Material
Meine Schwester (H)elena
von Stephan Lack
Rechte: Thomas Sessler Verlag
Meine Schwester (H)elena
Ein Theaterstück für Menschen ab 12
von Stephan Lack
Kurzinhalt
Schon mal in ein Buch hinein gefallen? Nicht in die Geschichte, sondern direkt in den Text.
Der fünfzehnjährigen Mila passiert genau das, sie erwacht ausgerechnet im Tagebuch
ihrer Mutter. Mit einem Mal befindet sie sich mitten auf den Buchseiten, auf Insektengröße
geschrumpft, zwischen den einzelnen Wörtern. In dieser Welt der Schrift lauern einige
Gefahren: die Buchstaben scheinen ein Eigenleben zu führen. Mila weiß überhaupt nicht,
wie sie hier gelandet ist, noch wie sie wieder herauskommt. Auch nicht, wer das
sonderbare Mädchen namens Elena ist, der sie dort zwischen den Buchdeckeln begegnet.
Ist es wirklich ihre Schwester, wie Elena behauptet? Aber Mila ist doch ein Einzelkind.
Welche Familiengeheimnisse verstecken sich in dem Tagebuch? Wie viel weiß Mila
wirklich über die Vergangenheit ihrer Mutter? Und wird es Mila mit Elenas Hilfe gelingen,
einen Ausgang aus dem Buchstabenlabyrinth zu finden?
"Meine Schwester (H)elena" handelt von der Bedeutung der Zeichen, der Erinnerung und
der Kraft des Erzählens.
Die Figuren
MILA
Mila ist das, was man allgemein ein hochbegabtes Kind nennt. Als Mila sechs Jahre alt ist,
entwickelt sie sich ihre eigene Geheimschrift und zeigt wie sie schon als Kind die Kraft der
Zeichen beherrscht. In der Schule findet sie nur wenige Freunde. Sie fühlt sich alleine. In
ihren Tagträumen erfindet sie sich eine große Schwester, mit der sie als Abenteuer erlebt.
Der Unterricht unterfordert sie. Zuhause kann ihre Mutter Marion dem Wissensdrang des
Mädchens nicht gerecht werden. Als Mila älter wird, kommt es mehr und mehr zu
Spannungen zwischen den beiden. Nicht zuletzt auch deswegen, da Marion nicht über
ihre eigene Jugend mit Mila sprechen will. Mila hat so viele Fragen. Mila fühlt, dass ihre
Mutter ihr die Wahrheit verheimlicht. Aber was verbirgt sich hinter ihrem Schweigen?
MARION
Wir lernen Marion als Teenager kennen: aus einer Gruppe von Jugendlichen sticht sie
nicht notwendigerweise heraus. Ihren Lehrerinnen und Lehrer fällt Marion wahrscheinlich
nicht sonderlich auf: zu ruhig ist ihre Art, zu unscheinbar ihr Äußeres, zu verwechselbar ihr
Gesicht. Sie ist eine schlechte Schülerin, aber das sind die meisten in ihrer Klasse.
Niemand käme auf die Idee, Marion speziell zu fördern oder zu fordern. Dieses Privileg
wird in unserem Schulbetrieb meist anderen, auffälligeren Kindern zu teil: aggressiven
Burschen oder frechen Mädchen, aber eben keiner grauen Maus, die ihr bestes gibt, nicht
gesehen zu werden. Der schulische Alltag ist für Marion ein ständiges Durchleben
unterschiedlichster Ängste; die Angst zu versagen, die Angst gemobbt zu werden, die
Angst vor einer ungewissen Zukunft. Diese permanente Angst lässt keinen Platz für
andere Gedanken. Marion fehlt es an genügend Konzentration, dem Unterricht folgen zu
können. Marion hat nur wenige Freundinnen. Keiner davon würde sie sich vorbehaltlos
anvertrauen. Und ihren Eltern sowieso nicht; die sind zu sehr mit den anderen
„schwierigen“ Geschwistern beschäftigt. Marion hat in ihren Augen zu funktionieren. Oder
zumindest keinen Ärger zu machen. Sie hat ja noch immer ihren Sport. Sie ist eine
hervorragende Schwimmerin, die als Profi Medaillen holen könnte, wenn sie sich nur
etwas mehr auf das Training konzentrieren würde. Doch dann geschieht etwas, was ihre
ganze Konzentration fordert: Marion verliebt sich in Jan und wird schwanger. Sie ist
gerade 15 geworden. Aber soll sie alles aufgeben: Jan, ihren Sport, ihre Jugend und
Mutter werden? Sie, die nicht einmal ausreichend schreiben und lesen kann, soll plötzlich
Verantwortung für ein Kind übernehmen? Wie soll das funktionieren?
ELENA
Bei Elena spielt das Wort „eigentlich“ eine große Rolle. Eigentlich sollte sie ja „Helena“
heißen, nach der schönen Helena aus der Sage. Eigentlich sollte sie jetzt bald ihren 23.
Geburtstag feiern. Aber so wie das „H“ des Namens ist das Kind verschwunden. Elena –
das ungeborene Kind – ist nur mehr in einer Welt existent: im Tagebuch ihrer Mutter, die
sie als Teenagerin abgetrieben hat. In Milas Augen ist Elena mehr als nur eine Leerstelle
in ihrem eigenen Leben. Sie ist ein Teil von Mila, das fehlende Zeichen, das es zu
entdecken gibt, die Verbindung zur Geschichte ihrer Mutter Marion, zu ihrer eigenen
Geschichte.
Zur Thematik
Analphabetismus, bzw. die Tatsache, dass außerordentlich viele Jugendliche und
Erwachsene in Österreich nicht ausreichend lesen, schreiben oder rechnen können, ist
nach wie vor ein verdecktes Problem. Die Betroffenen selbst outen sich natürlich nicht -
denn wer das, was von der Umgebung selbstverständlich erwartet wird, nicht leisten kann,
will möglichst nicht auffallen. Somit sind all jene, die von diesem verdeckten Phänomen
wissen - jedoch selbst nicht davon betroffen sind, die einzigen, die dies in der breiten
Öffentlichkeit zum Thema machen, ihr Umfeld sensibilisieren können. In den letzten zehn
Jahren setzten deshalb Basisbildungseinrichtungen immer wieder innovative Maßnahmen
– es waren vor allem Aktionen, die kurzfristig ein breites Medienecho bewirkten.
Noch nie wurde in Österreich ein Theaterstück aufgeführt, dessen zentrales Thema
„Analphabetismus (in Österreich)“ ist. Und schon gar nicht wurde solch ein Stück je in
Zusammenarbeit mit ExpertInnen eines Basisbildungszentrums gemeinsam entwickelt.
Diese Innovation birgt aus vielerlei Gründen ausgesprochen hohes Potential in sich: Diese
erstmalige Zusammenarbeit eines Theaterautors, einer Regisseurin und ausgewählter
ExpertInnen der Basisbildung garantiert, dass ein Stück entsteht, das die Realität der
Betroffenen einfängt und nicht gezwungen ist, sich an überzogenen Vorstellungen
orientieren zu müssen. Das Stück sensibilisiert für ein wichtiges Thema und bricht aktiv
verbreitete Meinungen wie z.B.: „Analphabeten gibt es in Ländern der Dritten-Welt, sicher
nicht bei uns – und wenn, dann sind MigrantInnen davon betroffen“ oder „Das sind Leute,
die unter der Brücke schlafen und nicht mehr einzugliedern sind“. Es entsteht Platz für
neue Bilder, Diskussion.
Die langjährige Erfahrung des Basisbildungszentrums abc-Salzburg in der Arbeit mit den
Erwachsenen, die den Mut hatten, sich für einen Basisbildungskurs anzumelden und die
professionellen Umsetzung durch Autor und Regisseurin garantieren eine sensible, nicht
diskriminierende Darstellung dieses Tabuthemas. Jugendliche und Erwachsene, die große
Probleme mit dem Lesen oder Schreiben haben, können in den Basisbildungskursen
direkt befragt werden – sie erzählen von ihren Hürden in Alltag und Beruf, von ihrer
Kindheit, ihren Erfolgen, ihrem sich verändernden Selbstbild, ihren neu gewonnenen
Handlungsspielräumen... Sie sind die wahren ExpertInnen, die stark daran interessiert
sind, dass die Öffentlichkeit von diesem verdeckten Problem erfährt.
Dieses Theaterstück, das sowohl Jugendliche als auch Erwachsene anspricht und über
längere Zeit (nicht nur österreichweit) gespielt werden kann, sorgt für nachhaltige
Sensibilisierung. Ein Publikum, das durch feines Spiel von einem „Tabuthema“
berührt/gefangen genommen wird, wird nach dem Theaterbesuch manch Alltagssituation
mit anderen Augen betrachten, denn „Analphabetismus (in Österreich)“ ist ein Thema, das
im ersten Moment irritiert, Betroffenheit und viele Fragen auslöst. Zusätzlicher positiver
Effekt: Mit jeder Ankündigung und jeder Kritik werden die Medien dieses verdeckte
Problem in thematisieren.
Weiterführende Hintergrundinformationen
„Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ war jahrelang das Motto der Politik in
Österreich. Das Phänomen wurde in Österreich bis Mitte der 90er-Jahre kaum
wahrgenommen. Man war überzeugt, dass in unserem Industriestaat mit bestehender
neunjähriger Schulpflicht das Problem Analphabetismus kein Thema sei. So zum Beispiel
nahmen Mitte der 90-er Jahre 12 Industriestaaten an der IALS-Studie (International Adult
Literacy Survey), in der das Leseverständnis einer repräsentativen Stichprobe der 16- bis
64-jährigen Wohnbevölkerung untersucht wurde, teil. Österreich zeigte kein Interesse an
der Untersuchung. In Österreich existiert bisher keine umfassende Studie. Schätzungen
nehmen internationale Vergleiche und Studien zu Teilaspekten (etwa die OECD PISA
Studie) als Grundlage her. Das EU-Parlament geht davon aus, dass 10 bis 20 Prozent der
Bevölkerung der Mitgliedsstaaten „funktionale AnalphabetInnen“ sind. Die
schriftsprachliche Kompetenz der Betroffenen reicht nicht aus, um in der Gesellschaft zu
„funktionieren“. (Analphabetismus und soziale Ausgrenzung. Entschließung des
Europäischen Parlaments zu Analphabetismus und sozialer Ausgrenzung (2001 /
240(INI)).
PISA 2009 – eine aufschlussreiche Studie: PISA als gemeinsames Projekt der OECD-
Staaten beleuchtet die Qualität von Schulsystemen und deren Eignung, Schüler/innen auf
die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Nicht die Erhebung von Kenntnissen,
die im Lehrplan vorgesehen sind, steht im Vordergrund, sondern die Erfassung von
Fähigkeiten, die erforderlich sind, um im sich verändernden Alltags- und Berufsleben
bestehen zu können. Die Ergebnisse aus PISA 2009 belegen für den Teilbereich Lesen die
Annahme, dass viele Jugendliche über unzureichende Basisbildungskenntnisse verfügen:
28% der Jugendlichen sind Lese-RisikoschülerInnen - gegen Ende der Pflichtschulzeit
können sie einen altersgemäßen Text nur unzureichend sinnerfassend lesen.
Basisbildungsbedarf Stadt und Land Salzburg: nimmt man das Mittel der EU-
Schätzungen (15%) so ergibt das für die Stadt Salzburg rund 14.000 Erwachsene im Alter
von 20 bis 64 Jahren für das Land Salzburg rund 49.000 Erwachsene. Im Jahr 2008 wurde
ein erster Schritt in Richtung Datenerhebung gesetzt. Das Bildungsministerium beschloss,
dass Österreich an der OECD-Studie PIAAC (Programm for the International Assessment
of Adult Competencies), einer Art PISA-Studie für Erwachsene – getestet werden 16- bis
64-Jährige -, teilnehmen wird. PIAAC soll grundlegende Kompetenzen, die zur
erfolgreichen Teilnahme an der Gesellschaft und insbesondere am Berufsleben notwendig
sind, messen: Lesekompetenz, im Sinne von Textverständnis, alltagsmathematische
Kompetenz, Fähigkeiten im Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologien.
Erste Ergebnisse dieser Studie werden im Jahr 2013 vorliegen.
WEITERES MATERIAL
Informationsunterlagen für PädagogInnen zum verdeckten Problem „Erwachsene mit
Basisbildungsbedarf in Österreich“
Hrsg.: ‐Basisbildungszentrum abc Salzburg, 2012
Kontakt:
‐‐‐‐Basisbildungszentrum abc Salzburg
Brigitte Bauer
Lastenstraße 22
5020 Salzburg
0662 / 87 16 57
www.abc.salzburg.at
Analphabetismus in Spielfilmen:
Der Vorleser, USA/Deutschland, 2008, 124 Minuten. Regie: Stephen Daldry
Das Labyrinth der Wörter ,Frankreich, 2010, 85 Minuten.Regie: Jean Becker (Originaltitel:
La Tête en friche)
Stanley & Iris , USA, 1990, 100 Minuten.Regie: Martin Ritt
Miss Daisy und ihr Chauffeur, USA, 1989, 99 Minuten.Regie: Bruce Beresford
Little Tony, Niederlande, 1998, 95 Minuten. Regie: Alex van Warmerdam
ABC des Lebens, Deutschland, 2003, 90 Minuten. Regie: Titus Selge
Saint Jacques… Pilgern auf Französisch , Frankreich, 2005, 103 Minuten. Regie: Coline
Serreau
Wie buchstabiert man Liebe? ,Deutschland, 2001, 90 Minuten. Regie: Christine
Hartmann
Léon – Der Profi , Frankreich/USA, 1994, 105 Minuten. Regie: Luc Besson
Juls Freundin , Deutschland, 2002, 90 Minuten. Regie: Kai Wessel
Biester , Deutschland/Frankreich, 1995, 86 Minuten. Regie: Claude Chabrol
Precious – Das Leben ist kostbar , USA, 2009, 110 Minuten. Regie: Lee Daniels
Elissa Rhaïs (Le Secret d’Elissa Rhaïs) ,Frankreich, 1992, 100 Minuten. Regie: Jacques
Otmezguine
Der stärkste Mann der Welt, USA, 1984, 120 Minuten. Regie: Dick Lowry
Des Lebens schönste Seiten, Deutschland, 1992, 93 Minuten. Regie: Wolfgang B. Heine
Das Wunder der Wüste , USA, 1936, 80 Minuten. Regie: Richard Boleslawski
Eine Klasse für sich , USA, 1992, 122 Minuten. Regie: Penny Marshall
Mögliche Themen:
Tabus in unsere Gesellschaft (Leben mit einem verdeckten Problem) - Schule und Lernen
- Stärken und Schwächen des Schulsystems - Bildung und Weiterbildung - Was kann mein
Beitrag sein diesem Tabu entgegenzuwirken als SchülerIn und Erwachsener -
Selbstbestimmung – Selbstwahrnehmung / Selbsteinschätzung – Abhängigkeit – Isolation
- Durchbrechen von Mustern
Mögliche Unterrichtsfächer, in denen das Stück beha ndelt werden kann:
Deutsch, Theater, Pädagogik, Psychologie, Ethik
ÜBER DEN AUTOR
Stephan Lack
geboren geb. 1981 in Wien geboren. Studium der Theaterwissenschaft an der Universität
Wien. Studienaufenthalt in den Niederlanden. Ausbildung zum geprüften
Theaterdramaturgen im Rahmen der Werkstätte Kunstberufe. 2004 Teilnahme an der
Schreibwerkstatt „Neues Schreiben“ des Burgtheaters mit David Spencer und 2005 unter
Bernhard Studlar und Wolfgang Stahl, unter der Leitung von Andreas Beck. Leitung
mehrerer freier Theaterproduktionen am Interkult Theater, im Schikanederkino und in der
Fleischerei in Wien. Mehrere Literaturpreise, u. a. Niederösterreichischer Dramatikerpreis
2006 für das Stück „Verschüttet“. Mehrere Übersetzungen und Bühnenadaptionen aus
dem Niederländischen, beispielsweise des Theo van Gogh Filmes „Das Interview“ oder
„Der gute Tod“ von Wannie de Wijn. Textbeiträge u.a. für Radio Brandenburg und
Schauspielhaus Wien. Finalist von „Drama Köln“ 2007. Beiträge für mehrere Prosa-
Anthologien. Stipendiat der Literar Mechana 2007, sowie des österreichischen Bundes
2007 und des Wiener Dramatikerstipendiums 2009. Lesungen u.a. im Volkstheater Wien,
im Schauspielhaus Graz, auf der Leipziger Buchmesse und im Rahmen des Festivals
„Kaltstart“ in Hamburg. Arbeiten im kabarettistischen Bereich, etwa eine Autorenlesung im
Rahmen der KRIMINACHT `07 und der „Nacht der schlechten Texte 2006“ in Villach.
Teilnehmer der Werkstatttage des Burgtheaters 2007. 2008 wurde das Stück „Lichtscheu“
am Burgtheater (Kasino am Schwarzenbergplatz) uraufgeführt. Eingeladen zum Berliner
Stückemarkt 2009, Teilnehmer am Workshop mit John von Düffel. Seit 2008 Dramaturg
der freien Theatergruppe „Töchter der Kunst“. Das Stück „Blut auf Eis“ wurde im April 2010
in Salzburg und im Mai an der Neuen Bühne Villach uraufgeführt. Leiter einer
Schreibwerkstatt mit Jugendlichen für das Stück „Auslandia“ im Rahmen des Projektes
macht/schule/theater des bmukk 2009/10 im Dschungel Wien. Die Stückrechte liegen
beim Thomas Sessler Verlag, Wien.
TEAM & FACTS
AUTOR Stephan Lack
REGIE Caroline Richards
MIT Nevena Lukic und Elisabeth Nelhiebel
BÜHNE UND KOSTÜM Ragna Heiny
VISUALS Mag. Hans Jürgen Gökler
KOMPOSITION Chris Német
CHOREOGRAPHIE Valentin "Knuffelbunt" Alfery
REGIEASSISTENZ Hendrikje Spengler
VERLAG Thomas Sessler Verlag, Wien
AB 12 Jahren
SPIELDAUER ca. 70 min
PAUSE keine
Caroline Richards (1966 in Bedford/UK)
Studierte Englische Literatur an der Universität in Edinburgh und Schauspiel an der Ecole
Internationale de Theatre, Jacques Lecoq, in Paris. Seit 1991 lebt sie in Österreich und
arbeitet als Schauspielerin an verschiedenen Theatern, u.a. Salzburger Landestheater,
Landestheater Niederösterreich, Komödienspiele Porcia, Stadttheater St. Pölten, Theater
für Vorarlberg, Klagenfurter Ensemble. Als Regisseurin hat sie am Landestheater
Niederösterreich, Jeunesse Wien, Staatstheater Innsbruck, theaterachse, Dschungel Wien
inszeniert. Ihr Jugendstück „Stones“ hat in 2010 eine Prämie des BMUKK erhalten. Sie ist
Künstlerische Leiterin von Taka-Tuka, Theater für Kinder, und im Leitungsteam des kleinen
theaters. Caroline Richards ist Dozentin an der Schule für Humor in Wien und realisierte
viele Theaterprojekte mit Kindern und Jugendlichen. 2011 bekam Caroline Richards den
Förderpreis für Kinder & Jugendprojekte der Kulturfonds der Stadt Salzburg verliehen.
Nevena Nena Lukic (1983 in Innsbruck)
Sie war Europa- und Weltmeisterin bzw. 2004 bei den Olympischen Spielen für Österreich
in der koreanischen Sportart Taekwondo. Die Schauspielausbildung folgte in Innsbruck
und Salzburg. Engagements: Schauspielhaus Salzburg, Salzburger Festspiele, Taka-Tuka,
Wald4tler Hoftheater, Tiroler Volksschauspiele, Orf Tirol, Tiroler Landestheater. Nevena
spielte die Rolle der Nelli in Caroline Richards „Pflicht oder Wahrheit. Zuletzt war Nevena
am Tiroler Landestheater in der Produktion "Hiob" von Josef Roth zu sehen, inszeniert von
Guntram Brattia.
Elisabeth Nelhiebel (1982 in Wien)
aufgewachsen in Wien, wo sie Schauspiel studierte. 2001 – 2004, direkt nach dem
Studium, Engagement an der Württembergischen Landesbühne Esslingen. 2004 kam sie
nach Salzburg und ins Ensemble des Salzburger Landestheaters unter der Intendanz von
Peter Dolder. Sie war bis 2009 in mindestens 22 Produktionen am Salzburger
Landestheater zu sehen. Seit Herbst 2009 als freie Schauspielerin in Wilhelmshaven und
Salzburg tätig, unter anderem als Miss Umney in „Das Gespenst von Canterville“ an der
Landesbühne Niedersachsen Nord, als Penelope in der MAZAB – Produktion „Odyssee“,
als Linda in Woody Allens „Spiel’s nochmal, Sam“ (Produktion: die theaterachse und
Salzburger Sommertheater), beide im kleinen theater.haus der freien szene in Salzburg,
und momentan als Sonia Kehlich in „Verrücktes Blut“, eine Produktion von Michael
Kolnberger und Odeion Kulturforum Salzburg. Theaterpädagogik, Schauspieltraining und
Regie bei Macht|schule|theater 2010 und 2011, beide in Zusammenarbeit mit dem kleinen
theater.haus der freien szene, BM:UKK und Weiße Feder – Gemeinsam für Fairness und
gegen Gewalt. Seit 2010 gemeinsam mit der Akkordeonistin Sigrid Gerlach-Waltenberger
regelmäßige Auftritte als Frauenduo Schmähtandler.
Ragna Heiny (1973 in Kassel/D)
Ragna Heiny studierte Kostüm- und Bühnenbild am Mozarteum in Salzburg bei Prof.
Herbert Kapplmüller. Bereits während ihrer Studienzeit konnte sie Assistenzen bei Hartmut
Schörghofer, Andrea Schmidt-Futterer, Peter Mussbach, Marie-Jeanne Lecca und Robert
Wilson u.a. an der Semperoper in Dresden, den Salzburger Festspielen, der Volksoper in
Wien, der Staatsoper Hamburg und der Ruhrtriennale übernehmen.
Seither hat sie als Bühnen- und Kostümbildnerin zahlreiche eigene Produktionen u.a. am
Zimmertheater Tübingen, im Kosmos Frauenraum in Wien, am Tiroler Landestheater in
Innsbruck, an der Oper Graz und am Schauspielhaus Salzburg übernommen, wobei sie
mit Regisseuren wie Anna Hauer, G. H. Seebach, Editta Braun, Robert Pienz und Caroline
Richards arbeitete.
Mag. Hans Jürgen Gökler (1968 in Steyr)
Hans Jürgen Gökler studierte Kommunikationswissenschaft, Psychologie und Soziologie
an der Universität Salzburg, Abschluss 1996. Seitdem arbeitet er als Film- und
Medienproduzent und ist Kommunikationsberater und -trainer (Unternehmen und
Privatpersonen). Seit 2008 arbeitet er weiters als Logotherapeut, er ist Lebens- und
Sozialberater, NLP-Trainer und Hypnosetherapeut. Seminare und Workshops zu Themen
wie „Gewaltfreie Kommunikation“, „Menschliche Kommunikation“ – Funktionen und
Möglichkeiten... „Kommunikation – Interpretation – Reaktion“.
Chris Német (1978 in Apatin/YU)
Der Komponist, Produzent und Pianist erhielt seinen ersten Klavierunterricht mit sieben,
zunächst bei Pianistin Jelena Hrubian, später beim Pianisten und Dirigenten Velimir
Valtchev. Obwohl er viel Spaß mit Bach, Chopin & Beethoven hatte, wuchs zunehmend
sein Interesse am Jazz. Als Jugendlicher sammelte er so erste Erfahrungen in Jazz-
Combos und Big-Bands, was schließlich dazu führte, dass er mit 18 Jahren sein
Jazzklavier Studium an der Musikhochschule Köln begann. Während und nach dem
Studium, welches er 2001 abgeschlossen hatte, tourte er als Jazzpianist in Europa mit
verschiedensten Formationen und Künstlern, u.A. Jimmy Woode, Charly Antolini, oder
Charly Mariano.Als Studiomusiker kam er mit vielen unterschiedlichen Musikstilen und der
Arbeit als Komponist und Produzent in Berührung, was zur Folge hatte, dass er selbst
anfing zu komponieren und zu produzieren. Eines der ersten erfolgreichen Projekte war
das Album „Coffee Lounge“, das weltweit bei Sony Music erschienen ist. Es folgten, neben
vielen kleineren independent Produktionen, auch langjährige Kollaborationen mit großen
Labels und Verlagen wie Warner Chappell, BMG, Edel, sowie Kompositionen für
Fernsehen, Theater und Varieté. Dabei hat er mit internationalen Künstlern aus Europa,
Südafrika und Nordamerika gearbeitet, sowohl als Komponist, Pianist, Produzent oder
auch Arrangeur für Orchester wie das Filmorchester Babelsberg oder die Warschauer
Symphoniker. Heute kann man Chris weltweit auf über 50 Tonträgern sowie bei vielen
Film-, Theater- und Varietéproduktionen hören. Seine Arbeit umfasst dabei ein breites
stilistisches Spektrum, von Jazz und Pop bis zur klassischen Musik, von
Orchesterarrangements bis zu elektronischer Filmmusik.
Valentin "Knuffelbunt" Alfery (1982 in Wien)
Im Sommer 2004 besuchte Valentin "Knuffelbunt" Alfery die "IMPULSTANZ" Wochen und
entdeckte seine Leidenschaft für Tanz. Gleichzeitig fing er bei der Theatergruppe
"daskunst" zu Schauspielen an. Seitdem erstrecken sich seine künstlerischen Tätigkeiten
über das nationale und internationale Kulturschaffen und Kulturleben. Als örtliche Basis für
die Aktivitäten seines Gebiets, der darstellenden Kunst, zählen die Städte Salzburg,
Klagenfurt und Wien. Seinen Künstlernamen "Knuffelbunt" erhielt Valentin Alfery anfangs
2005 aus der urbanen Tanzszene aufgrund seiner Ähnlichkeit zu dem gleichnamigen
Kinderspielzeug aus den 80ern. Neben zahlreichen Erfolgen und Aktivitäten im urbanen
Tanzbereich wurde er in den Jahren 2006 - 2010 vor allem als Choreograf und
Haupttänzer des Stücks „Out Of The Shadow“ der Salzburger Tanzcompany „Nobulus“
bekannt, welches auch in London und San Francisco aufgeführt wurde und sogar diverse
Kunstpreise gewann. 2006 tanzte er in dem Musikvideo "Love Light" von Robbie Williams.
Seit 2007 wirkt er bei zahlreichen zeitgenössischen Tanzproduktionen mit (Silke
Grabinger, Companie Smafu, usw.). 2009 produzierte der Künstler sein erstes Solostück
"Falling" mit einer Spielzeit von 60 min. und führte es insgesamt 14 Mal in Österreich auf.
Seit 2010 ist er Mitglied der Salzburger Breakdance-Crew M.O.T. mit welcher er sich
erfolgreich durch die internationale Battle Szene bewegt Anfang 2011 gründete er mit
Dusana Baltic den Kulturverein "Hungry Sharks" e.V. in welchem er seitdem als Obmann
tätig ist. Mit diesem Kulturverein setzte Valentin "Knuffelbunt" Alfery 2011/2012 sein erstes
internationales Großprojekt namens StreetlifeMAD, mit dem Schwerpunkt Straßenkunst,
um.
Hendrikje Spengler (1981 in Henstedt-Ulzburg/D)
hat angewandte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis an der Universität
Hildesheim sowie Kulturvermittlung an der Sorbonne Nouvelle in Paris studiert. Im Zuge
dessen hat sie an verschiedenen Kunst- und Theaterprojekten mitgewirkt, wie z.B. der
Balljugend des Schauspielhaus Hannover, der „English Drama Group Hildesheim“, dem EU-
Kunstprojekts „Kultur-Natur“ oder dem Projektsemester „Antike Intermedial – Die
Phönizierinnen“. Nach Erfahrungen in Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit hat sie
sich in der Kulturbranche professionalisiert auf die Themen Organisationsstrukturen und
Finanzierungsmöglichkeiten wie Fundraising und Sponsoring. Zuletzt war sie als
Referentin der Theaterleitung am Schauspielhaus Salzburg tätig.
NOTIZEN
verein zentrum für theater und kultur
schallmooser hauptstraße 50
5020 Salzburg
zvr 500015232
uid ATU63148338
kontakt
tel. +43 (0)662 88 02 19
fax. +43 (0)662 88 02 24
www.kleinestheater.at
THOMAS SESSLER VERLAGMeine Schwester (H)elena
Ein Jugendstück ab 12 Jahren
Stephan Lack
Inhalt:
Schon mal in ein Buch hinein gefallen? Nicht in die Geschichte, sondern direkt in den Text...Der fünfzehnjährigen Mila passiert genau das, sie erwacht ausgerechnet im Tagebuch ihrer Mutter. Mit einem Mal befindet sie sich mitten auf den Buchseiten, auf Insektengröße geschrumpft, zwischen den einzelnen Wörtern. In dieser Welt der Schrift lauern einige Gefahren: die Buchstaben scheinen ein Eigenleben zu führen. Mila weiß überhaupt nicht, wie sie hier gelandet ist, noch wie sie wieder herauskommt. Auch nicht, wer das sonderbare Mädchen namens Elena ist, der sie dort zwischen den Buchdeckeln begegnet. Ist es wirklich ihre Schwester, wie Elena behauptet? Aber Mila ist doch ein Einzelkind. Welche Familiengeheimnisse verstecken sich in dem Tagebuch? Wie viel weiß Mila wirklich über die Vergangenheit ihrer Mutter? Und wird es Mila mit Elenas Hilfe gelingen, einen Ausgang aus dem Buchstabenlabyrinth zu finden?
"Meine Schwester (H)elena" handelt von der Bedeutung der Zeichen, der Erinnerung und der Kraft des Erzählens.
1
Personen:
MILAELENA
MARION
ELFI und KARINJAN
LEHRERAPOTHEKERINSCHWIMMTRAINERINÄRZTINTRAINERIN BASISBILDUNGSZNTRUM
2
Szene 1
ELENANicht anfassen. Wenn du sie berührst, verändern sie sich.
MILASie?
ELENADie Wörter. Sie sind sehr zerbrechlich.
ELENANicht.
ELENADu ruinierst hier noch alles. Na großartig. Schau, was du angerichtet hast.
MILAReg dich ab. Du tust ja so, als wären die lebendig.
ELENAWörter sind lebendig, falls du das nicht weißt. Das hier nicht mehr, das ist hinüber. Da hast du ganze Arbeit geleistet.
MILAWo bin ich hier?
ELENADu weißt nicht, wo du bist, ist das dein Ernst? Wie bist du dann überhaupt her gekommen?
MILAKeine Ahnung.
ELENAWas heißt, keine Ahnung. Hierher gelangt man nicht einfach so durch Zufall, kapiert?
MILAWas meinst du mit hierher? Was soll das?
ELENADu hast wirklich keine Ahnung, wo du bist?
MILASag ich doch!
ELENADas hier, das ist ein Buch. Schon mal eins gelesen?
3
MILAEin Buch?
ELENAJa. Wörter, Sätze, Seiten aus Papier. Ein Buch eben.
MILAIch weiß, was ein Buch ist! Ich seh hier überhaupt keines.
ELENAWeil du in einem drinnen bist, deshalb. Das alles hier ist das Buch. Alles um uns herum.
MILAAlles?
ELENAAlles.
MILAAlles klar.
ELENANichts ist klar. Ich spreche nicht von dem Gegenstand Buch. Du bist jetzt nicht geschrumpft und steckst zwischen den Buchdeckeln, so darfst du dir das nicht vorstellen. Du bist direkt im Kern des Buches, im Inhalt, verstehst du. Darum auch die ganzen Wörter.
MILAIm Inhalt…
ELENAIn…
ELENAHalt!
MILANur, dass ich das begreife. Willst du mir weiß machen, ich stecke in irgend so einem Buch fest.
ELENANein.
MILANein?
ELENANicht in irgend so einem Buch. In ihrem Buch. Ihrem Tagebuch.
4
MILATagebuch?
ELENABist du vielleicht begriffsstutzig. Mamas Tagebuch.
MILAMamas Tagebuch… Du meinst: das Tagebuch meiner Mama? Marion Fischer?
ELENAWie viele Mütter hast du denn?
MILADa muss ich dich enttäuschen: meine Mutter hat so was gar nicht. Kein Tagebuch.
ELENAWeißt du das genau?
MILAJa!
ELENAUnd du weißt ja bestimmt alles über deine Mutter.
MILAFast. Nicht alles.
ELENASondern?
MILASie hat kein Tagebuch, weil…
ELENAWeil?
MILAWeil sie eben keins hat. Punkt. Außerdem. Wenn sie eines hätte, hätte ich’s schon längst gefunden, glaub mir.
ELENAVor dir kann man also nichts geheimhalten?
MILADoch. Uninteressante Dinge. Aber nicht die interessanten.
5
ELENASo!
MILAGenau, Miss Oberschlau. So ist das!
ELENADu bist ein komisches Mädchen.
MILASag ausgerechnet die, die in einem Buch lebt.
ELENAIch lebe gar nicht… hier.
MILASondern?
ELENADu weißt wirklich nicht, wie du hierhergekommen bist?
MILAWirklich nicht.
ELENADann weißt du auch nicht, wie du hier wieder raus kommst?
MILAWoher auch?
ELENAEin Pech.
MILAWarte.
ELENAWas?
MILADu kannst mich doch nicht einfach hier alleine lassen.
ELENANicht?
MILAAuf keinen Fall
6
ELENASeh ich aus wie eine Fremdenführerin?
MILAWas?
ELENAGlaubst du, dass ich dich hier herumführe und alles zeige? Danke, dass Sie unsere Buchtour gebucht haben. Auf der linken Seite sehen Sie jetzt einen ganz rührenden Tagebucheintrag über heftige Zahnschmerzen und unbezahlter Rechnungen. Und rechts erfahren Sie mehr über das erste Mal Knutschen in der Kinonachmittagsvorstellung von „Arielle, der Meerjungfrau“, eine besonders feuchte Angelegenheit. Glaubst du echt, das ist meine Aufgabe. Dass ich nur wegen dir hier bin?
MILANein, eh nicht.
ELENAWeil das bin ich nicht.
MILAUnd warum dann?
ELENAWas?
MILABist du hier auch einfach so… aufgetaucht wie ich?
ELENAIch bin hier, weil das der einzige Ort ist, an dem ich sein kann.
MILAOh! Naja, schon klar. Du brauchst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst.
ELENADu bist eine ganz schöne Nervensäge, Mila. Oh, überrascht? Glaubst du etwa, ich weiß nicht, wer du bist? Unser Mila Superstar. Das halbe Tagebuch ist ja voll von Dir. Mila hier, Mila da, Mila kann schon aufs Töpfchen gehen, Mila hat den ersten Milchzahn verloren, Mila hat eine Eins auf die Deutschschularbeit, Mila schwärmt für Zac, jetzt für Justin, jetzt doch eher für Robert. Meine kleine Mila, meine süße Mila, Mila, Mila, Mila.
MILASag mal, bist du eifersüchtig.
ELENADu musst nicht die ganze Zeit in diesem Buch verbringen, mit dir als übergroßem Schatten.
7
MILADu hast wohl nicht oft Gäste. Wenn du alle so behandelst.
ELENAKapierst du nicht, Mila. Du bist nicht mein Gast. Ich hab dich nicht eingeladen.
MILAUnd ich will nicht bleiben.
ELENADarf ich dich was fragen?
MILAWas?
ELENANichts, schon gut.
MILASag!
ELENABist du gar nicht neugierig?
MILAWorauf?
ELENAAuf das Tagebuch?
MILADas angeblich von meiner Mutter ist.
ELENANicht angeblich.
MILAIst es nicht.
ELENAUnd woher weiß ich dann wie du heißt?
MILAWeil das alles sowieso nicht real ist. Ich meine, schon real. Ein Traum, der sich sehr real anfühlt. Aber ich hab auch schon komischere Dinge geträumt.
ELENAWenn das ein Traum ist, wachst du sowieso bald auf.
8
MILAEben. Ich wache auf. So einfach ist das.
ELENAUnd bis dahin?
MILAWarte ich hier.
ELENAFalsch.
MILAWas?
ELENAHast du schon jemals geträumt, dass du dich einfach nur wo hinsetzt und wartest, bis der Traum vorbei ist?
MILABis jetzt nicht.
ELENAEben. Weil so funktioniert das in den Träumen nicht.
MILAWas soll ich also deiner Meinung nach tun?
ELENAMach was. Sieh dich um. Ich mein ja nur: entweder ist es ein Traum, dann lass es eben ein bisschen auf dich wirken. Oder es ist kein Traum. So oder so könntest du die Zeit ja nutzen.
MILAWillst du jetzt doch den Fremdenführer spielen oder was?
ELENAKeine Chance. Wirst dich schon allein zu Recht finden müssen. Vielleicht gibt es Sachen über deine Mutter, die du noch nicht weißt. Sachen, die sie bislang doch vor dir geheimhalten konnte.
MILAWarum kümmert es dich, was ich über meine Mutter weiß und was nicht?
ELENAJedenfalls hat sie Recht. Mila will immer mit dem Kopf durch die Wand. „Mila ist mitunter ziemlich rechthaberisch und ignorant.“ Das hat sie geschrieben.
9
MILAHat sie nicht.
ELENANur das „mitunter“ und das „ziemlich“ kann man weglassen.
ELENASchon besser.
MILASo ein Blödsinn. Mama könnte nie so was über mich denken, geschweige denn schreiben.
ELENAKlar, du Baby. Alle Eltern denken immer nur das Beste über ihre Kinder. Träum weiter.
MILAFalsch. Ich will aufwachen, schon vergessen?
ELENADann kneif dich doch.
MILAAu! Mist!
ELENAUnd, bringt es was?
MILASieht’s so aus?
ELENAWas weiß ich. Ist ja dein Traum.
MILADu sagst es. In meinem Traum gelten meine Regeln. Vielleicht sollte ich dich kneifen.
ELENAVielleicht solltest du’s dir verkneifen, mich zu kneifen.
MILAEin Versuch wär’s wert.
ELENADas wagst du nicht.
MILAEcht nicht?
10
ELENAWenn du mich anfasst, schrei ich!
MILAUnd wer soll dich hier hören? Die Traumpolizei? Oder glaubst du, deine ach so lebendigen Wörter kommen dir zu Hilfe?
ELENAEs gibt ein paar Wörter, mit denen solltest du dich besser nicht anlegen.
MILADeine Wörter können mir gar nichts. Die sollen nur kommen.
ELENAEs gibt aber ein paar ganz fiese.
MILAIch hab schon Angst.
ELENAIch warne dich. Die verstehen absolut keinen Spaß.
MILAOh, mir schlottern schon die Knie.
ELENAZum Beispiel die hier.
MILAIst das dein Ernst? Karin und Elfi. Was für mächtig üble Wörter. Fällt dir gar nichts Besseres ein?
ELENAIch rufe sie!
MILAIch kneif dich trotzdem.
MILAWas ist das?
ELENALass mich los!
MILASei doch mal still. Hörst du das nicht? Da! Hör mal.
11
MARIONS STIMME Mila... Mila…
MILAMama…
MARIONS STIMMEMila…
MILADas ist Mama…
ELENADas ist Mama…
MILAMeine Mama, du Freak!
MARIONS STIMMEMila… Mila…
MILAWo ist sie? Wo ist sie hin?
ELENAMila, warte…
MILAEs kam von da.
ELENAManchmal dringt was von außen durch.
MILAWas? Was dringt durch? Und von wo?
MILAWas war das?
ELENASie hat das Fenster aufgemacht.
MILAHm.
ELENAMila, da geht’s nicht weiter.
12
ELENAMila, nicht!
ELENAMila!
MILAAu!
MILASo ein Mist!
ELENADu kannst hier doch nicht alles ruinieren. Hast du gar keinen Respekt?
MILAVor den Buchstaben?
ELENAVor dem, was Mama da geschrieben hat.
MILANenn sie nicht immer Mama. Für dich heißt sie Frau Fischer, Marion Fischer, kapiert. Wo ist sie hin?
ELENAVielleicht war es gar nicht die Mama, die du kennst. Jede Marion hier hat ein anderes Alter, jede hat ihre eigene Geschichte.
Szene 22A: In Milas Zimmer.
MARIONMila. Was machst du, mein Schatz?
MILANichts.
MARIONAlles in Ordnung bei dir? Hast du mir nicht versprochen, dein Zimmer aufzuräumen. Wie’s hier wieder ausschaut. Mila?
MILAMach ich später.
MARIONZeichnest du was? Oder schreibst du was? Darf ich mal sehen?
13
MILANein. Lass mich.
MARIONIst es geheim?
MILAJa.
MARIONDann soll’s mal geheim bleiben. Krieg ich noch einen Kuss?
MILANicht gucken!
MARIONNein. Tu ich nicht, versprochen.
MILAGeh raus! Du musst raus gehen…
MARIONOkay, ich geh ja schon. Mila? Hab dich lieb. Okay?
MILAOkay. Geh raus.
MARIONOkay, mein Schatz.
Szene 2B:
ELENAKannst du dich daran erinnern?
MILADass Mama mich stört. Immer doch.
ELENAWie alt warst du da? 7 oder 8? Ein entzückendes Kind…
MILAWarum sollte Mama so was in ihrem Tagebuch, was sie sicher nicht geschrieben hat, festhalten?
ELENASie hat so einiges festgehalten, wo man sich fragen kann, warum.
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MILAVielleicht wegen meiner geheimen Zeichen.
ELENAWas für Zeichen?
MILADie Zeichen. Meine Zeichen. Als Kind habe ich mir meine eigene Schrift ausgedacht und damit ganze Hefte vollgemalt. Nur ich wusste, was die Zeichen bedeuten, keiner sonst. Ich wollte nicht, dass sie sie sieht. Deshalb. Ich habe sie vor ihr versteckt.
ELENAVor Mama? Entschuldige, Marion.
MILA In meinem Bett. Unter der Matratze. Weil ich mich davor gefürchtet habe, dass Mama sie entdeckt.
ELENAWarum hast du dich davor gefürchtet?
MILAIch wollte nicht, dass sie sie mir wegnimmt. Dass sie meine Zeichen stiehlt. Und dass ich dann keine mehr habe.
ELENASo wie Marion.
MILAJa.
ELENADu weißt es also.
MILAJa. Du aber nicht.
ELENAWas?
MILASonst würdest du nicht immer noch behaupten, dass sie Tagebuch geschrieben hat.
ELENAVielleicht gibt es ja doch Dinge über sie, die du nicht weißt. Nicht wissen kannst. Sie war eine tolle Schwimmerin.
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MILAIst. Sie ist eine tolle Schwimmerin.
ELENASie war im Nationalteam.
MILADas war ihr Beruf.
ELENADass sie in der Schule dafür Fisch genannt wurde, weißt du dann bestimmt auch. Und dass die Mitschüler sie damit gehänselt haben.
Szene 2C: Auf dem Schulhof.
ELFIFisch. Fisch.
KARINSieh einer an. Der stumme Fisch! ELFIHast du Töne! Der stumme Fisch ist ja gar nicht so stumm. Tut so, als könnte er singen.
KARINHe, Fisch! Jetzt schwimm doch nicht gleich davon. Warst du wieder planschen? Mit deinen Fischfreunden?
ELFIDie hat doch keine Freunde?
KARINIst das wahr? Bist du die einzige in deinem Fischschwarm? Oh!
ELFIIch glaub, dem Fisch hat’s wieder die Sprache verschlagen.
KARINWir bringen die schon zum Reden. Hab ich Recht?
ELFIGlaubst du, die ist irgendwie blöd? Glaubst du, die ist zurückgeblieben oder was?
KARINAber Elfi! Ist doch nur eine Masche. Bloß nicht auffallen. Immer schön mit dem Strom. Hab ich Recht?
ELFIKlappt aber nicht.
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KARINKlappt aber gar nicht.
ELFIschnüffelt
KARINWeil weißt du: du denkst, du schlägst keine Wellen. Aber wir riechen dich.
ELFIStummer Fisch.
KARINStinkender Fisch. Wir kennen solche wie dich.
ELFIDu Letzte-Reihe-Hocker.
KARINDu Analphabet!
ELFIDu Heimscheißer!
KARINDu Unsichtbare!
ELFIAber nicht für uns, oder?
KARINNein, nicht für uns.
ELFISolche wie dich fressen wir zum Frühstück, du Fischstäbchen.
KARINFischstäbchen zum Frühstück? Ist ja voll eklig!
ELFIHörst du, du bist voll eklig!
KARINWir wollen ihr doch keine Angst machen.
ELFINicht?
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KARINWir wollen doch nur was hören.
ELFIAch so.
KARINSag schon, was hast du da gesungen? Komm, spuck’s aus! Was war’s? Nichts? Klang aber nicht nach nichts.
ELFIKlang aber überhaupt nicht nach nichts.
KARINLos sing! Sing uns ein Fischlied!
ELFIGenau. Sing uns was vor. Sing uns das ABC-Lied, das wir Dir beigebracht haben!
KARINWird’s bald?
MARIONMeine Dummheit tut echt weh.Kann nicht mal das A B C.
ELFINa bitte! Geht doch!
MARIOND E F oje oje.Was kommt schnell noch mal nach G.
KARINLauter!
ELFIDu sollst lauter singen!
MARIONWeiter als bis H I J.Weiß ich nicht das A B C.
KARINHab ich was von aufhören gesagt?
ELFIHab ich nicht gehört. Sing weiter!
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MARIONBitte mach, dass ich‘s versteh‘.Meine Dummheit tut echt weh.
KARINGlaub ja nicht, nur weil du ein Fisch bist, kommst du so leicht davon. Wir kriegen dich. Du stinkst von Kopf, Fischstäbchen.
Szene 2D:
MILAWas war das?
ELENAEine Naturgewalt namens Karin und Elfi. Ein Wirbelsturm. Hinterlassen eine Schneise der Verwüstung.
MILAWarum lässt sich Mama das gefallen?
ELENAWas würdest du denn tun? Zurückschlagen? Darf ich dich mal fragen: bist du je gemobbt worden? Nein, oder? Woher weißt du dann, wie du dich verhalten würdest?
MILAMan muss sich doch wehren.
ELENADenkst du, du kannst so jemand wie die zwei in die Flucht kneifen?
MILAWas soll das schon wieder heißen?
ELENAIch sag bloß. So wohlbehütet, wie du aufgewachsen bist. Mit deiner liebevollen Mutter und all deinen hübschen Freundinnen, deiner Superschule, deinem iPhone, Nintendo DS und deiner PS3.
MILAKeine PS3!
ELENAOh nein! Hast du das mit deinem Therapeuten schon aufgearbeitet?
MILAIch kann nichts dafür, dass du anscheinend keine tolle Kindheit hattest.
19
ELENAJa, hatte ich auch nicht.
MILAEin Pech!
ELENAUnd Marion auch nicht.
MILAJa. Kapiert. Was kann ich dafür?
ELENAGar nichts.
MILAWar’s wirklich so schlimm für Mama? In der Schule?
ELENAJa. Das schlimmste waren die beiden. Und Deutsch. Und Englisch. Und, und, und … Das einzig Gute an der Schule war Janik.
MILAJanik?
JANDu kannst Jan zu mir sagen.
ELENASeine Eltern waren aus Dänemark und er war anders als die anderen.
Szene 2E:
JANHe! Helena! He, bleib stehen!
MARIONMeinst du mich?
JANSiehst du hier noch eine andere Helena?
MARIONMarion.
JANIch kenn dich. Du bist die Sportskanone, stimmt’s? Kommst grad vom Schwimmen?Ich schau euch Mädels gern beim Sport zu.
20
MARIONKann ich mir vorstellen.
JANAuf dem Platz mein ich, beim Volleyball und so. Du spielst gut.
MARIONDanke.
JANKarin. Die hat dich doch mal so gefoult, oder? Du hast geblutet.
MARIONWar nicht so schlimm.
JANDie kann ganz schön fies sein.
MARIONEin wenig.
JANNein, richtig. Sie ist ein Arsch.
MARIONUnd was für einer.
JANJa. Wir sind zusammen.
MARIONIch wollte nicht…
JAN He! Haust du schon ab? Warte.
MARIONIch muss nachhause.
JANWarum so schnell?
MARIONHab die Haare nicht geföhnt.
JANHast Angst dich zu erkälten?
21
MARIONNein.
JANOder hast du Angst, dass Karin und Elfi hier auftauchen. Sind doch alles bloß Hühner.
MARIONKarin auch?
JANVor allem die!
MARIONUnd warum bist du dann mit ihr zusammen?
JANIhre Eltern haben einen Pool.
MARIONNa dann.
JANKarin und ihre Freundinnen gehen aber nie ins Wasser. Die hocken immer nur da und lassen sich bräunen. Wie Hühner auf einer Stange. Fehlt nur noch, dass sie Eier legen. Ich hab das ganze Pool für mich. Und du?
MARIONWas?
JANDu bist also eine gute Schwimmerin, Helena.
MARIONMarion.
JANEin Fisch im Wasser.
MARIONFisch?
JANWillst du was trinken? Ich mein, nach dem ganzen Sport und so, da sollte man doch was trinken.
MARIONWir beide?
22
JANCola oder so.
MARIONDas ist keine so gute Idee.
JANWegen dem Koffein oder wegen Karin?
MARIONMit nassen Haaren und so.
JANKomm vergiss die.
MARIONAußerdem muss ich noch lernen. Hab bald Entscheidungsprüfung.
JANIn Deutsch?
MARIONJa. JANKlar. Du hast es ja nicht so mit Lesen und Schreiben, nicht wahr? Ist aber kein Problem.
MARIONWas?
JANDeutsch. Ich meine: He, ich geb dir Nachhilfe! Wie klingt das? Schließlich hab ich Deutsch gelernt. Ist schon einige Zeit her, aber mit Grammatik kenn ich mich aus.
MARIONEs geht um Literatur.
JANDa auch. Ich box dich durch. Komm schon. Ich beiß nicht.
MARIONUnd was versprichst du dir davon?
JANEine Einladung auf einen Schuss Koffein.
MARIONEinen Schuss Koffein. Das ist alles?
23
JANMal sehen.
ELENAJan.
MILAUnd?
ELENAJan ist die eine Sache, die nicht schlecht an der Schule ist.
MILAMama hat mir nie von ihm erzählt. Vielleicht war er ja doch nicht so wichtig, wie du tust.
MILAMama!
MARIONDas nennst du Nachhilfe?
JANGefällt es dir nicht, meine Helena?
MARIONWarum sagst du ständig Helena zu mir?
JANWeißt du das nicht? Weil Helena die schönste ist?
MARIONVon der Schule?
JANNein, von allen. Die schöne Helena? Die von den Trojanern geraubt wurde?
MARIONAh ja, die.
JANDu weißt Bescheid?
MARIONJa.
JANWeil du auch schön bist. Deshalb Helena?
24
MARIONHelena.
MILAEr kennt sich sogar mit der griechischen Sagenwelt aus.
ELENADas täuscht. Sein Wissen stammt vor allem aus Comicheften: Herkules und die Menschenfresser. Perikles und das Orakel. Odysseus und der intergalaktische Kampfstern.
MARIONDie schönste von allen…
JANGlaubst du mir nicht? Das ist mein voller Ernst.
MARIONUnd was ist mit Karin.
JANMit der mache ich Schluss, okay. Gleich nach dem Schuss Koffein.
MARIONGleich nach dem...?
JANWenn ich es doch sage, Helena. Gleich nach dem...
MILALieber Himmel Wie alt ist Mama da?
ELENASo alt wie du jetzt.
MILAIch darf mit Jungs nicht mal allein auf mein Zimmer…
JANGefällt’s dir nicht?
MARIONDoch, doch.
MILAMama, hör auf!
ELENAWas ist denn?
25
MILADas ist ja bläh!
MARION Doch
JANDu hast ja richtig Muskeln…
MARIONKommt vom Schwimmen…
ELENAAufhalten kannst du sie nicht. Es sind ja Erinnerungen, Schatten. Ist alles schon passiert.
MILAWas alles? Was ist passiert? Was wird das?
MARIONWas wird das? Jan?
JANJa?
MARIONIch bin noch… Ich meine, ich hab noch nie…
JANSiehst du: Nachhilfe.
MILAMama!
ELENALass sie. Sieht aus, als wäre sie beschäftigt.
MILAAber das geht doch nicht.
ELENAWarum?
MILAWeil sie viel zu jung ist für… so was.
ELENAJetzt hört es sich an, als wärst du die Mutter und sie das Kind. Man kann sowieso nichts mehr daran ändern.
26
MILAMeinst du. Dann pass mal auf!
JANWo ist das?
MARIONDas Ding zum zum Draufliegen?
JANGenau! Wie heißt das?
MARIONHab’s vergessen…
JANIch auch.
MILAMama! Hört auf! So, jetzt reicht’s.
ELENAWas glaubst du, was du damit bezweckst?
MARIONDas Ding in deinem Mund ist weg
JANDeins auch.
MARIONMeins auch?
JANDas Ding in meinem Mund. Das spür ich gar nicht mehr.
MARIONDu meinst deine… deine…
JANIch komm nicht auf das Wort.
MARIONEgal, küssen können wir trotzdem
MILADas gibt’s ja nicht.
27
MARIONHast du was da?
JANDu meinst zum Schutz?
MARIONWie heissen die?
MILASchluss jetzt. Das passiert nicht wirklich!
ELENADoch, so hat sie es erlebt.
MILAMir egal
MARIONHast du was dabei?
JANIch pass schon auf, ich verspreche es.
MILADer hat Nerven. Okay, Stopp!
ELENADas war jetzt total kindisch!
MILAKindisch? Glaubst du, ich lasse das zu, das meine Mutter und der da…
ELENAHe, der da ist mein Erzeuger.
MILAWas?
ELENAMein Erzeuger… mein Vater.
MILAWas hat dein Vater auf meiner Mutter zu suchen?
ELENADas siehst du doch.
28
MILAAber ich will das nicht sehen. Das ist mir echt zu heftig. Ich will, dass es aufhört!
ELENADas Rummachen?
MILADer Traum. Mir ist das echt zu intensiv. Es gibt Dinge, die will man von seiner eigenen Mutter nicht wissen.
ELENAWillkommen in meiner Welt.
MILADie Welt meiner Mutter, meinst du wohl!
ELENASiehst du’s endlich ein? Dass es ihr Tagebuch ist?
MILAIch sehe gar nichts ein. Und mir ist es egal, ob das hier ihr Tagebuch ist, oder deine Welt oder mein Traum. Ich will hier nur raus.
ELENAWem sagst du das!
MILAWeißt du, Wächterin des Tagebuchs oder Traumwesen oder was immer du auch bist, wärst du freundlich, mir jetzt bitte zu sagen, wo verdammt nochmal hier der Ausgang ist.
ELENAElena.
MILAWas?
ELENAMein Name ist Elena. Danke, dass du endlich danach fragst.
MILAGut, schön. Elena. War nett mit dir zu plaudern. Wie komm ich hier raus?
ELENAWenn du unbedingt raus willst, dann versuch es doch am Ende, würde ich vorschlagen.
MILAAm Ende?
29
ELENABeim allerletzten Tagebucheintrag. Vielleicht gibt’s ja dort die Möglichkeit dazu.
MILAWo?
ELENADu musst einfach nur Seite um Seite umblättern, bis du bei der letzten Seite anlangst.
MILAEinfach nur umblättern…
ELENAWie bei jedem Buch.
MILAOkay. Hat mich gefreut, deine Bekanntschaft zu machen, Elena.
ELENAGlaub mir: das hast du nicht.
Szene 33A:
KARINHe, Fisch! Glaubst, du kannst dich an mir so einfach vorbei stehlen? He! Ganz ruhig. Ich wollte dich doch nur fragen, wie’s dir geht. Na, alles paletti?
MILAIch bin’s nicht.
KARINWas?
MILALass mich los, verdammt. Ich bin nicht sie.
KARINAch ja. Den fauligen Fischgestank erkenn ich doch von weitem. Also lass dir besser mal eine andere Ausrede einfallen.
MILAIch bin nicht meine Mutter.
KARINDeine Mutter? Willst du mir jetzt mit deiner Mami drohen, oder was?
MILANein…
30
KARINSoll ich jetzt Angst haben? Soll ich mir jetzt vor Angst in die Hose kacken? Au! Hast du sie noch alle? Du Miststück, du kannst mich doch nicht einfach kneifen.
KARINScheiße. Bleib da!
Szene 3B: Marion und Jan.
JANIch hab was für dich.
MARIONWas ist das?
JANMach es auf.
JANWas ist? Gefällt’s dir nicht?
MARIONDoch.
JANIst ein Glücksbringer. Für die Prüfung.
MARIONDas ist schön. Danke.
JANUnd der Anhänger?
MARION Ein H.
JANH wie?
MARIONHelena?
JANDamit du immer dran denkst, dass du meine schöne Helena bist, logisch?
MARIONDanke. Es geht gleich los.
31
JANBoxerfaust.
MARION Faust, alt müde vom lernen und lesen.
JAN Bücherhände.
MARIONKann man nicht alles lernen!
JANWenn ich Dir mein...
MARIONVerkaufe ich Dir meine Seele!
JANUnd die große Fragezeichen...
MARIONNun sag, wie hast du´s mit der Religion?
JAN UND MARIONTop, die Wette gilt!
MILAMama, warte! Warte mal!
Szene 3C:
LEHRERGuten Morgen. Setzen. Marion, für dich steht heute eine wichtige Prüfung auf dem Programm. Dass die Prüfung mündlich ist kommt dir zu gute. Dann ist ja noch nicht alles verloren. Erzähl mir doch was zum Faust.
MARIONEin Theater...ein Stück. Es ist ein Theaterstück.
LEHREREs ist ein Theaterstück, Herr Professor.
MARIONGenau ein Professor! Es geht um einen Professor, der müde ist vom Lernen und Lesen und nichts mehr auf die Reihe kriegt.
32
LEHRERWelche Figuren kommen darin vor?
MARIONEs ist von Goethe.
LEHRERWie bitte?
MARIONJohann Wolfgang von Goethe.
LEHRERGut. Also ein Theaterstück von Goethe. Zurück zur Frage...
MARION Nun sag, wie hast Dus mit der Religion?
LEHRERIch bin ausgetreten. Aber welche Charaktere kommen darin vor?
MARIONGute und Böse?
LEHRERUnd wie heißen sie?
MARIONFaust und sein Pudel, er ist eigentlich ein Hund, Gretchen, Mephisto.
LEHRERWer noch?
MARIONDie schöne Helena?
LEHRERDie schöne Helena? Aber die schöne Helena kommt ja erst in Faust Teil 2 vor und wir sprechen doch hier von Teil 1. Wo hast Du denn das her? Wer taucht denn noch auf? Hast Du dich überhaupt vorbereitet, Marion?
MARIONDoch, das habe ich.
LEHRERIch weiß, Marion, ich weiß. Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube... gut Marion.
33
ELENAMila was machst du hier? Du musst zur letzten Seite wenn du raus willst
MILAJetzt weiss ich nicht wie die Prüfung ausgegangen ist.
ELENAEr hat sie durchgelassen. Das ist das Problem. Alle haben sie durchgelassen.
MILAIch hab Karin getroffen.
ELENADu hast sie gesehen?
MILANein, ich hab sie getroffen. Sie hat gedacht, ich bin Mama. Ich seh ihr doch überhaupt nicht ähnlich. Und ich habe wieder Mama’s Stimme gehört, als käme ich sie von ganz weit weg.
ELENAVielleicht ist sie nähe als du denkst.
MILAWas war das jetzt?
ELENAJetzt hat sie dich umgelegt!
MILAIch will nicht umgelegt werden.
ELENAHast du etwa wieder mit den Wörtern herumgespielt? Ich hab dich doch gewarnt.
MILADu hast gesagt, es lässt sich nichts verändern. Es ist alles schon passiert.
MARION’S STIMMEMila, ..
MILADa, hörst du?
ELENAIst auch so. Aber wenn du die Wörter angreifst, werden sie sich wehren. Ich hab dir doch gesagt, dass sie lebendig sind.
34
MARION’S STIMMEMila...Mila...
MILAElena, was macht das für einen Sinn? Warum bin ich hier?
Szene 3D:
MARIONbewegt sich
JANNicht bewegen. Bleib so.
MARIONbewegt sich wieder
JANNicht.
MARIONJan...
MARIONKommst Du zum Wettkampf?
JANNa Klar.
MARIONWeißt Du wo es stattfindet?
JAN Klar.
MARIONGlaubst Du wirklich das Krabben dirigieren können?
JANSicher!
MARIONWeißt Du, im Wasser bin ich blitzschnell und weiß immer, wo es lang geht. Aber an Land ...
JAN Nicht bewegen.
35
MARIONAn Land zerfallen mir die Dinge immer so, da bricht alles über mich zusammen… Jan, sind wir jetzt zusammen?
JAN Gleich.
MARION Hast Du eigentlich Geschwister?
JAN Fertig, gratuliere zur bestandenen Prüfung.
MARIONSoll das ich sein?
JANHallo.
MARIONSieht irgendwie nicht aus wie ich.
JANDoch, die Augen, die Haare.
MARIONAber der Rest sieht ein bisschen aus wie du.
JANFindest du?
MARIONEin bisschen ja. Das Grübchen am Kinn.
JANHe, Grübchen sind ein Zeichen von Potenz.
MARIONEcht jetzt.
JANHe, ein Teil von dir, ein Teil von mir. So wird unsere Tochter mal aussehen.
MARIONSo wird unsere Tochter mal aussehen?
JANNa ja. Wenn‘s ein Sohn wird, hat er hoffentlich nicht so einen Vorbau.
36
MARIONDen hast du viel zu groß gezeichnet.
JANFindest du?
MILAElena? Dieser Jan. Ist der wirklich dein Vater?
ELENAMuss wohl so sein.
MILAUnd deine Mutter…
ELENAWillst du immer noch zur letzten Seite? Oder willst du wissen, wie die Geschichte weitergeht?
MILAIch weiß nicht, ob ich will… Aber jetzt, wo ich schon mal hier bin…
Szene 3E:
TRAINERINPfeift
ELENA Marions Schwimmtrainerin…
TRAINERINGut Marion, wir müssen dich schneller vom Start kriegen. Dein Technik ist gut, du liegst gut im Wasser wie ein Fisch, aber wo ist dein Ziel Marion? Positionieren. Fokussieren, und im richtigen Moment reagieren. Wie sage ich immer?
MARIONGut ist nicht gut genug.
TRAINERINEben. Du kannst besser sein. Besser als gut. Verstehst du, Marion? Du bist eine meiner begabtesten Schwimmerinnen.
MARIONIch hab Probleme in der Schule...
37
TRAINERINDie Schule, die Schule. Die Freundinnen. Die Jungs. Die Hormone. Alles schön und gut. Aber in erster Linie bist du eine Schwimmerin, Marion, eine verdammt gute, verzeih die Ausdrucksweise. Aber die Wettkämpfe, die kann man vergessen, wenn man nur jedes zweite Mal hier auftaucht. Ich sag es nicht gerne, aber wenn das so weitergeht, dann sehe ich für dich keine Zukunft bei uns im Schwimmteam, verstehst du, Marion?
MARIONJa.
TRAINERINSicher?
MARIONJa.
TRAINERINOkay. Bist ein gutes Madl, Marion. Tüchtige Schwimmerin, wirklich. Aber mach was draus. Mach was aus dir, Mädel. Positionieren. Fokussieren. Reagieren. Pfeift
Szene 3F:
ELFISchau, wer da wieder da ist.
KARINNein, so ein Zufall.
ELFIWarum bist du abgehauen?
KARINWir haben dich vermisst. Stimmt’s, Elfi?
ELFIWir haben uns alle Sorgen gemacht.
KARINJa. Große Sorgen. Weißt du, vielleicht denkst du, ich bin dir böse.
MARIONWeswegen?
KARINJetzt sieh dir das an. Spielt den Unschuldsengel.
ELFITut so, als wüsste sie von nix.
38
KARINVielleicht sollten wir ihr auf die Sprünge helfen.
ELFIIch finde, das ist sogar unsere Pflicht.
KARINHe! He, keine Angst! Weißt du, was das ist? Nein? Das ist ein Brief. An wen ist der denn?Nein, so was! Der ist ja an mich! Hier. Du darfst ihn lesen. Na nimm schon. Lies mal vor, was da steht. Ich möchte, dass du ihn vorliest. Laut und deutlich.
ELFIDer arme stumme Fisch. Der kann doch gar nicht lesen.
KARINIch weiß, dass die nicht lesen kann, Elfi. Das weiß ich…
MARIONDoch, ich kann lesen
KARINWie bitte? Hast du was gesagt?
MARIONIch kann lesen
KARINHast du das gehört, Elfi? Na dann, lies vor, Fisch!
MARIONIch…
KARINNa los!
ELFISperr deine Kiemen auf!
KARIN Wird’s bald?
MARIONIch…
KARINIch kann dich nicht mehr treffen. Es gibt da wen neuen. Es ist aus. Jan.
39
ELFIKurz und bündig.
KARINNein, unser Jan ist wirklich kein Mann vieler Worte. Entschuldige: dein Jan. Aber weißt du was? Ich schreib ihm jetzt auch einen Brief, wär das was?
ELFITolle Idee.
KARINJa, genau. Im Gegensatz zu dir kann er nämlich sehr gut lesen. Oh, aber ich habe leider gar kein Papier. Du Elfi?
ELFINein. Wie schade.
KARINWeißt du was Marion, ich verzeih dir dass mit Jan. Lass uns Freundinnen werden. Wir haben auch ein Geschenk für dich, nicht wahr Elfi?
ELFIhält ein T-SHIRT mit Schrift „Hure bei der Arbeit“ hochMhmmm, zieh es an.
KARINZieh es an.
KARINPasst dir!
ELFIPerfekt.
KARINBist du so nett und überbringst Jan die Nachricht? Klar tust du das...
MARIONWelche Nachricht?
Szene 3G:
MILAIch könnte die…
ELENAMisch dich nicht ein. Sonst passiert wieder was. Außerdem: siehst du? Da kommt Trost.
Jacke über Schulter
40
JANHe, alles in Ordnung?
MARIONLass mich!
JANWas ist denn? Hab ich was falsch gemacht?
MARIONLass mich in Ruh!
JANHelena?
MARIONIch bin nicht deine Helena! Geh zu deiner Karin.
JANIch hab mit ihr Schluss gemacht, schon vergessen?
MARIONDann mach es wieder rückgängig.
JANBist du bescheuert? Ich will doch nichts von ihr. Ich will was von dir.
MARIONVergiss es!
JANHe, ich dachte, du magst mich.
MARIONHast dich eben getäuscht.
JANSag mir, dass du mich gar nicht magst, und ich geh.
MARIONIch kann dich nicht leiden!
JANOkay.
JANUnd was jetzt?
41
MARIONIch kann nicht, okay? Ich kann einfach nicht.
JANOkay.
MARIONWir werden nicht rummachen. Nie wieder.
JANOkay.
MARIONEcht jetzt?
JANNein.
MARIONNa ja. Küssen geht vielleicht.
JANrutscht ran
MARIONAber nur vielleicht.
JANSag mal, ist das ein neues T-Shirt?
MarionJa.
JANSteht dir gut.
MARION Hat mir Karin geschenkt.
JAN Weißt Du was darauf steht?
MILAMir reicht’s. Können wir nicht wieder ein paar Seiten vor blättern?
ELENAWenn du willst. Dann folgt jetzt die Geschichte mit dem Test.
42
MILANein. Bei der Prüfung war ich doch schon dabei.
ELENAKeine Prüfung, ein Test.
Szene 44A:
APOTHEKERINBitte?
MARIONEin Schwangerschaftstest, bitte.
APOTHEKERINBitte?
MARIONEin Schwangerschaftstest, bitte.
MILAMoment. Augenblick. Schwangerschaftstest? Da war doch bestimmt noch was dazwischen, oder?
ELENAIch dachte, wir blättern etwas vor.
MILADoch. Aber da haben wir aber ganz schön viel vorgeblättert.
ELENASo viel auch wieder nicht. Das geht eigentlich ganz schnell.
MILAIch mein ja nur, darauf hättest du mich ja vorbereiten können.
ELENAWillst du wieder streiten?
MILASchon gut.
ELENAAlso. Dann weiter in der Apotheke. Einen Schwangerschaftstest bitte sagt Mama und die Apothekerin sieht sie an und geht dann zu einer der Laden, öffnet sie und holt eine lilafarbene Schachtel heraus. Alles geht viel zu langsam für Mama, wie in Zeitlupe. Hinter ihr hat sich schon eine lange Schlange gebildet. Endlich liegt die Schachtel vor ihr.
43
APOTHEKERINSonst noch was?
MARIONWie muss ich das… Wie funktioniert das?
APOTHEKERINSteht alles in der Gebrauchsanweisung.
MARIONAber wie genau seh ich, wenn ich… ob ich…
APOTHEKERINSteht alles in der Gebrauchsanweisung. Wär das alles?
ELENADie Apothekerin tippt mit ihrem Zeigefinger ununterbrochen auf die lilafarbene Schachtel.
MARIONIch möchte nur sichergehen…
APOTHEKERINDer Test ist deppensicher. Mit dem kann man nix falsch machen.
MARIONAber... Kann ich was fragen?
APOTHEKERINWas denn noch?
ELENAUnd was Mama eigentlich sagen will ist:
MARIONWenn ich ein Kind bekomme und wenn es dann so alt ist, wie ich jetzt, dann bin ich 30, und wenn es ein Mädchen ist und es dann im gleichen Alter ist wie ich, und dann ein Kind bekommt, bin ich mit 30 Oma. und wenn das so weitergeht, dann bin ich Uroma mit 45 und Ururoma mit 60 und mit 75 bin ich vielleicht schon Urururoma und mit 90 Ururururoma.
ELENAAber stattdessen bleibt sie stumm.
APOTHEKERINMacht 5,95. Brauchen Sie eine Rechnung?
ELENASie braucht keine. Im Grunde braucht sie nicht mal einen Test.
44
MILASie weiß es?
ELENASie weiß es.
ELENAIn ein paar Monaten, denkt sie. Da werden es alle sehen. Ihre Eltern, ihre Mitschüler, die Lehrer, einfach alle. Sie werden sie sehen und ihr Leben wird vorbei sein. Kein Schwimmen mehr, kein Jan mehr, nichts mehr.
MILAUnd dieses Kind, das sie im Bauch trägt, ist von Jan? Dieses Kind, das sie im Bauch trägt, das bist…
Szene 4B: Marion und Jan
MARIONAlles Gute zum Monatstag.
JANMonatstag?
MARIONIch hab was für dich.
JANEine Überraschung?
MARIONEin Geschenk…
JANOkay. Was?
JANWas ist es? Spann mich nicht auf die Folter.
JANZeig her…
JANDas hab ich schon.
MARIONGenau das?
JAN
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Ich hab doch gesagt, ich hab alle bis auf Herkules und der Kopf der Hydra.
MARIONUnd ich hab die Verkäuferin noch extra gefragt…
JANUnd was steht da? Herkules und der nemëische Löwe. Hast du es nicht mal versucht den Titel zu lesen?
MARIONTut mir leid.
JANIch kapier‘ manchmal echt nicht, was in deinem Kopf vorgeht, Helena.In letzter Zeit bist du ziemlich durch den Wind.
MARIONIch muss dir was sagen.
JANGeht das nicht später? Ich hab jetzt Fußball. Nachher, okay?
Szene 5: 5A: Elfi fängt Marion ab.
ELFIFisch! Ich muss dir was sagen.
MARIONHau ab!
ELFIWeißt du, warum du nicht ständig eine von Karin aufs Maul kriegst?
MARIONWeil du das für sie machst. Machst ja alles für sie. Wischst ihr wahrscheinlich auch den Hintern aus.
ELFIDu redest Scheiße, kapiert? Es gibt nur einen einzigen Grund, warum sie dich am Leben lässt, obwohl du was mit ihrem Typen laufen hast. Kannst du den vielleicht erraten?
MARIONBlödsinn!
ELFIDer einzige Grund ist, dass sie auch noch was mit ihm laufen hat. Er fährt zweigleisig, verstanden?
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MARION Ich glaub dir kein Wort.
ELFIWas glaubst du, was die jetzt gerade machen, Jan und Karin?
MARIONVerpiss dich!
ELFIDie reden über dich. Jetzt gerade reden die über dich und bestimmt lachen die sich kaputt über dich.
MARIONDu lügst.
ELFIWillst du dich jetzt mit mir prügeln? Helena, schöne Helena! Du bist so ein Opfer, weißt du das? Du kannst einem gar nicht leidtun, so blöd bist du! Du hast nicht bloß eine Lernschwäche, du hast Gehirnfäule, hast du kapiert?
ELFIHast du echt geglaubt, der gute Jan steht ernsthaft auf jemanden wie dich? Eine Zurückgebliebene? Du hast mir leid getan, okay. Deshalb. Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt. Blöde Schlampe.
Szene 5B:
TRAINERINGut… Gut sieht das nicht aus. Aber halb so wild. Muss nicht genäht werden.
MARIONBin vom Rad gefallen.
TRAINERINJa, und das Rad war so sauer, dass es dir gleich eine gescheuert hat. Eine wahre Sportlerin braucht keine Gewalt.
MARIONIch hab mich nicht geprügelt.
TRAINERINEine Schande… eine Schande, dass du deine Energien so vergeudest. Du könntest eine wirklich hervorragende Schwimmerin sein. Aber stattdessen entscheidest du dich, vom Rad zu fallen. Du bekommst gleich ein Schmerzmittel von mir.
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MARIONKann man das nehmen?
TRAINERIN Keine Angst. Ist völlig harmlos.
MARIONNein, ich meine: kann man das nehmen, wenn man schwanger ist?
MILAElena? bist du meine Schwester ?
Szene 5B:
JANHelena! Warte mal! Helena!
JANMarion! Marion!
MILAMama, warte! Diese Entscheidung, die kann sie doch nicht treffen. Einfach so…
ELENASie hat sie schon getroffen.
MILAAber sie will dich loswerden. Das will sie doch. Das kann sie doch nicht tun.
ELENAEs ist auch ihr Leben.
MILAWie kannst du so was sagen? Wie kannst du so ruhig bleiben.
ELENANichts, was ich mache, ändert was daran. Und nichts, was du machst.
MILAWillst du nicht leben?
ELENAIch weiß ja gar nicht, was das ist, Leben. Alles, was ich kenne, sind ein paar Einträge in ein Tagebuch voller Rechtschreibfehler. Vielleicht bin ich auch nur so ein Fehler. Und vielleicht ist das ja dann die richtige Entscheidung, diesen Fehler zu korrigieren.
MILADas ist sie nicht. Das kann sie nicht sein.
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ELENADu bist nicht in ihrer Lage. Dann kannst du es nicht beurteilen.
MILAIch habe eine Schwester. Die lass ich mir doch nicht einfach wieder wegnehmen.
ELENAAußerhalb dieses Buches gibt es mich nicht. Das darfst du nicht vergessen.
MILAAber es sollte dich geben. Es muss dich geben.
ELENAEs ist zu spät.
Szene 6
TRAINERIN Noch ist nichts zu spät. Du hast es ja gottseidank früh genug bemerkt. Das ist gut.
ÄRZTIN Sie sind?
TRAINERIN Ihre Schwimmtrainerin. Ich hab sie hergefahren.
ÄRZTIN Sie können inzwischen draußen Platz nehmen.
TRAINERINAber…
ÄRZTINEinfach im Wartezimmer Platz nehmen.Und du müsstest mir noch das Formular hier ausfüllen. Für die Kartei.
TRAINERINWir füllen das dann gemeinsam aus.
ÄRZTINIch denke, dass Marion das sehr wohl allein schafft.
MARIONIst schon okay. Mir ist lieber, wenn sie mir dabei hilft.
ÄRZTINMarion. Wir werden uns erst nur unterhalten. Du musst heute noch gar nichts entscheiden.
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MARIONIch habe mich aber schon entschieden.
ÄRZTINEs kann schon sein, dass du jetzt glaubst, eine Entscheidung getroffen zu haben.
MARIONIch habe mich entschieden.
MARIONS STIMMEMila… Mila…
ELENAMila?
MILAIch hab doch nicht gewusst…
ELENADass ich deine tote Halbschwester bin?Sonst wärst du netter gewesen?Du kannst nichts dafür. Das war doch alles lang vor deiner Zeit. Lang bevor sich deine Eltern überhaupt kennen gelernt haben.
MILAAber ich bin so wütend.
ELENAAuf Marion?
MILASag Mama zu ihr.
ELENAVersetz dich mal in ihre Situation: sie ist 15, sie kann nicht richtig lesen und schreiben, sie kann nicht mal für sich selbst Verantwortung übernehmen, wie soll sie es dann für ein Kind tun?
MILAAber sie hätte es zumindest versuchen können.
ELENAEin Kind ist kein Versuch.
MILAIch hab mir immer eine Schwester gewünscht.
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ELENAEs dreht sich nicht alles um deine Wünsche Mila.
MILAWie kannst du ihr das verzeihen?
ELENASie hat das Buch wegen mir geschrieben.
MILAUnd wenn schon!
ELENA Hast du’s immer noch nicht kapiert? Es wäre nie eine echte Schwimmerin aus ihr geworden. Sie hätte nie Medaillen gewonnen. Sie wäre nie glücklich gewesen. Sie hätte nie deinen Vater kennen gelernt. Und du wärst nie auf die Welt gekommen. Entweder oder, verstehst du. Entweder du oder ich. Eine Entscheidung gegen etwas ist auch immer eine Entscheidung für etwas.
ELENAMila? Darf ich dich was fragen? Wie ist sie so? Unsere Mama?
MILAWie meinst du, wie ist sie? Du kennst sie doch.
ELENAIch kenne nur das was in diesem Buch steht. Nur das, was sie von sich aus erzählt. Also, wie ist sie?
MILAIch weiß nicht...ich möchte mit niemanden meine Mama tauschen. Für keine andere Mutter der Welt. Meinen Vater aber auch nicht.
ELENAWo haben sich unsere Mama und dein Papa kennengelernt, weißt du das?
MILAAuf einem Ball.
ELENAIm Ernst?
MILAKein Opernball oder so. Ein Ball für Sportler.
ELENAEin Fußball oder Basketball?
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MILAHaha.
Szene 7:
FRAUENSTIMMEBasisbildungszentrum, Monika Schlager. Hallo?
ELENAAn manchen Tagen hat sie zwei, dreimal angerufen. Immer aufgelegt.
MILADas nennt man Telefonterror.
FRAUENSTIMMEBasisbildungszentrum. Monika Schlager.
MARIONHallo…
FRAUENSTIMMEGuten Morgen!
MARIONStille.
FRAUENSTIMMEWürden Sie sich für einen Kurs interessieren? Wir bieten Kurse für Lesen, Schreiben, Rechtschreiben oder Rechnen an. Wär‘ da was für Sie dabei?
MARIONnickt
FRAUENSTIMMEHallo? Kann es sein, dass sie gerade nicken? Darf ich Ihnen kurz etwas über unsere Kurse erzählen?
MARIONnickt
MILAIch hab nicht gewusst, dass Mama nach Hilfe gesucht hat.
ELENASie ist über ihren Schatten gesprungen.
MILAAber gebracht hat es trotzdem nichts.
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ELENAWie kannst du das sagen?
MILAWeil ich es weiß. Ich kenne meine Mutter seid 14 Jahren und sie hat noch nie einen Wort geschrieben oder einen Satz gelesen!
MILAWas wird das?
TRAINERINSie sind nervös? Ich kann Ihnen sagen: Fast alle, die das erste Mal hier sind, sind nervös-aber sie werden sehen, das legt sich gleich. Sie haben gemeint, dass sie sich beim schreiben verbessern wollen?
MARIONJa.
TRAINERIN
Was würden sie gerne schreiben?
MARIONDen Namen meiner Tochter. Helena. Den kann ich schon.
TRAINERINEin schöner Name. Und selten.
TRAINERINSehr gut. Aber Sie haben Elena geschrieben. Wenn Sie Helena schreiben wollen, fehlt noch das H vorne. Soll ich es Ihnen zeigen?
MARIONIch weiß, wie ein H aussieht.
TRAINERINAber sie schrieben es nicht.
MARIONIch will es nicht schreiben, dieses H. Das H habe ich vergraben.
TRAINERINVergraben?
MARIONMeine Tochter heißt Helena. Nur ohne das H.
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TRAINERINElena. Das ist genau so ein schöner Name. Möchten Sie sonst noch etwas schreiben?
MARIONIch will ein Buch schreiben. Vom ersten Buchstaben an, selber schreiben. Für meine Töchter. Und in dem Buch will ich ihr alles erzählen und erklären.
TRAINERINDas kriegen wir hin. Sie haben nur den richtigen Zugang gebraucht, das ist alles. Die Motivation haben Sie selbst mitgebracht.
MARIONIch mache das für meine Töchter.
TRAINERINIch nehme an auch für sich selbst.
ELENADenkst du noch immer, dass du alles weißt?
MILAOkay, sie hat lesen und schreiben gelernt, aber warum bin ich hier?
ELENADu hattest einen Unfall, einen schweren Unfall und du liegst im Koma.
MILAIch lieg doch in keinem Koma.
MARION’s STIMMEMila, Mila...
ELENASie ruft nach dir. Deshalb hörst du ihre Stimme. Und sie sitzt an deinem Bett und liest dir in diesem Augenblick aus ihrem Tagebuch vor, damit du aufwachst. Aus dem Buch, das sie selbst geschrieben hat.
MILADann muss ich gehen
MARION Liebe Elena. Ich denke sehr, sehr oft an dich. Ich weiß nicht, wo du bist und ob es dir gut geht, aber ich wünsche es mir sehr. Ich habe nie ein Tagebuch geschrieben, weil ich nicht schreiben konnte. Aber jetzt hole ich das alles nach.
ELENAGeh.
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MILAUnd was ist mit dir?
ELENAIch bin hier zuhause. Du wärst bestimmt eine tolle Schwester gewesen.
MILADu auch.
MARIONDieses Buch widme ich dir. Und wenn ich es fertig geschrieben habe, werde ich es deiner Schwester vorlesen. Für sie lerne ich lesen. Damit ihr voneinander wisst.
ELENAGlaubst du, du hättest sie mit mir geteilt?
MILAWas?
ELENADeine Zeichen. Deine Geheimzeichen. Stell dir vor, wir hätten einander geheime Botschaften schreiben können.
MILADas können wir immer noch tun. Uns schreiben, meine ich. Ich weiß ja jetzt, wo ich dich finde.
MARIONIch nenne es mein Tagebuch, aber eigentlich habe ich es erst jetzt schreiben können. Eigentlich ist es ein Buch voller Erinnerungen…
ELENADu musst jetzt los.
MILAJa.
ELENAVergiss mich nicht.
MILAOkay, wenn du mich nicht vergisst.
ELENAOkay.
ELENAHe! Immer mit dem Kopf durch die Wand?
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Finanziert aus Mitteln des Landes Salzburg und des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur.
Basisbildungszentrum abc‐Salzburg
Salzburg, am 18.10.2011
Basisbildungszentrum abc‐Salzburg Brigitte Bauer Lastenstraße 22 5020 Salzburg 0662 / 87 16 57 [email protected] | www.abc.salzburg.at
Informationsunterlagen für PädagogInnen
zum verdeckten Problem
„Erwachsene mit Basisbildungsbedarf in Österreich“
Finanziert aus Mitteln des Landes Salzburg und des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur.
Das abc‐Salzburg als Initiator und Motor der Basisbildung
Das Basisbildungszentrum abc‐Salzburg als Initiator und Motor der Basisbildung in Stadt und Land Salzburg steht seit zwölf Jahren für professionelles und engagiertes Handeln in diesem speziellen Bereich der Erwachsenenbildung. Erwachsene können im abc‐Salzburg das lernen, was von ihnen täglich erwartet wird: Sie lernen Lesen, Schreiben, Alltagsrechnen und den Umgang mit Informations‐ und Kommunikationstechnologien. Im Zentrum stehen dabei immer die Bedürfnisse, Wünsche und Möglichkeiten der KursteilnehmerInnen, die allesamt mindestens eine gescheiterte Lerngeschichte hinter sich gelassen haben und in der Hoffnung auf ein selbstsicheres und selbstbestimmtes Leben mutig einen erneuten Einstieg ins Lernen wagen.
Warum Alphabetisierung und Grundbildung für Erwachsene? Wer einfache Arbeitsanweisungen, Wahlzettel, Medikamentenbeipacktexte, Straßenkarten nicht lesen, kurze Notizen oder Arbeitsberichte nicht schreiben und einfache Eingabemasken am PC nicht bedienen kann, ist nicht nur von der gesellschaftlichen Teilhabe, sondern auch von der Teilhabe am Arbeitsprozess großteils ausgeschlossen. Der Zugang zu Schriftlichkeit entscheidet wesentlich über die Chancen auf Beschäftigungsfähigkeit und gesicherte Arbeitsverhältnisse. Geringer qualifizierte Menschen geraten schnell ins Abseits.
Mit welchen Zielgruppen arbeitet das abc‐Salzburg? Das abc‐Salzburg arbeitet mit Jugendlichen und Erwachsenen mit deutscher Muttersprache und mit MigrantInnen, die sich auf Deutsch gut verständigen können. Ihre Kenntnisse reichen nicht aus, um sich selbstständig im privaten und beruflichen Leben bewegen zu können. Das abc‐Salzburg bietet keine Kurse „Deutsch als Fremdsprache“ an, da es genügend Einrichtungen gibt, die diese Kurse im Programm führen.
Finanziert aus Mitteln des Landes Salzburg und des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur.
Was sind die wesentlichen Motive der Betroffenen?
• Die KursteilnehmerInnen wollen ihr Leben selbstständig und selbstbestimmt führen. Sie haben sich entschlossen, ihre Abhängigkeit von anderen Personen – auch wenn sie mit ihnen familiär und freundschaftlich verbunden sind – zu lösen.
• Sie erhoffen sich bessere Chancen, einen Arbeitsplatz finden oder ihren Arbeitsplatz halten zu können.
• Sie haben den Entschluss gefasst, sich von ihren bisherigen Strategien – dem Vermeiden, Tarnen und Täuschen – zu verabschieden.
• Mit ihrem Kursbesuch verknüpfen sie die Hoffnung, ein Stück weit aus ihrer sozialen Benachteiligung herauszukommen.
• Sie fassen den Mut und wagen einen zweiten Einstieg ins Lernen, um ihre Lernbiographie neu fortzuschreiben, einen ersten Einstieg ins lebensbegleitende Lernen zu schaffen.
Die Arbeitsbereiche des abc‐Salzburg – ein Auszug Auf soliden Grundfesten gebaut, entwickelte sich das Ein‐Frau‐Pilotprojekt Schritt für Schritt im Laufe der Jahre zu einer sehr gut vernetzten Erwachsenenbildungseinrichtung mit vielfältigen Angeboten. Heute sorgen neun angestellte MitarbeiterInnen, davon sechs TrainerInnen, für innovative Kurs‐ und Beratungsangebote an zwei Standorten im Land Salzburg.
• Maßgeschneiderte Kurs‐ und Beratungsangebote für Jugendliche und Erwachsene mit Alphabetisierungs‐ und Basisbildungsbedarf
Das abc‐Salzburg arbeitet im Vorfeld aller Erwachsenenbildungseinrichtungen und bietet maßgeschneiderte Alphabetisierungs‐ und Basisbildungskurse in den Bereichen
• Lesen und Schreiben/Rechtschreiben mit PC
• Alltagsrechnen mit PC
• Informations‐ und Kommunikationstechnologien auf drei Niveaus (AnfängerInnen/ LernerInnen mit Vorkenntnissen/ Fortgeschrittene) an.
Finanziert aus Mitteln des Landes Salzburg und des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur.
• Modellentwicklung: Es braucht nicht mehr vom Gleichen, sondern neue Lösungen!
Dieses relativ junge Feld der Erwachsenenbildung erfordert die Entwicklung neuer, innovativer Kursmodelle, denn erfolgreiche Alphabetisierungs‐ und Basisbildungsarbeit muss im Gegensatz zu gängigen Erwachsenenbildungsangeboten radikal anders gedacht werden. Erfolgreich umgesetzt, werden die Ergebnisse der Arbeit unmittelbar sichtbar: Erwachsene KursteilnehmerInnen erleben oft nach jahrelangen Selbstzweifeln, dass sie lernfähig sind. Sie setzen sich Ziele, finden Freude und Interesse am Lernen, öffnen Türen und beschreiten selbstsicher neue Wege….
• Öffentlichkeitsarbeit – Aktionen, die sich lohnen
Mit Aktionen wie etwa „Verstehen Sie auch nur Bahnhof“ oder „15 von 100“ (siehe: www.abc.salzburg.at) sorgt das abc‐Salzburg für medienwirksame Öffentlichkeitsarbeit. So wird das verdeckte Problem regelmäßig thematisiert und zugleich erfahren die Betroffenen oder mögliche Vermittlerpersonen, dass es Unterstützung gibt. Denn das beste Angebot nützt nichts, wenn niemand davon erfährt.
• Zusammenarbeit mit PH und Schulen
Im Sinne der Prävention und der Verbreitung des Tabuthemas bietet das abc‐Salzburg Workshops und Vorträge für Studierende der PH und Workshops für SchülerInnen an.
Eine ausgewogene Mischung aus theoretischen Inputs in Form ansprechender Präsentationen, Diskussion und selbsttätiges Tun bietet den Rahmen für die gemeinsame Arbeit in den Workshops.
• Know‐how‐Transfer: Beratung neuer Anbieterorganisationen
Das Basisbildungszentrum abc‐Salzburg hat in den letzten 12 Jahren viel an Erfahrung und Wissen im Aufbau von Basisbildungsstrukturen gesammelt. Zentrale Aufgabe ist der Transfer der gewonnenen Erkenntnisse und vorhandenen Produkte, um den qualitätsgesicherten Ausbau von neuen Basisbildungsstellen zu unterstützen.
Finanziert aus Mitteln des Landes Salzburg und des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur.
Zahlen und Daten Finanzierung: Seit Eröffnung der ersten Basisbildungsstelle in der Stadt Salzburg haben sich Land Salzburg und Stadt Salzburg an der Finanzierung der Arbeiten des abc‐Salzburg beteiligt. Derzeit werden die Kurs‐ und Beratungsangebote vom Land Salzburg, dem bm:ukk und der Stadt Salzburg finanziert.
Zu den Kursen: Im Jahr 2011 haben an den Standorten Salzburg und Bischofshofen 112 Jugendliche und Erwachsene die Eingangsphase – den Einzelunterricht – besucht. 155 Jugendliche und Erwachsene haben am Kleingruppenunterricht teilgenommen
Kontakt: Basisbildungszentrum abc‐Salzburg Brigitte Bauer Lastenstraße 22 5020 Salzburg 0662 / 87 16 57 [email protected] Sie wollen einen Workshop buchen? Rufen Sie uns an, wir informieren Sie gerne: 0662|87 16 57 Für nähere Infos besuchen Sie unsere Website: www.abc.salzburg.at
Die Nummer für KursinteressentInnen: