Die neue Karte «Industrie und Gewerbe, Übersicht» des Atlas der Schweiz
Hans Elsasser
Im Rahmen der im Sommer 1972 herausgegebenensechsten Lieferung des Atlas der Schweiz wurdenauch vier Tafeln (60-63) mit zusammen zehn
Schweizer Karten in den Maßstäben 1 : 500 000und 1 : 1 100 000 veröffentlicht, welche die regio¬nale Verteilung der Betriebe und Arbeitskräfte im
sekundären Wirtschaftssektor im Jahre 1965, d.h.
im Jahre der letzten Eidgenössischen Betriebszäh¬lung, zeigen. Als statistische Grundlagen dientenunveröffentlichte Manuskripttabellen des Be¬
triebszählungsbüros des Eidgenössischen Statisti¬schen Amtes mit Angaben über die Beschäftigten,differenziert nach Wirtschaftsgruppen und Be¬
triebsarten einerseits sowie Gemeinden anderseits,und die Tabelle «Betriebe und Beschäftigte nachGemeinden» (1).
Auf Tafel 60, Übersicht, wird mit Kreissektordia¬grammen die Beschäftigtenzahl in Industrie und
Handwerk, nach Wirtschaftsgruppen gegliedert, ge¬meindeweise wiedergegeben. Die neunzehn Wirt¬schaftsgruppen des Bereiches «Industrie und Hand¬werk» wurden zu total zwölf Wirtschaftsklassen zu¬
sammengefaßt. So umfaßt beispielsweise die Wirt¬schaftsklasse «Nahrung- und Genußmittel» die
Gruppen «Herstellung von Nahrungs- und Futter¬mitteln», «Herstellung von Spirituosen und Ge¬
tränken» und die «Tabakindustrie».Auf sieben Karten der Tafeln 61 und 62 wird die
Zahl der in den einzelnen Wirtschaftsgruppen und
-klassen Beschäftigten nach Betriebsarten darge¬stellt. Die Wirtschaftsgruppe «Herstellung vonNahrungs- und Futtermitteln» wird z. B. aufgeteiltin «Fleischprodukte», «Milchprodukte», «Getrei¬deprodukte», «Konserven», «Zucker», «Kakao,Schokolade» und «andere Nahrungs- und Futter¬mittel». Ferner zeigt Karte 8 die regionale Vertei¬lung der Beschäftigten im Baugewerbe. Zu dieserKarte müssen folgende Bemerkungen gemacht wer¬den: Um die regionale Verteilung der Beschäftig¬ten im Baugewerbe richtig interpretieren zu kön¬
nen, muß man sich darüber Rechenschaft geben,wo diese Beschäftigten statistisch erfaßt werdenbzw. wie die Betriebsbildung für die Statistik in
dieser Wirtschaftsgruppe vorgenommen wird: Die
großen Baustellen mit eigenen Lohnbüros usw. bil¬den eigene Betriebe. Das bedeutet, daß die auf die¬
sen Baustellen Beschäftigten in den Gemeinden, wodiese Baustellen liegen, gezählt werden und nichtetwa am Hauptsitz der Bauunternehmung. Das
Personal auf den übrigen, kleineren Baustellen wirdgesamthaft jenem Betrieb, Hauptsitz oder Filiale,zugeteilt, dem die Baustelle unterstellt ist. Fernerist zu berücksichtigen, daß die Betriebszählung1965 im September durchgeführt wurde, d. h. zueinem Zeitpunkt, wo noch relativ viele Saisonarbei¬ter auf den Baustellen arbeiteten und wo auch die
Tätigkeit, vor allem auf den Hochgebirgsbaustellen,wegen ungünstiger Witterungsverhältnisse nochnicht allzustark eingeschränkt werden mußte (2).
Diese acht Detailkarten vermitteln ein äußerst dif¬ferenziertes Bild der regionalen Branchenstruktur,werden doch noch Gemeinden mit lediglich 20 Be¬
schäftigten in einer bestimmten Betriebsart erfaßt.Die vierte Tafel (63) schließlich gibt Auskunft überdie Anzahl Betriebe und der darin beschäftigtenmännlichen und weiblichen Arbeitskräfte sowieüber die durchschnittliche Betriebsgröße nach
Bezirken.Nach diesem Überblick über die verschiedenenIndustrie- und Gewerbekarten im Atlas der Schweizsoll die Übersichtskarte im Maßstab 1 : 500 000
genauer besprochen werden. Diese Karte ist das
Ergebnis einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwi¬schen vier Bundesstellen: Atlas der Schweiz, Eid¬
genössisches Statistisches Amt, Eidgenössische Lan¬
destopographie und ORL-Institut. Bis zum Erschei¬nen des Atlasblattes war die Industriekarte vonBoesch, Carol und Durst, welche 1955 erschien und
auf den Daten der Fabrikstatistik von 1953 beruht,die neuste Karte größeren Maßstabes, welche einen
Überblick über die Branchenstruktur der schwei¬zerischen Industrie vermittelte (3). Dabei muß aller¬dings eindrücklich darauf hingewiesen werden, daß
ein Vergleich zwischen diesen beiden Karten nursehr bedingt möglich ist, da sich die Karte vonBoesch auf die Daten der Fabrikstatistik, der Vor¬gängerin der Industriestatistik, die Karte des Atlasaber auf die Ergebnisse der Betriebszählung stützt(4).
1965 arbeiteten gemäß Betriebszählung 1 142 670
Beschäftigte in industriellen und handwerklichenBetrieben. Gegenüber 1955 hat sich diese Zahl um219 179 Beschäftigte oder 24% vergrößert (5). Eine
Aufteilung der Betriebe und der darin Beschäftig¬ten in Industrie und Handwerk ist nicht möglich.In der Schweiz kennt man keine offizielle Hand¬werks- oder Gewerbestatistik. Lediglich mit Hilfeder Betriebsgrößenverhältnisse kann der Versuch
158
unternommen werden, Auskunft über die Beschäf¬
tigtenzahlen im Handwerk zu bekommen (6). Bei
der Gliederung der Betriebe und Beschäftigten in
Wirtschaftsgruppen und Betriebsarten werden drei
Prinzipien berücksichtigt: die Einteilung nach dem
Rohstoff (z. B. Verarbeitung von Holz und Kork),nach dem Endprodukt (z. B. Uhrenindustrie) und
nach dem Bearbeitungsprozeß (z. B. Buchbinderei).Im ganzen werden Industrie und Handwerk in
neunzehn Wirtschaftsgruppen (20-38) und über250 Betriebsarten unterteilt (7). Die größte dieser
Wirtschaftsgruppen - gemessen an der Beschäftig¬tenzahl - war 1965 die Gruppe «Maschinen, Appa¬rate, Fahrzeuge» mit 301 424 Beschäftigten und
einem Anteil von 264%o am Gesamttotal, die klein¬ste Gruppe «Verarbeitung und Mineralöl» mit 530
Beschäftigten und einem Anteil von 0,5%o.
Diese verschiedenen Wirtschaftsgruppen verteilensich nun aber, wie das die Karte zeigt, nicht gleich¬mäßig über die ganze Schweiz. In bestimmtenRegionen herrschen bestimmte Wirtschaftsgruppenvor oder sind zumindest im Vergleich zur gesamtenSchweiz überdurchschnittlich vertreten. Als Me߬
zahl, um diese Unterschiede quantitativ festzustel¬len, eignet sich der Location Quotient (8). DerLocation Quotient ist folgendermaßen definiert:
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Teilraum, d. h. im vorliegenden Fall in
einem Kanton
m Anzahl Branchen, d. h. im vorliegenden Fallneunzehn Wirtschaftsgruppen (20-38, Indu¬strie und Handwerk)
Ist LQ 1, so bedeutet dies, daß in einem Kantonder Anteil der betreffenden Wirtschaftsgruppe an
der Zahl der Beschäftigten in Industrie und Hand¬werk gleich groß ist wie in der gesamten Schweiz.Ein Wert von LQ > 1 heißt, daß in einem Kantondie Beschäftigten in der betreffenden Wirtschafts¬gruppe, relativ betrachtet, stärker vertreten sind als
in der Schweiz. Demgegenüber bedeutet LQ < 1,
daß in einem Kanton die betreffende Wirtschafts¬
gruppe untervertreten ist.
Das Bild, welches die nachfolgende Tabelle «Loca¬tion Quotient, Industrie und Handwerk, 1965» (9)
über die kantonal unterschiedliche Verteilung der
einzelnen Wirtschaftsgruppen in der Schweiz ver¬
mittelt, bringt - gegenüber dem Kartenbild - keine
großen Neuigkeiten oder gar Überraschungen:
Textilindustrie Ostschweiz
Bekleidungsindustrie Tessin u. OstschweizHolzverarbeitende Industrie InnerschweizChemische Industrie NordwestschweizUhrenindustrie Jura
Die Vorteile des Location Quotients bestehen darin,diese bekannte regional unterschiedliche Branchen¬verteilung der Industrie mit Hilfe einfacher Kenn¬ziffern zu charakterisieren, wobei die Branchen¬strukturen beliebiger Teile des Gesamtgebietes, d.h.
Kantone, Regionen, Gemeinden, analysiert werdenkönnen.Abschließend sollen noch einige Bemerkungen zur
kartographischen Gestaltung der Tafel 60 des Atlasder Schweiz gemacht werden: Wie schon der Titelder Karte sagt, handelt es sich bei dieser Karte umeine Übersicht, währenddem Detailinformationenden nachfolgenden Tafeln entnommen werdenkönnen. Wichtig ist deshalb, daß der erste Bildein¬druck der Signaturen sowohl bezüglich der Gesamt¬
menge als auch bezüglich der inneren Struktur gutist. Unter Bildeindruck wird die mögliche Infor¬mationsaufnahme beim ersten kurzfristigen Be¬
trachten der Karte verstanden, unter innerer Struk¬tur das Aufteilungsverhältnis der Gesamtmenge(10). Der Schwankungsbereich der Gesamtmenge,d. h. im vorliegenden Fall der Beschäftigtenzahlpro Gemeinde, reicht von 100 Beschäftigten bis
95 335 Beschäftigten in der Gemeinde Zürich. Ge¬meinden mit weniger als 100 Beschäftigten in Indu¬strie und Handwerk werden nicht dargestellt. Die
Gesamtmenge wird theoretisch in zwölf Teilmen¬gen, bzw. Wirtschaftsgruppen und -klassen aufge¬teilt. In Wirklichkeit sind es im Maximum - wiederbei Zürich - elf Teilmengen, welche dargestelltwerden müssen. Die Beschäftigten werden aller¬dings nur in Gemeinden mit mehr als 500 Arbeits¬kräften in Industrie und Handwerk nach Wirt¬schaftsgruppen differenziert angegeben. Wie Gäch¬ter in seiner Dissertation nachweist, eignet sich fürdie graphische Darstellung von Gesamt- und Teil¬
mengen bei einem großen Streubereich das Kreis¬sektorendiagramm mit konstantem Radius für die
einzelnen Sektoren sehr gut, besonders dann, wenndem ersten Bildeindruck mehr Gewicht beigemes¬sen wird als der quantitativen Auswertung der ein¬zelnen Signatur durch Messen und Zählen. Er
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schreibt (11): «Das Kreissektordiagramm gibt we¬
gen seiner kompakten Form einen guten Bildein¬druck und hat den größten möglichen Streuungs¬bereich. Die quantitative Auswertung ist aber
schwierig, da beim Schätzen von Kreisflächenerfahrungsgemäß Fehler bis zu 50% auftreten und
das Berechnen von Kreissektorflächen umständlichist.»
Bei der Farbgebung wurde versucht, wenn mög¬lich folgende zwei Prinzipien anzuwenden:
l.Die Farbe soll gewisse Assoziationen an be¬
stimmte Roh- oder Endprodukte auslösen,welche für eine Wirtschaftsgruppe typisch sind,z. B. Schwarz graphisches Gewerbe, Braun
Holzverarbeitung.
2. Wirtschaftsgruppen, die in enger Beziehung zu¬einander stehen, welche man aber trotzdem nichtzu einer Wirtschaftsklasse zusammenfassenwollte, sollen ähnliche Farben besitzen: Textil¬industrie Rot, Bekleidungsindustrie Hell¬rot, Metallindustrie Blauviolett, Maschinen¬industrie Blau, Uhrenindustrie Hellblau.
Zum Abschluß möchte ich noch meiner HoffnungAusdruck geben, daß es nach der nächsten Betriebs¬
zählung in drei Jahren nicht wieder sieben Jahre
dauert, bis wir ein detailliertes kartographischesBild über die regionalen Beschäftigtenstrukturenim Bereich «Industrie und Handwerk» von 1975
besitzen.
2 Vgl. dazu Zollinger, R.: Das Gewerbe in Zahlen.In: Das Gewerbe in der Schweiz, herausgegebenvom Schweizerischen Gewerbeverband. Bern
1968, S. 2243 «Die Industrien der Schweiz» Kümmerly &
Frey, Geographischer Verlag Bern. Begleittext:Carol, H: Die neue Industriekarte der Schweiz.
Separatabdruck aus «Geographica Helvetica»,Heft 3, 1955
4 Vgl. dazu Elsasser, H: Bemerkungen zu einigenindustriewirtschaftlichen Begriffen. In: ORL-DISPNr. 22, 1972
5 Vgl. dazu Elsasser, H: Veränderungen der kan¬tonalen Beschäftigtenstrukturen in Industrie und
Handwerk in der Schweiz, 1955-1965. In:
«Geographica Helvetica» Heft 4, 19726 Vgl. dazu Zollinger, R.: Die zahlenmäßige Be¬
deutung und Entwicklung des schweizerischenGewerbes 1939-1965. In: Gewerbliche Rund¬schau Heft 1, 1969
7 Vgl. dazu Band 4 der Eidgenössischen Betriebs¬zählung 1965, Einleitung, S. 6
8 Vgl. dazu Isard, W.: Industrial Complex Ana¬lysis and Regional Development. New York1959, S. 9
9 Berechnungen, durchgeführt von R. Abt, lic.
oec. publ., ORL-Institut ETHZ10 Gächter, E.: Die Weltindustrieproduktion 1964.
Diss. Univ. Zürich. Zürich 1969, S. 104
11 Gächter, E.: a. a. O., S. 106
Anmerkungen und Literaturverzeichnis
1 Tabelle 1.41, Band 4 der Eidgenössischen Be¬
triebszählung 1965
Adresse des Verfassers:PD Dr. Hans Elsasser
Institut für Orts-, Regional- und Landesplanungder ETHWeinbergstraße 35, 8006 Zürich
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