KPMG schreibt Geschichte.
Prominente Schweizer und Mitarbeitende von KPMG haben sich Gedanken gemacht zum Thema “Jahresrauschen”. Entstanden sind nachdenkliche, witzige und aussergewöhnliche Anekdoten.
Andreas Hammer / Tomas Honegger (Hrsg.)
KPMG schreibt Geschichte.
Gedanken und Anekdoten zum
Thema «Jahresrauschen».
1. Auflage 2010 Copyright © 2010 by Andreas Hammer / Tomas Honegger Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne
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Inhalt
Dreissig ......................................................................................... 8
Sechzig ........................................................................................ 10
Das Leben danach ....................................................................... 13
Miss Yokohama .......................................................................... 15
Vorwort
Geburtstag feiern wir alle. Unseren eigenen, den unserer Kinder,
Eltern, Freunde, Partner. Vielleicht feiern wir auch Weihnachten oder
Ostern, den Hochzeitstag – am Hochzeitstag selber oder ein bisschen
später – oder den Namenstag, den Kauftag des ersten Hundes, bestan-
dene Prüfungen, Erfolge im Sport oder im Berufsleben, oder wir fei-
ern einfach so, weil uns gerade danach ist. Kurzum: wir feiern, weil es
einfach zum Leben gehört. Das wusste auch schon der griechische
Philosoph Demokrit: «Ein Leben ohne Feste ist wie eine Reise ohne
Gasthaus.» Also, kehren wir ein in die Gasthäuser unserer Nachbarn,
Kollegen und Menschen aus den Medien, schliesslich hat jeder mal
Durst. Oder Hunger nach Geheimnissen und dem Glück anderer. Da
laden wir uns schon mal selber an ein Fest ein. Unanständig? Mitnich-
ten. Schliesslich feiert niemand gerne alleine, immerhin wollen wir
unsere Freude teilen. Und beim Feiern geht es auch darum, zu beurtei-
len. Wir lassen es uns nicht nehmen, die Gäste an Festen zu begutach-
ten, über die neuen Frisuren zu tuscheln, über die neuen Paare zu trat-
schen und das Angebot an Essen und Getränken zu bewerten. Und am
Ende eines Festes sagen wir schon mal: das krieg ich besser hin.
Aber haben Sie sich schon mal gefragt, wie Sie Ihren letzten Ge-
burtstag feiern würden? Oder: Sind Männer wirklich lustiger als Frau-
en, wie es der Wissenschaftler Sam Shuster von der Norfolk and Nor-
wich University behauptet? Darf man ein Fest organisieren und keinen
Alkohol anbieten? Soll man im Büro den Abschiedsapéro dem Will-
kommensapéro vorziehen? Warum freuen sich andere Nationen mit
ihren weinenden und ausflippenden Sportlern, während weinende und
ausflippende Schweizer Sportler Memmen und Spinner sind? Wie fei-
ert man, wenn man keine Freunde hat? Und wie soll man reagieren,
wenn man Freunde hat, ein Fest organisiert und keiner kommt?
«Jahresrauschen» ist unser Thema. Dazu gibt es noch weit mehr
interessante Aspekte und Fragen als die eben gestellten. Welches Ri-
tual pflegen Sie übers Jahr hinweg? Das Ausfüllen der Steuererklä-
rung, das Kofferpacken für die Ferien oder den Frühlingsputz? Erin-
nern Sie sich oft an vergangene Zeiten? Wie stehen Sie zu Verände-
rungen, Bewegung in Ihrem Leben, Geschwindigkeit? An was denken
Sie beim Rauschen eines Baches? Fragen über Fragen, die nach Ant-
worten suchen und Gedanken verlangen.
Und nun feiert KPMG auch ein Fest. 100 Jahre sind vergangen,
seit Dr. Eugen Keller-Huguenin die Zürcher Treuhand-Vereinigung
gründete und den Grundstein für eine Erfolgsgeschichte legte. Trat-
schen wir also über die letzten 100 Jahre, über besonders lustige, aber
auch nachdenklich stimmende Anekdoten. Lassen wir ehemalige oder
aktuelle KPMG-Mitarbeiter zu Wort kommen und ihre Sicht der Din-
ge aufzeigen, ergänzt mit Meinungen und Ansichten von Persönlich-
keiten aus Politik, Wirtschaft und Sport. Das Resultat: Unter dem
Thema «Jahresrauschen» entsteht eine Fortsetzungsstory mit einzel-
nen Geschichten zum Geniessen. Übrigens: Das Wort „Jahresrau-
schen“ steht in keinem Duden. Der Phantasie sind somit keine Gren-
zen gesetzt. Vielleicht bedeutet es: Einmal pro Jahr ein Rausch? Oder:
sich einmal pro Jahr gehen lassen, wie die Blätter im Wind? Und noch
etwas: Synonyme von rauschen sind brausen, tosen, wehen, sausen,
blähen. Passt irgendwie, oder?
Dreissig
Tomas Honegger
Dreissig werde ich dieses Jahr, und ich freue mich, weil sich für
mich nichts ändert, zumindest habe ich es vor, nichts zu ändern, auch
wenn mir alle sagen: «Jetzt wirst du alt». Ich möchte immer noch
Witze machen können über Wollsöckchen und Poser, die ihre Jeans in
den Kniekehlen tragen und Frisuren haben wie deutsche Fussballer
vor zwanzig Jahren. Ich möchte immer noch über schlüpfrige Witze
lachen können, wenn ich sie lustig finde, auch wenn ich gerade mitten
im Tram stehe. Klar, ich stehe morgens nicht mehr so lockerflockig
auf wie mit zwanzig, weil mein Rücken schmerzt, die Augen brennen
und die grauen Haare an der Stirn kleben. Aber bin ich deswegen alt?
Also freue mich auf meinen dreissigsten Geburtstag, weil sich für
mich nichts ändert. Eigentlich mag ich Veränderungen, solange ich sie
aktiv beeinflussen kann. Selber entscheiden kann, wohin ich gehen
will.
Doch leider ändern sich die Leute um mich, zumindest in der
Einstellung zu mir. Fällt mir ein Kugelschreiber auf der Strasse zu
Boden, hebt ihn ein Schüler für mich auf und blickt mir in die Augen,
als wollte er sagen: «Zum Glück stand ich in der Nähe, sonst hättest
du dir einen neuen Kugelschreiber kaufen müssen». Stehe ich im
Tram, bietet mir immer mal wieder eine Person den Sitzplatz an. «Bit-
te, ich kann stehen,» sagen sie dann und denken wahrscheinlich: «Setz
dich ruhig hin, du alter Sack, sonst fällst du noch um.»
Alles halb so schlimm, ich mache mir keine Gedanken, zumin-
dest in diesen Situationen nicht, aber im Ausgang, wo die Grenze zwi-
schen Jung und Alt durch den Konsum von Bier aufgeweicht wird, da
trifft es mich, wenn mir mein Alter schonungslos aufgezeigt wird. Ich
dachte, im Ausgang, da merkt man den Unterscheid zwischen knapp
dreissig und Anfang zwanzig nicht, nicht im Ausgang, oder?
Man merkt es.
«Hallo, was hätten Sie gerne zum Trinken?» fragte mich vor
zwei Wochen eine jüngere Bardame in einem Zürcher Club. «Ich hätte
gerne ein Bier und dass du mich duzt,» antwortete ich. «Ok, und was
hätten Sie gern, Heineken oder Eichhof.»
Ich bestellte schliesslich ein Glas Wasser. Und ging um 22 Uhr
ins Bett.
Sechzig
Hans Moser
Sechzig wurde ich an meinem jüngsten Geburtstag. Vor zweimal
dreissig Jahren erfolgte gleichsam der Kick-off zu meinem seither an-
dauernden Jahresrauschen, das nun also je dreissig Jahre vor KPMG
und dreissig mit KPMG angedauert hat.
Meine frühe Jugend spielte sich «auf dem Land» und dort zu ei-
nem bedeutsamen Teil auf der Hauptstrasse Nr. 15 (eine «Blaue») ab.
Entgegen der CH A1 oder der US Route 66 ist diese gänzlich unbe-
kannt. In meiner Erinnerung befuhren selbst zu Tageszeiten nur weni-
ge Vehikel diese Nr. 15. Spätestens nach Abebben des Tagesrau-
schens benutzten wir sie allabendlich als Spiel- und Sportfeld. Fast
ungehindert tummelten wir uns, Fussball spielend, im Dorfkern auf
der ganzen Länge unserer Nr. 15.
Die damaligen Freunde rauschten ab in die nahe und ferne Welt.
Dieser Tage, nahezu fünfzig Jahre nach den Spielen auf unserer Nr.
15, traf ich mich mit zweien wieder. Anlass war das Begleichen der
Schuld aus einer Wette, die wir vor 46 Jahren abgeschlossen hatten
und die erst zur Jahrtausendwende, also 36 Jahre später, entschieden
wurde. Viel Erheiterndes, Beeindruckendes, auch Ergreifendes und
Erschütterndes berichteten die Freunde, beide Unternehmer, über ihr
Leben und Schicksal im vergangenen halben Jahrhundert. Zurückbli-
cken auf einen so langen Zeitraum – ist das Jahresrauschen? Am Ende
waren wir nach dem langen aber kurzweiligen Abend mit anregenden
Gesprächen, ausgezeichnetem Essen und grandiosen Weinen gar
buchstäblich berauscht…
Seit längerem wohne ich in einem Raum intensivster Verkehrs-
ströme: im nahen Süden die Schnellzugs- und S-Bahnstrecke, im
ebenso nahen Norden die ominöse Anflugschneise Ost, noch näher
eine «Blaue» (eine Nummernlose, jedoch täglich von 15,000 Vehikeln
befahrene, diesmal) und im Westen, auch unweit, die Schwelle der
Piste 28. So gut erschlossen zu sein, heisst, stetigem Verkehr, auch
unaufhörlichem Rauschen, ausgesetzt zu sein. Jahresrauschen als un-
gebändigter, erdrückender Moloch.
Am Himmel eine zu einem Langstreckenflug ansetzende Ma-
schine. Ich überrasche mich und beobachte Andere dabei, wie Köpfe
in den Nacken gelegt werden, wenn die bullig-geschmeidige A380 auf
ihrer Flugbahn nach Singapur aufsteigt. Was vor Jahrzehnten, als wir
jedem der wenigen Flieger am Himmel zuwinkten, ein ungetrübtes
Faszinosum war, erscheint heute als dekadentes Romantisieren hoch-
gezogener Technik. Das sonore Brummen der Triebwerke – gleich
dem Brummen übersteuerter Basslautsprecher – geht endlich über in
dumpfes Rauschen, das sich, gegen Osten entfernend, gänzlich verliert
und schliesslich dem leisen Rauschen des Ahornlaubs im Winde
weicht.
Heutiges Leben ist Mobilität, Mobilität ist Verkehr, und Verkehr
ist Geräusch – je nach Art und Stärke und persönlichem Empfinden
kaum wahrnehmbar, über Rauschen, bis hin zu lästigem plagendem
Lärm. Schmiermittel für Mobilität sind überwiegend die nicht erneu-
erbaren und mithin knappen Ressourcen. Verbrauch von Energie als
Ursache für jahresumspannendes, allgegenwärtiges Rauschen. Wie
werden sich die Kumpel, Energieverbrauch und Geräusche, in weite-
ren dreissig Jahren und noch fernerer Zukunft entwickeln? Wird das
technisch erzeugte Rauschen sich mit dem Versiegen der fossilen
Energiequellen legen und natürlichem Rauschen wieder Platz lassen?
Kehrt dereinst die der mobilen Welt geopferte Ruhe alter Zeiten zu-
rück? Fragen ohne Antworten? – Oder vielleicht mit einem Zeithori-
zont wie die damalige Wette?
Das Leben danach
Rolf Büttiker
Ich gebe es gerne zu: der Rücktrittsentscheid ist mir sehr schwer
gefallen. Nach so vielen Jahren aktiver Politik ist man halt schon ein
wenig mit dieser Politik «verheiratet». Und obwohl man bei der Heirat
mit der Politik keine Liebesnächte erwarten kann, fällt der Abschied
schwer. Aber es nun mal im Leben so: alles geht irgendwann zu Ende.
Ich werde mich zwar nach den Wahlen im Oktober 2011 aus der
Politik zurückziehen, aber ich werde ganz sicher weiter arbeiten. Denn
ich habe noch ein paar interessante Mandate zu betreuen und beruflich
habe ich noch Einiges nachzuholen. Aber ich werde selbstverständlich
nur noch das machen, was mir wirklich Freude bereitet. In diesem
Sinne freue ich mich auf ein Leben nach der Politik mit einer neuen
beruflichen Ausgangslage und Perspektive.
In meinem Leben ist die Freizeit bis jetzt immer zu kurz gekom-
men. Deshalb werde ich mich selber zwingen, etwas Bewegungssport
zu machen, Schwimmen zum Beispiel. Gleichzeitig wird es zeitlich
besser möglich sein, Sportveranstaltungen aller Art zu besuchen. Die
Teilnahme an solchen Sportveranstaltungen, auch im Ausland, eröff-
net zu dem die Möglichkeit, gleichzeitig auch noch gewisse Reiseplä-
ne zu erfüllen und die Welt ohne Zeitdruck anzuschauen. Ob Welt-
meisterschaften, Europameisterschaften oder Olympische Spiele, ich
freue mich darauf, solche sportliche Grossanlässe in aller Welt besu-
chen zu können. Nicht zuletzt auch deshalb, weil dies einen spannen-
den Kontrast zu den 3.-Liga-Spielen des FC Wolfwil oder den natio-
nalen Schwingfesten ergibt.
Nicht minder freue ich mich darauf, zu den Wurzeln meiner
Kindheit zurückzukehren. Denn schon als kleiner Bub hat mir mein
Vater die Fischerkunst in der Aare beigebracht. Und genau diese Tä-
tigkeit werde ich auch als schöne Erinnerung an meine Jugendzeit
wieder aufnehmen.
Zum Schluss möchte ich der Bevölkerung des Kantons Solothurn
danken, dass sie einen wie mich immer wieder gewählt und damit das
Vertrauen geschenkt hat.
Ich hoffe sehr, dass sie dies nie bereut hat.
Miss Yokohama
Corinne Koch
Als kleines Mädchen wollte ich nie die Prinzessin sein, so wie es
andere kleine Mädchen immer wollten. Ich wollte immer ein Ritter
sein, hoch zu Pferd mit einem unbesiegbaren Schwert.
So kämpfte ich mich durchs Leben, wie ein Ritter. Ich nahm die
Dinge selbst in die Hand, ich kämpfte gegen so manchen Drachen,
überwand so manchen Abgrund und rettete sogar einige Prinzessin-
nen. Nur, dass die Drachen wohl eher Erwachsene waren, die Ab-
gründe die ich überwinden musste sich eher als Aufgaben und Anfor-
derungen herausstellten und die Prinzessinnen eher den Regenwürmer
glichen, die ich Tag für Tag von der Straße rettete. Kaum ein Jahr
verging ohne unzählige Abenteuer, ohne Hürden, die zu überwinden
waren. Und immer vom Wunsch getrieben etwas Grosses zu errei-
chen, etwas zu bewirken in dieser Welt und natürlich erwachsen zu
werden. Ich dachte immer, dass ich mit 18 Jahren endlich erwachsen
sein werde.
Eines Tages war es dann so weit. Ich war 18, doch noch weit weg
vom Erwachsen sein. Die Definition vom Erwachsen sein ist als Kind
wohl eine ganz andere als mit 18. Im Nu war ich 20 und mehr, die
Abenteuer wurden immer weniger aufregend. Schlaf wurde wichtiger
als Ausgang und nächtelanges Durchmachen. Ich fing an mich selbst
zu suchen. Wer bin ich denn überhaupt? Durch was definiere ich
mich? Wo soll ich mich in dieser Gesellschaft einordnen? Warum ist
unsere Gesellschaft eigentlich so wie sie ist? Was ist denn die Gesell-
schaft überhaupt? Kann wirklich nichts gegen den Klimawandel und
die vielen Missstände getan werden? Ich kam auf viele Antworten
aber auf kein Resultat, das mich befriedigte. Da wurde mir bewusst,
dass das erst der Anfang war, dass es noch so vieles gibt auf dieser
Welt, dass es noch vieles zu entdecken und zu ergründen gibt und vor
allem, dass ich überhaupt gar nichts wusste. Und in genau diesem Le-
bensabschnitt wurde ich plötzlich «Prinzessin». Ich hatte an der Miss-
Yokohama-Wahl teilgenommen. Ich wollte die Welt mal von einer
anderen Perspektive betrachten, wollte eine neue Herausforderung
wahrnehmen und eine Abwechslung zu meinem Alltag als Studentin.
Ehe ich es mir versah wurde ich zur Miss Yokohama gewählt. Ich rea-
lisierte es kaum, aber ich stand da und mir wurde eine neue Rolle auf-
erlegt.
Ein ganzes Leben lang hat ein Mensch eine Menge von Rollen: Toch-
ter, Schwester, Enkelkind, Schülerin, Partnerin, Berufsfrau, Hausfrau,
Mutter, Schwiegertochter und noch so manche mehr. All diese Rollen
hat man miteinander zu vereinbaren, allen sollte man entsprechen und
gerecht werden und doch authentisch bleiben. Meine neue Rolle war
also Miss Yokohama. Was ist eigentlich eine Miss? Was ist die Rolle
von ihr? Mit der neuen Rolle wurden auch große Erwartungen an
mich gestellt. Ich merkte, wie die Leute neugierig waren auf mich. Sie
schauten mich an und wussten nicht recht, wer oder was ich nun bin.
Ja manchmal kam es mir gar vor, als sähen sie mich nun nicht mehr
als Mensch an, sondern eben als eine Miss, nahezu als Produkt und als
ob sie nicht richtig wissen, wo sie mich einstufen sollen. Ich wusste ja
selbst nicht, wie ich diese Rolle nun tragen sollte. Letztendlich be-
schloss ich, dass ich einfach so bleibe wie ich bin. Nur wollte ich auch
den Menschen, die mich bisher nur als Miss kannten zeigen, wer ich
bin, dass ich nämlich noch immer ein Individuum bin, das ganz und
gar menschlich ist. Die neue Rolle war also durch und durch eine
Herausforderung, die mir Spaß machte und mir sinnvoll erschien. Ich
machte es mir zur Aufgabe dem Klischee «Miss» eine neue Note zu
geben und zu zeigen, dass eine Miss nicht so und so zu sein hat, son-
dern dass dahinter ein ganz normaler Mensch steht, ein Individuum
mit seinen Charaktereigenschaften, seinen Wertvorstellungen seinen
Zielen und Wünschen. Ich wollte den Leuten zeigen, dass eine Miss
nicht automatisch oberflächlich, von sich selbst überzeugt, unnahbar
oder was man sich sonst so vorstellt, sein muss. Als erstes informierte
ich mich ausgiebig über die Marke Yokohama, ich wollte alles über
die Pneus wissen und lernte viel. Wie ich es mir schon gedacht hatte,
wurde ich schnell auf die Probe gestellt. Es war am Autosalon in
Genf. Es kam ein junger Mann auf mich zu. Mit einem Blick auf die
Pneus fragte er mich etwas über den neuen Advan für sein Auto. Auf
seinem Gesicht ein siegessicheres, spitzbübisches Lächeln. Ich fragte
ihn, was er denn für Dimensionen bräuchte, denn ohne die Dimensio-
nen könne ich ihm nicht sagen, ob es den Pneu für sein Auto gibt. Das
Lächeln gefror, ein verdutztes, erstauntes Gesicht schaute mir nun
entgegen, in dessen Augen sich mein Siegeslächeln wiederspiegelte.
Ein andermal sprach ich eine junge Frau an, die ich sehr hübsch fand
und sagte ihr, sie solle sich doch als Miss Yokohama 2010/11 bewer-
ben. Sichtlich erfreut über das Kompliment und doch zögernd antwor-
tete sie schlussendlich: aaach, ich bin nicht so eine «Miss», ich bin
außerdem viel zu klein. Da hatten wir es wieder, das Klischee «Miss»
ich stand neben sie und zeigte ihr, dass ich kleiner bin als sie. Dann
fragte ich sie, was denn «so eine Miss» sei. Sie wusste nicht was sie
antworten sollte. Ich musste erfahren, dass die Leute sich weiß Gott
was unter einer Miss vorstellen. Sie sahen nicht mich, den Menschen,
sie sahen nur die Krone und die Miss-Schärpe. Bloß weil ich nun den
Titel Miss trug, bin ich doch kein anderer Mensch und unterscheide
mich noch immer nur so viel von andern Menschen, wie es Menschen
eben voneinander tun. Dank der neuen Rolle kam ich, auf der Suche
nach mir Selbst und dem Gerecht werden der Rollen, welche die Ge-
sellschaft und ich mir selbst auferlegt hatten, der Antwort ein Stück
näher.
Egal welche Rolle ich bekomme, ich will dabei immer ich selbst
sein, meine Werte und Normvorstellungen beibehalten und diese auch
vertreten.
Klar kann eine Geschäftsfrau einem Kunden nicht die mütterliche
Liebe entgegen bringen die sie ihren Kindern entgegenbringt, aber sie
kann dennoch ihre Wertvorstellungen vertreten und ein Mensch und
Individuum sein. Ich glaube wir müssen uns im Allgemeinen wieder
mehr bewusst werden, dass die Frau an der Kasse nicht einfach eine x-
beliebige Frau ist, sondern dass sie eben die Frau Meier ist und ein
Mensch mit ihren Bedürfnissen, ihren Sorgen, ihren Stärken und
Schwächen, die auch mal einen schlechten Tag haben darf und ganz
gewiss nicht einfach zum Sortiment gehört. Niemand von uns ist eine
Maschine oder ein Produkt und kaum jemand ist so, wie man ihn im
Vorhinein einschätzt. Also Vorurteile finde ich wirklich nicht hilf-
reich…
Nun war ich der Ritter, der auch eine Prinzessin war. Was ich
früher für unmöglich gehalten hatte wurde nun möglich. Denn auch
eine Prinzessin kann kämpfen, auch eine Prinzessin ist stark und mu-
tig.
Jetzt sitze ich da und mache mir mal wieder Gedanken über das
Leben, die Welt und die Menschen darin. Es ist eine endlose Beschäf-
tigung und doch ist sie immer wieder spannend und bringt mich im-
mer und immer wieder zu neuen Erkenntnissen. Mein Jahr als Miss
Yokohama geht nun allmählich dem Ende zu, wenn ich zurückblicke,
ist es ein Jahr wie jedes andere, mit dem gleichen Ich. Und doch war
es aufregend, anders, ich lernte viel Neues und es war eine riesige Be-
reicherung. Es war ein neuer Antrieb, eine neue Herausforderung und
ein weiterer Schritt auf meinem Lebensweg. Ich weiß solche Ereignis-
se zu schätzen, denn genau jene bringen einem weiter im Leben.
Ich glaube Erwachsen werden ist ein niemals endender Weg, denn
jeder Tag, jede Stunde, jede Begegnung und jedes Ereignis bringt
wieder Neues mit sich, neue Fragen, neue Antworten und neuen An-
trieb. Das Leben ist schon ein Phänomen, es ist unergründlich und ge-
nau dies hält einem auf Trab. Ich weiß nicht wie es wirklich ist, aber
ich denke, wenn wir am Ende zurückblicken kommt uns unser Leben
wahrscheinlich kurz vor und dennoch könnte wohl jeder einzelne
Mensch einen ganzen Band über sein Leben schreiben. Doch sind wir
am Ende wirklich gescheiter? Ich glaube im Grunde kommt es gar
nicht darauf an. Letztendlich zählen doch die kleinen und großen Er-
folge, die schönen Erlebnisse, die wertvollen Stunden gemeinsam mit
den Mitmenschen, die verschiedensten Erkenntnisse und dass man so
gelebt hat, dass man möglichst vielen Menschen etwas Gutes tat.
Ich für mich, werde mein Leben mit meinen Grundsätzen und
Wertvorstellungen weiterleben, egal ob als Miss, als Studentin, als
Berufstätige Frau, als Mutter und so weiter, denn schlussendlich bin
ich einfach nur Corinne.
Die Autoren
Tomas Honegger:
Tomas Honegger wurde 1980 in Winterthur geboren und lebt seitdem
in Olten. Schreiben ist seine Leidenschaft, seit er 14 ist. Davon ist er
nicht mehr losgekommen. Bis heute schreibt er für verschiedene
Schweizer Magazine, Tages- und Wochenzeitungen. Und er würde als
Ausgleich gerne Sport treiben, verletzte er sich nicht immer wieder.
Rolf Büttiker:
Rolf Büttiker wurde 1950 im solothurnischen Wolfwil geboren und
lebt noch heute dort. Nach mehreren politischen Mandaten auf Ge-
meinde- und Kantonsebene sowie dem Präsidium der FDP Kanton
Solothurn wurde Büttiker 1999 in den Ständerat und 2005 zu dessen
Präsidenten gewählt. Auf Ende 2011 ist er zurückgetreten.
Hans Moser:
Hans Moser, geboren 1949 im obersten Tösstal, lebt seit 1992 in Bas-
sersdorf. Das Zürcher Oberland war und ist ihm Inbegriff von Heimat.
Nach Jahrzehnten des Befasstseins mit Sprachen der Berufsliteratur
und regulatorischer Erlasse sehnt er sich neben vielem Anderem auf
das Verschlingen selbst ausgewählter Literatur nach dem Rücktritt im
kommenden Jahr.
Corinne Koch:
Corinne Koch ist 1987 in Schwyz geboren, seitdem ist sie viel in der
ganzen Schweiz herumgekommen. Neben mehreren Wohnungswech-
seln in der Innerschweiz besuchte sie für zwei Jahre die Sekundarstufe
in Fribourg, machte die Matur am Gymnasium Theresianum in Ingen-
bohl /Brunnen und wohnt schliesslich in Stansstad. Unter der Woche
studiert sie in Zürich Psychomotoriktherapie. Wenn sie gerade nicht
am Philosophieren ist, steht sie entweder vor oder hinter der Kamera,
hält sich draußen in der Natur auf oder diskutiert mit einem Mitmen-
schen.
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