auszligen einem Jenseits derFilmhandlung und ist zugleich nur in der Wahrnehmung jedesEinzelnen praumlsent Die Mundharmonika spricht mit einer Stimme dieabsolut fremd und zugleich intim vertraut ist 32
Die zugleich aus dem uumlberall und nirgendwo hallendeMundharmonika erinnert dabei frappant an jenes im juumldischen Ritusverwendete Horn das Schofar welches Theodor Reik in seiner Studie
uumlber Das Ritual untersucht und welches Lacan in seinem Seminar33
uumlber die Angst als laquoexemplarische Formraquo der Stimme vorstellen wird34
Die Stimme bei Lacan macht sich bemerkbar als Objekt das man nichtbesitzt sondern das vielmehr umgekehrt von einem Besitz ergreift undentsprechend scheint auch die Stimme der Mundharmonika nicht ausdem namenlosen Helden sondern durch ihn und alle in seinerUmgebung hindurch zu gehen (Abb 2 links)
Lied Leid Atem
In seiner Beschreibung der laquoIrradiationraquo von Affekten erwaumlhnt EugenBleuler die Moumlglichkeit dass ein Affekt wie Trauer laquoan irgendeine an
Siehe dazu und zum Folgenden auch Mladen Dolar His Masterlsquos Voice Eine Theorie de Stimme32
Frankfurt a M Suhrkamp 2007
Vgl Theodor Reik Das Ritual Psychoanalytische Studien Leipzig Wien Zuumlrich Internatio-33
naler Psychoanalytischer Verlag 1928 S 206-330
Vgl Lacan Die Angst S 304-319 hier S 31234
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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Sound-Defekte Hitchcock
Ein besonders eindruumlckliches Beispiel solch einer Affekt-Stoumlrung auf derEbene des Tons findet sich in Alfred Hitchcocks Blackmail von 1929Zunaumlchst als Stummfilm begonnen sah sich die Produktionsfirmaaufgrund des aufkommenden Tonfilms gezwungen den Film zumindestin Teilen als Tonfilm in die Kinos zu bringen Dabei ist besonders22
bemerkenswert auf welch originelle Art Hitchcock die neuen sich mitdem Ton eroumlffnenden Moumlglichkeit der Filmtechnik nutzen wird In einerSzene des Films sehen wir Alice die Protagonistin des Films mit ihrer
Familie am Fruumlhstuumlckstisch sitzen Die junge Frau ist zutiefst verstoumlrthat sie doch am Vortag einen zudringlichen Kuumlnstler in dessen Ateliererstochen um sich dessen Vergewaltigungsversuch zu erwehrenUumlberzeugt dass man ihr nicht glauben wuumlrde nur in Notwehr gehandeltzu haben hat Alice ihr schreckliches Geheimnis fuumlr sich behalten Dakommt noch waumlhrend des Fruumlhstuumlcks die geschwaumltzige Nachbarin dazuund beginnt laut uumlber den unaufgeklaumlrten Mord an dem Kuumlnstler imSpeziellen und uumlber Morde mit Messern im Allgemeinen zu lamentierenHitchcocks Kamera zeigt derweil die immer veraumlngstigter werdende
Alice in Groszligaufnahme das Geplapper aber der Nachbarin wirdallmaumlhlich immer dumpfer und schwieriger zu verstehen Einzig dasimmer wiederkehrende Wort laquokniferaquo (Messer) sticht noch aus demalsbald komplett unverstaumlndlich gewordenen Soundtrack heraus
Offensichtlich betreibt Hitchcock diese verbluumlffende Manipulationder Tonspur um Alices besonderen Affektzustand zu zeigen bzw houmlrbarzu machen Ihr obsessives Gedankenkreisen die unablaumlssigwiederkehrende Erinnerung an die schreckliche Tat macht sich akustischbemerkbar in einer Ausblendung aller anderen Woumlrter mit Ausnahme
In der Anfangszeit des Ton1047297lms war es durchaus uumlblich dass Filme nicht vollstaumlndig sondern nur22
in Teilen mit Ton ausgestattet waren Zu diesen sogenannten part-talkies zaumlhlte auch The JazzSinger von 1927 der gemeinhin als erster Ton1047297lm der Filmgeschichte gilt Zur Uumlbergangszeitzwischen Stumm- zum Ton1047297lm mit Fokus auf Hitchcocks Blackmail siehe John Belton laquoAwkwardTransitions Hitchcocks Blackmail and the Dynamics of Early Film Soundraquo in The MusicalQuarterly Vol 83 No 2 (Summer 1999) S 227-246
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jenes einen Signifikanten laquokniferaquo der fuumlr das Geschehene steht Der23
affektive Ausnahmezustand verschafft sich hier Gehoumlr als aus dem Lotgeratene TontechnikDieser brillante Einfall Hitchcocks ist umso bemerkenswerter
als er ihn bereits in seinem ersten Tonfilm entwickelt Statt wie24
man annehmen koumlnnte die Implementierung von Ton im Film alseinen Zuwachs an Naturalismus zu feiern nutzt Hitchcock dietechnische Innovation des Filmtons gerade nicht zu naturalistischensondern psychologischen Zwecken Hitchcock entspricht damit demgerade mal ein Jahr zuvor von Eisenstein Pudowkin und Alexandrow
veroumlffentlichten laquoManifest zum Tonfilmraquo in dem die Autoren dafuumlrplaumldieren den Filmton kontrapunktisch zum Bild und nicht als dessenbloszlige akustische Verdoppelung zu verwenden Entsprechend vermittelt25
auch der Ton in dieser Szene aus Blackmail keine objektive Realitaumlt alsvielmehr jenen laquoanderen Schauplatzraquo der Psyche wie er sich in derveraumlnderten Wahrnehmung der Protagonistin kundtut Zugleich laumlsst derFilmemacher dadurch den Zuschauer an dieser veraumlnderten Affektivitaumlt
Einem Hinweis Susanne Gottlobs folgend der ich an dieser Stelle Dank schulde lieszlige sich im23
Wort laquokniferaquo auch das (fast) homophone englische laquonaiveraquo houmlren Im Sinne eines uumlberdeter-minierten Verhoumlrers hinge am gehoumlrten laquoknifenaiveraquo nebem dem schlechten Gewissen wegen derbegangenen Toumltung demnach auch noch die Scham daruumlber sich so naiv auf die Avancen desVergewaltigers eingelassen zu haben Tatsaumlchlich handelt es sich dabei um ein zentrales Motiv beiHitchcock das besonders Eacuteric Rohmer und Claude Chabrol in ihrem Hitchcock-Buch betonthaben eine unschuldige Person wird faumllschlich eines Verbrechens verdaumlchtigt allmaumlhlich abererkennt die Figur dass sie tatsaumlchlich schuldig geworden war wenn auch weniger in einemjuristischen als vielmehr moralischen Sinne Vgl Eacuteric Rohmer Claude Chabrol Hitchcock [1957]Berlin Alexander Verlag 2013
Hitchcock wird spaumlter auf aumlhnliche komplexe Tonmanipulationen zuruumlckkommen am ein-24
druumlcklichsten in seinem spaumlten Film Frenzy von 1972 um einen Frauenmoumlrder in London Wenn
dort in einer Szene die Neben1047297gur Babs Milligan aus dem Pub tritt in dem sie als Kellneringearbeitet hat faumlllt fuumlr einen kurzen Moment der Filmton komplett aus ehe in dieser geradezuklaustrophobischen Stille die einzelne Stimme eines Bekannten aus dem Off zu houmlren ist der Babsfragt ob sie eine Unterkunft brauche Die derart auffaumlllig und irritierend praumlsentierte Stimme in derStille ist denn auch prompt die Stimme des Moumlrders Und auch spaumlter wenn der Moumlrder Babs zusich in seine Wohnung bringt und die Tuumlr hinter ihnen ins Schloss faumlllt wird der Filmton einerunnatuumlrlichen und bedruumlckenden buchstaumlblich toumldlichen Stille weichen waumlhrend sich die Kameraallmaumlhlich vom Schauplatz des Verbrechens zuruumlckzieht
Vgl Sergej M Eisenstein Wsewolod I Pudowkin Grigorij W Alexandrov laquoManifest zum25
Ton1047297lmraquo [1928] In Franz-Josef Albersmeier (Hg) Texte zur Theorie des Films Stuttgart Reclam1979 S 42-45
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der Figur partizipieren Nicht nur die Figur auch das Publikum houmlrt mit
anderen OhrenIm selben Zug aber ist diese von Figur und Betrachter geteilteWahrnehmungsstoumlrung auch einfach eine Stoumlrung der Filmtechnik derFilmton tut nicht wie er sollte Gerade das mit dem eben ersterfundenen Ton1047297lm noch unvertraute Publikum der spaumlten Zwanziger
Jahre duumlrfte darum besonders auf diese akustische Manipulationreagiert haben und es ist sehr wahrscheinlich dass viele die ploumltzlicheVeraumlnderung des Tons an dieser Stelle des Films zunaumlchst fuumlr einetechnische Stoumlrung waumlhrend der Vorfuumlhrung gehalten haben duumlrften
In eben diesem Uumlbergreifen aber von der Figur auf das Publikumund mithin auf das Medium selbst gelingt Hitchcock nicht nur einebesonders gegluumlckte Darstellung des Affektzustands einer Figursondern er liefert mit dieser Szene unter der Hand auch noch gleicheine avancierte Theorie des Affekts als technischem EffektDefekt DieKritik Michel Chions des groszligen Theoretikers des (Film-)Tons andiesem Experiment Hitchcocks und sein Vorwurf der Zuschaueremp1047297nde die Veraumlnderung des Tons in Blackmail bloszlig als technischesVerfahren nicht aber als subjektive Emp1047297ndung der Figur verpasst26
denn auch gerade dass in dieser beklagten Verschiebung dieeigentliche nicht zuletzt auch psychoanalytische Pointe dieser Szeneliegt So wie Lacan das Unbewusste nicht in einer subjektivenInnerlichkeit sondern als eine Extimitaumlt bestimmt und damit in27
aumluszligeren Phaumlnomen und im Diskurs des Anderen verortet ist auch bei28
Hitchcock der Affekt gerade nicht mehr bloss subjektive Emp1047297ndung
Vgl Michel Chion Audio-Vision Sound on Screen New York Columbia University Press 199426
S 181-182
Vgl Jacques Lacan Das Seminar Buch VII Die Ethik der Psychoanalyse Weinheim Quadriga27
1996 S 171 Zum Begriff der Extimitaumlt siehe auch Jacques-Alain Miller laquoExtimiteacuteraquo in MarkBracher (Hg) Lacanian Theory of Discourse Subject Structure and Society New York New YorkUniversity Press 1994 S 74ndash87
Jacques Lacan laquoDas Seminar uumlber EA Poes rsaquoDer entwendete Brieflsaquoraquo in Ders Schriften I 28
Weinheim Quadriga 1991 S 7ndash60 hier S 14
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von den Film1047297guren nicht wahrgenommen wird und bleibt zugleich
doch auch fuumlr alle Anwesenden houmlrbar So changiert die Mund-harmonika in Once Upon a Time in the West eigenartig zwischen denEbenen Als von auszligen kommender Klang werden die Toumlne im Verlaufder Szene mit der Mundharmonika des Namenlosen identi1047297ziert dochnur um diese Ruumlckfuumlhrung des Klangs auf eine Quelle innerhalb derDiegese sogleich wieder zu leugnen und den Klang sich ausbreiten zulassen zur nicht-diegetischen Filmmusik
laquoAcousmecirctreraquo so hat Michel Chion in seiner bahnbrechenden(nicht zuletzt auch an Lacans Uumlberlegungen zur Stimme angelehnten)
Studie La voix au cineacutema all jene geisterhaften Stimmen genannt diewir keinem Koumlrper innerhalb der 1047297lmischen Handlung zuordnenkoumlnnen und die gerade durch diese Autonomie und Losgeloumlstheit uumlberbesondere Macht zu verfuumlgen scheinen Merkwuumlrdig zwischen An-30
und Abwesenheit schwankend ist es laquoals wuumlrde die Stimme uumlber dieOber1047298aumlche wandern zugleich drinnen und drauszligen sich sehnend nacheinem Platz an dem sie sich niederlassen kann [hellip] weder drauszligennoch drinnen ndash das ist das Schicksal des bdquoacousmecirctreldquo im Kinoraquo Die31
Stimme der toten Mutter in Hitchcocks Psycho etwa ist solch ein
laquoacousmecirctreraquo und ein besonders paradigmatisches noch dazu weil dieStimme der Mutter ja ohnehin die akusmatische Stimme par excellencedarstellt jene Stimme die das noch ungeborene Kind zwar bereits imMutterleib houmlrt ihren Ursprung aber nicht sehen kann
Und natuumlrlich ist auch die Mundharmonika-Melodie aus Once
Upon a Time in the West ebenfalls eine laquoakusmatischeraquo Stimme undeine ganz besondere noch dazu auch wenn Chion Leones Film leidernur ganz am Rande erwaumlhnt Denn waumlhrend das laquoacousmecirctreraquo sichnormalerweise dadurch auszeichnet ohne Ursprungsort innerhalb des
diegetischen Raums zu sein stehen beim Klang der Mundharmonikaim Gegenteil zu viele Anknuumlpfungspunkte zur Verfuumlgung Wenn in derbesagten Szene die Mundharmonika erklingt zeigt die Kamera uns diezugleich erschrockenen wie auch in sich gekehrten Gesichter der
Vgl Michel Chion La voix au cineacutema Paris Editions de llsquoEtoile 1982 insb S 11-3330
Ebd S 2831
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verschiedenen Figuren so dass der Zuschauer unweigerlich raumltselt ob
sich dieser Klang nicht vielleicht im Kopf jedes einzelnen ereignet DerFilm laumlsst es offen ndash oder vielmehr er laumlsst Widersprechendes geltenDer Ton kommt aus einem radikalen Auszligen einem Jenseits derFilmhandlung und ist zugleich nur in der Wahrnehmung jedesEinzelnen praumlsent Die Mundharmonika spricht mit einer Stimme dieabsolut fremd und zugleich intim vertraut ist 32
Die zugleich aus dem uumlberall und nirgendwo hallendeMundharmonika erinnert dabei frappant an jenes im juumldischen Ritusverwendete Horn das Schofar welches Theodor Reik in seiner Studie
uumlber Das Ritual untersucht und welches Lacan in seinem Seminar33
uumlber die Angst als laquoexemplarische Formraquo der Stimme vorstellen wird34
Die Stimme bei Lacan macht sich bemerkbar als Objekt das man nichtbesitzt sondern das vielmehr umgekehrt von einem Besitz ergreift undentsprechend scheint auch die Stimme der Mundharmonika nicht ausdem namenlosen Helden sondern durch ihn und alle in seinerUmgebung hindurch zu gehen (Abb 2 links)
Lied Leid Atem
In seiner Beschreibung der laquoIrradiationraquo von Affekten erwaumlhnt EugenBleuler die Moumlglichkeit dass ein Affekt wie Trauer laquoan irgendeine an
Siehe dazu und zum Folgenden auch Mladen Dolar His Masterlsquos Voice Eine Theorie de Stimme32
Frankfurt a M Suhrkamp 2007
Vgl Theodor Reik Das Ritual Psychoanalytische Studien Leipzig Wien Zuumlrich Internatio-33
naler Psychoanalytischer Verlag 1928 S 206-330
Vgl Lacan Die Angst S 304-319 hier S 31234
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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jenes einen Signifikanten laquokniferaquo der fuumlr das Geschehene steht Der23
affektive Ausnahmezustand verschafft sich hier Gehoumlr als aus dem Lotgeratene TontechnikDieser brillante Einfall Hitchcocks ist umso bemerkenswerter
als er ihn bereits in seinem ersten Tonfilm entwickelt Statt wie24
man annehmen koumlnnte die Implementierung von Ton im Film alseinen Zuwachs an Naturalismus zu feiern nutzt Hitchcock dietechnische Innovation des Filmtons gerade nicht zu naturalistischensondern psychologischen Zwecken Hitchcock entspricht damit demgerade mal ein Jahr zuvor von Eisenstein Pudowkin und Alexandrow
veroumlffentlichten laquoManifest zum Tonfilmraquo in dem die Autoren dafuumlrplaumldieren den Filmton kontrapunktisch zum Bild und nicht als dessenbloszlige akustische Verdoppelung zu verwenden Entsprechend vermittelt25
auch der Ton in dieser Szene aus Blackmail keine objektive Realitaumlt alsvielmehr jenen laquoanderen Schauplatzraquo der Psyche wie er sich in derveraumlnderten Wahrnehmung der Protagonistin kundtut Zugleich laumlsst derFilmemacher dadurch den Zuschauer an dieser veraumlnderten Affektivitaumlt
Einem Hinweis Susanne Gottlobs folgend der ich an dieser Stelle Dank schulde lieszlige sich im23
Wort laquokniferaquo auch das (fast) homophone englische laquonaiveraquo houmlren Im Sinne eines uumlberdeter-minierten Verhoumlrers hinge am gehoumlrten laquoknifenaiveraquo nebem dem schlechten Gewissen wegen derbegangenen Toumltung demnach auch noch die Scham daruumlber sich so naiv auf die Avancen desVergewaltigers eingelassen zu haben Tatsaumlchlich handelt es sich dabei um ein zentrales Motiv beiHitchcock das besonders Eacuteric Rohmer und Claude Chabrol in ihrem Hitchcock-Buch betonthaben eine unschuldige Person wird faumllschlich eines Verbrechens verdaumlchtigt allmaumlhlich abererkennt die Figur dass sie tatsaumlchlich schuldig geworden war wenn auch weniger in einemjuristischen als vielmehr moralischen Sinne Vgl Eacuteric Rohmer Claude Chabrol Hitchcock [1957]Berlin Alexander Verlag 2013
Hitchcock wird spaumlter auf aumlhnliche komplexe Tonmanipulationen zuruumlckkommen am ein-24
druumlcklichsten in seinem spaumlten Film Frenzy von 1972 um einen Frauenmoumlrder in London Wenn
dort in einer Szene die Neben1047297gur Babs Milligan aus dem Pub tritt in dem sie als Kellneringearbeitet hat faumlllt fuumlr einen kurzen Moment der Filmton komplett aus ehe in dieser geradezuklaustrophobischen Stille die einzelne Stimme eines Bekannten aus dem Off zu houmlren ist der Babsfragt ob sie eine Unterkunft brauche Die derart auffaumlllig und irritierend praumlsentierte Stimme in derStille ist denn auch prompt die Stimme des Moumlrders Und auch spaumlter wenn der Moumlrder Babs zusich in seine Wohnung bringt und die Tuumlr hinter ihnen ins Schloss faumlllt wird der Filmton einerunnatuumlrlichen und bedruumlckenden buchstaumlblich toumldlichen Stille weichen waumlhrend sich die Kameraallmaumlhlich vom Schauplatz des Verbrechens zuruumlckzieht
Vgl Sergej M Eisenstein Wsewolod I Pudowkin Grigorij W Alexandrov laquoManifest zum25
Ton1047297lmraquo [1928] In Franz-Josef Albersmeier (Hg) Texte zur Theorie des Films Stuttgart Reclam1979 S 42-45
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der Figur partizipieren Nicht nur die Figur auch das Publikum houmlrt mit
anderen OhrenIm selben Zug aber ist diese von Figur und Betrachter geteilteWahrnehmungsstoumlrung auch einfach eine Stoumlrung der Filmtechnik derFilmton tut nicht wie er sollte Gerade das mit dem eben ersterfundenen Ton1047297lm noch unvertraute Publikum der spaumlten Zwanziger
Jahre duumlrfte darum besonders auf diese akustische Manipulationreagiert haben und es ist sehr wahrscheinlich dass viele die ploumltzlicheVeraumlnderung des Tons an dieser Stelle des Films zunaumlchst fuumlr einetechnische Stoumlrung waumlhrend der Vorfuumlhrung gehalten haben duumlrften
In eben diesem Uumlbergreifen aber von der Figur auf das Publikumund mithin auf das Medium selbst gelingt Hitchcock nicht nur einebesonders gegluumlckte Darstellung des Affektzustands einer Figursondern er liefert mit dieser Szene unter der Hand auch noch gleicheine avancierte Theorie des Affekts als technischem EffektDefekt DieKritik Michel Chions des groszligen Theoretikers des (Film-)Tons andiesem Experiment Hitchcocks und sein Vorwurf der Zuschaueremp1047297nde die Veraumlnderung des Tons in Blackmail bloszlig als technischesVerfahren nicht aber als subjektive Emp1047297ndung der Figur verpasst26
denn auch gerade dass in dieser beklagten Verschiebung dieeigentliche nicht zuletzt auch psychoanalytische Pointe dieser Szeneliegt So wie Lacan das Unbewusste nicht in einer subjektivenInnerlichkeit sondern als eine Extimitaumlt bestimmt und damit in27
aumluszligeren Phaumlnomen und im Diskurs des Anderen verortet ist auch bei28
Hitchcock der Affekt gerade nicht mehr bloss subjektive Emp1047297ndung
Vgl Michel Chion Audio-Vision Sound on Screen New York Columbia University Press 199426
S 181-182
Vgl Jacques Lacan Das Seminar Buch VII Die Ethik der Psychoanalyse Weinheim Quadriga27
1996 S 171 Zum Begriff der Extimitaumlt siehe auch Jacques-Alain Miller laquoExtimiteacuteraquo in MarkBracher (Hg) Lacanian Theory of Discourse Subject Structure and Society New York New YorkUniversity Press 1994 S 74ndash87
Jacques Lacan laquoDas Seminar uumlber EA Poes rsaquoDer entwendete Brieflsaquoraquo in Ders Schriften I 28
Weinheim Quadriga 1991 S 7ndash60 hier S 14
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von den Film1047297guren nicht wahrgenommen wird und bleibt zugleich
doch auch fuumlr alle Anwesenden houmlrbar So changiert die Mund-harmonika in Once Upon a Time in the West eigenartig zwischen denEbenen Als von auszligen kommender Klang werden die Toumlne im Verlaufder Szene mit der Mundharmonika des Namenlosen identi1047297ziert dochnur um diese Ruumlckfuumlhrung des Klangs auf eine Quelle innerhalb derDiegese sogleich wieder zu leugnen und den Klang sich ausbreiten zulassen zur nicht-diegetischen Filmmusik
laquoAcousmecirctreraquo so hat Michel Chion in seiner bahnbrechenden(nicht zuletzt auch an Lacans Uumlberlegungen zur Stimme angelehnten)
Studie La voix au cineacutema all jene geisterhaften Stimmen genannt diewir keinem Koumlrper innerhalb der 1047297lmischen Handlung zuordnenkoumlnnen und die gerade durch diese Autonomie und Losgeloumlstheit uumlberbesondere Macht zu verfuumlgen scheinen Merkwuumlrdig zwischen An-30
und Abwesenheit schwankend ist es laquoals wuumlrde die Stimme uumlber dieOber1047298aumlche wandern zugleich drinnen und drauszligen sich sehnend nacheinem Platz an dem sie sich niederlassen kann [hellip] weder drauszligennoch drinnen ndash das ist das Schicksal des bdquoacousmecirctreldquo im Kinoraquo Die31
Stimme der toten Mutter in Hitchcocks Psycho etwa ist solch ein
laquoacousmecirctreraquo und ein besonders paradigmatisches noch dazu weil dieStimme der Mutter ja ohnehin die akusmatische Stimme par excellencedarstellt jene Stimme die das noch ungeborene Kind zwar bereits imMutterleib houmlrt ihren Ursprung aber nicht sehen kann
Und natuumlrlich ist auch die Mundharmonika-Melodie aus Once
Upon a Time in the West ebenfalls eine laquoakusmatischeraquo Stimme undeine ganz besondere noch dazu auch wenn Chion Leones Film leidernur ganz am Rande erwaumlhnt Denn waumlhrend das laquoacousmecirctreraquo sichnormalerweise dadurch auszeichnet ohne Ursprungsort innerhalb des
diegetischen Raums zu sein stehen beim Klang der Mundharmonikaim Gegenteil zu viele Anknuumlpfungspunkte zur Verfuumlgung Wenn in derbesagten Szene die Mundharmonika erklingt zeigt die Kamera uns diezugleich erschrockenen wie auch in sich gekehrten Gesichter der
Vgl Michel Chion La voix au cineacutema Paris Editions de llsquoEtoile 1982 insb S 11-3330
Ebd S 2831
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verschiedenen Figuren so dass der Zuschauer unweigerlich raumltselt ob
sich dieser Klang nicht vielleicht im Kopf jedes einzelnen ereignet DerFilm laumlsst es offen ndash oder vielmehr er laumlsst Widersprechendes geltenDer Ton kommt aus einem radikalen Auszligen einem Jenseits derFilmhandlung und ist zugleich nur in der Wahrnehmung jedesEinzelnen praumlsent Die Mundharmonika spricht mit einer Stimme dieabsolut fremd und zugleich intim vertraut ist 32
Die zugleich aus dem uumlberall und nirgendwo hallendeMundharmonika erinnert dabei frappant an jenes im juumldischen Ritusverwendete Horn das Schofar welches Theodor Reik in seiner Studie
uumlber Das Ritual untersucht und welches Lacan in seinem Seminar33
uumlber die Angst als laquoexemplarische Formraquo der Stimme vorstellen wird34
Die Stimme bei Lacan macht sich bemerkbar als Objekt das man nichtbesitzt sondern das vielmehr umgekehrt von einem Besitz ergreift undentsprechend scheint auch die Stimme der Mundharmonika nicht ausdem namenlosen Helden sondern durch ihn und alle in seinerUmgebung hindurch zu gehen (Abb 2 links)
Lied Leid Atem
In seiner Beschreibung der laquoIrradiationraquo von Affekten erwaumlhnt EugenBleuler die Moumlglichkeit dass ein Affekt wie Trauer laquoan irgendeine an
Siehe dazu und zum Folgenden auch Mladen Dolar His Masterlsquos Voice Eine Theorie de Stimme32
Frankfurt a M Suhrkamp 2007
Vgl Theodor Reik Das Ritual Psychoanalytische Studien Leipzig Wien Zuumlrich Internatio-33
naler Psychoanalytischer Verlag 1928 S 206-330
Vgl Lacan Die Angst S 304-319 hier S 31234
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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der Figur partizipieren Nicht nur die Figur auch das Publikum houmlrt mit
anderen OhrenIm selben Zug aber ist diese von Figur und Betrachter geteilteWahrnehmungsstoumlrung auch einfach eine Stoumlrung der Filmtechnik derFilmton tut nicht wie er sollte Gerade das mit dem eben ersterfundenen Ton1047297lm noch unvertraute Publikum der spaumlten Zwanziger
Jahre duumlrfte darum besonders auf diese akustische Manipulationreagiert haben und es ist sehr wahrscheinlich dass viele die ploumltzlicheVeraumlnderung des Tons an dieser Stelle des Films zunaumlchst fuumlr einetechnische Stoumlrung waumlhrend der Vorfuumlhrung gehalten haben duumlrften
In eben diesem Uumlbergreifen aber von der Figur auf das Publikumund mithin auf das Medium selbst gelingt Hitchcock nicht nur einebesonders gegluumlckte Darstellung des Affektzustands einer Figursondern er liefert mit dieser Szene unter der Hand auch noch gleicheine avancierte Theorie des Affekts als technischem EffektDefekt DieKritik Michel Chions des groszligen Theoretikers des (Film-)Tons andiesem Experiment Hitchcocks und sein Vorwurf der Zuschaueremp1047297nde die Veraumlnderung des Tons in Blackmail bloszlig als technischesVerfahren nicht aber als subjektive Emp1047297ndung der Figur verpasst26
denn auch gerade dass in dieser beklagten Verschiebung dieeigentliche nicht zuletzt auch psychoanalytische Pointe dieser Szeneliegt So wie Lacan das Unbewusste nicht in einer subjektivenInnerlichkeit sondern als eine Extimitaumlt bestimmt und damit in27
aumluszligeren Phaumlnomen und im Diskurs des Anderen verortet ist auch bei28
Hitchcock der Affekt gerade nicht mehr bloss subjektive Emp1047297ndung
Vgl Michel Chion Audio-Vision Sound on Screen New York Columbia University Press 199426
S 181-182
Vgl Jacques Lacan Das Seminar Buch VII Die Ethik der Psychoanalyse Weinheim Quadriga27
1996 S 171 Zum Begriff der Extimitaumlt siehe auch Jacques-Alain Miller laquoExtimiteacuteraquo in MarkBracher (Hg) Lacanian Theory of Discourse Subject Structure and Society New York New YorkUniversity Press 1994 S 74ndash87
Jacques Lacan laquoDas Seminar uumlber EA Poes rsaquoDer entwendete Brieflsaquoraquo in Ders Schriften I 28
Weinheim Quadriga 1991 S 7ndash60 hier S 14
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von den Film1047297guren nicht wahrgenommen wird und bleibt zugleich
doch auch fuumlr alle Anwesenden houmlrbar So changiert die Mund-harmonika in Once Upon a Time in the West eigenartig zwischen denEbenen Als von auszligen kommender Klang werden die Toumlne im Verlaufder Szene mit der Mundharmonika des Namenlosen identi1047297ziert dochnur um diese Ruumlckfuumlhrung des Klangs auf eine Quelle innerhalb derDiegese sogleich wieder zu leugnen und den Klang sich ausbreiten zulassen zur nicht-diegetischen Filmmusik
laquoAcousmecirctreraquo so hat Michel Chion in seiner bahnbrechenden(nicht zuletzt auch an Lacans Uumlberlegungen zur Stimme angelehnten)
Studie La voix au cineacutema all jene geisterhaften Stimmen genannt diewir keinem Koumlrper innerhalb der 1047297lmischen Handlung zuordnenkoumlnnen und die gerade durch diese Autonomie und Losgeloumlstheit uumlberbesondere Macht zu verfuumlgen scheinen Merkwuumlrdig zwischen An-30
und Abwesenheit schwankend ist es laquoals wuumlrde die Stimme uumlber dieOber1047298aumlche wandern zugleich drinnen und drauszligen sich sehnend nacheinem Platz an dem sie sich niederlassen kann [hellip] weder drauszligennoch drinnen ndash das ist das Schicksal des bdquoacousmecirctreldquo im Kinoraquo Die31
Stimme der toten Mutter in Hitchcocks Psycho etwa ist solch ein
laquoacousmecirctreraquo und ein besonders paradigmatisches noch dazu weil dieStimme der Mutter ja ohnehin die akusmatische Stimme par excellencedarstellt jene Stimme die das noch ungeborene Kind zwar bereits imMutterleib houmlrt ihren Ursprung aber nicht sehen kann
Und natuumlrlich ist auch die Mundharmonika-Melodie aus Once
Upon a Time in the West ebenfalls eine laquoakusmatischeraquo Stimme undeine ganz besondere noch dazu auch wenn Chion Leones Film leidernur ganz am Rande erwaumlhnt Denn waumlhrend das laquoacousmecirctreraquo sichnormalerweise dadurch auszeichnet ohne Ursprungsort innerhalb des
diegetischen Raums zu sein stehen beim Klang der Mundharmonikaim Gegenteil zu viele Anknuumlpfungspunkte zur Verfuumlgung Wenn in derbesagten Szene die Mundharmonika erklingt zeigt die Kamera uns diezugleich erschrockenen wie auch in sich gekehrten Gesichter der
Vgl Michel Chion La voix au cineacutema Paris Editions de llsquoEtoile 1982 insb S 11-3330
Ebd S 2831
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verschiedenen Figuren so dass der Zuschauer unweigerlich raumltselt ob
sich dieser Klang nicht vielleicht im Kopf jedes einzelnen ereignet DerFilm laumlsst es offen ndash oder vielmehr er laumlsst Widersprechendes geltenDer Ton kommt aus einem radikalen Auszligen einem Jenseits derFilmhandlung und ist zugleich nur in der Wahrnehmung jedesEinzelnen praumlsent Die Mundharmonika spricht mit einer Stimme dieabsolut fremd und zugleich intim vertraut ist 32
Die zugleich aus dem uumlberall und nirgendwo hallendeMundharmonika erinnert dabei frappant an jenes im juumldischen Ritusverwendete Horn das Schofar welches Theodor Reik in seiner Studie
uumlber Das Ritual untersucht und welches Lacan in seinem Seminar33
uumlber die Angst als laquoexemplarische Formraquo der Stimme vorstellen wird34
Die Stimme bei Lacan macht sich bemerkbar als Objekt das man nichtbesitzt sondern das vielmehr umgekehrt von einem Besitz ergreift undentsprechend scheint auch die Stimme der Mundharmonika nicht ausdem namenlosen Helden sondern durch ihn und alle in seinerUmgebung hindurch zu gehen (Abb 2 links)
Lied Leid Atem
In seiner Beschreibung der laquoIrradiationraquo von Affekten erwaumlhnt EugenBleuler die Moumlglichkeit dass ein Affekt wie Trauer laquoan irgendeine an
Siehe dazu und zum Folgenden auch Mladen Dolar His Masterlsquos Voice Eine Theorie de Stimme32
Frankfurt a M Suhrkamp 2007
Vgl Theodor Reik Das Ritual Psychoanalytische Studien Leipzig Wien Zuumlrich Internatio-33
naler Psychoanalytischer Verlag 1928 S 206-330
Vgl Lacan Die Angst S 304-319 hier S 31234
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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von den Film1047297guren nicht wahrgenommen wird und bleibt zugleich
doch auch fuumlr alle Anwesenden houmlrbar So changiert die Mund-harmonika in Once Upon a Time in the West eigenartig zwischen denEbenen Als von auszligen kommender Klang werden die Toumlne im Verlaufder Szene mit der Mundharmonika des Namenlosen identi1047297ziert dochnur um diese Ruumlckfuumlhrung des Klangs auf eine Quelle innerhalb derDiegese sogleich wieder zu leugnen und den Klang sich ausbreiten zulassen zur nicht-diegetischen Filmmusik
laquoAcousmecirctreraquo so hat Michel Chion in seiner bahnbrechenden(nicht zuletzt auch an Lacans Uumlberlegungen zur Stimme angelehnten)
Studie La voix au cineacutema all jene geisterhaften Stimmen genannt diewir keinem Koumlrper innerhalb der 1047297lmischen Handlung zuordnenkoumlnnen und die gerade durch diese Autonomie und Losgeloumlstheit uumlberbesondere Macht zu verfuumlgen scheinen Merkwuumlrdig zwischen An-30
und Abwesenheit schwankend ist es laquoals wuumlrde die Stimme uumlber dieOber1047298aumlche wandern zugleich drinnen und drauszligen sich sehnend nacheinem Platz an dem sie sich niederlassen kann [hellip] weder drauszligennoch drinnen ndash das ist das Schicksal des bdquoacousmecirctreldquo im Kinoraquo Die31
Stimme der toten Mutter in Hitchcocks Psycho etwa ist solch ein
laquoacousmecirctreraquo und ein besonders paradigmatisches noch dazu weil dieStimme der Mutter ja ohnehin die akusmatische Stimme par excellencedarstellt jene Stimme die das noch ungeborene Kind zwar bereits imMutterleib houmlrt ihren Ursprung aber nicht sehen kann
Und natuumlrlich ist auch die Mundharmonika-Melodie aus Once
Upon a Time in the West ebenfalls eine laquoakusmatischeraquo Stimme undeine ganz besondere noch dazu auch wenn Chion Leones Film leidernur ganz am Rande erwaumlhnt Denn waumlhrend das laquoacousmecirctreraquo sichnormalerweise dadurch auszeichnet ohne Ursprungsort innerhalb des
diegetischen Raums zu sein stehen beim Klang der Mundharmonikaim Gegenteil zu viele Anknuumlpfungspunkte zur Verfuumlgung Wenn in derbesagten Szene die Mundharmonika erklingt zeigt die Kamera uns diezugleich erschrockenen wie auch in sich gekehrten Gesichter der
Vgl Michel Chion La voix au cineacutema Paris Editions de llsquoEtoile 1982 insb S 11-3330
Ebd S 2831
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verschiedenen Figuren so dass der Zuschauer unweigerlich raumltselt ob
sich dieser Klang nicht vielleicht im Kopf jedes einzelnen ereignet DerFilm laumlsst es offen ndash oder vielmehr er laumlsst Widersprechendes geltenDer Ton kommt aus einem radikalen Auszligen einem Jenseits derFilmhandlung und ist zugleich nur in der Wahrnehmung jedesEinzelnen praumlsent Die Mundharmonika spricht mit einer Stimme dieabsolut fremd und zugleich intim vertraut ist 32
Die zugleich aus dem uumlberall und nirgendwo hallendeMundharmonika erinnert dabei frappant an jenes im juumldischen Ritusverwendete Horn das Schofar welches Theodor Reik in seiner Studie
uumlber Das Ritual untersucht und welches Lacan in seinem Seminar33
uumlber die Angst als laquoexemplarische Formraquo der Stimme vorstellen wird34
Die Stimme bei Lacan macht sich bemerkbar als Objekt das man nichtbesitzt sondern das vielmehr umgekehrt von einem Besitz ergreift undentsprechend scheint auch die Stimme der Mundharmonika nicht ausdem namenlosen Helden sondern durch ihn und alle in seinerUmgebung hindurch zu gehen (Abb 2 links)
Lied Leid Atem
In seiner Beschreibung der laquoIrradiationraquo von Affekten erwaumlhnt EugenBleuler die Moumlglichkeit dass ein Affekt wie Trauer laquoan irgendeine an
Siehe dazu und zum Folgenden auch Mladen Dolar His Masterlsquos Voice Eine Theorie de Stimme32
Frankfurt a M Suhrkamp 2007
Vgl Theodor Reik Das Ritual Psychoanalytische Studien Leipzig Wien Zuumlrich Internatio-33
naler Psychoanalytischer Verlag 1928 S 206-330
Vgl Lacan Die Angst S 304-319 hier S 31234
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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von den Film1047297guren nicht wahrgenommen wird und bleibt zugleich
doch auch fuumlr alle Anwesenden houmlrbar So changiert die Mund-harmonika in Once Upon a Time in the West eigenartig zwischen denEbenen Als von auszligen kommender Klang werden die Toumlne im Verlaufder Szene mit der Mundharmonika des Namenlosen identi1047297ziert dochnur um diese Ruumlckfuumlhrung des Klangs auf eine Quelle innerhalb derDiegese sogleich wieder zu leugnen und den Klang sich ausbreiten zulassen zur nicht-diegetischen Filmmusik
laquoAcousmecirctreraquo so hat Michel Chion in seiner bahnbrechenden(nicht zuletzt auch an Lacans Uumlberlegungen zur Stimme angelehnten)
Studie La voix au cineacutema all jene geisterhaften Stimmen genannt diewir keinem Koumlrper innerhalb der 1047297lmischen Handlung zuordnenkoumlnnen und die gerade durch diese Autonomie und Losgeloumlstheit uumlberbesondere Macht zu verfuumlgen scheinen Merkwuumlrdig zwischen An-30
und Abwesenheit schwankend ist es laquoals wuumlrde die Stimme uumlber dieOber1047298aumlche wandern zugleich drinnen und drauszligen sich sehnend nacheinem Platz an dem sie sich niederlassen kann [hellip] weder drauszligennoch drinnen ndash das ist das Schicksal des bdquoacousmecirctreldquo im Kinoraquo Die31
Stimme der toten Mutter in Hitchcocks Psycho etwa ist solch ein
laquoacousmecirctreraquo und ein besonders paradigmatisches noch dazu weil dieStimme der Mutter ja ohnehin die akusmatische Stimme par excellencedarstellt jene Stimme die das noch ungeborene Kind zwar bereits imMutterleib houmlrt ihren Ursprung aber nicht sehen kann
Und natuumlrlich ist auch die Mundharmonika-Melodie aus Once
Upon a Time in the West ebenfalls eine laquoakusmatischeraquo Stimme undeine ganz besondere noch dazu auch wenn Chion Leones Film leidernur ganz am Rande erwaumlhnt Denn waumlhrend das laquoacousmecirctreraquo sichnormalerweise dadurch auszeichnet ohne Ursprungsort innerhalb des
diegetischen Raums zu sein stehen beim Klang der Mundharmonikaim Gegenteil zu viele Anknuumlpfungspunkte zur Verfuumlgung Wenn in derbesagten Szene die Mundharmonika erklingt zeigt die Kamera uns diezugleich erschrockenen wie auch in sich gekehrten Gesichter der
Vgl Michel Chion La voix au cineacutema Paris Editions de llsquoEtoile 1982 insb S 11-3330
Ebd S 2831
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verschiedenen Figuren so dass der Zuschauer unweigerlich raumltselt ob
sich dieser Klang nicht vielleicht im Kopf jedes einzelnen ereignet DerFilm laumlsst es offen ndash oder vielmehr er laumlsst Widersprechendes geltenDer Ton kommt aus einem radikalen Auszligen einem Jenseits derFilmhandlung und ist zugleich nur in der Wahrnehmung jedesEinzelnen praumlsent Die Mundharmonika spricht mit einer Stimme dieabsolut fremd und zugleich intim vertraut ist 32
Die zugleich aus dem uumlberall und nirgendwo hallendeMundharmonika erinnert dabei frappant an jenes im juumldischen Ritusverwendete Horn das Schofar welches Theodor Reik in seiner Studie
uumlber Das Ritual untersucht und welches Lacan in seinem Seminar33
uumlber die Angst als laquoexemplarische Formraquo der Stimme vorstellen wird34
Die Stimme bei Lacan macht sich bemerkbar als Objekt das man nichtbesitzt sondern das vielmehr umgekehrt von einem Besitz ergreift undentsprechend scheint auch die Stimme der Mundharmonika nicht ausdem namenlosen Helden sondern durch ihn und alle in seinerUmgebung hindurch zu gehen (Abb 2 links)
Lied Leid Atem
In seiner Beschreibung der laquoIrradiationraquo von Affekten erwaumlhnt EugenBleuler die Moumlglichkeit dass ein Affekt wie Trauer laquoan irgendeine an
Siehe dazu und zum Folgenden auch Mladen Dolar His Masterlsquos Voice Eine Theorie de Stimme32
Frankfurt a M Suhrkamp 2007
Vgl Theodor Reik Das Ritual Psychoanalytische Studien Leipzig Wien Zuumlrich Internatio-33
naler Psychoanalytischer Verlag 1928 S 206-330
Vgl Lacan Die Angst S 304-319 hier S 31234
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
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Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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verschiedenen Figuren so dass der Zuschauer unweigerlich raumltselt ob
sich dieser Klang nicht vielleicht im Kopf jedes einzelnen ereignet DerFilm laumlsst es offen ndash oder vielmehr er laumlsst Widersprechendes geltenDer Ton kommt aus einem radikalen Auszligen einem Jenseits derFilmhandlung und ist zugleich nur in der Wahrnehmung jedesEinzelnen praumlsent Die Mundharmonika spricht mit einer Stimme dieabsolut fremd und zugleich intim vertraut ist 32
Die zugleich aus dem uumlberall und nirgendwo hallendeMundharmonika erinnert dabei frappant an jenes im juumldischen Ritusverwendete Horn das Schofar welches Theodor Reik in seiner Studie
uumlber Das Ritual untersucht und welches Lacan in seinem Seminar33
uumlber die Angst als laquoexemplarische Formraquo der Stimme vorstellen wird34
Die Stimme bei Lacan macht sich bemerkbar als Objekt das man nichtbesitzt sondern das vielmehr umgekehrt von einem Besitz ergreift undentsprechend scheint auch die Stimme der Mundharmonika nicht ausdem namenlosen Helden sondern durch ihn und alle in seinerUmgebung hindurch zu gehen (Abb 2 links)
Lied Leid Atem
In seiner Beschreibung der laquoIrradiationraquo von Affekten erwaumlhnt EugenBleuler die Moumlglichkeit dass ein Affekt wie Trauer laquoan irgendeine an
Siehe dazu und zum Folgenden auch Mladen Dolar His Masterlsquos Voice Eine Theorie de Stimme32
Frankfurt a M Suhrkamp 2007
Vgl Theodor Reik Das Ritual Psychoanalytische Studien Leipzig Wien Zuumlrich Internatio-33
naler Psychoanalytischer Verlag 1928 S 206-330
Vgl Lacan Die Angst S 304-319 hier S 31234
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
1612015)
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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sich gleichguumlltige Nebenvorstellung geknuumlpft werden [kann] an die
Wahrnehmung des Ortes wo man den Verstorbenen zuletzt gesehenan ein Lied raquo Dass der Klagelaut der Mundharmonika ein solches35
Lied ist an welches sich Affekte geknuumlpft haben ist offensichtlich undwird im Showdown des Films wo wir endlich erfahren was dennamenlosen Revolverhelden so gegen die Banditen aufgebracht hat inForm einer Ruumlckblende aufgeklaumlrt Die Banditen hatten den groumlszligerenBruder des namenlosen Helden auf besonders grausame Weiseumgebracht Mit einem an einem Torbogen festgemachten Henker-strick um den Hals stellten sie diesen auf die Schultern des gefesselten
damals noch halbwuumlchsigen Helden dem sie eine Mundharmonika inden Mund steckten und hatten zugesehen und den unkontrolliertenLauten der Harmonika gelauscht bis der Junge schlieszliglich unter derLast des groszligen Bruders zusammenbrach so dass dieser erhaumlngt wurde(Abb 2 rechts) Das Lied singt vom Leid
laquoErinnerung des Tons des Schofar der Ton des Schofar als dieErinnerung stuumltzendraquo heiszligt es bei Lacan und koumlnnte exakt so auch36
fuumlr die Mundharmonika bei Sergio Leone formuliert werden indem sieerklingt erinnert sie an jenen fruumlheren Moment und zugleich an ihren
eigenen ehemaligen Ton Der Laut der Mundharmonika so wird in derRuumlckblende des Films klar war denn auch urspruumlnglich gar kein Liedsondern nur der durch das bloszlige Ein- und Ausatmen des Jungenerzeugte Klang in der Mundharmonika Das Atmen laquoliegtraquo in denWorten Friedrich Kittlers laquoam letzten und leisesten Grund allenFluumlsterns und Singensraquo von dem aus laquoalle Vokalmusik sich ersterheben kannraquo Atmen ist sozusagen die Nullstufe des Lieds das Lied37
hingegen eigentlich nichts als verstaumlrkter Atem In Leones Sound-Effekten die zugleich Sound-Affekte sind verschraumlnken sich diese
beiden Pole vollstaumlndig indem selbst die Filmmusik dieser Klang vonAuszligerhalb der Filmhandlung und damit quasi der Eigensound desMediums letztlich nichts anderes ist als der durch diverse Apparaturen
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 27 [Hervorhebung JB]35
Lacan Die Angst S 31336
Vgl Friedrich Kittler - Songs uumlber das Atmen httpvimeocom94766879 (letzter Zugriff37
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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(Mundharmonika Filmton Orchestrierung) verstaumlrkte Atem des
gequaumllten Jungen innerhalb der Handlung Eigenstes und Aumluszligerstes38
Atem der diegetischen Figur und nicht-diegetischer Sound des Mediumsverschraumlnken sich in einem Klang der buchstaumlblich keine Grenzen zukennen scheint39
Offenbar aber haben sich nicht nur die verschiedenen Affektedes Protagonisten (der Hass auf die Banditen der Schmerz uumlber denTod seines Bruders die Schuldgefuumlhle) an dieses zwischenmenschlichem Atem und medial-technischem Sound schwankende Liedder Mundharmonika geheftet Auch alle anderen Figuren welche ihren
Klang houmlren scheinen von ihr sogleich af 1047297ziert zu sein wie uns dieGroszligaufnahmen ihrer Gesichter zeigen Die dem Affekt eigene Tendenzzur Verschiebung zeigt sich somit als dessen Uumlbertragbarkeit von einerauf die die anderen Figuren Der Affekt ist ansteckend Und natuumlrlichuumlbertraumlgt sich dieser Affekt auch auf den Zuschauer der ebenfalls ndash wiees der sagenhafte Erfolg von Ennio Morricones Filmmusik beweist ndashden Mundharmonika-Klang dieses Films nicht mehr abzuschuumlttelnvermag nachdem er ihn einmal vernommen hat
Affektfaumlrbung Michael Powell
Aumluszligert sich bei Hitchcock und Leone der Affekt als akustischesPhaumlnomen welches nicht nur Figuren und Zuschauer sondern auch dieTechnik des Films selbst und dessen Tonspur af 1047297ziert und sich mithin
Die Verschraumlnkung von natuumlrlichen und kuumlnstlichen Lauten von Geraumluschen mit Musik ist denn38
auch typisch fuumlr die anderen Soundtracks welche der Komponist Ennio Morricone fuumlr SergioLeone gemacht hat und der Komponist selber hat den maszliggeblichen Ein1047298uss Leones auf diese neue
Art der Komposition betont vgl John Fawell The Art of Sergio Leones Once Upon a Time in theWest A Critical Appreciation Jefferson NC McFarland 2005 S 190-191
In seinem letzten Film dem opus magnum Once Upon a Time in America wird Leone mit einem39
solchen grenzenlosen Klang einsteigen und zwar ist waumlhrend fast vier Minuten das Laumluten einesTelefons zu houmlren das der Zuschauer keinem der gezeigten Bilder zuordnen kann Selbst dann alsein Telefon zu sehen ist und von einer Figur der Houmlrer abgenommen wird geht das Klingeln weiterWie die Mundharmonika im Vorgaumlnger1047297lm ist auch das Telefon hier ein (An-)Ruf der von auszliger-und innerhalb der Diegese zugleich zu kommen scheint Signal der Erinnerung des Protagonistenebenso wie Stoumlrgeraumlusch auf dem Soundtrack Slavoj Žižek hat dieses Telefonklingeln denn auchmit der untoten Stimme des Triebs verglichen vgl Slavoj Žižek Koumlrperlose Organe Bausteine fuumlreine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan Frankfurt a M Suhrkamp 2005 S 232
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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als deren Stoumlrung als technischer Defekt bemerkbar macht so laumlsst
sich Analoges auch im Bereich des Optischen und im Umgang mitFarbe zeigenGerne vergisst man dass die Farbe (wie bereits der Ton) im Film
niemals ein natuumlrliches Phaumlnomen sondern ein kuumlnstlich erzeugterchemikalischer Effekt ist Es gibt wie etwa Peter Wollen betont hatzwischen Filmfarbe und Naturfarbe keine direkte indexikalischeVerbindung stattdessen steht zwischen den Farben der ge1047297lmten Naturund jenen die wir auf der Leinwand sehen ein mehrstu1047297gertechnologischer Prozess der Faumlrbung Dieser Uumlbersetzungsprozess ist40
nicht nur stoumlrungsanfaumlllig wie die Geschichte der Filmfarbe zeigt41
sondern eroumlffnet auch besondere Moumlglichkeiten der Manipulation DieUnnatuumlrlichkeit der Filmfarbe waumlre somit weniger als Mangel alsvielmehr gerade als ihr Potential zu erkennen Entsprechend schlaumlgtbereits Sergej Eisenstein vor (ganz analog zu seinen oben erwaumlhntenUumlberlegungen zur kontrapunktischen Verwendung des Tons im Film)Farbe im Film nicht als natuumlrliche Eigenschaft der Objekte zu zeigensondern als deren expressive Einfaumlrbung und Verfaumlrbung42
laquoDie Filmemacher haben sich auf die Farbe gestuumlrzt um vom
Realismus des Kinos wegzukommen und nicht um ihn durchrealitaumltsnahe Farben noch zu konsolidierenraquo meint denn auch Frieda43
Grafe in ihren grundlegenden Studien zur Filmfarbe Das gilt in ganzbesonderem Maszlige auch fuumlr den britischen Filmemacher MichaelPowell und seinen eigenwilligen unrealistischen Umgang mitTechnicolorfarbe Wobei ja bereits der Name dieses Farbverfahrens aufseine genuine Unnatuumlrlichkeit hinweist Wie der Name laquoTechnicolorraquoimpliziert ist Farbe hier eben nicht Natur- sondern Technikprodukt
Vgl Peter Wollen laquoCinema and Technology A Historical Overviewraquo in Teresa de Lauretis40
Stephen Heath (Hg) The Cinematic Apparatus London Macmillan 1980 S 14-25 hier S 24
Zum Uumlberblick uumlber die diversen Farbverfahren des Films halte man sich an die eindruumlckliche41
Datenbank der Zuumlrcher Filmwissenschaftlerin Barbara Fluumlckiger Timeline of Historical Film Colorshttpzauberklangchfilmcolors (zuletzt aufgerufen am 1712015)
Vgl Sergej Eisenstein laquoDer Farb1047297lmraquo [1948] in Helmut H Diederichs (Hg) Geschichte der42
Filmtheorie Frankfurt a M Suhrkamp 2004 S 389-400
Frieda Grafe laquoTomaten auf den Augen Die Geschichte des Farb1047297lms ist die Geschichte einer43
Verdraumlngung Gespraumlch mit Miklos Gimesraquo in Dies Filmfarben Schriften Bd 1 BerlinBrinkmann amp Bose 2002 S 47-68 hier S 65
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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Als kuumlnstliche Farbe ist Technicolor aber auch besonders af 1047297n fuumlr die
Darstellung einer ebenfalls unnatuumlrlichen technisch-konstruiertenpsychischen Realitaumlt44
laquoLife is so unimportantraquo so sagt gegen Schluss von MichaelPowells Film The Red Shoes der diabolische Impresario BorisLermontov zu seiner Ballerina Vicky Page Er versucht sie mit diesenWorten zu uumlberzeugen ihr privates Gluumlck endguumlltig aufzugeben fuumlreine Karriere auf der Balletbuumlhne Was es bedeutet sich bei der Wahlzwischen Leben und Kunst fuumlr letzteres zu entscheiden das ist esworum sich The Red Shoes dreht und auch wie grausam und letztlich
toumldlich diese Wahl ist Zugleich aber laumlsst Powell nie Zweifel darandass man sich gar nicht anders entscheiden kann Der Satz laquoLife is sounimportantraquo bringt sozusagen den ganzen Film auf den Punkt nichtnur was seine Erzaumlhlung sondern zugleich auch was seine Machartangeht Auch in seiner formalen Gestaltung und insbesondere in seinenFarben will der Film sich nicht mit dem Lebensechten begnuumlgen DieFarbe ist nicht realistisch sondern sur-realistisch und statt optischeEigenschaft der ge1047297lmten Dinge zu sein entpuppt sie sich vielmehr alssowohl affektive wie af 1047297zierende Verfaumlrbung
Dies 1047297ndet sich exemplarisch vorgefuumlhrt bereits ein Jahr zuvor inMichael Powells Black Narcissus Der Film erzaumlhlt vom vergeblichenVersuch eines englischen Nonnenkonvents inmitten des Himalaya einKloster einzurichten Doch die fremdartigen Farben der exotischenUmgebung bringen die Nonnen durcheinander Luumlste und Affektebefallen sie die sie an sich zuvor nicht kannten Besonders eine derjungen Nonnen laumlsst sich von dieser neuen farbenpraumlchtigen Umgebungaffizieren und wird dann umgekehrt ihren neuen Gefuumlhlszustandwiederum uumlber exaltierte Farbe zur Schau stellen Ihr Konflikt mit der
Mutter Oberin kulminiert in einer naumlchtlichen Konfrontation welchevor allem ein Duell der Farben ist Waumlhrend die Mutter Oberin in ihremweiszligen Habit an ihre Kammer klopft tritt ihr die abtruumlnnige Nonne ineinem roten Kleid gegenuumlber und wird spaumlter demonstrativ rotenLippenstift auftragen Das Rot des Lippenstifts von Powell in extremer
Zur Un- bzw Uumlbernatuumlrlichkeit der Filmfarbe siehe auch Johannes Binotto laquoUumlbernatuumlrliche44
Farbe Zu Technicolor und dessen Aumlsthetikraquo in Filmbulletin 612 (September 2012) S 33-39
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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7212019 Johannes Binotto Affekt Effekt Defekt Filmtechnik undals Affektstoumlrung
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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Groszligaufnahme gefilmt fungiert dabei offenkundig als Signalfarbe fuumlr
den veraumlnderten Gefuumlhlszustand der Figur (Abb 3 links)
Schon in einer fruumlheren Szene war dieselbe Nonne nach der Verpflegungeiner Verletzten mit einem blutbesudeltem Habit zur ihrer Vorgesetztengekommen und war dort auch zum ersten Mal auf jenen Manngetroffen fuumlr den sie eine verzehrende Liebe empfand Obwohl indieser Szene noch durch die Handlung motiviert lassen sich dieBlut1047298ecken im Nachhinein als erste Zeichen eines entfesselten Farb-Affektes erkennen der sich spaumlter uumlber die ganze Person ausbreitenwird und nicht nur uumlber sie Wenn die junge Nonne endguumlltig vonihrem eifersuumlchtigen Hass auf die Mutter Oberin und ihrer Lust aufden Mann uumlberwaumlltigt wird laumlsst Powell gar das ganze Filmbild rot1047298uten (Abb 3 rechts) Die Farbe als entfesselter aus seinenVertaumluungen gerissener Affekt mag nicht an Objekten wie Kleidernoder Lippen bleiben sondern beginnt die ganze Wahrnehmungeinzufaumlrben Die roten Flecken welche sich zu Anfang von Black
Narcissus noch auf dem Habit der jungen Nonne befanden breitensich aus und faumlrben auch auf den Koumlrper des Films ab Der Affektergreift das Material und zeigt sich auf diesem als Defekt als waumlre beider Farbabstimmung im Filmlabor etwas schief gelaufen
Aumlhnlich wird Powell denn auch im Ballet1047297lm Tales of Hoffmann (1951) verfahren wenn in einer Szene die Wut einer Figur dadurchgezeigt wird dass fuumlr einen kurzen Moment das ganze Filmset ingruumlnes Licht getaucht wird Betreffen die Rotbilder in Black Narcissus noch ausschlieszliglich jene subjektive Kameraeinstellungen welche den
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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Blickwinkel der Figur imitieren wird in Tales of Hoffmann auch die
Figur selbst gruumln angeleuchtet Diese Nuance ist entscheidend DieAffekt wird hier nicht von der Figur nach drauszligen projiziert sondernlegt sich vielmehr von auszligen auf sie Der Affekt erweist sich als restlosdesubjektiviert
Analog hat der Filmwissenschaftler Sulgi Lie unlaumlngst unter demsprechenden Titel laquoAnamorphosen des Affektsraquo genau solche Affekt-Abspaltungen auch anhand der Rotbilder im Hitchcock-Films Marnie von 1964 beschrieben
Als ob sich Affekt und Subjekt voneinander abgespalten haumlttenkontaminiert das Rot als anamorphotischer Fleck das gesamte Bildfeld[hellip] Anstatt einer Innerlichkeit die sich im Affektausdruck nach auszligenkehrt hat man es in Marnie mit einem unpersoumlnlichen Affekt zu tunder das Subjekt von auszligen heimsucht45
Exakt dasselbe findet sich allerdings in Michael Powells Umgang mit Farbebereits praumlfiguriert Schon hier entwickelt die Farbe des Affekts ein vom46
Subjekt unabhaumlngiges Eigenleben und affiziert dieses von auszligen herWie Sulgi Lie festhaumllt trifft sich diese Vorstellung eines
autonomen Affekts mit Gilles Deleuzes Affekt-Begriff den dieser auchprompt anhand des Kinos entwickelt hat So ist es im ersten seinerbeiden Kino-Buumlcher wo Deleuze vom Affekt als einem laquonichtindividuiertenraquo spricht und dem Film die Tendenz attestiert laquoden
Sulgi Lie laquoAnamorphosen des Affekts Hitchcocks Akusmatik der Erinnerung Rebecca45
Spellbound Marnieraquo in Ute Holl Matthias Wittmann (Hg) Memoryscapes Filmformen der
Erinnerung Zuumlrich Berlin Diaphanes 2013 S 199ndash226 hier S 215-216 Wie es uumlberhaupt angebracht scheint einen starken Ein1047298uss insbesondere von Powells Black46
Narcissus auf eine ganze Reihe von Hitchcock-Filmen zu vermuten Neben den diversenKorrespondenzen mit Marnie stechen insbesondere die Aumlhnlichkeit zwischen dem Schluss vonVertigo und jenem von Black Narcissus ins Auge Tatsaumlchlich wurde solch ein Ein1047298uss meinesWissens von Hitchcock nie bestaumltigt gleichwohl ist anzunehmen dass er Powells Film kannte Diebeiden Filmemacher waren befreundet und Powell hatte nicht nur als Setfotograf fuumlr Hitchcockgearbeitet sondern war eigenen Aussagen zufolge am Drehbuch des bereits erwaumlhnten Blackmail mitbeteiligt vgl Bertrand Tavernier laquoAn Interview with Michael Powellraquo [1968] in David Lazar(Hg) Michael Powell Interviews Jackson University Press of Mississippi 2003 S 25-43 hier S30
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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7212019 Johannes Binotto Affekt Effekt Defekt Filmtechnik undals Affektstoumlrung
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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Affekt von der Zugehoumlrigkeit zu einer Person abzuschneidenraquo Wie47
sich auch bei Joan Copjec uumlberpruumlfen laumlsst steht diese Vorstellungeines sich von der Person abloumlsenden Affekts nicht etwa im Kon1047298iktzur Psychoanalyse sondern fuumlhrt vielmehr Freuds und Lacans Argu-ment von der Verschobenheit des Affekts fort48
Diese im Anschluss an Freud und Lacan von Deleuzebeobachtete Abloumlsungen des Affekts aumluszligert sich nicht zuletzt auchdarin dass der Affekt sich einer eindeutigen Ruumlckfuumlhrung auf eineBedeutung entzieht In einer der aufmerksamsten Stelle seines erstenKino-Buchs schreibt Deleuze ausgehend von der exaltierten Farbigkeit
in den Filmen Vincente Minnellis
Godards Devise bdquoDas ist kein Blut das ist Rotldquo (Week-end) gilt fuumlr denganzen Kolorismus [hellip] Gewiss gibt es eine Farbsymbolik aber siebesteht nicht in einer Entsprechung zwischen einer Farbe und einemAffekt (Gruumln und die Hoffnunghellip) Vielmehr ist die Farbe selbst derAffekt49
Film-Farbe erweist sich mithin als ganz neuer Affekt der so sehr seinensymbolischen laquoVertaumluungen entrissenraquo (Lacan) ist dass er gar nicht
mehr in bereits bestehende Termini zuruumlckuumlbersetzt werden kannEntsprechend war es denn auch ungenau wenn wir das Rot aus Black
Narcissus oder das Gruumln aus Tales of Hoffmann noch als HassEifersucht oder Wut zu deuten versuchen So wie die Farben in denbeschriebenen Szenen sich von den Gegenstaumlnden loumlsen und sichungebaumlndigt ausbreiten so uumlberschreiten sie letztlich auch dieBegrif 1047298ichkeit und verweisen auf nichts als ihre eigene ErscheinungWas wir in den Farben des Films erleben sind nicht bekannte sondernganz neue Affekte fuumlr die es auszligerhalb des Kino gar kein Pendant mehr
Gilles Deleuze Das Bewegungs-Bild Kino 1 Frankfurt a M Suhrkamp 1989 S 28747
Problematisch ist freilich dass Deleuze diese Tendenz auf einen 1047297lmhistorischen Moment imUumlbergang vom klassischen zum post-klassischen Kino (Deleuze bezieht sich an besagter Stelle aufdie nouvelle vague) zu 1047297xieren versucht wobei fuumlr ihn Hitchcock ein Regisseur des Uumlbergangszwischen diesen Epochen darstellt Wie das Beispiel von Powell amp Pressburger indes zeigt laumlsst sichdiese Tendenz bereits fruumlher und noch waumlhrend der klassischen Periode des Kinos beobachten
Vgl Copjec laquoMay 68 The Emotional Monthraquo S 94-95 Siehe dazu auch Angerer Das48
Begehren nach dem Affekt S 124-126
Deleuze Das Bewegungs-Bild S 16449
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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gibt Doch trifft sich diese Entdeckung mit dem was schon Bleuler
benennt wenn er ob den unablaumlssigen Verschiebungen des Affektskonstatiert laquoMan weiszlig dann oft gar nicht was der Affekt fuumlr eineBedeutung hatraquo Und auch Freud wird in seinem Aufsatz laquoHemmung50
Symptom und Angstraquo uumlber die Angst jenen bemerkenswerten Satzaumluszligern laquoWie heiszligen sie [die Angst] einen Affektzustand obwohl wirauch nicht wissen was ein Affekt istraquo51
laquoNicht wissen was ein Affekt istraquo ndash darin sind sich Kino undPsychoanalyse einig nicht obwohl sondern gerade weil sie beideunablaumlssig mit dem Affekt zu tun haben Das Kino indes lehrt uns dass
diese Unwissen uumlber den Affekt weniger als eine Kapitulation sonderngerade als Erkenntnis zu verstehen ist Affekt ist nicht positivistisch zufassen Affekt ist vielmehr der Name fuumlr jenes ploumltzlich sich auftuendeNicht-Wissen im Subjekt selbst Signal einer beaumlngstigenden Begegnungmit etwas was gerade nicht eigene Empfindung ist sondern von auszligenkommende Affizierung Im Affekt kommt das Subjekt sich selbstabhanden verrutscht
Verrutschungen Misalignments
Lacan hat vom Affekt als immer schon laquoverrutschtenraquo gesprochen undwir haben zu zeigen versucht wie sich diese Verrutschung in denvirtuos verrutschten Toumlnen und Farben des Film zeigt Doch warumnicht in einem letzten Schritt diese Verrutschtheit des Affekts vollendswoumlrtlich nehmen und sie auch in jenen konkreten Verrutschungenwiedererkennen den sogenannten laquomisalignmentsraquo welche Farb1047297lmemitunter aufweisen
Gewiss ist aufmerksamen Betrachtern schon aufgefallen dassFiguren und Objekte in fruumlhen Technicolor1047297lmen mitunter an denRaumlndern wie mit einem leichten Glorienschein umgeben zu seinscheinen und ein gut Teil des visuellen Reizes dieser Filme ruumlhrt
Bleuler Lehrbuch der Psychiatrie S 2750
Freud laquoHemmung Symptom und Angstraquo S 16251
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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vielleicht genau daher Dieser zauberhafte Effekt ist indes eigentlich nur
das Resultat einer Schwierigkeit bei der Filmproduktion Imsogenannten 3-strip-Technicolor-Verfahren werden gleichzeitig dreiFilmstreifen belichtet (je ein Streifen pro Grundfarbe) Von jedemdieser drei Streifen wird eine Matritze erstellt mit denen dann die dreimonochromen Versionen der Aufnahme uumlbereinander auf den fertigenFilm gedruckt werden so dass in der Kombination ein dreifarbiges Bildentsteht Dieses Druckverfahren und auch die Verwendung von dreiverschiedenen Filmstreifen als Ausgangsmaterial birgt indes die Gefahrdass die drei uumlbereinander gedruckten Farbversionen nicht absolut
deckungsgleich sondern mitunter leicht verschoben laquomisalignedraquo sindWinzige Abweichungen zwischen den drei Aufnahmen bzw derenMatrizen koumlnnen dazu fuumlhren dass die Objekt- und Figuren-Raumlnderunscharf oder mit einem leichten Lichthof versehen erscheinen wieman das etwa zuweilen von billig gemachten Farbdrucken inZeitschriften kennt
Doch eignet diesen laquomisalignmentsraquo im Film eine ganz eigenepoetische Qualitaumlt und mithin affektive Kraft Und dies offensichtlichvollkommen unabhaumlngig von den Intentionen der Filmemacher was sie
als Affekt-Effekte nur noch interessanter macht Die Tonmanipulationenbei Hitchcock und Leone oder die Farbexperimente bei Michael Powellwaren bewusst eingesetzte Effekte (auch wenn sich bereits hier dieFilmemacher der enormen Uumlberdeterminiertheit dieser Eingriffe wohlnicht vollends gewahr gewesen sein duumlrften) Die laquomisalignmentsraquo inTechnicolorfilmen hingegen sind keine bloszligen Pseudo-Defekte mehrsondern tatsaumlchliche Fehler die sich bei der Filmproduktioneingeschlichen haben
Und doch scheinen in einem Film wie etwa John M Stahls
Melodrama Leave Her to Heaven von 1945 diese subtilen Defekte desFilmbildes gerade in ihrer Verrutschtheit exakt zu passen erzaumlhlt dochauch der Film die Geschichte einer Affektstoumlrung Es ist die Geschichteeiner jungen Frau die ob ihrer krankhaften Eifersucht alle Menschenumbringt die ihrem Ehemann nahestehen Der Mann in den sie sichnur deshalb verliebt hat weil sein Bild der Fotogra1047297e ihresverstorbenen Vaters so gleicht muss 1047297xiert und isoliert werden ndash so wie
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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ihn die starre Fotogra1047297e zeigt Was ihn an anderen Beziehungen52
umgibt wird gekappt den gelaumlhmten Bruder des Gatten laumlsst siekaltbluumltig im See ertrinken und selbst das noch ungeborene Kind inihrem Leib wird sie mit einem Sturz von der Treppe toumlten aus lauterAngst das Kind koumlnnte dereinst die schrecklich-perfekte Zweisamkeitstoumlren Am Ende wird die Frau gar sich selber umbringen nur umdadurch den Gatten endguumlltig und fuumlr immer zu vereinnahmen Siewerde dafuumlr sorgen das nichts ihr trautes Gluumlck stoumlre hatte sie kurznach der Hochzeit ihrem Mann beim Fruumlhstuumlck versprochen und derFilm zeigt wie grausig woumlrtlich sie dieses Versprechen nimmt Gerade
weil jede Stoumlrung eliminiert wird erweist sich das erreichte Ideal alskomplett gestoumlrt Und diese Gestoumlrtheit zeigt sich in der Materialitaumlt53
des Films selbst So deuten schon die kuumlnstlichen Chemiefarben vonTechnicolor an wie toxisch diese Idylle trauten Gluumlcks in Wahrheit istWenn in einer Szene die Frau den Geliebten uumlberraschen will und imSwimming Pool zu ihm hintaucht erscheint sie im Wasser alsunscharfer geisterhafter Farb1047298eck (Abb 4 links) So wie dieChemiefarben sich nicht abbauen laumlsst so sind auch die Affekte derFrau nicht totzukriegen sie wirken nach sogar noch uumlber den Tod der
Figur hinaus54
Dieses Wuchern aber eines irr gewordenen aus allen Fugengeratenen Affekts zeigt sich auch und gerade in den Farb-Verrutschungen der Filmbilder So wie die Figuren aus dem Lot sindsind es auch ihre von Anfang an mit feinen Farbraumlndern umgebenenSilhouetten Bereits dann wenn die beiden sich auf der naumlchtlichenVeranda gegenuumlberstehen und die Handlung noch so tut als sei es einMoment des Gluumlcks deuten die unbeabsichtigten Verrutschungen imFilmbild schon an wie viel hier nicht stimmt laquoMisalignedraquo ist das
Bild laquomisalignedraquo sind auch die Affekte und mithin die Figuren selbst
Womit der Film freilich ohne es zu wissen Lacans Hinweis woumlrtlich nimmt dass sich in der52
Psychose der Vater auf sein bedrohliches Bild reduziert 1047297ndet Vgl Jacques Lacan Das SeminarBuch III Die Psychosen Weinheim Quadriga 1997 S 247
Wie Lacan in seinem spaumlten Seminar zum Symptom ausfuumlhrt ist gerade das Ideal paranoisch53
Vgl Jacques Lacan Le seacuteminaire Livre XXIII Le sinthome Paris Seuil 2005 S 53
Siehe dazu auch Johannes Binotto laquoLeave Her to Heavenraquo in Norbert Grob Elisabeth Bronfen54
(Hg) Stilepochen des Films Classical Hollywood Stuttgart Reclam 2013 S 285-291
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die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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httpslidepdfcomreaderfulljohannes-binotto-affekt-effekt-defekt-filmtechnik-undals-affektstoerung 2727
die ausschauen wie ausgeschnittene Papp1047297guren (Abb 4 rechts) Alles
ist deplatziert
Diese allein durch die Verrutschungen im Filmmaterial sich ergebendeEffekt ist reiner Zufall ein bloszliger Defekt und trotzdem und geradedeswegen das ultimative Beispiel fuumlr den Affekt welcher sich vonniemandem nicht einmal vom Regisseur mehr kontrollieren laumlsst Die55
Farbschichten des Mediums sind aus ihren Vertaumluungen gerissen undrutschen davon Der Affekt schlaumlgt sich als verschobener Effekt nichtnur auf den ge1047297lmten Koumlrpern nieder sondern befaumlllt endguumlltig auchden Koumlrper des Filmmaterials Von dort wiederum sticht er uns insAuge Und beruumlhrt uns Der Affekt driftet Und trifft
Was denn auch ein grundlegendes Problem der Filmrestauration aufwirft Inwiefern ist es ge-55
rechtfertigt bei der Filmrestauration Fehler wie diese zu eliminiern Beseitigt man damit nichtetwas was aus Sicht der Filmproduktion zwar ein Makel sein mag fuumlr den Rezipienten aber geradeeinen besonderen Mehrwert (surplus-jouissance) darstellt Aufgrund aumlhnlicher Uumlberlegungen hatunlaumlngst auch die Filmhistorikerin Barbara Klinger dafuumlr plaumldiert bei Filmen nicht nur derenangebliche ideale Urversion zu analysieren sondern auch die diversen mitunter stark veraumlndertenVersionen eines Films wie er etwa am Fernsehen auf VHS DVD oder als Internet-Streampraumlsentiert wird mit zu bedenken Vgl Barbara Klinger laquoCinema and immortality Hollywoodclassics in an intermediated worldraquo in SPELL Swiss papers in English language and literature 29 (2013) S 17-29
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