Karl Rahner und das II. Vatikanische Konzil
„Das Konzil ist zu Ende. Immer wenn etwas
Gutes zu Ende ist, hält man dankbar, ver‐
wundert und ängstlich erschrocken vor dem
Mysterium der Geschichte inne und fragt
sich […]: Was ist […] geschehen? Was wird
kommen?“ So fragte Karl Rahner unmittel‐
bar nach Abschluss des Zweiten Vatikani‐
schen Konzils im Dezember 1965. Die Fra‐
gen beschäftigen die Nachfahren des Kon‐
zils noch immer, die Antworten nicht weni‐
ger.
Wer vor den Gräbern der Ordensangehöri‐
gen in der Innsbrucker Jesuitenkirche seinen
Blick schweifen lässt, entdeckt dort die un‐
auffällige Steinplatte mit dem Grab des gro‐
ßen Theologen Karl Rahner. Die Schlichtheit
dieses „schlauen Hauses“ in der Nachfolge
Jesu nach der Art des hl. Ignatius von Loyola und im Denken des Glaubens über die
Schule des hl. Thomas von Aquin hinaus besticht die theologischen Anhänger und
Gegner noch nach seinem Tod.
Leben im Dienst der Wissenschaft
Karl Rahner wurde 1904 in Freiburg i. Br. geboren. Er starb 1984. Nach dem Abitur
trat er 1922 in den Jesuitenorden ein, dem sich zuvor schon sein älterer Bruder Hugo
angeschlossen hatte. Karl studierte Philosophie und Theologie und wurde 1932 zum
Priester geweiht. Als Hochschullehrer wirkte er seit 1948 in Innsbruck, München und
Münster, bis er 1971 emeritiert wurde. Ordenstheologie und Spiritualität, Dogmen‐
geschichte und Dogmatik, christliche Weltanschauung und Religionsphilosophie
waren seine Lehrgebiete. Geschrieben hat er zu weit mehr Themen. Spirituelle,
pastorale, theologiekonzeptionelle, die Kirche in Welt und Gesellschaft konkret
betreffende, philosophisch allgemeine, ökumenisch anstehende und – das erstaunt –
den „normalen“ Christen ansprechende Fragen hat er gestellt, beleuchtet, durch‐
drungen, kontrovers erörtert, gelöst oder/und zum weiteren Nachdenken offengehal‐
ten.
Karl Rahner hat nur wenige monumentale Werke „aus einem Guss“ verfasst. Umso
mehr ist die überaus große Zahl seiner anlassbezogenen Aufsätze und Kurzbeiträge
zu erwähnen, die er über mehr als 45 Jahre hin geschrieben hat; es sind über 4.000
Einzeltitel. Rahners Schriften liegen inzwischen in einer 32‐bändigen Werkausgabe
annähernd vollständig vor.
So ist leicht zu verstehen, dass Karl Rahner zu den bedeutenden katholischen Theo‐
logen des 20. Jahrhunderts gezählt wird. Er selbst hatte seine Bedeutung oft herun‐
tergespielt, vornehmlich insofern sie seine Beratertätigkeit für den Wiener Kardinal
Franz König und den Münchner Kardinal Julius Döpfner auf dem Zweiten Vatikani‐
schen Konzil betraf.
Herausfordernd engagiertes Werk
An Rahners Einsicht in Glaube und Theologie, in die Zusammenhänge der Kirche
und Welt sowie in die Fragen christlicher Lebensgestaltung kommt die Suche nach
tieferer Einsicht heute nicht vorbei. Zu besserem Verstehen der Art und Weise, wie
der Gott, an den Christen glauben, ihnen selbst, anderen Menschen, anderen
Geschöpfen, ja der gesamten Welt sich heute mitteilt, befragt das Erkenntnisstreben
Karl Rahner. Rahner gibt denen, die ihn lesen, manchmal schwer verständliche Ant‐
worten auf Fragen, die jeden Menschen „unbedingt“ betreffen. An ihm arbeiten sich
Studierende der Theologie heute mit Gewinn ab. Denn das, was Rahner geschrieben
hat, ist nicht „verstaubt“.
Wie ein „roter Faden“ durchzieht seine Schriften, dass er von der Gnade als der
Selbstmitteilung des dreieinen Gottes an die Menschen spricht. Dies ist das freie
Sichgeben des einen Gottes in die Welt, dessen Anspruch schon im „ersten Gebot“
angezeigt ist. Dieser Gott ist der, den Jesus seinen Vater nennt. Es ist der Gott des
Himmels und der Erde, der sich jedem Menschen als stabiles Haus seines individuel‐
len Lebens mit den Höhen und Tiefen des Alltags gerade persönlich empfiehlt. Gott
erschließt sich dem Menschen auf verborgene Weise. Als bergender Grund und als
größtes, ihn ansprechendes Geheimnis ruft Gott den Menschen unter Respektierung
der menschlichen Freiheit. Dieser Gott ist um jedes Menschen Liebe bemüht. Er
möchte, dass ein Mensch sich selbst, seine Nächsten und Gott mit aller Kraft liebt.
Rahner sieht darin die Antwort auf den Ruf Gottes grundgelegt, die Christen auf
dem Weg des Glaubens geduldig geben. Die Antwort umfasst das gesamte Leben
des Menschen in Welt und Kirche, als Geweihter oder Laie. Die Antwort des Men‐
schen ist somit persönlich und sozial, mystisch und politisch, kontemplativ gesam‐
melt und aktiv engagiert. Mit dem Glaubensweg der Christen sind alle Menschen, so
Pater Rahner, auf eine Weise verbunden, die während der Weltzeit nur Gott der
Vater und Jesus Christus kennen. Rückblickend auf sein Leben bekennt Rahner: „Ich
habe Gott erfahren, den namenlosen und unergründlichen, schweigenden und doch
nahen, in der Dreifaltigkeit seiner Zuwendung zu mir. … Ihn, der, wenn er so von
sich aus in Gnade nahe kommt, gar nicht mit etwas anderem verwechselt werden
kann.“
Einsatz für das Konzil
Karl Rahner wurde am 24.9.1962 von Papst Johannes XXIII. zum „Konzilsperitus“,
einem theologischen Berater der auf dem Konzil zusammen mit dem Papst versam‐
melten Bischöfe, ernannt. Die Konzilsgeschichtsschreibung im 21. Jh. bezeichnet
Rahner einen „der bedeutendsten Konzilstheologen“ (Klaus Wittstadt). Seit 1961 war
er, der sich anfänglich zurückhaltend über die Aussichten des Konzils gezeigt hatte,
als Theologe in die Vorbereitungsarbeiten einbezogen. Seitdem hatte er den Wiener
Kardinal König bei der Bearbeitung der vorbereitenden Dokumente persönlich bera‐
ten. Auf dem Österreichischen Katholikentag in Wien hielt er am 1.6.1962 eine viel‐
beachtete Rede unter dem Titel „Löscht den Geist nicht aus!“, an ein ermahnendes
Wort des Paulus anspielend. Diese Rede hatte mancherorts Irritationen ausgelöst.
Auf dem Konzil arbeitete Karl Rahner eng mit Joseph Ratzinger, dem Mainzer
Bischof Hermann Volk sowie den Jesuitentheologen Otto Semmelroth und Alois
Grillmeier zusammen. Dies belegt die Erarbeitung der Dokumente „Dei Verbum“
und „Lumen gentium“. Nicht weniger bedeutsam sind seine Vorarbeiten zum Dia‐
konat und seine Kritik am sog. „Schema XIII“, aus dem das Dokument „Gaudium et
spes“ entstanden ist. Rahner hat sich für das Konzil und dessen Beschlüsse bis zur
physischen Erschöpfung abgemüht. Er verstand dies als Arbeit für die Kirche. Es
entsprach nicht seiner Mentalität, „auf das eigene Copyright zu schielen“ (A. R. Bat‐
logg). Im Auftrag und mit Genehmigung der deutschsprachigen Bischofskonferen‐
zen übersetzte Karl Rahner zusammen mit Herbert Vorgrimler die Konzilstexte.
Dieses handliche Werk hat inzwischen die 35. Auflage erreicht.
Aufbruch zum Menschen hin
Beim Festakt in Deutschland zum Abschluss des Konzils hielt Rahner am 12.12.1965
in München die Rede „Das Konzil – ein neuer Beginn“. Ein Konzil der Kirche ist
seiner Auffassung nach niemals Selbstzweck. Es ist ein Dienst an der Kirche und
nutzt dem Menschen in Hinsicht auf sein irdisches Glück und ewiges Heil: Der
Dienst des Konzils „zielt … nicht auf die Selbstbehauptung der Kirche in der
Zukunft, sondern er zielt in und nach dem Konzil auf die wahre Unendlichkeit des
Menschen und vor allem auf die Ankunft des Reiches Gottes, will ganz einfach:
Glaube, Hoffnung und Liebe.“ Sämtliche Beschlüsse des Konzils müssen Rahner
zufolge mit dem von der Gnade Gottes geschenkten Ziel des Menschen verknüpft
werden: „Alle … Theologie, alles Dogma, alles Kirchenrecht, alle Anpassung und
alles Nein der Kirche, alle Institution, alles Amt und alle Vollmacht, alle heilige
Liturgie und alle mutige Mission haben nur das einzige Ziel: Glaube, Hoffnung und
Liebe zu Gott und den Menschen. Alle anderen Pläne und Taten der Kirche aber
würden absurd und pervers, wollten sie sich dieser Aufgabe entziehen und allein
sich selbst suchen.“ Diese Worte halten der Kirche zu jeder Zeit einen Spiegel vor,
der sie herausfordert, die Geister – den Geist Gottes und den Geist der Zeit – kritisch
und selbstkritisch zu prüfen. In unterschiedlicher Intensität ist dazu jeder Einzelne
befähigt und verpflichtet.
Im Enthusiasmus des Konzils blieb Rahner nüchtern, sachlich und persönlich
bescheiden. Er schien zu erahnen, wie schwer die Umsetzung und Anwendung des
Konzils in der Kirche werden würde. Die Sorge um dessen Umsetzung, bisweilen
von rauen Tönen und winterlichen Eindrücken begleitet, wenn er Buchstaben und
Geist des Konzils ins Hintertreffen kommen sah, trieb ihn bis zuletzt um. So wird
verständlich, dass Rahner vom Konzil in jener Rede als von einem „Anfang des
Anfangs“ sprach. Die Rede „liest sich heute wie ein Vorgeschmack dessen, was seit‐
dem zu leisten war – und immer noch zu leisten ist“ (Kardinal Karl Lehmann).
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Prof. Dr. Johannes Schelhas Lehrstuhl für Dogmatik und Dogmengeschichte I,
Theologische Fakultät Trier
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