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Mariana Grgic | Ivo Züchner (Hrsg.) Medien, Kultur und Sport

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Mariana Grgic | Ivo Züchner (Hrsg.)

Medien, Kultur und Sport Was Kinder und Jugendliche machen und ihnen wichtig ist. Die MediKuS-Studie 2., überarbeitete Auflage

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1. Auflage 2013 2., überarbeitete Auflage 2016

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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© 2013 Beltz Juventa · Weinheim und Basel www.beltz.de · www.juventa.de

ISBN 978-3-7799-4438-6

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Inhalt

Einleitung 7 Kapitel 1 Theoretisch-konzeptioneller Rahmen der Studie Ivo Züchner, Mariana Grgic 11 Teil I Aufwachsen mit Medien, Kultur und Sport Kapitel 2 Musikalische und künstlerische Aktivitäten im Aufwachsen junger Menschen Mariana Grgic 29 Kapitel 3 Sportliche Aktivitäten im Aufwachsen junger Menschen Ivo Züchner 89 Kapitel 4 Neue Medien im Aufwachsen junger Menschen Michael Holzmayer 139 Teil II Medien, Kultur und Sport im Zusammenhang Kapitel 5 Der Einfluss kulturellen und sozialen Kapitals auf die kulturellen Aktivitäten im Aufwachsen junger Menschen Mareike Tarazona, Kristina Tillmann 195 Kapitel 6 Organisiert aktiv – außerschulische und außerunterrichtliche musikalisch-künstlerische und sportliche Aktivitäten Ivo Züchner, Mariana Grgic 217

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Kapitel 7 Aktivitätsprofile junger Menschen im Bereich Medien, Kunst, Musik und Sport Mariana Grgic, Ivo Züchner 237 Teil III Die Studie Kapitel 8 MediKuS – Design, Stichprobe und Methoden Holger Quellenberg, Ivo Züchner, Mariana Grgic 249

Medien, Kunst, Musik und Sport. Eine Bilanz 257 Literatur 261 Die Autorinnen und Autoren 279

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Einleitung

Sport, Theaterspiel, Tanz, Basteln und Malen gehören zum Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen wie das Fernsehen oder das Internet. Kinder und Jugendliche werden in einer Welt groß, in der sie mal aktiver, mal passiver an vielfältigen Aktivitäten teilhaben. Fußball spielen, Musik machen, Sta-tusmeldungen bei Facebook aktualisieren, zum Training gehen – Kinder und Jugendliche gestalten ihre (Frei-)Zeit mit vielfältigen Aktivitäten aus den Bereichen Medien, Musik, Kunst und Sport. Auch die Orte und Moda-litäten sind vielfältig: Diese Alltagspraxen finden privat mit Freunden, im Verein, in der Tanzschule, in der Jugendarbeit oder heute auch vermehrt in der Ganztagsschule statt.

So kann wohl jedes Kind, jeder junge Mensch eigene Erlebnisse und Bei-spiele derartiger Aktivitäten erzählen. Ausgangspunkt der Studie „Medien, Kultur und Sport bei jungen Menschen“ (MediKuS) des Deutschen Jugend-instituts (DJI) und des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), einer Befragung von knapp 5.000 9- bis 24-Jährigen, war die Grundannahme, dass Medien, Kunst, Musik und Sport in dieser Form individuell bedeutsame Erfahrungs-, Gestaltungs-, aber auch Rückzugs-räume im Aufwachsen darstellen und Kindheit und Jugend seit jeher auch gesellschaftlich prägen. Darauf verweisen auch die Aussagen der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst: 81 Prozent der 13- bis 24-Jährigen bezeichnen die Musik, über 70 Prozent den Sport und das Internet als wichtige Lebensbereiche, was die Bedeutung dieser Themen für junge Menschen unterstreicht.

An den Beispielen des Internets, der Musikstile oder Trendsportarten wird aber auch deutlich, wie stark die Kultur, darunter auch die Medien und der Sport, selbst einem Wandel unterliegen. Dabei kommt es insbeson-dere durch die Neuen Medien wie das Internet und soziale Netzwerke, im-mer mehr zu einer Verschränkung zwischen Medien, Musik, Kunst und Sport (vgl. Lange/Theunert 2008; Thole 2002). Die Studie MediKuS richtet daher den Blick auf musikalisch-künstlerische, sportliche und mediale Ak-tivitäten von Kindern und Jugendlichen, mit dem Ziel, eine Situationsbe-schreibung der Verbreitung dieser Aktivitäten in Deutschland zu geben. Dabei werden Formen und Orte der Aktivitäten in den Fokus gerückt sowie Bedingungsfaktoren für diese Alltagspraxen und in Ansätzen auch alters-spezifische Verläufe nachgezeichnet. In einer gesellschaftlichen Perspektive

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wird zudem die Bedeutung sozialer Ungleichheit für die Ausübung entspre-chender Aktivitäten analysiert.

Dabei lassen sich Unterschiede zwischen Musik, Kunst und Sport einer-seits und Medien andererseits markieren. Werden mit den Themen „Mu-sik/Kunst“ und „Sport“ jeweils ein weites, aber begrenztes Feld von inhaltli-chen Aktivitäten angesprochen, so sind Medien Inhalt und Form zugleich. Die Beschäftigung mit Medien ist zum einen Aktivität in sich, gleichzeitig transportieren Medien immer auch Inhalte – so nutzen Kinder und Jugend-liche die Medien in vielfältiger Weise auch für ihre Beschäftigung in den Bereichen Musik, Kunst und Sport, wodurch die Grenzen zwischen media-len, musikalisch-kreativen und sportiven Alltagspraxen immer mehr verwi-schen.

Die Studie MediKuS hat in diesem Zusammenhang einige besondere Ansatzpunkte in den Mittelpunkt gerückt. Zentrale Merkmale der Untersu-chung sind infolgedessen der Aktivitätsbezug, die Akteursperspektive, der Ortsbezug sowie das Thema der sozialen Ungleichheit:

● Aktivitätsbezug: In Deutschland gibt es eine Tradition von Kindheits- und Jugendstudien, zu denen beispielsweise die Shell-Studien, die World-Vision-Studien, die Surveys des Deutschen Jugendinstituts (DJI), aber auch die KIM- und JIM-Studien gehören. Diese Untersuchungen geben zumeist Einblick in die Einstellungen und Lebenslagen junger Menschen, berücksichtigen dabei aber die Freizeitaktivitäten von Kin-dern und Jugendlichen zumeist nur in groben Kategorien und nicht in ihrer Breite. Selten sind sie Gegenstand eigenständiger Fragestellungen. Daher richtet die Studie MediKuS ihren Fokus auf die performativen musikalisch-kreativen, medialen und sportlichen Praxen junger Men-schen und nimmt diese sehr differenziert in den Blick. Aufgrund der Tendenz, dass sich altersspezifische Freizeitpräferenzen immer mehr vermengen und typische Jugendaktivitäten heute bereits bei Kindern verbreitet sind (vgl. Thole 2002), werden dabei – durch die Betrachtung von Personen im Alter zwischen 9 und 24 Jahren – sowohl die Praxen von Kindern, als auch von Jugendlichen und jungen Erwachsenen un-tersucht.

● Ortsbezug: Als konstitutives Merkmal wird in der Studie MediKuS die aus den Bildungsdebatten stammende Differenzierung zwischen ver-schiedenen Orten von Lern- und Bildungsprozessen aufgegriffen (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006; Rauschenbach u.a. 2004). Mit der Unterscheidung zwischen Orten formalisierten Lernens, Orten non-formalen und informellen Lernens wird versucht, auch verstärkt Einblicke in die unterschiedlichen Kontexte musikalisch-kreativer und sportiver Praxen zu bekommen. Vor dem Hintergrund der Frage, an

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welchen Orten junge Menschen heute ihre Freizeit verbringen (können), werden in der Studie MediKuS explizit Aktivitäten in Kontexten non-formaler Bildung in- und außerhalb der Schule sowie in informellen Kontexten betrachtet. Dabei spielen die (berufliche) Ausbildung und die Schule als klassische Orte formaler Bildung nur insofern eine Rolle, als ausschließlich die außerunterrichtlichen Aktivitäten junger Menschen, beispielsweise im Rahmen von Schul-AGs untersucht werden.

● Akteursperspektive: Der Ausgangspunkt der Studie liegt zwar zunächst darin, die medialen, musikalisch-kreativen und sportiven Praxen junger Menschen zu erfassen, doch daneben ist die Frage nach ihrer subjektiven Bedeutung aus Sicht der Akteure von großem Interesse. Die individuelle Relevanz von Aktivitäten kann ihnen eine besondere Funktion, bei-spielsweise mit Blick auf Bildung, verleihen.

● Soziale Ungleichheit: Mit Blick auf das Konzept der Alltagsbildung hat Rauschenbach (2009) die ungleiche Teilhabe bei sportiven, musikalisch-künstlerischen und medialen Praxen als ein unterschätztes, aber bedeut-sames Element zur Konstitution von Bildungsungleichheit bezeichnet. Entsprechend interessiert sich die Studie explizit für die familiären Res-sourcen und Alltagspraxen und ihren Einfluss auf die Ausprägung kind-licher Aktivitäten in den Bereichen Medien, Musik, Kunst und Sport. Folgende Fragen erscheinen hierbei virulent: Wie reproduzieren sich die Praxen in der Familie in die nächste Generation? Entstehen über die so-ziale Herkunft der jungen Menschen bestimmte Aktivitätsprofile?

Das Buch gliedert sich in zwei Hauptteile: Nach einer theoretischen Einfüh-rung, in der entsprechende Bezüge und Anknüpfungspunkte der Studie dargestellt werden (Kapitel 1), werden im ersten Teil des Buches in drei Kapiteln die zentralen Ergebnisse jeweils zu den musikalisch-künstle-rischen, sportlichen und medialen Aktivitäten junger Menschen dargestellt. Mariana Grgic untersucht in ihrem Kapitel die Verbreitung und Rahmen-bedingungen musikalisch-künstlerischer Praxen bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie deren subjektive Bedeutung im Heran-wachsen (Kapitel 2). Ivo Züchner analysiert die Verbreitung und Bedeutung des Sports im Leben junger Menschen und setzt dabei einen Schwerpunkt auf die Analyse der Einbindung junger Menschen in den organisierten Sport (Kapitel 3). Beide Kapitel beschäftigen sich jeweils mit den Orten, Zugangswegen, Motiven und Intensitäten musikalisch-künstlerischer bzw. sportlicher Aktivitäten. Auch die Rolle Neuer Medien, insbesondere des Internets, für musikalisch-künstlerische bzw. sportliche Interessen wird thematisiert. Michael Holzmayer befasst sich mit der Verbreitung und Funktion medialer Aktivitäten im Internet und in sozialen Netzwerken für das Heranwachsen junger Menschen (Kapitel 4). Dabei werden Nutzungs-

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motive, Möglichkeiten der Selbstdarstellung und Gefährdungspotenziale in den Blick genommen.

Im zweiten Teil des Buches werden übergreifende Analysen zu den ver-schiedenen Aktivitätsbereichen junger Menschen dargestellt. Mareike Tara-zona und Kristina Tillmann untersuchen die Einflüsse der sozialen Her-kunft sowie die Rolle der Familie und ihrem kulturellen und sozialen Kapital für mediale, musikalisch-künstlerische und sportliche Praxen junger Menschen (Kapitel 5). Ivo Züchner und Mariana Grgic analysieren die Re-levanz verschiedener Kontexte für musikalisch-künstlerische und sportliche Aktivitäten und beschäftigen sich mit der Frage, inwieweit veränderte schu-lische Zeitstrukturen Auswirkungen auf die Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen haben (Kapitel 6). Darüber hinaus untersuchen Mariana Grgic und Ivo Züchner, welche Aktivitätsprofile sich bei Kindern und Ju-gendlichen zeigen, wenn ihre medialen, sportlichen und musikalisch-künstlerischen Praxen in den Blick genommen werden (Kapitel 7). Ab-schließend werden das methodische Design der Studie vorgestellt und die zentralen Konstrukte erläutert, die in den Analysen Verwendung finden (Kapitel 8), sowie ein übergreifendes Fazit gezogen.

Unser Dank geht an diejenigen, die das Projekt unterstützt und kritisch begleitet haben. Danken möchten wir zunächst Johanna Eckert und Dr. Rabea Krätschmer-Hahn, die als Projektmitarbeiterinnen eine wichtige Unterstützung waren. Prof. Dr. Cathleen Grunert, Prof. Nadia Kutscher, Prof. Werner Schmidt und Prof. Dr. Michael Bayer haben für das Projekt wertvolle Expertisen verfasst, die dem Projekt eine wichtige Starthilfe wa-ren. Danken möchten wir Herrn Prof. Rüdiger Heim, Dr. Hans Rudolf Leu, Prof. Bernhard Kalicki und Dr. Ekkehard Sander, die dem Projekt beratend zur Seite gestanden haben. Nicht zuletzt und insbesondere geht unser Dank an die Verantwortlichen auf Seiten des DJI und des DIPF, Herrn Prof. Rau-schenbach und Herrn Prof. Weishaupt, die das Projekt ermöglicht, konzep-tionell begleitet und vielfach unterstützt haben.

München, Frankfurt am Main, März 2015

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Kapitel 1 Theoretisch-konzeptioneller Rahmen der Studie Ivo Züchner, Mariana Grgic

1.1 Zum Begriff Kultur

Der Begriff der Kultur ist in seiner vielfältigen Verwendung in der deut-schen Sprache nicht eindeutig zu definieren. Kultur umfasst verschiedene Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenlebens: Dazu zählen weltanschau-liche Orientierungen, Wertesysteme, Mentalitäten, Lebensstile und Lebens-verhältnisse. Somit ist ein Kulturbegriff aufgrund der Komplexität der da-mit bezeichneten Phänomene nur schwer zu definieren, und die Versuche bleiben zumeist unbefriedigend. So wird beispielsweise – je nach For-schungsinteresse – zwischen einem anthropologischen, ethnologischen, normativen, soziologischen und einem engen Kulturbegriff der Künste differenziert. Der Kulturbegriff kann dabei politische, theoretische, prakti-sche oder ideologische Akzente haben (vgl. Fuchs 2012, S. 65f.).

Das in diesem Band zugrundeliegende Verständnis von Kultur orientiert sich an verhaltenstheoretischen Ansätzen, die unter dem Begriff Kultur das wiederholte und regelmäßige Verhalten von Menschen in der Gesellschaft umfassen, wodurch sich langfristig kulturelle Verhaltensmuster festsetzen. In der Debatte um Subkulturen beispielsweise werden die kulturellen (Ver-haltens-)Muster von spezifischen Gruppen in Abgrenzung zur Gesamtkul-tur analysiert (vgl. Reinhold 2000, S. 381f.). Der in dieser Studie verwendete Kulturbegriff orientiert sich tendenziell an einem engen Kulturbegriff der Künste und bezieht die „Hochkultur“, aber auch die Alltags- und populäre Kultur in die Betrachtung mit ein.

Die Bereiche Medien, Musik, Kunst und Sport sind demnach Bereiche, die im Folgenden unter dem Begriff „Kultur“ zusammengefasst werden, auch wenn im Titel der Studie „Medien, Kultur und Sport“ aus pragmati-schen Gründen der Begriff Kultur (in einem engen Sinne) zunächst als Ge-samtkategorie für Kunst und Musik gesehen wurde. In einer systematische-ren Verwendung wird im Folgenden der Kulturbegriff aber als Dachbegriff aller hier untersuchten musikalisch-künstlerischen, sportlichen und media-

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len Aktivitäten verwendet. Auch die Trennung der entsprechenden Aktivi-täten kann nur als eine analytische Differenzierung angesehen werden, da es – nicht zuletzt aufgrund des weiteren Einzugs der Medien in die heutigen (Kinder- und Jugend-)Kulturen (vgl. Thole 2002) – Überschneidungen zwischen medialen, musikalisch-künstlerischen und sportlichen Aktivitäten gibt. Zu erwähnen sind hier beispielsweise neuere künstlerische Praxen am Computer bzw. im Internet oder das Tanzen als gleichsam sportliche und künstlerische Ausdrucksform. Im Kulturbegriff der Studie drückt sich zu-dem eine wichtige Grundannahme aus: Im Folgenden wird davon ausge-gangen, dass Medien, Kunst, Musik und Sport wesentliche Elemente der „Kultur“ einer Gesellschaft sind und diese entsprechend prägen. In ihnen wird auch ein kulturelles Erbe weitergegeben und gegebenenfalls aktuali-siert. Dadurch werden die Musik, die Kunst, die Medien und der Sport zu wichtigen Erfahrungsräumen des Aufwachsens von jungen Menschen und somit zum Gegenstand der MediKuS-Studie.

1.2 Sozialisationsprozesse in Kindheit und Jugend

Die Kindheit und Jugend sind als kaum exakt zu bestimmende Phasen der Sozialisation zu sehen, die für die Entwicklung einer eigenständigen selbst-verantwortlichen Persönlichkeit einen herausragenden Stellenwert haben (vgl. Faltermaier 2008; Scherr 2009). In seiner Begriffsgenese beschreibt Sozialisation dabei den Prozess des Hineinwachsens in eine Gesellschaft (vgl. Neidhard 1967). Hurrelmann sieht Sozialisation als „lebenslange An-eignung von und Auseinandersetzung mit den natürlichen Anlagen (…), die für den Menschen die ‚innere’ Realität bilden, und der sozialen und physikalischen Umwelt, die für den Menschen die ‚äußere’ Realität bilden“ (Hurrelmann 2006, S. 15). Sozialisation in diesem Sinne beinhaltet zum einen die gesellschaftliche Prägung von Jugendlichen und ihren Gewohn-heiten, Handlungsmustern und Werten, zum anderen aber auch den Pro-zess der individuellen Auseinandersetzung von Jugendlichen mit gesell-schaftlichen Vorgaben und Handlungserfahrungen in der Familie, Schule und unter Gleichaltrigen (vgl. Hurrelmann u.a. 2008). Dazu gehört auch die Herausbildung von kulturellen Präferenzen, Wertorientierungen und Vor-stellungen zu spezifischen Lebensentwürfen (vgl. Scherr 2009).

Deutlich werden hier Überlappungen zu einem erweiterten Bildungsver-ständnis, das beispielsweise im 12. Kinder- und Jugendbericht entfaltet ist und dabei nach formaler, non-formaler und informeller Bildung im Kindes- und Jugendalter unterscheidet. Sozialisationsprozesse korrespondieren in dieser Lesart auch stets mit Bildungsprozessen und lassen sich möglicher-weise nicht immer begrifflich scharf voneinander unterscheiden. In einem

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breiten Bildungsverständnis, das mit Humboldt Bildung als Auseinander-setzungsprozess mit der kulturellen, materiellen und sozialen Umwelt be-schreibt (vgl. BMFSFJ 2005, S. 83), finden sich starke Parallelen zur lebens-langen Aneignung und der Auseinandersetzung mit natürlichen Anlagen und der sozialen und physikalischen Umwelt, wie Hurrelmann (2006) es formuliert.

Begriffssystematisch unterscheidet dieser drei Kategorien von Sozialisa-tionsinstanzen: die primären Sozialisationsinstanzen (Familie, Verwandt-schaft), sekundäre Sozialisationsinstanzen (Kindergarten, Schule und ande-re Bildungseinrichtungen) sowie schließlich Freizeitorganisationen, Medien und Peers als tertiäre Sozialisationsinstanzen (vgl. Hurrelmann 2006, S. 34). Auch wenn die Medien explizit im Mittelpunkt der Studie MediKuS stehen, werden Freunde, Familie und Schule als wichtige Kontexte der Sozialisation ebenfalls in den Blick genommen. Diese Sozialisationsinstanzen jenseits der Schule werden beispielsweise bei Otto und Rauschenbach (2008) auch als „die andere Seite der Bildung“ charakterisiert.

Sozialisationstheoretische Überlegungen folgen dabei einem gewissen Entwicklungsmodell: Während in der Kindheit die Familie den Bezugs-punkt und die Orientierung für Handlungen und Einstellungen darstellt, kommt es im Jugendalter zu Ablösungsprozessen der Jugendlichen von Eltern und Geschwistern (vgl. Faltermaier 2008; Hurrelmann u.a. 2008). Mit der Ablösung vom Elternhaus ist zugleich die Hinwendung zu Gleich-altrigen verbunden, die zu einer neuen Bezugsgruppe werden und die dadurch für die Herausbildung und Stabilisierung kultureller, politischer und geschlechtsspezifischer Orientierungen zentral sind. Gleichaltrigen-gruppen werden damit zu einer wichtigen „informellen Sozialisations-instanz“ (vgl. Oswald 2008; Hurrelmann 2006; Harring u.a. 2010) und un-terstützen die Identitätsbildung des Einzelnen. Durch die Kommunikation mit Gleichaltrigen über Erlebnisse und Erfahrungen des Alltags kommen Jugendliche unter sich zu gemeinsamen Interpretationen, Bewertungen und eigenen Positionierungen, was insbesondere im Rahmen der Identitätsent-wicklung einen wichtigen Stellenwert hat.

Daneben bieten auch außerschulische Aktivitäten in den Bereichen Mu-sik, Kunst oder Sport, die in der Regel mit Gleichaltrigen ausgeübt werden, Möglichkeiten und Erfahrungsräume für Kinder und Jugendliche, Identitä-ten auszuprobieren und zu finden, eigene Ausdrucksformen zu entwickeln sowie sich selbst und eigene Lebensstile zu präsentieren (vgl. Wahler 2004; Baacke 1998). Aber auch die Medienwelt des Internets spielt durch ihre zahlreichen Möglichkeiten zur Kommunikation mit Peers (z.B. über WhatsApp, facebook) und der einfachen Interessensvertiefung (z.B. über YouTube oder Homepages der Lieblingsmusiker und -sportvereine) eine wichtige Rolle für die Identitätsfindung junger Menschen (vgl. Wag-

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ner/Brüggen 2013). Identität von Jugendlichen entwickelt sich vor dem Hintergrund sozialer Erwartungen sowie der Auseinandersetzung mit und der Erprobung eigener Handlungserfahrungen in den unterschiedlichen Settings der Familie, Schule und Peers (vgl. Leipold/Greve 2008). Vielfältig haben sich daraus jugendkulturelle Bewegungen und Szenen entwickelt. Identitätstheorien gehen dabei davon aus, dass die Identitätsentwicklung nicht als in sich abgeschlossener Prozess verstanden werden kann, sondern dass Identitäten und Lebensentwürfe fragmentarisch sein können (vgl. Scherr 2009) und dass Jugendliche mit heterogenen Sinnstiftungsangeboten der Medien und ihrer eigenen Erfahrungswelt konfrontiert sind und sehr unterschiedlich damit umgehen (vgl. Ecarius u.a. 2011).

Allein diese systematischen Bezüge verweisen auf die enge Verwoben-heit der in der MediKuS-Studie behandelten Themen mit Sozialisationspro-zessen. Es geht bei der Frage nach medialen, musikalisch-künstlerischen und sportlichen Ausdrucksformen um verschiedenste Formen von jugend-licher Selbstständigkeit sowie gleichzeitig sozialer Eingebundenheit in orga-nisierte, aber auch informelle Kontexte – Elemente, die im Sozialisations-prozess eine besondere Wichtigkeit erlangen. Gleichzeitig bietet die musik-, sport- und medienbezogene Freizeitkultur, die im Fokus der MediKuS-Studie steht, ein breites Spektrum an Darstellungsmöglichkeiten und Ange-boten verschiedenster Stilrichtungen, durch die Jugendliche ihre Befind-lichkeiten, Präferenzen und Abgrenzungen ausdrücken können (vgl. Wah-ler 2004; Prahl 2002). Daneben sind diese Bereiche auch wichtige Themen, über die Gleichaltrige kommunizieren. Entsprechend werden die hier be-trachteten Aktivitäten auch als Teil des Sozialisationsprozesses betrachtet – auch wenn die Abgrenzung von Bildung und Sozialisation nicht immer eindeutig zu treffen ist.

1.3 Bildungsprozesse in Kindheit und Jugend

In den letzten Jahren wird mit der Betonung von Bildung als Schlüsselkate-gorie individueller Zukunftschancen weniger von Sozialisation als von Bil-dung gesprochen. Unter dem Aspekt von Bildung lässt sich der Themenbe-reich mindestens unter dem Aspekt der kulturellen Bildung einordnen. Die Studie MediKuS geht auf Basis eines weiten Bildungsbegriffs von der Mög-lichkeit einer umfassenden Bildung durch künstlerische, mediale und sport-liche Aktivtäten aus.

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1.3.1 Kontexte von Bildung

Der 12. Kinder- und Jugendbericht führte die Unterscheidung zwischen Orten und Modalitäten formaler, non-formaler und informeller Bildung ein (vgl. BMFSFJ 2005; auch Rauschenbach u.a. 2004; Konsortium Bildungsbe-richterstattung 2006). Diese Perspektive nimmt das Humboldt’sche Ver-ständnis von Bildung als selbsttätigen Prozess auf und richtet den Blick auf die andere Seite – oder auch die anderen Seiten – von Bildung, d.h. auf Lern- und Bildungsprozesse vor, neben und nach der Schule (vgl. Otto/ Rauschenbach 2008). Der Dreischritt in formale, non-formale und infor-melle Orte von Bildung und Lernen erweitert dabei die klassische Unter-scheidung zwischen formalem und informellem Lernen (vgl. Overwien 2005).

Wenn Bildung als Selbstaktivität verstanden wird, sind Begriffe wie for-male oder non-formale Bildung möglicherweise unpräzise, so dass zu disku-tieren ist, inwieweit an dieser Stelle von Bildung gesprochen werden sollte, und ob nicht der Begriff des Lernens präziser wäre. Dennoch besteht der Gewinn dieser Unterscheidung darin, Orte und Formen von Lern- und Bildungsprozessen zu identifizieren. In einer etwas strengeren Begriffsbil-dung wird im Folgenden somit eher von formalen, non-formalen und in-formellen Orten bzw. Kontexten (und Modalitäten) von Bildung gespro-chen.1

Auf Basis dieser Unterscheidung erfolgt eine Sortierung in: ● Formale Lernumwelten, womit gerichtete und zertifizierte Lern- und

Bildungsprozesse in Schule und Ausbildung erfasst werden; ● Non-formale Lernumwelten, die auf gerichtete und pädagogisch gerahm-

te, organisierte Bildungsprozesse verweisen. Solche non-formalen Ler-numwelten sind z.B. Angebote von Vereinen, Jugendverbänden, Kultur- und Jugendzentren, Musikschulen, der Jugendsozialarbeit, der Biblio-theken und Umweltgruppen oder Kirchen, die in der Regel freiwillig be-sucht werden und die ihre Aufgaben und Zielsetzungen nicht allein in Lernen und Bildung verstehen. Zu den non-formalen Lernumwelten ge-hören aber auch die außerunterrichtlichen Angebote von Schulen, die in dieser Studie explizit berücksichtigt werden.

● Informelle Lernumwelten, die sich auf Bildungs- und Lernprozesse be-ziehen, die unorganisiert, selbstgesteuert und teilweise zufällig stattfin-den, die sich unabhängig von einem organisierten Kontext vollziehen,

1 Das Nationale Bildungspanel verwendet die Begriffe der formalen, non-formalen und informellen Lernumwelten.

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aber auch in der Schule oder Jugendarbeit stattfinden können. Hier wird das Lernen in den Blick genommen, das nebenbei passiert, oder auch als gezielte individuelle Aktivität – durch den Wissens- und Kompetenzer-werb von anderen Kindern und Jugendlichen, im Rahmen eines selbst-ständigen Lernens durch Lesen, Informieren und Ausprobieren, durch Austausch in der Clique, durch Medien und andere Erfahrungen (vgl. Züchner 2013).2

Diese Dreiteilung der Orte bzw. Lernumwelten erfasst zum einen die Struk-tur der Kontexte von Bildung (formale und non-formale Lernumwelten, d.h. pädagogische Settings mit mehr oder minder hohem Formalisierungs-grad und Verpflichtungscharakter). Zum anderen liegt in ihr die Unter-scheidung zwischen a) zielgerichteten und pädagogisch gerahmten Bil-dungsangeboten (formales und non-formales Lernen) und b) ungerichteten und/oder individuell selbstorganisierten und/oder zufälligen Bildungspro-zessen, die keiner pädagogischen Vorstrukturierung oder externer Zielset-zung unterliegen. Hiermit sind die unterschiedlichen Formen des Lernens angesprochen. Ermert betonte im Zusammenhang mit kultureller Bildung: „Wie bei allen Bildungsprozessen steht zu vermuten, dass das Individuum sehr viel mehr im Informellen als in formellen Prozessen und sehr viel mehr außerhalb als innerhalb der dafür vorgesehenen Institutionen lernt – ohne, dass diese dadurch überflüssig würden“ (Ermert 2009).

Dahinter steht eine Perspektive, die Bildung über den Erwerb von kog-nitiven Fähigkeiten (im Sinne von Wissen und Schulleistungen) hinaus als Befähigung des Einzelnen zum kompetenten Umgang mit sich und der Welt und damit den Erwerb instrumenteller, kultureller, sozialer und per-sonaler Kompetenzen versteht (vgl. BMFSFJ 2005, S. 89f.). Dabei wird da-von ausgegangen, dass alle drei Modalitäten von Bildung zum Erwerb der unterschiedlichen Kompetenzen beitragen, dass sowohl in formalen, non-formalen als auch informellen Lernprozessen Kompetenzen mit Blick auf Kulturtechniken, Persönlichkeitsbildung oder auch naturwissenschaftliche Kompetenzen erworben werden können.

2 In der beruflichen Bildung wird das informelle Lernen vor allem als das Erfahrungs-lernen „on the job“ verstanden.

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1.3.2 Mediale, musikalisch-künstlerische und sportliche Aktivitäten als Teil der Alltagsbildung

Die MediKuS-Studie hatte nicht das Ziel, die Bildungswirkungen von au-ßerunterrichtlichen Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen zu erfor-schen (vgl. hierzu etwa Düx u.a. 2008; Fauser u.a. 2006; Brettschnei-der/Kleine 2002). Allerdings ist eine zentrale Annahme, dass die vielfältigen musikalisch-künstlerischen, sportlichen und medialen Aktivitäten wichtige und bildende Bausteine im Heranwachsen darstellen.

Geht man davon aus, dass Bildung „ein aktiver Prozess [ist], in dem sich das Subjekt eigenständig und selbsttätig in der Auseinandersetzung mit der sozialen, kulturellen und natürlichen Umwelt bildet“ (BMFSFJ 2005, S. 83), so beinhalten mediale, musikalisch-künstlerische und sportliche Aktivitäten vielfältige Bildungsgelegenheiten, sowohl mit Blick auf die Aneignung und Weiterentwicklung des „kulturellen Erbes“, als auch mit Blick auf soziale und personale Lernprozesse. Rauschenbach hat die vielfältigen Formen non-formaler und informeller Bildung, von Lernen in organisierten und zufälligen Kontexten als „Alltagsbildung“ bezeichnet (vgl. Rauschenbach 2009) und sie einer schulisch-formalen Bildung gegenübergestellt. Dieser zweite Blick auf die „andere Seite der Bildung“ greift zum einen die Unter-scheidung zwischen formalem und informellem Lernen – und in dessen Weiterentwicklung die Unterscheidung zwischen formaler, non-formaler und informeller Bildung – auf und bietet Anknüpfungspunkte zum soziolo-gischen (und empirischen) Ansatz der „alltäglichen Lebensführung“ (vgl. Voß 1991; Jurczyk/Rerrich 1993).

Wesentlich im Konzept der Alltagsbildung ist die Annahme, dass das meiste, was für das Leben wichtig ist und war (vom Kochen bis zum Musi-zieren, vom Sporttreiben bis zur Versorgung alter Menschen), früher im Alltag gelernt wurde, d.h. selbstverständlicher, integraler Bestandteil des Aufwachsens in der Familie, der Nachbarschaft und dem sozialen Umfeld war. „Träger“ dieser Alltagsbildung waren und sind zuallererst die Familie, Freunde und der soziale Nahraum, aber eben auch die Vereine, Verbände, das jeweilige Milieu sowie die Medien.

Dabei geht es sowohl um beabsichtigte Lernprozesse als auch um vielfäl-tige, nicht-intentionale Bildungsprozesse, in denen wichtige Momente des Ausprobierens, Erfahrungslernens, der Verantwortungsübernahme und der sozialen Erprobung liegen (vgl. Rauschenbach/Züchner 2011). Eine so ver-standene Alltagsbildung war eine wichtige Voraussetzung für die unter-schiedlichsten Lebens- und Bewältigungsaufgaben, die sich Kindern und Jugendlichen stellen. Dies umfasst auch die Schule. So setzte und setzt die Schule vielfältige vorgängige und parallele Lern- und Bildungsprozesse im Alltag voraus, so dass Alltagsbildung auch als konstitutives Moment von

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Schule verstanden werden kann (nicht nur in den Fächern Musik, Kunst und Sport).

Die Alltagsbildung, wenn man diese vielfältigen Erfahrungen und Lernpro-zesse in ihrer Gesamtheit in diesem Begriff zusammenfasst, ist gegenüber früheren Zeiten allerdings heute nicht mehr selbstverständlich wirksam:

● So hat die Alltagsbildung an Selbstverständlichkeit verloren. Begünstigt wird diese Entwicklung durch den Abbau klassischer sozialer Einbin-dungen in Familien, Milieus, Vereine und Verbände, die wichtige Orte von Alltagsbildung darstellen. Vieles wird heute „nicht mehr gelernt“, weil es immer weniger Orte und Zeiten der Vermittlung solcher Bil-dungsprozesse gibt und sich auch andere Systeme für die Erledigung bestimmter Aufgaben entwickelt haben. Das Kochen, die motorische Entwicklung, Ökonomie und Haushaltsführung sind nicht mehr selbst-verständliche Bestandteile des Aufwachsens von Kindern und Jugendli-chen.

● Hinzu tritt die gestiegene Komplexität des Alltags, die immer mehr und neue, teilweise spezialisierte Bildungsanforderungen an Kinder und Ju-gendliche stellt, die bislang keine Orte und Formen der Vermittlung ha-ben und in deren Vermittlung Familie und Schulen nur beschränkte Möglichkeiten und Kompetenzen haben. Die Medienkompetenz kann hierfür als ein Beispiel herangezogen werden (vgl. Rauschenbach 2009).

Die Alltagsbildung ist trotz allem bis heute eine wichtige (und womöglich unterschätzte) Voraussetzung für individuelle und kollektive Zukunfts-chancen: Unterschiedliche Alltagskompetenzen eröffnen Möglichkeiten und fehlende Alltagskompetenzen werden zu (bildungs-)biografischen Herausforderungen. Wenn Alltagsbildung ein wichtiger Bestandteil erfolg-reicher Schulbiografien ist, dann ist fehlende Alltagsbildung auch ein Schlüssel zu sozialer Bildungsungleichheit. Die unterschiedliche Befähi-gung, mit der kulturellen, instrumentellen, sozialen sowie personalen Um-welt umzugehen, beeinflusst auch maßgeblich die Chancen im formalen Bildungssystem.

1.3.3 Bildung und Lernen durch Interesse

Jenseits der Vermittlungsinstanzen und der Orte ist zu begründen, inwie-weit musikalische, sportliche, künstlerische und mediale Aktivitäten auch Bildungsprozesse beinhalten. Für eine begründete Folgerung, dass bei den angesprochen Eigenaktivitäten Aneignungs- und Bildungsprozesse stattfin-

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den bzw. stattfinden können, kann an die Person-Gegenstands-Theorie des Interesses angeknüpft werden (vgl. Prenzel u.a. 1986).

Die Studie MediKuS untersucht über das Panorama der verschiedenen Aktivitäten von Kindern und Jugendliche hinaus, diejenigen musikalisch-künstlerischen bzw. sportlichen Aktivitäten in ihrer spezifischen Art, dem Umfang, Ort und der Intensität genauer, welche von den Befragten als wichtigste Aktivität (von mehreren) im Bereich von Kunst/Musik bzw. Sport benannt werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass mit der den Befragten wichtigsten Aktivität ein besonderes Interesse verbunden wird. Länger anhaltendes Interesse wird in der Pädagogischen Interessenstheorie (vgl. Prenzel u.a. 1986; Krapp 2002) als ein längerfristiger und überdauern-der Person-Gegenstands-Bezug konzipiert. Gegenstände können konkrete Gegenstände, Aktivitäten oder auch Wissensgebiete sein (vgl. Krapp 2002). Wesensmerkmal des Interesses ist nach Schiefele, „die Eigenart eines Ge-genstandes zu verstehen, ihn sich zu erschließen und dabei selbst Bereiche-rung zu erfahren“ (Schiefele 1986, S. 158). Interesse manifestiert sich in der Auseinandersetzung mit einem Gegenstand (vgl. Prenzel u.a. 1986, S. 168), also beispielsweise im wiederholten Spielen eines Instruments oder im Aus-üben einer Sportart als „selbstintentionale“ Beschäftigung, d.h. man setzt sich „von sich aus“ mit dem Instrument bzw. der Sportart auseinander. Dies schließt nicht aus, dass äußere Anlässe zu Aktivitäten beitragen, doch steht die Selbstintentionalität im Mittelpunkt der Betrachtung.

In der Aktivität, d.h. der „Beschäftigung mit dem Gegenstand“ erfährt die Person mehr über den Gegenstand und entwickelt sich. Anhaltende Interessensbezüge lassen sich so als wiederholte und selbstveranlasste „Ge-genstandsauseinandersetzung“ verstehen, die zur Persönlichkeitsentwick-lung und Identitätsbildung der Person beitragen (vgl. Prenzel u.a. 1986, S. 168). Krapp formuliert dafür vier Kriterien:

● Kognitiver Aspekt: Ein Interesse verändert sich mit der erkennenden und erschließenden Beschäftigung. Interesse geht, so die Interessenstheorie, mit einer Zunahme und Differenzierung gegenstandsspezifischen Wis-sens und Können einher. Dabei hat das entwickelte Interesse die Ten-denz, größer zu werden – vor dem Hintergrund, dass man lernt, was man alles nicht kann oder weiß, und sich daran entwickelt.

● Emotionaler Aspekt: Die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand bzw. der Aktivität löst positive Gefühle aus („emotionale Valenz“, vgl. auch Schiefele 1986, S. 158). Dieses positive Erleben wird auf Basis der Selbst-bestimmungstheorie vor allem mit dem Erleben von Autonomie, Kom-petenz und sozialer Eingebundenheit (vgl. Deci/Ryan 1993) in Verbin-dung gebracht.

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● Wertbezogener Aspekt: Dem Gegenstand oder der Aktivität wird eine hohe Bedeutung im eigenen Wertsystem zugemessen (emotionale Va-lenz), d.h. er bzw. sie hat oder bekommt eine hohe Bedeutung für das Selbst bzw. die Persönlichkeit des Betroffenen.

● Intrinsische Qualität: Es wird davon ausgegangen, dass eine auf das Inte-resse bezogene Aktivität intrinsisch motiviert ist, und sich der Haupt-grund der Beschäftigung aus dem Gegenstand bzw. der Aktivität ergibt und nicht durch äußere Anreize (vgl. Krapp 2002, S. 412; auch Grgic/ Züchner 2013).

An dieses Konzept des Interesses knüpft die Frage nach der wichtigsten Aktivität in den Bereichen Musik/Kunst und Sport an. Nicht jede musika-lisch-künstlerische Aktivität muss von Interesse geleitet sein und nicht jedes Sporttreiben hat eine tiefgehende persönliche Bildungswirkung. Es wird vielmehr davon ausgegangen, dass vor allem diejenigen Aktivitäten, die für den einzelnen subjektiv bedeutsam sind, die so verstandenen „interessensge-leiteten“ Aktivitäten darstellen, in denen sich Bildungsprozesse mit Blick auf kulturelle und personale Bildung vollziehen. Wenn zum Beispiel das Spielen eines Instruments oder die eigene Sportartaktivität zu einem derartigen subjektiv bedeutsamen Gegenstandsbezug wird, dann ist in ihm die bilden-de Auseinandersetzung mit dem Instrument bzw. dem Sport sowie die per-sonale Entwicklung im Rahmen der eigenen, interessensgeleiteten Aktivität angelegt.

Auch unter dem Fokus der Lebenslaufperspektive können interessensge-leitete musikalisch-künstlerische und sportliche Praxen in der Kindheit und Jugend eine wichtige Voraussetzung zu dauerhaften Aktivitäten bzw. der Wiederaufnahme entsprechender Praxen im späteren Erwachsenenalter sein. Kriterien wie Regelmäßigkeit, Dauer, Intensität und intrinsische Moti-vation für die Aktivitäten sind dabei ebenso Ausdruck von Interesse wie die Bewertung der Wichtigkeit der Aktivität im Vergleich zu anderen Aktivitä-ten. Entsprechend wird davon ausgegangen, dass die musikalisch-künst-lerischen und sportlichen Aktivitäten, die von den Befragten als wichtigste bezeichnet werden, eine besondere Bildungsbedeutung sowohl auf der in-haltlichen (musikalisch-künstlerische, sportliche Kompetenzen) als auch auf der personalen Ebene (Persönlichkeitsentwicklung) haben.

Dies macht die wichtigste Aktivität als Bildungsgelegenheit zum beson-deren Gegenstand des Studieninteresses. Insbesondere hier stellt sich die Frage, welche Kinder und Jugendlichen beispielsweise ihrer sportlichen Aktivität eine hohe Bedeutung zumessen, ob dieser in organisierter Form oder selbstorganisiert nachgegangen wird, wie die Zugangswege waren und ob sich dies beispielsweise nach Sportarten unterscheidet.

Mit diesem Fokus wird aber auch deutlich, dass nicht alle musikalisch-

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künstlerischen und sportlichen Aktivitäten automatisch mit Bildungs-prozessen in Verbindung gebracht werden können. Die vielfach gemachte Annahme „Bildung ist mehr als Schule“ wird damit aber auch durch die Einsicht „Nicht alles ist Bildung“ limitiert. Doch insbesondere die interes-sensgeleiteten Praxen von Kindern und Jugendlichen werden als wichtige Gelegenheitsstrukturen für vielfältige Bildungsprozesse gesehen.

1.3.4 Sozialisation und Bildung durch Medien, Musik, Kunst und Sport

Zu unterscheiden ist daneben einerseits zwischen der sportlichen, künstleri-schen bzw. medialen Aktivität und andererseits dem Kontext, in dem diese Beschäftigung erfolgt. Insbesondere musikalisch-künstlerische und sportli-che Aktivitäten finden selbstorganisiert, in der Freizeit mit anderen, aber auch in organisierter Form in Institutionen statt. Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen sind immer auch an Vereine und Verbände, Kunst-, Mu-sik- und Sportschulen, Einrichtungen der Jugendarbeit, Kirchengemeinden und viele andere Orte gebunden. Eine Mehrheit der Kinder und Jugendli-chen geht ihren Aktivitäten – zumindest eine gewisse Zeit lang – sowohl an informellen als auch an non-formalen Orten nach (vgl. Abschnitt 1.3.1). Damit ist auch die jeweilige Bedeutung der Aktivitäten für die Sozialisation und Bildung nicht immer klar zu unterscheiden bzw. ist es nur schwer zu klären, inwieweit Bildung hier ein Effekt der Beschäftigung mit dem Gegen-stand oder dem Zusammenwirken mit Gleichaltrigen ist bzw. inwieweit hier institutionenbezogene Einflüsse hinzukommen. Daher müssen diese Ebenen gesondert beachtet werden:

Aktivitäten per se: Im Sinne der Interessentheorie kann davon ausgegan-gen werden, dass Bildung als Entwicklung von Fähigkeiten über sportliche oder musikalisch-künstlerisch Aktivitäten durch den Gegenstandsbezug und die wiederholte Auseinandersetzung damit stattfindet (z.B. das Trai-ning und das Üben).

Peerbezogene Aktivitäten: Daneben kann mit Blick auf die Peerfor-schung angenommen werden, dass das gemeinsame Aktivsein bei Aktivitä-ten unter Peers eine Bildungsbedeutung im Sinne der Gemeinschaftserfah-rung sowie des Erprobens und Aushandelns mit anderen hat (vgl. Krüger u.a. 2012; Harring u.a. 2010; Thole/Höblich 2008).

Organisationsbezogene Aktivitäten: Im Versuch einer Systematisierung von Bildungsanlässen in organisierten Aktivitäten unterscheidet Rauschen-bach Gemeinschafts-, Integrations-, Verantwortungs- und Bildungspoten-ziale von Jugendarbeit, Vereinsleben und Sport. Gemeinschafts- und Inte-grationspotentiale fassen dabei Prozesse der Erfahrungen sozialer Zuge-

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hörigkeit und Gemeinschaft (vgl. Rauschenbach 2009; Rauschenbach/ Züchner 2011). Der Wunsch nach sozialer Zugehörigkeit, nach Geselligkeit und Gemeinschaft sowie die Erfahrung von Gemeinschaft mit anderen spielt die zentrale Rolle für eine Teilnahme an entsprechenden Aktivitäten (vgl. Düx u.a. 2008; Fauser u.a. 2006). Das Erleben von Gruppengeschehen und das Knüpfen und Erhalten von Netzwerken, das Aushandeln und Ein-halten verbindlicher sozialer Normen und Werte in – oft heterogen zu-sammengesetzten – Gruppen, die sich nicht unbedingt über Freundschafts-beziehungen, sondern über Inhalte der Aktivitäten konstituieren (z.B. fußballbegeisterte Jugendliche im Verein), bergen eine Vielfalt von Bil-dungsanlässen der Entwicklung personaler und sozialer Kompetenzen – vieles davon fasst auch der Sozialisationsbegriff.

Die Verantwortungspotenziale einer Aktivität in solchen Kontexten lie-gen darin, in der Aktivität bzw. einem Engagement in Vereinen und Ver-bänden für sich und für andere schrittweise Verantwortung zu übernehmen und sich selbst in Ernstsituationen erleben zu können. Solche Ernstsituatio-nen beinhalten besondere Erfahrungsmöglichkeiten, u.a. dass das eigene Handeln reale Konsequenzen für sich und andere hat. Besondere Bildungs- und Lernpotenziale liegen auch in den Inhalten der Aktivitäten (wie z.B. dem Kompetenzerwerb in Musik oder Sport), zu denen ein hoher motiva-tionaler Bezug besteht und in denen kulturelle, motorische oder andere Fähigkeiten erworben werden. Gleichzeitig liegen durch die Erfahrung der eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen in diesen Aktivitäten Potenziale personaler Lernprozesse im Hinblick auf den Umgang mit Erfolg und Miss-erfolg, mit Wissen und Nichtwissen, mit mehr oder weniger Können. Im Zusammenwirken dieser Potenziale der Gemeinschaft, des Lernens und des verantwortlichen Handelns, die sowohl inhaltlich als auch institutionell vorgegebene Bedingungen sowie die Ausgestaltung sozialer Bezüge in den Aktivitäten umschließen, lassen sich ggf. zentrale Bildungswirkungen au-ßerschulischer organisierter Aktivitäten erfassen.

1.4 Soziale Ungleichheit

Eine auf kulturelle Aktivitäten gerichtete Studie sollte den Blick auch auf die aus anderen Studien bekannten herkunftsspezifischen Unterschiede in der Teilhabe an musikalisch-künstlerischen, medialen und sportlichen Aktivitä-ten im Kindes- und Jugendalter richten. Die Forschung zu außerschuli-schen Aktivitäten hat sichtbar gemacht, dass die große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen im Laufe des Aufwachsens an entsprechenden organisier-ten Angeboten in Vereinen und der Jugendarbeit teilnimmt. Allerdings machen beispielsweise Untersuchungen wie die Shell-Studien oder die DJI-

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Surveys deutlich, dass der Zugang zu organisierten Aktivitäten in Vereinen, Verbänden und Musikschulen schichtspezifisch erfolgt, so dass Kinder und Jugendliche aus ressourcenärmeren Familien in organisierten Angeboten unterrepräsentiert sind (vgl. u.a. Shell Deutschland Holding 2010; Betz 2008; zusammenfassend Engel/Thielebein 2011).

Im Ansatz der Alltagsbildung wurde die Annahme dargestellt, dass diese Unterschiede in Orientierungen und Gelegenheiten sich auch in der All-tagsbildung niederschlagen und die Alltagsbildung insbesondere darüber ein vielfach unterschätzter Einflussfaktor auf Bildungsbiografien ist. Es wird dabei mitunter angenommen, dass sich hinter der Bezeichnung „Soziale Herkunft“ auch Unterschiede in den Möglichkeiten und der Ausformung der Alltagsbildung – und damit auch im Bereich medialer, musikalisch-künstlerischer und sportlicher Aktivitäten – wiederfinden. Groh-Samberg konnte beispielsweise in längsschnittlichen Analysen zeigen, dass verschie-dene Armutslagen einen Einfluss auf die kulturelle Teilhabe bzw. Exklusion haben (vgl. Groh-Samberg 2009, S. 249ff.). Auch wenn sozioökonomische Einflussfaktoren eine Rolle für verschiedene Arten von Teilhabe spielen können, erscheint für eine Analyse von sozialen Ungleichheiten in den Bereichen Musik, Kunst, Sport und Medien ein Anknüpfen an die Arbeiten Bourdieus und insbesondere seine Kapitaltheorie weiterführend.

In seiner Kapitaltheorie, die sich auf empirische Arbeiten zu kulturellen Interessen und Aktivitäten stützt (vgl. Bourdieu 1982), befasst sich Bour-dieu mit der sozialen Reproduktion der sozialstrukturellen Position von Individuen in der Gesellschaft. Dabei geht er davon aus, dass bestimmte Klassenstrukturen die Möglichkeiten und Grenzen für Individuen vorge-ben, so dass individuelle Denk- und Handlungsmuster unbewusst verinner-licht werden. Bourdieu unterscheidet dabei zwischen verschiedenen Kapi-talarten, die ein Individuum innehaben kann: (1) ökonomisches Kapital, (2) soziales Kapital und (3) kulturelles Kapital (vgl. Bourdieu 1983). Das öko-nomische Kapital umfasst dabei jeglichen Besitz in Form von Geld und Vermögen. Soziales Kapital ist definiert durch Beziehungsnetzwerke, aus denen Ressourcen für das dort integrierte Individuum entstehen können (vgl. ausführlich Kapitel 5). Das kulturelle Kapital kann nach Bourdieu ver-schiedene Formen annehmen:

● Objektiviertes kulturelles Kapital: Besitz von Kulturgegenständen, d.h. Gegenständen, die einen Distinktionswert besitzen (z.B. Bilder, Bücher, Musikinstrumente).

● Institutionalisiertes kulturelles Kapital, womit vor allem Bildungszertifi-kate und Titel angesprochen sind.

● Inkorporiertes kulturelles Kapital: Als inkorporiertes kulturelles Kapital bezeichnet Bourdieu Denk- und Handlungsschemata, sowie Wertorien-

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tierungen, d.h. über die Sozialisation erworbene Verhaltensmerkmale. Dies sind beispielsweise bestimmte kulturelle Fertigkeiten, Fähigkeiten oder Wissensformen, um Hochkultur zu praktizieren bzw. zu rezipieren, sprachliche Kompetenzen, also Fähigkeiten, die an eine Person gebun-den sind und nicht z.B. durch Schenkung übertragbar sind. Die Über-tragung dieser Kapitalart erfolgt nicht immer bewusst und zielgerichtet (vgl. ebd.).

Insbesondere das kulturelle Kapital wird als zentral für musikalisch-künstlerische, sportliche und mediale Praxen bzw. eine entsprechende Grundbildung angesehen. Ausgegangen wird davon, dass das kulturelle Kapital über den sozioökonomischen Status hinaus vor allem im Hinblick auf diesen Untersuchungsgegenstand eine große Rolle spielt. Dabei können das inkorporierte kulturelle Kapital und der damit in Verbindung stehende Habitus, der bestimmte kollektive Wahrnehmungs-, Denk- und Hand-lungsschemata umfasst (vgl. Bourdieu 1983; Burzan 2007; Engler/Krais 2004), als Ressourcen interpretiert werden für den Zugang zu und das Inte-resse an bestimmten Alltagspraxen unter Kinder und Jugendlichen (vgl. auch Kapitel 2). Damit einher gehen bestimmte Lebensstile, also typische Handlungspraxen, die Eltern an ihre Kinder weitergeben. Aufgrund der zentralen Stellung des kulturellen Kapitals für die Untersuchung der inte-ressierenden Fragestellungen wurde ein entsprechender Index gebildet (vgl. Kapitel 8), der alle drei Dimensionen dieser Kapitalart berücksichtigt und für die nachfolgenden Analysen verwendet wird.

1.5 Bilanz und Fragestellungen des Bandes

Vor dem Hintergrund der dargestellten Überlegungen zu Sozialisations- und Bildungsprozessen in Kindheit und Jugend, zu verschiedenen Ler-numwelten, Konzepten der Alltagsbildung sowie zu interessensgeleiteten Aktivitäten soll in dieser Studie untersucht werden, welche Funktionen und subjektive Bedeutung kulturelle – d.h. musikalisch-künstlerische, sportliche und mediale – Alltagspraxen, also wichtige Felder der Alltagsbildung, für junge Menschen im Kontext ihres Aufwachsens haben. Dies wird durch bestimmte Grundfragen strukturiert.

● Mit Blick auf die Sozialisation und Bildung von Kindern wird betrachtet, welche Aktivitäten und Aktivitätsmuster sich in den verschiedenen Al-tersgruppen erkennen lassen. Sieht man Medien, Musik, Kunst und Sport neben einem Freizeitbereich als ein sozialisatorisch bedeutsames Erfah-rungsfeld an, dann ist von Interesse, welche Bereiche und Felder eine

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größere quantitative Bedeutung haben, wo Kinder und Jugendliche ihre Schwerpunkte legen, wie sie Aktivitäten auch kombinieren und wer mög-licherweise in den Feldern aktiver oder weniger aktiv ist. Auch richtet sich in der Analyse der Blick auf die Entwicklung über die Altersjahrgän-ge und damit die Frage, ob in bestimmten Lebensphasen (z.B. bei Auszu-bildenden, Studierenden) Abbrüche der Aktivität zu verzeichnen sind.

● Eng damit verbunden ist die Frage, an welchen Orten bzw. in welchen Lernumwelten welche Gruppen von Kindern und Jugendlichen aktiv sind. Die Organisation von musikalisch-künstlerischen und sportlichen Angeboten waren und sind in Deutschland die Domänen außerschuli-scher Organisationen, was sich mit dem Ausbau der Ganztagschulen ver-schieben könnte. Darüber hinaus bietet die MediKuS-Studie die Mög-lichkeit, die Bedeutung informeller, d.h. selbstorganisierter Praxen außerhalb pädagogischer Kontexte zu analysieren – auch im Vergleich zu non-formalen Angeboten in und außerhalb der Schule. Insbesondere mediale Aktivitäten finden überwiegend in Peerkontexten und außerhalb organisierter Strukturen statt. Wie Kinder und Jugendliche das Internet und soziale Netzwerke nutzen und welche Funktion die Medien im Rahmen der Sozialisation und Identitätsentwicklung haben, ist daher auch eine bedeutsame Frage. Nicht zuletzt ist es von Interesse, darzustel-len, wie die Neuen Medien für die Interessen im Bereich des Sports, der Musik oder Kunst genutzt werden, ob also eine Verschränkung medialer, musikalisch-künstlerischer und sportlicher Alltagspraxen im Aufwachsen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu beobachten ist.

● Erweitert wird der Blick mit einer näheren Analyse der Aktivitäten, die Kinder und Jugendliche dabei als wichtig empfinden. Vor dem Hinter-grund der Interessenstheorie wird geprüft, ob die wichtigsten Aktivitä-ten Charakteristika der in der Interessenstheorie beschriebenen „Per-son-Gegenstands-Relation“ aufweisen und welche Motive, Intensität der Ausübung sowie soziale Einbindung wirksam werden. Die Frage nach der wichtigsten Aktivität erlaubt es auch, für Kinder und Jugendliche be-sonders relevante inhaltliche Bereiche und dafür wichtige Orte zu be-schreiben.

● Querliegend zu diesen Themenstellungen ist die Frage nach herkunfts-spezifischen bzw. sozialen Ungleichheiten in den Aktivitäten. Wenn Akti-vitäten in den hier betrachteten Feldern Teile der Alltagsbildung und der Sozialisation sind, also über diese Aktivitäten kulturelle und soziale Ka-pitalien weitergegeben werden, stellt sich die Frage nach sozial ungleich verteilten Praktiken von jungen Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft, sowie Praktiken von jungen Menschen mit Migrationshinter-grund. In diesem Zusammenhang wird auch untersucht, welchen Ein-fluss die Eltern auf die Aktivitäten ihrer Kinder ausüben – zum einen

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durch die eigene Aktivität im Sinne einer Vorbildfunktion und zum an-deren durch Unterstützungsleistungen, die Eltern für ihre Kinder er-bringen können, beispielsweise durch das Hinbringen und Abholen zum Sport oder Musikunterricht.

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Teil I Aufwachsen mit Medien, Kultur und Sport

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