8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 02 / 1. Jahrgang
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1.Jahrang
Kaltsart
KFZ #22010
Fesivalzeitung
Und?Wiewarich?
JedeMengeRezensione
n
Und?Werbinich?
RatgeberfrFestivalps
ychos
Und?Auchnass?
SchwitzenimTheater
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EditorialKaum gestartet, schon mittendrin. KALTSTART ist von Anfang an ein ziemlich heies Festival. Nicht nur, weil
man sich in vielen Vorstellungen kaputtschwitzt (siehe Seite 3). Sondern auch, weil es an den vielen Spielorten
viel Aufregendes zu gucken gab. Es gab so viel zu gucken, dass wir in diese KFZ-Ausgabe gleich drei dicke,
fette Doppelseiten (8 bis 13) voller Rezensionen, Reaktionen, Analysen und doofer Witze ber die Stcke der
ersten beiden Auffhrungsabende gepackt haben. Fast alles geguckt! Ging nur mit viiieeel Gatorade bzw.
Astra. Phew. Weil wir aber natrlich immer auch verrckt in die Zukunft schauen, gibt es Ausblicke auf kom-
mende Festivalhhepunkte (Seiten 4 und 5), ein Interview zur theatralen Parallelgesellschaft (Seite 7) und das
Portrt einer fast echten Hexe (rothaarig, Seite 6) -- auf dem Scheiterhaufen braucht man ja auch keinen Pulli.
(Und auch der coolste Walkman wrde schmelzen, aber das hat jetzt eigentl ich mit gar nix was zu tun, auer
vielleicht nochmal mit der Seite 3.)
Was noch? Die tollsten Sachen. Weil sich einerseits so viele KALTSTART-Stcke mit der Konstruktion vonIdentitt beschftigen und die KFZ andererseits das Selbsterkenntnisblatt Number One ist, haben wir einen
Psychotest entwickelt, der Euch eindeutig einer Festivalsparte zuordnet. Wenn Ihr Euch traut, ihn zu machen.
H, wer ist denn Ihr? Na, Du! Oder wer man eben so ist . Eigentlich sind das ja auch Luxusprobleme. Anderen
geht es viel schlechter! Um den verkrachten Existenzen und am Leben gescheiterten 18-Jhrigen unter den
KALTSTART-Theaterguren doch noch die eine oder andere Perspektive zu bieten, haben wir einen Gastex-
perten eingeladen, der so schlaue Tipps gibt, dass es schon fast nicht mehr lustig ist. Aber nur fast.
Und das ist doch alles toll. So toll , dass die ganze Welt es wissen soll! Das Gor illa-Marketing in der Schanze
(vgl. Coverfoto) war ein Mittel zu diesem Ziel. Wobei wir wieder bei der Hitze wren.
Unter den Flokatis muss es ziemlich mollig gewesen sein. Glcklicherweise
hatten die Darsteller reichlich Schlauchpfel zur Erfrischung dabei. DISKURSZURHAND#2JedeAusgabegibteseinenDiskursausdemHeftzumNachspielenfrZuhause.Einfachauschneiden,schwarzeStreifenhintenzusammenkleben,berdenFingerziehenundlosstreiten.
Heute:IstdasKunstoderkanndasweg?Hatdas,wasalsKunstgefeiertwird,Bestand?ImStreitgesprch:
Meesevs.Michelangelo
Liebe Kier, iebe Ae, hoverehre Pubiku!
Bananige, ereignisreiche Abende wnscht Euch
Die Re.
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Kaar
HotnesIWaOnlyJoking
Juli 2002. Sommerferien mit MTV. Der Mann mit dem Pa-
ster im Gesicht und Frauen mit kurzen Tops. Sie bouncen undschwitzen. Schweilme auf den Krpern. Und immer: its
getting hot in here so take of f all your clothes. Und sie genie-
en. Sie ziehen was aus. Schwitzen weiter. Bouncen. Ziehen
das aus. Schwitzen. Und nie war das so hot. Also hot-hot.
Juli 2010. Pressehaus Kaltstart Festival. Balkon vom LOKAL.
36 Grad. Wir so vor den Laptops. Theaterkritik zum Beispiel.
Katy Perry und Snoop Dogg singen von Californian Gurls und
ich denk so, ja, wieder Zeit fr Sommerhits, Bikinis, Bikinis,
Martinis, ja, geil, aber wir schwitzen leider sogar im Sitzen,
haben nicht mal Kraft, den Swimmingpool aufzubauen, nixBikinis. 42 Grad. Schon drei Mal geduscht. Das Kleid klebt am
Arsch, die Finger an der Tastatur fest. Es ist so heit, aber nie
war es weniger hot. Darum freu ich mich schon aufs Theater.
Da gibts wenigstens keine Sonne. Da kann ich mal schn drin
sein, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, weil ja Sommer
ist. Aber andere freuen sich auch aufs Theater scheinbar. Wir
gehen rein. An der Kartentheke werden Wedelpappen verteilt.
Die Klimaanlage ist in Deutschland auer im Auto noch nicht
so richtig angekommen. Eine Studiobhne. 80 Leute auf
Sthlen. In der Mitte ein Steg. Zwei Schauspieler. Sie begin-
nen zu sprechen und der Schwei bildet sich auf ihrer Stirn.
Der Schwei bildet sich in meinen Kniekehlen. Mein Nachbar
klebt. Der Block uns gegenber wedelt. Ich wedele. Irgendwo
am Rand steht ein Ventilator, er grinst. Er singt: sun-kissed
skin well melt your popsicles oh oooh oh. Eine Weile geht
alles gut. Dann schlieen mein Nachbar und ich einen stum-
men Pakt. Wenn er wedelt, wedele ich nicht, wenn ich wedele,
muss er nicht wedeln. Das geht gut. Aber irgendwann wedelt
er gar nicht mehr, und ich bernehme die Arbeit fr uns beide.
Weil ich aber ja so schwitze. 52 Grad. Ich hasse es, wenn sich
meine Beine berhren, meine Augen brennen, mein Hals
klebt, ich kann nicht mehr zuhren. Dabei bewege ich mich
nicht mal. Die beiden Schauspieler auf der Bhne dagegen
gehen und springen und klopfen und schmeien sich hin und
mssen dann wieder hoch kommen. Sie tragen lange Hosen
und Hemden und Jacketts. Die Kostme weichen durch. Der
Schwei tropft ihnen das Kinn runter. Es spritzt, wenn sie
hart auftreten. Jetzt zckt einer der Spieler einen Panzen-
sprher, sprht sich damit ins Gesicht. Und dann uns. Spter
wird der Ventilator angestellt . Mal in jede Richtung gehalten.
Erleichterung fr Sekunden in den Gesichtern der ersten Rei-
hen. Wir verehren die beiden Mnner, weil sie uns mitdenken,
berdieSchwierigkeitendesSchwitzensimTheater
weil sie spontan so was machen fr uns. Dabei sind sie die, die
am meisten schwitzen, in diesem Raum. Die gerade bei derArbeit sind auerdem. Die nicht mal wedeln knnen. 57
Grad. Ich kann mich auf nichts anderes mehr konzentrieren
als aufs Schwitzen. Das eigene und das fremde Schwitzen.
Das Fremde vor allem.
Ich erinnere mich ein Auffhrungsanalyse-Seminar und
lange Diskussionen ber Erika Fischer-Lichtes Theorie vom
phnomenalen Leib und semiotischen Krper des Schau-
spielers, also vom gegebenen, echten, prsenten Krper
des Schauspielers und dem Krper der Figur, die der Spieler
darstellt und wie diese vor allem in einander bergehen. ZumBeispiel: die hochschwangere Schauspielerin. Wie gehe ich
als Zuschauer mit der um? Offensichtlich ist sie schwanger.
Aber der Franz Mohr, den sie heute Abend gibt, ist es wohl
nicht. Kann ich den Babybauch ausblenden? Oder befruchtet
der eventuell irgendwie die Rolle? Gleiches Prinzip, wenn
ein Schauspieler bei 60 Grad auf der Bhne gekocht wird. Er
besteht nur noch aus Schwei, er tropft, er atmet schwer,
whrend er diesen Eskimo aus Eine Reise zum Polar spielt.
Und obwohl wir alle schwitzen, ist das komisch, dass er so
schwitzt, weil das pltzlich sein ganz privater Krper ist, der
sich da aufdrngt. Das private Schwitzen zieht meinen Fokus.
Oder kann man vielleicht auch mal semiotisch schwitzen?
Sicher, aber dann wre das eingebettet. Wie im Videoclip von
Nelly. (Redaktions-Kollege Jo sagt gerade: Schliet ein eri-
gierter Krper aus, semiotischer Krper zu sein) Ich meine:
nein!)
Die groe Schwierigkeit des Schauspielers, nur einen Krper
zu haben. Mit dem alles gemacht werden muss. Der muss
dienen, dienen, dienen, der muss sich besetzen lassen, aber
trotzdem ist er noch ganz normaler Standard-Krper. Der
dann schwitzt oder schwanger wird oder Bikinistreifen hat.
Und die groe Schwierigkeit des Berufs, da hoch zu gehen
und es klar zu machen, trotz 63 Grad, trotz Skianzug, no
matter what. Groe Geduld, groe Leidensfhigkeit ist hier
erforderlich, bitte Augen auf bei der Berufswahl, das muss
man erstmal leisten knnen und wollen, wieder und wieder.
Ich gehe recht demtig aus den Vorstellungen raus in diesen
Festivaltagen. Und dann direkt in den Keller.
von Laura Naumann
KFZThema
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Studenten der Akademie ber das Studie-
ren an der Akademie. In das beste dasssich an diesem festival anmeldet (wirk-
lich) zeigt das Ensemble Cobratheater.
Cobra, eine Auseinandersetzung mit der
Ausbildung zum Beruf des Regisseurs.
Akademiker werden. Eine Sprache nden,
eine Handschrift. Regeln lernen, um dann
einer zu werden, der alle Regeln bricht.
Sich reiben, sich befreien. Eine Unter-
suchung des Systems und die Konikte
damit. Ein Ausloten der Mglichkeiten und
Unmglichkeiten. Die Performance ist Teil
der Suche. Ebenso vielleicht die Schreib-weise im Titel. Probieren. Suchen. Fehler
machen.
Termine
18:00 >Lecture-Performance Das
Erfolgsprojekt / dummet face /
Theaterhaus Hildesheim
// Haus III&70 Anbau // Kaltstart
Pro // 19:00 >Theater Ce que jai
fait ce soir-l // Theaterakademie
Zeisehallen // Finale //
20:00 >Theater Die Nacht kurz
vor den Wldern / Kammerspiele
Paderborn // Haus III&70 Club //
Kaltstart Pro // 20:00 >Theater keep
on searching for a heart of gold /
bigNOTWENDIGKEIT / Sophiensae-
le Berlin // Haus III&70 Saal //
Kaltstart Pro // 20:0 0 >Performance
E.C.F.C. - eravamo cos folli che /
AKR // monsun theater // Fringe //
20:00 >Theater Das Schwert /
Alsomirschmeckt s!-Theater //
Schule Altonaer Strae
// Fringe // 20:00 >Theater Der Kick
/ Anika Lehmann // Foolsgarden
Theater e.V. // Fringe // 20:15
>Theater Terrorgraphie all change
please // Theaterakademie
13:00 >Performance Rebecca eine
48 Stunden Performance / DAP
// siehe www.kaltstart-hamburg.
de // Fringe // 18:00 >Theater Die
Nacht kurz vor den Wldern / Kam-
merspiele Paderborn // Haus III&70
Club // Kaltstart Pro //18:00 >Performance Today i am
willing to understand / Maria
Isabel Hagen // monsun theater
Werkstattraum // Fringe //
19:00 >Theater Komm, ssser Tod /
Schauspiel Frankfurt // Haus III&70
Anbau // Kaltstart Pro // 19:00
>Performance dis-oriented / Julia
Blawert // Waagenbau // Fringe //
19:00 >Theater Maria Stuart // The-
aterakademie Zeisehallen // Finale
// 19:00 >Gesprch Kick-Off Junge
Dramatik // Terrace Hill //
20:00 >Autorenlounge Abend 1 /
Syha-Naumann-Steinbuch /
Mansmann-Hierzegger-Finger //
Terrace Hill / Im Anschluss groe
Party mit berraschungskonzert,
DJ usw. / www.kaltstart-hamburg.
de // Terrace Hill // 20:0 0 >Theater
Das Schwert / Alsomirschmeckts!-
Theater // Schule Altonaer Strae
// Fringe // 20:0 0 >Theater Die
Unterrichtsstunde / Das Hambur-
gische Kulturkontor // Foolsgarden
Theater e.V. // Fringe // 20:30
>Performance Today I am willing to
understand / Maria Isabel Hagen //
monsun theater Werkstattraum
// Fringe // 20:30 >Arbeitsproben
Werkstatt // Theaterakademie Zei-
sehallen // Finale // 21:00 >Theater
Vom Schlachten des gemsteten
Lamms und vom Aufrsten der
Aufrechten / vorschlag:hammer /
Universitt Hildesheim&Hochschule
der Knste Bern (CH) // Haus
III&70 Saal // Kaltstart Pro // 22:00
>Performance Alte Sehnsucht / Per-
formanzART Vieux|Maram // 13ter
Stock (Bar Rossi) // Fringe //
Donnerstag 15. Juli 2010
MITTWOCH 12. Juli 2010
19:00 >Musiktheater Don Giovanni
o sia // Theaterakademie Zeise-
hallen // Finale //
20:00 >Theater Der Du / Dsseldor-
fer Schauspielhaus // Haus III&70
Saal // Kaltstart Pro //
20:00 >Performance E.C.F.C.
eravamo cos folli che / AKR //
monsun theater // Fringe //
20:30 >Theater The Amok Society
// Theaterakademie Zeisehallen //
Finale //
20:30 >Theater Die ultimative Show
Wilde Ponys ausser Rand und
Band / Ponydressing // Waagenbau
// Fringe //
21:30 >Theater After the End /
Schauspielhaus Bochum // Haus
III&70 Club // Kaltstar t Pro //
21:30 >Theater Ilias / Heimathafen
Neuklln (Berlin) // Terrace Hill //
Kaltstart Pro //
21:30 >Theater India Simulator
/ Flinntheater / Dock 4 Kassel //
Haus III&70 Anbau // Kaltstart Pro
21:30 >Kabarett Erstmal schn
hinsetzen / Susanne Plassmann //
Hamburger Botschaft // Fringe //
21:30 >Theater Reiher // Theatera-
kademie Zeisehallen // Finale //
23:00 >Szenische Lesung Im Zug
// Theaterakademie Zeisehallen //
Finale //
von Laura Naumann
Wir wollten den Zuschauern ein Rezept
fr den Erfolg im Theaterbetrieb liefern,sagt Maike Tdter von Dummet Face. Die
Gruppe hat Gren aus verschiedenen
Theatersparten zum Thema Erfolg in-
terviewt. Der Plan sei gewesen, aus den
Interviews einen Plan fr den Erfolg zu
destillieren. Aber das hat natrlich nicht
geklappt. Ihre Ergebnisse stellt die Grup-
pe trotzdem in einer Lecture Performance
vor, in der es darum geht, was dieser
Erfolg eigentlich ist, warum Erfolg wichtig
ist oder nicht und wie es eigentl ich um
den Erfolg des Publikums steht. Au-
erdem, sagt Maike Tdter, treten die
Beatles auf. Kreisch!
Was ist eigentlichdieses Theater?
Donnerstag, 15. Juli | 18.00 Uhr |
Haus III&70, Anbau
von Jan Fischer
Akademiestudenten suchen nach
ihrer eigenen Sprache
Do, 15.07. | 21.30 | Theaterakademie
Zeisehallen
Glcklichet Gesicht
Freitag 16. Juli 2010
Zeisehallen //Finale // 20:30 >The-
ater Die ultimative Show - Wilde
Ponys ausser Rand und Band /
Ponydressing // Waagenbau //
Fringe // 21:30 >Performance das
beste dass sich an diesem festival
anmeldet (wirklich)// Theatera-kademie Zeisehallen // Finale //
22:00 >Theater Ein bisschen Ruhe
vor dem Sturm / Stadttheater Bern
// Terrace Hill // Kaltstart Pro //
Wer ist eigentlichdieser Erfolg?Dummet Face aus Hildesheim
suchen nach dem Weg nach oben
KFZVorschau
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Kaar
Es ist ein viel gespielter Monolog. Berlin, Dortmund,
Wien, Bochum, Kln Stadttheater und freie Grup-pen, sogar der Film, alle machen sie Bernard-Marie
Kolts Die Nacht kurz vor den Wldern. Auch die
Kammerspiele Paderborn haben ihn im Programm
und zeigen die Inszenierung von Christian Onicu nun
beim Kaltstart-Festival. Was fasziniert an diesem
Ein-Mann-Stck? Onicu, der auch Schauspieler ist, hat
den Monolog selbst schon gespielt und wollte nun den
Schritt gehen und eine eigene Interpretation des Stoffes
versuchen. Er stellt den Mann, der einsam durch die
Straen zieht, in eine leere Welt nur dieser Obdach-
lose (gespielt von Dan Florescu), sein Trenchcoat und
das Publikum fllen den Bhnenraum. Die Einsamkeitdes Einzelnen wird konzentriert in dieser einen Figur,
die reden will und muss. Der Mann spricht Passanten
an, erzhlt ihnen seine Geschichte, kommt dabei vom
Hlzchen auf Stckchen: Von alten Frauengeschichten
auf politisches Engagement, das lngst vergangen ist,
und immer wieder zum Fremdsein, zum Gefhl nicht da-
zuzugehren. Die Passantenrollen spielt dabei das Pu-
blikum. Es entsteht diese komische Situation, die jeder
kennt: Da spricht dich jemand auf der Strae an, der ist
irgendwie unterhaltsam, gleichzeitig aber auch nervig.
Und darum tut er einem leid. Man merkt, dieser Typ ist
eine arme Sau, erklrt Heike Dahm, Assistentin an den
Kammerspielen, ihre Eindrcke. Dieser Mann dreht
sich im Kreis. Er redet frmlich um sein Leben. Darum
sucht er immer einen neuen Anknpfungspunkt, damit
der Gegenber nicht weggeht, damit er nicht allein ge-
lassen wird, so beschreibt der Dramaturg Jrg Uhl den
Text. Er war mit fr die Textfassung verantwortlich,
U ei Lebe ree
Susanne Plassmann mag Comedians, besonders Fil
Tgert und Hape Kerkeling. Diese fehlende Berhrung-
sangst mit dem Populren ist an sich schon bemerkens-
wert fr eine Theatermacherin, die Begrndung ist es
nicht minder: An Kerkeling reize sie die Unbedingtheit,
der Verzicht auf jedes berhebliche Augenzwinkern:
Ich mag dieses Ich bin das jetzt, weil ich das immer
auch bin, sagt Plassmann. So muss man es dann wohl
auch etwas difziler verstehen, wenn die Ein-Frau-
Performerin (Plassmann ber Plassmann) ihren Abend
Erstmal schn hinsetzen im Gesprch auf jeden Fallne Comedy nennt. Ich mag keine Ironie und ich mag
nicht manipulieren. Ich kann nur zeigen, erklrt Plass-
mann. Exemplarisch fr ihre Arbeit kann der Entstehen-
sprozess von Erstmal schn hinsetzen beschrieben
werden: Nach einer schmerzhaften Trennung wollte
Plassmann ber Liebe arbeiten. Darber kam sie auf
das Thema Freiheit, auf Menschen, die sich Rume
schaffen, die sie nicht mehr verlassen. Daraus resul-
tierte die Figur jener Mutter, die im Stck auf der Bh-
ne sitzt und das Leben aus der Distanz einer weitsichtig
werdenden Kurzsichtigen betrachtet.
Mit der habe sie unheimlichen Spa gehabt, sagt
Susanne Plassmann. Nicht, weil sie sich ber deren
spieigen Lebensentwurf lustig mache - Letztendlich
schafft sich jeder seine Unfreiheiten, um sicher zu sein.
Vielmehr versuche sie mit der natrlich tragischen
Figur einen Ausbruch. Darunter habe man sich jedoch
keinen groen Zirkus vorzustellen, sondern Stille,
einen Umkehrpunkt. Ob die Umkehr in diesem Fall
gelingt, lsst Susanne Plassmann offen.
von Alexandra Mller
von Johannes Schneider
Die Kammerspiele Paderborn suchen
nach der Einsamkeit des Einzelnen und
ihren Geschichten
Dienstag 13.07. | 19 Uhr | Zeisehalle
Dienstag 13.07. | 19 Uhr | Zeisehalle
Auf jeden Fall ne Comedy!Sich im eigenen Leben einsperren:
Erst mal schn hinsetzen
Erst mal schn Kaffee trinken
Haute Culture e.V. Haute Culture e.V. Haute Culture e.V.
die kaum verndert wurde. Nur einige Striche krzten
den Text auf 70 Minuten Spieldauer. Die existentielle
Suche, die der Text beschreibt, nach den anderen, nach
Anknpfungspunkten in der Welt, die den Einzelnen
dort halten knnen, ist nichts, was sich auf Obdachlose
beschrnkt. Vielleicht liegt darin die schon 30 Jahre
andauernde Faszination an diesem Stck.
KFZVorschau
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Es begann mit einer blutigen Hand auf einem Tisch.
Es war nicht das erste Mal, dass Kunst und Krper
verschmolzen, dass es das physische Ich als Zollgren-
ze zwischen der inneren und der ueren Welt nicht
mehr gab. Es waren die Siebziger, es wurde so einiges
ausprobiert, nicht nur in der Kunst. Und doch haben die
Schmerz- und Leidperformances einer Marina Abramo-
vic die Kunst erweitert, sie um eine Dimension von Exi-
stenz reicher gemacht. Bei der Performance Rhythm
1973 stie sie sich stundenlang mit dem Messer in die
Zwischenrume ihrer Finger.
Knstlerinnen wie Marina Abramovic legen den Ver-dacht nahe, dass er etwas spezisch Weibliches ist, der
Hang zum Aushalten, Ausreizen, dem Innehalten und
Personizieren von Schmerz.
Stefanie Miller geht es nicht um das physische Leid. Zu-
mindest nicht in erster Linie. Das erzhlt sie, whrend
sie in einem Keller steht. Der Raum ist wei gestr ichen,
er liegt unterhalb des Wohnzimmers eines ehemaligen
Pfarrhauses. Vor der Wand leuchten Millers rote Haare.
Sie zeigt mir die Lichter, die sie im Nebenraum gestapelt
hat, sie wird sie mit Brotpapier umkleiden und vertei-
len. Eine Pritsche will sie aufstellen, fr den Fall, dass
zwischendurch keine Besucher da sind und sie ein wenig
schlafen kann. Stefanie Miller ist Performerin. Sie wird
in diesem Keller leben, 48 Stunden lang. Sie wird mit ih-
rem Krper die Geschichte einer Frau zu Kunst machen,
die gelitten hat.
Rebecca Lemp heit sie, Rebecca ist der Titel der
Performance. Die Frau wurde 1590 der Hexerei be-
schuldigt und nach Folter und erzwungenem Gestndnis
auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Aus der Haft hat sie
ihrem Mann Briefe geschickt. Deine schne Magelone
steht oft darunter, als Verweis auf eine orientalische
Mrchen-Knigstochter, die nicht bei ihrem Geliebten
sein kann. Die Dokumente sind erhalten und archiviert,
in der Stadt Nrdlingen in Bayern, Stefanie Millers Hei-
matstadt. Zusammen mit ihrer Kollegin Barbara Kastu-
ra hat sie aus den Originaltexten ein Hrspiel gemacht.
Es luft vom Band, whrend sie eine Bewegungs-
Maeoe uerer repe
von Stephanie Drees
06 / 07
Vor der Inquisition: In Rebecca erlebt
die Performerin Stefanie Miller die letz-
ten 48 Stunden im Leben einer Hexe nach
choreographie zeigt. Jede halbe Stunde lassen zwei
Torwachen eine neue Gruppe von Besuchern herein,
tags wie nachts. Zu den Besuchern sucht sie mimisch
und mit Blicken Kontakt. Es geht ihr um persnliche
Momente. Die Zuschauer treten nach der Reise ins Dun-
kle zurck ins Licht. Sie sollen etwas Positives mitneh-
men, nicht nur geteilten Schmerz. Stefanie Miller sieht
sich als Projektionsche. Das Leid, zumindest das
physische, kann man nur erahnen.Und was gibt es dann fr eine Entsprechung, heute?
Wenn Stefanie Miller erzhlt, dann xieren ihre grnen
Augen den Gesprchspartner: Psychische Folter in
Form von Mobbing, von Leistungsdruck und Konkur-
renz, von engen gesellschaftlichen Korsetts, das sind
Themen, die ihr am Herzen liegen. Niemand wird mehr
auf dem Scheiterhaufen verbrannt, aber es gibt andere
Formen der Unterdrckung, noch immer. Unterschwel-
lig zwar, doch prsent. Darauf mchte sie hinweisen,
mchte, dass jeder Zuschauer einen eigenen Ansatz in
der Performance ndet.
Sie identiziert sich mit Rebecca, zu einem Teil. Sie
fastet 48 Stunden, verlsst den Raum nicht. Ab 50
Stunden Lichtentzug bekommt der Krper Entzugser-
scheinungen. Wenn Stefanie Miller das erklrt, klingt es
wie eine Mischung aus akuter Leidensbereitschaft und
medizinischer Rckversicherung.
Lsst man den Blick durch die Rume schweifen, dann
suchen die Augen auch immer ein wenig nach Rebecca.
Einer der Besucher hat zu Stefanie Miller gesagt, dass
sich in dieser Performance die Geschichte der Frau an
sich widerspiegele. Eine Marina Abramovic wrde viel-
leicht zustimmen.
Rebecca harrt aus
Freitag 16.07. | 13 Uhr | Lokal
von Stephanie Drees
KFZVorschau
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SticwortParalegeselscaft
Nicole Oder ist mde. Sie sitzt auf der Platt-
form des Terrace Hill, gerade sind die Auffh-rungen ihrer Inszenierungen Arabboy und
Sisters vorber, zwei Mal 90 Minuten. Nicole
Oder ist Regisseurin und Knstlerische Leite-
rin des Heimathaften Neuklln aus Berlin. Das
Haus ist drei Mal bei KALTSTART vertreten:
Neben Oders Stcken luft noch eine Ilias-
Bearbeitung von Krzysztof Minkowski und Dirk
Moras (Mittwoch, 14. Juli, 21:30 Uhr, Terrace
Hill). Mit Alexandra Mller spricht Oder ber
Volkstheater, Problemkieze und Festivals
als Brckenkpfe.
KFZ Der Heimathafen Neuklln hat ja ein besonderes The-
aterkonzept ihr wollt in eurer Spielsttte das alte Rixdorf
und das heutige Neuklln einfangen, mit und fr die Leute
im Kiez. Was heit das?
NO Unser Motto ist ja: Berlin hat wieder Volkstheater. Erst-
mal heit das, Theater fr die Stadt zu machen, aber auch
Theater mit der Stadt: Eine Art Zusammensein. Gleichzeitig
soll ermglicht werden, dass verschiedene Genres zusam-
menkommen. Das Theater als Ort mit Platz fr Konzerte,Sprechtheater, Kabarett, Boxkmpfe hatten wir auch schon.
Ich will, dass man immer hinterfragt: Was hat man fr ein
Anliegen? Und dann danach, ob es die Leute berhaupt
interessiert.
KFZ Neuklln ist da bestimmt kein leichter Ort. Zwar ist es
nicht mehr der Problembezirk, der vor ein paar Jahren in
den Medien zirkulierte, aber ein idyllisches Dorf ist dieser
Teil Berlins auch nicht gerade.
NO Es ist vor allem ein inspirierender Bezirk. Die Ge-
schichten liegen eigentlich auf der Strae. Wir als Theater
mssen dann herausnden, wo ein Impuls sein knnte.Unsere Arbeit hat weniger mit Sendungsbewusstsein zu tun,
als damit, zuzuhren. Das kann man dann theatral weiter-
entwickeln.
KFZ Das gilt sicher auch fr die beiden Produktionen, die
heute Abend liefen. In beiden geht es um junge Menschen in
Neuklln.
NO Arabboy basiert auf realen Erlebnissen, die die Autorin
Gner Balci nach ihrer Zeit als Sozialarbeiterin verar-
beitet hat. Das Buch hat mich extrem bewegt. Ich wohne
seit sieben Jahren im Bezirk, und man kommt stndig an
der Oberche in Kontakt mit diesem anderen Neuklln
- groes Stichwort Parallelgesellschaft - aber was wirklich
da passiert, das wei man eigentlich nicht. Nach der Lektre
bin ich mit einem anderen Blick durch Neuklln gegangen.
Es hat mich berhrt, dass ich pltzlich so konkret von Ge-
schichten wusste, die da passieren.
KFZ Wie ist dann das Stck entstanden?
NO Die Textfassung habe ich selber gemacht. Aber wir
haben bei den Proben viel improvisiert. Besonders mit
meinem Hauptdarsteller, Hseyin Ekici, der war damals
18, ist in Neuklln aufgewachsen. Er kennt den Kiez, kennt
die Geschichten. Es war seine Theaterpremiere. Mit ihm
habe ich sozusagen das Theater nochmal neu entdeckt. Bei
Sisters wollten wir mit dem Thema weiterarbeiten. Ich
fand die Verhltnisse unter Mdchen sehr spannend. Zum
Glck hatte eine Freundin von mir, Andreea Clucerescu, ein
Treatment in der Schublade, in dem es um Neuklln und um
Mdchengewalt ging.
KFZ An vielen Stellen wird der Messecharakter des Festi-vals betont. Ist das K ALTSTART fr Dich eine Messe?
NO Wenn man als Spielsttte da ist, schaut man natrlich:
Was ist interessant? Man trifft vielleicht auf Leute, die fr
eine Zusammenarbeit interessant wren. Die Begegnungen
kommen aber auch viel ber die Kontakte, die ich auch
schon hab. Aber ich versuche schon, mein Netzwerk hier zu
verbreitern.
KFZ Kulturarbeit wird im Heimathafen grogeschrieben, im
Sinne von: Auf die Leute zugehen. Was kann ein Festival wie
KALTSTART da leisten?
NO Es ist gut, dass es eine Plattform gibt, eine Bestandsauf-
nahme, was so los ist im jungen deutschen Theater. Was ich
sehr gut nde, ist, dass es ber die Theatergrenzen hinaus-
geht. Also, dass man sich nicht als Stadttheaterfestival oder
Festival fr die Off-Off-Szene festlegt.
KFZ Du warst dieses Jahr auch beim Berliner Theatertreffen
und beim Festival 100 Berlin, das so hnlich funktioniert
wie Fringe. Wo bewegt sich das gesamte Kaltstart-Festival?
NO Es ist wie ein Brckenkopf dazwischen. 100 ist, sag
ich jetzt mal, ein buntes Spektrum von allem. Jeder kann
mitmachen, der Lust hat, auf der Bhne zu stehen und eine
Melone zu zerschneiden. Das Theatertreffen ist der extrem
andere Pol, sehr elitr, sehr auf Stadt- und Staatstheater
xiert, sehr prestigetrchtig. Ich nde es notwendiger und
wichtiger, dass man gerade so etwas macht wie KALTSTART.
Kaar
KFZInterview
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Hauae exoi!
Es gibt Inszenierungen, die sind schon dem Titel nach ein-
schchternd. Wilde Gebilde aus Klammern, Punkten und
einer Gro- und Kleinschreibung am Rande des Erlaubten
weisen den Weg zu den Avantgarden: Gernot Grnewalds
wund.es.heim innen/nacht erffnete in den Zeisehallen
das FINALE, die einwchige Werkschau der Theaterakade-
mie Hamburg. Ausgehend von Schleef wolle das Projekt
ZU/HAUSE als Wunde, als Ort der Zurichtung und der Sehn-
sucht denieren, war im Programmheft zu lesen.
Zu dieser Ankndigung scheint die Bhneneinrichtung
kongenial: Frei gruppiert auf Kissen und Hockern sitzen die
Zuschauer rund um die Spielche, die mit Zellophanwnden
und Requisiten zu Rumen strukturiert ist, Transparenz sug-
geriert und trotzdem unbersichtlich wird wie bald auch
das Bhnengeschehen: Was als chorisches Schleef-Spre-
chen von Schlern der Hamburger Schauspielschule beginnt,
nimmt bald eine unangekndigte Wendung.
Iereiai is PfiAus dem Chor, der engagiert die Qualen der Kindheit beklagt,allen voran das Leiden des Kindes an der Mutter, lst sich
eine Gruppe, die selbst zur Mutter wird. Und eine Tochter
sucht, die sie unterdrcken, gngeln und verderben kann.
Sie ndet sie in der groartigen Cornelia Drr, die vom Chor
der Mtter Erika genannt wird, und die ihrerseits in ihrer
Klavierschlerin Anna (Marie Seiser) eine Projektionsche
fr Hass und in ihrem Verehrer Herrn Klemmer (Bastian
Dulisch) eine fr Perversion ndet.
Fortan ist Grnewalds Abend nicht nur ein Schleef-, sondern
auch ein Elfriede-Jelinek- und Michael-Haneke-Abend. Und
auch sonst konsequent bervoll: Die Schauspieler werdengegen zeitgleich verlesene Regieanweisungen aus Hanekes
Drehbuch zur Filmadaption von Jelineks Klavierspielerin
gefhrt, zwischendurch gibt es Chor-Ausbrche, Porno-
lmsequenzen ackern auf Wnden und Folien, per Beamer
werden Dinge gezeigt, die live gelmt werden Interme-
dialitt ist Picht. Im Publikumsgesprch zeigt der Overkill
Wirkung: Die Zuschauer, obschon sprbar beeindruckt, tun
sich schwer, einen speziellen Moment der Auffhrung in
Erinnerung zu rufen.
Au e Irak kom keier a HaueEs scheint da nur bedingt zynisch, von Felix Meyer-Christians
Bearbeitung von Simon Stephens Kriegsstck Motortown,das im Anschluss auf der Hauptbhne gezeigt wird, beinahe
als Erholung zu sprechen. Meyer-Christian lsst seine Pro-
tagonisten auf schmaler Bhne vor schwarzem Vorhang
von Johannes Schneider
agieren. Irak-Heimkehrer Danny (Dennis Prtner) erscheint
verloren zwischen denen, die einmal seine Bezugspersonen
waren, und die ihn nun, abwechselnd spren lassen, wie
wenig sie noch mit ihm, dem Traumatisierten, anzufangen
wissen. Clownesk marschiert Danny zu Militrmusik auf die
Bhne, spter wird er immer wieder sein Heil in Monologen
suchen (die der Regisseur aus Briefen britischer Soldaten
klug in die Stckvorlage eingefgt hat). Als er am Ende in sei-ner Verzweiung Bhnenaufbau und Vorhang niederreit und
dahinter doch nur ein greres Gefngnis vorndet, ist das in
seiner Klarheit ein so unsagbar starker Moment, wie er nur
aus planvoller Reduktion resultieren kann.
Wa habe wir d eiei erae eehe?Schade, dass die letzte Inszenierung des Abends das auf
unterschiedliche Arten hohe Niveau nicht ganz halten kann -
vielleicht ist es aber auch schlicht unfair, das junge Ensemble
um Regisseurin Grete Michel im Anschluss an zwei derart
fordernde Ereignisse auftreten zu lassen. Zumal mit einem
weiteren, weniger eindeutigen Stck von Simon Stephens:
Wie in Port die Geschichte des nordenglischen Working-
Class-Mdchens Racheal (Julia Goldberg) und ihres Bruders
Billy in schlaglichtartigen Szenen erzhlt wird, ertrinkt in
traurig-melodischen Popsongs, in Fernweh und Melancholie.
Immerhin ergibt sich daraus die Frage, mit der man den
Abend verlsst: Wieviel Exotismus ist ntig fr gutes Theater
- und wann beginnt er zu schaden? Mssen Inszenierungen
derart mit Referenzen, Intermedialitten und Intertextuali-
tten berfrachtet werden, dass sich eine beschreibbare
Seherfahrung gar nicht einstellen kann? Die Theater-
akademie Hamburg hat an diesem Abend keine Antworten
gegeben, aber die verschiedenen Anstze klar voneinanderabgesetzt.
Perverse Porno-Projektionen, marschierende
Clowns und Britpop: Am Erffnungabend derFINALE-Sparte inszenieren Absolventen derTheaterakademie Hamburg Stcke von SimonStephens, Einar Schleef und Elfriede Jelinek.
Undurchsichtig. Foto: Nane Blattmann
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www.nachtkritik.de erschienen.
KFZKritik
8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 02 / 1. Jahrgang
9/16
Kaar
Wer bin ich und wenn ja, wie viele?, fragt Richard
David Precht in seinem populrphilosophischen Best-
seller. Reckless Factory bleiben da einfacher: WER
... [binichich]. Die Inszenierung in Zusammenarbeit
mit dem Schlachthaus Theater Bern basiert auf dem
Stck Wer ... des Niederlnders Oscar van Woensel:
Fnf Geschwister treffen zur Beerdigung ihrer Eltern
zusammen. Sie alle arbeiten im Kulturbetrieb, sie alle
knabbern an ihrer Kindheit. Vernachlssigung, Drogen-
missbrauch und Vergewaltigung die Liste trauma-tischer Erlebnisse wird immer lnger.
Ob sich wirklich alles so zugetragen hat, wie die
Figuren behaupten, ist allerdings nicht klar. Der Text
deutet an, dass die Fnf gerne Rollen spielen. Reckless
Factory nehmen die Tragdienkonstruktion als Aus-
gangsthese des Abends: Wo sich Schauspieler, Lite-
raten und Fernsehmacher treffen, bleibt die Frage nach
der Inszenierung des Selbst nicht aus. Der Text van
Woensels wird zerhackt, neu angeordnet und als Inspi-
ration genutzt. Die Figuren sind zwiebelhaft angelegt.
Unter ihren vordergrndigen Rollen liegen Schichten,
die sich mal in Dialektwechseln, mal in bizarren Ver-renkungen, mal im vlligen Ausstieg aus dem Bhnen-
geschehen entblttern. Zum Beispiel Tochter zwei, eine
mittelmige Schauspielerin. Sie wird von Gunther
Kaindl als schlacksige Trans-Schnheit interpretiert.
Unter der mdchenhaften Spielweise schlummert
Frustration: In einem wortgewaltigen Monolog bricht
alles aus der Figur heraus, inklusive der Figur selbst:
Kaindl wlzt und wtet auf dem Bhnensofa, persiiert
Theatergesten und beschwert sich ber die MTVck-
dreckVivawichskulturzitatenscheidreckskonstruk-
tionswichse. Kurz wird hier ein alter Theaterdiskurs
fhlbar: Ein Schauspieler spielt eine Schauspielerin,die andere Schauspieler spielt der Text wirkt impro-
visiert, mit einem Hauch echter Emprung. Umso mehr
markiert er sich als Spiel, weil da immer noch ein Mann
in Faltenmini steht, gleich neben einem Dixi-Duschklo.
Es passiert was, auf der Bhne und im Kopf.
Sonst passiert leider wenig, was unter anderem der
schlechten Akustik anzulasten ist. Aber auch einem
Mangel an Dramaturgie: Starke Szenen werden an-
kiert von chtigen Materialsammlungen. Ideen und
Bilder werden oft zu schnell aufgelst, weniger starke
Momente in die Lnge gezogen. Die Inszenierung ndet
sich nicht selbst, zerfllt in Einzelteile. Inhaltlich ist das
vielleicht ein Verweis auf die fragmentierten Identitten
im global village. Als Theaterabend aber nicht beson-
ders berzeugend.
Serge kauft sich fr 200.000 Euro ein lbild: Weie
Streifen auf weiem Grund. Marc ndet es scheie.
Ivan hat keine Position, trinkt aber viel Bionade. Das
ist die Ausgangslage, von da aus knallen die Neurosen
der drei Jugendfreunde aufeinander, die nicht zuge-
ben wollen, dass sie nichts mehr eint. Es ist natrlich
supermegaironisch, dass die Freundschaft ausgerech-
net an einem Gemlde zerbricht, das im Grunde nichts
zeigt: Nicht das Bild macht alles kaputt, sondern ganz
andere, ltere Konikte. So weit, so tolles Figurenthea-
ter, so toll auch der Text: Die Drei spiralen sich in einer
endlosen Diskussion immer tiefer in ihren Stellungs-
krieg hinein, von dem sie glauben, es sei ein Streit ber
Kunst. Aber als sie in einer sinnlosen, romantischen
Geste das Bild mit einem Edding bemalen, ist auch
nichts gewonnen. Irgendwo in der Mitte kippt das alles.
Klar, es ist hei in der Privatwohnung, in der das Stck
stattndet, die Zuschauer schwitzen, die Schauspieler
schwitzen, da kann es schonmal mit einem durchge-
hen: Was am Anfang ein bse-ironischer Kommentar
zu selbstreferentieller Kunst und den dazugehrigen
Mchtegernbohmiens wren, wird in improvisiert wir-
kende Comedy ausgest. Der Zusammenhang weichtdem schnellen Gag, der schnelle Gag dem ausgemach-
ten Bldsinn, die Diskussion versucht ins Absurde zu
spiralen und verspiralt sich.
von Jan Berning
von Jan Fischer
Ziaeei-kosrukiowieReckless Factory fragen nach dem
Ich in Zeiten der Persnlichkeits-
dekonstruktionsckscheie
Jan Cristoph-Gockel driftet in Kunst vom
ironischen Sozialdrama in die Comedy
Kann eigentlich weg. Foto: Jan Fischer
Is d Kus oerkan d weg?
8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 02 / 1. Jahrgang
10/16
08 / 09
Karl May, der Oberhuptling der Abenteuertrumer. Der
Erzgebirgsdrer, den es zu Cowboys und Indianern ver-
schlgt, der die wildesten Dinger dreht, bei grtmglicher
Freiheit und bestmglichem Menschsein. Der Old Shatter-
hand nicht nur schrieb, sondern auch Old Shatterhand war
das behauptete er zumindest. Der, so sagen manche, unterkrankhafter Achtung, Wort fr die Hosentasche Pseudo-
logie litt, dem zwanghaf ten Lgen.Tom Ripley, der Talentierte
aus Patricia Highsmiths Roman und spter mit den vielen Ge-
sichtern des Matt Damon verkrpert wurde. Der Erfundene,
der sich selbst erndet, immer wieder neu, der in andere
Rollen wie in andere Jacketts schlpft, und dabei manchmal
ganz vergisst, dass er doch eigentlich ein Mrder ist.
Am Theater Bochum begegnen sich diese beiden Figuren in
Bermudadreieck denn spielt es eine Rolle, dass es den
einen gab, den anderen nicht? An diesem Ort im Nirgend-
wo, so suselt eine Luxus-Airline-Stimme (Veronika Nickl)
aus dem Off, ist alles mglich: Im Bermudadreieck ver-schwindest du und kannst als jemand anders wieder auftau-
chen. In der Urauffhrungsinszenierung von John Birkes
Stck besteht die Bhne aus einem Steg, der zum Halten gro-
er Lebensmonologe einldt, und zwei Garderobentischen,
an denen man sich vom Halten ebenjener Monologe erholen
kann. Abseits von Raum und Zeit reektieren May und Ripley
ihre bisherigen Rollen, um sie schlielich abzustreifen.
Eva-Maria Baumeister setzt auf eine gurenkonzentrierte
Regie, auf Ruhe und Genauigkeit, Martin Bretschneider und
Christoph Jde stellen die Lebensberichte ihrer Figuren mit
Gespr fr Anti-Heldentum und hochstapelnde Sympathie-
trger vor die Zuschauer, die mit den Darstellern auf derBhne, hinter dem Bermuda-Vorhang schwitzen. Wenn der
am Ende aufgezogen wird, ffnet sich eine neue Bhne fr
May und Ripley und der Gang aus dem Bermudadreieck
wird zum Gang in ein neues Ich.
von Clara Ehrenwerth
Huptling Flotte Feder
oe ir a BerudDas Theater Bochum ber den talentierten
Mister Karl May
Ja, der Druck ist hoch und vielleicht ist deshalb das Projekt,
seit es Jonas Fischer eingegeben wurde, noch nicht recht
fortgeschritten, wie der Regisseur zu Beginn erklrt. Doch
vielleicht kann der kreative Flow erst unter dem Zeitdruck
und der Spannung einer ffentlichen Probe lospltschern.
Eine King-Kong-Klaue in Lebensgre zum Umhngen hat
er dabei. Und zwei Schauspielerinnen: Christina Geie und
Monique Schwitter, die ber Haustiere sprechen, ber Angst
auf der Bhne oder einen seltsamem Text, in dem der Pro-
tagonistin ein Phallus unter den Achseln herauswchst. Und
als dann nach der Probe nicht viel mehr herausgekommen
ist als eine Zusammenfassung der Verlmung von 1976 und
dass man King Kong und Dwan ja mal zum Paartherapeuten
schicken knnte, sind wir natrlich enttuscht. Aber auch
von uns. Weil uns erst drauen vor der Tr aufgeht, dass auf
der Bhne ein vierter Stuhl gestanden hat und wir die Chance
vergeben haben, uns dazu zu setzen, die Vision mit Euphorie
zu sttzen, King Kong zu retten. Das wollen wir hiermit gerne
nachholen Exklusive KFZ-Tipps fr eine King Kong-Insze-
nierung:
Transgender-Triebabfuhr
Die Faust des Riesenaffen steht schon seit den Dreiigern
in seiner mythologischen Potenz kerzengerade in der Luft.
Doch warum den pelzigen Kolloss nicht in Frauenkleider
stecken und in eine Transgender-WG ziehen lassen, dome-
stiziert wie eine Doris-Drrie-Figur nach dem gewaltfreien
Sushi-Happening? Im Jahre 2010 heit King zu sein, aufge-
staute Triebe in den kreativen Umgang mit Polyamoursitt
zu stecken. In jeder Auffhrung die eine wichtige Frage: Ist
das eine Banane unter deinem Morgenmantel oder freust du
dich nur, mich zu sehen?
Theatrales Live-Call-in
Wer den Trster Domian im Fernsehen sieht, der bemerkt
sofort: Jrgen und King Kong haben nicht nur die einfhlende
Mimik gemein. Sie sind Dealer der Depression, im psycho-
logischen wie wirtschaftlichen Sinne. Bei dem schmusigen
Riesen als theatralem Live-Seelenicker mit Telefonhrer
in der Pranke wrden gleich zwei Fuste fr ein Halleluja
zuschlagen: Mitmachtheater trifft Gutgorillatum.
Gorilla-Saga
Einst wurde unser Freund als Projektionsgur fr ngste
vieler Art gesehen. Heute reicht ein Blick vor die Tr, um
zu erkennen: Die Hlle, das sind die anderen. Grund genug,den Affen auf ein Dreirad zu setzen und in ein Peter-Pan-
Kostm zu stecken. Eine Ren-Pollesch-Oper mit dem King
(dem schwarzen...) als Hommage an den Gromeister. Nicht
umsonst lautet ein Zitat von dessen Seite richtigerweise:
Drauen tobt der KONGsens.
Kig Kog kom! I Teaer!Der Riesenaffe, das Ur-Monster, der Meta-
Mythos! Wir wissen, wovon wir reden: Wir
sind am Set gewesen, live beim Making-Of!
Wir haben durchs Schlsselloch geschaut,
um das erste Blubbern der kreativen Ur-suppe zu verfolgen, aus der das Kunstwerk
hervorgehen wird.
von Jan Berning und Stephanie Drees
8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 02 / 1. Jahrgang
11/16
von Clara Ehrenwerth
Ihr ucig Fehea GehrRalph Reichel und das Theater Schwerin
mixen Schiller neu zusammen
Bevor irgendwas losgeht, bevor berhaupt irgendwas
angefangen hat auf diesem Festival, fnf Minuten vor
der allerersten Kaltstart-Auffhrung 2010, kracht ein
Scheinwerfer von der Decke. Ein Techniker springt in
letzter Millisekunde zur Seite, die Scherben splittern
ausdrucksstark, der beinahe Erschlagene holt ein
Kehrblech, der Regisseur Ralph Reichel rettet sich ver-
legen in den Witz, dass es sich bei der eben gesehenen
Aktion um einen von langer Hand geplanten Spezial-effekt gehandelt habe, drei Wochen sei lang intensiv
dafr geprobt worden. Eine donnernde Ouvertre.
Aufgang der drei Schauspieler, ein Musiker stellt sich
ans Keyboard, und dann beginnt Schiller feiern, ein
Remix aus Kabale und Liebe, Die Ruber und Maria
Stuart, entwickelt am Theater Schwerin. Schnell
ist eine lang verschollene Ur-Trilogie erfunden, ein
frhes Fragment des jungen Dichters, das erst jetzt
von einem Wissenschaftler wiederentdeckt wurde. Da
ieen dann alle Hauptguren ineinander, und pltzlich
heit jemand Karl-Ferdinand-Elisabeth der Erste. Die
Schauspieler (Brit Dehler, Bernhard Meindl und BettinaSchneider) wechseln rasant zwischen den Rollen, den
Geschlechtern, zwischen Ironie und Ernst, zwischen
Naturalismus und Stilisierung. Bei dieser Frequenz,
diesem Schredderumgang mit Schiller ist es erstaun-
lich, dass es dem Ensemble gelingt, nicht dem Klamauk
zu verfallen, sondern immer wieder Momente von gro-
er emotionaler Klarheit zu schaffen. Dabei sind weder
die Modernisierungsideen noch die darstellerischen
Mittel besonders originell, mitunter sind die Versuche,
Schiller cool zu machen, sogar gehrig missraten
-- die Ruberbande wird zur Ruberband (am Key-
board: John R. Carlson) und hat hinter eddingbemalten
Strumpfmasken einen Auftritt mit ihrem Technohit
Stehlen, morden, huren, balgen, der trotz nicht ber-
einstimmender Grundstimmung und Silbenzahl auf die
Melodie von Hier iegen gleich die Lcher aus dem
Kse gepresst wird.
Doch Schillers Sprache, und das ist immer wieder
erstaunlich, hlt so ziemlich allem stand, was man mit
ihr anstellt. Man kann sie rappen, man kann sie sch-
seln, man kann sogar anbiedernde Jugendwrter in sie
reinbohren (Zufallsbeispiel: Ihr fucking Flehen fand
Gehr). Alles das ist zur Genge in den dicht aufeinan-
der folgenden Schillerjahren 2005 und 2009 geschehen,
auch in Schwerin. Und trotzdem macht dieser Abend
Spa, weil die Darsteller sich mit Witz, mit Ernst, mit
Schmackes und Spielfreude dem Schillerschen Sprach-
reichtum und seiner Wandlungsfhigkeit hingeben.
Kaar
Brechen wir einmal eine journalistische Re-
gel. Lsen wir mal den neutralen Beobachter
auf: Ich habe keine Ahnung vom Leben libano-
trkischer Einwanderer der zweiten Gene-
ration. Ich bin eine verwhnte Mittelstands-
Weinase. Ich habe nie in Berlin gelebt. Und
nun erzhlt mir der Heimathafen Neuklln die
Geschichte des Arabboy, eigentlich Rashid
A., geboren und aufgewachsen in irgendeinem
Neukllner Kiez. Da verprgelt und vergewal-tigt er Leute. Da gibt es Prostituierte, einen
Kiezknig, ein Mdchen mit ruinierter Ehre,
auerdem Drogen. Ich kenne die Geschichte,
ich habe sie tausendmal gehrt, sie spielt
zwar immer in anderen Stdten mit Protago-
nisten, immer anderer Nationalitten, aber
im Grunde genommen ist das Scarface, die
Geschichte eines Heimatlosen, eines Glck-
von Jan Fischer
Arabboy reproduziert die alte
Geschichte vom Aufstieg und Fall
eines Jungen in Verbrecherkreisen
Rashid. Der Nachname tut nichts zur Sache.
Neukl is aukeie Lug
losen, eines netten Jungen, der in falsche
Kreise gert, auch, weil die Gesellschaft
ihm keinen anderen Weg bietet. Arabboy
thematisiert das: Gleich in der zweiten Szene
spielt Rashid mit ein paar Freunden den
Film nach, er ist dabei die Hauptgur Tony
Montana. Und die Frage nach seiner Hei-
mat ist die einzige, die ihn in Verlegenheit
bringt. Arabboy basiert auf einem Buch
der Journalistin Gner Balci, die behauptet,
dass Rashid im richtigen Leben existiert. Das
Problem ist nun nicht, dass es nicht gut und
richtig wre, Geschichten von Einwanderern
zu erzhlen, die eigentlich gar keine mehr
sind, aber trotzdem keine Heimat haben. Das
Problem ist auch nicht, dass das Stck nicht
gut inszeniert wre, dass die Schauspieler
schlecht wren oder der Text holprig. Das
Problem ist, dass die Geschichte von Arabboy
schon so oft erzhlt worden ist. Da kann die
Geschichte so wahr sein, wie sie will: Klischee
bleibt Klischee.
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Kaar
In einem kleinen Raum mit wenig Luft ist jeder Menschein potentiell gesundheitsschdliches Moment und je-
der Synapsen-Schulterschluss eine Bedrohung fr das
geistige Wohl. Sehr lobenswert also, wenn man einem
Kammerspiel beiwohnen kann, das diesen Umstnden
den ntigen Respekt zollt: India Simulator vom Flinn-
theater hat man rasch durchschaut, es geht eben um
kulturelle Missverstndnisse, um Indien und Deutsch-
land, um Gestik und Mimik, um das Aufeinanderschauen
und das bereinanderurteilen alles in kleine Hpp-
chen unterteilt. Das ist zwar nicht besonders nahrhaft,
man verlsst den Raum eher ungesttigt und mit den
Gedanken schon beim nchsten groen Mahl, aberzumindest hat man zwei gut aufgelegte Schauspieler
dabei beobachtet, wie sie von einem Klamauk zum
nchsten gesprintet sind. Klar, dass da irgendwann
auch mal die Luft wegbleibt.
von Khesrau Behroz
I Iie i NeueIn India Simulator geht es um kulturelle
Differenzen. Schmeckt, sttigt nicht.
Vorweg: Wir Zwei lohnt sich allein schon wegen
der zweistimmigen Akustik-Coverversion von
Radioheads Creep. Die Story geht so: Rob undRoland, zwei Jungs, die den Wert eines guten AC/DC-
Shirts kennen, hatten in der Schule eine Band, eine
von denen, die auf Trumen durch Provinzgigs glei-
tet. Nach zehn Jahren wollen sie ein nostalgisches
Reunion-Konzert spielen. Wir Zwei spielt im
Proberaum, es gibt immer wieder groartig geco-
verte Chart-Klopper aus den letzten zwanzig Jahren,
und das Publikum bekommt die Geschichte der Band
und das Danach erzhlt: Die Trume, den Schmerz,
die Trennung. Aber das ist nicht wichtig: Wichtig
ist, dass da zwei Jungs auf der Bhne quer durch
die Popgeschichte Spa haben, wichtig ist, dass siesuper Pophuren sind. Das sagen wir mit dem grten
Respekt.
von Jan Fischer
PohureWir Zwei aus Mainz covert die Songs
einer verlorenen Bandjugend
Der ganze 13te Stock ist voll, Lounge-Athmo und einer,
dem die Tattoos an diesem Abend das T-Shirt ersetzen,
serviert Getrnke. Irgendwann luft Morcheeba: Der
ese Mann ist der Typ hinterm DJ-Pult, er trennt sich
erstmal von seiner Freundin. So geht es weiter: Tren-
nungen, Strungen, ein bisschen Lacan, ein Quentchen
Foucault, ein Holocaust-Vergleich: Christiane Filla und
Markus Frank sprechen die Kurzen Interviews
eigentlich Monologe unterschiedlicher Mnner mal
zusammen, mal alleine, mal hinter dem DJ-Pult, mal
auf dem Balkon, und bis auf einige Kostmwechsel
war es das eigentlich auch: Regisseurin Anna Schildt
inszeniert zurckgenommen. Zugegeben, die Monologe
werden teils in Dialoge aufgelst, manchmal ist der
ese Mann eine ese Frau aber eigentlich schrammt
der Abend scharf an einer szenischen Lesung vorbei.
Aber was solls: Es geht um das Verhltnis zwischen
Mnnern und Frauen, und dieses Hohoho, das kenne
ich! zusammen mit der Inszenierung destilliert das
Mario-Barthige aus David Foster Wallace nur, dass
Mario Barth normalerweise nicht Foucault zitiert.Schildt hat erkannt, dass man diese Texte einfach nur
ohne zu stocken sprechen muss, damit sie knallen wie
die Sonne auf das Flachdach. So lange das Bier gekhlt
ist, das der Ttowierte bringt, hat die Kritik da nichts zu
meckern.
von Jan Fischer
Anna Schildt lsst David Foster Wallaces
Kurzen Interviews mit esen Mnnern ihreStrahlkraft
Im limbischen System gehts zur Sache. Es zischelt und
wispert aus den Ecken des Raumes, ein Stimmenchor
formiert sich schlielich, um das Abtauchen tief in die
Gewlbe des menschlichen Bewusstseins anzusagen,
den Moment zu greifen, in dem Traum und Wirklich-
keit beschlieen, sich gegenseitig fr eine Liebesnacht
abzuschleppen. Das Publikum sitzt im Zentrum einer
Geschichte, in der das Bewusstsein ein schlpfriges
Ding ist: Von Sequenz zu Sequenz werden wir von einem
Synapsenchor auf Mrchenstaub-Speed unterhalten,
die mal koboldhaft, mal mit ethnologischem Drang, See-
lenlandschaften der Wnsche und Trume erkunden.
Die Vorlage dient nur als grobes Motivgeecht: O'Neills
expressionistischer Trip in die Gesellschaftsordnung
eines Dampfers ist hier ein Ballett der Hirnstrme. Kei-
ne haarigen Heizer, sondern schwitzende Tnzer. Das
Publikum kann Orte auf Zettel schreiben, die die Cho-
reograe beeinussen. Es mutet zu Anfang ein wenig
wie eine Adaption der Es war einmal das Leben-
Serie aus den Achtzigern und wird dann leichtes, atmo-
sphrisches Bewegungstheater. Eine Feier des neuro-
nalen Chaos.
von Stephanie Drees
az er raiterChristopher Rping zertanzt Eugene
ONeills Haarigen Affen
Mario Barhr Ielekuele
KFZKritik
8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 02 / 1. Jahrgang
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Es ist ein gemtlicher Sonntag, endlich Zeit zum Lesen. Was
nimmst du dir vor?
A - Das Spielzeitheft! Die neue Saison startet bald. Eventuell
schaue ich in den neuen Kehlmann, auch wenn die FAZ ihn
nicht so gut besprochen hat.
B - Sorry, keine Zeit zum Lesen. Sonntags arbeite ich mit
Problemkids.
C - Ich surfe ne Weile auf Watchblogs. Und stecke immer
noch in McLuhans Understanding Media fest. Shit.D - Erika Fischer-Lichte hlt heute Nachmittag einen Vor-
trag. Darauf muss ich mich vorbereiten.
Stell dir die perfekte Bhne vor. Wie sieht sie aus?
C - Leer, ein Beamer.
A - Ich sehe ... eine von Anna Viebrocks phantastischen
Bhnenwelten. Christoph Marthaler begrt mich mit Hand-
schlag und fhrt mich auf meinen Stammplatz in der ersten
Reihe ... Oh, hab ich getrumt?
B - Joar ... ein graftibespraytes Laken ... in der Ecke ein
paar Requisiten aus Pappe oder so. Hauptsache selbstge-
macht. Mit diesem ganzen bernanzierten Shit kann ichnichts anfangen.
D - Die historische Bedeutung von Bhnenausstattung, das
war meine Masterarbeit. Ich persnlich bevorzuge die khle
sthetik von Plastikfolie und Plexiglas, bin mir aber natrlich
bewusst, dass meine Prferenzen nichts mit dem tatsch-
lichen Diskurs zu tun haben.
Was ist dein absoluter Lieblingsspielort?
A - Der groe Saal und ein Theatersitz mit Samtbezug. Mir
gefallen die barocken Theater gut, aber auch einen moder-
nen Neubau wei ich durchaus zu schtzen.
B - Mir kommts halt eher auf die Darsteller an. Ob im Kultur-
zentrum oder in der Turnhalle, ist egal.
C - Theater ist berall! Was soll die Einschrnkerei. Wenn
du unbedingt ne Antwort willst: alte Fabrik, Wohnung, die
Strae.
D - Ich gehe mit dem Konzept des ffentlichen Raumes als
Theaterort daccord, schtze aber die Studiobhne.
Du stehst vor der Premiere im Foyer und hast etwas Geld
brig. Was holst du dir?
A - Ich trinke Sekt, lieber Champagner. Wenn es Brezeln gibt,
genehmige ich mir eine in der Pause. Die Schnittchen in der
Frankfurter Oper sind aber auch fantastisch.
C - Hab ne Club Mate im Rucksack.
B - Meistens bin ich fr die Getrnke verantwortlich, da leg
ich schon Wert auf Fair-Trade-Kaffee.
D - Meine Kommilitonen und ich wir bevorzugen Wodka,
wenn mglich russischen.
TypBYoungstar
WarumimmernurdieProsranlassen?DuhltstesehermitBeuys:
JederisteinKnstler!Waszhlt,sindderSpaamSpiel,dasEntde-
ckenunvermuteterTalenteunddasguteGefhl,wennmanetwas
gemeinsamaufdieBeinegestellthat.Ganzabgesehendavon,dass
sichnurdurchunverbrauchteDarstellerderpolitischeCharakterdes
Theaterszeigt.
TypAKaltstartPro
DubleibstDeinemStadttheatertreu.DortkannstDuDichnochdarauf
verlassen,nichtmitallzugewagtenFormexperimentenkonfrontiertzu
werden.DubistMitglieddesFrdervereins,BesitzerdesAbo-Pakets
Premiereundliebstes,DeinenBhnenstarsbeimanschlieendenBfettganznahseinzuknnen.
Wer ist dein absoluter Held auf der Bhne?
A - Ich nde viele der klassischen Figuren spannend. Sie
berhen einfach einen gesamtgesellschaftlichen Kern. Aber
wenn ich mich festlegen muss: Hamlet.D - Eine der komplexesten Figuren, die gleichzeitig Vergan-
genheit nach- und die ganze Postmoderne vorschreibt, ist die
die Hamlet-Figur aus Mllers Hamletmaschine.
B - Ich hng nicht so an Figuren. Die Kids haben ihre ganz
eigenen Vorstellungen auf der Bhne, das nd ich viel span-
nender.
C - Auch, wenn Rimini Protokoll schon fast Mainstream sind,
nde ich immer noch die Experten des Alltags am geilsten.
Im Publikum ersphst Du Dein Traumgirl/Deinen Traumboy.
Wie gehst Du auf sie/ihn zu?
A - Sind Sie auch fter hier?D - Selbstredend ist mir bewusst, dass Geschlecht nur eine
Konstruktion ist, die durch die unserer Gesellschaft inne-
wohnenden konomischen und physisch-biologistischen
Zwangsstrukuren paradigmatisch determiniert ist, aber,
h ... cken?
B - Bist Du auch mit jemandem von den Darstellern be-
freundet?
C - Lust zu kiffen?
TypCFringe
VonffentlichgefrdertemTheaterbekommstDuHerpes:Nurinder
FreiheitkannsichdasTheaterentfalten,allesandereistnurMnn-
chenmachenfrKulturfunktionre.Duschtztdiereduziertesthetik
undliebstes,wennTheateranauergewhnlichenOrtenstattndet,
ambestenimffentlichenRaum.IntermedialittundPerformanceArt
sindkeineFremdwortefrdich.ImGegenteil.
TypDFinale
ImTheaterbeschftigenDichwenigerdieHandlungoderdiegroen
AugenderHauptdarstellerin,sondernvorallemdieInszenierung.Dein
InteressegiltdemtheoretischenberbauunddemEinsatzsthetischer
Mittel;DusitztnichtalsZuschauer,sondernalsAnalytikeraufDeinem
Platz.AbstraktionistDeineLeidenschaft.
Oh weh ... es ist Kaltstart-Festival und du weit nicht,
welche Produktion du dir anschauen sollst? Fringe oder
doch lieber Finale? Bist du mehr der Kaltstart-Pro-Typ
oder doch ein klassischer Youngster? Die KFZ- er-leichtert dir die Qual der Wahl: Einfach den Psychotest
machen.
Pycotes-WER...[bitdudu]?
8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 02 / 1. Jahrgang
15/16Kaar
Auf der C ouc!
Das Beratungsgesprch fr dramatische
Figuren mit unserem Psycho-Experten
Dr. Freude
von Jan Berning, Alexandra Mller, Stephanie Drees und Jan Fischer
wo Menschen ein offenes Ohr und eine helfende Hand
brauchen. Dem Berufsfeld, auf dem du arbeitest,
scheint eine Ellbogen-Mentalitt eigen, die von vielen
Menschen zunchst als Herausforderung verstanden
wird, nicht selten aber auch zu innerer Leere fhren
kann. Das Moment des Ausgebranntseins teilst du mit
vielen Menschen auf dem freien Markt. Drogen ver-
schaffen da nur einen kurzzeitigen Urlaub von einer
Welt, auf deren harten Boden du nach dem Rausch nur
umso hrter aufschlgst. Nimm dir Zeit fr dich und dei-
ne Trume, versuche heraus zu nden, was du wirklichvom Leben willst. In Pegeeinrichtungen, Jugendzen-
tren oder Asylcafs freut man sich ber aufgeschlos-
sene und engagier te junge Menschen, wie dich. Dein Dr.
Freude
Lieber Dr. Freude, niemand will meinen Roman lesen, mein Va-
ter hat mir die monatliche Untersttzung gestrichen und jetzt
ist meine Freundin auch noch schwer krank. Ich wei echt
nicht, wie ich damit umgehen soll ... ich will doch einfach nur
Kunst machen. Ein groer Schriftsteller werden und nicht so
ein Arschloch wie mein Vater. Ich glaube, meine Freundin wird
mich verlassen, dabei liebe ich sie so. Aber ich kann halt mit
ihren ganzen Problemen nicht so gut umgehen, ich bin doch
noch so jung und muss meinen Roman vollenden. Von wegen
Knstler mssen leiden. Das ist doch einfach beschissen! Dein
Laurenz
Dr. Freude: Lieber Laurenz, du hast Recht, manchmal ist
das Leben wirklich dramatisch. Wie gut, dass du einen
Weg gefunden hast, problematischen Situationen mit
Schreiben zu begegnen! Die Kunst kann uns viel ber
das Leben erzhlen. Hr dir mal ein paar alte Opern
an, zum Beispiel La Traviata, da ndest du dich sicher
wieder. Aber Kunst hat immer auch mit den Menschen
um uns zu tun. Wenn du nicht bereit bist, neben den hel-
len auch die dunklen Stunden mit deiner Freundin zu tei-
len, wird es dir auch schwer fallen, auf die Bedrfnisse
deiner Leser einzugehen. Und noch was: Authentizitt
nach der Postmoderne, das geht nicht. Dein Dr. Freude
Der dramatische Held bricht an den Frchten seiner
Tat wusste schon Aristoteles. Und weil der drama-
tische Held bricht und fllt und nicht selten stirbt,
knnen wir uns dann vor der Bhne in die Gefhls-
achterbahn setzen. Aber muss der dramatische Held
wirklich brechen, um uns zu erlsen? Nicht in Zeiten
von Ratgeber-Kultur und Chat-Foren! In der KFZ schafft
der Psychotherapeut Dr. Freude den bedrngten Seelen
Abfuhr und lsst die Bhne zu einem Ort von Harmonie
und Eintracht werden.
Lieber Dr. Freude, s Leben ist mir ein Graus, dieser Tage. Tag-
aus tagein stehe ich dem Hauptmann grade, suche dem Arzt
zu gengen und der Marie und dem Kleinen e in Geld zurck zu
legen. Doch es gengt nicht. Gestern hab ich zwei Ohrring-
lein gefunden bei ihr und der Hauptmann sagt, sie sei nicht
tugendhaft und dass sie ein andren htt. Eine Snde, so dick
und so breit - es stinkt, dass man die Engelchen zum Himmelhinausruchern knnt! Und dann diese Stimmen: Stich, stich
die Zickwoln tot! - Soll ich? Muss ich? Dein Woyzeck
Dr. Freude: Lieber Woyzeck, man merkt, dass Du
Probleme gerne auf der Metaebene angehst. Nachden-
ken kann hilfreich sein, aber auch dazu fhren, dass
dein Kopf zu einem Hamsterrad der Gedanken wird.
Vielleicht berfordern deine abstrakten Analysen dein
Umfeld! Versuche auszudrcken, was du fhlst, statt
deiner Freundin mit Vorwrfen zu begegnen oder Recht-
fertigungen von ihr einzufordern. Nur so ndet ihr eine
Ebene, auf der ihr ehrlich miteinander sein knnt. Und
wenn deine Wut und deine Enttuschung im Moment zugro sind, sie mit deiner Freundin zu teilen, schreibe sie
auf. Im Internet gibt es zahlreiche Foren, in denen du
dich anonym mit Menschen austauschen kannst, denen
es hnlich geht, wie dir. Dein Dr. Freude
Ey, gestern hat misch mein Arbeitgeber, is Kiezknisch,
gefragt ob isch ein morbide disse. Konnt isch aba nisch. Pro-
blem: hat isch voll Empathie, hat isch kein Brainpower. Jetzt
hab isch fett Schiss um Job und dass kann isch nisch meine
Drogen bezahlen oder misch Kiezknisch ckt. Was soll isch
machen, Alta? Dein Arabboy aka Rashid
Dr. Freude: Lieber Rashid, deine Angst um deinen Job
ist verstndlich. Aber ich verstehe auch deine Hem-
mungen, einen Menschen morbide zu dissen. Empathie
ist eine Eigenschaft, die in vielen Berufsfeldern gefragt
ist und es dir ermglicht, dort wertvolle Arbeit zu tun,
KFZRatgeber
8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 02 / 1. Jahrgang
16/16
Die Festivalzeitung KFZ zum KALTSTART HAMBURG 2010 wird herausgegeben vom
Kaltstart e.V.
Redaktion: Khesrau Behroz, Jan Berning, Stephanie Drees, Clara Ehrenwerth,Jan Fischer, Alexandra Mller, Laura Naumann, Jan Oberlnder (V.i.S.d.P.),
Johannes Schneider.
Titelfoto: Jan Fischer. Freud-Foto von Psychology Pictures / Flickr.
Gestaltung: www.kirschcake.net.
Auage: 500.
Redaktionsblog unter www.kaltstart-hamburg.de/blog.
Schreibt uns unter [email protected].
Face-to-face: Lokal, Max-Brauer-Allee 207, 22765 Hamburg
Mit freundlicher Untersttzung von:
Eigentlich wollten wir an dieser Stelle ja immer die
Anderen verhohnepiepeln; die, die uns - der bo-
denstndigen KFZ-Redaktion aus der Provinz - zu
manieriert, zu campy, zu gewollt, kurz: zu theaterm-
ig erscheinen; jene, die gerade hier - in der Schanze
- den schmalen Grad verfehlen zwischen progressiver
Off-Kultur und Kunstkacke fr so Gentrizierungs-
schickiyuppielohadinknrollpeople, wie es der Chef
ausdrckt. Nun wissen wir: Wir sind die Schlimmsten
von allen, die herzlosesten und ironischsten PoMo-
Wichser des ganzen Festivals. Schaut euch das
mal an, grlt Mr. Gonzo Jan II. In seinen Hnden:
ein Din-A-5-Flyer. Solidaritt mit dem gerumten
Hausprojekt Eichenstrae 9 in Wien, buchstabiert
Jan III die gefettete berschrift, nur um direkt anzuf-
gen: Times New Roman geht ja mal gar nicht.
Wien ist mir entschieden zu weit weg fr Solidaritt,
herzlost Redaktionszynikerin Clara E. fadenscheinig
hinterher und beginnt zu lesen: Seit dem Abend des
2. Juli ist das Hausprojekt in dem bis dahin leer-
stehenden Gebude in der Eichenstrae 9 erffnet.
Schon am 6.7.2010 forderte die Eigentmerin BB
(sterreichische Bundesbahn) den freiwilligen Auszug
bis Freitag frh. An dieser Stelle sind ihr die ersten
Lacher sicher: Wer ist denn so blde und besetztein Haus von einer ffentlichen Institution?, kichert
Von Jo Schneider
Veereo!
Obercheckerin Alex M., als htte sie selbst im Leben
jemals mehr besetzt als eine Toilettenkabine.
In diesem Stil geht es weiter: Ein handschriftlich ein-
gefgtes Binnen-I bei HausbesetzerInnen sorgt fr
groe Heiterkeit, der Satz Jegliche Versuche selbst-
verwaltet zu leben werden im Keim erstickt erntet
eine Vielzahl an Oooohs und Eine Runde Mitleids.
Die gefettete Signatur wird zielsicher als Angebot der
autonomen Linken zum Liedermachen aufgefasst.
Das KFZ-Ukulelenorchester holt seine Instrumente
hervor, alle anderen ihre glockenhellen und von kei-
nem antifaschistischen Kampf rau gewordenen Stim-
men. Eine schmalzige Joan-Baez-Gedchtnis-Kadenz
(G-Emoll-C-D) ist schnell gefunden, alle singen:
Doch wir sind viele und wir werden immer mehr,
je mehr wir gedrckt werden, um so entschlossener
werden wir wieder vor Euch stehen. Der Kater folgt
am nchsten Morgen. Du, wir sollten uns echt ernst-
hafter mit den internationalen Befreiungsbewegungen
auseinandersetzen, sagt die Zonen-Linke Laura N.,
whrend sie aktionistisch die Klotren der Redakti-
onskommune aus den Angeln hebt. Bei der anschlie-
enden Redaktionssitzung wird sodann einstimmig
der basisdemokratische Entschluss gefasst, die
Rote Flora zu besetzen.Venceremops!
IMPRESSUM
KFZKolumne:AffektierteEffekte II
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